Berge zur Selbsterkenntnis
 
Ein Viertausender zur Ablenkung (Juni 1984)
 
ir rücken aus dem Norden an. Stützpunkt: Cabane de Panossiére. Von dieser Seite kamen auch die Erstbegeher, Benjamin und Maurice Felley und Jouvence Bruchez, ein Jäger aus dem Val de Bagnes, am 20. Juli 1857.
Meine Traurigkeit über Janines Tod habe ich immer noch nicht überwunden, selbst nach einer halben Ewigkeit muss ich noch immer wieder an sie denken. Wie leicht ist es doch für Freunde und Bekannte zu sagen: Fange ein neues Leben an, tue das, was dir Janine noch im Sterben sagte und suche dir eine Frau, der du deine Liebe geben kannst... Doch was soll ich tun, wenn ich immer noch in sie verliebt bin, wenn ich diese gut gemeinten Worte aus dem Gefühl heraus, so noch nicht akzeptieren kann?
Ich war ohne Hoffnung, ohne Mut, und so bar jeglicher Lebensbejahung und Freude. Ich vegetierte dahin, frustete vor mich hin, zurückgezogen vom Leben, als Peter mich anrief und mich bat, wieder mit ihm ins Wallis zu fahren. Er brauchte dringend einen Partner mit Erfahrung in Sachen Eis- Hochtouren, kombiniert mit Felspassagen. Aus einer spontanen Laune heraus sagte ich zu. Eigentlich war es mir egal, ob ich nun zugenagelt in meiner Wohnung sitzen und aufs TU- Hochhaus starren, oder mit ihm ins Wallis fahren würde. Warum sollte ich ihm den Gefallen nicht tun?
Die erste Tour, Peters Anregungen entsprungen, soll zum Eisschloß des Grand Combin hinaufführen, auf seinen höchsten Gipfel, den 4314 Meter hohen Combin de Grafeneire, über den berüchtigten Eiscorridor. Doch selbst das ist mir in meinem derzeitigen seelischen Zustand egal...
Hinter der Panossiérehütte erinnert eine Tafel an fünf Skitouristen, denen der Corridor zu Ostern 1959 das Leben kostete. Ein Jahr darauf fielen vier Mitglieder der SAC- Sektion Weißenstein den unberechenbaren Séracs zum Opfer. Die Aufzählung lässt sich beliebig fortsetzen.
Corridor. Eine schräg aufwärts führende Gletscherrampe, in der Grand Combin Nordflanke. Über dieser Rampe drohen die Séracs in beängstigenden Dimensionen, hunderte von Metern hoch, hier und dort arlamierend abgespalten. Frische Bruchstellen schimmern bläulich kalt. Unkalkulierbares Risiko. Tag und Nacht donnert der Eisschlag auf den Corridor. Mehr als vierhundert Höhenmeter müssen auf dieser Gletscherrampe zurückgelegt werden, knapp zwei Stunden bei guten Verhältnissen, davon mindestens eine Stunde im exponiert- gefährlichen Bereich. Erst dann darf man ausatmen und aufatmen. Nur vorläufig freilich, denn man muss ja über die Rampe auch wieder zurück! Von der Panossiérehütte aus gibt es auch keine Alternative zum Corridor, nur beten und durch...!
Am 13. Juni, noch recht früh im Jahr für eine solche Tour, kommen wir in Lourtiér an und steigen bei bestem Wetter zur Pnossiérehütte auf. Wir beziehen unser Nachtlager und richten alles für den morgigen, frühen Aufstieg her. Am späten Nachmittag queren wir noch über den Glaciér de Corbassiére zum oberen Eisbruch hinauf, Spuren zum Einstieg in den Corridor legen. Wir müssen morgen früh schon in der Dunkelheit los, um die Rampe recht zeitig passieren zu können, wenn die Séracs noch gefroren sind. Das wendet zwar keineswegs die Gefahr ab, mindert sie jedoch erheblich. Bis auf 3400 Meter steigen wir, über uns die von der Abendsonne blutrot angeleuchteten Firngipfel des Grafeneire und Valsorey.
Warum habe ich dieser gefährlichen Tour eigentlich zugesagt? Verspreche ich mir dadurch eine Ablenkung, ein Vergessen meines Schicksalsschlages? Nun, dann werde ich mich vorsehen müssen, dass mich meine Gedanken an Janine im entscheidenden Moment nicht einholen, es könnte sonst morgen für uns beide zum Verhängnis werden. Peter hat noch nicht meine Erfahrungen im Eis, ich bin also für ihn mit verantwortlich! Vielleicht ist es gerade diese Verantwortung, die mir hier etwas Ablenkung und Zerstreuung von meinen persönlichen Problemen verschaffen kann? Ich darf mich morgen nur auf unsere Route und auf die Séracs über uns konzentrieren. Ich muss beweisen, dass ich noch nicht vergammelt bin!
Peter hat etwas gesagt, aber ich habe nicht zugehört.
"Ein ziemlich wuchtiges Eislabyrinth." meint er jetzt.
Er hat recht. Im Licht der untergehenden Sonne, die ihre langen Schatten über die wilden Abbrüche wirft, werden die Konturen der Hängegletscher mehr als deutlich. Alles wird kontrastreicher, augenfälliger, alles erscheint abweisender, erdrückender, monumentaler.
Ich sinniere: "Dort wollen wir morgen hinauf?"
"Wird sicher ein schöner Tag", meint Peter nur zu meinen verborgenen Zweifeln. Er kann die Skepsis, die in mir wohnt, freilich nicht sehen. Wir gehen zurück und markieren den Weg über den Gletscher mit einigen kleinen Gendarmen, in der Hoffnung, dass die Wetterlage stabil bleibt und nicht über Nacht alles unter einer Neuschneedecke verschwindet. Vom Gletscherufer aus sehen wir noch einmal hinauf. Der Corridor zeigt sich hier in seiner ganzen Länge und parallel dazu reihen sich siebenhundert Meter höher gewaltige, drohende Séracs aneinander. Wehe, wenn sie zum Leben erwachen!
Es herrscht Stille. Seit Stunden ist keine Eislawine mehr niedergegangen. Spart sich der Berg seine Schikanen für morgen auf, um uns mit einer Breitseite aus Eis zurückzuschlagen? Jedenfalls werden unsere Spuren die Querung des Gletschers in der Dunkelheit des kommenden Morgens erheblich erleichtern.
Die obere Nordflanke liegt schon lange im Schatten, als wir die Hütte wieder erreichen. Am fortgeschrittenen Abend gelangen noch zwei Italiener auf die Hütte. Die wollen morgen auf den Combin de Corbassiére.

Um 01.30 Uhr ist Tagwache. Das Barometer zeigt hohen Luftdruck und der Himmel ist sternenklar. Heimeliges Klingeln von Steigeisen, leises Rascheln von Gamaschen, dazu die unnachahmlichen Geräusche, die die Reißverschlüsse unserer Rucksäcke erzeugen. Morgendliche Aufbruchstimmung. Nach einer Stunde verlassen wir die schützende Hütte, noch herumkauend auf dem letzten Bissen des Frühstücks, das uns Hüttenwart Maxime liebevoll bereitet hat. Ein Amusez vous bien, bonne chance, geben uns unsere italienischen Kameraden noch mit auf den Weg, dann steigen wir jeder unseren eisigen Zielen zu. Die Italiener haben den kürzeren Anstieg zu bewältigen.
Wir gehen auf unserer Vortagsroute. Die Traversierung zum oberen Eisplateau ist Dank der gestrigen Erkundung unproblematisch. Die gestern abend im Taufirn eingetretenen Stufen sind gut erhalten und fest gefroren. Noch vor Sonnenaufgang sind wir schon im oberen Drittel des ersten Abschnitts. Der Eisplateaurücken hinauf zum Corridor, anfangs nicht steiler als 30° bis 35° Grad, lässt sich gut seilfrei gehen.
Langsam dämmert es. Oben, nahe dem Gipfel, zeigen sich schon violett und rosa Verfärbungen. Halt. Die erste Rast. Gelegenheit die Steigeisenriemen nachzuzurren und zu überprüfen. Um fünf Uhr stehen wir im goldenen Licht der aufgehenden Sonne. Achthundert Meter unter uns liegt der Gletscher noch im kalten Schatten. Drei Stunden sind wir schon unterwegs, wir sind langsam gestiegen. Zu langsam! Aber kein Wunder, bei den schweren Rucksäcken mit der hinderlichen Biwakausrüstung. Ob wir die überhaupt brauchen?
Der immer mehr aufsteilende Firnrücken endet jetzt mit einem kleinen Eisnollen. Wir halten uns in der Mitte des Aufstiegsfirns, in der geraden Linie des Corridors, fast parallel zu den ersten Séracnasen über uns. Ein beklemmendes Gegfühl. Wann wird die erste Eislawine auf dem Corridor aufschlagen? Wird sich der Eishang über uns irgendwann an diesem Morgen in Bewegung setzen und mit gewaltigen Schnee- und Eismassen unsere Spur überrennen und auslöschen?
Vorbei geht es an Spalten und Abbruchtrümmern, bizarren Gebilden aus Eis, vielleicht auch stumme Reste und Zeugen vergangener Eisniedergänge. Mitten im Schlagfeld der drohenden Eisabbrüche müssen wir auf ca. 3600 Meter anhalten. Eine riesige, senkrechte, zum Teil überhängende Eisbarriére mit bis zu fünf Meter langen Eiszapfen zieht sich in einer Länge von dreihundert Metern quer über den Corridor. Was nun? Peter sieht mich fragend an. Eine Entscheidung muss freilich schnell getroffen werden, denn im Eisschlagbereich, der sich in der Morgensonne immer mehr antauenden Séracs sollten wir nicht lange an einem Punkt stehenbleiben!
Ich bin dafür, die Barriére gleich rechts, am Rand zu den Abbrüchen der Eiswand, wo wir jetzt stehen, zu umgehen. Peter ist dagegen. Ihm erscheint diese Passage, die uns noch dichter unter die Hängegletscher leitet, zu gefährlich. Obwohl eigentlich ich der Erfahrenere von uns beiden bin, zeigt Peter mehr Vorsicht, im Grunde vernünftig. Peter schlägt eine Querung nach links, zu den unteren Abbrüchen der Rampe vor. Eine gute Idee, meine ich, die Traversierung lässt sich auf einer ungefähr zehn Meter breiten, fast waagerechten, zuweilen leicht eingesenkten Eisterrasse unter der Wand sicher vornehmen. Doch der Firn ist inzwischen nicht mehr so schön verharscht, das Spuren nicht mehr so leicht wie bisher. Zudem bringt das lange Queren keinen Höhengewinn und uns nicht aus der Gefahrenzone. Und so sehe ich stets unruhig nach rechts auf die Eiswand und such nach einer für den Durchstieg geeigneten Stelle.
Da, ein Eiskamin! Das ist die erhoffte Möglichkeit! Rucksack ab. Nach zehn Metern Anstieg im Firn des Kamingrunds kann ich mit dem Stemmen in dem gut einen Meter breiten Kamin beginnen. Die erst neulich nachgeschärften Steigeisen greifen gut im blanken Eis. Schon nach kurzer Zeit kann ich seitwärts in den angetauten Schnee aussteigen. Vor mir liegt der gleichmäßig hinaufgeneigte, aufgefirnte Corridor, der trügerisch ruhig daliegend zum Grand Combin Nordgrat führt. Weitere nennenswerte Spalten oder Eisbarriéren, die uns hinderlich sein könnten, kann ich nicht erkennen.
Mit den Füßen stampfe ich eine tiefe und breite Stufe in den Schnee und hole nacheinander beide Rucksäcke am Seil herauf. Am bis zur Schaufel eingerammten Eispickel befestige ich die Rucksäcke und hänge auch noch meine Seilsicherung als zusätzlichen Widerstand in das Hauenloch des Pickels. Nun kann Peter nachsteigen. Er tut sich etwas schwerer. Nur langsam kommt er höher. Noch vier Meter trennen uns. Jetzt kann ich ihn sehen, höre ihn schnaufen, wie eine alte Dampflock. Für den Ausstieg, Übergang vom Stemmen zum Spreizen, setzt Peter die Spitze seines Eispickels an die seinem Rücken zugewandte Eiswand und drückt sich ab. Und da passiert es: Unvermutet rutscht die Pickelspitze am blanken Eis ab, Peter pendelt kamineinwärts und stürzt! Ich kann den für meinen Stand und die Selbstsicherung besonders ungünstigen Pendelsturz zwar etwas bremsen, aber nicht gänzlich aufhalten. Die Standstufe im angetauten Firn gibt nach, ein Ruck, auch die Selbstsicherung samt Pickel fliegt heraus. Alles spielt sich in Sekunden ab. Ich fliege, nehme durch den Schreck kaum noch etwas wahr, Füße nach unten, ich pralle mit Kopf und Körper an die Kaminwand, der ich schon sicher entstiegen war, und schlage unten mit dem Oberkörper auf einen Eisbuckel der Firnterrasse auf.
Nach einer Minute komme ich wieder zu mir. Ich habe Blut im Gesicht! Glimpfliche Ursache: Ein herausgesprungenes Glas meiner Vierzigfranken- REGA- Sonnenbrille hat mich über dem Auge geschnitten. Beim Aufrappeln beschweren sich meine Rippen unwirsch, finden das ganze Theater übertrieben! Eine alte, schlecht verheilte Verletzung, die sich auf diese Weise in Erinnerung ruft.
Peter liegt neben mir, rappert sich gerade hoch, ist sichtlich erstaunt. Es ist noch mal gut gegangen. Er ist mit den Füßen, einer Katze gleich, zuerst aufgekommen und reibt sich die Knöchel. Aber es geht noch, wie er meint. Pickel und Rucksäcke liegen neben uns. Nichts, mit Ausnahme meiner Vierzigfrankensonnenbrille, ist verloren. Muss ich halt meine Pilotenbrille aufsetzen und mich darüber freuen, dass alles so gut abgegangen ist.
Was nun? Wir diskutieren aus, wägen ab, ob wir ab- oder weitersteigen sollen. Absteigen ist jetzt, in der Sonne des Tages ebenso gefährlich, wie aufsteigen. Wir einigen uns darauf, dass ein verräterischer Abstieg nicht in Frage kommt. Also Flucht nach vorn., nach oben zum Gipfel! Neunhundert Meter trennen uns noch von ihm. Ich versuche es nochmal mit dem Kamin, doch bereits beim ersten Anstemmen schmerzen meine Rippen so stark, dass ich wieder herunter muss. Weiter nach Norden zu queren, in der Hoffnung, eine weitere Schwachstelle in der Eiswand zu entdecken, erscheint uns wenig aussichtsreich.
Also in den eigenen Spuren zurück, bis an den Rand des Eiscorridors. Peter folgt nun bereitwillig meinem ersten Vorschlag, es an der steilen, äußersten Seite des Abbruchs zu wagen. In Rücksicht auf die Beschwerde meiner Rippen schlage ich an den exponiertesten Stellen Stufen. Noch ist heute keine Lawine von den Séracs durch die Wand gegangen. Fast ein Wunder! So schnell, wie eben möglich, gehe ich, ohne Rucksack und von Peter gesichert, das Zweiundvierzigmeterseil aus, hole beide Rucksäcke und danach einen hocherfreuten Peter zu mir herauf. Endlich stehen wir oberhalb der lästigen Eisbarriére im tiefen Schnee. Das Ziel, der Nordgrat, liegt klar vor uns. Aber die Sonne brennt nun unbarmherzig, hat jedes Wölkchen am Himmel vertrieben und fächelt gnädig mit nur leichtem, kaum kühlendem Wind.
Sehr langsam kommen wir jetzt voran. Die schwere Spurarbeit teilen wir uns. Mit jedem Schritt sinken wir einen Viertelmeter tief in den Schnee ein. Auch wird der Corridor zunehmend steiler.
Dann ein erstes Bersten. Ein Knall und wieder Bersten! Große Eisbrocken fliegen vorbei! Die Séracs sind zum Leben erwacht! Von nun an können wir nicht mehr gleichzeitig gehen. Peter hockt im tiefen Schnee, hält den abgenommenen Rucksack als Schutzschild vor sich und beobachtet die Hängegletscher auf weitere Eisabbrüche, während ich spure. Dann setze ich den Rucksack ab, nehme hinter ihm volle Deckung und warte, bis Peter nachgekommen ist. So, auf diese umständliche Weise verfahren wir Seillänge für Seillänge, sehr langsam.
Es geht schon auf Nachmittag zu, wir sind jetzt ungefähr 4050 Meter hoch. Wir haben noch nicht mehr ganz dreihundert Höhenmeter zu steigen. Gerade befinde ich mich eine Seillänge halbrechts unter den letzten Séracs, die sich bis nahe zum Grat hinaufziehen. Das Seil ist ausgegangen. Peter steht noch auf einem großen, fest in den Firn eingefrorenen Eisblock, meinem letzten Standplatz. Da, erneut ein Knall! Getöse und Rauschen springt uns an. Aus den angetauten Séracs brechen tonnenschwere Eisblöcke los und rasen mit vernichtender Gewalt durch die Coloirs auf Peter zu. Ich bin zu Tode erschrocken, rufe meinem Freund noch "Volle Deckung" zu, doch er hört mich nicht im Lärm dieser Eiskannonade. Er kauert sich nur zusammen und hält schützend Rucksack und Arme über den Kopf.
Während ich durch meine seitliche Position vom Eisschlag völlig unberührt bleibe, steht Peter mittendrin, wird von kleinen Eisstückchen getroffen, alle großen Blöcke aber sausen wie durch ein Wunder an ihm vorbei. Zwei Minuten später schweigt der Berg wieder. Schnell hole ich Peter zu mir nach. Entnervt sackt er neben mir in den Firn und braucht einige Minuten, um sich wieder zu fassen.
Nach einer kurzen Pause geht es weiter. Das gefährlichste Stück der Route liegt jedoch nunmehr hinter uns. Dann, eine unendlich lange Zeit des konzentrierten Steigens ist bewältigt, haben wir das Schwierigste geschafft! Wir stehen auf dem eigentlichen Firngrat und genießen den herrlichen Tiefblick auf den Lac de Mauvoisin. Einen Augenblick verweilen wir still, die erhabene Aussicht läd verlockend dazu ein. Dann treibt uns der wartende Gipfel weiter.
Ab jetzt geht es zwar erheblich steiler hinauf, aber dennoch besser, denn der Firn ist hier in dieser jetzt erreichten Höhe und auf dem windumblasenen Grat hart und noch gut gefroren. Vielleicht taut er hier oben niemals an? Oberhalb eines kleinen Eisaufschwungs, den wir gerade überwunden haben, folgen wir dem Grat in einer Kehre zwischen dem Combin de Tsessette und dem Grafeneire, unserem ersehten Ziel.
Noch zwei Seillängen. Dann ist es vollbracht! Wir sind oben! Peter lässt sich mit dankbarem Lächeln in den Firn sinken. Die hehre Aussicht entschädigt für alle Strapazen. Leere Zufriedenheit. Nur in der Sonne sitzen und schauen. Herrlich, in Ruhe über Allem zu stehen, während unter uns in den Séracs das Chaos tobt...
Tiefer Nachmittag. Ich dränge zum Abstieg. Eigentlich kein Problem mehr, unsere eigene Spur führt uns hinab. Die einzige Gefahr liegt in den jetzt gänzlich aufgetauten Hängegletschern. Peter ist leicht erschöpft. Die Höhe! Ich lasse ihn am zehn Meter ausgegebenen Seil vorangehen. Im Corridor bleibt der Berg zu unserer beider Verwunderung verhältnismäßig ruhig. Hat sich ja auch mächtig ausgetobt! Es scheint, als habe der Combin eingesehen, dass er diesen Kampf verloren hat. Nur vereinzelt kracht ein Block aus den Séracs, zersplittert, zerstäubt, ohne uns Schaden zuzufügen. Dennoch zucken wir jedesmal vor Schreck zusammen.
Am Abend, in herrlichstem Farbenspiel der untergehenden Sonne, erreichen wir wieder die Panossiérehütte, plötzlich in hörbar gelöster Stimmung. Das Leben hat uns wieder, unsere Tour hat ein glückliches Ende gefunden. Es hätte auch ganz anders ausgehen können!
Unsere italienischen Kameraden sind ebenfalls schon wieder zurück und berichten ihrerseits von einer unvergesslich schönen Bergfahrt.
Diese Tour hat mir etwas Ablenkung verschafft, hat mir wieder etwas Lebensmut zurückgegeben, auch wenn ich, kaum wieder unter dem Dach der Zivilisation, schon wieder an Janine denken muss.
Nachgedanken. Wenn ich mir einen Platz zum Sterben aussuchen könnte, es wäre hier oben in den Bergen. Als die Séracs uns heute ihre Lawinen entgegensandten, spürte ich, dass es mir nichts ausmachen würde, so zu sterben. Mehrmals in all den Jahren meiner Touren gab es Augenblicke, wo einfach resignieren, auf nächtlichem Gletscher still sitzen und in einen ewigen Schlaf hinübergleiten etwas Leichtes und etwas sehr Schönes gewesen wäre. Doch irgendetwas in mir fordert, dass ich mich dem unbequemen, ruhelosen Leben stelle. Mein Versprechen an Janine!
 
 
 
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