Das Geheimnis von Val Mentiér
 
8. Kapitel
 
Gors Angriff
 
rüh am Morgen wachte Sebastian auf. Es war ein stechender Schmerz im Rücken, der ihn weckte. Der Schritt vor die Hütte bot ihm einen Anblick zum totlachen: Der Doktor schien in der Nacht vom Stuhl gekippt zu sein. Er hatte sich daneben auf dem nackten Boden ausgestreckt und die Felle notdürftig über sich gezogen. Balmers Felle lagen unbeachtet neben dem Tisch. Er selbst lag an der Hüttenwand und wurde von zwei lebenden Fellen gewärmt. Rona und Reno hatten sich dicht an ihm zusammengerollt. Von weitem sah es aus, als schliefe dort ein riesiges Fellmonster mit seinen beiden Jungen. Drei haarige Leiber, zu einem Knäuel vereint, das sich an drei Stellen in unterschiedlichem Intervall hob und senkte. Man konnte leicht den Eindruck gewinnen, dort schlummerte ein riesiges außerirdisches Wesen ohne Kopf, Arme und Beine.
Die Sonne war noch nicht aufgegangen und diesige Schwaden hingen in der Luft. Die klaren Sommertage wollten sich anscheinend allmählich verabschieden. Leichter Tau lag glitzernd auf der Wiese. Der Wind, der am Vorabend leicht von den Gletschern wehte, schien ebenfalls noch in tiefem Schlaf zu liegen. Kein Lüftchen regte sich.
Lauknitz ging zurück in die Hütte, holte sein Waschzeug und humpelte in Richtung See. Rona und Reno hoben nur kurz den Kopf, überlegten wohl, ob sie ihm folgen sollten, entschieden sich aber dafür, die gemeinsame Wärme mit ihrem Herrchen noch eine Weile zu genießen. Sebastian war froh, einmal ohne die beiden Anhängsel zu sein.
Zum ersten Mal seit seinem Aufenthalt hier oben, konnte er ungestört nur Sebastian Lauknitz sein. Er ließ sich an diesem Morgen ausgesprochen viel Zeit. Bedächtig tat er jeden Schritt und entdeckte bei jedem Meter etwas Neues in der vielfältigen Flora. Manche Kräuter und Pflanzen kannte er aus dem Harz und aus dem Wallis, andere wiederum waren ihm völlig unbekannt und er glaubte sie zum ersten Mal zu sehen. Erstaunt war er über den blauen, stengellosen Enzian, der hier in bechergroßen Trichtern wuchs. Auch das schwarze Kohlröschen, das Sebastian nur daumengroß in Erinnerung hatte, erreichte hier oben das fünffache Ausmaß.
Einige Wolkenfetzen zogen oben am Berg dicht über dem Bannwald zu den Gletschern hinauf. Diese leuchteten noch nicht im gleißenden Weiß. Wie bleigraue Rückenpanzer vorzeitlicher Echsen lagen sie schweigend zwischen den Bergen, die durch den Dunstschleier nur schemenhaft zu erkennen waren.
Rechts über dem See, wo die Alpweide noch steiler zu den Felsflanken hin anstieg, war eine Herde von Tieren unterwegs, die einerseits seinen heimischen Steinböcken glich, jedoch andererseits wesentlich größere Hörner trugen, die noch mehr nach hinten eingerollt waren. Er hätte schwören können, irgendein Witzbold hatte da Steinböcke mit Mufflons gekreuzt. Aber diese Tiere dort oben schienen ihm von einer Größe, die eher einem Wasserbüffel gleich kam. Offenbar war hier alles größer, als er es bislang kannte.
Am See musste Sebastian erbärmlich frieren, bis er das Gefühl hatte, vollständig sauber zu sein. Es kostete eine sagenhafte Überwindung und alles an und in ihm zog sich zusammen. Verbissen kämpfte er sich durch sein ihm selbst auferlegtes Reinigungsritual, bestimmt durch die anerzogenen, gern ausgeführten Zivilisationsregeln seines Städterlebens. Hier draußen ging es allerdings nur schlicht darum, nicht völlig zu verdrecken und mit dem Eigengeruch den Ziegen Konkurrenz zu machen.
Von Balmers Viehherde, die gewöhnlich am See graste, war an diesem Morgen nichts zu entdecken. Vermutlich kannten die Viecher den täglichen Weg auf die Hochalm auswendig und hatten sich in der Macht des Gewohnheitstriebs selbstständig in Bewegung gesetzt.
Nach seinem Waschgang setzte sich Lauknitz an die Felsen und stopfte sich eine Pfeife. Er bemerkte, dass sein Tabak allmählich zur Neige ging. Das war zwar nicht lebenswichtig, aber unangenehm. Da kam ihm in den Sinn, den Doktor zu bitten, ihm bei seinem nächsten Besuch, denn den hatte er ja angekündigt, etwas Tabak mitzubringen. Vielleicht konnte er ihm ja sogar etwas zum Lesen besorgen, selbst wenn es nur Zeitschriften sein würden.
Sebastian dachte die Idee weiter. Möglicherweise würde er sich dazu überreden lassen, einen Boten damit zu beauftragen. Diesen konnte Basti dann mit einer Nachricht zum nächsten Postamt, oder zu einer Telefonzelle schicken, um Hilfe zu holen. Schließlich war er Gönnermitglied in der Schweizerischen Rettungsflugwacht und in der Schweiz verunglückt. Sollten die sich also bitte darum kümmern, dass er wieder nach Hause, oder zumindest in ein Krankenhaus gebracht wurde, wo er medizinisch fachliche Hilfe bekommen konnte.
Missmutig blickte Lauknitz auf sein Handtuch, das er zum Trocknen über eine Felsnase gehängt hatte. Frische Wäsche hatte er ebenso dringend nötig! Wenn er wenigstens etwas Waschpulver bekommen könnte. Högi Balmers Hütte hatte er danach durchsucht, leider erfolglos. Und bei dem Duft, den der Alte verströmte, konnte er annehmen, dass seine Klamotten das letzte Mal zu seiner Konfirmation Kontakt mit Wasser und Seife hatten.
So nach und nach wurde Sebastian bewusst, wie viele Dinge er entbehren musste, an die er sich im Leben so sehr gewöhnt hatte, die er als ganz selbstverständlich hinnahm. Auf seinen unzähligen Hochgebirgstouren in den letzten Jahren, hatte er zwar gelernt, Entbehrungen zu ertragen und Unbequemlichkeit hinzunehmen, doch immer nur freiwillig und auf Zeit. Stets wusste er, dass er, sobald er einer Situation überdrüssig wurde, wieder in einer trockenen, warmen Gaststube sitzen konnte, oder die Möglichkeit hatte, sich mit einer ausgiebigen Dusche in körperliches Wohlbefinden zu versetzen. Er konnte seine Bergtour abbrechen, wann immer ihm danach war und jederzeit in sein wohlbehütetes Zuhause zurückkehren.
Diese Bergtour, die er hier erlebte, war nicht einfach mal so zu beenden. Er war gefangen in dieser unangenehmen Situation. Aber er hatte die Willenskraft, diese so lange zu ertragen, bis er sich aus eigenen Kräften aus ihr befreien konnte. Und das war nur eine Frage der Zeit. Nein anders: Sebastian glaubte, dass es nur noch eine Frage der Zeit sein würde, der Zeit, wie er sie bisher kannte! Dass man einer persönlichen Lage gar nicht mehr entrinnen kann, diese Vorstellung existierte für ihn nicht...
Seine Pfeife war aufgeraucht. Inzwischen versuchte die Sonne den Kampf mit den Nebelschleiern für sich zu entscheiden. Nur zögerlich wichen die luftigen, weißen Gebilde der herabstrahlenden Wärme. Und mit jedem Meter, den der kosmische Ofen für sich gewann, erwachte das Leben auf dem Berg. Als tauchte die Alm aus einer Lähmung auf, wurden Farben kräftiger, Geräusche deutlicher und vielfältiger, und überhaupt schien wieder Bewegung in die Welt zu kommen. Der Morgen schüttelte sich aus dem nasskalten Mantel der Nacht.
Diesen Moment zu genießen, tat Sebastian gut. Schon immer waren ihm die Stunden der Sonnenauf- und untergänge die liebsten. Das Atem holen der Welt nach einer friedlichen Nacht, oder das Ausatmen nach einem bewegten Tag faszinierte ihn immer wieder. Es war, als würde alles auf diesem Planeten für einen Augenblick innehalten, um sich neu zu sammeln.
Einmal mehr war er Zeuge der Geburt eines Tages. Zum ersten Mal nahm er sich die Zeit, diese Almlandschaft um sich herum bewusst und mit allen Sinnen aufzunehmen.
Der blumendurchsetzte Grasteppich der Alpweide streckte sich wie ein Hochplateau einen knappen Kilometer in alle vier Himmelsrichtungen. In der Mitte befand sich die Senke mit dem See, dessen Wasser aus der Ferne wie ein Blautopas schimmerte. Auf der halben Längsseite wurde er von den Felsen eingefasst, zwischen denen Lauknitz seine Goldkassette versteckt hatte. Wie ein Wall begrenzte ein lang gezogener Hügel das Hochplateau. Dahinter fiel das Grasgelände leicht ab. Auf diesem Hang stand Balmers Hütte.
Er fragte sich, warum Balmer sein Häuschen an den Hang geklebt hatte, anstatt es auf diesem Plateau zu errichten. Vermutlich lief die Senke im Frühjahr nach der Schneeschmelze regelmäßig mit Schmelzwasser voll. Dass Balmer eine Abneigung gegen Wasser hatte, erzählten Basti ja bereits seine Ausdünstungen. Möglicherweise wollte er auch sein Vieh nicht direkt bei der Hütte haben. Hier in der Senke diente der See als natürliche Viehtränke. Die Tiere würden diesen Ort nach einem langen Tag auf der Hochalm kaum aus freien Stücken verlassen. Dieses Plateau diente Balmer offenbar als ein riesiger, offener Stall.
Zu beiden Seiten hin begrenzte dichter Tannenwald die grüne Fläche. Bergwärts wurde die Alm ebenfalls von Nadelwald umschlossen. An den beinahe eckigen Enden bildeten sich breite Schneisen. Sebastian vermutete, dass sie weiter hinauf führen würden. Dahinter schien es nur noch Wald zu geben, der wie ein Meer aus Bäumen nach einigen hundert Metern gegen graue Felsen zu branden schien. Diese Felsen ragten wie eine senkrechte, von Stufen, Vorsprüngen und Rissen durchzogene Mauer mindestens dreihundert Meter hoch auf. Oben auf der Abbruchkante standen wiederum Tannen, als würden sie auf einen geeigneten Zeitpunkt warten, um in die Tiefe zu springen. Und noch höher darüber erhoben sich schneeweiße Bergspitzen in den Himmel, deren Flanken und Gletscher von Bastis Standort aus nicht einsehbar waren. Sein erfahrener Blick verriet ihm, dass diese Berge viertausend Meter und höher sein mussten.
Der Kreis dieser Eisgiganten umschloss die Szenerie im Süden und im Westen. Im Norden schien ein tiefes Tal, das Balmer Val Mentiér nannte, zwischen ebenso hohen Gipfeln und der Alm zu liegen. Nur im Osten sah es so aus, als würden nicht ganz so hohe Berge den Horizont abschließen. In dieser Richtung sah Lauknitz nur den Wald und er vermutete, dass sich dort unten das Val Mentiér fortsetzte.
Weit oben, an den hohen Gipfeln und an den Graten hingen noch Wolkenfetzen, wie zähe, luftige Gebilde, die sich mit aller Macht gegen den Wind stemmten und sich am Fels verkrallten, um nicht abgetrieben zu werden. Doch stellenweise erlahmte ihre Anhänglichkeit und sie trieben weit hinaus, wo sie sich zerfaserten und auflösten. Manche Bergflanke und manches Gipfeleisfeld, von den lästigen, nassen Gebilden befreit, erstrahlte in hellgoldenem Glanz. Die Felsflanken waren mit frischem Weiß, wie mit Puderzucker überzogen. Es hatte also in der Höhe geschneit.
Die Herde Wildtiere, die Sebastian weiter oben beobachtet hatte, war in Richtung der westlichen Schneise weiter gezogen. Sie strebten wahrscheinlich höhere Gefilde an. Aus Erfahrung wusste er, dass Tiere, die nach oben zogen, gutes Wetter versprachen. Über der hohen Felskante im Süden tauchte ein Adlerpaar auf und begann am Himmel seine weiten Kreise zu fliegen. Windverwehtes Läuten von Balmers Herde untermalte alles mit einem beruhigenden Ton. An Stellen, wo die durchscheinende Sonne den Tau trocknete, begannen die Grillen mit ihrer Ouvertüre.
Der Frieden, den dieses harmonische Bild vermittelte, brachte Lauknitz innerlich zur Ruhe, ja es vermittelte sogar ein wenig Glücksgefühl. Trotz der vielen Ungewissheiten fühlte er sich zum ersten Mal seit einigen Tagen wieder etwas wohler. Dafür arbeitete sein Geist auch wieder ausgeglichener und begann erneut Fragen zu stellen.
Was meinte der Doktor damit, er würde sich in großer Gefahr befinden? Welcher Gefahr sollte er denn in dieser friedlichen, ruhigen Gebirgswelt ausgesetzt sein? Außer der natürlich, in die ihn jene bringen konnten, die dafür gesorgt hatten, dass er sich überhaupt auf dieser Alm befand. Vielleicht meinte der Medicus gar nicht diesen Ort, wenn er von Gefahren sprach. Möglicherweise bezog sich seine Sorge auf Leute, die Sebastian Lauknitz beseitigen wollten... Auf Leute, wie Bruno Ambühel? Und immer wieder warf sich von selbst die Frage auf, wo er sich hier denn eigentlich befand.
Hatte man ihn nach Kyrgistan verschleppt, oder in die neuseeländischen Alpen, oder wohin? Vor allem: Weshalb? War er jemandem zu unbequem geworden, wollte man ihn isolieren, oder wurde er auf eine Aufgabe vorbereitet? Wiederum musste er an die Möglichkeit einer Fernseh- Show denken, in der er vielleicht der ahnungslose Kandidat war. Doch wie hing Ambühel da mit drin? Spielte er mit seinen Knochenfunden nur den Lockvogel? Dann wäre der Aufwand allerdings riesig gewesen und konnte in keinem Verhältnis zum Produkt stehen.
Lauknitz kämpfte mit zu vielen Puzzleteilen, die einfach nicht ineinander passen wollten. In welcher Konstellation konnten die vielen Fragmente eine plausible Erklärung ergeben? Seine Gedanken liefen gegen eine Betonmauer. Jede Möglichkeit, die er zu durchdenken begann, lief ins Leere, weil sie einfach nicht zu dem passte, was er hier erlebte.
Ein Kaffee wäre jetzt nicht schlecht! Wenn er in der Vergangenheit nachdachte und mit seinen Hypothesen nicht weiter kam, half ihm ein guter Kaffee stets auf die Sprünge. Doch dieses in aller Welt gebräuchliche, wohlschmeckende Getränk, schien Balmer völlig unbekannt zu sein. Weder bot er ihm bislang einen Kaffee an, noch fand Basti welchen zwischen den chaotisch angeordneten Dingen in Högis Behausung.
Kaffee hatte in Sebastians Leben bis zu diesem Zeitpunkt eine große Bedeutung. Er diente ihm nicht nur zum wach werden, sondern eignete sich auch sehr gut als vorbeugendes Mittel gegen seine Migräne, die ihn regelmäßig überfiel. Unwillkürlich dachte er darüber nach, wie er sich hier oben längere Zeit gegen Migräneattacken wappnen sollte, wenn er keinen Kaffee bekam und auch seine Tabletten gegen Verspannungen zur Neige gehen würden...
Ein plötzlich über ihm auftretendes Geräusch unterbrach Sebastians Gedanken. Es war ein kurzes pfeifendes Rauschen, ähnlich dem, welches er am ersten Tag vor Balmers Hütte gehört hatte. Zog das Adlerpaar, das er vorhin beobachtet hatte, so dicht über die Felsen, dass er seinen Luftzug hören konnte? Gespannt suchte er den Himmel über sich ab. Außer einigen Nebelfetzen war nichts zu entdecken. Den Himmel hinter den Felsen, an denen er saß, konnte er freilich nicht einsehen.
Wieder vernahm er das unheimliche Geräusch, diesmal wesentlich näher und lauter. Unvermittelt brach es ab, gefolgt von einem Laut, als würde jemand einen nassen Sandsack in das Almgras fallen lassen. Diese Laute kamen eindeutig von jenseits der Felsen. Erschrocken fuhr Lauknitz auf, steckte seine Pfeife ein und humpelte mit seinen Krücken vorsichtig um die Felsen herum. Die Wiese stieg links um die Felsen herum stetig an und ließ die grauen Zacken niedriger erscheinen. Vorsichtig bewegte er sich von Steinblock zu Steinblock. Seine Schmerzen schienen von der inneren Anspannung wie weggezaubert. So leise er das mit seinen Gehhilfen konnte, schlich Basti an den Felsen entlang. Nach ein paar Minuten war das Gelände so weit angestiegen, dass es ihm erlaubte, über den Felsriegel zu spähen. Er konnte jedoch nichts weiter erkennen, als verstreut liegende Gesteinstrümmer und die ansteigende Alpweide. Aufmerksam suchte er den Himmel gegen den Bannwald hin ab. Er war leer. Lediglich kleine, ausgefranste Reste von Wolken zogen fliehend dahin.
Hatte er sich etwas eingebildet? Nein, das Rauschen und der Plumps waren deutlich zu hören! Vielleicht hatte sich oben an der Felskante ein Block gelöst und war auf dem Alpgrund aufgeschlagen? Aber wäre das nicht noch lauter gewesen? Allmählich begann er an seinem Verstand zu zweifeln. Vermutlich drehte er langsam durch! In seiner Situation war das auch kaum mehr verwunderlich.
Nachdem er sich wieder etwas beruhigt hatte, beschloss Sebastian, an seinen Waschplatz am Fuße der Felsen zurückzukehren, um noch eine Weile sein Alleinsein zu genießen. Balmer und der Medicus lagen gewiss noch im Rausch. Unbedacht und in Gedanken noch bei den beiden Zechern war er um eine vorstehende Felsnase herumgehumpelt und prallte augenblicklich wie gegen eine unsichtbare Wand...
Sebastian erstarrte. Der Schreck ließ seinen Herzschlag aussetzen und er glotzte ungläubig auf etwas, das einem Alptraum entsprungen sein musste. Mit einem Mal wurde ihm ganz flau im Bauch und seine Sinne drohten zu schwinden. Heiße und kalte Schauer liefen ihm über den Rücken. Etwa zehn bis fünfzehn Meter vor ihm wuchs etwas aus dem Boden, das eigentlich nur eine Halluzination sein konnte. Er stand da, ungläubig, zu keiner Bewegung fähig, und starrte hinüber zu diesem Wesen. Gleichzeitig spürte er etwas Warmes sein Hosenbein hinab rinnen...
Dort drüben stand ein Saurier, oder ein Drache, wie aus einem Märchen, oder was auch immer. Und er hatte sich vor Schreck in die Hose gemacht. Aber das war im Augenblick Nebensache.
Dieses Vieh, das ihm einen Steinwurf entfernt gegenüberstand, war offensichtlich aus der Epoche des Jura übrig geblieben. Es hatte ungefähr die Größe eines Elefanten und seine Farbe variierte zwischen Grün, Grau und Braun. Wie die Darstellung eines chinesischen Drachen besaß es vier Beine, wobei die Vorderbeine kräftiger ausgeprägt schienen. Sein Kopf ähnelte dem eines Hundes, freilich viel größer. Zwei graugelbe, kalte Augen musterten Sebastian. Das Maul war mit verhältnismäßig kleinen, aber sehr spitzen Zähnen besetzt. Auf dem Kopf befanden sich stehende, kleine Hornplatten, die sich über den Hals und den restlichen Körper fortsetzten und auf dem Rücken mit einer Höhe von ungefähr einem halben Meter am größten waren. Die gesamte Oberseite des Körpers, einschließlich des langen Halses, war mit einer Art Schuppen besetzt. Die Beine waren kurz und stämmig und endeten in drei Zehen mit fürchterlichen Krallen, sowie einem Sporn nach hinten, der wie bei einem Hahn etwas höher angesiedelt war. Zwei mächtige Schwingen, wie die einer Fledermaus, saßen an den Schultern des Biestes und bedeckten beinahe seine gesamte Flanke. Das Tier stellte seine Flügel etwas vom Körper ab, wie Vögel das tun, wenn sie sich etwas verausgabt haben. Ein mächtiger Schwanz, der ein Drittel der gesamten Körperlänge ausmachte, wedelte in schlangenhaften Bewegungen hin und her. Die Reihe aufgestellter Hornplatten nahm an Größe zum Schwanzende hin ab. Dort jedoch befanden sich noch einmal drei sehr spitze Platten, mindestens vierzig Zentimeter groß, die sicherlich eine fürchterliche Waffe sein konnten. Ihre Anordnung erinnerte Sebastian an die hinteren Flügel und das Leitwerk eines Flugzeugs.
Lauknitz stand wie gelähmt da und starrte fassungslos auf dieses Wesen, das er bisher nur aus Märchen kannte, das aber tatsächlich existierte und lebendig von ihm stand. Sein dringlichster Wunsch war, auf dem Absatz kehrt zu machen und mit dem Tod im Nacken um sein Leben zu laufen. Doch ihm wurde ganz schnell klar, dass er gar keine Chance gehabt hätte. Wozu hätte dieses Vieh sonst seine Flügel gehabt?
Intuitiv erinnerte er sich an das empfohlene Verhalten bei der Begegnung mit einer Schlange. Still halten! Nun, das war leichter gedacht, als getan. Basti zitterte nämlich dermaßen, dass dieses Wesen dort annehmen musste, er würde sich rasch bewegen. Zu großen Denkanalysen war er gar nicht fähig. Rein instinktiv versuchte er ganz langsam und vorsichtig rückwärts zu gehen, zurück in Richtung der schützenden Felsen, aber ohne dieses Monster aus den Augen zu lassen.
So plump ihm dieses Biest auch erschien, seine Wahrnehmung musste aber sehr empfindlich und wach sein. Es knickte seine Vorderbeine ein wenig ein, senkte seinen Vorderkörper, und streckte seinen Hals vor. Dabei begann sein Schwanz wild hin und her zu schlagen. Wehe dem, der jetzt in seinen Wirkungskreis geriet!
Schweißgebadet versuchte sich Sebastian weiter Schritt für Schritt zurück zu ziehen. Das musste diesem Tier offenbar missfallen. Plötzlich stieß es einen markerschütternden Schrei aus und seinem Rachen entfuhr eine weiße Wolke, die sich augenblicklich blau färbte und dann Orange. Ein Feuerball raste auf Lauknitz zu, hüllte ihn in eine sengende Welle, verpuffte jedoch gleich wieder und hinterließ einen Gestank nach einem Dutzend Körbe verfaulter Eier. Er war völlig überrumpelt. Die Möglichkeit, dass es Drachen gab, hatte Sebastian bisher ausgeschlossen und wurde eines Besseren belehrt. Aber, dass diese auch noch wie im Märchen Feuer spucken konnten, dass setzte doch allem die Krone auf!
Viel Schaden hatte der missgelaunte Flammenwerfer nicht angerichtet. Ein paar der feinen Härchen, die Sebastians Arme besiedelten, waren zu winzigen Kügelchen zusammengeschrumpft, das war alles. Andererseits hatte er auch nicht den Bedarf herauszufinden, was dieses Fabeltier noch alles konnte, oder um wie viel heißer sein Atem bei Verschlechterung seiner Laune noch werden konnte. Also blieb er erst einmal stehen und bewegte sich nicht. Der durchdringende Schrei steckte ihm aber noch in den zitternden Knochen. Es war derselbe Schrei, den er am ersten Tag hörte, als dieser riesige Schatten Högi Balmers Hütte überflog.
Das also war ein Gor! Nun, der Name passte. Allmählich wurde Basti auch klar, weshalb ihn der Alte und der Doktor ermahnt hatten, nicht auf die Gesellschaft von Rona und Reno zu verzichten. Und ein paar Minuten später sollte ihm das so richtig bewusst werden...
Das wütende Monster, das anscheinend aus der Siegfried- Sage entflohen war, beruhigte sich auch dadurch nicht, dass Sebastian es aufgegeben hatte, sich zurückzuziehen. Als rüstete es sich zum Sturmangriff schlug es einmal weit ausholend mit seinen riesigen Schwingen und nahm eine geduckte Haltung ein. Dann schnellte es drei Schritte vor und blieb abrupt wieder stehen. Wohlgemerkt, drei Schritte gemessen an seiner Körpergröße!
Die Absicht dieses Urzeitviehs war Lauknitz völlig klar. Er sollte das Sahnehäubchen auf dessen Frühstück werden! So fieberhaft er auch nach einem Ausweg suchte, er konnte keine Möglichkeit entdecken, ihm seinen Appetit auszureden. Und da ihm die ganze Situation sowieso aussichtslos erschien, meinte er, alles auf eine Karte setzen zu müssen.
Tiere ließen von ihren Opfern ab, wenn ihnen die Situation zu unbequem wurde, hatte Sebastian einmal gehört. Nun, dies war ein Tier. Ein urzeitliches zwar, aber doch immer noch ein Tier! So flink er konnte, bückte er sich, griff wahllos nach einem der vielen herumliegenden Steine, holte aus und warf ihn dem Monster an seinen hässlichen Schädel. Das hätte er besser gelassen!
Der Stein flog in einem eleganten Bogen durch die Luft und krachte dumpf gegen die Stirn des Drachen. Der stieß wiederum seinen fürchterlichen Schrei aus und schüttelte ärgerlich sein hässliches Haupt. Mehr konnte seine Verteidigung dieses Biest nicht beeindrucken. Statt dessen pustete es ihm einen zweiten Feuerball entgegen, diesmal schon intensiver. Es stank nach versengtem Haar und Lauknitz hatte das Gefühl, verbrennen zu müssen. Glücklicherweise war es wohl nur Gas, das sehr rasch verpuffte. Natürlich wusste er in dieser Situation nicht, wie viel heftiger die Hustenanfälle dieses Wesens noch werden konnten.
Auf jeden Fall hatte er das Biest jetzt so richtig sauer gemacht. Es schnaubte und schrie, als sei es selbst das Opfer und ging unmissverständlich in Angriffstellung. Schon setzte es zum Sprung an, um Sebastian in tausend Fetzen zu reißen. Genau in diesem Moment schossen zwei braune Pfeile aus dem Nichts heran. Rona und Reno!
Einer von beiden Hunden, welcher, das konnte Basti im Eifer des Gefechts nicht gleich erkennen, verbiss sich im Hals des Sauriers, der andere sprang zwischen dessen Beinen hin und her, unschlüssig, an welcher Stelle er das Tier angreifen sollte. Das Vieh bäumte sich auf, schlug mit seinem Schwanz um sich, stellte drohend seine Schwingen auf und machte einen Lärm, dass man meinen konnte, die Pfeife einer Dampflokomotive und das Triebwerk eines Düsenjets versuchten sich gegenseitig an Lautstärke zu übertrumpfen.
Lauknitz seinerseits hob einen Stein nach dem anderen auf und zielte mit den schweren Geschossen auf den mächtigen Leib des Untiers. Und das wurde immer wütender. Wild warf es seinen Kopf hin und her. Rona hing noch immer an seinem Hals und flog wie ein nasser Scheuerlappen von einer Richtung in die andere, ließ das Biest jedoch nicht los und knurrte böse. Aus dem Hals des Drachen rann Blut und spritzte durch die Luft.
Reno flitzte noch immer unter dem massigen Körper des Viehs umher und versuchte das Wesen an einer geeigneten Stelle anzufallen. Wie Granaten ließ Basti seine Steine auf den Bauch des Drachen donnern. Irgendwie hatte er das Gefühl, dass es jetzt an ihm war, die beiden Hunde Balmers aus ihrer Zwickmühle zu befreien. Sie hatten ihm die Zeit verschafft, die er brauchte, um Luft zu holen. Jetzt konnte er zurückhusten!
So gezielt wie möglich versuchte er mit seinem Bombardement die Weichteile des Tieres zu treffen. Irgendwie musste er damit auch Erfolg gehabt haben, denn plötzlich knickte der Drache in den Vorderläufen ein, krachte schwer zu Boden und schrie wie am Spieß. Doch der war noch lange nicht am Ende!
Heftig mit seinen großen Schwingen rudernd sprang er wieder auf die Beine und versuchte Rona mit einem seiner Krallenfüße abzustreifen. Doch er konnte sie nicht erreichen und Rona ihrerseits hing mit der eisernen Klammer ihres Gebisses wie ein unliebsames Schmuckstück weiter an seinem Hals. Der wies mittlerweile eine klaffende Wunde auf, aus der unablässig Blut strömte. Überall hin spritzte der rote Lebenssaft. Blut klebte an den Felsen, im Gras und an Balmers Hunden. Der Platz glich inzwischen einem Schlachtfeld.
Das Urtier hatte es endlich aufgegeben, Rona abschütteln zu wollen. Sein Instinkt sagte ihm wohl, dass es zwecklos war. Dafür wandte es sich nun Reno zu, der immer noch versuchte, seine Flanke anzugreifen. Es schnappte nach ihm und stieß neue Feuerbälle aus, die aber nur noch den Charakter einer Fehlzündung hatten und wirkungslos verpufften. Offensichtlich ging dem Biest der Gasatem aus. Es drehte sich wie wild, schlug mit den Flügeln und sein Schwanz zuckte unkontrolliert herum.
Bastis nächster Stein, ein besonders großer, traf das Tier an der Schulter. Es ließ von Reno ab und drehte sich zu ihm um. Sein Schwanz schwang ebenfalls plötzlich herum. Diese Bewegung kam für Reno völlig unerwartet. Das bewaffnete Schwanzende traf den Hund voll in die Flanke. Er jaulte auf und flog in hohem Bogen gegen die Felsen, wo er mit einem dumpfen Laut aufschlug und zu Boden fiel. Vor Schreck schrie Sebastian seinen Namen, doch er rührte sich nicht mehr.
Sogleich beschäftigte sich der Drachen wieder mit Rona, die nach wie vor wie eine Klette an seinem Hals hing. Als hätte das Biest aus der Situation gelernt, schlug es seinen ganzen Körper gegen die Felsen, die inzwischen mehr rot als grau waren. Das war dann auch für Rona zu viel. Sie ließ von dem Urzeitvieh ab und begann es in größerem Abstand laut bellend zu umrunden.
Der Drache blieb mit gesenktem Haupt stehen und glotzte Lauknitz an. Und der hielt seine letzte Stunde für gekommen. Es war nun unerheblich, ob er weglaufen wollte oder nicht. Intuitiv hob er noch einmal einen Stein auf und erwartete die endgültige Attacke. Doch plötzlich und unerwartet brach der Saurier zur Seite, zum See hin aus. Er ruderte mit seinen Schwingen und lief zuerst am Ufer entlang und dann den Hügel hinauf. Wie schnell das Biest war! Es nahm einen weit ausholenden Anlauf und versuchte sich auf der Hügelkuppe in die Luft zu erheben. Es gelang ihm aber erst beim dritten Versuch wieder Hügel abwärts. Schwerfällig wie ein Globemaster Transportflugzeug hob es ab und gewann nur allmählich an Höhe.
Mit markerschütterndem Schrei überflog es ein paar Mal den Schauplatz des Kampfes und verschwand dann hoch oben am Bergansatz über der Felsenkante. Rona hetzte noch einige dutzend Meter hinter dem Drachen her, gab es jedoch schließlich auf. Hinkend und mit heraushängender Zunge kam sie zu Sebastian zurück geschlichen.
In diesem Augenblick erschienen zwei Gestalten auf dem Hügelkamm. Zweifelsohne waren das der Doktor und Balmer, die der Kampflärm wohl aus ihrem Delirium gerissen hatte. Wie ein Schnellläufer kam der Medicus den Hang herab gerannt, gefolgt vom humpelnden Balmer. Hätte Sebastian die ernste Situation nicht noch in den Knochen gesteckt, er hätte über das Bild, das die beiden boten, lachen müssen. Während der Doktor elegant jeden Felsen und jedes Gewächs übersprang, wackelte der Alte wild gestikulierend zwischen den Hindernissen hindurch abwärts.
Falméras Medicus erreichte Sebastian als erster. Angesichts des vielen Blutes, das nun die Landschaft zierte, etwas blass um die Nase. Und in der Tat sah es in der näheren Umgebung so aus, als hätte ein moderner Künstler seinen roten Farbtopf aus Wut mit einem Vorschlaghammer bearbeitet. Dann schnaufte Högi Balmer heran und Lauknitz war sich nicht sicher, wer heftigere Atemgeräusche hervorbrachte, der Drache oder der Alte.
»Bei den heiligen drei Türmen der Götter von Tálinos, was war denn hier los?«
Fassungslos und gehetzt sah sich Balmer um und suchte offenbar nach dem Übeltäter, der seine schöne, grüne Almweide mit roter Farbe bespritzt hatte. Rona trabte zu ihm heran, legte ihre Pfoten auf seinen Bauch und leckte ihm den Hals, als wollte sie sich für das Geschehene entschuldigen.
Dann erblickte der Alte seinen anderen Hund. Regungslos lag Reno an der Stelle, an der er gegen die Felsen schlug. Sebastian bekam Angst, Balmer könnte annehmen, er hätte seinen Hund so zugerichtet und das Blut würde von ihm stammen. Stotternd versuchte er eine Erklärung, aber Högi Balmer hörte gar nicht zu. Er wankte zu Reno hinüber, ließ sich auf die Knie fallen und streichelte liebevoll das struppige, blutverschmierte Fell des Hundes.
Verzweifelt sah Sebastian den Doktor an: »Ich kann nichts dafür, das Vieh war plötzlich da..., dann kamen die Hunde dazu...« Falméras Medicus hob beschwichtigend die Hand. Er musterte ihn und fragte: »Ihr seid unverletzt?«
»Ja, aber Reno hat es übel erwischt, glaube ich...« Die Sorge, die in Sebastians Antwort mitschwang war echt. Und sie erstaunte ihn selbst. Es war das erste Mal in seinem Leben, dass er für einen Hund Mitgefühl empfand. Grundsätzlich hasste er alle Hunde, seit er denken konnte. Diesen stinkenden, sabbernden und hechelnden Kreaturen ging er aus dem Weg, wo immer er sie auch antraf. Doch an diesem Tag begann er, zwei Hunde regelrecht lieb zu gewinnen. Das mag vielleicht auch etwas mit Dankbarkeit zu tun gehabt haben. Dennoch hielt er es plötzlich nicht mehr für unmöglich, dass zwei Hunde seine Freunde werden konnten.
Als Reno ihn seinen Namen sagen hörte, erwachte er wieder zum Leben. Er spitzte seine Ohren, hob den Kopf und ließ ihn wieder kraftlos zurücksinken. Der Doktor hockte sich neben Balmer und untersuchte die tiefe Wunde, die quer über die Seite von Renos Körper verlief. Reno zuckte bei jeder Berührung zusammen und winselte erbärmlich. Rona lag, mit Vorderpfoten und Schnauze an Renos Kopf, still da und beobachtete aufmerksam Balmer und den Doktor, als wollte sie sichergehen, dass die beiden Menschen ihren Reno auch wirklich richtig behandelten.
Seufzend erhob sich der Doktor, sah Lauknitz an und schüttelte langsam den Kopf: »Da ist nichts mehr zu machen, der kommt nicht mehr auf die Beine.«
»Was heißt das, da ist nichts mehr zu machen«, fragte Sebastian aufgebracht. »Wir werden es doch wohl wenigstens versuchen, oder?« Hoffnungsvoll sah er den Medicus an.
Der zuckte verzweifelt mit den Achseln und sagte leise, damit Balmer es nicht hören sollte: »Die Wunde ist zu groß, zu tief und er hat zu viel Blut verloren. Ich würde ihn nur noch quälen, wenn ich an ihm herumdoktorn würde. Das beste wäre...«
Er sprach nicht zu ende, machte aber ein unmissverständliches Zeichen mit dem Daumen an seiner Kehle vorbei. Basti verstand sehr wohl, dass sie Reno von seinen Schmerzen erlösen sollten. Högi Balmer hing sehr an seinem Hund und der Doktor wollte seine Absicht nicht so offensichtlich kund tun.
Das brauchte er auch gar nicht. Der Alte begriff auch ohne das forensische Urteil des Doktors, wie es um Reno stand. Er rappelte sich stöhnend hoch, wankte ein paar Sekunden und sah sich um. Dann ging er zielstrebig zu den Steinen hinüber, die Sebastian dem Urvieh an den Leib geschmettert hatte und hob den größten von ihnen auf. Rona blickte mit den traurigsten und treuesten Augen, die Basti je bei einem Hund gesehen hatte, zu Högi auf, als der sich fast feierlich vor Reno hinstellte, den groben Stein in seinen beiden erhobenen Händen. Rona begriff offenbar, was nun folgen sollte und akzeptierte es still. Sie leckte Reno vorsichtig über das Hundegesicht.
Das war zu viel für Sebastian. »Nein!«, hörte er sich laut und bestimmt sagen. »Nein, das tun wir nicht!« Er wiederholte es bewusst und mit Nachdruck. Der Alte rührte sich nicht, sah nicht einmal zu ihm herüber. Beruhigend legte der Doktor seine Hand auf Bastis Arm und sagte gewichtig: »Versteht doch, das muss jetzt sein. Es geht nicht anders. Soll sich der Hund unnötig herumquälen?«
Erst war Sebastian unschlüssig, doch unvermittelt wurde ihm klar, dass dieser Hund leben sollte. Eine innere Stimme befahl ihm, dafür zu sorgen, dass dieses Tier nicht sterben musste! Er wollte nicht hier sein und dies war auch nicht seine gewohnte Umgebung. Aber er war nun einmal hier und dieser Hund hatte versucht ihn vor diesem Drachen zu beschützen. Jetzt ging ihn das auch etwas an!
»Nein«, fuhr er entschlossen fort, »ihr werdet Reno nicht mit diesem Stein erschlagen, wie eine giftige Schlange! Er hat mir das Leben gerettet und hat mehr als verdient, weiter zu leben!«
»Na sieh einmal an«, hörte Lauknitz den Doktor erstaunt sagen, »mal davon abgesehen, dass dies nicht nur von uns abhängt, wechselt ihr eure Ansichten wohl mit dem Wetter, was? Gestern noch habt ihr Balmers angeblich räudige Köter in den letzten Winkel des ewigen Eises verflucht. Und nun wollt ihr einen von ihnen aus dem Reich der Toten zurück holen.«
»Reno ist noch nicht tot«, entfuhr es Lauknitz, »so schnell stirbt es sich nicht!« Er trat Falméras Medicus in den Weg, der einen Schritt auf Reno zugehen wollte.
Augenblicklich redete sich Sebastian in Rage: »Verdammt noch mal, was soll das! Ihr lebt hier abgeschieden in der Einsamkeit der Natur, noch dazu wie ein Paar dummer Heiden im Mittelalter und kommt offensichtlich gut dabei zurecht. In Högi’s Hütte habe ich getrocknete Pflanzen und Kräuter gesehen. Ihr werdet ja wohl irgendein so’n heilendes Grünzeug auf Lager haben, das diesem armen Hund hier wieder auf die Beine helfen kann, oder?«
Basti ließ seinen Ausbruch eine Weile wirken. Selbst Balmer drehte sich nun erstaunt zu ihm um und ließ die Hände sinken. Das bestätigte ihn und er nahm erneut verbalen Anlauf: »Dieses Tier hat ohne zu zögern sein Leben eingesetzt, um mir zu helfen. Und solange Reno nicht tot ist, werde ich dasselbe für ihn tun!«
»Nein, noch ist er nicht tot«, gab der Doktor zu, »er wird es aber bald sein, wenn wir hier noch lange herumreden!«
Sebastian sah den Doktor erstaunt an, ungläubig bezüglich seiner plötzlichen Sinneswandlung.
»Heißt das, ihr wollt ihm helfen?«, fragte er vorsichtig.
»Nein, ihr werdet ihm helfen«, entgegnete der geheimnisvoll, »und ich werde euch dabei helfen!« Anscheinend hatte der Doktor begriffen, dass es sinnlos war, ihm sein Vorhaben auszureden. Die Erkenntnis machte Sebastian Mut:
»Na schön«, sprudelte es aus ihm heraus, »ihr seid der Doktor hier. Was könnt ihr mir raten, was ich tun soll, damit Reno am Leben bleibt? Oder wie sonst könnt ihr mir helfen?«
Der Doktor sah ihn noch ein wenig zweifelnd an: »Ist euch klar, worauf ihr euch da einlasst? Möglicherweise müsst ihr rund um die Uhr neben diesem Hund wachen, ihn pflegen und mit ansehen wie er sich vielleicht Tage oder Wochen lang herumquält und es dann letztlich doch nicht schafft. Und ihr wollt doch so schnell wie möglich wieder fort von hier, oder?«
Den sarkastischen Unterton in seiner Mahnung überhörte Lauknitz und brachte ihn mit einer energischen Handbewegung zum Schweigen, als er fortfahren wollte.
»Lasst das jetzt«, sagte er vorwurfsvoll, »ihr wisst genau, dass ich noch eine Weile zum Verbleiben gezwungen bin, oder wollt ihr das bestreiten?« Basti holte tief Luft: »Also los jetzt, was kann ich tun, Herr Doktor?«
Falméras Medicus entließ einen tiefen Seufzer in die mit Blut bespritzte Landschaft und begann zu kooperieren: »Also zunächst mal müssen wir Reno zur Hütte bringen. Sollte er das überleben, werden wir seine Wunden reinigen und ich werde den tiefen Riss in seiner Seite nähen. Väterchen Balmer mixt eine Tinktur aus Heilkräutern«, bestimmte er, indem er den Alten ernst ansah. »Alles andere hängt dann von den Göttern, von euch und eurer Pflege ab...«
Högi Balmer, in der zu recht erwachten Hoffnung, seinen Hund doch nicht zu verlieren, beendete seine Trauer und begann hektisch zu suchen: »Es braucht etwas zum Tragen..., etwas um Reno zu tragen, brauchen wir..., es sollte etwas sein...«, dabei griff er nach der Tasche mit Sebastians Waschzeug, die immer noch bei den Felsen lag und ebenfalls mit Blut verschmutzt war.
»Alles Quatsch!«, unterbrach ihn Lauknitz. Jetzt war er in seinem Element. »Wir nehmen das hier!«, bestimmte er einfach. Dabei hob er seine Gehhilfen auf, knöpfte seine Lederjacke zu und zog die Krücken als Stiele hindurch, so dass das Ganze eine durchaus brauchbare Trage ergab.
Der Doktor hob bewundernd seine Augenbrauen, konnte sich aber eines bissigen Kommentars nicht enthalten: »Und wie um alles bei den Göttern wollt ihr selbst wieder zur Hütte gelangen?«
Na, der sollte sich wundern! »Das wird schon irgendwie gehen! Los jetzt, fasst ihr dort an«, befahl er Balmer, »und wenn der Herr Doktor gnädigst die Güte haben wollen, am anderen Ende...«
Falméras Medicus hatte die Güte! Er und Balmer hoben Reno hoch und gingen vorsichtig los. Rona wich ihnen keinen Meter von der Seite. »Geht schon, nehmt keine Rücksicht auf mich, ich komm’ schon klar«, rief Sebastian und begann sich unter höllischen Schmerzen ebenfalls in Bewegung zu setzen.
Dabei fragte er sich, wo die Schmerzen waren, als er sich gegen das urzeitliche Monster verteidigen musste. Er kam auf den Gedanken, dass seine Schmerzen wohl zu einem Teil bloße Einbildung waren. Schmerzen, die sich nur in seinem Kopf abgespielt hatten. Wenn die Ablenkung groß genug war, spürte er sie gar nicht mehr. Also zwang er sich selbst zur Ablenkung. Das war einfach. Er begann nach dem Gor Ausschau zu halten, ob der nicht doch noch einmal aus dem Hinterhalt angriff. Insgeheim aber wusste er, dass der erst einmal die Schnauze voll hatte und sicherlich damit beschäftigt war, seine eigenen Wunden zu lecken.
Dann erst wurde ihm ganz plötzlich bewusst, was er da eigentlich erlebt hatte. Er hatte mit einem Tier gekämpft, dass es nur in Märchen und alten Mythen gab, das es nicht geben konnte. Aber es war da! Groß, lebendig und echt. Das war kein Traum, das war die Wirklichkeit! Nur würde ihm diese Wirklichkeit niemand glauben. Wem immer Sebastian auch davon hätte erzählen wollen, er würde ihn für verrückt gehalten haben. Er wusste, dass es keine Feuer speienden Drachen geben konnte. An diesem Tag aber wollte ihn einer zum Frühstück verspeisen!
Da er sich sicher war, nicht unter Wahnvorstellungen zu leiden, begann er darüber nachzugrübeln, wieso eine Kreatur existieren konnte, welche die gesamte Menschheit für eine Legende hielt und deren Existenz selbst in der Vergangenheit, bisher nicht bewiesen werden konnte. Gewiss, er hatte schon verschiedentlich von Genmanipulationen gehört und in manchen Fantasy- Filmen hatte man die phantasievollsten Monster bereits mehr als einmal zum Leben erweckt. Aber eben nur auf der Leinwand, zweidimensional! Dieses Vieh, das ihn angegriffen hatte, war eindeutig dreidimensional und lebte. Und wie es lebte!
In Gedanken fuhr sich Sebastian wie zur eigenen Bestätigung, dass er noch nicht völlig durchgedreht war, durch die Haare. An einigen Stellen waren seine Haarspitzen zu winzigen Kügelchen zusammengeschmort. »Blödsinn!«, hörte er sich zu sich selbst sprechen, »ich weiß doch noch, was ich sehe! Dieses Vieh war definitiv da!«
Aber woher kam es? Hatten es diese verrückten Macher und Lenker dieser Welt am Ende doch getan? Hatten die mit Genmaterial herumgebastelt, um irgendwelche Kreaturen zu züchten, womöglich irgendwelche biologischen Kampfmaschinen für ihre ewigen Kriege? Unsinn! Es gab keine biologischen Maschinen! Aber dieses Biest dort bei den Felsen, das gab es, da biss die Maus keinen Faden mehr ab!
Auf dem gesamten Weg zur Hütte zerbrach er sich seinen Schädel darüber, wer um alles in der Welt der Natur derart ins Handwerk gepfuscht haben mochte. War das auch der Grund für seinen erzwungenen Aufenthalt in diesen Bergen? Wollte jemand gerade das, was er an diesem Tag erlebt hatte, vor der übrigen Welt geheim halten? War Sebastian Lauknitz unabsichtlich in das schrecklichste, unvorstellbarste und absurdeste Geheimnis der Erde gestolpert?
Für den Weg zur Hütte brauchte Basti länger, als ihm lieb war. Natürlich hatte er dadurch Zeit, über alles nachzudenken. Das Schicksal Renos jedoch, war ihm in diesem Moment wichtiger. Irgendwie hatte er das Bedürfnis, sich gerade zu diesem Zeitpunkt für dieses Tier einzusetzen. Entsprechend ungeduldig stolperte er den steinigen Weg entlang, den Hügel hinauf und auf der Talseite wieder hinab. Bei jedem Schmerz biss er die Zähne zusammen, was den zweifelhaften Erfolg in sich barg, dass sein Gebiss bald mehr schmerzte, als seine Rippen.
Sobald er die Hütte erreichte, kam ihm Rona entgegen, strauchelte um Lauknitz herum, dass er fast noch gestürzt wäre und leckte freundschaftlich seine Hand. Er ließ es zu. Obwohl er es immer schon als ekelhaft empfand, von Hunden beschnüffelt oder angeleckt zu werden, trieb ihn die innere Abneigung nicht mehr dazu, das Tier mit Gesten und Worten grob davon zu scheuchen. Irgendwie war zwischen ihm und diesen zwei Hunden plötzlich ein Vertrauensverhältnis entstanden, das er nicht erklären konnte. Vielleicht war es aber auch nur die Dankbarkeit, die ihn so empfinden ließ und die sich bald wieder verflüchtigen würde. Sebastian war sich selbst nicht ganz klar über seine Gefühle für diese beiden Hunde, die an diesem Tag offensichtlich sein Leben gerettet hatten.
Der Doktor und Balmer hatten eine der immer noch herumliegenden Decken auf dem Holztisch vor der Hütte ausgebreitet und Reno darauf gelegt. Mit aufgekrempelten Hemdsärmeln stand der Doktor über Balmers Liebling gebeugt und betastete die tiefen Wunden des Hundes. Der Alte lehnte etwas abseits im Schatten der Hütte, unschlüssig, was er im Augenblick tun sollte.
Ohne aufzublicken sagte der Doktor: »...Wasser, ich brauche heißes Wasser...!«
Mit einem scharfen Messer begann er damit, das Fell Renos abzurasieren, um die Wunden freizulegen. »...Wasser, Väterchen Balmer, heißes Wasser!«, rief er fordernd, als er bemerkte, dass sich der Alte noch nicht vom Fleck gerührt hatte.
Balmer erwachte aus seiner Nachdenklichkeit und verschwand übertrieben hektisch in der Hütte. Kurz darauf erklang aus dem Dunkel seiner Behausung ein Scheppern und Rumoren, dass Sebastian annehmen musste, er würde seine Behältnisse und Gefäße mit einem dicken Knüppel verprügeln. Offenbar suchte er etwas, das er seit Langem nicht mehr benutzt hatte und dessen Aufenthaltsort er nur noch vermuten konnte. Bildlich stellte sich Basti das Durcheinander vor, dass er in seiner ohnehin schon unordentlichen Hütte veranstaltete und musste grinsen.
»Ja, ja, der alte Balmer...«, schüttelte Falméras Medicus leicht belustigt den Kopf, »...ein Chaot, liebenswürdig zwar, aber ein hoffnungsloser Chaot!«
Wie um diese Ansicht zu widerlegen, erschien Högi Balmer mit gleich drei riesigen Tonschüsseln im Eingang und stellte sie neben die Feuerstelle am Haus. Dann hinkte er mit zwei Holzeimern davon, um Wasser zu holen. Da er sich zu beeilen versuchte, sah sein wackeliger Gang noch komischer aus. Irgendwie erinnerte er Sebastian an einen in Panik flüchtenden Pinguin.
Nur kurz sah der Doktor von seinem behelfsmäßigen Operationstisch auf: »Kommt her und helft mir mal!«, forderte er Lauknitz auf und konzentrierte sich gleich wieder auf seine Arbeit.
»Jawohl, Doktor Falméra«, antwortete Sebastian und trat an den Tisch. Allerdings konnte er sich kaum vorstellen, inwieweit er eine brauchbare Hilfe darstellen würde.
»Andreas.«, hörte er den Doktor sagen.
Sebastian verstand nicht recht. »Bitte?«, erkundigte er sich.
»Das ist mein Name«, erklärte der Medicus knapp, »Andreas, ihr könnt mich Andreas nennen, wenn ihr mögt.«
»Alles klar«, bestätigte Basti. Nichts war klar! Denn er konnte sich gar nicht so spontan auf die plötzliche Vertrautheit einlassen, geschweige denn, sofort wie ganz selbstverständlich damit umgehen.
Für den Doktor schien das nicht weiter von Belang zu sein. Er deutete mit dem Kopf auf eine kleine Schale, die neben Reno auf dem Tisch stand. Sebastian nahm sie und hielt sie dem Doktor unschlüssig entgegen. Ohne seinen Blick zu heben streifte er Renos blutverklebte Haare am Schalenrand von seinen Fingern. Mit Besteckteilen aus einem undefinierbaren, weißlichen Material spreizte er Renos große Wunde, so dass weißes Fleisch hervortrat. Sofort sickerte Blut in der Wunde nach.
»Abtupfen!«, befahl der Doktor, indem er mit dem Kopf auf einen kleinen Stapel zerrissenen weißen Stoffes wies. Lauknitz nahm einen der ausgefransten Lappen, knüllte ihn so zusammen, dass er die Stofffasern mit den Fingern umklammert hielt und tupfte mit dem Bausch vorsichtig in die Wunde. Das Gewebe saugte das Blut sofort auf. Schon war es rot durchtränkt und er musste zum nächsten Stück greifen. Dabei erstaunte ihn, dass der Doktor so spontan auf seine Zuverlässigkeit vertraute. Er setzte schlicht voraus, dass Sebastian wusste, was zu tun war. Entweder entsprang sein Verhalten einer Einfältigkeit, oder seiner Menschenkenntnis. Lauknitz glaubte an Letztere.
Ein hohles Scheppern unterbrach den Gedanken. Basti musste nicht hinsehen, um zu wissen, dass Balmer vom Bach zurück war und nun seinen großen Kessel mit Wasser füllte. Dann registrierte Sebastian mit seitlichem Blick, dass er sämtliche Steinplatten an seinem Ofen entfernte, bis eine Feuerstelle offen lag, die eher einem Opferstein glich. Ein an der Hütte angebrachter hölzerner Schwenkarm hielt dann die Eisenkette mit dem Haken, der den Kessel über der Feuerstelle schweben ließ. Mochte der Alte noch so chaotisch sein, wie es der Doktor nannte, so wusste er sich dennoch mit seinen einfachen Mitteln und offensichtlichem Einfallsreichtum sehr gut zu helfen.
Ein wahres Höllenfeuer entfachte er auf dem Steinpodest und schneller als erwartet stand ihnen heißes Wasser zur Verfügung. Mit flinken und sicheren Bewegungen reinigte der Medicus die klaffende Wunde. Anschließend wühlte er suchend in einem Sortiment weißer, großer Nähnadeln.
»Elfenbein!«, fuhr es Sebastian durch den Kopf, »Du meine Güte! Er benutzt Nadeln aus Knochen!«
»Ich habe Nähnadeln aus Stahl in meinem Rucksack«, erklärte er laut und sah den Doktor erwartungsvoll an. »Mit Nylonfaden kann ich aber auch dienen«, fügte er noch rasch hinzu.
Falméras Medicus nickte nachdenklich: »Ja, das könnte helfen... Lasst einmal sehen...«
Humpelnd eilte Sebastian zur Hütte und suchte sein Survival- Päckchen aus seinem Rucksack. In seiner Pedanterie wollte er immer auf alle Situationen und plötzlichen Lebensumstände vorbereitet sein und trug so ständig ein kleines Paket mit brauchbaren Utensilien in seinem Gepäck mit herum. Es enthielt eine kleine Schere, ein Schweizer Taschenmesser, Angelhaken, Drachenschnur, Nähnadeln, einen Bleistift, ein paar Metallklammern und vieles mehr.
Stolz legte er das geöffnete Päckchen auf den Tisch. Der Doktor musterte es kurz, zog anerkennend seine Augenbrauen hoch und bediente sich. So ziemlich jeder Gegenstand seines Sammelsuriums fand die Zustimmung des Arztes und kam zum Einsatz. Erstaunt fragte er sich, was das hier für ein Doktor war, der nicht einmal die einfachsten chirugischen Instrumente in seiner Tasche hatte. Elfenbeinnadeln und Spreizer aus Knochen! Wie krank war das denn? Tupfer aus Stoffresten! Sie befanden sich schließlich nicht in der Schlacht um Austerlitz! Was also stimmte hier nicht?
Ständig fiel Sebastian etwas auf, das nicht normal war! Ein Arzt, der mit altertümlichen Geräten umherreiste, ein Fabelwesen, das wirklich existierte und Menschen attackierte, Berge, von denen er als begeisterter Alpinist nie etwas gehört hatte, das seltsame Verhalten Balmers und des Doktors, und, und, und...
Er hatte das Gefühl, sich in einer völlig anderen Welt zu befinden, die ihre eigene Geschichte hatte und anderen, ihm völlig unbekannten Naturgesetzen gehorchte. Eine Welt, die nur in einem Traum entstehen konnte. Seit seinem Aufbruch ins schweizerische Zwischbergental hatte er immer wieder das Gefühl, aus einem lästigen Traum aufwachen zu müssen, in den er wer weiß wie geraten war. Doch so sehr er sich auch bemühte, er konnte nicht aufwachen! Er war schon wach. Hellwach sogar! Und eigentlich konnte er froh sein, seine Berge um sich zu haben. Nur befand er sich nicht irgendwo im Wallis, sondern auf einer Alm in einem unbekannten Gebirge, mit einem durchgeknallten Almöhi und einem Arzt, der im Freien eine Operation wie auf einem mittelalterlichen Schlachtfeld durchführte!
Sebastian schüttelte den Kopf, wie, um sich alle unbegreiflichen Einflüsse der letzten Tage aus seinen Gedanken zu schütteln. Ein fragender Blick von Falméras Doktor war der ganze Erfolg. Der konzentrierte sich gleich wieder auf seine Behandlung. Balmer brachte endlich eine Schüssel dampfenden Wassers und der Medicus begann die Wundränder, die er zusammen zu nähen gedachte, von altem, getrocknetem Blut zu reinigen. Mit geübten Stichen zog er die aufklaffende Wunde mit Sebastians Stopfnadel und einem Stück seiner Drachenschnur zusammen und verknotete das Ende. Für den festen Verband, der verhindern sollte, dass sich Reno die Verletzung wieder aufkratzte und dass Schmutz hinein geriet, mussten Balmer und Sebastian den scheinbar leblosen Körper hochheben, während der Doktor ihn verband.
Zuletzt trugen sie Reno gemeinsam auf ein weiches Heulager neben der Hüttentür. Rona kroch zu ihm, rollte sich neben ihm zusammen und wich nicht mehr von seiner Seite. Das musste Liebe sein, dachte Lauknitz und lächelte zufrieden.
»Na, seid ihr jetzt glücklicher...« Falméras Medicus sah ihn fragend an, wie ein Schuljunge, der eine Belohnung für eine besondere Leistung erwartete.
»Ja, Herr Doktor von Falméra, sehr sogar!« Der etwas bissige Unterton in Bastis Stimme ließ sich nicht ganz vermeiden. »Wäre es nach euch gegangen, wäre das arme Vieh elendig verblutet, nicht?«
Medicus von Falméra zog eine Grimasse: »Ja, ja, das arme Vieh... Gestern war das arme Vieh noch ein stinkender...«
»Lasst es einfach, OK?«, unterbrach ihn Sebastian genervt. »Gut, ich habe meine Meinung eben geändert«, gab Basti offen zu, »aber muss der Herr Doktor jetzt für alle Zeiten darauf herumhacken?«
»Andreas.., ihr könnt mich Andreas nennen, das tun alle hier...«, versuchte er zu beschwichtigen. »Ihr habt ein sehr schlechtes Bild von mir, denke ich. Glaubt ihr denn wirklich, ich hätte nicht versucht, Väterchen Balmers Hund zu retten? Das stand nämlich von vornherein fest! Aber ich fand es nun einmal interessant, herauszufinden, wie weit ihr gehen würdet, um einem Hund, dem ihr euer Leben verdankt, zu helfen. Ich glaube ich habe ein besseres Bild von euch, als ihr von mir!«
In diesem Punkt hatte er Recht! Und Sebastian war dankbar, dass er hier zwei Menschen vor sich hatte, denen ein Leben, egal welcher Kreatur es gehörte, etwas bedeutete. Dennoch fand er die Gelegenheit günstig, den Doktor und Balmer mit seinen Fragen festzunageln, die ihm auf der Seele brannten.
»Ist OK, Doktor.., äh, Andreas. Aber jetzt erklärt mir mal etwas. Was zum Teufel war das für ein Vieh, vorhin? Irgendwie bin ich doch hier im falschen Film, oder?« Insgeheim hoffte er, dass Andreas ihm an dieser Stelle offenbarte, dass er sich tatsächlich mittendrin in einem Filmset befand. Aber das wäre zu einfach gewesen...
»Das war ein Gor...«, entgegnete der Doktor sehr nachdenklich. Zu Balmer gewand fügte er hinzu: »Aber ich habe noch nie davon gehört, dass ein Gor Menschen angegriffen hat. Was meint ihr Väterchen, warum er das getan hat?«
»Moooment mal!«, unterbrach er Andreas. »Verzeiht, aber die vordringlichste Frage ist hier doch wohl: Wo kommt so eine Missgeburt überhaupt her? So ein Tier gibt es doch gar nicht!«
Ihm war klar, dass er sich mit dieser Behauptung selbst lächerlich machte. Es gab dieses Tier! Und hätte sich Sebastian immer noch in den Gedanken geflüchtet, sich in einem fürchterlichen Alptraum zu befinden, so klärte sich diese Frage rasch beim Anblick Renos neben dem Hütteneingang!
Zur Bestätigung bekam er Andreas Antwort: »Es gibt den Gor sehr wohl, wie ihr mir hoffentlich beipflichten könnt, vorausgesetzt, ihr seid halbwegs bei frischem Verstand. Es gibt leider nicht nur einen von ihnen!« Dann sah er Basti plötzlich überrascht an: »Und außerdem... Was soll denn das eigentlich heißen, sich heimlich, still und leise, noch dazu mutterseelenallein wegzuschleichen und durch die Landschaft zu streunen? Hatte ich euch nicht gewarnt, dass es hier Tiere gibt, auf deren Speiseplan ihr womöglich stehen könnt?«
Nun, das hatte er tatsächlich! Doch wie konnte Sebastian ahnen, dass in diesen Bergen ein Tier lebt, von dem der Rest der Menschheit wusste, dass es nur in Märchen existierte? Irgendwo her musste dieses Biest aber gekommen sein. Oder jemand musste es gezüchtet haben. Das war es eigentlich, was Basti wissen wollte!
»Schön, wie auch immer...«, fing er von neuem an, »aber irgendwoher müssen der Gor oder die Gore doch kommen, wenn sie denn nicht vom Himmel gefallen sind, oder?«
Andreas sah ihn erstaunt an. Dann schüttelte er den Kopf und zuckte mit den Schultern: »Irgendwo her kommen? Nein, die waren schon immer da! In den ältesten Schriftrollen von Falméra sind sie bereits erwähnt. Der Mythologie nach, an die ich nebenbei bemerkt, als Gelehrter nicht ganz glaube, wurden die Gore einst vom Sonnengott geschaffen, um die Menschenkinder vor dem Bösen zu beschützen.«
»Na, da muss ja wohl etwas ganz schön in die Hose gegangen sein...«, warf Sebastian dazwischen, »denn soweit ich mich dunkel erinnern kann, wollte der Gor da oben, vor noch nicht ganz drei Stunden meinen Hintern als Brotaufstrich verwenden!«
»Gore sind Raubtiere, als solche also hauptsächlich Fleischfresser.«, fuhr der Doktor unbeirrt fort. »Sie reißen Schafe, ja.., sie richten auch sonst oft ganz schönen Flurschaden an, aber dass sie Menschen anfallen...?« Fragend sah er Väterchen Balmer an. Der wiegte nachdenklich seinen struppigen Kopf hin und her. Er hatte also auch keine Erklärung!
»Ja, aber wie kommt es«, bohrte Sebastian weiter, »dass außer in eurer Gegend hier, bisher noch niemand etwas von einem Gor gehört oder gesehen hat? In meiner Kultur gelten solche Wesen als nicht existent, oder zumindest als ausgestorben...«
Andreas sah ihn zweifelnd an: »In eurer Kultur? Ihr stammt aus unserer Kultur, genauso wie ich und Väterchen Balmer und alle anderen, die hier leben. Das hatte ich euch doch schon erklärt, nicht wahr? Ihr kennt Gore ebenso, wie wir alle, ihr habt es durch eure Amnesie nur vergessen! Die einzige Frage ist doch hier: Warum hat der Gor euch angegriffen?« Dabei sah er wieder zu Balmer hinüber, der aber nur ein ziemlich dummes Gesicht dazu machte.
Dies war auch bei weitem nicht die einzige Frage! Lauknitz hatte noch eine Menge Fragen! Doch insgeheim gab er es auf. Als Antwort würde man ihm immer wieder seine angebliche Amnesie anbieten. Das führte zu rein gar nichts!
»Vielleicht sollte man den Holzer fragen...«, dachte Balmer laut, für alle hörbar. Er beschäftigte sich immer noch mit der einzigen Frage des Doktors. »Möglicherweise kann der etwas von Sonnenherz erfahren... Sie weiß ja viel von allen Tieren!«
Ungeduldig fuhr Sebastian dazwischen: »Entschuldigt bitte, es geht mich ja nichts an, aber wer zum Kuckuck ist der Holzer und wer ist Sonnenherz, wenn die Frage gnädigst erlaubt ist?«
»Ihr kennt sie beide«, begann Andreas, »aber ihr hab das alles...«
Müde unterbrach ihn Basti: »Ja, ich weiß, die Amnesie. Ich habe es vergessen, ist schon klar!« Er holte tief Luft und forderte: »Hört mal: Vergesst doch einfach mal, dass ich es vergessen habe, ja? Tut so, als wäre ich das erste Mal in diesem Land und erklärt mir einfach, wer der Holzer und wer Sonnenherz ist, okay?«
Andreas nickte zustimmend und erzählte bereitwillig: »Der Holzer, seinen richtigen Namen kenne ich nicht einmal...«, dabei sah er Balmer fragend an, »...lebt als Holzbauer in Fallwasser, ein Dorf im Tal, das vor der Schlucht liegt und das man von hier oben aus nicht sehen kann. Seine Tochter wird von allen hier nur Sonnenherz oder Krähenmädchen genannt, weil sie ein immer sonniges und gutmütiges Wesen in sich trägt. Ihre besondere Gabe scheint aber zu sein, dass sie mit Tieren sprechen kann. Versteht mich nicht falsch, Sebastian, als Arzt glaube ich an so etwas nicht wirklich. Tatsache ist aber, dass sie mit ihrer Gabe schon viele Menschen verblüfft und vielen Menschen geholfen hat. Fragt mich nicht, wie sie das macht, aber auf irgend eine Weise scheint dieses Mädchen alle Tiere zu verstehen. Ich weiß da zum Beispiel von einer Sache...«, er sah wieder zu Balmer hinüber, als erhoffte er sich von ihm eine Bestätigung der Richtigkeit seines Berichts, »...wo sie einmal allein am Nordufer des Mentiérsees eine Begegnung mit einem Felsenbären hatte. Jeden anderen hätte der Bär zerrissen und ihn gefressen. Sonnenherz hatte ihn gestreichelt und mit ihm geredet, ohne dass ihr etwas geschehen wäre. Zwei Jäger, die auf seiner Spur waren haben es genau beobachtet. Die Jäger berichteten, dass sie von Sonnenherz gebeten wurden, den Bären nicht zu verfolgen, denn sie hätte diesem gesagt, dass er sich aus dem Tal in die Berge zurückziehen sollte. Na ja, dieser Bär wurde in unseren Tälern nie wieder gesichtet«
Der Doktor unterbrach kurz seine Ausführungen. Dann machte er eine Geste, die offensichtlich sein eigenes Unverständnis über diese Geschichte ausdrücken sollte und fuhr fort: »Wie gesagt, ich weiß nicht, ob es sich wirklich so zugetragen hat und ich glaube auch nicht ernsthaft an so etwas. Aber die Menschen hier erzählen sich viele ähnliche Geschichten über Sonnenherz. In allen ist sie mit den Tieren, egal welcher Gattung, sehr vertraut.«
Wieder sah Andreas den Alten fragend an, als erwartete er von diesem eine Erklärung für das Phänomen. Balmer trat bedächtig an sie heran, beugte sich vor und sprach geheimnisvoll leise: »Ja, das Mädchen hat Zauberkräfte! Sie weiß, was die Tiere denken. Sie ist auch die einzige, die Elsiren ungestraft berühren darf. Sie ist schon etwas Besonderes, des Holzers Tochter, und eine außergewöhnliche Schönheit noch dazu.« Bei diesem Zusatz zwinkerte er sie schelmisch an. Raunend sprach er weiter:
»Die Leute im Tal sagen, sie trägt das Mal der Könige und das Zeichen der Götter und dass sie einmal im Mondschein auf einem riesigen Meeresungeheuer durch die See geritten ist. Außerdem erzählen sich die Menschen in den Dörfern, dass sie einmal als kleines Kind im Wald verschollen war und tagelang von einer Schar Krähen vor Raubzeug behütet wurde. Viele nennen sie deshalb auch das Kähenmädchen..., gewiss auch wegen ihrer pechschwarzen Haare...« Der Alte unterbrach seine Darstellung und blickte sich ein paar Mal suchend um, als vermutete er hinter jedem Gebüsch einen heimlichen Zuhörer. Voller Überzeugung setzte er noch hinzu:
»Wenn irgendwer etwas über die Gore weiß, das wir nicht wissen, dann ist es Sonnenherz, oder ihr Vater. Außerdem erzählen sich die Leute, Sonnenherz hätte schon einigen von Torbuks Kriegern das Fürchten gelehrt...«
Andreas pflichtete ihm bei, jedoch nicht unbedingt aus so inbrünstiger Überzeugung: »Mein Rückweg führt mich am Haus des Holzers vorbei. Ich werde ihm einen Besuch abstatten. Vielleicht erfahre ich etwas, das diesen Angriff von heute erklärt.« Basti zugewandt sprach er eine Nuance bestimmter:
»Und für euch, Sebastian Lauknitz, heißt das: Hört auf Väterchen Balmer und streunt nicht ohne Begleitung in den Bergen herum. Ihr seht, was daraus werden kann! Ich hoffe, ihr habt aus eurem Abenteuer von heute gelernt, dass es hier oben nicht nur so friedliche Geschöpfe wie Reno und Rona gibt!«
»Ja, ist ja schon gut«, erwiderte Sebastian mürrisch, »ich weiß, es gibt auch noch Elsiren, ihr erwähntet es gerade...«
Andreas machte eine wegwerfende Handbewegung: »Elsiren braucht ihr hier nicht zu fürchten. Die kommen nicht so weit herauf. Sie leben in den Sümpfen an der Küste und gelangen manchmal in der Zeit der großen Sonne in unsere Wälder unten im Tal. Aber sie sind so scheu, dass ihr kaum je eine zu Gesicht bekommt.«
»Aha«, gab Sebastian knapp zur Antwort. Er glaubte dem Doktor kein Wort! Und wenn er heute nicht den aggressiven Auftritt dieses Gors am eigenen Leibe erfahren hätte, so würde er all dieses Gerede um Sonnenherz, Elsiren und Felsenbären als phantasievollen Hinterwäldlertratsch abtun. Doch seine Erfahrungen von diesem Vormittag hatten ihn gelehrt, nicht alles als erfundene Erzählung zu werten. Ein wenig Wahrheit schien hier an jeder Legende zu haften.
Sein Ziel stand nach wie vor fest: Rasch gesund werden und schleunigst von hier verschwinden! Dann würde sich ja zeigen, wie viel Wahrheit und welche kuriosen Geheimnisse in diesen Bergen verborgen waren.
»Wann gedenkt ihr denn wieder von hier fort zu gehen«, fragte er den Doktor, wie ganz nebenbei und versuchte, völlig desinteressiert zu klingen. In Wirklichkeit brannte diese Frage schon seit gestern Abend in ihm.
»Morgen früh werde ich wieder zu Tal steigen, werde zwei Tage in meiner Praxis in Quaronas nach dem Rechten schauen und dann nach Falméra zurückkehren. Aber spätestens in zwei oder drei Wochen schaue ich wieder zu euch herauf..., und bitte...« Andreas drückte ihm wie zur Beschwörung die Hände auf sein Knie, »macht in dieser Zeit keinen Blödsinn, ja? Tut, was euch Väterchen Balmer sagt und hört auf seinen Rat! Wie ich schon erwähnte, ihr habt noch eine Aufgabe. Ihr werdet noch gebraucht! Also unterlasst irgendwelche abenteuerlichen Alleingänge, versprochen?« Dabei sah er Sebastian eindringlich und mit ernstem Gesicht in die Augen.
»Ja, gut, ich werde mich bemühen«, versicherte er ihm. Dennoch wusste Sebastian schon zu diesem Zeitpunkt, dass er sich niemals daran halten würde. Wie auch? Er wurde zu einem wachen Geist erzogen, der Fragen stellte. Antworten würde er nur finden, wenn er auch danach suchte. In der Obhut und Gefangenschaft um Balmers Hütte hätte er kaum welche bekommen!
Am Abend sah Lauknitz lange zu den hohen Bergen hinauf. Jeden Gipfel, und jeden Grat versuchte er sich einzuprägen. Im Geiste verglich er sie mit den ihm bekannten Bergen. Doch nicht eine dieser Formationen war mit seinen Erinnerungen identisch.
Wie am Vortag, lag der samtrote Schein der untergehenden Sonne auf den mächtigen Bergen. Die Felsrippen in den Eisflanken leuchteten dunkelrot, wie frische Wunden. Es kam Sebastian so vor, als hätte der Gor das Blut aus seiner Halswunde beim Überflug auf diesen Bergen verteilt.
Allmählich senkte sich das schwarze Seidentuch der Nacht über das Land. Der Himmel verlor Helligkeit und Farbe und eines nach dem anderen entzündeten sich die winzigen Lichtpünktchen der Sterne am Firmament. Einer glomm heller und deutlicher als alle anderen. Der Polarstern? Über den noch rot schimmernden Bergen trat er hervor, kaum, dass er die Dämmerung abwarten konnte.
Seit Ewigkeiten hatten sich Seefahrer und Entdecker auf diesem Planeten nach den Gestirnen orientiert und nach der Sonne ihre Position bestimmt. Genau so hätte Basti herausfinden können, wo auf dieser Erde er sich befand, wenn... Aber dieses „Wenn“ durchkreuzte in seinem Leben viel zu oft seine Pläne.
...Wenn er es nicht versäumt hätte, wenigstens die Grundkenntnisse von Navigation zu erlernen. In den Schulen, die er besucht hatte, wurde so etwas nicht gelehrt. Wozu auch? Schließlich sollte er als ein funktionierendes Mitglied der Gesellschaft erzogen und ausgebildet werden. In dieser Gesellschaft war nicht vorgesehen, dass sich jemand so weit außerhalb der Zivilisation bewegte, dass er nur mit Hilfe der Gestirne seinen Weg zu den Menschen zurück finden musste.
Sein Ärger richtete sich mehr gegen sich selbst. Da ging er jahrelang die einsamsten Alpentouren und bewunderte auf Gletschern nächtelang den Sternenhimmel, doch sich danach zu orientieren, war ihm nicht möglich. Jeder Seefahrer konnte das! Augenblicklich nahm er sich vor, sich nach seiner Rückkehr intensiv damit zu beschäftigen. Still lächelte er in sich hinein. Der Vorsatz war ja rasch gefasst, aber würde er ihn auch ausführen? Erfahrungsgemäß war das alles sehr schnell vergessen, sobald er sich wieder in seinem schützenden Heim befand und seine nach Diesel stinkende Verputzmaschine das einzige war, das ihn täglich forderte.
Dennoch wurde ihm ganz nüchtern bewusst, wie sehr er sich tagaus, tagein blind auf die schützende Glocke seiner gesellschaftlichen Zivilisation verlassen hatte. Stets bewegte er sich nur in einem ihm wohlbekannten Rahmen. Doch nun zeigte sich: Wehe, wenn er ihn verließ!
Leises Herdengeläut drang an sein Ohr und unterbrach seine Selbstkritik. Balmer und Andreas brachten das Vieh ein. Der Medicus war spontan mit dem Alten gegangen, denn die Hunde fielen erst einmal aus. Rona konnte weder mit gutem Zureden, noch mit Zerren oder Schieben dazu bewegt werden, sich ihrer Aufgabe zu widmen. Sie lag an Renos Seite und rührte sich nicht mehr vom Fleck. Für den Alten war es ohne Hilfe schwierig, die ganze Herde im Zaum zu halten und über das unebene Gelände zu führen. Stellte er einer abtrünnigen Kuh nach, so verlief sich zu gleichen Zeit ein Lämmchen in den Felsen.
Rona und Reno waren schnell. Sie konnten praktisch an zwei Orten gleichzeitig sein, während Balmer die Herde vorantrieb. Mit seinem morgendlichen Waschausflug hatte Sebastian den Alten ungewollt in die Situation gebracht, dass er auf sich allein gestellt war. Also wollte er ihn an den nächsten Tagen begleiten.
Der Doktor setzte sich zu ihm auf die Bank, während Balmer sein Tragegestell auspackte. Käse, eine Kanne Milch, ein paar Streifen Trockenfleisch und einiges Gemüse, das Sebastian ebenfalls unbekannt war, förderte er zu Tage. Basti sah Andreas erstaunt an:
»Ihr wart Einkaufen...?«
»Was meint ihr mit... Einkaufen?«, fragte der ebenso verwundert zurück.
»Na, ihr habt doch irgendwo Lebensmittel eingekauft, wenn ich recht sehe! Also seid ihr auf einem Markt gewesen, oder in einem Geschäft, oder...« Andreas unterbrach ihn freundlich lächelnd:
»Nun beruhigt euch mal wieder! Wir waren nirgendwo und schon gar nicht auf einem Markt. Was ihr hier seht, stellt Väterchen Balmer selbst her. Der braucht keinen Markt, oder ein..., wie hieß das gleich...?« Damit war für ihn das Thema beendet.
Andreas kramte demonstrativ seine Pfeife hervor und tat, als suche er verzweifelt nach Tabak. So ein Schlitzohr! Es war glasklar, was er wollte! Seine Ohren bekamen augenblicklich Besuch, als Basti seinen Tabakbeutel neben ihm auf die Bank legte. Er stopfte seine Pfeife sehr großzügig und fuhr paffend fort:
»Also..., wie die meisten hier..., Väterchen Balmer ist Selbstversorger... Macht sogar seine Gebrauchsgegenstände selbst...« Wie zum Hinweis nickte er zu Sebastians Krücken hinüber. »...Und das gar nicht mal so schlecht, was?«
»Ja, aber ich habe überhaupt keine Vorräte in seiner Hütte gefunden. Da gibt’s ja nicht mal ein Stück Brot! Wo hat der das ganze Zeug?«
»Felsenbären, mein Bester..., Felsenbären!« Der Doktor paffte die Worte hinter zwei dicken Rauchwolken her.
»Was zum Kuckuck haben Felsenbären damit zu tun, fangt ihr schon wieder mit euren Räubergeschichten an?«, fragte Basti ungeduldig.
Andreas legte ihm seine Hand auf den Arm. »Felsenbären...«, Paffwolke. »...Die würden ihm auf den Pelz rücken, wenn er das ganze Zeug hier in der Hütte hätte...« Doppelte Paffwolke.
Eingehüllt in Paffwolken aus Sebastians Tabakbeutel hakte dieser nach: »Er muss sie ja nicht unbedingt hereinbitten, oder?«
Der Doktor sah ihn an und begann überlegen zu grinsen: »Sicher..., nur..., Felsenbären lassen sich nicht einladen, oder ausladen..., oder gar aussperren... Kommen und gehen, diese Biester, wann es ihnen beliebt, ob uns das nun passt, oder nicht!«
Als Sebastian ihn nur ungläubig ansah, erklärte er weiter: »Die haben unten in den Dörfern schon massive Holzhäuser aufgebrochen..., hat nur eine Fleischsuppe gewittert, das Vieh und stand schon in der Stube... Die fackeln nicht lange..., die kommen..., wer ihnen im Wege steht..., hat ein Problem!«
»Und wie viele von diesen Viechern gibt es hier oben?«, wollte Lauknitz wissen.
Andreas paffte nachdenklich vor sich hin. Dann hob er unwissend die Schultern: »Väterchen Balmer meint, es sind zwei Jungbären, die von den Bergen der schlafenden Sonne herübergekommen sind. Manchmal findet er ihre Spuren und sie haben ihm ein Schaf, oder eine Kuh gerissen. Dann scheinen sie wieder für einen halben Sommer lang wie von Volossodas Erde verschluckt.«
»Kann man die Viecher nicht zur Strecke bringen?«, fragte Sebastian.
Der Doktor dampfte genüsslich weiter: »Sie töten...? Sicher..., geht schon..., aber kriegen muss man die erstmal! ...Balmer hat schon ein paar Mal die Jäger kommen lassen, nachdem ihm sein Vieh gerissen wurde..., nur außer Spuren hatten die nie etwas gefunden.«
Na das waren ja tolle Aussichten... Da machte Sebastian Zwangsurlaub in einem abgelegenen Höhenluftkurort, der das herrlichste Panorama bot, aber auf der anderen Seite mit tausend Gefahren drohte.
»Und wo...«, begann Basti von neuem, »...hat nun Balmer seine Vorräte gebunkert?«
Andreas wies mit seinem Daumen hinter die Hütte. »In seiner Festung auf der Hochalm...«, er blies neue Tabakwolken in die abendliche Luft, »...wo tagsüber sein Vieh weidet. Ist’n mächtiger Bau, seine Vorratskammer, da kommt nicht einmal ein Felsenbär dran, werdet’s noch kennen lernen, denke ich.«
Balmer deckte den Tisch. Frisches Brot, Käse, Schinken und Milch. Und... Mestas! Die Felsenbären schienen sich bei diesem Anblick aus des Doktors Geist verabschiedet zu haben. Doch aus Sebastians noch lange nicht.
»Was machen wir eigentlich, wenn es einem dieser ach so seltenen Felsenbären einfällt, sich ausgerechnet für heute Abend unangemeldet zum Abendessen einzuladen?«, fragte er und sah Andreas herausfordernd an.
»Feuer...«, sprach Falméras Medicus nachdenklich, »...die Biester mögen kein Feuer! Außerdem würde Rona ihn rechtzeitig wittern und Laut geben. Wir hätten genügend Zeit, auf das Hüttendach zu klettern. Wenn es denen zu umständlich wird, um an ihr Futter zu kommen, geben sie meist auf und trollen sich.«
»Na, euer Wort in des Schicksals Gehörgang«, antwortete Basti und fügte sarkastisch hinzu: »Dann will ich mal hoffen, dass ihr nach dem Mestas noch dazu in der Lage seid, ein Dach zu erklimmen. Gestern sah das wohl eher etwas anders aus, was?«
Andreas zog eine Grimasse. Er hielt den Gedanken anscheinend für überflüssig. Dabei beließ es Sebastian. Etwas bereitete ihm jedoch Kopfzerbrechen: Gore, Felsenbären, Eishunde und irgendwelche wilden Horden... Und der Doktor spazierte wie zum Vergnügen ohne eine Schusswaffe durch die Berge? Auch bei Balmer hatte er bislang kein Gewehr, oder eine Pistole entdecken können.
»Sagt, Herr Doktor, was haben eure Jäger für eine Bewaffnung? Um solch ein Vieh, wie einen Bären zu erledigen, braucht man doch sicher ein Gewehr mit ziemlich großem Kaliber, nicht wahr?« Er wusste nicht, welche Antwort er auf seine Frage erwartet hatte, doch ganz sicher nicht diese:
»Was ist ein Gewehr?«, fragte Andreas, »Nein, unsere Jäger benutzen eigentlich nur Bogen, oder Kolbenbogen...«
»Wie jetzt..., gegen Felsenbären mit Pfeil und Bogen?«, unterbrach ihn Sebastian ungläubig.
»Sicher...«, bestätigte er, »...Pfeil und Bogen..., die beste Distanzwaffe..., die Steinschleuder ist zu ungenau...«
»Sagt, mal, Herr Andreas, Doktor von Falméra..., wollt ihr mich hier verulken? Kein Mensch geht mit Pfeil und Bogen auf einen Bären los, wir leben doch nicht in der Steinzeit! Dort, wo ich herkomme, hat man für so etwas großkalibrige Karabiner. Zur Not machen wir so ein Vieh mit einer Panzerfaust platt!«
»Gewehr, Banserwaust, Karabira, so etwas kennen wir hier nicht. Unsere Jäger wissen ihre Waffen sehr gut zu führen«, sprach er fast schon beleidigt. »Für Felsenbären tauchen sie die Pfeile in ein pflanzliches, lähmendes Gift, das schaltet ihre Behändigkeit aus und man kann sie mit Steinen erschlagen.«
Sebastian wollte nicht glauben, was er hörte: »Lähmendes Gift...? Lasst mich raten: Mestas!«
Andreas fand seinen Einwurf nicht witzig und sah ihn tadelnd an.
»Das glaubt man doch nicht..., mit Steinen erschlagen...«, sprach Lauknitz mehr zu sich selbst, und schüttelte verzweifelt den Kopf.
»Ja«, fuhr der Doktor fort, »manchmal werden Felsenbären auch mit lebenden Ködern in Fallgruben gelockt und dann...«
»Ja, ich weiß..., mit Steinen erschlagen!«, beendete Sebastian den Satz für ihn.
»Richtig, und bisher hatten wir damit immer Erfolg!« Der Trotz in seiner Stimme war nicht zu überhören.
»Gütiger Himmel, ich bin in der Steinzeit gelandet«, entfuhr es Basti wie eine Offenbarung, an die er natürlich selbst nicht glaubte. Andreas sah ihn nur seinerseits kopfschüttelnd an. Es war klar, dass sie aus zwei verschiedenen Welten kamen. Nur, wie wörtlich er das nehmen sollte, war ihm kaum bewusst.
Wieder einmal war er mit diesen Menschen an einem Punkt des Dialogs angelangt, wo er nicht mehr weiter wusste. Hier stieß er an eine unsichtbare Grenze zwischen ihm und diesem Val Mentiér mit seinem Högi Balmer, dem Doktor, diesen seltsamen Tieren, die sie hier züchteten und diesen ganzen Bergen ringsum, die ihm völlig unbekannt waren. Er beschloss, es für heute aufzugeben. Alles weitere Nachbohren würde zu nichts führen und er wollte sich nicht mit denen herumstreiten, die ihm ihre Gastfreundschaft gewährten.
Statt dessen widmete er sich den aufgetragenen Speisen. Diese waren nicht unbedingt üppig und vielfältig, aber sie schmeckten ausgezeichnet. Andreas und Väterchen Balmer griffen fast gleichzeitig nach dem Krug mit Mestas, so dass ihre Hände kollidierten und beinahe den Krug umrissen.
Sebastian grinste in die Runde: »Na, wenn Felsenbären ebenso auf das Zeug stehen, dann kann das hier ja alles noch ganz schön spaßig werden...«
Andreas fand die Bemerkung weniger lustig. Er zog ein säuerliches Gesicht. Balmer hingegen klatschte sich freudig auf den Schenkel und grunzte zufrieden. Gleichzeitig goss er sich und dem Doktor eine gut gemeinte Portion Mestas ein. Beide prosteten sich zu und waren der einhelligen Meinung, wieder einmal einen Gor in die Flucht geschlagen zu haben. Dass es ja eigentlich Rona und Reno gewesen waren, sowie Bastis Steinbombardement, das dieser Kreatur den Appetit verdorben hatte, interessierte zu dieser Stunde niemanden mehr. Tunlichst verkniff er sich einen Hinweis auf die Tatsache, dass die Herren Mestas- Jünger ja erst auf der Bildfläche erschienen waren, als der Kampf bereits vorüber war.
Zu seiner Beruhigung stellte Sebastian fest, dass Balmer und dem Doktor ein alkoholischer Absturz an diesem Abend erspart blieb. Der Krug war rasch geleert und der Alte kam nicht auf die Idee ihn erneut aufzufüllen. Dennoch wurde es nach Bastis Gefühl ziemlich spät, bis sie sich in der muffigen Hütte zur Ruhe legten. Väterchen Balmer bettete sich auf seine Felle am Boden, Andreas belegte Balmers Bett und Sebastian schlief auf seinem neuen Lager.
Der Morgen begrüßte sie wiederum mit bombigem Hochsommerwetter. Keine Wolke, kein Tau. Dafür duftete die ganze Umgebung bereits zum Sonnenaufgang nach Heu, Wald und Blumen. Ein warmer Dunst lag über der Welt, wie ein betörender, die Sinne berauschender Dampf. Basti kannte so etwas aus dem Wallis und dem Allgäu. Waldrausch nannten es die Bergbewohner. Alles Lebende, Mensch wie Tier wurde nervös, sentimental, oder hitzig, und das Liebesleben in den Bergen steigerte sich zur Ekstase. Waldrausch! Schwerer Blütenstaub, feuchtwarme Luft, Sonne und jede menge Mücken! Außer den kleinen Blutsaugern, die wohl diese Höhe mieden, bot Högi Balmers Alm das komplette Programm.
An diesem Morgen fühlte sich Sebastian wie neu geboren. Ein eigenartiges Gefühl durchzog ihn. Er fühlte sich stark genug für neue Taten, gleichzeitig schwer genug, um nur diesen Tag mit seinen Blumenwiesen zu genießen. Er mochte hinunterstürmen ins Tal, im nächsten Moment jedoch lieber vor der Hütte sitzen und die Stunden verträumen, als wäre er hier oben bereits zu Hause. Er war froh und Melancholisch. In seinem Körper inszenierte sich ein Wechselbad der Empfindungen. Schwerelos Dahinschreiten in der süßen Leichtigkeit des Raums... Es hatte ihn erwischt. Waldrausch!
»Wir werden Regen haben...« Väterchen Balmer war hinter ihm aus der Hütte getreten. Verwundert sah Sebastian ihn an. Högi bemerkte seinen Blick und sinnierte nachdrücklich: »Es wird bald sehr viel regnen... Das Wasser wird wie eine Lawine den Berg hinabrauschen, wartet’s nur ab!«
Sebastian wusste zwar, dass der Alte viel Blödsinn erzählte, jedoch hing an seinen Hirngespinsten immer ein kleines Gramm Wahrheit. Aber gerade dieses kleine Gramm machte ihm Sorgen. Wie bei Balmer ein kleines Gramm aussehen konnte, hatte der vorherige Tag gezeigt.
Auf den Fellen an der Hüttenwand regte sich Reno. Er versuchte mit der Hinterhand hoch zu kommen, sackte jedoch wieder auf sein Lager zurück. Rona stand schwanzwedelnd und erwartungsvoll daneben. Zur Begrüßung kraulte Basti beiden den Hals und drückte Reno wieder auf sein Lager zurück. Er sprach ihm gut zu, er sollte liegen bleiben und hatte das Gefühl, dass dieser ihn verstand. Dann begutachtete er die von Andreas genähte Wunde. Sie war frisch verschorft und sah nicht entzündet aus. Anschließend griff er sich Balmers Wassereimer und seine Krücken. Der Bach war nicht weit und die Hunde brauchten Wasser! Rona konnte selbst nach Wasser suchen, doch Reno musste erst einmal versorgt werden.
Leise pfiff Sebastian durch die Zähne, um Rona zum Mitkommen zu bewegen. Doch sie wich nicht von Renos Seite. Er vermutete, dass sie eher verdursten würde, als ihren Reno allein zu lassen.
Als er wenig später zwei Tonschalen vor Reno und Rona aufstellte und diese mit frischem Wasser befüllte, erwachten beide zu neuem Leben. Reno drehte sich, dass seine Pfoten rechts und links der Schale ruhten und schleckte das Kühle Nass mit lautem Geräusch in sich hinein, als wäre er beinahe ausgetrocknet. Rona erfreute sich ebenfalls am klaren Bergwasser. Als sie genug gesoffen hatte, sahen sie Lauknitz mit dankbaren, treuen Augen an.
»Habt zwei neue Freunde gefunden, denke ich«, bemerkte Balmer, indem er sein Tragegestell schnürte.
»Tja, sieht wohl ganz so aus, was?«, gab Basti lachend zurück. Seine Angst, Högi könnte vielleicht eifersüchtig werden, war völlig unbegründet. Er freute sich wie ein Kind, dass seine beiden Hunde dem Gast ihre Sympathie entgegenbrachten. Das spornte Sebastian natürlich noch mehr an, sich um sie zu kümmern.
Verschlafen und taumelnd, wie ein Volltrunkener erschien nun auch Andreas auf der Bildfläche. Er reckte seine Glieder der Sonne entgegen und kratzte sich wild die unordentlichen Haare. »Ich habe wohl geschlafen, wie ein Toter...«, brachte er stöhnend hervor.
»Ja«, bestätigte Sebastian, »...und geschnarcht, wie ein Lebendiger...«
Andreas lachte aus vollem Hals, als wäre ihm ein besonderer Streich gelungen: »Ja, das höre ich nicht zum ersten Mal!« Er nahm die hölzerne Kelle, die neben vielen anderen Dingen an der Hauswand hing, schöpfte sich Wasser aus dem Eimer und sog sich gierig den Mund voll, um es gleich wieder auszuspucken. Die zweite Kelle voll Wasser trank er in einem Zug leer.
Anschließend ließ er seinen Blick über die Berge schweifen, nickte nachdenklich und sprach mehr zu sich selbst:
»Na, dann will ich mal aufbrechen. Ist schon recht spät. Mag nicht im Dunkeln auf dem Weg herumstolpern.«
Balmer hielt in seiner Tätigkeit inne, prüfte ebenfalls die Landschaft und den Himmel und sah dann Andreas an:
»Ihr tut recht daran, euch zu eilen, wollt doch nicht zu Tal schwimmen, wie?« Dabei ließ er sein meckerndes Lachen erklingen.
Es sah absolut nicht nach Regen aus, doch wer wusste schon, ob der Alte nicht doch Recht behalten würde, schließlich kannte er sich in seinen Bergen aus.
Balmer schnürte dem Doktor noch ein Bündel aus Kräutern und legte ihm noch die Reste des Abendessens dazu. Andreas sah noch einmal nach Reno, lud sich dann seine Tasche um, nahm seinen Proviant von Balmer entgegen und behängte seinen Gürtel noch mit einer Kürbisflasche voll Wasser. Zum Abschied umarmten sich beide. Zuletzt wandte sich der Doktor Sebastian zu. Er reichte ihm die Hand und ermahnte ihn noch einmal ausdrücklich, stets Väterchen Balmers Anweisungen zu folgen. Natürlich nur zu Bastis eigener Sicherheit!
Ohne sich noch einmal umzuschauen, marschierte er los, die Hangwiese abwärts. Bevor er hinter dem Blumenteppich verschwand, hob er noch einmal die Hand zum Gruß. Plötzlich war Sebastian wieder mit dem Alten und seinen Hunden allein und augenblicklich spürte er diese Leere, die Andreas in ihrer Mitte hinterließ.
Balmer war nun ebenfalls Aufbruchbereit und stapfte bergwärts, seinem Alpvieh entgegen. Basti rief ihm noch nach, dass er an einem der nächsten Tage mit ihm gehen wollte.
»Ist schon recht..., tut das..., wird schon recht sein, aber kommt erst einmal zu Kräften!« Ohne seinen Aufstieg zu unterbrechen, warf er ihm die Worte über seine Schulter zu und wackelte davon.
Sebastian setzte sich zu Rona und Reno, streichelte den beiden abwechselnd das Fell und dachte darüber nach, was er hier wohl noch alles erleben würde.
  Wichtiger Hinweis: Die Texte des Autors Frank Adlung, insbesondere die des Romans "Das Geheimnis von Val Mentiér", sind durch notarielle Hinterlegung urheberrechtlich geschützt. Ein Herunterladen und Ausdrucken ist nur für den privaten Zweck des Lesens gestattet. Kommerzielle Nutzung, öffentlicher Vortrag, oder Vervielfältigung und Verfälschung des Inhalts, sowie öffentliche Verbreitung ohne Genehmigung des Autors sind untersagt und werden zur Anzeige gebracht.
 
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