Der längste Abschied
Gedicht aus der Sternenlade

Für Janine- Simone Mixchotte †
(Wie alles endete - und begann)


Prolog

Aus dem unergründlichen Raum
unserer Liebe kurzem Traum,
sprühten tausend Sterne namenlos
als Glück uns in Herz und Schoß.

Sterne, die nur uns allein
schenkten ihren Zauberschein,
stehen für unsere schönste Zeit
am Himmelszelt der Ewigkeit.

Sie halten noch in jeder Nacht
einsam ihre stille Wacht,
über unsere große Liebe,
die nie eine Macht besiege!


Verse

Der Herbstwind wehte ihr
in das unbändige schwarze Haar,
nachdenklich stand sie neben mir,
ihre stille Angst wurde wahr.

Die heimlich verhaltenen Tränen
in ihren Augen sprachen Bände,
sie ahnte, dass unser Glück und Sehnen
bald für immer ging zu Ende.

Ich nahm ihren zitternden Leib
schützend in meiner Arme Trost,
und wußte, daß Schmerz und Leid
gnadenlos grausam in ihr tobt.

Doch ich hielt sie fest umschlungen,
zeigte ihr: Du bist nicht allein!
Solange sie mit der Hölle gerungen,
wollte ich ganz nah bei ihr sein.

Ich glaubte ganz fest daran,
dass die Stärke unserer Liebe
das Böse in ihr verzehren kann,
und ihre Krankheit besiege.

Als die Bäume rotgold belaubt,
uns rauschten im Abendföhn,
da hatte sie mich weinend angeschaut,
ihre Stimme hörte ich verweh'n:

"Suche eine neue Liebe Dir,
wenn mein Leben gegangen ist,
und sei ebenso gut zu ihr,
wie Du zu mir gewesen bist!

Du darfst nicht alleine sein,
und um mich nur trauern,
gehe ein neues Glück ein,
ohne Dich zu vermauern.....!"

Rasch drückte ich meine Lippen
auf ihren lieblichen Mund,
um diese Worte zu ersticken,
die mir so schwer und wund.

Ihre Tränen schmeckte ich,
spürte ihr Beben und Ringen,
es war so schwer für mich,
ein Lächeln zu erzwingen.

Tröstenden Wortes hauchte ich:
"Auch wenn Ärzte Dich aufgeben,
ich, mein Sternchen, verlasse Dich
niemals, ob im Tod, oder im Leben!"

Dann gingen wir Hand in Hand
über laubbedeckten Wegen,
getreu unserer Herzen Band,
dem Unausweichlichen entgegen.

Bald danach kam der Winter,
und unser letztes Weihnachtsfest;
wir schauten nicht, was dahinter,
lebten einzig für unsere Liebe jetzt.

Die Stunden voller Zärtlichkeit
waren nie zuvor intensiver,
für das nahe Ende bereit,
liebten wir uns um so tiefer.

Wir verloren keine der Stunden -
für unsere letzte Zweisamkeit,
flogen wir in himmlischen Runden
durch der Liebe schönste Zeit.

Mich störte dabei nicht,
ihr blasses Gesicht zu seh'n,
in meines Herzens Augenlicht
war sie wie nie so schön!

Ihre Liebe unterm Weihnachtsbaum
schenkte mir Kraft und Stärke,
ihren Tod in Tag und Traum,
zu erleben in aller Härte.

Und im Glanz der heiligen Nacht
wir uns das Ja- Wort gaben,
in aller Stille, hatten wir gedacht,
wollten wir diese Stunde haben.

Nur den Mond und die Sterne
als Trauzeugen wir hatten,
sie glitzerten aus Himmels Ferne,
befreiten uns von Todes Schatten.

Im Klang weihnachtlicher Glocken
hatten wir unsere Ringe getauscht,
und beim Reigen der Schneeflocken
dem heimlichen Wind gelauscht.

Wir hörten ihn zu uns sprechen:
"Euren Ring sollt ihr ewig tragen,
so wird Eure Liebe niemals brechen,
Eure Treue für immer sich bewahren.

Auch der Tod kann Eure Herzen
mit seiner Macht nicht bezwingen,
Ihr seid eins, in Freude und Schmerzen,
verbunden in diesen goldenen Ringen!"

Dieser Winter, er wurde der längste
in unserer beider Leben,
er hatte uns mit Spaß und Ängste
alle Farben des Daseins gegeben.

Wir rollten im Pulverschnee,
so fröhlich und ausgelassen,
heute weiß ich, und versteh':
Wir wollten nichts mehr verpassen.

Die verrücktesten Dinge taten wir,
die Welt um uns existierte nicht,
nur noch uns beide gab es hier,
noch lebten wir für das Licht.

Doch manchmal, beim Sonnenuntergang,
wurde uns die Realität gewahr,
dann saßen wir Hand in Hand,
schweigend aneinander gelehnt da.

Stundenlang träumten wir so still
von einer wundervollen Zukunft,
vergaßen, was das Schicksal will,
schweiften weit ab der Vernunft.

Im Traum sah ich unser Haus,
und Janine mit unserem Kind,
sie trat aus der Tür heraus,
ihre Anmut machte mich blind.

Auch sie träumte unseren Traum,
erblickte sich als stolze Mama,
sah einen Weihnachtsbaum,
neben der Kinderwiege stand er da.

Wir erlebten ein ganzes Leben
in diesem kurzen halben Jahr,
Phantasie konnte uns geben,
alles, was in unseren Herzen war.

Wir machten in Traumlanden
die Erfahrung eines Lebens,
das wir doch niemals fanden;
aber keine Minute war vergebens.

Die Liebe gab uns die Kraft,
ein glückliches Paar zu sein,
mit ihr hatten wir geschafft,
uns von den Ängsten zu befrei'n.

Der Winter dann sein Ende fand,
und Frühling stellte sich ein,
ich wußte, was nun bevor stand:
Im Herbst würde ich alleine sein.

Verzweifelt zählte ich die Tage,
wieviel uns wohl noch blieben,
stellte mir die bange Frage,
wann wir uns verabschieden.

Allein Janines herzliche Liebe
gab mir diese innere Stärke,
mit der ich jeden Tag solide
weiter ging an mein Gewerke.

Wenn am Abend ich kam zu ihr,
im Herzen so voller Sehnsucht,
stand sie meist schon in der Tür,
entführte mich in unsere Flucht.

In ihren bescheidenen Räumen
bewahrten wir uns die Zeit,
die uns noch blieb zum Träumen,
in dieser kurzen Zweisamkeit.

In unser stilles Kuschelnest
schlossen wir uns oft ein,
schenkten uns ein Liebesfest,
es konnte ja das letzte sein.

Sie hatte im Gefühlskreisel
mich so verliebt angeschaut,
und ich wurde zur Geisel
ihrer jugendlich glatten Haut.

Ein Höhenfeuer der Ekstase
zog uns von der Erde weit,
auf zärtlicher Himmelsstraße
in des Glücksstromes Zeit.

Auf dem fliehenden Sternenschiff
rasten wir in Trance zurück,
navigierten durch das Lebensriff
in ewig umarmendes Glück.

Beim Flug durch atemlose Ferne
erklangen in uns Amors Harfen,
und auf Janines Leib glitzerten Sterne
noch, als wir den Anker warfen.

Jedes feucht glänzende Sternchen
küßte ich von ihrer heißen Haut,
und im Scheine des Laternchen
hatte ich ihr ins Ohr gehaucht:

"Ich möchte, dass ich bei Dir bin,
egal, wohin Du wirst gehen,
Du allein bist meines Lebens Sinn,
kannst Du das verstehen?

Ich will Deinen Pfad mit Dir teilen,
wohin er Dich auch führen mag,
möchte ich an Deiner Seite weilen,
in jeder Nacht, an jedem Tag!

Dein langer schwerer Weg,
er soll auch der meine sein,
hierfür mein Herz ich leg'
in Deine Hände hinein!

Sie lag neben mir, ganz still,
und ich spürte, uns verband
mehr, als nur ein Gefühl,
mehr, als sie mir gestand.

Dann sprach sie ganz leise,
als wispere nur der Wind:
"Auch nach meiner langen Reise
unsere Herzen beieinander sind!

Ich lebe weiter in den Gedanken,
die unsere Liebe hinterlassen,
denn sie kennen keine Schranken,
sie werden niemals verblassen!

Allein in Deiner Erinnerung
bleibe ich lebendig Dir,
wage bitte nicht den Sprung,
nur, um zu folgen mir!"

Hinter unsichtbarer Tür
erlebten wir dieses Frühjahr,
ohne ein Gefühl dafür,
was ist Traum, was ist wahr.

Wir rannten über bunte Wiesen,
wohin, war uns ganz egal,
wollten uns nur noch lieben,
unter hellem Sonnenstrahl.

Willkommen war uns jede Feier,
nach diesem endlos langen Winter,
und nun suchten wir Ostereier,
wie zwei ausgelassene Kinder.

Wir verdrängten ganz bewußt,
was so unvermeidlich war,
hatten wir doch gewußt,
dass der Abschied uns so nah.

An den ersten warmen Tagen,
in einer warmen Maiennacht,
begann Janine zu fragen:
"Sag mir, wer hat das gemacht?

Wer will, dass ich schon geh',
wer ist's, der das Schicksal
führt in Glück und in Weh,
ein Gott, ein Licht im All?

Gibt es eine Vorsehung,
die uns so gewaltsam trennt,
mich sterben läßt, so jung,
und kein Erbarmen kennt?

Hat das Schicksal ein Gesicht,
oder gibt es auf dieser Welt
irgendein höheres Gericht,
das mir dieses Urteil fällt?"

Ich sah sie an - verzweifelt.
Konnte ich ihr denn sagen:
"Du hast mir eben gestellt,
meines eigenen Geistes Fragen!"

Eine Antwort wußte ich nicht,
auf das, was sie bewegte.
Und auf ihr schönes Gesicht
sich nun stille Trauer legte.

Mein Herz sprach dann den Satz,
mit dem ich sie trösten konnte;
doch dieser Worte großer Schatz
bereits in unserer Liebe wohnte:

"Wir können alles besiegen,
wenn durch Zeit und Raum
unsere Gefühle zueinander fliegen,
zur Hoffnung, zu unserem Traum!"

Als dann die ersten Sommertage
kamen ins Land gezogen,
war uns die Zeit ohne Frage
schon weit voraus geflogen.

Meiner Liebsten zierliche Gestalt,
die sich immer mehr verzehrte,
fand nur noch in unserer Liebe Halt,
gegen den Tod, der sie begehrte.

Unser schon alltäglicher Gang
in das Therapiekrankenhaus,
zeigte uns schonungslos lang
die aussichtslose Lage auf.

Der Sommer in dieser Stadt
war so öde, stickig, und leer,
das Warten machte uns matt -
war ein solches Los denn fair?

Doch Janine hatte nicht geklagt,
ich wußte: Sie kämpft für mich,
die Liebe machte sie stark,
wenn auch die Kraft aus ihr wich.

Wir wollten die wenigen Stunden,
die uns das Schicksal noch ließ,
mit unserer Liebe abrunden,
die nach unseren Herzen rief.

Eines Abends saßen wir zu zweit
im Okertal auf des Baches Steinen,
unsere Gedanken flogen so weit,
ohne zu lachen, ohne zu weinen.

Wir schauten dem Wasser hinterher,
das um die grauen Felsen spülte,
bis uns das ewige Sternenheer
den nächtlichen Liebeshimmel füllte.

Da sagte sie ins stille Schweigen:
"Du wirst es wohl nicht verstehen,
aber ich möchte einmal die weißen,
himmelhohen Schweizer Berge sehen.

Du hast mir so oft davon erzählt;
ich möchte es einmal erleben,
die Berge, und mit Dir im Zelt,
und einmal über Matten gehen.

Wollen wir durch Arven wandern,
wenn sie stehen in ihrem Gold,
spatzieren gehen an der Kander,
wenn sie durch's Dörfli rollt?

Ich möchte auch die Glocken
der Alpherden klingen hören,
möchte die Murmeltiere locken,
und Dohlen mit Käse betören.

Einen Adler möchte ich seh'n,
und spüren, wie Gletscherwinde wehen,
mit Dir baden in klaren Seen,
und einmal über das Eisfeld gehen.

Nimm mich mit in Deine Berge,
wo die bunten Blumen stehen,
bevor ich für immer gehen werde,
möchte ich all das einmal sehen."

Ich dachte nicht mehr real,
folgte nur noch ihrem Bitten,
und kaufte via Kandertal
zwei Fahrtbillets nach Sitten.

Meine Berge und ihre Natur
konnten ihr vielleicht helfen,
für diese letzte Hoffnung fuhr
ich mit ihr dort zum Zelten.

Sie fragte mich auf dem Weg
nach Süden so voll Neugier:
"Wann sind wir in Kandersteg,
wann zeigen sich die Berge mir?"

Ich sah leuchtende Augen
aus dem Zugfenster spähen,
und sagte im festen Glauben,
sie würde doch nicht verstehen:

"Siehst Du Wolken, schneeweiß,
die doch gar keine Wolken sind,
dann erblickst Du Berge aus Eis,
dort, wo der Himmel beginnt!"

Aus dem Lärm der Stadt flohen
wir zu den Gletschern, verschneit,
wo die wilden Séracs drohen,
in der Berge stillen Einsamkeit.

Durch stille Dörfer wir gingen,
die verwegen am Hange klebten,
hörten heimliche Winde singen,
die in hölzernen Ecken lebten.

Wir entstiegen dem Arvenwalde,
und standen auf weiter Höh',
ein Donnern von Lawinen hallte:
Das Echo vom Chanrionsee!

An diesem See hatte gestanden
dann unser einsames, kleines Zelt,
wo wir zwei zurückfanden
zum inneren Frieden unserer Welt.

Wir wanderten über grüne Matten,
die mit farbenfroher Blütenpracht,
uns so sanft getragen hatten,
und uns das Glück zurückgebracht.

Andächtig lauschten wir windverweht,
der Kuhglocken melodischem Klang,
sie drangen vom Tal, wie ein Gebet,
herauf, als ferner Engelsgesang.

Janine sah die weißen Berge
über'm grünen Walliser Land,
und wir zogen mit der Herde
Steinböcke oben am Hang.

Ich stieg mit ihr zum Gletschersee,
wo der Adler schwebte im Kreise,
und die Blumen blühten im Schnee:
Krokus, Enzian, und Edelweiße.

Fröhlich wagten wir zu springen
über der Bäche Silberband;
das Echo von unserem Singen
schallte von der Felsenwand.

Ausgelassen tollten wir
durch duftendes Almengras,
in uns sprühte die Begier
nach Frohsinn und purem Spaß.

Verliebt und verträumt lagen
wir im Teppich der bunten Wiesen,
ließen vom Gedanken uns tragen,
dass wir mit den Wolken ziehen.

In unseren Traumphantasien
wir mit Wolkenschiffen flogen,
über weite, grüne Täler dahin,
bis an des fernen Meeres Wogen.

Wir dachten an die fremden
Länder, die wir nicht mehr fanden,
an deren weißen Palmenstränden
wir im Traume dennoch standen.

In weit fliehenden Gedanken
konnten die Träume uns geben,
hinweg über des Todes Schranken,
was wir uns wünschten im Leben.

Wir lachten in Sonne und Regen,
und gaben uns all die schönen
Dinge, die Menschen in einem Leben
sich gegenseitig schenken können.

Auf abgelegener Blumenwiese
wir unsere Kleider zerrissen;
ich streichelte in tiefer Liebe
ihren nackten Bauch mit Küssen.

Salzig schmeckte ihre Haut,
die mit süßem Duft bedeckt;
und staunend hatte zugeschaut,
das Murmeli, das wir geweckt.

Dann, in strahlend tiefem Rot
versank der mächtige Feuerball,
ein farbenprächtiges Wunder bot
er uns am großen Gletscherwall.

Hinter den hohen Bergen glomm
noch ein letzter, verzagter Schein.
Sie sagte leise: "Frank, bitte komm,
ich will ganz nah bei Dir sein!"

Sie drückte sich fest an mich,
ich fühlte ihre sanfte Wärme.
"Heute möchte ich lieben Dich,
hier, unterm Licht der Sterne!

Ich spüre die Lebenskraft in mir
ganz allmählich versiegen,
darum möchte ich mit Dir
heute Nacht zu den Sternen fliegen!"

Was heimlich dann geschah,
blieb für immer unser Geheimnis,
denn nur der silberne Mond sah
unser kleines Liebesparadies.

Später badeten wir splitternackt
in dem kalten, klaren Gletschersee,
und hatten eng umschlungen gewacht,
um das Funkeln der Sterne zu seh'n.

Wir saßen im Glanz der Gestirne,
die in strahlender Ewigkeit
erleuchteten Berge und Firne,
und unsere allerschönste Zeit.

Ich hielt ihre zitternde Hand
fest an mein Herz gedrückt,
das von ihrer Liebe entflammt,
weit der irdischen Zeit entrückt.

Wir hofften, dass der Zauber dieser Tage
für uns niemals mehr enden sollte,
und doch wußten wir ohne Frage,
daß uns der Tod schon überholte.

Eben noch konnten wir lachen,
so glücklich und fröhlich sein,
dann wieder kam das Erwachen,
und brach in unsere Träume ein.

Zwischen Wahrheit und Hoffen
vergingen für uns die Stunden,
seit sich unsere Blicke getroffen,
und unsere Herzen sich gefunden.

Wir lebten im Zwiespalt
unserer eigenen Gefühle,
sahen des Lebens Gestalt
in Wärme und in Kühle.

Nun blickten unsere Herzen
in tief empfundenem Glück,
aber auch in wehen Schmerzen
auf unserem Weg zurück.

Hier, auf nachteinsamen Höhen,
unter sternenbesätem Himmelszelt,
lernten wir zu verstehen,
des Lebens Sinn auf dieser Welt.

Als ein Geschenk der Natur
verstanden wir unsere Liebe,
auch, wenn sie so kurz nur
blieb in unseres Glückes Schmiede.

Am Morgen glitten wir auf Ski
über verschneite Hänge zum Gipfel,
im Pulverschnee bis zum Knie
erlebten wir den Nervenkitzel.

Von oben schauten wir weit
in das pennische Sonnenland,
fernab vom Strom der Zeit
nahm ich dann ihre Hand:

"Hier oben werde ich oft stehen,
und an Dich allein nur denken,
auch wenn alle Hoffnungen gehen,
werde ich Dir noch Liebe schenken.

Wenn mich hier in diese Berge
jemals wieder die Schritte lenken,
verspreche ich Dir, ich werde
dann stets an diese Tage denken!

Hier oben werde ich bei Dir sein,
und Du wirst immer in meinem Sinn
mit mir steigen, über Eis und Stein,
auf welchem Berg ich auch bin!"

Wir blieben lange dort oben -
über uns nur der Himmel stand.
Unsere Gefühle sich zur Macht erhoben,
die uns für alle Ewigkeit verband.

Doch dann sollte unsere schöne Zeit
schneller, als befürchtet zu Ende sein,
und Janines geborgte Gesundheit
fiel wie ein Kartenhaus im Winde ein.

Diese Tage hier in den Bergen,
ohne Arzt und Chemotherapie,
ließen sie immer schwächer werden,
das Schicksal spielte nun Regie.


Im friedlichen Krankengemach
hielt ich dann ihre zarte Hand,
als sie in Stille aufbrach
zu ihrem allerletzten Gang.

Mich plagte mein Gewissen,
ob es recht von mir gewesen,
dass ich sie der Qual entrissen,
weil sie ohne Chance auf Genesen?

Doch Janine sagte zu mir:
"Du hast mir so viel gegeben,
diese wunderbare Zeit mit Dir,
war wertvoll, wie ein ganzes Leben!

Du hattest mich dort oben
von tiefer Traurigkeit befreit,
und warst mit mir geflogen,
dorthin, wo der Adler schreit.

Du hast mir den langen Abschied
so leicht und erträglich gemacht,
Du hast mich bis zuletzt geliebt,
und über mein Leben gewacht.

Es ist Zeit, für mich zu gehen,
ich werde Dich nun verlassen,
versuche es zu verstehen,
ich folge jetzt stilleren Gassen.

Ich möchte Dir für alles danken,
und vergiß bitte eines nicht:
Unsere Liebe kennt keine Schranken,
auch wenn mein Leben nun verlischt!

Laß meiner Liebe helle Flamme
nicht ewig in Dir weiter brennen,
sonst wird Dein Geist im Klange
der Erinnerung sich verrennen!

Ich muß nun von Dir gehen,
vielleicht denkst Du mal an mich,
vielleicht werden wir uns wiedersehen,
.....drüben, .....Ich liebe Dich!"

Ein letztes Mal schaute sie
mich an, mit kraftlosem Blick,
es war, als ob sie schrie,
als wollte sie nochmal zurück.

Stille zog ein in diesem Raum,
und ihr liebliches Gesicht
folgte dem endlosen Traum
zu des ewigen Friedens Licht.

Ich hielt noch lange ihre Hand
in dem dunklen Sterbezimmer,
und ich spürte, uns verband
unsere tiefe Liebe noch immer.

Ein stiller, ungehörter Schrei,
einsam meinem Herz entfahren,
stieg zu ihr auf, wollte frei
ihr meinen Schmerz offenbaren.

Ich fühlte: Ohne ihre Liebe
konnte ich nicht mehr leben,
ich würde am inneren Kriege
meiner Gefühle nur vergehen.

Wollte nur an ihrer Seite sein,
ganz egal, wo sie jetzt auch war,
gern tauschte ich mein Leben ein,
um bei ihr zu sein, bot ich's dar.

Ich floh hinauf zur Felsenwarte,
zur hohen, steilen Himmelsleiter,
dort, wo sie mich geliebt hatte,
stieg ich immer höher, immer weiter.

Doch mein Weg fand kein Ende,
mein Herz hatte sich verbrannt,
ich stieg über Gletscher und Wände,
zur Ruhelosigkeit verbannt.

Nur hier oben war ich ihr nah,
ich spürte hier ihre Gegenwart,
manchmal in Visionen ich sah,
Janines Gesicht, rein und zart.

Ich war auf einer langen Reise,
doch wohin, wußte ich nicht,
suchte ich hier still und leise
nach Liebe, nach neuem Licht?

Doch außer wehen Erinnerungen
hatte ich dort oben nichts gefunden,
nur mein Herz war zersprungen,
wurde mit den Bergen verbunden.

So stieg ich viele lange Jahre,
wo die Berge am höchsten sind,
hoffte, dass ich mal erfahre,
wo ich endlich ein Zuhause find'.

Eines Tages, auf Grächen's Gratalp,
saß ich müde da, und spürte:
Die Stimme war längst verhallt,
die mich auf diesen Pfad führte.

Ich hatte meine ganze Jugendkraft
an den Berg der Erinnerung vertan,
war geflüchtet in die Leidenschaft,
die einmal mit Janine begann.

Viel zu lange war ich gerannt,
gegen den Berg zur Selbsterkenntnis,
hatte mich allmählich verbannt,
zu großer Einsamkeit und Bitternis.

Nun stand ich am Abgrund
von meinem unerfüllten Leben,
und war jetzt, zu dieser Stund'
bereit, für immer zu ihr zu gehen.

Plötzlich war hinter mir eine Stimme,
wie vom Himmel selbst erklungen:
"Erinnere Dich des Lebens Sinne,
den Du einst mit ihr gesungen!"

Erschrocken schaute ich mich um:
Da lag ein großer, grauer Stein
auf der Wiese von Gratalp herum,
und strahlte im Abendsonnenschein.

Dann hörte ich erstaunt,
es war dieser Felsgranit,
der mir eben zugeraunt,
hier, ob dem Gletscher Ried:

"Hast Du schon vergessen,
was Janine Dir dort sagte,
als ihr unter Sternen gesessen,
wo sie Dich zu lieben wagte?

Du mußt für sie weiterleben,
ihr Ideal und ihre Hoffnung
hatte sie Dir hier gegeben,
vergiß das nie, zu keiner Stund'!

Was Dir dieses Mädchen geschenkt,
sollst Du einmal weitergeben -
wie das Schicksal Dich auch lenkt,
sollst Du nach ihrer Güte streben.

Die Liebe findet Dich auf's Neue;
dann schenke der Frau, die Dich mag,
Ehrlichkeit, Vertrauen, und Treue,
alles, was auch Janine Dir gab!"

Ich stand verblüfft vor dem Stein,
der in roter Sonne zu mir sprach,
konnte, was ich hier erlebte, sein,
träumte ich, oder war ich wach?

Als ich dann den Fels berührte,
diese mächtige, rauhe Steinplatte,
war's, als ob ich wieder spürte,
was ich mit Janine gefühlt hatte.

Es war mir, als strömte in
diesem alten, bemoosten Stein,
Janine's Atem noch dahin,
als wäre er ihr Totenschrein.

Ich nahm in tiefer Andacht
einen Stein, den ich fand,
hatte ihn zum Fels gebracht,
der über diesem Orte stand.

Dann gelobte ich, in jedem Jahr
einen neuen Stein dazu zu legen,
dass Janine's Andenken ich bewahr',
für alle Zeit, auf allen Wegen.

Was ich dann zu klagen gewagt,
diesem sonnenbestrahlten Stein,
hatte ich nie einem Menschen gesagt,
der Fels sollte mein Vertrauter sein!

Ein Holzkreuz ich errichtet hab',
meinem Versprechen als Garant,
es thronte nun auf dem Grat,
der sich hoch über Grächen befand.

Janine's Atem im Sonnenstein,
mir von ihrer großen Liebe blieb;
dieser Platz würde immer sein,
mein Ort vom längsten Abschied.


Epilog

Noch immer bin ich allein,
Gefühl für Liebe ist zerronnen,
wurde mir, wie mein Sonnenstein
so allmählich weggenommen.
Wo der Berg sich Stille bewahrt,
meine Seele oft zum Frieden fand,
weist heute der heilige Bernhard
nach Osten, zu des Aletschs weißem Band.

Der Steinmann, den ich errichtet,
in den vielen langen Jahren,
liegt umgestürzt und vernichtet,
zertreten von Touristenschaaren.
Jetzt leitet hier ein Wegesstück,
über diesen mystischen Ort,
genauso ging unser Glück,
Janine, von mir fort.

Nur noch ein Rosenstock, so rot,
der am verwitterten Holzkreuz ragt,
erinnert an meine einsame Not,
mehr, als jemals ein Wort gesagt.
Zum Gedenken an verlorenes Glück
pflanzte ich ihn hier oben ein.
Er ist nun ein wesentliches Stück
von meinem Leben, dieser Sonnenstein!

Und wenn mit verschwitzten Haaren
ein Wanderer vor dieser Rose steht,
so wird er wohl kaum erahnen,
wie sich mein Schicksal hier verweht.
Nur der Gletscher und dieser Stein
haben mich hier weinen sehen,
sie werden stets so wie heute sein,
und meine heimlichen Tränen verstehen.

Solange diese rote Rosenblume
an diesem alten Kreuz erblüht,
in meinem Herzen eine Krume
von Hoffnungsschimmer weiterglüht:
Vielleicht kommst Du einmal zurück,
Janine, und kehrst heim,
und bringst dann ein neues Glück,
zu mir, an meinen Sonnenstein.

Zurück

 

Navigation

Home

                             
Startseite     Der Autor     Gedichte     Texte     Das Geheimnis     Kontakt
      Lebenslauf     Vorwort     Märchen     von Val Mentiér     Gästebuch
      Familie     Alte Literatur     Satire     Bildergalerie     E-Mail
      Treffen                 Burg Falméra     Impressum
      Ahnengalerie           Interview 1            
      Alte Karten           Interview 2