Matterhorn
Gedicht in zwei Jahrhunderten


1790.....

Über dem begrünten Tal Zermatts
standst Du wundersamer Berg,
als heimlich schlummernder Schatz,
noch niemand kannte Deinen Wert,
warst nur ein vereister Felsen,
der in den blauen Himmel ragte.
Doch bald kam einer der Helden,
der sich in Deine Nähe wagte.
Du warst ein unbenannter Stein,
als Horace- Bénédikt Saussure
vom Theodulpaß nach Zermatt herein
aus dem Valtournanche fuhr.
Gastlich gaben sich die Dörfler nicht,
hatten sich gegen ihn verschwor'n,
doch Du gabst ihm Glanz und Licht,
mit Deinem Antlitz, oh Matterhorn.



1856.....

Zu Deinen Füßen wurde es lebendig,
fremde Menschen kamen dazumal
mit Wanderstöcken, sehr behändig
in Dein einsames, stilles Mattertal.
In Zermatt und auch in Breul
entstand ein erstes Gästehaus,
und der Unruhe böser Greuel
nahm ab diesem Tage seinen Lauf.
Menschen kamen Deinetwegen
in dieses abgelegene Tal,
um Dir zu Füßen zu legen
ein ganz neues Naturideal.
Aus Wissenschaft wurde Abenteuer,
ein neuer Mythos wurde gebor'n:
Zu steigen auf der Berge Gemäuer,
und auf Dich, oh Matterhorn.



1857.....

Gorret und die Brüder Carrel
wagten sich an Deine Grate,
sie stiegen sicher und schnell
auf zur hohen Felsenwarte.
Doch dort am Tête du Lion
mußten den Aufstieg sie beenden,
denn in Deiner Felsbastion
standen sie vor glatten Wänden.
Sie kamen nicht mehr voran,
Dein Fels war hier zu steil,
wo eine tiefe Scharte begann,
viel zu tief für ein Seil!
Sie kehrten ins Dorf Breul zurück,
diesmal hatte der Mensch verlor'n,
Du gabst ihm von Dir kein Stück,
von Deinem Grat, oh Matterhorn.



1860.....

Und wieder kamen Mutige,
um Dein Dach zu bezwingen,
sie träumten schon vom Siege,
diesmal sollte es gelingen!
Der Londoner Edward Whymper
und sein Breuler Führer Carrel
stiegen gleich nach dem Winter
zu Deiner hohen Zitadell'.
Doch beide wollten Deine Spitze
für sich alleine haben -
daß den Gipfel man besitze,
um sich in Glanz und Ruhm zu laben.
Sie trennten sich im Streite
an Deinem Tyndall- Sporn,
ihre Kameradschaft entzweite
an Deinem Grat, oh Matterhorn.



14. Juli 1865.....

Doch schon bald kamen zurück,
die sich an Dir entzweiten,
jeder wollte nun sein Glück
an einem anderen Grat bestreiten.
Whymper, Hudson, Hadow und Douglas,
sowie Croz, Taugwalder Vater und Sohn,
stiegen zum Grat am Hörnlipaß
von Zermatt am frühen Morgen schon.
Am Nachmittag erreichten sie Deinen First,
nach eines vollen Tages Kletterei,
doch der große Triumph zerbirst
noch in der Siegestaumelei.
Beim Abstieg, der senkrecht und steil,
zeigtest Du Dich voller Zorn,
an Deiner Schulter riß das Seil,
Du wehrtest Dich noch, oh Matterhorn.



15. Juli 1965.....

Sie glaubten Dich schon bezwungen,
als sie auf Deinem Gipfel standen,
die Menschen, die um Dich gerungen,
letztlich nur den Tod sie fanden!
Vier von ihnen hattest Du behalten,
die sich schon als Sieger erkoren,
ihre entsetzten Schreie hallten,
als sie ihr Leben an Dich verloren.
Und für Carrel am Liongrate
erstarb zur gleichen Zeit ein Traum,
er wußte, daß er verloren hatte,
als er Whymper sah am Gipfelsaum.
Sie hatten Dich wohl bezwungen,
doch Dein Preis dafür war enorm,
der Menschen Schreie sind nie verklungen,
Du hörst sie noch, oh Matterhorn.



1890.....

Jean- Antoine Carrel, der Bersagliere,
der viele Jahre um Deine Gunst geworben,
er allein war Dir würdiger Sieger,
für sein Ideal ist er gestorben.
Als Bergführer, schon zweiundsechzig,
stieg er mit Leone Sinigaglia
zur kleinen Hütte am Tyndall- Pic,
sie waren Deinem Gipfel schon so nah,
doch Du straftest ihn mit Schneesturm,
sandtest Kälte ihm in dieser Nacht,
hattest ihm den großen Turm
als seinen Grabstein zugedacht.
Dort starb der einstige Verlierer,
war für seinen Tourengast erfror'n.
Er blieb als ehrenvoller Märthyrer
Deiner ebenbürtig, oh Matterhorn.



1931.....

Einundvierzig Jahre später zogen
zu Dir zwei deutsche Gesellen,
jugendlicher Mut hatte sie bewogen,
auch Deine Nordwandroute zu fällen.
Dein Zauber hatte auch über
diese beiden Macht gewonnen,
Franz und Toni Schmid, die Brüder,
waren aus München hergekommen.
Sie stiegen unerschrocken und gewand
durch Deine steile Felsfassade,
trotzten dem, was Du ihnen gesand:
Schnee, Donner und Blitzkaskade.
Überwunden war Dein letztes Bollwerk,
das hatten die Brüder sich geschwor'n,
Du warst ein stolzer, unnahbarer Berg,
doch sie bestiegen Dich, oh Matterhorn.



1980.....

Und wieder stand ein Deutschgeselle
in Zermatt unter Deinem Bann,
schaute zum Gipfel Deiner Zitadelle,
er ahnte nicht, was damit begann.
Dein Stolz war längst gebrochen,
Hunderte waren an Sommertagen
auf Deinen Hörnligrat gekrochen,
um den Gipfelgang zu wagen.
Auch ihm kam damals in den Sinn,
in diesem warmen Sommer des August,
zu steigen nach Deinem Gipfel hin,
der Gefahr war er sich kaum bewußt.
Er stieg mit Turnschuh und Cowboyhut,
Du ließest ihn gehen, ungeschor'n,
vor seinem jugendlichen Mut
hattest Du Respekt, oh Matterhorn.



1986.....

Sechs Jahre waren ins Tal gezogen,
wieder stand der Cowboyhut- Tourist,
hoch über wilden Gletscherwogen,
dort, wo Dein Grat am steilsten ist.
Er dachte viel an Deine Güte,
seit Du damals ihn verschont,
er wünschte sich, daß man behüte
Dein Reich, in dem die Stille wohnt.
Doch der Wind, der Deinen Stolz verweht,
brachte falsche Werte über Nacht,
brachte Menschen, die Dich erhöht,
die mit Deinem Antlitz Geld gemacht.
Du hieltst Wache über dem Dorfe,
das seinen Charakter längst verlor'n,
und bald schon als Touristenorte
zu Deinen Füßen lärmte, oh Matterhorn.



1996.....

Heute steht er wieder hier,
unter Deiner hohen Mächtigkeit,
und sendet seinen Blick zu Dir,
ein trauriger Blick von Leid zu Leid.
Denn nur noch eine Silhouette
bist Du im Glanz Walliser Riesen,
als große, vernagelte Kletterstätte
stehst Du über verbauten Wiesen.
Was an Dir Berg war, ist zertrümmert,
Deine Hänge gespickt mit Seilbahnstangen.
Was an ihm Alpinist war, ist verkümmert,
Seßhaftigkeit hält ihn gefangen.
Du hattest sein Schicksal gelenkt,
er hatte sich den Bergen verschwor'n,
doch dieses Ideal hat er verschenkt,
wie Du Deinen Stolz, oh Matterhorn.



1997.....

Alles ist nur noch Erinnerung
in des Mannes und des Berges Herzen,
ihre Seelen bekamen einen Sprung,
durch der Sehnsucht große Schmerzen.
Vorbei sind Einsamkeit und Stille
unter diesem großen Titanenwerk,
gebrochen sind Stolz und Wille,
von diesem Mann und seinem Berg.
Die Welt hat sich verändert,
Mutter Natur hat verzagt,
des Mannes Augen sind gerändert,
des Berges Flanken sind zernarbt.
Beide blicken stumm hernieder,
von des Berges Felsempor'n,
wünschen sich die Zeiten wieder,
vom unbezwungenen Matterhorn.

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