Das Reptil im Schalterraum

 
enn man die Werbung der Deutschen Post AG im Fernsehen sieht, verleitet der Spot(t) zu dem Glauben, ein erfolgreiches, kundenorientiertes und servicefreundliches Unternehmen vor sich zu haben. Meine persönliche Erfahrung in der Praxis hält allerdings nur noch wenig von dem, was da so glaubhaft einladend über den allabendlichen Bildschirm flimmert...
Montag, 08.30 Uhr in der Braunschweiger Postfiliale am Berliner Platz. Ich möchte sechs Briefmarken für je einen Großbrief (à 1,44 Eur.) und Versandtaschen DIN C4 kaufen, um meine Bewerbungen versandfertig zu machen und um sie anschließend in den Briefkasten um die Ecke zu werfen. Ja, lieber Leser, bei mir Zuhause gleich um die Ecke steht noch ein echter (!) gelber Postbriefkasten, der, wenn auch nur einmal am Tag um 18.00 Uhr, aber immerhin noch geleert wird! Vielleicht hat ihn die Post bei der großen Postbriefkastenabbauaktion in unserer Stadt schlichtweg übersehen? Um diesen vom Aussterben bedrohten Briefkasten fleißig zu füttern, damit die Deutsche Post AG nicht auf den Gedanken kommt, er sei, wie die vielen anderen Postbriefkästen unrentabel geworden, brauche ich Versandtaschen C4 und Briefmarken. Und die bekomme ich bei der Post. Das war schon immer so, ich kenne es nicht anders...
Wer sagt eigentlich, dass Etwas, das immer so war, auch so bleiben muss? Die Deutsche Post AG ganz sicher nicht! Das Regalfach, das Versandtaschen DIN C4 ausweist, ist leer. Gut, dann frage ich nach. Ich stelle mich hinter das Reptil, das neuerdings die Schalterräume der Post (und übrigens auch die der Deutschen Bahn AG) bevölkert: Die Schlange! Ich reihe mich in die Menschenschlange ein, die am zentralen Wartepunkt ihren Kopf hat. Ein schlauer Kopf muss das gewesen sein, der diesen zentralen Wartepunkt kreiert hat. Ich sehe auf die Uhr und rechne mir aus, dass ich meine Frühstückspause bei der Post AG verbringen werde. Dreiundzwanzig ungeduldig von einem Bein zum anderen tanzende Personen sind vor mir an der Reihe. Besonders lustig ist das für ältere Menschen, insbesondere die, welche ohnehin schon mit Gehproblemen gestraft sind. Eine Sitzgelegenheit findet sich lediglich außer Sichtweite der vielen Wartenden. Da kann ein hilfloser, gehbehinderter Mensch warten bis er gelb und schwarz wird, bevor er an der Reihe ist!
Die Deutsche Post AG plädiert wohl an die Menschlichkeit der Kunden untereinander. Auf diesen Gedanken muss man aber erst von selbst kommen. Ein höflicher Hinweis unterbleibt. Nun, Rücksicht auf Ältere und Behinderte sollte selbstverständlich sein. Offensichtlich aber nicht für die Post! Ich denke darüber nach und sehe mich um: Die riesige Halle verfügt über neun Service- Schalter. Leider prangt an sieben von ihnen ein orangenes Schild mit der weithin lesbaren Aufschrift: Hier zur Zeit kein Service. Menschlichkeit könnte die Deutsche Post AG zeigen, wenn sie bei Übervölkerung ihrer Räumlichkeiten ein oder zwei Schalter mehr öffnet. Diverse Einkaufsmärkte haben das inzwischen begriffen.
Die Post AG ist da wohl eher etwas minder bemittelt. Ich meine natürlich an Personal. Obwohl... Hinter einem geschlossenen Schalter sehe ich zwei Postangestellte sich angeregt unterhalten, scherzen und lachen. Ob die sich wohl über die wartenden Kunden amysieren? Sie halten ein lustiges Schwätzchen, während ihre Kollegen bemüht sind die Menschenschlange abzubauen, die an ständigem Wachstum leidet. Man sollte annehmen, dass die beiden arbeitenden Kollegen in dieser Situation zu Hektik und Nervosität neigen. Da neigt sich aber nichts, auch nicht das Reptil im Schalterraum. Gemütlich wird hier noch gearbeitet, schließlich ist man ja bei der Post! Und so ein Verwaltungsvorgang, wenn es sich beispielsweise um eine Postbanksache handelt, kann schon mal so seine zehn Minuten beanspruchen.
So tun mir allmählich die Füße weh, das Reptil im Schalterraum wird länger und wütender, zischelt schon mit vielen Zungen. Zwei Angestellte halten immer noch ihr Schwätzchen, überhören das immer lauter und entrüsteter klingende Zischeln. Nur langsam schiebt sich das Reptil vorwärts, ein Stück nur, bis ihm am zentralen Wartepunkt der Kopf abgeschlagen wird, der aber sogleich wieder nachwächst, genau so, wie der Schwanz. Der allerdings augenmerklich schneller.
Nach zwanzig Minuten bin ich der Kopf des Reptils. Ich spähe auf die zwei besetzten Schalter, in der Hoffnung, dass demnächst einer frei wird. Meine Hoffnung wird zum Traum. Am linken Schalter steht ein ausländischer Mitbürger, dem der Postangestellte mit stoischer Beharrlichkeit versucht, die Postbestimmungen zu erklären. Ich frage mich, wann er begreift, dass der Kunde ihn gar nicht versteht. Am rechten Schalter wird eine Dame abgefertigt, die mit einer ganzen Kiste voller Großbriefe gekommen ist. In aller Seelenruhe klebt die Postangestellte sorgsam und bedächtig Stück für Stück die Entgeltetiketten an die Stelle, wo gewöhnlich die Briefmarken haften. Bei der Größe der Kiste mutmaße ich, wie lange sich diese Tätigkeit noch hinziehen mag und resigniere.
Der Angestellte am linken Schalter hat es offensichtlich aufgegeben, dem geduldigen Albaner die deutschen Postgesetze beizubringen. Der Kunde geht, nicht gerade zufrieden und glücklich, aber er geht! Ich will gerade zum Schalter gehen und dem Angestellten meinen Wunsch entgegenschmettern, als dieser schon abschmettert. Ganz gemächlich schiebt der mir ein oranges Schild entgegen, worauf zu lesen ist: Hier zur Zeit kein Service!
Also stelle ich mich zurück an den Kopf des Reptils im Schalterraum und erhasche gerade noch den bösen Blick des Mannes, der hinter mir steht, als eine unhöfliche Stimme an mein Ohr dringt: "Hallo, kommen Sie mal hierher, bitte..."
Ich stelle fest, dass man vom zentralen Wartepunkt aus nicht alle Schalter einsehen kann. Zwei Angestellte haben ihr Schwätzchen beendet und einen weiteren Schalter geöffnet. Die Post war so umsichtig, den zentralen Wartepunkt so anzulegen, dass die dicken, viereckigen Säulen der Schalterhalle die Umsicht auf die Serviceplätze verweigert. Bei immer lauter werdenden Protesten ist es dann schwierig, zu erhören, wann ein Schalter frei wird. Ersichtlich ist es schon gar nicht! Es mutet nicht gerade sehr kundenfreundlich an, wenn man dann noch in vorwurfsvollem Ton darauf hingewiesen wird, nicht zu träumen, sondern zwischen den sichtverdeckenden Säulen hin und her zu springen, um einen freien Schalter rechtzeitig zu erspähen, um nicht die schnelle Kundenabfertigung aufzuhalten.
Ich schlucke meine Wut hinunter und es bilden sich unter der Haut meines Halses Ansätze von Maccaroni- Nudeln. Auch meine Gesichtsfarbe verändert sich. Nicht so rot, wie früher vor dem Lehrer bei vergessener Hausaufgabe... eher mehr violett! Aber ich bin schon froh, meine Frühstückspause nur um fünf Minuten zu überziehen. In glücklicher Euphorie tue ich einer müden Postangestellten meine Wünsche kund, in der Hoffnung, sie hört mir zu. Denn die blickt nicht mal auf, blättert nur gelangweilt in einem dicken Buch.
"Ich hätte gern Versandtaschen DIN C4..," beginne ich hoffnungsvoll.
Die Dame sieht mich noch immer nicht an: "Die müssen Sie sich erst aus dem Regal nehmen", ist die knappe Antwort.
"Ja aber dort sind keine mehr, vielleicht haben Sie ja noch welche auf Lager..?" Meine vorsichtige Antwort lässt die Frau hinter dem Schalter genervt aufblicken. "Nur, was Sie da sehen... Kann ich sonst noch was für Sie tun?"
"Ja, etwas freundlicher sein!" Das habe ich freilich nur gedacht, es zu sagen verkneife ich mir, denn ich blicke unvermittelt in die abweisenden Augen eines neuen Reptils im Schalterraum. Ich bin kein unfreundlicher Mensch, aber solche angriffslustigen Augen erinnern mich an die einer giftigen Natter. Ich bitte statt dessen: "Ich hätte dann gern noch sechs Briefmarken zu 1 Euro 44, bitte."
Wieder in das Buch vertieft: "Zehn Stück kann ich Ihnen verkaufen, Einzelmarken nur noch am Automaten", kommt die kurze Antwort.
Da fehlen selbst mir die Worte. Ich bedanke mich und wende mich wieder dahin, woher ich gekommen war.
"Hallo... Bitte da entlang, ja?" Die Dame hat tatsächlich von ihrem Buch aufgesehen! Aber sie hat ja recht. Ich bin entgegen der Pfeilrichtung gegangen. Wozu sind auch sonst die Viehgatter da, die den Kunden auf den rechten Weg leiten sollen. Ich lerne Kundendisziplin: Vom zentralen Wartepunkt immer den Pfeilen nach, egal wie verunsichert man durch die Kundentherapie ist. Wenn die hier auch sonst nicht viel merken, aber in die falsche Richtung gehen, das sehen sie immer. Unter Garantie!
Ich ziehe Bilanz: Für eine halbe Stunde Warten nichts erreicht! Nein, halt! Man soll jeder Situation auch etwas Positives abgewinnen, wenn man die Freude am Leben behalten möchte! Schließlich habe ich meine Frühstückspause in einem warmen Raum verbracht, ohne etwas zu essen. Da kann ich gleich heute mit meiner Diät beginnen, die ich seit drei Wochen vor mir her schiebe.
Beim Herausgehen erzählt mir ein geübter Postkunde das, worüber mich die Postangestellte im Unklaren gelassen hat: Briefmarken werden nur noch in bestimmten, gerundeten Zahlmengen am Schalter abgegeben, Einzelmarken soll sich der Kunde am Automaten ziehen, das dient der schnelleren Servicebetreuung der Kundschaft. Man darf auch mit seinen Briefen zum Schalter kommen, dort wird dann auf jeden einzelnen ein Entgeltetikett aufgeklebt und man kann direkt bezahlen, das dient dem schnelleren Service. Auch über den Postbankterminal weiß dieser Kunde bescheid: Man kann am Terminal nicht, wie bei jeder Bank, eine beliebige Summe vom Postkonto abheben, das würde die Effizienz des Kundenservice beeinträchtigen. Es gibt nur vorprogrammierte Summen in 50, 150, 200, 250 Euro. 180 Euro ist nicht möglich! Diesen Betrag bekommt man von seinem Konto nur am Schalter, das dient dem rascheren Kundenservice.
Ich fragte mich schon: Woher kommt dieses Reptil im Schalterraum? Jetzt fällt es mir wie Schuppen von den Augen: Es wächst und ernährt sich vom verbesserten, schnelleren Kundenservice! Da hätte ich einfältiger Handwerker eigentlich von selber drauf kommen können! Demütig, über so viel Unwissenheit in meinem Kopf verabschiede ich mich verneigend von beiden Reptilien im Schalterraum und steuere den außen aufgestellten Entwertungsmarkenautomaten entgegen, um dann hilflos festzustellen, dass der keinen Fünfzigeuroschein wechseln kann.
"Wechselgeld...", so steht dort zu lesen, "...kann nur in Form von Wertmarken ausgegeben werden."
(Später einmal habe ich recherchiert, dass die Deutsche Post AG an den als Wechselgeld ausgegebenen Wertmarken von 0,01 Eur., oder 0,05 Eur., die niemand gebrauchen kann, Millionen verdient!)
Ernüchtert komme ich auf den Einfall, meine Briefmarken am nächsten Kiosk zu erwerben. Schnell, unbürokratisch, und in jeder Abgabemenge erhalte ich sie dort ohne Aufpreis. Und ich kann mir noch das Motiv der Sondermarken aussuchen!
Jetzt noch schnell zwei Formulare für die Änderung von Daueraufträgen aus dem Formularständer gefischt, und dann nichts wie raus hier, bevor ich noch vom Reptil im Schalterraum gebissen werde. Irrtum!
Überweisungsträger, Paketscheine, Quittungsvordrucke, Zahlungsanweisungen, alles vorhanden. Nur eben keine Vordrucke für die Änderung eines Dauerauftrags! Und diesen benötige ich dringend, weil Energieversorger, Gewekschaft, Versicherungen, Vereine, ja selbst mein Vermieter mindestens ein- bis zweimal im Jahr willkürlich Mieten, Beiträge und Nachzahlungen erhöhen. Dabei glaube ich an eine heimliche Absprache mit der Deutschen Post AG. Auf diese Weise wollen die wahrscheinlich die Ernährung des hungrigen Reptils im Schalterraum sicherstellen!
Inzwischen arg in Zeitnot, frage ich wegen des Änderungsformulars am gesonderten Beratungsschalter der Postbank nach. Auf die Antwort hätte ich dummer Mensch eigentlich von selbst kommen können: "Die werden nur an den Serviceschaltern ausgegeben!"
Aber wenigstens habe ich meine Frühstückspause rum gekriegt!

 

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