Die einsamste Stunde


Das Mondlicht leuchtet fahl
in des Doldenhorns steile Flucht,
wo hoch über'm Gasterntal
der Felsen elegante Wucht
senkrecht in die Höhe führt,
und mit der Grenze hoher Firne
den nachtschwarzen Samt berührt,
im Glitzern tausender Gestirne
sich in Unendlichkeit verliert.

Dort steigt auf dunkler, stiller Führe
ein einsamer Mensch nach oben,
zu des Sillerngletschers Bordüre,
wo die schwarzen, mächtig groben
Felsen dort über'm Abgrund stehen,
will er heute selbst sich richten,
sein so sinnlos gewordenes Leben
im tiefen Todessturz vernichten,
sich den ewigen Frieden geben.

Seine Hand sich mühsam tastet
Hinauf mit Qual und mit Schmerz,
in seinem Hals ein Würgen lastet,
voller Narben ist sein einsames Herz;
was für ein Sinn war ihm geblieben,
als das Mädchen ihn verlassen?
Niemals wieder will er lieben,
Mut und Hoffnung in ihm verblassen,
von tiefer Angst wird er getrieben.

Voll Traurigkeit und Verzweiflung
klettert er am Felsen höher,
kommt seinem nächtlichen Sprung
mit jedem Meter etwas näher.
Vom Tal her klingt das Rauschen
der Chlûse wie Abschiedsgesang;
er hält inne, beginnt zu lauschen,
der wilden Wasser heimlichen Klang,
dem geheimnisvollen Plauschen.

"Was wollen die Fluten mir erzählen;"
sinniert der Kletterer verlassen,
"warum muß das Leben mich so quälen,
wie sehr muß es mich doch hassen,
daß es in meiner letzten Stunde
noch wehe Erinnerungen mir bringt,
mir Salz streut in meine Wunde,
und mich zu kalten Tränen zwingt,
hier, am düster hohen Felsenschrunde."

Tief im Tal ein Leuchten bricht,
zwischen Tannen scheint es herauf,
vielleicht ist es Hoffnung, dieses Licht,
und das Leben gibt noch nicht auf?
Doch er weiß: Ein Auto fährt dort
Nach Selden, in's hintere Gasterntal,
augenblicklich ist es wieder fort,
und mit ihm der Hoffnungsstrahl
in dieser finsteren Nacht verdorrt.

Dann folgt Ruhe, die Berge schweigen,
heimliche Stille verzaubert den Raum,
vom Gletscher weht ein Wind im Reigen,
senkt sich herab zu einem Traum,
aus seiner eigenen Vergangenheit:
Er sieht sich das Mädchen lieben,
sieht nochmal die schönste Zeit,
von der ihm nicht mehr geblieben,
als die schmerzende Einsamkeit.

Es fröstelt ihn mit einem Mal
auf seiner letzten, einsamen Tour,
ein Gedanke wird ihm zur Qual:
"Was wartet nach dem Tode nur
auf meinen leidgeplagten Geist?
Wird ein immerwährender Frieden
das sein, was hier "Jenseits" heißt,
oder ist, was damit beschrieben,
nur etwas, das sich nie beweist?"

Etwas beschäftigt ihn noch mehr
auf seiner verschwiegenen Führe:
"Ist die große Höhe auch Gewähr
für meines Todes sichere Türe,
verliert man das Bewußtsein,
beim Sturz aus großen Höhen,
womöglich kann der Aufprall ein
friedliches Sterben mir verwehren,
vielleicht bricht nur ein Bein?"

Seine Hände schwitzen wieder,
trocken und stumm ist sein Mund,
er blickt zum Tale nieder
nochmal in seiner letzten Stund'.
Verlassen von irdischer Zeit,
steigt er zum Felsenschrund,
steht voll Gleichgültigkeit
vor tiefem, luftigen Grund,
macht sich zum Sprung bereit.

Mit Tränen in den Augen,
und starr gebrochenem Blick,
sieht er durch Wolkenlauben
auf seinem Lebensweg zurück,
der wie im Film, als Szenen
still an ihm vorüberzieht.
Er sieht sein ganzes Streben,
und das Mädchen, das er geliebt,
nur sie allein war sein Leben.

Im blaßgelben Mondenschein
Sieht er sie nochmal lachen,
doch wie kann das möglich sein?
Ist es Träumen, ist es Wachen?
Sie steht als leuchtende Vision
im schwarzen Meer der Nacht,
seiner Phantasie ist sie entfloh'n,
die ein letztes Mal erwacht,
aus seines einsamen Geistes Fron.

Dann zieht innere Leere
in sein aufgewühltes Herz,
er wünscht sich, er wäre
schon befreit von dem Schmerz,
der mit einer zähen Macht
ihn hier noch gefangen hält,
und in schir endloser Nacht
unter goldenen Sternen ungezählt
mit schmerzendem Gefühl bedacht.

Der einsame, lebensmüde Mann,
springt nicht, läßt sich nur gleiten,
sein Herz und sein Geist im Bann
seines langen Weges sich weiten.
Wildes Brausen und Abwärtsfliegen,
dunkle Nebel lähmen sein Denken,
verborgene Sinne ihn besiegen,
um seinen Geist zu versenken,
in den ersehnten, ewigen Frieden.....

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