Berge zur Selbsterkenntnis
 
Das Dach Europas im Alleingang (August 1984)
 
er Berg empfängt mich mit Lawinensalut, herabgeschickt vom Dôme du Coûter, sich im oberen Eisbruch im Mittelarm des Bossonsgletschers brechend, zerstäubend und aus mir den letzten Rest nachmittäglichen Träumens hinwegfegend. Das Bild der überwältigenden, gleißenden Eisbarriére steht noch in meiner Erinnerung, aber am Fuße der Gletscher, in der Abenddämmerung, empfinde ich den Berg eher als ein düsteres, abweisendes Gebirge, das mit schwarzen, silhouettenhaften Felsrippen und Graten nach mir tastet, um mich in die Schussbahnen seiner Séracs zu locken.
Das Wetter ist besser geworden. Und ich will den König der Alpen versuchen, doch ich weiß genau: Sollte das Wetter wieder kippen, sollte mich ein Wettersturz an ungeschützter Passage überraschen, dann komme ich von dort oben niemals wieder herunter...
Aufreibende Wühlerei im grundlosen Tauschnee des Bossonsgletschers, dann Aufstieg auf einem Schuttband, nicht sonderlich schwierig, wohl aber im Zielbereich unkalkulierbarer Eismassen. Die ganze Eisbastion des Berges liegt unberührt da, als sei noch nie ein Mensch dort hinauf gestiegen. Gigantische, wolkenkratzerhohe Eisbalkone lauern genau über meinem Schuttband. Dem Gedanken, dass sich dort oben ein par Blöcke lösen und herabtoben könnten, begegne ich mit sehr unterschiedlichen Gefühlen.
Fast fünf Jahre ist es nun schon her, dass meine Janine an Leukämie verstorben ist. Es kann also nur mich treffen, also kommt schon herab, ihr eisigen Todesklauen des Berges, wenn ihr euch getraut, ich habe keine Angst mehr! Hier stehe ich, holt mich doch, wenn ihr wollt! Fast hätte ich es hinaus geschrien.
Fühle ich in meinem Innersten wirklich so, oder ist es nur eine Überreaktion, die eine tiefere Angst in mir überspielen will? denn ist es nicht die Wahrheit, dass ich, als ich mit Janine noch glückliche Pläne im siebenten Himmel geschmiedet hatte, auf jedem überhohen Baugerüst vor Angst fast gestorben wäre? Und würde diese Angst mit einer neuen Liebe wieder aus meiner Tiefe hervorbrechen? War es Liebe, diese Angst, es könnte mich ein Unglück treffen und Janine würde allein zurück bleiben? Unwillkürlich muss ich an die Situation zurückdenken, als ich vor vier Jahren im Spitalsaal Marliese Weißbacher gegenüberstand...
Ich habe die Gefahrenzone passiert und befinde mich nun in der Deckung der Grands Mulets Hütte. Der Schlafraum ist kalt, aber lang soll diese Nacht ohnehin nicht werden. An Schlafen ist auch kaum zu denken. Fragen quälen mich, die erste noch nicht zuende gedacht, die neue schon ersinnend: Wie werden morgen die Verhältnisse dort oben sein? Habe ich auch tatsächlich sicheres Wetter? Lampenfieber eines Bergsteigers! Es ist sternenklar. Jedenfalls im Moment. Wenn aber wiederum die Séraczone unter steter Sonneneinstrahlung liegt, kann es leicht Eisschlag geben.
Öfter mal, im Halbschlaf hochgeschreckt, sehe ich aus dem kleinen Butzenfenster. Im Wiederschein des Mondlichts wirkt der Eisriese trotz der nur indirekten Beleuchtung unnatürlich hell. Über dem Gipfeldach hängt eine einzelne Wolke. Im Val Veni entläd sich wohl ein übertag aufgeheiztes Wärmegewitter. Der Donner dringt zwar nicht bis hierher, doch kann ich die immer wieder von Blitzen erhellte Wolke deutlich sehen. Es ist ein großartiger und unheimlicher Anblick zugleich.
Ich döse, versuche zu schlafen. Aber diese Wolke, sie lässt mich nicht mehr in Ruhe. Wo kommt die eigentlich her? Ich krame nach dem Höhenmesser, mache Licht, als ich ihn nicht gleich finden kann. Doch der Luftdruck ist konstant. Also doch übertriebene Phantasie, die überall Negatives erlauert?

03.00 Uhr. Sternenklare Nacht. Frostig klar! Ich hebe den Rucksack auf und gehe los, die Hüttentür leise schließend, um die Anderen nicht zu wecken. Der Lichtfinger meiner Army- Gürtellampe tastet sich zuckend und hüpfend voraus, den Gletscher hinauf. Firnkristalle blitzen und auf Blöcken und Felsen glitzert schwarze Glasur. Die Steigeisen greifen gut auf dem glasharten Eis. Das anfängliche Zögern weicht der befreienden Klarheit des Zieles. Im Firn knirschen die Steigeisen. Melodie der kommenden Stunden.
Der Wind ist bissig kalt und meine Spur wird vom Triebschnee sofort wieder verweht. Nahe des ersten Gletscherbruchs erweist sich der Schnee als grundlos, weil er aus den steileren Partien oberhalb abgerutscht ist. Viele Gletscherspalten sind zwar zugeschüttet, aber nur mit haltlosem Pulver. Nach einigem Suchen finde ich eine alte Spaltenbrücke, die den Sommer überstanden hat, überquere sie rasch und stehe wieder auf festem Eis.
Der Morgen graut. Rosa Zirrenschwärme stehen in der Höhe, von Norden her. Ich sehe sie mit Bangen. Aber nicht nur ihretwegen steige ich ziemlich rasch, sondern auch, um die Lawinenbahnen hinter mich gebracht zu haben, bevor die Sonne die Séracwände über mir erwärmt. Und jetzt, so weit oben im Gletscher, fast auf dreieinhalb tausend Meter, wäre ein Rückzug nicht nur eine Enttäuschung, sondern auch ein ebensolches Risiko, wie der weitere Aufstieg. Zwar weiß ich, dass bei eventuell einsetzendem Schlechtwetter nach oben hin Sturm, Kälte und Schneemenge rasant zunehmen, doch immer noch besser, als unter tausenden Tonnen Eis der Hängegletscher begraben zu werden. Da ist der Tod durch Erschöpfung und Erfrierung doch angenehmer, wenn ich meinem bergerfahrenen Freund Siegfried glauben darf.
So verdränge ich den Zirrenblick und steige schnell weiter. Das Eis wird am Gletscherbruch zuweilen wirklich verdammt steil. Der Schneestaub rieselt fließend herunter, wie Wasser, gleitet beinahe, der Wind greift dazwischen, wirbelt die Kristalle wieder hinauf, blendet mich damit, lenkt dann das Schneegeriesel eine Weile woanders hin.
Der Gipfelabbruch beginnt nun unwirklich in zartrosa zu glimmen. Die Farbe wird kräftiger, fließt die Steilhänge herab, vertreibt das Dunkelblau in Schatten und Winkel, übergießt den ganzen Berg mit einer Flut von Licht. Wieder umgehe ich einen schmalen Eisbruch, den Gedanken an die Séracs im Nacken. Gehetzt. Der sanfte Firnrücken des Dôme du Coûter will nicht näher kommen.
Dann gibt es wieder eine leichte Firnauflage auf dem Blankeis, die das Treten von kleinen Stufen ermöglicht. Ich halte mich mehr in Richtung zur Felsinsel P.3840, als es passiert: Eine schon etwas auf dem Eis abgerutschte Firnstufe bricht vollends unter meinem rechten Fuß aus, das Steigeisen fasst nicht mehr und der andere Fuß kann die zusätzliche Belastung auch nicht ganz auffangen. Wie Gummi gibt mein linkes Bein nach. Der Eispickelschaft reißt aus dem Firn und ich rutsche zeitlupenlangsam abwärts. Instinktiv werfe ich mich auf die Seite, ramme die Pickelschaufel lehrbuchmäßig in den Harsch. Können Pickel und Firn mich halten, oder geht es jetzt hinab über den Abbruch und in irgendeine der vielen grundlosen Gletscherspalten? Der Pickel hält! Für den nüchsten Moment entnervt, krabble ich wieder hinauf und brauche erst einmal ein par Minuten, bis die alte Sicherheit zurückkehrt. Dabei stelle ich fest, dass die Pickelhaue in meiner Handfläche eine rote Schmarre hinterlassen hat. Eigenartig, das hatte ich erst gar nicht bemerkt! Und noch eigenartiger, dass der Schmerz erst beginnt, wenn die Wunde erkannt ist. Ich bin zu bequem, den Rucksack abzusetzen. Mein Halstuch verbindet die Hand ebenso gut.
Dann erreiche ich die Felsinsel und somit den Nordfirngrat, an dessen Ende der Gipfel des Dôme du Coûter erreicht ist, der Bossesgrat aber erst beginnt und damit auch erst die eigentliche konditionelle Anforderung. Trotzdem dankbares Ausatmen. Endlich aus dem Eisschlauch heraus, endlich wenigstens sicher vor dem Eisschlag. Das Bewusstsein, aus der unmittelbaren Gefahr heraus zu sein, lässt die Anspannung wegsacken, lässt mich von einer fast gleichgültigen Mattigkeit überwältigen, lässt mich ausgepumpt in den Schnee fallen. Erst einmal Pause.
Eine deutsche Seilschaft überholt mich, geht nach knappem Gruß weiter, ohne Zeit für ein kurzes Gespräch zu finden. Typisch meine Landsleute! Waren die eigentlich auch in der Hütte? Ich kann mich nicht erinnern. Es fällt auch schwer. Zufriedene Müdigkeit macht sich in mir breit. Ist das schon eine physische Auswirkung der Höhe? Aber drei Walliser Viertausender müssten mich doch eigentlich genügend akklimatisiert haben!
Oben glänzt ein weiterer schmaler Eisbruch in der Sonne, hinter dem müsste ich wieder den entschwundenen Gipfel sehen können. Der Gletscherbruch sieht hier aus der Entfernung harmlos aus. Weiter! Das Eis ist hier wieder glashart und spröde. Für jeden Stand benötige ich bis zu drei Minuten. Schließlich macht mir die enorme Höhe doch recht zu schaffen. Aber erstens war ich bei früheren Touren in dieser Höhe von viertausend Metern bereits auf dem Gipfel, während ich diesmal noch dreihundert Meter allein zum Dôme du Coûter habe und morgen noch einmal fünfhundert Meter hinauf zum Mont Blanc Gipfel. Und zweitens habe ich seit gestern nichts nahrhaftes mehr gegessen und bin bereits seit den frühen Morgenstunden eine beachtliche Zeit unterwegs.
Dann sehe ich den Gipfel des Mt. Blanc, mein Ziel wieder, früher, als ich erwartet hatte. Die gleißenden Eisbastionen protzen herab, ebenso, wie die ernüchternd zerklüfteten Séracs unter Europas höchstem Punkt. Jedoch zwingt mir diese Höhe eine unheimlich lastende und lähmende Müdigkeit auf. Ich fange an, mehr zu tappen, als zu steigen. Um Himmels Willen, aufgepasst! Beim Steigen ja schön die Beine auseinander, jedesmal, damit sich bloß nicht noch die Steigeisen in den Gamaschen verfangen und mich zum Stolpern und Stürzen bringen.
Was für eine Unterschätzung war das doch heute früh an der Hütte, zu meinen, ab dem Firngrat bringt mich nur noch leichtes Eisgehen auf den Gipfel! Nach endlos langwieriger, monotoner Quälerei endlich der Gipfel des Dôme du Coûter auf 4304 Metern. Wie ein weißes Band zieht sich der Bossesgrat weiter hinauf, bis zum fünfhundert Meter höher gelegeneren Mont Blanc, lediglich unterbrochen vom Firnsattel, auf dem mein Schutz für die kommende Nacht steht: Das Refugio Vallot auf 4362 Metern. Eigentlich ist es nicht viel mehr, als eine heruntergekommene Leichtmetallbiwakschachtel. Sie erweckt den optischen Eindruck, dass der kleinste Sturm sie mühelos aus ihrer Verankerung reißen könnte.
Die Seilschaft, die mich vor Stunden überholte, steigt weiter, ohne am Biwak zu halten, dem Gipfel des Eiskönigs entgegen. Gut so, auf diese Weise habe ich die Chance, als erster am Refugio zu sein, um mir einen guten Platz zu sichern. Am Abend jedoch warte ich vergebens auf die aufgestiegene Seilschaft. Ob denen etwas zugestoßen ist? Weiß man doch um den berühmt berüchtigten falschen und manchmal unkontrllierbaren Mut unserer deutschen Bergsteiger in den Westalpen. Bei diesem Gedanken zieht in mir ein ironisches Grinsen auf: Gottseidank bin ich schlauer...
Lange stehe ich dann am Abend vor der Hütte und spähe zum Monarchen hinauf, um vielleicht ein Rufen oder Zeichengeben wahrnehmen zu können. Doch der Berg bleibt still. Vielleicht biwakieren sie drüben auf der Führe hinüber zum Mont Maudit, dann würden sie zu den ganz harten Jungs gehören, die eine Überschreitung wagen.
Die Sonne verschwindet im Nordwesten hinter den niederen Bergen und es wird plötzlich unangenehm frisch. Flucht in die schützende Hütte, dabei der Gedanke, dass drunten in Chamonix bereits nächtliche Dunkelheit herrscht.

Kurz vor Sonnenaufgang verlasse ich das Biwak und steige mit erneuter Kraft auf dem Bossesgrat des Monarchen gipfelwärts. Jetzt, zu Beginn der Morgendämmerung, wo noch jeder Muskel steif und jede Bewegung unbeholfen ist, hilft es, an frühere Bergerlebnisse in gleißender Sonne zu denken.
Dämmerung setzt ein. Endlich! Die Welt um mich herum besteht nun nicht mehr nur aus graublauer Dunkelheit. In mir erwacht die Freude auf den bisher höchsten meiner Gipfel, das Dach Europas! Jetzt am Morgen ist der Firn hart, kompakt und fest. Steigeisen und Pickel finden guten Wiederstand und hervorragende Griffigkeit. Rasch gewinne ich an Höhe. Schon bin ich auf gleicher Höhe mit den Gipfelséracs, die ich anfangs so gefürchtet hatte. Aus der Nähe betrachtet sehen sie doch ganz stabil aus. Die gestrige Angst vor Eislawinen war eigentlich überflüssig gewesen.
Mittlerweile reichlich transpirierend erreiche ich die Felsen P.4677m. Vor mir liegen nur noch gut hundert Höhenmeter bis zum Gipfel. Der Firngrat wird von einem leuchtend hellen Lichtband gesäumt. Dort oben wartet die Sonne auf mich. Wärme statt Kälte! Ich schlage die Zacken meiner Steigeisen nochmals kräftig in das knirschende Eis. Dann befinde ich mich im Flutlicht! Die Wärme der Morgensonne tut wohl nach der eisigen Kälte von Les Bosses und verleitet zu zufriedenem Träumen, von dem mich loszureißen mir schwer fällt.
Die letzten fünfzig Höhenmeter bis zum höchsten Punkt der Alpen fallen mir noch einmal schwer und ich keuche, wie eine alte Zahnraddampflock. Die junge Sonne wirft noch kleine Schatten in den Schnee, als ich im Schauer angenehmer Erregung die Eiskuppe des Mont Blanc auf 4807 Metern erreiche. Und ehrfurchtsvoll, ja fast feierlich betrete ich den Gipfel. Einen Gipfel unter tiefblauer Weite, eine von tausenden von winzigen Steigeisenlöchern perforierte, stumpfe Spitze. Aber heute eine Spitze für mich allein. Der Gipfel eines Berges, der schon so lange Gegenstand meiner heimlichen Träume war und von dem ich jetzt begreife, dass er in den letzten Stunden sehr nachsichtig mit mir war.
Ich empfinde diesen Gipfelsieg plötzlich gar nicht mehr als heldenhafte Leistung, sondern mehr und mehr als gütiges Geschenk und im Überschwank der Gefühle kommen mir die Tränen in Dankbarkeit darüber, dass ich dies heute hier erleben darf. Ich fühle mich heute nicht so großartig wie sonst, wenn ich einen schwierigen Gipfel erreicht habe, vielmehr erkenne ich die Gnade, die der Berg gegenüber meiner hilflosen Kleinheit hat walten lassen. In dieser Erkenntnis vom Gipfel herabzuschauen, eröffnet mir ein völlig neues Gefühl, etwa vergleichbar mit der ersten bewussten großen Liebe des Lebens.
Von hier oben aus scheint die Welt nur aus Bergen zu bestehen. Ich spähe hinab zum Col de la Brenva, zum Mont Maudit und zur Aiguille de Bionnasay. Alles scheint heute zum Greifen nahe zu sein. Weiter entfernt, nach Osten, blicke ich auf die Walliser Berge mit ihren unverkennbaren, mir ach so vertrauten Gipfeln. So etwas wie Wehmut steigt in mir hoch, eine Art Sehnsucht wohl darüber, dass diese vielen, schönen Tourenstunden dort drüben alle nur noch Erinnerung sein können.
Es herrscht Tauwetter. Noch ist es früh und die für heute zu erwartenden Schaaren von Berggängern haben sich noch nicht eingestellt. Nach einer guten Stunde besinnlicher und aussichtsreicher Rast verlasse ich den Gipfel wieder und steige ab. Allerdings nicht ohne den fragenden Gedanken, ob ich wohl irgendwann einmal zu einem zweiten Besuch hierher zurückkommen werde.
Jetzt erwartet mich erst einmal wieder der Touristenrummel von Chamonix. Im Moment aber genieße ich noch eine Ruhe um mich. Die Einsamkeit und diese seltene Mischung aus intensivem, grellem Licht und eisig klarer Luft, die diese Welt hier oben so faszinierend erscheinen lässt.
Auf halbem Abstiegsweg kommen sie mir dann entgegen: Die Massen von bergbegeisterten Menschen. Keuchend, kalauernd und mich mit erstaunten Blicken würdigend, als komme ich aus einer anderen Welt. Und irgendwie mag das ja auch stimmen. Die erhabene ruhige Welt, die ich heute Morgen erleben durfte, werden diese Menschen heute gewiß nicht kennen lernen. Zu Viele kommen da herauf. Auf den eisharten Firnschilden werde ich zu seiltänzerischen Ausweichmanövern gezwungen. Doch die Menschenschlange ist hier schon weit auseinander gezogen und überall am Rande der nicht ganz ungefährlichen Traverse hocken Schonermüdete als mitleiderregende Häuflein Elend.
Die inzwischen breit ausgetretene Spur im Firn duftet penetrant nach Fäkalien, eine Tatsache, die mir beim Aufstieg von der Grands Mulets Hütte nicht aufgefallen war und um die mir dieser sublime Eiskönig leid tut. An der Schlüsselstelle der Traverse, gleich hinter der Coûterhütte staut sich die menschliche Springflut und ich frage mich, wo all diese Seilbahnbergsteiger gestern waren. Gegenüber der Grands Mulets Hütte ist es hier auf der Nordwestpassage anders. Im Gegensatz zu der Hütte auf der einsamen und gefährlichen Nordroute, die mich mit fast leerem Schlafraum empfing, ist das refuge Aiguille du Coûter derart mit Menschen überschwemmt, dass ich mich zu fragen beginne, wo all diese Bergeinsamkeit Suchenden am Abend nächtigen wollen. Sie werden wohl hochkant schlafen!
Weiter unten am Berg, auf einer brüchigen, rippenartigen Felspassage zwischen der Coûterhütte und dem Refuge de Tête Rousse, bedeuten unachtsam hinter mir Aufsteigende eine permanentere Gefahr, als gestern die Séracwachen des Monarchen. Vor allem surren und klackern losgetretene Steine in meinem Rücken und ich muss mich zwingen, mich nicht jedes Mal umzudrehen und diesen schönen Tag zuletzt noch durch eine patzige Bemerkung zu verdüstern.
Dann, im Hochgefühl es geschafft zu haben und wie betäubt von all den gewaltigen Eindrücken, erreiche ich am Abend bei heimeligem Schattenspiel der untergehenden Sonne wieder das miefige, hektische Getriebe von Chamonix. Im letzten, roten Licht der Sonne lächelt er mir noch einmal gnädig von ober herab zu: Der König der Alpen!
Eine bescheidene Erkenntnis bleibt: Der Mensch kann wohl die höchsten Gipfel erreichen, doch verweilen kann er dort nicht lange!
 
 
 
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