Tote Kameraden


Der Berg hat sich in Wolken gehüllt,
und Orkan umtost den weißen Grat.
Mein Gipfeltraum hat sich nicht erfüllt,
Nacht und Wetter beenden meine Tat.

Schneesturm zerrt an mir, als wolle
er mich in die dunkle Tiefe schleudern.
Ich klammer mich an eiserstarrte Scholle,
hoch über'm Gletscher, dem Dorf so fern.

Schneefahnen huschen über Eis und Firn,
peitschen mir in's rotfrostige Gesicht,
Eiseskälte dringt mir in den Zwirn,
mir, ein vom Tod berührter Alpinist.

Allein mit des Unwetters Grauen,
kämpfe ich verzweifelt und verbissen,
versuche eine Schneehöhle zu bauen,
dort, wo die Lawinen abgerissen.

In der weißen Hölle, zwischen Aufgeben
und schir ermattetem Ringen,
grabe ich um mein kleines Leben,
in des Sturmes Gröhlen und Singen.

Mit letztem Mut krieche ich unter
den labilen Schutz aus Eis und Schnee,
doch wär's ein gnadenvolles Wunder,
wenn Dorf und Tal ich lebend wiederseh'.

Das Ungewitter tobt die ganze Nacht.
Naß, kalt, unendlich müde und leer,
halte ich in meinem Iglu Wacht,
vor Kälte spüre ich keine Knochen mehr.

Mein Geist wird müde, die Glieder schwer.
Schneesturm orgelt laut und monoton.
Wärme und Friede wünsche ich mir her -
Halt! So schleicht sich das Leben davon!

Wach bleiben muß ich unbedingt,
um keinen Preis darf ich schlafen.
Wenn Resignation in mich dringt,
wird das Schicksal mich bestrafen!

Minuten ziehen dahin, wie Stunden,
über den Grat heult scharf der Wind.
Habe ich nun des Lebens Ende gefunden,
hier, in des ewigen Eises Labyrinth?

Oder ist's das Bewußtsein des Lebens,
das ich heute hier oben erfahre;
stieg ich bislang nur vergebens,
all die vielen, langen Jahre?

Meine Gedanken werden zum Traum,
der Sturm wird zu lieblichem Gesang.
Nässe und Kälte spüre ich kaum,
folge nur noch meinem geistigen Zwang.

Schnee und Wolken plötzlich weiterziehen,
lassen im Westen die fahle Sonne frei,
eilig sie über Schattenspitzen fliehen,
am Himmel, so grauviolett, wie Blei.

Am Zenit läßt ein rosablauer Schein
die Firne erglühen in Gold und Rot,
bis das Licht der Bergsilhouetten beim
Flimmerglanz der Sterne rasch verloht.

Unten ist schon vollständige Nacht,
nur die Gletscher schimmern silbermatt,
und noch tiefer pulsieren Lichter sacht
herauf vom Alpendorf Zermatt.

Über lautlos schwellender Einsamkeit
noch ein letzter verzagter Sonnenglanz,
weht in Schleiern dann die Dunkelheit
heran in blauschwarzem Nebeltanz.

Auf einsamer Höhe stehe ich allein,
spüre weder Kälte, noch eisigen Wind,
träume mich in Wolkenbilder hinein,
die Vergangenheit und Zukunft sind.....

.....Ein kalter Hauch bringt mich zurück
in Nachtkühle und Mondenschein,
märchenhaftes Schweigen, wie stilles Glück
fährt in die Tiefen der Gletscher ein.

Der Mond als einsamer Wanderer
am Himmel die Schleier durchbricht,
steht erhaben im Sternenheer,
in geheimnisvoll silbernem Licht.

Ich, ein einsames Wesen im Froste,
schaue feierlich stumm zu ihm auf,
sodann ich seinen Silbernektar koste,
folgt mein Geist des Erdtrabanten Lauf.

Es beschleicht mich eine wohlige Leere,
und ich habe die ruhige Gewißheit,
daß ich die Sonne nicht wiedersehe,
für die letzte Nacht bin ich bereit.

Heute sah ich wohl zum letzten Mal
Die Sonne versinken, goldumflort;
wenn sie morgen ersteigt den Himmelssaal,
nimmt sie mich mit sich fort.

Ausgeträumt ist nun mein bunter Traum,
ich versinke in stiller seeliger Ruhe,
mein Geist wandert durch fernen, fremden Raum,
mein Körper schläft in ewiger eisiger Truhe.

Meine reglose Gestalt, still und starr,
sehe ich auf weißem Gletschertuch liegen,
der Berg selbst nimmt sie in Verwahr,
für einen jahrtausende langen Frieden.....

Plötzlich eine Stimme zu mir spricht,
wie aus fernen, geistigen Enklaven:
"Wohl Du lebst, tot bist Du noch nicht,
wache auf, Du darfst hier nicht schlafen!

Lerne, was Deine Bestimmung ist,
Du mußt Deinen Weg zuende gehen,
den Weg, der auch meiner gewesen ist,
lerne, des Lebens Sinn zu verstehen!"

Ich höre diese fremden Worte,
die meinen Todesschlaf beenden,
und schaue durch die Hoffnungspforte,
die symbolisch sie mir senden.

Mein Blick wandert zurück, nach unten,
entlang meiner verwehten Aufstiegsspur,
die vielfach sich im Schnee gewunden
heraufzieht, wie eine feine Schnur.

"Mein Freund, schau ganz genau hin",
mahnt jetzt die Stimme wieder.
Schon erkenne ich am Firnbeginn
ein Lichtlein blinken, auf und nieder.

Ich trete vor und schärfe meine Augen:
Drei Punkte spähe ich auf dem Gletscher aus,
was ich sehe, ich kann es kaum glauben,
wer wagt sich da in kalter Nacht herauf?

Kann ich meinem Blick noch trauen?
Oder täuschen mich meine Sinne?
Steigen da Menschen in der rauhen
Bergnacht auf zur hohen Gipfelzinne?

Doch meiner Sinne Bild, es bleibt,
bewegt sich geisterhaft unter mir.
Drei seilverbundene Gestalten treibt,
wie auch mich, die Abenteuergier.

Ich sehe die Seilschaft empor wandern,
und höre das Knirschen ihrer Sohlen,
rastlos und stumm, gar nicht mehr fern
steigen sie schweigsam, fast verstohlen.

Jetzt klingt schon ihr schwerer Atem
durch die stille kalte Nacht.
Plötzlich erkenne ich die drei Gestalten:
Aber die sind doch tot, hatte ich gedacht!

Es sind jene Kameraden, die mit mir
vor zehn Jahren am Dent Blanche gestiegen.
Jung, mutig, voller Tatendrang stürmten wir
über Gletscher, um am Berg zu siegen.

Hansruedi, Ueli, und den Toni hat
der Berg dann nicht mehr ausgelassen,
das ewige Eis wurde ihre Ruhestatt,
hoch droben, auf Gletschers Eisterrassen.

"Ich glaubte, ihr seid schon lange tot?"
So verebbt meine Stimme im Raum.
"Woher kommt ihr denn, bei Gott,
entsteigt ihr wohl meinem Traum?"

"Nein, wir sind nicht tot, wir leben,"
Toni mit leiser Echostimme spricht.
"Wir sind hier, um Dir etwas zu geben:
Du brauchst Stärke, Mut, und Zuversicht!

Leben werden wir auch weiterhin,
in der Idee, die uns Bestimmung ist,
so leben wir in all deren Sinn,
von denen auch Du einer bist.

Wir bestehen also auch in Dir,
so, wie in all den vielen Anderen,
die auf Berge steigen, wie einst wir,
um die eigenen Grenzen zu erfahren.

Darum ist es für uns alle wichtig,
daß Du diesen Weg zuende gehst.
Nicht aufgeben, das allein ist richtig,
damit Du lernst und verstehst.

Deine Route darf hier nicht enden,
trotz Schwäche mußt Du Deine Tour
für Dich, für uns, für alle beenden,
dies allein ist Deine Bestimmung nur!

Zögere nicht, steige für all jene,
die Dir und uns noch folgen werden,
weise ihnen die wahren Wege
zum Lebenssinn auf Erden.

Ein helles Licht entzünde Dir
an dem Feuer, das in Dir ist.
Beleuchte so, als Geistes Pionier
den Weg, den Du gekommen bist.

Doch auch den Pfad vor Dir erhelle,
und laß das Licht weiter brennen,
es wird dann an Deiner Stelle
Anderen helfen, den rechten Weg erkennen.

Du mußt dies hier überleben,
um denen, die nachkommen werden,
Mut und Kraft zu geben -
dafür mußt Du leben, nicht sterben!

Dein Licht soll die Zuversicht sein,
daß niemand im Dunklen wandle,
vielmehr in dieser Hoffnung ein
jeder im Sinne des Lebens handle.

Lasse also dieses Licht entfachen,
an dem Dir gegebenen Feuer,
und wisse, daß wir über Dich wachen,
wir toten Kameraden sind Dein Steuer!

Folge Deinem vorbestimmten Ziel beizeiten,
und vergiß nicht, wir drei werden Dich
stets auf Deinem schweren Weg begleiten,
und sei er noch so steil und abenteuerlich!"

Dann steigen die Kameraden weiter,
hinauf in den einsamen, stillen Raum,
auf des Grates schneeverwehter Leiter,
immer höher, an des Sternenhimmels Saum.

Schemenhaft verschmelzen sie alsbald
mit den dunkel drohenden Gletscherschanzen.
Schon folgt ein Windhauch, eisig kalt,
läßt die Nebel in weißen Fetzen tanzen.

Der Wind braust in heftigen Wogen;
über geisterhafte Berge breitet sich
ein sternbesäter dunkler Himmelsbogen,
darunter türmen sich Wolken, gewaltiglich.

Eisige Kälte strahlt der Liskamm aus,
viertausend Meter hoch, aus ferner Einsamkeit
mich an seiner Schönheit ich berausch',
sein Gipfel steht da, von Wolken befreit.

Ich krieche in mein eiserstarrtes Loch,
kalte Einsamkeit hat mich überfallen,
am sturmumtosten Grat sitze ich noch
frierend, lauschend; Lawinendonner hallen.

Die Taschenlampe wird mir zur Freundin,
in ihrem Bann ruht mein müder Blick,
schwelgt im schwachen Flackerschein dahin,
bringt Erinnerungen als süßen Traum zurück.

Nicht lange kann ich friedlich träumen,
mein Körper zittert, verlangt nach Wärme.
Zwischen wallenden Wolkensäumen
suche ich das warme Licht der Sterne.

Bin ich hier oben schon totgeschrieben,
mit eisgepanzertem Berg als Grabmal?
Ist mir niemals mehr beschieden,
die Rückkehr ins grüne Mattertal?

Warum noch gegen Mutlosigkeit aufbegehren,
wenn der ewige Frieden liegt so nah?
Soll ich mich gegen meine Träume wehren,
die ich mir so gerne ersah?

Da stört mich wieder der Stimme Klang,
meines längst verstorbenen Kameraden:
"Leugne nicht Deinen wahren, inneren Drang,
folge Deinem Weg zum Ziel, Deinen Pfaden!

Finde heraus aus Deiner Ermattung,
entscheide Dich jetzt, zögere nicht,
beginne Deine geistige Erleuchtung,
gib toten und lebenden Kameraden ein Licht!

Stehe auf, und folge diesem Streben
nach Wissen, nach Frieden und Glück,
bemühe Dich, kämpfe für das Leben,
bringe auch Anderen die Hoffnung zurück!"

In des neuen Tages ersten, ungewissen Grau,
trete ich in die klirrende Morgenluft.
Über eine weiße, weite Welt ich schau',
blicke hinab in die tiefe Gletschergruft.

Von der Kälte benommen und geschwächt
beginne ich den mühsamen Abstieg.
Die toten Kameraden hatten recht:
Resignation ist nicht des Geistes Sieg!

Mein Leben nun auf's Neue beginnt,
ich folge meiner inneren Bestimmung.
die Lethargie auf dem Gletscher zerrinnt,
an ihre Stelle treten Mut und Hoffnung.

Ein par Male sitze ich noch im Schnee,
starre gebannt hinauf zum Berge,
wo ich drei Kameraden steigen seh',
die ich nie im Leben vergessen werde.

Denn diese drei sind ja nicht tot,
solange ihre Ideale weiterleben,
und jedem Bergsteiger in der Not
ein wenig von ihrer Hoffnung geben.

Sie leben weiter, in der großen Idee,
die auch für mich bestimmend sei.
Sie leben in mir, wenn ich steh',
auf hohem Gipfel, glücklich und frei.

Auch ich werde irgendwann einmal
zu jenen toten Kameraden zählen,
die mit hellem Hoffnungsstrahl
müde, mutlose Alpinisten beseelen.

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