Lawine

Dieses Gedicht ist gewidmet

Toni Weissbacher †
Hansruedi Balmer †
Ueli Gasser †

Verunglückt am Dent Blanche, August 1980



Nächtlich kalt ist der Morgen,
sternenklar ist noch die Nacht,
da haben wir frei von Sorgen
zum Gipfel uns aufgemacht.

Der Gletscher ruht so friedlich,
träumt in des Frostes Starre,
schweigend steigen feierlich
wir durch silberne Bizarre.

Die Hütte liegt dort im Dunkel,
tief unten auf dem Felsenkinn,
und tausendfaches Sterngefunkel
leuchtet mild darüber hin.

Wir steigen rasch, ohne zu halten,
durch die dämmerliche Frische,
vorbei an gähnend schwarzen Spalten,
stolpern über Gletscherschliffe.

Still ist's, die Berge schweigen,
und nicht ein Windhauch weht;
unter glitzerndem Sternenreigen
silhouettenhaft die Bergwand steht.

Der Geist des Berges bald erwacht,
auf dem Grat und in der Wand,
mit Steinschlag er dann bewacht,
sein Gipfelreich vor unserer Hand.

Auf einem Mal entzünden sich
an den Spitzen glühende Funken,
wandern im rotgoldenen Licht
über Flanken hell nach unten.

Dann schießen Strahlenlanzen
im Osten über'n Moming- Wall,
aus ihrem Flimmern und Tanzen
steigt schon der rote Feuerball.

Von reinem Licht goldumflutet
steht unser Berg nun da,
wir hatten nicht vermutet,
daß wir seiner Nordwand so nah.

Mächtig hoch und strahlend,
umblaut vom Himmelsbogen,
erhebt er sich mahnend
über wilden Gletscherwogen.

Er wuchtet auf, im hehren Glanze,
in tausend Meter hoher Wand;
in der Gipfel königlichem Kranze
wird er Dent Blanche genannt.

Exponiert und absturzträchtig
hängt in seiner Schneefassade,
herabdrohend und doch prächtig,
eine gigantische Eiskaskade.

Da! Plötzlich erwacht der Berg,
ein Beben geht durch die Wand,
das riesenhafte Titanenwerk
erzittert stark und schwankt.

Ein Knall zerreißt den Frieden,
wirft ein Echo durch das Tal;
unsere Gedanken zerstieben
vor Schreck mit einem Mal.

Eisblöcke, wie Häuser so groß
stürzen dort durch die Wand,
rasen durch der Flanke Schoß,
wir sind vor Entsetzen gebannt.

Weit hinauf eine Wolke erhebt
sich in des Himmels tiefe Blau,
die Morgenluft zittert und bebt,
mit Gewalt, Rumoren und Radau.

Ein unheimliches Dröhnen schwillt
dort oben an des Berges Fuße an,
mit Toben und Bersten brüllt
es in der Wolkenwand heran.

Im Nebel fährt ein Sturm daher,
ein gewaltig schreckliches Grauen;
uns bleibt hier keine Gegenwehr,
in des Berges eisigen Klauen.

Dann erfaßt uns eine Welle
von roher, gnadenloser Gewalt,
schon werde ich auf der Stelle
hochgehoben, wieder hingeprallt.

In umherwirbelnder Weise
nimmt mich die Lawine mit,
auf eine grauenvolle Reise,
in einem wahren Höllenritt.

Voll Schnee sind Mund und Augen,
ich glaube, ich muß ersticken,
versuche verzweifelt Luft zu saugen,
in diesen tödlichen Augenblicken.

Ich weiß nicht mehr, wo ich bin,
entsetzliche Schreie dringen
in meinen gequälten Sinn,
die mich in Panik bringen.

Dann wird es Nacht um mich,
ein Traum trägt mich fort,
so wundersam und friedlich,
an einen ruhevollen Ort.....

.....Ein sanfter Klang mir bringt
eine wohlige, tiefe Wärme;
gleich einem Engel singt
es wie aus weiter Ferne.

Verhallt ist das laute Toben,
verebbt ist Donnern und Brausen.
Ich liege still, nur meine Ohren
horchen auf das leise Raunen.

Was ist mit mir geschehen?
Welche Macht hat mich bedroht?
Habe ich mein Ende gesehen?
Sah ich heute meinen Tod?

Stille erfüllt nun den Raum,
wie nach einer großen Schlacht.
Ich denke an meinen Traum,
aus dem ich gerade erwacht.

War's wirklich nur ein Traum?
Ich schaue mich verwundert um,
begreife das Schrecknis kaum,
sitze unschlüssig da - und stumm.

Ein Nebel aus Schnee und Eis
senkt sich auf die Leere,
auf das Trümmerchaos weiß,
legt Tragik sich und Schwere.

Nur langsam begreife ich,
was eben hier geschah;
ich schaue, suche ängstlich
nach der Kameradenschar.

Ich rufe ihre Namen,
doch der Berg bleibt still,
er läßt mich schon ahnen,
was ich nicht glauben will.

Ganz allmählich wird mir klar,
dass ich jetzt alleine bin.
Meine Freunde nahm offenbar
die Lawine mit sich dahin.

Verstummt sind die Stimmen
meiner treuen Kameraden,
ihr Leben sah ich verglimmen,
der Schnee hat es begraben.

In schneeweißer Gestalt
eilte heute der Tod heran,
vernichtete mit Urgewalt,
was gerade erst begann.

Der Berg, er schaut hernieder,
umloht von heller Sonnenflut;
er forderte heute wieder
drei treue Seelen als Tribut.

Der Freunde fröhliches Lachen
ist für immer hier verstummt,
der Berg wird sie ewig bewachen,
von heute an, zu jeder Stund'.

Mit friedlich stillem Rahmen
der Gigant sich jetzt umhüllt;
niemand wird jemals erahnen,
welch Schicksal sich hier erfüllt.



17. Mai 1990

Viele Jahre nach dem Unglück
stehe ich wieder am Gletschertor,
und denke an jenen Tag zurück,
an dem ich meine Freunde verlor.

Ich denke an die Kameraden,
die hier mit mir gestiegen,
die auch heute noch begraben
unter'm ewigen Eise liegen.

Unsere junge, ungestüme Kraft,
die wir im Herzen getragen,
bleibt als stille Leidenschaft
hier, am Dent Blanche begraben.



Epilog

Ein kalter Tag im Sommer;
gespenstisch gleiten Wolken vorbei.....
.....Da schlaegt die Glocke im Tal den Abend an.

Auf einmal ist's totenstill ringsum,
und auch der Kühnste von uns
hält in Erinnerung an die Kameraden
einen Augenblick lang den Atem an.

Die grösste Offenbarung
ist die Einsamkeit
und die Stille!

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