Die Vision von Dir

Wolkenlos blaut der Himmelsbogen
über den Gletschern der hohen Berge,
vom Leben dort unten betrogen,
steige ich auf's Dach der Erde.

Wo die weiten Eisströme sich senken,
hinab in den kargen, steinigen Grunde,
muss ich an aufgewühlte Meere denken,
die zu Tal fließen, Stund um Stunde.

In wilden, kilometerlangen Windungen
starre Eismassen unmerklich streben,
bis hinab in die Täler und Siedlungen,
wo in täglichem Fron die Menschen leben.

Dort unten, nach endlosen Jahrhunderten
im Wechsel vieler Generationen angelangt;
gleichen sie nur noch grauen, ausgezehrten,
rußigen Gesellen, von Moränen umrankt.

Halb begraben vom Staub und Steinmüll
der gigantischen, himmelstrebenden Berge,
den sie geduldig tragen, schweigend still,
ein in Ewigkeit kleingeborstenes Erbe.

Was auf ihnen als Schutt sich niederlässt,
wälzen sie im wüsten Gewirr wenig schnelle
vor sich her, und fügen es allzeitlich fest
in mächtige Bollwerke und Trümmerwälle.

Unberührt, in blaugrün schimmerndem Weiß
schiebt sich der gepanzerte Strom zu Tal,
auf ihm steige ich, auf körnig bizarrem Eis,
bewegungslos langsam, im weiten Gletschersaal.

Über mir, in des Berges Flanke schwebt
ein gefährlicher, trutziger Gletscherwall,
der im Chaos zerschellender Eismassen bebt,
im Echo des urweltlichen Berstens Schall.

In senkrecht aufstrebenden Eisstürzen
und jählings sich abstürzenden Schlünden,
bauen sich froststarre Terrassen und Schürzen
weit auf, wo sie jedem Blick entschwinden.

Wie gebilde einer fremden, anderen Welt
türmen sich im hell gleißenden Sonnenglanz
zackige Spukgestalten, wahllos hingestellt
auf, in schir atemberaubender Eleganz.

Spiegelglatte, vertikal aufstrebende Wand,
da und dort eingestürzt zu Trümmerwerk,
als ob irgendwann an dieser Stelle stand
ein gläsernes Märchenschloss am Berg.

Als zerfallene Türme und geborstene Mauern
mahnen nadelscharf aufschießende Obelisken,
im Aufrechtstehen, oder in der Sonne kauern,
des Sturzes gegenwärtig in allen Augenblicken.

Vergängliche Zeugen des bizarren Kampfes
zwischen Sonne und Eis, sich am Abgrund
weit beugen, im labil geneigten Glanze,
der Schwerkraft ausgeliefert zu jeder Stund.

Unter bläulich aufgewölbtem Triumphbogen
erheben sich am Rand vom Gletschersturz
eine Reihe lichtweißer Eiskegel, hoch oben,
leben doch im Schein der Ewigkeit nur kurz.

Einer stirbt gerade, zerschellt klirrend,
die Sonne war heute glorreiche Siegerin.
Mit ihrem Farbenspiel, glühend, verwirrend,
ist sie des großen Kreislaufs Beginn.

Mit ihrer geheimnisvollen Lichtflut
verzaubert sie die stille Hochwelt,
ein wundersames Leuchten, eine Glut
aus kaltem, starrem Eise schwelt.

Kleine, halbrunde Tümpel in den Senken
strahlen in des Eises schimmernden Blau
und überall dazwischen leiten und lenken
dunkle Spalten des Wassers Lauf und Stau.

Geheimnisvolles Rauschen und Strömen
hallt aus den grundlosen Schlünden,
verborgene Fluten gurgeln und tönen
in Bahnen, die niemals zu ergründen.

Überall raunt das einzig Lebende:
Das trübe Wasser aus ewigem Eise,
dazu spielt in Nieschen behände,
der Wind vom Gipfel ganz leise.

Wasser rinnt als eilfertiges Bächlein
in schmalen Eisrinnen über den Firn,
tropft und rieselt im Sonnenschein,
strömt aus des Gletschertores Stirn.

Durch das feierliche schweigen dringt
das verborgene Gurgeln und Stöhnen,
kein anderer Klang, der die Stille verschlingt,
nicht ein fremder Laut ist zu hören.

Hunderte von Malen hatte ich schon
diese eindrucksvollen Bilder gesehen.
Stets bewegte mit mächtigem Ton
diese Welt meinen Sinn und Leben.

Doch heute ist alles anders als bisher:
Dort, wo der Pfad in den Himmel steigt,
steht die Erinnerung im Nebel schwer,
Sehnsucht, die eben schreit, dann schweigt.

Wie hoch und weit ist noch der Pfad,
aus der Vergangenheit in ein neues Leben?
Wird mir dieser schneeweiße, steile Grat
neue Hoffnung, oder ewigen Frieden geben?

Die Natur bot mir stets gnädigen Trost,
die Ruhe und den Frieden der Einsamkeit,
ist sie heute wohl über mich erbost,
weil ich zum Kämpfen nicht mehr bereit?

Zum ersten Mal, seit unendlich langer Zeit,
in der ich durch tiefe Trauer gestiegen,
fühle ich mich verloren in der Einsamkeit,
wünsche ich mir, noch einmal zu lieben.

Als meine Liebe von mir gegangen,
hatte ich mich lebendig begraben,
heimlich spüre ich wieder das Verlangen,
eine liebende Frau neben mir zu haben.

Doch immer noch setze ich meinen Gang
fort, durch diese Welt voll Scheiße,
folge noch dem alten, verblassten Drang
einer längst schon aufgegebenen Reise.

Ich schaue mich um und zum ersten Mal
fühle ich mich fremd in dieser hohen Welt,
doch das ist mir inzwischen ganz egal,
alle meine Hoffnungen sind längst zerschellt.

Ich werde wohl weiter hinaufsteigen,
auf diesen Berg zur Selbsterkenntnis,
ich werde still beobachten und schweigen,
und hoffen auf ein Ende der Finsternis.....

Durch eine weiße Welt voller Gefahren
folge ich vorsichtig dem Aufstieg,
lasse mir hier oben offenbaren,
dass ich fliehe, vor meinem inneren Krieg.

Das Dach der Welt hat sich gerüstet,
mit schneeüberkleideten Gletscherspalten,
deren Dunkelheit stets danach gelüstet,
nach müden Opfern Ausschau zu halten.

Schon aus der Ferne erkennt mein Blick
des Gletschers verborgenen Hinterhalt,
doch die Gefahr hält mich nicht zurück,
sie wird zu einer akzeptablen Gestalt.

Stellen, die unmerklich geneigt,
im Schnee harmlos schimmern,
werden, vom Fehltritt befreit,
zu tödlichen Lawinentrümmern.

Labile Eisgefüge, kühn ragende Klippen
begleiten meinen Gang nach dort oben,
ein einziger Laut ließe sie umkippen
und mit mir in die gähnende Tiefe toben.

Erst nach vielen tausend Jahren,
dort, wo der wilde Eisstrom bricht,
aus dunklem Gletschertor gefahren,
käm' ich wieder an's Tageslicht.

Dieser Gefahr im jähen Angesicht
wander' ich durch weiße Wildnis,
mal im Schatten, mal im Licht,
des lauernden Todes stets gewiss.

Weit entrückt ragt mächtig
die ungeheuerliche Berggestalt,
nadelscharf die Spitze prächtig
im dunkelblauen Himmel strahlt.

Unendlich zieht sich meine Spur,
in trügerischen Absätzen dahin,
über ewiges Eis, hart und stur,
ohne ein Ende, ohne Beginn.

Stets, wenn ich daran denke,
ein Stück Berg zu erobern,
öffnet sich eine neue Senke,
neue Eiswälle, hoch und fern.

Höher und höher, immer weiter,
entflieht einem jeden neuen Hang
eine hell gleißende Silberleiter,
ein unendlich steigendes Band.

Ein Hauch von Eis und Schnee
weht über schier uferloses Weiß;
wohin ich hier oben auch seh',
umgeben mich gestalten aus Eis.

Über jedem Kamm ein Himmel blau,
als wenn der Gipfel mir geleuchtet hat,
doch steh ich dort, wohin ich schau,
gähnen neue Hänge, steil und glatt.

Ich kann nicht mehr sehen,
wohin ich eigentlich steige,
hoffe nur im stoischen Gehen,
dass der Grat sich endlich neige.

Eine Wanderung in grenzenloser Weite,
die ich ohne Zeitgefühl und Raum
in dieser leeren Stille beschreite,
als steige ich durch einen Traum.

Nur ein Knarren und Stöhnen
dem glasharten Firn entfährt,
als ob mir Spotten und Höhnen
mein einsam leerer Geist beschert.

Heiß brennt der Sonne Glut
auf des Berges Schnee und Firn,
wo flimmernd grelle Lichterflut,
mir blendet Geist und Stirn.

Doch der Frost will nichts wissen,
von den hellen Sonnenlanzen,
lässt sie fühllos umherschießen,
über seine Frostgebilde tanzen.

Ein zitternder, sengender Atem
hält mich im Licht umfangen,
es ist, als lähmt er meine Taten,
als bin ich in ihm gefangen.

Jeder Schritt auf des Berges Dach
wird zu purer Überwindung,
krank fühle ich mich und schwach,
bemerke meiner Kräfte Schwund.

Ich spüre die große Himmelsnähe,
in der kein Leben mehr gedeiht,
wohin ich hier oben auch sehe,
alles ist dem weißen Frost geweiht.

Weiter, nur immer weiter, ich will,
sage ich mir bei jedem Schritt,
und bei jedem Meter kämpft still
meines Geistes innere Stimme mit.

Allmählich hebt sich über mir
die eigentliche Kuppe des Berges an,
ein wild zerklüftetes Felsgewirr
schlägt mich jetzt in seinen Bann.

Dies hier ist die letzte Hürde!
Ich kenne sie schon, diese stille Mauer,
zwischen verlorener Menschenwürde
und des Gipfelsieges Glücksschauer.

Stetig höher und immer weiter
steige ich dem Berg aufs Haupt;
wie ein kühner, aber müder Reiter,
der noch in Sterben an Siegen glaubt.

Hindernis um Hindernis erbaut
der Berg, um sich zu schützen,
doch wenn Bergsteigermut sich traut,
wird ihm das nicht viel nützen.

Starre Felsen stellt er mir entgegen,
die tückisch in meiner Hand brechen,
mit abschießenden Hängen, verwegen,
sucht er meinen Aufstieg zu rächen.

Doch über alle Hindernisse weg
schlingt das Seil, klirren die Haken,
sucht mein müder Fuß den Steg
auf des mächtigen Gipfels Nacken.

Es ist trotz aller Müdigkeit
das Gewaltigste und Aufregendste,
das jeden Alpinisten befreit:
Das Ringen um die Gipfelfeste!

Ein Kampf ohne menschliche Zeugen,
im Wolkenreich über den Stätten
der Menschen muss er sich beugen,
oder ich mein Leben verwetten.

Durch dieses Eispanzers Kerben
habe ich mich all die Stunden
jederzeit bereit um zu sterben,
auf den Berg emporgewunden.

Aus sprödem Eis eine Treppe schmiedend
kämpfe ich mich beharrlich himmelwärts,
im Traum jedoch zu Tale fliegend
zu einem mich treu liebenden Herz.

Mühsam und nach Atem ringend,
die letzten Meter bereits vor Augen,
verwitterte Felsen noch bezwingend,
will ich es noch nicht glauben:

Doch weit oben endlich glänzt
durch's starre Reich der Ewigkeit,
von Zirrenschwärmen umkränzt,
die höchste Spitze, sichtbar weit.

Nur vor und über mir starrt noch
als spitz aufschießende Pyramide
der letzte steile Felszacken hoch,
ein Finger aus des Schöpfers Schmiede.

Dann trete ich auf den Gipfelbau,
über mir nur noch der Himmel steht,
nur Wolken und Luft, so weit ich schau,
einsam mich hier der Wind umweht.

Wie in Wolken schwebend der Stein,
der meinen Füßen Halt noch gibt,
fliehende Eisfahne im Sonnenschein,
die glitzernd meine beine umstiebt.

Meiner Seele entfährt mit inbrünstiger Kraft
ein stiller Schrei, von großer Last befreit,
heute habe ich es endlich geschafft,
mein Haupt wieder zum Himmel geneigt.

Viel zu lange habe ich getrauert,
habe mein Herz Stück für Stück
mit meinen Erinnerungen ummauert,
an ein zerbrochenes Liebesglück.

Nun wird immer kleiner und winziger,
alles, was ich unten zurückgelassen,
meiner Einsamkeit düsteren Zwinger
habe ich für heute einmal verlassen.

Zu schmalen Bändern schmelzen zusammen,
die dunkelgrünen Täler der Vergangenheit,
mit schmutzigem Dunst sehe ich behangen,
der Städte und der Menschen Lügenkleid.

Wabernder Dunst dort unten tief,
Dampf, wie ein überkochender Kessel,
als des Menschensumpfes übler Mief,
unserer Bequemlichkeit graue Fessel.

Wolken, die müde und bleischwer
über den dunklen Tälern lasten,
unter ihnen lebt das Menschenheer,
in sinnlosem Tun und Hasten.

Diese armen, beengten Geister ahnen
nicht, wie hier oben die Sonne glänzt,
und mit Gold leuchtenden Strahlen
die aufragenden Eiszinnen bekränzt.

Wie Maulwurfshügel ketten sich
die niederen Berge zusammen,
halten Gletscherbänder silberlich
in ihrer frostigen Faust gefangen.

Die hohen Firne, sie versilbern sich,
verschwimmen mit dem Himmelszelt,
das, wie die Ewigkeit unvergänglich,
sich über ewigem Eise wölbt.

Endlich atme ich befreit von allem,
das meine Seele hielt gefangen,
Wolken vor meinen Augen fallen,
die dunkel über meinem Haupte hangen.

Im Westen, jetzt noch weit entfernt,
ziehen neue Wolken am Horizont,
in vielen Jahren habe ich gelernt,
das nichts Gutes in ihnen wohnt.

In wenigen Stunden wird ein Wetter
über diesen weißen Gipfel rasen,
mit Hagelschlag und Schneegeschmetter
mein kleines leben in die Tiefe blasen.

Gleich einem unaufhaltsamen Ungetier,
das aus der Ferne nach mir leckt,
nimmt mich das Wetter ins Visier,
des Donners und Sturmes Architekt.

Ich fliehe von des Gipfels Höhe,
zurück in die schattige Wand,
und weiter ind des Eisfeldes Nähe,
bis zum besonnten Felsenband.

Hier unten wird der Berg lebendig,
von wärmenden Strahlen bedacht,
Fels und Eis heizen sich ständig
auf gegen der frostigen Kälte Macht.

Lange Stunden hat die warme Hand
der Augustsonne am Eiskitt genagt,
der die Steine festhält in der Wand,
und noch nicht loszulassen wagt.

Doch dann schmelzen die kalten Bande,
strömen in milchigem Weiß zu Tal,
vor ihnen her, über den Felsenrande
springt und kollert der Steine Fall.

Wie eine flinke, geschäftige Schar
kleiner, frech huschender Gnomen,
tanzen Geröll und Trümmer in's Kar,
erobern den Firn in Schwadronen.

Und hinter dem eiligen Gesindel
folgt ein dicker, schwarzer Block,
saust mit feinem Staubgeriesel
hernieder auf den Bergesstock.

Dort schlägt, wie ein Asteroid
des Steinschlags Geprassel ein,
der Firn zerbirst und stiebt,
glitzert im hellen Sonnenschein.

In wallenden Hügeln weithin beginnt
die weiße Decke heftig zu schieben,
und dort, wo sie endlich Neigung find',
Schnee und Trümmer abwärts fliegen.

Mit riesiger Wolke und Donnerhallen
fährt die gigantische Lawine zu Tal,
mächtige Eismassen lassen schallen,
vielstimmiges Echo mit ihrem Schwall.

Ein Heulen und Dröhnen erhebt
sich aus der Tiefe, nebelverhangen,
ein Brüllen, als wenn die Erde bebt,
in Schluchten und Schlünden gefangen.

Langsam, ganz allmählich löst
im noch dumpf klagenden Grollen,
der weiße Tod sich auf und döst
im Chaos liegengebliebener Schollen.

Dann wird es endlich still,
starres, feierliches Schweigen,
als ob der Berg seinen Frieden will,
beginnt sich auf das Tal zu neigen.

Den Körper an den Fels gepresst,
die Hände in den Grat verkrallt,
beobachte ich vom Felsennest,
wie der Donner im Tal verhallt.

Herz und Augen werden mir groß
unter tief verblautem Himmelsbogen,
mein Blick auf firnglänzenden Schoß,
hinabstaunt in der Wolken Wogen.

Die watteweichen, flinken Gebilde
steigen rastlos empor und schweben,
hüllend mein Haupt in feuchte Milde,
in gespenstisch mutenden Schleiersegen.

Ein huschendes, waberndes Geschleier
umhüllt Mensch, Erde und den Berg,
im grauen, eintönigen Nichts ich feier
meinen einsamen Gang ins Titanenwerk.

Aus diesem dahinziehenden Grau
dringt das unermüdliche Rauschen
der Gletscherwasser, kalt und rauh,
dem gespannt meine Sinne lauschen.

Schattengleich im grauen Dunst ragen
die Felsen als wildgezackte Schneide,
doch wo die Nebel sich zu teilen wagen,
schaut mein Auge in klare Weite.

Wo warme Sonnenstrahlen fließen,
da lugen hoch vom Himmel her,
gleich gigantischen, bleichen Riesen,
hohe Berge im schillernden Gipfelmeer.

Unten klingt das Trümmerlied
der Gletscher im kalten Weiß;
bizarr und phantastisch schiebt
sich talwärts das grüne, ewige Eis.

Schaurig schwarz klaffende Spalten
und Schründe unergründlich tief,
zwischen blau schimmernden Falten
und Eistürmen, bedrohlich schief.

So liegt erstarrt das Gletscherband
und unter dem Panzer, tief gekühlt,
Wasser dennoch von geheimer Hand
durch enge, verborgene Adern spült.

Dies ist nicht die kleine Welt,
von dort unten, voll bösen Zwergen,
wo nur noch für Gut und Geld
Menschen leben und auch sterben.

Dieses feierliche, höhere Reich,
aus Fels, Eis, Schnee und Frost,
aus wogendem Nebel, watteweich,
von rauschenden Fluten umtost.

Eine Welt, die von Stille durchdrungen,
eine Wüste, die mit Schweigen und Licht,
mit mächtigen, geheimnisvollen Zungen
zum Geiste einsamer Menschen spricht.

In diesem ursprünglichen Reich,
wo Leben und Tod dicht an dicht,
das sie beinahe schon gleich,
hält allein die Natur Gericht.

Einst verstand ich diese Stimme nicht,
doch ein Beben voller Ergriffenheit
erfasste mein Herz mit diesem Licht,
erleuchtete Zukunft und Vergangenheit.

Ein Poltern - ich schaue nach oben:
Von dort, am oberen Gletscherrand
kommt ein großer, runder Kloben,
ein hausgroßer Felsen angerannt.

Mit zunehmender Geschwindigkeit
schießt er herab, im dumpfen Krachen,
von des Frostes Eisklaue befreit,
lässt er den Bergeshang erwachen.

Ich stehe unbeweglich, doch bereit,
im letzten Augenblick den Sprung,
zu wagen mit der Behändigkeit
eines geübten Kletterers Schwung.

Doch der Stein, er stürzt vorbei,
weit meinem Stand, der Tiefe zu,
ein Schatten, wie durch Zauberei,
ein Aufschlag, dann ist wieder Ruh'.

Das also, das war nun der Tod!
das huschende Ding, der Felsblock,
der mich gerade noch bedroht,
mir in die Glieder fuhr als Schock.

Doch ich fühle kein Angstgezitter!
Eher befreiende Ruhe, die innerlich
nach diesem tobenden Steingewitter,
dem ersten Schreck und Entsetzen wich.

Stundenweit steige ich jetzt noch
in die Bergeinsamkeit empor,
schwerfällig kriechen Nebel hoch
tanzen hinter Felszacken hervor.

Ein feuchtes, graues Schneegeriesel
erfüllt die erkältete Gletscherluft,
wie ein heimlich huschendes Wiesel
fährt die Kälte aus des Eises Gruft.

Ein zweckloses Durcheinanderwehen,
ein sich Auflösen und Wiederfinden,
in dieser feierlichen Stille entstehen
Gebilde, die ebenso rasch entschwinden.

Über diesem weißen Wunderland
steht im Rauschen milchtrüber Bäche
an den Fels geklebt von Zauberhand
eine Hütte auf künstlicher Fläche.

Wie eine sturmerprobte Insel
erhebt sich die kleine Hütte
in des Windes einsamen Gewinsel,
auf des Moränenhügels Mitte.

An drei Seiten wild umbrandet,
von bizarr eisstarren Gletschermassen,
steht sie wie ein Schiff gestrandet,
einsam, vom Eisstrom liegengelassen.

Dürftig, aus rohen Steinen gemauert,
hat sich das Haus Schutz suchend
hinter riesige Steinblöcke gekauert,
verwittert, sich im Winde duckend.

Es ist beinahe schon Nacht,
als ich die knarrende Türe
mit kalten Händen aufgemacht,
und drinnen eisige Leere spüre.

Muffig riecht's und verbrackt.
Irgendwer hat Geschirr und Tassen,
die er aus dem Tale mitgebracht,
auf dem alten Tische stehen lassen.

Als erstes mache ich mir Licht,
eine im Luftzug flackernde Kerze,
die das unheimliche Dunkel bricht,
und lustig Schatten wirft im Scherze.

Im behaglich glühenden Ofen
knistert dann ein helles Feuer,
trocknet im nu meine Hosen,
die durchnässt vom Abenteuer.

In den warmen Schlafsack eingehüllt
liege ich schlaflos, unruhig und wach,
in Herz und Seele noch aufgewühlt,
denke ich über meinen Aufstieg nach.

Ich habe etwas Großes erlebt,
heute, an diesem kalten Tage,
als hätte ich in Ewigkeit geschwebt,
die ich in meinem Geiste trage.

Dem Tod sah ich heute ins Gesicht,
und habe aus eigener Kraft vollbracht,
was meinen eigenen Glauben besticht,
was mir noch am Morgen Angst gemacht.

Ich habe meine Furcht und Schwäche
mit dieser Wanderung überwunden,
und habe im Strom der Gefühlsbäche
eine ganz neue Selbstachtung gefunden.

Ich spürte so einen inneren Drang,
so etwas Ödes und Unbefriedigtes,
das wurde heute mir zum Zwang,
und ich tat für mich Bedeutendes.

Wie verzaubert kam ich mir vor;
auf dieser langen Tour schaute ich
durch des großen Jenseits Tor,
in einen Spiegel: Er zeigte mich!

Diese Wüste hier ist wie eine Bild.
In ihr rufen Schnee und Stein mir zu:
"Sieh her, dieser hier, ungezähmt wild,
dieser unruhige Geist, das bist Du!"

Dieser Gedanke, der in mir wühlt,
lässt mir einfach noch keine Ruhe,
ist's die Hütte, die sich anfühlt,
wie eine düstere, beengte Truhe?

Nach einer Weile stehe ich wieder auf,
öffne sachte und leise die knarrende Tür,
dann trete ich geheimnisvoll hinaus,
als ob ich jeden Laut dreifach spür'.

Dort bleibe ich wie geblendet stehen,
auf den Stufen zum Gletscherhaus,
ein leises Seufzen höre ich wehen,
die klare Nacht streckt ihre Glieder aus.

Vom Vollmondschein mild begnadet
liegt der Gletscher hell und weiß
in bläulich flutendes Licht gebadet,
spielt der Schein auf glitzerndem Eis.

In schwarzen, ungefügen Rissen,
zeichnen sich kreuz und quer,
gleich tief versunkenen Schiffen,
Spalten ab, im Gletschermeer.

Wie ein feiner, weißer Rauch,
schwebt die frostige Dünstung
des Gletscheratems Hauch
in silberner Monddämmerung.

In ihrem Schein, seltsam verschleiert,
stehen Zacken, Eissäulen und Türme
als grünblaue Fabelwesen versteinert,
geformt in Sonne, Schnee und Stürme.

Über den Spiegelflächen der Firne
erheben sich vor dunklem Hintergrund
der hohen Gipfel mächtige Stirne,
weiß verputzt im Schneeverbund.

Als würden sie am Himmel lecken,
schwimmen der Berge Schneefelder,
als riesenhaft blendende Flecken
im Flimmern ewiger Sternenwälder.

Aber erst beim näheren Hinschauen
erkenne ich tiefschwarze Umrisse,
die sich im Mondschein aufbauen,
in der nächtlich klaren Frische.

Bis ins hohe Firmament hinein,
ragen die matt leuchtenden Gipfel,
und glänzen dort im milden Schein,
bis hin, zum allerhöchsten Zipfel.

Über der Titanen mächtigem Bau
funkeln in herbstlicher Klarheit,
Gestirne in unendlich schwarzem Blau
des Nachthimmels, von nah und weit.

Es steht, als will er die Nacht beenden,
der Vollmond hoch am Himmelszelt,
als Beherrscher der reglos schweigenden,
aus Dämmerlicht gewebten Traumwelt.

Die Luft, seltsam kühl, doch weich,
umspielt schmeichelnd meine Stirn,
die Kälte wirkt belebend und reich,
ein Hauch von Gletscher und Firn.

Von oben, vom ewigen Schnee herab,
zuweilen es klagend klingt und tönt,
als fahre der ganze Berg ins Grab,
der im Kampfe seines Todes stöhnt.

Ein langgezogenes Seufzen klingt,
wenn der Wind in Felsklüften spielt,
und ein hochjauchzendes Pfeifen singt,
wenn er den Schnee vom Berghang stielt.

Dann wieder klagen verhallende Rufe,
unwirklich, wie von Menschenstimmen,
oder ein Grollen, wie rasche Tierhufe,
deren Klänge im Raum verschwimmen.

Still ist plötzlich wieder die Welt,
nur mein Flüstern höre ich jetzt:
"Das ist wirklich groß, wie bestellt,
wie von Mutter Erde in Szene gesetzt!

Das nimmt mir alle meine Sorgen,
alles Klägliche aus meinem Herzen,
und ich spüre, dass ich bis morgen
verdränge meine Liebesschmerzen!"

Ich sehe mit Tränen hinauf, und weiß,
dass nur die Berge mich verstehen,
dass sie mir mit ihrem glänzenden Eis
und dem Wind den Schmerz verwehen.

Mein Herz voll tiefer, innerer Wehmut
zieht mich wieder ins Haus hinein,
mit unstillbarer Sehnsucht im Blut,
schlafe ich endlich wieder ein.

Der Morgen weckt mit hellem Licht
den Schnee zu tausendfach Gefunkel,
die Sonne den hohen Grat durchbricht,
es fliehen Nebel, Nacht und Dunkel.

Ein einziges, schier uferloses Weiß,
in dem sich jeder Maßstab verliert,
gibt sich unter blauem Himmel preis,
dass selbst die Sonne noch gefriert.

Allmählich kann ich erkennen,
Geländeformen im blendenden Feld,
weiß Grate und Berge zu benennen,
sehe nun, wo ich bin in dieser Welt.

Unter dem Kamm vom steilen Hang,
spannt die Ewigkeit ihr tiefes Blau,
in einem klirrenden, hohen Gesang,
den ich nicht höre, sondern schau.

Als sei der Berg dort zu Ende,
und ich hätte den Gipfel erreicht,
als wenn das Jenseits dort stände,
so mich ein Gefühl beschleicht.

Ich weiß nicht, wohin ich steige,
was hinter mir verblieben bleibt,
je mehr ich mich zum Gipfel neige,
desto mehr die Sehnsucht schweigt.

Ein Gang ohne Raum und Zeit,
über grenzenlose weiße Weiten,
eine große, brüllende Stille schreit
mich böse an, von allen Seiten.

Vorbei an Eissäulen, starren Geschlechts,
über hohen, windverblasenen Firn,
links ein Abbruch, Gletscherspalten rechts,
Licht und Eiseskälte auf meiner Stirn.

Ich steige in des Todes hohes Reich,
nur Lawinendonner und Wind,
riesige Eisflächen schimmern bleich,
alles wispert, wie ein kleines Kind.

Das jenseits öffnet mir sein Tor,
in sein Geheimnis dringe ich ein,
stoße in das Unbekannte vor,
in die Wahrheit aus Eis und Stein.

Im flammenden Spiel der Farben
steigt eine Traumwelt empor,
ein Eiswall voll dunkler Narben
erhebt sich noch vor dem Tor.

Keine Bewegung in der zahllosen Schar
der über hundert Gipfel unter mir,
mit beschneiten Häuptern stehen sie da,
starr glotzend, wie ein gefrorenes Tier.

Von nahenden Wolken abgeschieden
stehe ich über dieser lauten Welt,
am Tor in ein Reich voller Frieden,
wo der Himmel den Atem anhält.

Nur diesen Eisgrat noch hinauf,
dort, wo der weite Himmel beginnt,
tut da sich eine Welt mir auf,
in der ich die Antworten find?

Doch plötzlich aus den Tälern steigt
ein einsamer, rauchiger Schwaden,
zieht zögernd auf mit Dunkelheit,
lässt mich in grauer Kälte baden.

Kleine Nebelfetzen bleiben zurück,
kriechen unschlüssig hin und her,
tasten sich heran, Stück für Stück,
fügen sich zu rotgelbem Nebelmeer.

Von allen Seiten nun erklimmen
schwerfällige Dunststreifen die Höhe,
wie dunkle Geisterschiffe schwimmen
sie hinterhältig in meine Nähe.

Sie wabern durch die merklich kühler
werdende Luft, wirbeln sich entgegen,
ersticken das Licht mit grauem Fühler,
türmen sich auf, rasch und verwegen.

Wie im Bann lasse ich versinken,
meinen Blick in der Wolkenwelt,
scheine in dem Bild zu ertrinken,
das sich im Nebelmeer erhellt.

Ein Gesicht blickt aus dem Raum,
so wunderschön und engelsgleich,
liebreizend ist sie anzuschaun,
die Züge so gütig, klar und weich.

Lange, seidenglänzend schwarze Haare
umrahmen große, hell leuchtende Augen,
ist das ein Traum, oder das Wahre,
ich wage kaum, das Bild zu glauben.

Die schönste Frau, die ich je sah,
zeigt mir lächelnd ihr Gesicht,
ist mir auf diesem Berg so nah,
als sie aus Wolken zu mir spricht:

"Einsamer Wanderer, gehe nicht weiter,
Dein Leben ist hier sonst verwirkt,
kehr um auf Deiner Himmelsleiter,
Gefahr und Tod sich auf ihr verbirgt.

Kehre zurück in Deine Welt,
dort im Leben erwarte ich Dich,
wenn Dir mein Antlitz gefällt,
gehe zurück und such mich!

Auf Dich warte ich schon seit Jahren,
musst mich nur noch suchen lernen,
musst für Dein Glück nicht weit fahren,
es liegt so nahe, nicht in den Fernen!"

Dann schwebt das Gesicht wieder fort,
lässt mich im wesenlosen Chaos allein,
aber in mir trage ich noch ihr Wort,
und ihr Bild prägt sich in mir ein.

Hohe, schneebedeckte Felsenzinnen
heben sich wie Inseln aus dem Ozean,
dem die Nebel nicht mehr entrinnen,
der sich unter mir hat aufgetan.

Ein geräuschlos steigendes Meer,
eine Brandung, die zu Eis erstarrt,
alles wirkt jetzt grau und leer,
in dieser einsamen Gegenwart.

Plötzlich zerreißt ein Donner hier
die Stille dieser Gletscherwelt,
ich sehe, wie der Grat vor mir
losbricht und in die Tiefe fällt.

Schneestaub, der in die Höhe steigt,
in der wirbelnden Vernichtung wogt,
sich allmählich dann zu Boden neigt,
wo noch urweltliches Bersten tobt.

Als dann die Nebel wieder schweigen,
und sich der Schneestaub gesenkt,
beginnt sich mir klar zu zeigen,
was die Frau in Wolken mir geschenkt.

Dort, wohin ich zu steigen gedachte,
klafft gähnende Leere, schwarz und tief!
Wer war sie, die mich heut bewachte,
die mich zurück ins Leben rief?

Ich sehe zum Himmel auf, ihr zu danken,
die da wachte über das Leben mein,
und spreche zu ihr aus meinen Schranken:
"Du Schöne, Du musst ja ein Engel sein!"

Stürmisches Heulen geht durch die Luft,
das mich jetzt zur Umkehr zwingt,
wie die Stimmen in einer Geistergruft,
der Wind mir seine Drohung singt.

Doch im Süden steht der Sonne Glut
und ich glaube, meinen Engel zu sehen,
der mich schützt, vor des Wetters Wut,
vor dessen Antlitz Wolken verwehen.

In der goldenen Sonne letztem Licht
steige ich wieder in das grüne Tal,
dankbar dem rettenden Gesicht,
es bewahrte mich vor dem Fall.

Ob ich diese Frau jemals wiedersehe,
ihr danken kann, sie vielleicht lieben,
oder mit ihr durchs Leben gehe...
Doch wo ist sie seither geblieben?

War sie wohl nur aus einem Traum,
den ich in meiner Verzweiflung sah,
war sie ein Wesen aus Zeit und Raum,
war sie mir nur dort oben nah...?


Epilog

Zwölf Jahre später, anfang August,
habe ich mich in Dich verliebt,
als ich Dich sah, habe ich gewusst,
dass es Dich, mein Engel, wirklich gibt!



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