Die Wolfzahnfrau

 

inst lebte in den Tälern der hohen und steilen Berge eine gute Frau. Die gebar ihrem rechtschaffenden Manne zwei Kinder, ein Mädchen und einen Knaben. Sie besaßen nicht viel und lebten in Bescheidenheit und Demut vor Gott und seinen Geboten. Sie gaben den Armen und halfen, wo immer sie die Not anderer sahen.
Auf ihrem kleinen Hof besaßen sie um die zwanzig Schafe, Kühe und Ziegen, welche allesamt aus ihrer eigenen Zucht stammten. Sie lebten von den Tieren, verkauften den Käse aus ihrer Milch und die Wolle, welche diese ihnen einmal im Jahr, im Sommer, bescherten. Es war ein karges Dasein, doch sie alle waren glücklich und zufrieden.
Da kam eine Zeit bitterer Not und Kälte über das Land und der lange Schnee wollte nicht mehr weichen. Eisige Wolken verdunkelten die Sonne und ließ sie nicht mehr scheinen. Es fehlte am Grün für die Tiere und es fehlte den Kindern an Kleidung und am täglichen Brot.
Aber nicht nur die Menschenwesen erfuhren die große Prüfung des Himmels. Alle Geschöpfe der Erde und der Luft darbten in diesen Zeiten, litten des Hungers und der Kälte und viele von ihnen starben. Als die Not am ärgsten war, trieb es selbst die Wölfe, welche die Kälte gewohnt waren, in die Täler, nahe den Menschen.
So kam auch eine Wolfsmutter an den Hof der guten Frau und ihrer Familie. Des Nachts riss sie eines der Schafe, um ihre Jungen zu nähren, die durch die große Kälte vom Tode bedroht waren. Die Frau aber war sehr erzürnt darüber, denn ihre Familie brauchte die Schafe für ihr selbst Überleben. Sie hieß ihren Mann eine Falle bauen, um den Räuber zu fangen.
In der folgenden Nacht kam die Wölfin wieder, denn sie wusste nun, wo Nahrung für ihre hungrigen Welpen zu finden war. Blind vor Not trat sie in die Falle, welche gnadenlos zuschnappte. Sie tobte, biss um sich, doch all ihr Bemühen, sich zu befreien blieb zwecklos.
Vom Lärm aufgeweckt eilten die Bauersfrau und ihr Mann mit Knüppel und Axt bewaffnet herbei, um dem Räuber den Garaus zu machen. Verzweifelt bettelte die Wolfsmutter, und bat um Vergebung, nicht um ihretwillen, sondern um des Lebens ihrer Kinder, die des Hungers litten. Da erbarmte sich die Frau, denn sie wusste um die Liebe und Angst einer Mutter um ihre Kinder.
Sie gab der Wölfin vom Fleisch aus ihrer eigenen Kammer, dass sie ihre Welpen nähren möge, und versprach stets das ihre zu teilen, solange die große Kälte fortdauerte. So kam die Wölfin noch einige Male und die Frau gab ihr, was sie entbehren konnte. So lebten die Wölfe und so lebten die Menschen gleichermaßen.
Als nun die große Kälte ihrem Ende zuging, kam die Wolfsmutter ein letztes Mal. Die Bauersfrau gab ihr wiederum aus ihrer Kammer. Da sprach die Wölfin zu der Frau: "Ihr habt mich und meine Kinder in der Not vom Tode bewahrt, seid gütig und gnädig gewesen zu einer Geringeren. Zum Zeichen des Dankes sollt ihr einen meiner Reißzähne bekommen, eine meiner gefürchteten Waffen. Tragt diesen Zahn um euren Hals und er wird euch und eure Kinder stets beschützen und behüten!"
So brach sie sich einen der scharfen Zähne aus dem Maul und gab ihn der Frau. Die tat, wie ihr geraten. Fortan trug sie den Zahn um ihren Halse und wurde seither von Jedermann nur noch die Wolfzahnfrau geheißen.
Der Zahn der Wölfin aber tat von diesem Tage an seinen mächtigen Zauber, und der Frau und ihren Kindern ward niemals mehr ein Leid geschehen, solange sie lebten.


Ende






© Alle Rechte an dieser Geschichte bei Frank Adlung, Braunschweig

 
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