Das Geheimnis von Val Mentiér
 
19. Kapitel
 
Der Verrat
 
n der Nacht begann es zu regnen. Gleichzeitig wurde es noch kälter. Sebastian wachte am frühen Morgen auf, lag wach und dachte nach. Er lauschte dem steten Trommeln des Regens auf dem Dach, dessen steinerne Schindeln den Klang der Tropfen auf die darunter liegenden Holzsparren übertrug.
Wie am Tag zuvor, wäre er gern vor allen anderen aufgestanden, doch er scheute sich davor, die angenehme Wärme von Antaronas Körper unter den zahlreichen Fellschichten zu verlassen. Ihre langen Haare kitzelten in seinem Gesicht und er musste sie jedes Mal vorsichtig zur Seite schieben, damit er seine Geliebte nicht durch einen heftigen Niesanfall weckte.
Er empfand es als glücklichstes Geschenk des Schicksals, dass Antarona seine Liebe erwiderte. Ein wenig verwundert war er schon, dass der Holzer ihre Verbindung unter dem Segen der Elsiren einfach so hin genommen hatte. Offenbar besaß der Glaube bei den Ival sehr viel mehr Einfluss auf das Leben, als ihm bislang bewusst geworden war.
Dass Hedaron ihre Heirat, denn in Sebastians Augen war es nichts geringeres, so ohne weiteres akzeptierte, war ungewöhnlich. Eigentlich hatte er damit gerechnet, dass ihre Verbindung mit einer Feier besiegelt worden wäre, bei der sie beide, festlich herausgeputzt, irgend ein Ritual über sich ergehen lassen mussten, bei der die Menschen des Dorfes zusammen kamen, um ihnen zu gratulieren und mit ihnen diesen Tag zu feiern.
Andererseits war die Nacht mit Antarona unter dem Schein der Elsiren für Sebastian so phantastisch, so wunderbar und feierlich, dass er für dieses Erlebnis gern auf eine Hochzeit, wie er sie kannte, verzichten konnte. Und jeder weitere Tag, an dem sie sich liebten, wie in den Ästen von Nephtir, der Mutter der Bäume, oder in der Hütte des Unbekannten, war für Sebastian wieder eine Hochzeit. Für ihn war es jedes Mal wieder eine Erneuerung ihrer tiefen Liebe zueinander.
Glücklich und zufrieden schmiegte er sich behutsam an den nackten Körper seiner jungen Frau, der eine Hitze abstrahlte, die einem Ofen gleich kam. Antarona drehte sich im Schlaf um, schlang ihre Arme und Beine um ihn und schlief weiter. Auch Sebastian ließ sich noch einmal von der Mutter der Nacht in weit entfernte Welten entführen...
Ein ohrenbetäubendes Krachen und ein dröhnendes Donnergrollen zerrissen die Stille. Sebastian schreckte hoch. Der Platz neben ihm war leer. Obwohl jegliche Müdigkeit von ihm abgefallen war, zeigte sich draußen noch Dunkelheit. Plötzlich erhellte ein Blitz den Raum und die Welt jenseits der kleinen Butzenfenster. Wieder folgte ein Donnerschlag, der des Holzers Haus erzittern ließ. Dann setzte ein Rauschen ein, das jedes andere Geräusch übertönte.
Sebastian rappelte sich hoch, trat ans Fenster und spähte hinaus. Er hatte sich nicht geirrt. Es musste bereits Tag sein! Schwarzviolette Wolken, die sich am Himmel zusammenbrauten, wirkten bedrohlich und erdrückend. Die Sonne schien erloschen und das ganze Szenario erinnerte Sebastian an das heftige Unwetter, das er auf Högi Balmers Alm erlebt hatte. Ebenso entsann er sich noch der Schäden, die es angerichtet hatte.
Als hätte der Himmel all seine verborgenen Schleusen geöffnet, rauschte ein Hagelschauer hernieder, der das Land binnen zehn Minuten unter einer mindestens zwanzig Zentimeter hohen, weißen Schicht begrub.
Wieder zuckte ein Blitz aus dem finsteren Himmelsgebräu, hüllte das ganze Land in ein unwirkliches, grelles Licht und fuhr mit einem zischenden Krachen in den großen Baum, der den Hof des Holzers begrenzte. Wie in Zeitlupe teilte sich das mächtige Gewächs, das sofort in Flammen stand. Während der eine Teil des Baumes stehen blieb, neigte sich die zweite Hälfte langsam zur Seite und fiel dann quer über ein Viertel des Hofes.
Der niederprasselnde Hagel ließ das Feuer rasch ersterben. Die beiden Stämme, der eine liegend, der andere stehend, qualmten noch mächtig und im Licht der nächsten Blitze boten sie ein gespenstisches Bild, das man für einen Horror-Film nicht besser hätte in Szene setzen können.
Sebastian machte sich so seine Gedanken... Wenn der Blitz schon in den nahen Baum eingeschlagen war, wie gefährdet war dann Hedarons Scheune, die das Wohnhaus noch um einiges überragte? Hastig fuhr er in seine Kleidung und eilte die Treppe hinab, das Band seiner Hose noch zuziehend.
Unten, im Wohnraum, war die gesamte Gesellschaft des Vorabends versammelt und drückte sich die Nasen an den Fensterscheiben platt. Bei diesem grotesken Anblick fiel Sebastian zum ersten Mal bewusst auf, dass Hedarons Haus Fenster mit Glasscheiben besaß, ein Luxus, der die anderen Hütten der Dörfer offenbar noch nicht erreicht hatte.
Angespannt blickten alle hinaus, als erwarteten sie noch weit Schlimmeres, als dieses Gewitter. Antarona stand neben ihrem Vater und hatte sich zwei Felle umgeworfen. Vorsichtig trat Sebastian zwischen sie und legte seinen Arm um die Hüfte seiner Geliebten.
»Der Zorn der Götter erreicht die Menschenwesen, Ba - shtie«, flüsterte sie ehrfurchtsvoll, als sie seine Anwesenheit gewahrte. Basti erinnerte sich, etwas ähnliches schon einmal von Högi Balmer gehört zu haben. Für ein Volk ohne tief greifendes physikalisches Verständnis für solche Phänomene war die Interpretation dieses Naturschauspiels normal. Den Gedanken, allen Anwesenden sein Wissen des zwanzigsten Jahrhunderts zu vermitteln, verwarf er sofort wieder.
»Die Götter werden euer Haus und eure Scheune verschonen, Hedaron«, sagte er beruhigend und legte Antaronas Vater freundschaftlich seine Hand auf die Schulter. Dabei hoffte er inständig darauf, dass jenes Gerücht auf Wahrheit beruhte, das ihm einmal erzählte, ein Blitz würde niemals zweimal an der gleichen Stelle einschlagen. So viel zu seinem Wissen des zwanzigsten Jahrhunderts!
Angesichts der Ironie gegen sich selbst, musste Sebastian lächeln, zuckte aber bei jedem Blitz erneut zusammen. Er war von seiner wackeligen Theorie über Blitze ganz und gar nicht überzeugt und dachte fieberhaft darüber nach, was er dem Holzer erzählen sollte, wenn es den Göttern wider erwarten doch noch einfiel, seine Scheune in Brand zu setzen.
Die Götter blieben friedlich. Je mehr sich der Hagelschauer entlud, desto seltener wurden die Blitze. Als endlich der Niederschlag langsam verebbte und die Sicht besser wurde, war die Landschaft unter einer dicken, weißen Decke begraben. Die schwarze Gewitterfront zog das Tal hinab und hinterließ eine lockere Wolkendecke, durch die vereinzelt sogar Sonnenlicht fiel.
Sebastian trat vor das Haus und blickte talwärts. Dort, wo er die alte Festung vermutete, hingen die schwarzen Wolken des Unwetters wie eine Hängematte zwischen den beiden Gebirgsketten. Vermutlich staute sich das Wetter in dem Kessel vor der Schlucht und baute sich mehr und mehr auf. Aus der dunklen Wolkenmasse sah er Blitze zucken, die sich aus einer gewaltigen Energie entluden.
Inzwischen hatten Antarona und Hedaron etwas Essbares auf den Tisch gestellt. Einen Laib Brot, Rahm und einen großen Klotz harten Käse, den wahrscheinlich einzig und allein Antaronas Schwert hätte teilen können. Der Holzer brachte noch einen großen Tonbecher voll Milch für jeden. Dann lernte Sebastian etwas über Tischmanieren à la Val Mentiér.
Sobald Hedaron sich an den Tisch gesetzt hatte, stürzten sich alle auf das arme Brot, wie Löwen auf eine gefallene Antilope. Offenbar signalisierte der Hausherr, indem er am Tisch Platz nahm, das Buffet für eröffnet.
In weniger als einer Minute war das Brot in mehrere Teile zerrissen und hätte Antarona nicht dafür gesorgt, dass ihr unerfahrener Mann von den Göttern einen Teil abbekam, so wäre Basti wohl leer ausgegangen. Nur noch ein paar Krümel zeugten von dem einst appetitlich daliegenden, stattlichen Brotlaib.
Angesichts solcher Raubrittermanieren konnte Sebastian nur den Kopf schütteln. Was für eine primitive Gesellschaft! In seinem Land gab es so etwas nicht! Gab es nicht..? Plötzlich musste er sich an eine Kreuzfahrt erinnern, die er auf einem Ozeanriesen gebucht hatte.
Das Schiff war eine schwimmende Stadt. Morgens gab es einen Frühstücks-Brunch, ein riesiges, Buffet, von dem garantiert zugesichert wurde, dass es bis in die Mittagsstunden ständig aufgefüllt werden würde. Dennoch stürzten sich die zivilisierten Erholungsreisenden wie Löwen auf eine gefallene Antilope, als die Tür zum Buffetsaal geöffnet wurde. In der Angst, nicht genug ab zu bekommen, rannten sich die feinbürgerlichen Touristen beinahe über den Haufen.
Sebastian musste zugeben, dass sich seine Welt von der Antaronas in nicht viel mehr, als lediglich dem technischen Fortschritt unterschied. Wehe, wenn seine geliebte Frau alles über die Götter erfuhr! Die Wahrheit sah oft anders aus, als der Glaube.
Was Menschen heilig sprechen, überlegte Basti, ist oft nicht mehr als ein Mysterium. Denn sie sind und waren wohl alle Menschenwesen mit all ihren Schwächen, von den Freiheitskämpfern, die sich im Sherwood Forest, oder in Tirol für das Wohl der Menschheit einsetzten, bis zu jenem jüdischen Prediger, der mit einer neuen, waffenlosen Strategie, versuchte, sein Volk von den Grausamkeiten der Römer zu befreien.
Sie alle waren wohl keine Übermächtigen, die allein das Schicksal von Völkern in ihren Händen trugen. Doch all diese, davon war Sebastian überzeugt, waren ebenfalls mit menschlichen Schwächen ausgestattet, die sie dazu verführten, den Glauben des Volkes ein klein wenig für sich auszunutzen.
Der Mann, den die Götter gesandt hatten und der von Antarona angebetet und von den Ival zumindest akzeptiert wurde, machte da keine Ausnahme! Sebastian Lauknitz nutzte seinen halb göttlichen Status um der Liebe Antaronas willen. Andere gaben wesentlich mehr!
Raminor, der Clanführer von Mittelau, der Jäger Acheron, Koratan, der Vertraute des Königs, der unter Einsatz seines Lebens den Kontakt zum Achterrat hielt, oder all die jungen Männer der Windreiter. Sie alle setzten, wenn auch noch unentschlossen, ihr Leben für Freiheit und Gerechtigkeit aufs Spiel! Was machte es da noch aus, auf welche Weise einer sein Brot brach?
Die kleine Runde, die in Hedarons Haus ihr Frühstück einnahm, beschäftigte sich inzwischen mit einem ganz anderen Problem. Ein harter Käse ließ sich nicht so einfach in Fetzen reißen, wie ein frisch gebackenes Brot. Ein jeder beugte sich mit einem kleinen, stupfen Messer über den Tisch zur Mitte und versuchte, dem hartnäckigen, gelben Stück einen Streifen zu entringen.
Der zweifelhafte Erfolg bestand darin, dass sich der Käse mal zur einen, mal zur anderen Seite hin und her schob und sich vehement weigerte, sich verzehren zu lassen. Für einen außen stehenden Betrachter musste es so aussehen, als würde der Käse vor seinen Peinigern fliehen.
Sebastian sah sich das Schauspiel eine Weile an. Dann stand er lachend auf, zog zu aller Verwunderung sein Bowiemesser aus dem Schaft seiner Beinlinge, holt den widerspenstigen Käse zu sich heran und setzte die dreißig Zentimeter lange, verzierte Klinge an.
Mit einer Hand am Hirschhorngriff, mit dem Ballen der anderen Hand auf dem Klingenrücken, drückte er das Messer in den Käse. Er musste sein ganzes Körpergewicht hinein legen, bis sich die Waffe langsam in den Laib senkte und einen dicken Streifen abschnitt.
Das erste Stück gab er Antarona, eine Geste, welche auf die restlichen Gesichter der Anwesenden versteckte Missbilligung zauberte. Von der Ehrfurcht vor dem Gebot Damen zuerst wusste man in diesem Land offenbar nicht sehr viel. Das zweite Stück bekam Högi Balmer und Sebastian beobachtete die Minen der Wartenden, um festzustellen, ob man bei den Ival zumindest dem Alter Respekt zollte.
Zum Schluss, nachdem ein jeder sein Stück vom störrischen Käse erhalten hatte, bediente sich Basti selbst. Irritierte Blicke musterten ihn. Aber niemand sagte ein Wort. Sebastian Lauknitz hatte ein Zeichen gesetzt! So hoffte er wenigstens.
Nach dieser kleinen Stärkung ging Hedaron seiner täglichen Arbeit nach. Koratan und der alte Balmer blieben am Tisch sitzen und sprachen miteinander. Sebastian, der die Sprache der Ival nicht verstand, ließ sich von seiner frisch angetrauten Frau das Anwesen seines Schwiegervaters zeigen.
Hand in Hand huschten sie über den Hof des Holzers durch die hoch liegenden Graupelkörner, die bereits zu tauen begannen. Sebastian konnte kaum glauben, dass sie noch vor zwei Tagen im See gebadet, und sich an seinem Ufer gesonnt hatten. Das Wetter in diesem Land wechselte von einem Extrem ins andere, dass einem schwindelig wurde!
Zuerst zeigte ihm Antarona den Stall, Was von außen wie ein kleiner Schuppen aussah, entpuppte sich innen als geräumige, selbst für das zwanzigste Jahrhundert, mustergültige Viehhaltung. Die Stallung war in vier Abschnitte unterteilt, von einem durchgehenden Gang getrennt.
Er sah drei Pferde, von denen zwei wohl als Arbeitstiere gehalten wurden. Das dritte, ein edler Rapphengst, machte den Eindruck eines feurigen, temperamentvollen Reittiers und Sebastian musste nicht erst fragen, an wessen Gesäß das Tier gewöhnt war.
»Das ist Hatax...«, erklärte ihm Antarona und bekam leuchtende Augen, »...er gehörte einmal einem schwarzen Reiterführer und stammt aus Torbuks eigener Zucht.«
Anerkennend ließ Basti einen leisen Pfiff durch seine Zähne erklingen und besah sich das nervös tänzelnde Pferd von allen Seiten. In der seltsamen Sprache, in der seine Frau mit Tieren zu sprechen pflegte, beruhigte sie das Tier. Der Hengst schnaubte ein paar mal widerwillig, stand dann aber ruhig in seiner Box.
»Weiß Torbuk eigentlich, dass du dieses Pferd hier hast?« Sebastian stellte die Frage mit hochgezogenen Augenbrauen, um ihr zu zeigen, für wie riskant er es hielt, dieses Pferd offen im Stall ihres Vaters zu halten.
»Du hast selbst gesagt, mein Engelchen, dass überall in den Tälern Spione Torbuks lauern... Was ist, wenn es dem sauer aufstößt, dass du ihm auch noch die besten Pferde unter dem Hintern weg stielst?«
»Er weiß es, Ba - shtie, er wird wissen, dass Hatax in diesem Stall steht«, antwortete sie mit der Gleichmütigkeit einer Auster. Sebastian sah sie entgeistert an.
»Ja, hast du denn gar keine Angst, dass dieser Wahnsinnige einen Trupp losschickt und deinem Vater das Haus über dem Kopf anzünden lässt?«
»Nein, Ba - shtie.., dann hätte er es schon getan. Er will selbst kommen, wenn er sicher ist, dass er Sonnenherz dazu bekommen kann!« Sebastian war einigermaßen schockiert über ihre nüchterne Aussage. Er fand einfach keine Logik darin.
»Aber, was ist, wenn er deinen Vater als Geisel nimmt und dich zwingt zu ihm zu kommen?« Sebastian konnte nicht umhin, ihr diese letzte Frage zu stellen.
»Er wird das niemals tun, denn er weiß, dass mein Vater sich selbst töten würde, um seine Tochter Antarona zu schützen!« Sebastian sah sie zweifelnd an.
»Er würde das tun, Ba - shtie, denn er denkt stets daran, was Torbuk meiner Mutter angetan hat. Er will seiner Tochter diese Grausamkeit ersparen...«, erklärte sie ihm, »...Antarona hat dies einmal gehört.., ihr Vater sprach darüber mit Väterchen Balmer.«
»Aber warum geht ihr dann nicht fort von hier, weit weg vom Val Mentiér, wo euch jeden Tag ein grausames Schicksal ereilen kann.., das verstehe ich nicht!«, wunderte sich Sebastian. Prompt kam die Antwort seiner Gefährtin, die er sich eigentlich hätte selbst geben können.
Ba - shtie - laug - nids.., dann müssen alle Menschenwesen, die in diesen Tälern leben, diese verlassen! Aber es ist unser Land, versteht ihr? Es ist unser Leben, dieses Land ist unsere Mutter, welche uns ernährt, uns kleidet, uns die Fruchtbarkeit des Schoßes schenkt für viele Kinder und uns einmal durch das Tor in das Reich der Toten einlässt. Wir verlassen nicht unsere Mutter! Sonnenherz wird mit ihr kämpfen.., und wenn die Götter es so wollen, mit ihr sterben!«
Das war deutlich! Und wenn Sebastian bis dahin noch Hoffnung hatte, Antarona eines Tages zu dem Versuch überreden zu können, mit ihm in seine Welt zu gelangen, so gab er sie spätestens an diesem Punkt auf. Wenn er für den Rest seines Lebens bei ihr bleiben wollte, so gab es nur einen Weg. Er musste den Gedanken, sein früheres Zuhause noch einmal wieder zu sehen, aus seinem Gedächtnis löschen.
Vor ein paar Wochen hätte Sebastian noch darüber nach gedacht. Nun wog er nicht mehr ab. Die Entscheidung war längst gefallen! Er wusste, dass es bereits an dem Tag, an dem er mit Antarona unter dem Segen der Elsiren stand, für ihn kein Zurück mehr gab!
Langsam und bedächtig schritt er zur Stalltür und trat hinaus. Er sah zur mächtigen Mauer der Berge hinauf, deren Kronen im Dunst der Wolken gefangen waren und dennoch das Tal beherrschten. Sein Blick wanderte abwärts, über dichte Wälder, noch weiter die ausgedehnten, üppigen Wiesen entlang, bis sich das Land talwärts im Dunst verlor. Er hörte die Vögel, die durch keinen Motorenlärm gestört ihre Lieder sangen, er hörte den Wind und spürte die unverfälschte Luft. Er roch den Duft von Früchten, Gräsern und Kräutern, sog den Geruch von Heu, Vieh und Holzfeuer ein... Und er verstand das Krähenmädchen, die nun durch eine glückliche, ihm kaum bewusst gewordene Fügung seine angetraute Frau geworden war. Nein.., er hatte sich längst entschieden!
Er spürte Antaronas Nähe, drehte sich um, ergriff ihre Hüfte und zog sie zu sich heran. Mit Tränen des Glücks in den Augen fing er ihren intensiven Blick auf und sprach feierlich:
»Ja, mein Engelchen.., dieser Weg wird auch der meine sein! Dieses Tal, diese Berge und alles darin werden unser Leben sein und ich möchte unsere Kinder lachend durch die bunten Wiesen des Val Mentiér laufen sehen!« Es bedurfte keiner weiteren Worte. Sie waren wie ein Herz!
Antarona zeigte ihm noch den übrigen Teil des Stalls. Dann führte sie ihn über den Hof und in die Scheune, die einer herzoglichen Remise gleich kam. Es war ein Vorratshaus, welches Sebastian an das des Högi Balmer erinnerte. Nur mit dem Unterschied, dass dieses Haus im Erdgeschoss Geräte, Pferdewagen und im hinteren Teil die Vorräte beherbergte und das obere Stockwerk mit Stroh, Heu und getrockneten Kräutern, Früchten und Fleischwaren angefüllt war.
Nachdem die beiden Verliebten von Diesem und Jenem genascht hatten und er alles gesehen hatte, ließen sie sich in das würzig duftende Heu fallen. Sebastian verschränkte die Hände hinter dem Kopf und sah seitwärts aus dem kleinen Fenster, das den Ausblick zum See hin gestattete.
»Was meinst du...«, dachte er laut, »...können wir hier ein eigenes Stück Land haben und darauf glücklich und in Frieden leben?« Antarona schwieg betreten. Sebastian setzte sich auf und sah in träumende Augen, die in eine weite Ferne blickten, die sich ihm wahrscheinlich nie auftun würde. Sei bemerkte seine geistige Anwesenheit und sofort kehrte das dynamische Feuer in ihren Ausdruck zurück.
»Ba - shtie.., ihr seid der König!«, klärte sie ihn auf. »Wir dürfen alles träumen, aber... Wenn Torbuk erst einmal besiegt ist, wird Bental euch, Areos, seinem Sohn den Thron geben. Wir werden in Falméra leben und ihr werdet dem Volk der Ival sagen, was zu tun ist, damit der Frieden im Land und im Val Mentiér bleibt und es den Ival gut geht. Aber wir können in die Täler kommen so oft wir...«
»Nein, nein, halt mal...«, unterbrach er sie, »...ich dachte, ich hatte mich vor dir und dem Rat der Acht klar genug ausgedrückt?« Sebastian machte eine kleine Pause.
»Also.., wenn wir das Land von Torbuk befreien können...«, versuchte er ihr mit Nachdruck klar zu machen, »...dann brauchen wir keinen Herrscher mehr, der den Ival sagt, was sie zu tun und zu lassen haben! Das Volk selbst soll dann bestimmen, wie hier alles wird, verstehst du?« Nein, Antarona verstand nicht. Sie sah ihren Revolutionär nur fragend an. Sebastian sah ein, dass er auf diese Weise nicht weiter kam und setzte neu an.
»Gut.., nehmen wir mal an, jemand, beispielsweise ein Mann aus Zarollon, will in diesem Tal ein Stück Land für sich und seine Familie haben. Das Land gehört aber, wie du schon richtig gesagt hast, dem Volk der Ival. Dann kann nicht einfach irgend ein König bestimmen, ob dieser Mann das Land bekommen soll, oder nicht.., weil viele Ival ihn vielleicht nicht als Nachbarn haben wollen, verstehst du das so weit?« Antarona bestätigte mit einem zögerlichen Nicken und Basti fuhr fort.
»In so einem Fall beraten die Ival, die es betrifft.., also jene die dort leben, wo dieser Mann das Land haben möchte, ob er es bekommen soll. Und sie selbst entscheiden dann, wie es geschehen soll!« Sebastian ließ seine Worte wirken. Da Antarona noch immer mit zweifelndem Blick vor ihm saß, griff er verzweifelt zu einer Notlüge.
»Weißt du, die Götter haben mir aufgetragen dafür zu sorgen, dass nicht mehr nur ein Mann allein die Macht über das Volk und dieses Land besitzt. Denn einem Mann kann die Macht rasch geraubt werden und jemand wie Torbuk bestimmt dann, was geschieht.., willst du das? Sicher nicht!«, stellte er an ihrer Stelle fest.
»Darum müssen alle gleichermaßen sagen dürfen, wie etwas sein soll!« Sebastian wusste, dass es so einfach, wie er es ihr erklärte, nicht war und dass es einen langen, beschwerlichen Weg zu gehen galt, bevor sie annähernd an dieses Ziel heran kamen. Aber er wollte den Ival von Anfang an klar machen, dass sie einen möglichen Kampf nicht nur für ihren König führten, sondern in aller erster Instanz für sich selbst!
Wenn ihn Antarona auch nicht gleich verstand, so war sie dennoch die einzige des Volkes, welcher er die Begeisterung und das Engagement für eine neue Ordnung zutraute, wenn diese sich erst einmal als Idee in den Köpfen der Ival eingenistet hatte.
»Wir werden also selbst entscheiden können, wo wir leben möchten...«, schloss Sebastian seinen Vortrag ab. »Und du kannst selbst entscheiden, wie wir das tun, mein Engelchen! Niemand muss nach Falméra gehen, um etwas bestimmen, weil wir das alle gemeinsam tun!« Er spürte förmlich, wie es in Antaronas Kopf arbeitete. Wie zur Bestätigung fragte sie leise und bescheiden:
»Ba - shtie.., wenn alles so geschieht, wie ihr sagt... Werden dann all diese wieder zu ihren Familien heimkehren, die Torbuk fort geholt hat.., werden dann auch die Frauen, die zurückkehren, wieder unter uns leben dürfen?«
»Ja, mein Engelchen.., das ist das erste, was es zu tun gilt! Alle Ival, ohne Ausnahme, müssen dann denen helfen, die zurückkehren und Hilfe benötigen. Es ist die Pflicht des Volkes, dafür zu sorgen, dass niemand allein gelassen wird, wenn er um Hilfe bittet! Jeder hilft jedem.., denn sie alle sind Brüder und Schwestern der Ival! Wer aber nicht gut ist und ohne Rücksicht auf die Brüder und Schwestern das tut, was ihm allein zum Vorteil gereicht, dem müssen alle Ival gleichermaßen Einhalt gebieten!«
Antarona gab sich Mühe, dem Vortrag ihres Angebeteten zu folgen, doch die völlig neue Denkweise, die eine uralte, seit Generationen fortgeführte Tradition ablösen sollte, überforderte sie. Sebastian erkannte in diesem Moment, dass es eine lange Zeit und viele kluge Köpfe mit reichlich Lebenserfahrung brauchte, um ein ganzes Volk auf einen neuen Weg zu bringen.
Sicherlich, und diese Lehre zog er aus der Geschichte seiner eigenen Welt, war die große Not der Ival von Vorteil, denn nur ein Volk das unzufrieden und bis aufs Blut gepeinigt war, würde sich auf Änderungen einlassen, die erst unbequem und mühevoll unter großen Opfern errungen werden mussten!
Sebastian griff unter sein reich besticktes Hemd und zog unter Antaronas erstauntem Blick die zusammengefaltete Plastiktüte eines Supermarkts hervor. Bedächtig wickelte er das für sie fremde Material auseinander und förderte die Karten des Unbekannten daraus zu Tage.
»Pla - stick..?« fragte sie voller Stolz, das Wort für das Zeug von den Göttern behalten zu haben. Sebastian nickte bestätigend.
»Ja, es sorgt dafür, dass die Karten nicht nass werden. Dieses Zeug lässt kein Wasser hindurch, siehst du?« Damit rieb er die glatte Tüte mit den Fingern, um Antarona von der Strapazierfähigkeit des Stoffes zu überzeugen. Dann schob er die Tüte wieder unter sein Hemd und breitete die Karte aus, die das Tal darstellte. Sebastian studierte sie eine Weile, während Antarona so tat, als interessiere sie sich nicht im mindesten dafür.
Plötzlich zeigte er mit dem Finger auf einen winzigen Bogen, der in die nördliche Bergkette eingezeichnet war. Er glaubte die Zeichen wieder zu erkennen, die neben dem winzigen Halbkreis geschrieben standen. Es waren die Zeichen der Götterwesen!
»Antarona, sieh mal, was bedeuten diese Zeichen hier?« wollte er wissen. Sie nahm das große Stück Leinenpapier in ihre Hände, die augenblicklich zu zittern begannen. Fassungslos starrte Antarona auf die Stelle, wo sich der Halbkreis befand. Sebastian sah ihren entsetzten Gesichtsausdruck und ahnte, dass er nichts Gutes bedeuten konnte. Wie zur Bestätigung las sie mit bebender Stimme die Beschreibung vor.
»Hallen von Talris Ausgang!« Sebastian sah sie verblüfft an und nahm ihr die Karte wieder ab. Mit zusammengekniffenen Augen betrachtete er das Material, fand jedoch keinen Hinweis darauf, wann, oder von wem das Kartenwerk geschaffen wurde.
»Ba - shtie...«, flüsterte Antarona eindringlich und ihre Hand verkrampfte sich um seinen Unterarm, »...wir müssen diese Botschaft vernichten.., sie ist gefährlich für das Volk! Lasst es uns sofort tun, B - shtie.., jetzt, lasst uns nicht damit warten!«
Sebastian kannte sein Krähenmädchen bisher als eigensinnige, kämpferische Frau, die kaum etwas wirklich erschüttern konnte. Doch nun sah er Angst in ihren Augen.., nackte, panische Angst! Sie wusste ganz genau, was den Ival widerfahren würde, sollte diese Karte jemals in die falschen Hände gelangen, sollte dieses Material überhaupt in die Hände von irgend jemandem geraten!
»Ja, Antarona, diese Karte könnte dein Volk vernichten...«, gab Sebastian langsam nickend zu, »...aber sie kann den Ival auch helfen!« gab er zu bedenken.
»Ba - shtie.., wie sollte uns so etwas helfen?« fragte sie laut und vorwurfsvoll. Dabei schüttelte sie ihn am Arm, dass er beinahe die Karte fallen ließ.
»Ganz einfach...«, versuchte er ihr zu erklären, »...weil in dieser Karte Dinge über dieses Land stehen, von denen Torbuk wahrscheinlich nichts weiß! Wie zum Beispiel dies hier...« Damit zeigte er auf einen weiteren Halbkreis, der an jener Stelle des Tales eingezeichnet war, an dem sich der Zugang zu Antaronas Höhle befand.
»S Eingang«, las sie vor. »Das meinte ich, Ba - shtie...«, erboste sie sich, »...wer diese Botschaft besitzt, weiß von der Höhle am See, von der nur Sonnenherz weiß!«
»Antarona.., hör mir zu, ja?« Sebastian versuchte sie halbwegs zu beruhigen. »Jemand wusste sowieso schon davon! Wer immer diese Karte gezeichnet hat, wusste sehr viel über eure Täler. Er hat es aber auch verstanden, dieses Geheimnis vor Torbuk und seinen Schergen zu schützen!« Antarona starrte ihn an, weil sie nicht wusste, worauf er hinaus wollte.
»Warum, glaubst du wohl, hatte der Unbekannte diese Karten an einem sicheren Ort verborgen, aber nicht vernichtet?« Sebastian wartete ihre Antwort erst gar nicht ab. »Ich will es dir sagen! Weil dieses Dokument deinem Volk helfen kann, zu überleben! Wenn wir die Karte geheim halten und für uns nutzen, dann kann sie den Ival in einer ausweglosen Situation möglicherweise helfen!«
Ohne ihr die Chance eines Widerspruchs zu geben, zeigte er auf den nächsten Eintrag. Er befand sich auf einer weißen Fläche jenseits der hohen Gebirgskette und war mit drei ungleichen Zacken markiert. Die beinahe leere Fläche war mit langen Pfeilen markiert, die wie in eine Richtung windende Würmer sich zu Tal schlängelten. Sebastian tippte energisch auf diese Stelle, als Antarona nicht gleich reagierte, so dass die Karte zu zittern begann. Sie erwachte aus ihren Schreckensgedanken und las gehorsam vor:
»Drei Türme Sitz von der Gott Wesen«, entzifferte sie. Hatten die bisherigen Enthüllungen sie bereits aus der Fassung gebracht, so war es nun vollends um ihre Selbstsicherheit geschehen.
»Die Botschaft weiß, wo der Sitz der Götter ist...«, sprach sie langsam und ehrfürchtig. Dabei strich sie behutsam mit ihren Fingern über die Stelle der Karte, als wollte sie etwas Heiliges beschützen. Dann sah sie Sebastian an und er hatte das Gefühl, sie wäre von einem ihrer Götter selbst berührt worden.
»Niemand mehr wusste davon...«, hauchte sie voller Demut, »...auch die Alten kannten nicht mehr den Weg durch das Reich der Toten zum Sitz der Götter... Ba - shtie! Die versucht hatten, ihn zu finden kamen nicht zurück, oder sie kamen und hatten ihr Leben vergessen. Dies kann nur eine Botschaft der Götter an die Ival sein!« Sebastian frohlockte. Endlich und ohne sein Zutun hatte er seine naive, kleine Frau soweit, dass sie den Wert der Karte erkannte!
»Und darum, mein Engelchen...«, ermahnte er sie, »...sind wir verpflichtet, die Botschaft der Götter zu bewahren und zu behüten, verstehst du? Wir zwei sind auserwählt, das Geheimnis der Götterwesen vor Torbuk und allen anderen Machtgierigen zu beschützen!« Antarona nickte zustimmend und fasste wieder Vertrauen zu Sebastians Urteil.
Der huschte rasch zum Haus hinüber und holte aus seinem Rucksack einen Kugelschreiber. Als er damit zurück kam und begann, die Bezeichnungen in der Karte mit den Buchstaben seiner Sprache zu ergänzen, galt Antaronas Interesse plötzlich mehr dem modernen Schreibgerät, als der Karte der Götter. Er fragte sie nach den Eintragungen und sie beobachtete fasziniert, wie er die Bezeichnungen in seiner Sprache mit blauer Schrift darunter schrieb.
Erstaunlich war, welche Geheimnisse die Karte des Unbekannten Hüttenbewohners in sich verbarg. Und alle ließen sich auch von Antarona und Sebastian gemeinsam nicht entschlüsseln. Da war eine Linie zwischen der Insel Falméra und der Stadt Quaronas, die Sebastian auch mit seinem modernen, technischen Wissen nicht erklären konnte. Hatte zwischen beiden Städten einmal eine Strom- oder Funkleitung bestanden? Bezeichnete die Linie die vorherrschende Luftströmung zwischen beiden Städten? Er konnte keine Antwort finden!
Rätselhaft blieben auch einige Sätze, die in Ival auf freie Flächen der Karte gekritzelt waren. Eine beispielsweise übersetzte Antarona so:
Wenn die Gefahr nicht mehr inne hält, so befragt die Weisesten der Götter. Doch begebt euch nicht zu Ihnen, ohne die Not des Volkes der Menschenwesen. Die Götter sich erzürnen, ruft ihr Ival sie ohne Begehr aus der ewigen Ruhe! Wer geht zu ihnen in der Not, der vergesse nicht die Siegel des Königs und die Schriften Tálinos Nantakis Vaventis Semparos. So sie dem Boten den Weg weisen im Land der Toten und der drei Türme.
Angesichts solch verwirrender Texte schüttelte Sebastian verzweifelt den Kopf. Es gab noch unzählige Beschriftungen mehr, deren Sinn sie beide nicht deuten konnten. Dennoch schreib Sebastian sie in seiner Sprache, also der Sprache des Totenreichs, darunter. Eine innere Stimme ließ ihn ahnen, dass sie für ihn noch einmal von wichtiger Bedeutung sein sollten.
Die zweite Karte aus dem Vermächtnis des Unbekannten machte Sebastian noch mehr Kopfzerbrechen. Die beiden gleich langen, jedoch verschieden geformten Gebilde konnte er sich beim besten Willen nicht erklären. Dennoch ließ er Antarona die Beschriftung übersetzen und kritzelte sie in seiner Sprache darunter. Zum Schluss las er Bezeichnungen wie Weg der steinernen Beeren und Hallen der Dämonen, oder Wasser die nach oben fließen... Welches Geheimnis sich auch immer hinter diesen Karten verbarg, war offenbar von so großer Tragweite, dass es dem Zeichner wichtig war, es mit kaum lösbaren Rätseln zu verschlüsseln. Naiv, aber äußerst wirkungsvoll!
Als es draußen bereits dämmerte und sie in der Scheune kaum noch etwas sehen konnten, überflog Sebastian die beiden Karten ein letztes Mal. Dabei fiel ihm etwas auf, dem er bislang kaum Bedeutung beigemessen hatte.
»Sag mal, Antarona, hat deine Höhle am See eigentlich zwei Zugänge...? Ich meine nicht die beiden am See, sondern noch einen weiteren, weiter weg vom See?« Sebastian hielt ihr dabei die Karte hin und tippte auf den Eintrag S Eingang, der ihm vorher nicht weiter aufgefallen war. Wenn das Süd Eingang bedeuten sollte, dann war es nur logisch, dass es im Norden, Westen, oder Osten noch einen, oder gar mehrere Zugänge gab!
»Nein.., Ba - shtie...«, schüttelte sie den Kopf, »...Antarona kennt keine weiteren Eingänge!« Zu zweit suchten sie die Karte noch einmal nach einem weiteren Symbol ab, das als Halbmond den Eingang in einen Berg bezeichnete. Doch sie konnten keines finden. Es gab nur den Eingang zu den Hallen von Talris und den Eingang zu Antaronas Grotte.
Sebastian faltete die Karten zusammen und steckte sie wieder in die schützende Plastiktüte. Dann sah er Antarona bedeutungsvoll in die Augen.
»Wir zwei, mein Engel, wissen jetzt Dinge, die besser in unseren Herzen verborgen bleiben sollten, verstehst du das? Wenn ich euch einmal nicht mehr helfen kann und die Ival der Hilfe der Götter bedürfen, so sollen die Männer des Achterrats mit den Ältesten der Ival in die Karten schauen und die Rätsel entschlüsseln. Darin werdet ihr vermutlich eine Antwort finden!« Aber auch ohne Bastis Hinweis verstand Antarona die Botschaft, die ihnen der Unbekannte mit den Karten hinterlassen hatte.
»Wo wollen wir die Botschaften verbergen, um sie für die Ival zu bewahren, Ba - shtie? Wo ist ein so sicherer Ort, dass Torbuk ihn nicht erreicht?« Sie machte sich ehrliche Sorgen darüber, dass ihr Geheimnis womöglich nicht sicher gehütet blieb.
»Wie wäre es mit dem Gang der wandernden Schatten in deiner Höhle«, schlug er vor. Skeptisch sah sie ihn an. Sebastian machte eine auffordernde Bewegung und vertiefte seinen Gedanken.
»Du hast selbst gesagt, dass niemand sich darin zurecht findet. Wenn ich dir aber zeige, wie man es macht, dass man sich nicht darin verläuft? Und wenn wir uns einen versteckten Platz für die Karten aussuchen, den nur wir beide allein wieder finden?« Er ließ es wie ein verlockendes Angebot klingen und Antarona ging darauf ein.
»Wenn ihr es so sagt, Ba - shtie, so wollen wir es versuchen!« Sprichwörtlich fiel ihm der berühmte Stein vom Brett. Erleichtert über ihren Entschluss, drückte er sie ins Heu und küsste sie. Dann zupfte er sich seine Kleidung zurecht, um die Scheune nicht mit getrockneten Grashalmen übersät zu verlassen. Antarona jedoch blieb im Heu liegen und blinzelte ihn nur verträumt an.
»Wir wollen wieder hinüber gehen, es wird bald dunkel...«, orakelte er, »...dein Vater wird sich schon wundern, wo wir so lange bleiben...« Sein Krähenmädchen aber drehte sich genüsslich noch tiefer in das duftende Viehfutter und streckte ihm ihre Arme entgegen.
»Was wollt ihr bei den alten Männern, Ba - shtie, wenn ihr eine junge Tochter der Ival habt?« Verdutzt blickte er auf sie herab. Aufreizend wand sie sich im Heu, hin und her, streckte sich und wie zufällig rutschten ihr die Felle von den Schultern. Sebastian reagierte immer noch passiv, denn er fürchtete, dass sie der Holzer überraschen könnte, wenn er sich ihrer eindeutigen Aufforderung hingab. Doch er kannte noch nicht Antaronas Phantasie, wenn sie etwas erreichen wollte!
Vor seinen von ihrer Anmut geblendeten Augen räkelte sie sich aus dem Heu heraus und rutschte mit dem Rücken aufreizend langsam an einem groben Stützbalken hoch, als wuchs sie wie eine zauberhaft strahlende Blume aus schmutzig grauem Stroh. Zuerst riss ihr Oberteil im Rücken an der groben Holzkante entzwei und glitt herab. Als bemerkte sie es gar nicht schlängelte sie sich weiter an der Stütze in die Höhe, bis auch die dünne Lederschnur ihres Hüftschurzes den rauen Holzfasern nicht mehr gewachsen war. Das Band sprang auf und enthüllte Zentimeter für Zentimeter, was Sebastian längst sehnsüchtig begehrte.
Wie verzaubert, nicht mehr Herr seiner Sinne schlang er seine Arme um ihre Taille und pflückte sie regelrecht vom Balken, auf den er beinahe schon eifersüchtig war. Sie fielen ins Heu zurück und vergaßen, dass die Halme pieksten, vergaßen den Holzer, Torbuk, die Karten und auch die aufziehende Nacht...
Wie Diebe in tiefer Finsternis schlichen sie irgendwann aus der Scheune zum Wohnhaus hinüber. Doch hatten sie geglaubt, ohne Mühe ungesehen in Antaronas Gemach zu gelangen, so hatten sie sich getäuscht! Die Fenster des Holzers Wohnstube waren noch hell erleuchtet. Die Stimmen erhitzter Gemüter brandeten nach draußen, ab und an von Gelächter unterbrochen.
Die beiden Verliebten standen auf dem Hof vor des Brautvaters Haus wie Waisenkinder vor ihrem bereits geschlossenen Internat und sahen sich im Lichtkegel unentschlossen an. Antaronas ohnehin schon verfilzte Haare waren wild zerzaust und mit Stroh und Heu gespickt, wie eine Karnevalsperücke. Sebastian stand ihr darin kaum nach. Seine Kleidung sah aus, als hätte er ein ganzes Kornfeld in Liegendstellung abgemäht. Und sie hatten beide den gleichen Gedanken.
In einem Wettlauf, den Basti hoffnungslos verlor, rannten sie über den Hof zum See. Ihre Kleidung blieb bereits auf dem letzten Viertel des Wegs liegen. Mit einem Riesensatz sprangen sie in das kalte Wasser, dass ihre erhitzten Körper sofort wie eine eiserne Faust umklammerte. Kurz darauf standen sie zähneklappernd, aber sauber am Böschungsrand. Antarona wrang sich die Haare aus und entließ einen Sturzbach ins nächtliche Gras, während Sebastian ihre Kleider ausschüttelte.
Als sie den Hof das zweite Mal erreichten, waren die Lichter keineswegs erloschen. Den Stimmen nach mussten Paranubo und Onafinte irgendwann im Laufe des Tages eingetroffen sein, denn ihre anders klingenden Worte hörte man deutlich heraus. Wahrscheinlich rieben die sich an der Frage auf, inwieweit sich Oranutu dem Widerstand der Ival gegen Torbuk anschließen sollte.
»Kommt, Ba - shtie...«, raunte ihm sein Krähenmädchen zu und zog ihn mit sich, »...wir lassen ihnen nicht den Triumph, auf uns zu starren, wie auf ein Paar nasse Hunde!« Bevor er noch begriff, was sie vor hatte, führte sie ihn zur Giebelseite des Hauses, wo ein kleiner Schuppen angebaut war. Einer Spinne gleich, ergriff sie den Dachüberstand, spreizte mit dem Fuß in das kleine, glaslose Fenster und stemmte sich auf das Schuppendach. Dann zog sie ihren Geliebten zu sich hinauf.
Von dort war es ein Leichtes, über die Ecke auf das Hausdach zu klettern. Ähnlich zweier Schatten in einer Halloween Nacht huschten sie zur Gaube mit den Fenstern zu Antaronas Gemach. Wie eine Katze verkrallte sie die Zehen in den groben Steinschindeln und machte sich am Dreieck der Gaubenseite zu schaffen. Im ganzen Stück nahm sie unter Bastis staunendem Blick einen Teil der hölzernen Wand heraus und schlüpfte in das Dunkel.
Nachdem ihr Sebastian gefolgt war, verschloss sie den Dachteil wieder sorgsam und sah ihren Mann stolz an.
»Antarona war oft auf diese Weise fort gegangen, um ihre Mutter zu suchen...«, erklärte sie ihrem Basti, »...durch das Haus konnte sie nicht gehen, Hedaron und Tark hätten sie daran gehindert, zu gehen.« Fasziniert von ihrem Einfallsreichtum schüttelte er bewundernd den Kopf.
Dann stiegen sie die Treppe hinab und Antarona stieß die Tür zum Wohnraum auf. Sofort verstummte jegliche Unterhaltung. Wie ganz selbstverständlich setzte sie sich an den Tisch und bediente sich der vom Abendessen übrig gebliebenen Speisen. Die beiden Oranuti, Högi Balmer und Koratan glotzten sie mit großen Augen dumm an, wie eine vom Himmel gefallene Elsire. Offenbar war schon nach ihnen gesucht worden und man hatte dabei wohl auch ihr Gemach nicht ausgelassen. Doch gerade von dort schienen sie in diesem Augenblick gekommen zu sein, als hätten sie das Haus den ganzen Tag lang nicht verlassen.
Hedaron und Tark hingegen blickten eher gleichgültig. Wahrscheinlich waren sie an die kleinen Überraschungen der Tochter des Hauses gewöhnt und hatten es aufgegeben, sich zu wundern. Sebastian konnte sich angesichts der überraschten Gesichtsausdrücke der anwesenden Gäste ein Grinsen nicht verkneifen. Einfach zu komisch war dieses Schauspiel, das Antarona mit ihnen inszenierte.
»Kommt und setzt euch, Ba - shtie...«, flunkerte sie und zwinkerte ihm ungesehen zu, »...seid ihr denn gar nicht hungrig, nach einem ganzen Tag unter Sonnenherz warmen Fellen? Ihr müsstet einen ganzen Wafan verschlingen können!«
Und ob er das konnte! Ohne weitere Aufforderung setzte er sich seiner Geliebten gegenüber und sie begannen um die Wette zu essen, was den Anwesenden ein weiteres Staunen entlockte. Nur allmählich beruhigten sich die schmutzigen Phantasien Koratans und der Oranuti, vielleicht sogar auch Tarks und sie nahmen wieder ihr Gespräch auf, das sich um die hoch wichtige Frage drehte, ob man die Rinder der Oranuti mit den ausgewilderten Artgenossen der Ival kreuzen sollte, um die Zucht widerstandsfähiger zu machen.
An diesem Thema redeten sie sich immer noch die Köpfe heiß, als Antarona ihren Sebastian unter allgemeinem Kopfschütteln wieder die Treppe zu ihrem Gemach hinauf zog...

Der Morgen brachte keine große Wetterbesserung. Es war windig, kalt und die Sonne hatte sich hinter einer dicken Wolkenschicht verkrochen, die nur hin und wieder einmal aufriss. Zwischendurch ging immer wieder ein Schauer nieder, mal als Schnee, mal als Regen. Sebastian war früh wach und nutzte die Zeit, die Antarona noch in tiefem Schlaf lag, um die Karten des Unbekannten so genau wie möglich in sein Tagebuch zu übertragen. Bevor seine Geliebte die Augen aufschlug, hatte er sein heimliches Werk beendet und sicher in seinem Rucksack verstaut.
Nach einem üppigen Frühstück, das Antaronas Vater auftischte, machte sich allgemeine Aufbruchstimmung breit. Hedaron übergab seiner Tochter und Sebastian das Bündel für den König und informierte sie über das Erkennungszeichen, mit dem sich die beiden Windreiter ausweisen mussten, die sich ihnen bei der Ruine anschließen sollten. Högi Balmer schärfte seinen beiden Hunden noch einmal mit Nachdruck ein, auf Sebastian zu hören. Allerdings war das kaum nötig, denn Rona und Reno waren inzwischen ohnehin mehr auf Sebastian fixiert, als auf ihren Herren.
Paranubo und Onafinte begannen noch rasch eine Diskussion mit Sebastian, weil sie seinen Vorschlag, festeres Schuhwerk anzuziehen, als Beleidigung auffassten. Die Oranuti trugen ihre Schnürsandalen mit Stolz, da sie zu ihrer Kultur gehörten, übersetzte Antarona. Sebastian allerdings wollte nicht einsehen, dass sie wegen kaputter Füße der beiden Exoten wertvolle Zeit verlieren sollten und möglicherweise noch ihr Unternehmen gefährdeten.
Sie einigten sich schließlich darauf, in Fallwasser den Schuhmacher aufzusuchen, um für den Notafall je ein paar Beinlinge für die beiden zu besorgen. Koratan hatte bisweilen ganz andere Bedenken. Er fürchtete, von Torbuks Männer gefangen genommen zu werden und wäre am liebsten noch im letzten Moment unter dem Schutz des Holzers geblieben. Nur die Angst, von seinem König irgendwann zur Rechenschaft gezogen zu werden, veranlasste ihn, sein Bündel zu schnüren.
Sebastian machte sich so seine Gedanken in Bezug auf ihre bunt gemischte Gruppe. Zwei fast barfüßige Botschafter, ein notorischer Angsthase und zwei Krieger, die sie noch nicht einmal genau kannten und die erst noch zu ihnen stoßen sollten. Für seinen Geschmack waren das drei Unsicherheitsfaktoren zu viel!
Nur gut, dass Antarona seinem Plan zugestimmt hatte, mit dem er versuchen wollte, die lästigen Anhängsel los zu werden. Bei Koratan musste er nicht einmal viel schauspielerisches Talent an den Tag legen. Wenn der bei Gefahr die Gelegenheit zum Rückzug hatte, würde er laufen, als würde er von einem fresssüchtigen Felsenbären verfolgt.
Nachdem es leidlich hell geworden war, zogen sie los. Antarona hatte sich ihren einfachen Leinenrock über den Hüftschurz gezogen und zwei aneinander genähte Felle übergeworfen, um sich vor dem kalten Wind zu schützen. Darüber hing ihr gewöhnliches Schwert, das von Nantakis kaum zu unterscheiden war. Über ihre Beinlinge bis zu den Knien hatte sie sich Fellstreifen gewickelt, denn sie konnten nicht ausschließen, dass sie über die Berge ausweichen mussten, falls Torbuks Soldaten den Weg durch das Tal besetzt hielten.
Sebastian trug seine Bergstiefel, die wie durch ein Wunder mit seinen anderen Sachen wieder aufgetaucht waren. Seine Kleidung, mit der er in dieses Land gekommen war, fand sich über Nacht, wie von Zauberhand hingelegt, komplett und gereinigt in Antaronas Gemach. Die Beinlinge, die ihm Antarona gemacht hatte, lagen gut verstaut in seinem Rucksack. Seine Lederjeans hatte er sich einfach über die neue Leinenhose gestülpt. Um so dem eisigen Wind trotzen zu können, hatte er sich die Jacke zusätzlich über seinen Wollponcho gezogen.
Reno und Rona bildeten die Vorhut. Ohne, dass sie wissen konnten, welche Richtung ihr kleiner Trupp einschlagen würde, trotteten sie stets fünfzig bis hundert Meter voraus. Aber gerade das beruhigte Sebastian, denn sollte irgendwo ein Hinterhalt lauern, würden die beiden anhalten und warnend knurren.
Zunächst führte Antarona die kleine Gruppe den Weg entlang in Richtung der Bergkette. Kurz vor der Baumgruppe bei den Felsen, in denen sie ihr Schwert versteckt hatte, ließ sie halten. Unter dem Vorwand, das Gelände vor ihnen erkunden zu wollen, entfernte sie sich kurz. Sebastian achtete darauf, dass es keinem ihrer Schützlinge einfiel, ihr plötzlich folgen zu wollen.
Ein paar Minuten vergingen, da tauchte sie hinter einer Bodenwelle wieder auf, ihr Schwert Nantakis auf dem Rücken. Die Befürchtung Sebastians, die beiden Oranuti oder Koratan könnten den Unterschied zwischen den beiden Waffen bemerken, erwies sich als unbegründet. Nur, wer Nantakis genau kannte, war in der Lage, diese wundersame Waffe von einer guten Nachbildung zu unterscheiden.
Das einzige, was jenem augenfällig wurde, der das Geheimnis um Nantakis kannte, war der leicht bläuliche, matte Schimmer der Klinge, der bei anderen Schwertern fehlte. Außerdem behielt Nantakis stets seinen matten Glanz, während gewöhnliches Metall bei vernachlässigter Pflege Flugrost ansetzte, der sich schwer wieder entfernen ließ.
Die Gruppe verließ nun den Weg und schlug einen Haken nach Osten, über Wiesen und durch kleine Baumgruppen hindurch. Sonnenherz führte sie umsichtig, indem sie jede Deckung ausnutzte. Sollten sie einem Spähtrupp Torbuks begegnen, war es von Vorteil, wenn sie sich rasch unsichtbar machen konnten.
Während sich Antarona an ihrer bekannten Umgebung orientierte, sah Sebastian immer wieder auf seinen Kompass. Die Oranuti und Antarona beobachteten ihn dabei mit verstohlenen Blicken. Er wusste, dass zumindest seine Frau von der tanzenden Nadel fasziniert war.
Sebastian erklärte ihr den Zusammenhang zwischen den Buchstaben und den Himmelsrichtungen, wobei er die Bezeichnungen der Ival gebrauchte. Begierig nahm sie die neuen Kenntnisse auf und konnte sofort nachvollziehen, dass der Buchstabe S für die Richtung nach der wandernden Sonne hin stand.
Allerdings brauchte Basti eine Weile, um ihr klar zu machen, dass die Zaubernadel immer in die Richtung der schlafenden Sonne blickte und dass sie den Ring mit den Buchstaben so drehen musste, dass die verrückte Nadel auf das N zeigte.
»Ba - shtie.., Sonnenherz kennt den Weg, sie braucht die wackelnde Nadel nicht, um ihre Fährte zu finden!« Ein vorwurfsvoller Unterton schwang in ihrer Stimme mit und Basti vermutete, dass sie vor den Oranuti und Koratan ihr Gesicht als kundige Führerin nicht verlieren wollte.
»Ja.., was aber, wenn du auf dem großen Wasser unterwegs bist, wie willst du dort deinen Weg finden?«, forschte er nach.
»Die Sterne weisen den Weg zur Nacht und am Tag tut dies die Sonne«, war die prompte Antwort. Sebastian gab sich damit nicht zufrieden, denn er wollte seine Frau für die tanzende Nadel begeistern.
»Aber was machst du, wenn du im ewigen Eis unterwegs bist? Auf einem Gletscher sieht bei Nebel alles gleich aus und man kann sich schnell ver...«
»Ba - shtie... «‚ unterbrach sie ihn ermahnend, »...niemand geht zum ewigen Eis in das Reich der Toten, wenn er nicht zu den Göttern gerufen wird! Dort braucht man die tanzende Nadel nicht, denn die Götter weisen jedem den Weg, der an die Pforte zu ihrem Reich gebracht wird! Natürlich nur jenen, welche den Götterwesen der Ival folgen!«, setzte sie noch bissig hinzu und warf einen provokativen Blick auf die beiden Oranuti.
Dieser versteckte, verbale Seitenhieb ließ Sebastian erahnen, dass die Oranuti zwar den Ival als Verbündete gegen Torbuk willkommen waren, dass beide Kulturen aber zu verschieden waren, um sich wirklich anzunähern, oder gar zu verstehen. Die Ival schienen die Bewohner von Oranutu nicht gerade zu lieben!
Onafinte und Paranubo jedenfalls überhörten Antaronas Anmerkung entweder bewusst, oder sie waren ganz einfach zu naiv, um den Sinn ihrer Worte zu begreifen. Die beiden waren zwei eigenartige Charaktäre, die sich offenbar mit niemandem anfreundeten, stets unter sich blieben und auch nicht viel sagten. Trotzdem trugen sie einen Stolz zur Schau, der mehr schon Arroganz war.
Insgeheim fragte sich Sebastian, ob die beiden mit dem krummen, einer Machete ähnlichen Säbel, den sie an ihrer Seite trugen, umzugehen verstanden. Oder anders: Er hätte gern gewusst, ob er auf die beiden als Kämpfer zählen konnte, wenn sie sich plötzlich ihrer Haut erwehren mussten.
Am frühen Mittag näherte sich die kleine Gesellschaft Fallwasser. Auf einer mit Obstbäumen bestandenen Anhöhe oberhalb des Dorfes, etwa achthundert Meter von den ersten Hütten entfernt, hielten sie an. Antarona gebot den Oranuti und Koratan in Deckung zu bleiben und gab Sebastian ein Zeichen ihr zu folgen.
Bäuchlings krochen sie ein paar Meter nebeneinander durch das hohe Gras der Wiesen, bis sie das Dorf gut beobachten konnten. Es war nichts Ungewöhnliches zu erkennen. Einige Kinder tollten mit einem ausgestopften Fell zwischen den Hütten herum, ein Mann schwang auf einer nahe gelegenen Weide seine Sense und mähte das letzte Gras vor dem Winter. Aus den Schornsteinen einiger Hütten kräuselte dünner Rauch hervor, der sofort vom Wind erfasst und verweht wurde.
»Es ist sehr viel Ruhe im Dorf«, bemerkte Antarona nüchtern. Doch sie sagte es so geheimnisvoll, dass Sebastian skeptisch wurde.
»Aber das haben wir uns doch gewünscht, dass alles schön friedlich und ruhig bleibt, oder?« Er kannte Antarona inzwischen zu gut, als dass er nicht gewusst hätte, dass sie irgend eine Gefahr witterte. Aber selbst Rona und Reno, die einige Meter hinter ihnen stehen geblieben waren, zeigten kein außergewöhnliches Interesse an den vor ihnen liegenden Häusern.
Vorsichtig zogen sie sich wieder in den Schutz der Obstbäume zurück. Sie fanden Koratan und die beiden Oranuti genüsslich schmatzend vor. Sie hatten sich am Fallobst bedient, das zwischen den Bäumen auf dem Boden lag. Antarona deutete auf die vielen Äpfel, die verwaist da lagen und erklärte mit ernster Mine:
»Es ist zu ruhig, Ba - shtie. Die Ival lassen niemals etwas verderben, das ihnen die Götter und Mutter Erde geschenkt hat!« Damit hob sie einen der Äpfel auf und drehte ihn hin und her, so dass ihn Sebastian genau in Augenschein nehmen konnte.
»Die Früchte liegen seit zwei schlafenden Sonnen am Boden...«, fuhr sie fort, »...seht die dunklen Stellen, wo sie auf die Erde gefallen sind. Es ist das erste, das die Kinder des Volkes am Morgen tun; die Früchte sammeln, welche die schlafende Sonne den Bäumen genommen hat! Die Gaben der Mutter Erde sind zu wertvolle Geschenke, wir überlassen sie nie den Robrums, oder den Wasel!«
Während Koratan und die beiden Oranuti verständnislos drein blickten, wusste Sebastian, was seine Gefährtin damit andeuten wollte. Irgend etwas stimmte nicht!
»Na ja...«, sagte er nachdenklich, »...die Kinder spielen ungestört, der Mann mäht friedlich sein Gras... Was macht dich so sicher, dass da etwas faul ist? An die Äpfel haben die vielleicht nur nicht gedacht!«
»Ein Mann mäht das Futter für sein Vieh, wenn es noch nass ist, Ba - shtie?« Sie stellte ihm die Frage wie einen Vorwurf und mit einem leicht empörten Unterton, als nahm sie es ihm übel, dass er ihren Gedanken nicht so rasch folgen konnte.
»Es wird Regen geben...«, klärte sie ihren Mann auf, »...die Ival wissen das, sie erkennen es an den Bergen, ob die Sonne den Tag erhellen wird, oder das Wasser des Himmels auf die Erde fällt. Wenn es nass ist, geht das Futter nicht gut zu schneiden und es trocknet nicht!«
»Scheint was dran zu sein, an dem was du sagst...«, ließ Basti sich überzeugen, »...aber was meinst du, was wir jetzt tun sollen? Wie stellen wir fest, ob du recht hast, ohne, dass wir in eine Falle laufen?«
Anstelle einer Antwort sah Antarona plötzlich mit starrem Blick über die Dächer des Dorfes hinweg, als blickte sie in eine andere Dimension. Sie murmelte ihren geheimnisvollen Singsang, der Sebastian immer noch so fremd vorkam, als hörte er zum ersten Mal eine längst ausgestorbene Sprache.
Ein paar Augenblicke später segelten zwei Schatten durch die Obstbäume und landeten auf einem niedrigen Ast. Antarona schritt auf ihre Krähen zu und mit einem eleganten Satz landeten ihre beiden gefiederten Freunde behutsam auf ihrem Arm. Sebastian wunderte sich, dass die Krallen der beiden Vögel nicht Antaronas nackte Haut durchbohrten.
Kurz darauf hoben die schwarzen Spione wieder ab und glitten mit einer gemächlichen Ruhe davon. Beeindruckt sah Sebastian ihnen nach. Wie sie mit ihren Flügeln spielten und jede Regung des Windes für sich ausnutzten, war spektakulär! Nicht, dass es in Bastis Welt keine Krähen gab... Doch ihrer Flugkünste wurde er sich erst bewusst, seit er Antaronas Schwarzvögel kannte. In seiner hektischen und hoch technisierten Welt fand das Auge an einer Krähe nichts besonderes.
Für die hin und her hetzenden Sklaven einer demokratisch regierten, westlichen Industrienation waren diese Tiere schlicht unliebsame Aasfresser. Menschen irrten viel, wenn sie durch ihre Bequemlichkeit die Verbindung zu den Wurzeln ihrer Natürlichkeit verloren.
Sebastians Erkenntnis wurde durch ein bekanntes, lang gezogenes Kroooh, Kroooh unterbrochen. Antaronas mittelalterliche Fernaufklärer waren wieder gelandet. Koratan fand nichts seltsames dabei, dass sich seine Führerin mit Krähen unterhielt, denn ihm waren die Legenden über Sonnenherz, das Krähenmädchen bekannt.
Paranubo und Onafinte ließen sich da schon eher zu staunenden Blicken hinreißen. Doch sobald jemand in ihre Richtung sah, taten sie so, als könnte nichts auf der Welt sie beeindrucken. Sebastian merkte an vielen verborgenen Gesten der beiden, dass sie alles andere als gewohnt waren, einer Frau zu folgen. Frauen schienen in ihrer Gegend nicht viel Ansehen und Respekt zu genießen.
Ihre Meinung fundierte sich erst recht, als Antarona plötzlich ein ziemlich verunsichertes Gesicht aufsetzte.
»Was ist los...«, wollte Sebastian wissen, der ihren Ausdruck ebenfalls bemerkte, »...was hast du erfahren?« Sie sah ihn etwas ratlos an und zuckte dann mit den Schultern.
»Tekla und Tonka heben keine Gefahr entdecken können, Ba - shtie.., aber Sonnenherz ist sich nicht sicher...« Sie ließ den Satz offen und vermied es, sich festzulegen, etwas, das Sebastian ganz und gar nicht von ihr kannte.
»Du meinst, es ist keine Gefahr zu sehen, aber du spürst dennoch eine Falle.., verstehe ich das richtig?« Sebastian sah sie fragend an.
»Antarona sieht eine Stille, welche nicht natürlich ist«, sagte sie leise. Koratan, der nervös von einem Fuß auf den anderen tänzelte verstand sie ebenso wenig, wie die beiden Oranuti, die ganz unverhohlen ihre Zweifel an den Fähigkeiten des Krähenmädchens zur Schau trugen. Über die Stille, welche nicht natürlich ist, machten sie sich derart lustig, dass ihnen vor Lachen dicke Krokodilstränen in die Augen traten.
Sebastian allerdings verstand seine Gefährtin. Er kannte diese seltsame Stille, die sich über alles legte, wenn Gefahr lauerte. Während seiner Hochgebirgstouren hatte er oft erlebt, dass eine seltsame Ruhe einkehrte, bevor ein Steinschlag oder eine Lawine ihre Gewalt entfesselten. Tiere spürten die Gefahr im Voraus und gaben keinen Laut mehr von sich. Sogar Insekten verstummten, als erwarteten sie voller Spannung das bevorstehende Unheil.
Eine ähnlich trügerische Ruhe breitete sich nun auch auf dem Hügel aus, von dem sie auf das Dorf hinabblickten. Die Vögel, die bei ihrer Ankunft noch verhalten in den Obstbäumen zwitscherten, waren stumm geworden und alle Insekten schienen plötzlich in eine allgemeine Starre gefallen zu sein. Es war nahezu unheimlich!
Allein der Wind ließ ein Raunen vernehmen, das die bedrückende Stimmung noch unterstrich. Alle Augenpaare waren auf das Dorf gerichtet. Doch das Leben schien dort unten seinen normalen Gang zu gehen. Dennoch lag etwas in der Luft, das Misstrauen schürte!
Sebastian zog sein Kurzschwert aus dem Gürtel und gab den Anstoß zum Handeln. Sie konnten nicht tagelang jedes Dorf beobachten. Genauso wenig war es klug, einfach blindlings zwischen den Häusern hindurch zu laufen. Hinter jedem Fenster, hinter jeder Tür und an jeder Ecke konnte ein Hinterhalt auf sie warten.
»Wir umgehen das Dorf einfach, oben über die Hangwiesen«, bestimmte er. Ohne einen Kommentar abzuwarten, oder sich zu vergewissern, ob die anderen ihm folgten, schulterte er die blanke Klinge seines Schwertes und marschierte los. Antarona spannte ihren Bogen auf und folgte ihm, zwei Pfeile schon in der Hand. Basti wusste, dass sie so vorbereitet, blitzschnell zwei bis drei gezielte Pfeile abschießen konnte, egal, aus welcher Richtung Gefahr drohte.
Reno und Rona setzten sich ebenfalls in Bewegung und nahmen wieder ihre Position weit vor dem kleinen Trupp ein. Eine bessere Vorhut, als die beiden Hunde Balmers konnte sich Sebastian nicht vorstellen. Hinter ihren wedelnden Ruten fühlte er sich relativ sicher.
In weitem Bogen wichen sie dem Dorf aus. Die Besorgung fester Beinlinge für Paranubo und Onafinte fiel naturgemäß aus. Die beiden ließen sich nichts anmerken, doch Sebastian fiel auf, dass sie in ihren Sandaletten immer wieder stolperten oder auf dem nassen Gras ausglitten. Wehe, wenn sie auf steinigem Gelände gehen mussten...
Den ganzen Nachmittag folgten sie den Hangwiesen und mieden den Weg, der durch das Tal führte. Kurze Sonnenabschnitte wechselten mit längeren Regenschauern. Meist bot sich der Gruppe die Möglichkeit, dem teilweise ziemlich heftigen Regen unter einem Baum, oder in einer einsamen Vorratshütte zu entgehen.
Am frühen Abend ließ der Niederschlag nach und die Wolkendecke riss auf. Doch die Sonne stand bereits zu tief hinter den hohen Gipfeln. Die Hoffnung auf ein trockenes Nachtlager hatte sich damit nahezu erschöpft.
Die mächtige, dunkle Wand der Felsen, durch welche die Schlucht führte, begrenzte nun das Tal. Gleichzeitig rückte die alte, halb verfallene Festung ins Blickfeld der fünf Wanderer. Zunächst als scheinbar bizarre Felszacken, kristallisierten sich mehr und mehr Mauern, Bögen und Türme heraus.
Zwischen den dicken Wänden, die weiterhin dem Verfall trotzten, glomm immer wieder ein pulsierender Lichtschein auf. Irgend jemand hatte in der Ruine ein Lagerfeuer entfacht. Vermutlich waren es die beiden Windreiter Arraks. Derart unbekümmert ein Lagerfeuer dieser Größe zu entfachen, zeugte allerdings von einer gewissen Leichtsinnigkeit, wenn nicht jemand den Zugang zur Schlucht bewachte!
Sebastian nahm sich vor, die beiden Reiter, die ihnen zusätzlichen Schutz gewähren sollten, über ihr unüberlegtes Verhalten aufzuklären. Zu Antarona gewandt sagte er:
»Die sollten uns eigentlich helfen, sicher nach Falméra zu gelangen und nicht uns Torbuks Soldaten auf den Hals zu locken, oder?« Das Krähenmädchen nickte zustimmend und hob warnend die Hand.
»Wir wollen vorsichtig handeln.., es kann auch ein Spähtrupp der schwarzen Pferdesoldaten sein! Sie verbringen manchmal die schlafende Sonne in den Mauern der alten Burg, bevor sie auf Raubzug gehen. Oft wagen sie sich nicht in das obere Val Mentiér, doch tun sie es, so haben sie meist einen festen Auftrag von Torbuk.« Antarona dachte kurz nach, bevor sie fort fuhr.
»Wenn dies Arraks Windreiter sind, so sind sie sehr dumm! Der Feuerschein verrät sie schon von sehr weit her. Ba - shtie.., Arrak entsendet immer gute Männer.., aber diese dort sind dumm.., sehr dumm!« In ihrer Stimme klang ernste Sorge mit, etwas, das Sebastian zusätzlich warnte.
Die vielleicht nur beiläufige Aussage seiner Gefährtin brachte ihn auf den Gedanken, dass sie bei der alten Festung möglicherweise eher Feind als Freund vorfanden.
»Wir sollten die Festung genau beobachten, bevor wir uns zu nahe heran wagen«, schlug Sebastian vor. Antarona warf ihm einen zustimmenden Blick zu. Basti deutete voraus, auf eine Felsengruppe, die der Festung vorgelagert war.
»Denkst du, dass wir ungesehen bis dorthin kommen?« Er wartete ihre Antwort nicht ab, sondern dachte bereits weiter.
»Wenn wir uns von da aus an die Festung heranschleichen, sie umgehen und in die Felsen dahinter steigen... dann können wir hinein sehen, ohne selbst gesehen zu werden, was meinst du?«
»Das müssen wir nicht, Ba - shtie.., Sonnenherz weiß einen Weg in die Mauern, den nur sie allein kennt. Wir können hören, was in der Festung gesprochen wird, doch niemand wird uns sehen!«
»Dann ist das unser Weg«, bestätigte Sebastian. »Lass uns zusehen, dass wir zu den Felsen kommen, solange wir noch etwas sehen können«, schlug er vor. Auf das Licht des Mondes konnten sie in dieser Nacht nicht hoffen, denn zum einen war mittlerweile Neumond, zum anderen schoben sich immer wieder Wolken über das Firmament.
Wie hungrige Löwen an ihre Beute, so pirschten sie sich an die Felsen heran, jede Möglichkeit der Deckung ausnutzend. Eigentlich war es höchst unwahrscheinlich, dass ein Späher sie von der Felsenburg aus erkennen konnte, denn er musste gegen das Licht der untergehenden Sonne blicken. Doch Sebastian hatte gelernt, in diesem abenteuerlichen Land mit selbst dem Unmöglichen zu rechnen.
Um an die Felsen zu gelangen, mussten sie zuletzt den Weg überqueren, der das Tal der Länge nach in zwei Hälften teilte. Zwar wurde der Weg wegen der Felsenschlucht schon schmaler, doch er blieb dennoch ein heller Streifen, auf dem sich eine Person als schwarze Silhouette alarmierend gut abhob. Antarona huschte als erste hinüber. Nicht mehr als ein fliegender Schatten war von ihr auszumachen. Pfeilschnell folgten ihr die beiden Hunde. Dann war die Reihe an Koratan.
Wie Sebastian bereits geahnt hatte, war er das schwache Glied in der Kette. Er lief gebückt los, überquerte das letzte Stück der Wiese und... Er stolperte über einen Stein, der auf dem Weg lag! Ungelenk ruderte er mit den Armen, dann schlug er klatschend der Länge nach hin. Basti glaubte sogar ein Echo seines Aufschlags hören zu können und biss sich vor Anspannung auf die Unterlippe.
Alles blieb ruhig. Koratan rappelte sich hoch und lief weiter. Leider hatte er durch seinen Sturz völlig die Orientierung verloren und steuerte schnurgerade auf die Festung zu. Geistesgegenwärtig reagierte Antarona. Sie sprang wie ein Panther aus ihrer Deckung, packte den verdatterten Vertrauten Bentals am Kragen und zog ihn hinter sich her in den Schatten der Felsen. Sebastian atmete erleichtert aus.
Nun sollten die beiden Oranuti folgen. Sebastian fiel jedoch gerade noch rechtzeitig auf, das sie in ihren weißen Gewändern, die sie unter ihren Waffenröcken trugen, wie der Mond selbst leuchteten. Er gab ihnen zu verstehen, sich zur besseren Tarnung mit Erde einzureiben. Doch sie weigerten sich vehement und wollten zudem noch laut protestieren.
Mit einem deutlichen, energischen Zeichen drohte er ihnen die Hälse abzuschneiden, wenn sie sich auch nur mucksten. Dann ließ er sie laufen und betete, dass sie nicht noch ausgiebig auf dem Weg herumhampelten. Beruhigt stellte er kurze Zeit später fest, dass Antarona die beiden in Empfang nahm.
Einen Moment lang beobachtete er noch die Festung, um sicher zu gehen, dass dort niemand etwas von ihrer Anwesenheit bemerkt hatte. Dann sprintete er geduckt zu den anderen hinüber.
»Sag den beiden Kasperköpfen, dass sie sich mit irgend etwas tarnen sollen...«, raunte er Antarona atemlos zu, »...ihre Sachen leuchten wie der Vollmond, da können wir ja gleich ein paar Fackeln vor uns her tragen!« Eindringlich erläuterte sie den beiden Oranuti Sebastians Forderung. Unter leisem Protest begannen sie schließlich damit, ihre weißen Hemden unter den Waffenröcken auszuziehen. Anschließend schärfte Antarona ihnen ein, sich nicht von der Stelle zu rühren und keinesfalls irgend welchen Lärm zu verursachen.
Dann wandte sich Sebastian mit hoffnungslosem Kopfschütteln an Koratan, der eingeschüchtert am Felsen kauerte, wie ein verstörtes Kaninchen.
»Meine Güte.., ein Stein! Ein einzelner, gottverdammter, einsamer Stein auf dem ganzen Weg! Und ausgerechnet über den müsst ihr fallen!« Er machte noch eine wegwerfende Handbewegung, weil er einsah, dass sein Vorwurf ohnehin nichts brachte.
Nachdem das geklärt war, rieben sich Antarona und er mit Erde ein, bis Paranubo bestätigte, dass sie eins wurden mit der Nacht. Endlich schlichen sie los. Sebastian hatte den Eindruck, dass er sich durch die finsterste Nacht seines Lebens bewegte. Sie krochen durch das hohe Gras, geradewegs auf die Rückseite der Festungsruine zu. Sebastian begriff dabei, welche monströsen Ausmaße dieses Bauwerk einst gehabt haben musste.
Mittlerweile konnte er nur noch grob schätzen, wo sie sich befanden. Er robbte einfach nur hinter den Füßen seiner Frau her, hinein in das unbekannte Dunkel. Wie aus dem Nichts tauchte plötzlich das Gemäuer vor ihnen auf. Im Schatten der mächtigen Außenmauer konnten sie sich wieder halb aufrichten und schlichen an der steinernen Wand entlang.
Nach einer Weile erreichten sie so etwas wie einen gemauerten Abwassergraben, der aus der Festung herausführte und sich als Relikt einer ausgetrockneten, breiten Rinne in der Finsternis verlor. Antarona kroch in die dunkle Öffnung der halbkreisförmigen Röhre und Sebastian konnte nur noch ihrem Kriechgeräusch folgen. Offenbar kannte sie sich blind im Labyrinth der Festung aus.
Sebastian kam es vor, wie eine Ewigkeit, bis sie endlich die muffig reichende Röhre verließen und sich in einem stockfinsteren Raum befanden.
»Nehmt meine Hand, Ba - shtie, wir müssen den Weg ohne unsere Augen gehen«, flüsterte sie ihm zu. Das beruhigte ihn nicht gerade und er hoffte, dass er nicht über irgend welchen Unrat stolpern würde und Gefahr lief, sich den Schädel einzuschlagen.
Ohne etwas sehen zu können führte ihn Antarona zielsicher an den Natursteinwänden entlang. Wahrscheinlich fand sie die richtige Richtung ähnlich wie die Ureinwohner Australiens, indem sie ihren Weg ahnte. Sebastian verlor jegliches Zeitgefühl und war mehr als erleichtert, als plötzlich ein zuckender Lichtschimmer die Wände entlang glitt und er leise Stimmen vernahm.
Von Raum zu Raum pirschten sie sich so weit an die Unbekannten heran, bis sie diese vor einem Feuer hocken sahen. Es waren zwei Männer, von denen einer wesentlich jünger aussah, als der andere. Beide steckten in den Waffenröcken der Windreiter. Sie hatten irgend ein Federvieh auf ein einfaches Gestell gesteckt, und ließen es angenehm duftend vor sich hin brutzeln.
Antarona gebot ihrem Basti sich weiterhin still zu verhalten. Anscheinend wollte sie die beiden Recken belauschen, um sicher zu gehen, dass sie nicht in einen Hinterhalt tappten. Sebastian war froh darüber, dass sie ebenso misstrauisch war, wie er selbst.
Sie standen im Schatten des angrenzenden Raumes und konnten von den beiden Kriegern, die vom Feuer geblendet waren, nicht gesehen werden. Als Antarona sicher war, Verbündete vor sich zu haben, wollte sie in den erleuchteten Raum treten. Doch Sebastian hielt sie zurück, denn nun war er es, der ein schlechtes Gefühl bei der Sache hatte. Irgend ein siebenter Sinn warnte ihn, diesen beiden Figuren allzu unbedacht zu vertrauen. Er zog sich langsam rückwärts hinter die nächste Zwischenwand zurück und zog Antarona mit sich.
»Ich gehe da zuerst rein...«, hauchte er ihr ins Ohr, »...bleib mit deinem schussbereiten Bogen im Schatten ja? Falls es doch eine Falle ist, kannst du mindestens einen ausschalten und mir Zeit geben, wieder im Dunkeln zu verschwinden!«
Lautlos tasteten sie sich zurück. Antarona zog ihren Bogen auf und legte einen Pfeil an die Sehne und nahm einen weiteren zwischen ihr Gebiss. Sebastian bückte sich, suchte nach einem Stein und hob ihn auf. In weitem Bogen warf er ihn hoch über die Köpfe der beiden Windreiter hinweg. Mit einem knallenden Geräusch schlug das Geschoss gegen die Mauer und fiel klackernd zu Boden. In der nächsten Sekunde sprangen die beiden Überraschten wie von einer Schlange gebissen auf und hielten lauernd ihre Kurzschwerter in den Händen.
Wie leblose Statuen starrten sie gebannt auf den Eingang des großen Raumes, nichts ahnend, dass Sebastian in ihrem Rücken stand. Wäre er einer von Torbuks Männern gewesen, so hätten die beiden sicher den Weg zu ihren Göttern gefunden. Er wunderte sich, wie leicht sich jene übertölpeln ließen, die als einzige Männer in den Tälern Torbuk noch die Stirn boten.
Leise trat Sebastian in den Schein des Feuers. Noch immer bemerkten sie ihn nicht. Sie erwarteten wohl einen Angriff von außen und kamen gar nicht erst auf die Idee, dass jemand aus den Mauern der Ruine kommen könnte. Fast belustigt schüttelte Sebastian den Kopf. Ohne einen Laut öffnete er seine Jacke, damit die Überrumpelten das aufgestickte Wappen auf seinem Hemd erkennen konnten und ihn nicht doch noch vor Schreck mit ihrem Schwert attackierten.
»Na.., was habt ihr da schönes über dem Feuer...?« Sebastians Frage zerriss die Stille und hallte wie ein Donnerschlag durch die Räume und Säle der alten Ruine. Die zwei wirbelten so schnell herum, dass der jüngere von beiden dem anderen beinahe sein Schwert über den Kopf zog. Der ältere versuchte auszuweichen, stolperte und fiel rücklings zu Boden.
Während er sich wieder gehetzt aufrappelte, blickte der jüngere und offenbar Unerfahrene erschrocken auf Sebastian, als hätte er einen Geist gesehen. Um die Situation nicht eskalieren zu lassen, zeigte ihnen Sebastian als Zeichen seiner Friedfertigkeit seine offenen Arme.
Der ältere von beiden erlangte als erster seine Fassung zurück, erkannte das Wappen auf Sebastians Brust und beruhigte seinen Kameraden. Angesichts der nicht mehr vorhandenen Gefahr hellten sich ihre Minen etwas auf und der ältere bot Basti einen Platz am Feuer an.
Sebastian schätzte ihn auf etwa vierzig bis fünfzig Jahre. Mit seiner kräftigen Statur wirkte er etwas schwerfällig, was im Gegensatz dazu stand, dass die Windreiter stets blitzschnell zuschlugen und wieder wie Geister im Nichts verschwanden. Sein Waffenrock saß ihm etwas zu eng auf dem Leib und wirkte wie eine Hülle, die jeden Moment platzten musste.
Sein jüngerer Mitstreiter hingegen hätte gleichsam sein Sohn sein können und machte den Eindruck eines Verhungernden, was aber aller Wahrscheinlichkeit nach daran lag, dass seine Kleidung so locker auf seinen Rippen hing, als wäre sie für einen deutlich stattlicheren Mann geschneidert worden.
Beide aber besaßen etwas Hinterlistiges in ihrem Blick, das Sebastian nicht gefiel und er fragte sich, was um alles in der Welt sich Arrak dabei gedacht hatte, ihnen ausgerechnet zwei solche Vogelscheuchen zu ihrer Unterstützung mit auf den Weg zu schicken. Er konnte es sich nur damit erklären, dass diese beiden Figuren offenbar am ehesten entbehrlich waren.
Sebastian verbeugte sich vor den beiden und nahm dankend an ihrem Feuer platz. Sofort schnitt der Jüngere ein großes Stück von dem Braten ab und reichte es Sebastian mit übertriebener Höflichkeit. Herzhaft biss Basti in das vor Fett triefende Fleisch und nickte den beiden anerkennend zu. Heimlich wanderte sein Blick aber zur schwarzen Öffnung des nächsten Raumes hinüber, hinter der er Antarona mit gespanntem Bogen wusste.
Allmählich konnte sie ja heraus kommen, dachte er bei sich. Sie konnten das Versteckspiel auch übertreiben! Als sich nichts dergleichen tat und Sebastian auch nicht wusste, was seine Gefährtin dazu bewegte, weiterhin im Verborgenen zu bleiben, blieb ihm nur eine List, wenn er ihre Anwesenheit nicht verraten wollte.
Er stand auf, fasste sich an den Schritt und verdrehte dabei schauspielerisch die Augen, als quälte ihn ein dringendes Bedürfnis. Seine neuen Gastgeber verstanden sofort und grinsten hinter ihm her, als er sich mit raschen Schritten vom Feuer entfernte und in der dunklen Türöffnung verschwand. Zuerst bemerkte er Antarona nicht und erschrak, als sie ihm ihre Hand auf den Arm legte.
»Worauf wartest du denn noch...«, flüsterte er ihr zu, »...die beiden sehen wohl kaum so aus, als könnten sie jemanden in einen Hinterhalt locken, oder? Ich hätte nicht gedacht, dass Arrak solche Trottel in seiner Truppe hat.«
»Sonnenherz hatte sich ebenso gewundert und aus Vorsicht noch gewartet. Sie hat diese Männer noch nie bei Arrak gesehen!«, entgegnete sie leise, aber keineswegs besorgt. Also sah auch Sebastian kein Risiko mehr.
Gemeinsam gingen sie zu den Windreitern zurück. Die wunderten sich gar nicht, als sie Sebastian in Begleitung vom Ort seiner Verrichtung zurück kommen sahen. Arrak hatte sie wohl genauestens informiert. Antarona sprach mit den beiden und erklärte Sebastian dann:
»Das sind Wurek...«, dabei wies sie auf den älteren von beiden, »...und Fister, Ba - shtie.., sie sind erst wenige Zentaren bei Arrak.« Dann fragte Antarona Wurek etwas, worauf der aufstand und einen kleinen Lederbeutel an seinem Gürtel öffnete. Mit ungelenken Fingern holte er drei glänzende Gegenstände heraus und gab sie Antarona, die sie wiederum an Sebastian weiter reichte. Es waren zwei kleine, vermutlich aus einem Stück Knochen geschnitzte, rechteckige und leicht gebogene Figuren, wie kleine Schilde, in welche Gesichter geschnitten waren. Das dritte Stück, etwas kleiner, stellte irgend einen Vogel dar. Fragend sah er sein Krähenmädchen an.
»Wurek bringt diese Dinge als Zeichen von Arrak, der sie vom Achterrat bekommen hat«, klärte sie ihn auf.
»Diese Dinge sollen uns zeigen, dass diese beiden jene sind, welche uns angekündigt waren, Ba - shtie!« Danach wandte sie sich zum Ausgang der Festung.
»Sonnenherz bringt jetzt jene, die sie führen soll...« Mit diesen Worten trat sie aus dem Kreis des Feuers und überließ Fister und Wurek ihrem Mann von den Göttern. Kaum hatte Basti ein neues von Wurek angebotenes Stück Volossoda-Truthahn verschlungen, da stand Antarona schon wieder im Raum, ihr Bündel und Bastis Rucksack in der Hand. Die beiden Oranuti und Koratan stolperten hinter ihr her, wie gerade geschlüpfte Küken hinter einer Henne.
Als alle im Kreis friedlich um das Feuer herum saßen, musste sich Sebastian eingestehen, dass er sich hatte von seinem Misstrauen blenden lassen. Vielleicht war er durch die vielen Erlebnisse in den letzten Wochen all zu sehr sensibilisiert, um noch objektiv urteilen zu können. Dadurch witterte er Gefahr, wo gar keine zu erwarten war.
Es dauerte nicht lange, und das angenehme Feuer trug sicherlich dazu bei, da überkam Sebastian und seine Begleiter eine Müdigkeit, die von einem anstrengenden Tag erzählte. Seine Augen wurden schwer und er hatte den Wunsch wenigstens zwei oder drei Stunden zu schlafen. Fister und Wurek drängten sich geradezu auf, die erste Wache zu übernehmen. Sofort wurde Basti wieder misstrauisch gegen die Windreiter.
Antarona beruhigte ihren Mann aber mit dem Hinweis auf die untrüglichen Zeichen ihrer Legitimation, welche sie vorgewiesen hatten. Also ließ sich Basti dazu ermutigen, in seinen Schlafsack zu krabbeln und etwas Ruhe zu schöpfen...

Am Morgen waren es Sebastians Rückenschmerzen, ausgelöst durch das brettharte Lager, die ihn weckten. Schlaftrunken schälte er sich aus seinem Schlafsack und blickte sich um. Antarona lag tief in ihrem Fellberg verborgen und schlief noch. Wurek und Fister lagen eng aneinander gelehnt und schnarchten lustig darauf los.
Dicht bei ihnen schlief Koratan ebenfalls tief und fest. Onafinte und Paranubo waren bis zur Glut an die Feuerstelle heran gerückt und wäre das Feuer nicht niedergebrannt, so hätten ihnen die Flammen sicher die Kleider versengt.
Das Lager bot ein friedliches Bild. Nur, Wache gehalten hatte niemand! Selbst eine Schar Dorfkinder hätte sie mühelos überrumpeln können! Fister und Wurek waren offenbar eingeschlafen, ohne die nächste Wache zu wecken. Die beiden boten Sebastian nicht unbedingt das Bild, dass er sich von den Windreitern gemacht hatte. Ebenso wenig hatte er Arrak zugetraut, solche Tölpel in seiner Truppe zu dulden.
Leise weckte Sebastian seine Gefährtin. Auf leisen Sohlen schlichen sie aus dem halb überdachten Teil der Festung und wurden von kaltem Nieselregen empfangen. Sie hielten es für ratsam, die Umgebung zu erkunden, bevor sie aufbrechen würden.
Lautlos schlichen sie durch den Wald. Der Regen hatte das Laub aufgeweicht und verschluckte jedes weitere Geräusch. Wie auf einem weichen Teppich bewegten sie sich zwischen nass schimmernden Baumstämmen. Dicke Regentropfen fielen unregelmäßig von den hohen Bäumen und landeten meist genau in Sebastians Nacken.
In solchen Augenblicken wünschte er sich wieder zurück in seine gemütlich beheizte Stadtwohnung. Selbst seinen Bauwagen mit dem Kanonenofen hätte er zu diesem Zeitpunkt einem nassen Hochwald vorgezogen! Doch alles hatte seinen Preis, selbst die Liebe!
Einige Minuten später standen sie unvermittelt vor dem Eingang zur Schlucht, die das Tal in die obere und untere Hälfte trennte. Wenn sie einen Hinterhalt zu erwarten hatten, dann in dieser düsteren Klamm, in der man nicht die Hand vor Augen sehen konnte.
Still verharrten sie im Unterholz und lauschten. Reno und Rona lagen mit hechelnden Zungen neben ihnen und zum Unterschied zu den beiden Menschenwesen verschwammen sie optisch mit den Farben des Waldes.
»Was meinst du...«, flüsterte Sebastian und sein Atem entließ ein kleines Dampfwölkchen in die kalte Luft, »...können wir einfach so da hindurch laufen.., mit der ganzen Gesellschaft am Hacken?« Antarona spähte weiter auf den mächtigen, dunklen Spalt in der Felswand, der sie bedrohlich anglotzte. Sebastian berichtete ihr von seinem Erlebnis, als er das erste Mal durch diese Schlucht ging und sich vor den beiden Bauern in einer Nische verbarg.
Das Krähenmädchen antwortete nicht. Statt dessen nahm sie einen kleinen Stein und warf ihn im hohen Bogen in den Eingang. Kollernd verebbte das Echo, doch nichts geschah. Niemand trat aus dem Dunkel, nicht einmal eine Dohle, oder ein Vogel ließen ein Krächzen oder Zwitschern hören. Aber gerade das war es, was in Antarona Missbehagen auslöste. Die Tiere waren still. Zu still! Jegliches Geräusch von Leben war erstorben, als erwartete die Welt die Entladung einer angespannten Situation.
Langsam schüttelte Basti den Kopf. Sein Gefühl weigerte sich, in diesen lichtlosen Stolpergang zu steigen, ohne zu wissen, was ihn dort drinnen erwartete.
»Antarona.., warum steigen wir nicht hinter der Festung den Wald hoch, halten uns dann zur erwachenden Sonne und suchen uns einen Weg über die Felsen? Dort können uns Rona und Reno vor jedem Hinterhalt warnen!« schlug er vor.
Dieser Einwand hatte ihr wohl eine Entscheidung abgerungen. Sie forderte ihn mit einem leichten Druck auf seinen Arm auf, ihr zu folgen und zog sich rückwärts durch das Dickicht in den Wald zurück. Rona und Reno taten synchron dasselbe.
»Ba - shtie, ihr habt recht... besser ist es, wenn wir den Gang der Finsternis meiden. Wir gehen über die Felsen, über die Nester der Gore und steigen an den klagenden Wassern in das Tal von Zumweyer«, offenbarte sie sich ihm, als sie den Eingang zur Schlucht schon ein gutes Stück hinter sich gelassen hatten.
»Nester der Gore? Das ist hoffentlich nicht dein Ernst, oder?« Basti sah sie fragend an. Auf Antaronas Gesicht entstand wieder dieses hintergründige Lächeln, das ihre Überlegenheit demonstrierte.
»Ihr braucht keine Gore zu fürchten, Ba - shtie.., die Nester sind aus den Felsen der Berge gemacht! Einige Gore hatten in der alten Zeit den Frieden mit den Menschenwesen gebrochen. Das erzürnte die Götter so sehr, dass sie ihre gesamte Brut zu Stein verwandelten. So liegen die Eier der Gore noch heute auf dem großen Wall, der die oberen Täler schützt.« Antarona hielt an, duckte sich hinter einem Baum und sprach weiter:
»Es ist ein unheimlicher Ort, Ba - shtie, doch ihr müsst ihn nicht fürchten!« Aber gerade diese Aussage bescherte Sebastian ein mulmiges Gefühl. Wie oft schon sollte er keine Angst haben und sah sich plötzlich mit einer Situation konfrontiert, die er bis dahin nur aus Spielfilmen kannte. Sein Bedarf an unsicheren Abenteuern war eigentlich gedeckt!
Antarona blieb hinter dem Baum geduckt und gebot ihm, ebenfalls in Deckung zu gehen. Reno und Rona erstarrten in der Bewegung, als waren sie ein Teil von ihnen. Sie schienen jede Empfindung ihrer menschlichen Begleiter zu spüren. Weit voraus drangen Fetzen von Stimmen durch den leichten Regen an ihr Ohr. Einen Moment lang horchten sie in diese Richtung, dann erhob sich Antarona.
»Das sind Fister, Wurek, Onafinte und Paranubo«, stellte sie nüchtern und entspannt fest. Sebastian war erstaunt. Er hatte nicht damit gerechnet, dass sie ihrem Lager schon wieder so nahe waren. Gleichzeitig aber schlug seine Stimmung in Zorn um.
»Was fällt diesen Hohlköpfen eigentlich ein, da so einen Lärm zu veranstalten?«, schimpfte er leise in sich hinein. »Lässt man die mal ein paar Minuten aus den Augen... Schon haben die sich in der Wolle!« Inzwischen lichtete sich der Wald und die Festungsruine kam in Sicht. Sebastian war überrascht, dass sie dem Gemäuer näher waren, als er vermutet hatte.
Antarona sagte nichts und zeigte auch sonst keine Geste der Empörung. Sie löste das Problem auf ihre Weise. In aller Gemütsruhe spannte sie ihren Bogen auf, legte einen Pfeil an die Sehne und hielt die Waffe scheinbar ziellos gen Himmel. Mit einem trockenen Geräusch entspannte sich die Sehne und der Pfeil sirrte davon. Kaum mit dem Auge zu verfolgen beschreib er einen hohen Bogen und senkte sich schließlich auf die Feste hinab, wo er in das Gewirr der Mauern eintauchte.
Schlagartig verstummte jegliches Geschrei und Gezänk. Auf einem Mal schien die Ruine wie ausgestorben. Antarona warf Basti ein flüchtiges Lächeln zu und setzte sich wieder in Bewegung. Als sie den Raum erreichten, in dem sie die Nacht verbracht hatten, bot sich ihnen ein still vergnügter Anblick.
Im hinteren Teil des Raumes, wo die Decke bereits eingefallen war, steckte senkrecht ein Pfeil im Boden. Die Oranuti, Koratan und die beiden Windreiter standen im Kreis um das Geschoss herum und starrten es verwirrt an, als wäre es gerade aus dem Boden gewachsen.
Antarona und Sebastian traten wie unbeteiligt hinzu. Da sie Pfeil und Bogen wieder in ihrem Fellköcher verstaut hatte, kam niemand auf den nahe liegenden Einfall, dass sie der heimliche Schütz gewesen sein konnte.
»Wir werden beobachtet.., ausspioniert, vielleicht sind wir schon umstellt...«, krähte Koratan völlig außer sich vor Angst, »...die können uns jederzeit abmurksen.., jederzeit, sage ich euch!« Sebastian musste grinsen, zwang sich aber zu einer ernsten Mine und donnerte los:
»Wenn ihr hier auch herumschnattert, wie eine Schar aufgescheuchter Gänse, müsst ihr euch nicht wundern, wenn ihr Torbuks Reiter auf den Plan ruft! Du meine Güte.., ihr verhaltet euch ja wie eine kopflose Herde Rindviecher bei einem Gewitter...« Große Augen und offene Münder starrten ihm entgegen. Er hatte ganz vergessen, dass die wenigsten Ival der Sprache der Toten mächtig waren. Doch sein Tonfall verriet ihnen anscheinend doch, worüber er sich ärgerte.
Betretenes Schweigen ringsum. Antarona klärte den Sachverhalt. Inzwischen dachte Sebastian darüber nach, ob ihr Schuss ein Zufallstreffer war, oder ob sie tatsächlich die Gabe besaß, Wind, Entfernung und Winkel so abzuschätzen, um einen Pfeil über diese Distanz so meisterhaft genau ins Ziel zu setzen. Aber in einer Traumwelt, in einem Leben nach dem Tod war das vielleicht gar nichts Ungewöhnliches?
»Die beiden Windreiter stritten mit den Oranuti darüber, ob wir sie heimlich verlassen hatten und wer fortan die Führung übernehmen sollte«, klärte sie Sebastian auf. Der schüttelte verzweifelt seinen Kopf.
»Und mit so einem undisziplinierten Haufen wollen wir nach Falméra?« Zweifelnd sah er seine Frau an, die sich aber schon wieder den Windreitern zugewandt hatte. Offenbar klärte sie diese über ihre Entscheidung auf, die Schlucht zu umgehen.
Fister und Wurek protestierten wie zwei kleine Kinder, denen man ihre Süßigkeiten weg genommen hatte. Sie bestanden mit Nachdruck darauf, den Weg durch die Schlucht zu nehmen, weil dies angeblich so mit dem Achterrat beschlossen worden war. Trotz Antaronas Argumente wehrten sie sich mit großem Palaver gegen eine Planänderung.
Sebastian verlor allmählich die Geduld. Er fror, war nass geregnet und er fühlte sich verdreckt und unwohl. Er hatte das ganze Affentheater endgültig satt und wollte einfach nur weiter gehen, ihrem Ziel entgegen, nach Falméra, wo sie hoffentlich ein trockenes Ruhelager finden konnten!
Als Wurek sich erneut in einen Redeschwall steigerte und gegen Antaronas Entscheidung aufbegehrte, platzte Sebastian der Kragen. Mit einer unverhofften Bewegung riss er sein Kurzschwert aus dem Gürtel und setzte die Spitze an Wureks Kehle. Augenblicklich wich jegliche Farbe aus dessen Gesicht. Ohne die Augen von seinem überraschten Opfer zu lassen, forderte er Antarona auf:
»Sag diesem Spinner, wenn ihm sein Leben lieb ist, soll er seine Siebensachen zusammenpacken und sich zum Abmarsch bereit machen. Und wenn er hier noch mal so ein Gezeter macht, dann werde ich ihn aufspießen und in ganz kleine Häppchen geschnitten zu Arrak zurück schicken.., sag’ ihm das!« Damit steckte Basti sein Schwert ein und machte sich daran, seinen Schlafsack einzurollen.
In seinem Rücken hörte er Antarona zu Wurek und Fister sprechen. Beruhigt stellte er fest, dass die beiden keine Widerworte mehr gaben. Möglicherweise brachte Antarona seine Botschaft auch etwas nachdrücklicher zum Ausdruck.
Während sie sich bereit machten, die Ruine zu verlassen, beobachtete Sebastian die beiden Windreiter ständig aus den Augenwinkeln. Er konnte nicht bestimmen wieso, aber er traute ihnen nicht!
Unter schmutzig grauem Himmel zogen sie los. Auf der den Bergen zugekehrten Seite der Festung führte sie Antarona zunächst in den Wald. Der vom Regen aufgeweichte Boden bot auf dem steilen Hang kaum Halt. Immer wieder rutschen Koratan und die beiden Oranuti aus, fielen hin und glitten auf dem bauch ein Stück abwärts. Binnen kürzester zeit sahen sie aus, als hätten sie sich metertief durch Erdreich gegraben. Ihre Sandaletten fanden auf dem Untergrund keinen Halt; sie waren eher für Sandboden gefertigt worden.
Die beiden Windreiter erkämpften sich ihren Weg ebenso unbeholfen und Sebastian fragte sich zum wiederholten Male, worin wohl ihre Aufgabe in Arraks Truppe bestand. Vermutlich waren sie Köche, Schreiber, oder Schneider, eben für den Kampf entbehrlich.
Antarona hingegen schien der Aufstieg auf dem lehmigen Waldboden Vergnügen zu bereiten. Sie hatte wieder ihre Beinlinge ausgezogen und ihre Füße krallten sich wie die Klauen eines Greifvogels in die Erde. Sebastian schlug den Oranuti und Koratan vor, es ihr gleich zu tun, erntete aber nur spöttische bis vorwurfsvolle Blicke. Nun, sie sollten von selbst drauf kommen! Basti war es bereits leid, Kindermädchen für ein paar Männer zu spielen, die besser zuhause hinter dem Ofen sitzen geblieben wären.
Er selbst hatte mit dem steilen, weichen Gelände kaum Probleme. Seine Fußverletzung war dank Antaronas Kräuterbrei gut verheilt und seine Füße fühlten sich in seinen Bergstiefeln wohl. Nur eines missfiel ihm an dieser Wanderung. Da Antarona die Führung übernahm, musste er die Nachhut bilden. Um mit seiner Krähenfrau Schritt zu halten, war er gezwungen jeden Nachzügler anzutreiben, vorwärts zu schieben, oder ihm massiv zu drohen, wenn er nicht mehr weitergehen wollte.
Plötzlich standen sie vor einer unnahbar scheinenden, zerklüfteten Felswand. Sie besaß nicht annähernd die Höhe der Flucht vom Eingang der Klamm, war aber immer noch hoch genug, dass sich Sebastian fragte, wie um alles in der Welt Antarona gedachte, ihren Tross dort hinauf zu führen.
Angesichts der hochhaushohen Wand knickten Koratan schon mal die Beine weg. Stöhnend ließ er sich zu Boden sinken und tat, als müsste er auf der Stelle sterben. Onafinte und Paranubo gestikulierten wild mit den Armen und ihr Protest schien sich gegen ihre Götter selbst zu richten.
Antarona ließ das Gebaren unbeeindruckt. Sie hatte sich ihrer Felle entledigt, die sie nun als Bündel auf dem Rücken trug und wand sich durch Felszacken und über Steinschuppen hinauf, als hätte sie nie etwas anderes getan. Sebastian jagte die müden Erscheinungen ihrer Begleiter mit barschen Worten hoch. Mit der Hand am Griff seines Schwertes unterstrich er seine Bitte, Antarona zu folgen. Widerwillig rafften sich die Geplagten auf und stolperten hinter des Holzers Tochter her.
Ihr Anblick ohne die schweren Felle um den Leib begeisterte nicht nur Sebastian. Die Oranuti und Koratan waren schon zu erschöpft, um ihrer Reize bewusst zu werden. Doch Wurek und vor allem Fister konnten ihre verschlingenden Blicke nicht mehr von Antaronas femininer Schönheit lassen. Sebastian bemerkte sowohl ihre gierigen Blicke, als auch die leisen Kommentare, die sie sich zuraunten. Es war keine Frage, worum es bei diesen Bemerkungen ging.
Angesichts der lüsternen Blicke der beiden Windreiter, mit denen sie den Bewegungen seiner Frau folgten, wurde Sebastian immer stiller. Er kochte vor Wut und verborgener Eifersucht. Sollte auch nur einer von ihnen sich seinem Krähenmädchen gegenüber anzüglich gebärden, oder sie anfassen, oder auch nur daran denken, sie anzurühren... Sebastian hätte sie ohne zu zögern die Felswand hinab geworfen!
Als sie die Felsen überwunden hatten, legte Antarona eine Pause ein. Sie befanden sich nun auf dem Rücken des großen Walls, der das Val Mentiér in ein oberes und unteres Tal trennte. Diese Barriere zog sich zu beiden Seiten weiter in die Höhe und verlor sich in den felsigen und bewaldeten Hängen der beiden Gebirgsketten, die das Tal einfassten.
Sebastian dachte mit den fortschrittlichen Gedanken seiner eigenen Welt. Würde man die Schlucht einfach zubetonieren, schuf man automatisch einen gigantischen Stausee, der beinahe bis an die Gletscher heran reichte. Er schüttelte den Kopf, um diese Vision wieder los zu werden. Aber er wusste auch, dass diese Vorstellung Wirklichkeit werden würde, sollte eines Tages seine eigene Zivilisation in diesen Tälern Einzug halten. Zuerst würde das Gold von Talris abgebaut werden, anschließend konnte das Tal geflutet werden, um die endlosen Gletscher mit ihren unermesslichen Wasserreservoirs zur Stromgewinnung zu nutzen. Geologisch barg dieses Land ein wirtschaftliches Potential, das seinesgleichen auf der Welt suchen konnte!
Gelang ihm jemals die Rückkehr in seine raffgierige Gesellschaft, so musste er für alle Zeit schweigen. Ansonsten war die Kultur der Ival schlicht zum Sterben verurteilt! Doch die Rückkehr, die er gedanklich in Betracht zog, hatte er inzwischen als etwas Unerreichbares abgetan. Und er wollte es auch gar nicht mehr. Sein Platz, sein Zuhause war an der Seite Antaronas!
Sein Auge schweifte über die Felskante hinab. Aus dieser Position konnte er das Tal bis hin zu den Moränenlandschaften der Gletscher überblicken. Weite Wiesenlandschaften, ausgedehnte Wälder, Bäche, Seen, naturrein und unverfälscht von Menschenhand. Eine Oase der Natur! Ein Paradies mit viel Platz, um eine Familie zu gründen und ein bescheidenes, glückliches Leben ohne Zwänge zu führen...
Freilich erst, wenn Torbuks Macht gebrochen war und die Ival gelernt hatten, sich selbst in Frieden und Eintracht zu verwalten! Dass nach Torbuks Niedergang möglicherweise neue Probleme entstehen könnten, daran dachte Sebastian erst einmal gar nicht.
Scharfer, kalter Wind blies über den hohen Rücken des Bergwalls und lies die Rast machenden rasch frieren. Antarona warf sich wieder ihre dicken Felle um und Basti ergötzte sich an den enttäuschten Blicken Wureks und Fisters. Den beiden Oranuti jedoch setzte die Kälte am stärksten zu. Sie standen mit blauen Gesichtern und klappernden Zähnen gekrümmt da, als könnten sie sich vor dem Wind ducken.
Das beste Mittel gegen die Kälte war, zügig weiter zu marschieren. Mit dieser zwangsläufigen Erkenntnis setzten sie sich alsbald wieder in Bewegung. Antarona führte sie durch lichten Bergwald, der immer wieder von auserodierten Felsmonumenten durchsetzt war. Häusergroße, von Wind und Wetter rund geschliffene Granitblöcke lagen übereinander geschichtet, warfen sich zu wahren Felsburgen auf. Wo immer sich auf ihnen in einem Spalt Erde gesammelt hatte, wuchsen Birken oder Nadelbäume auf scheinbar blankem Stein in den Himmel.
Auf der Kuppel des breiten Bergrückens wechselte der krüppelhafte, lichte Bestand Wind zerzauster Bäume mit einer steppenartigen Heidelandschaft. Nur wenige einzeln stehende, düster wirkende Bäume trotzten noch wie vergessene Gespenster den über den Kamm ziehenden Stürmen. Zwischen herumliegenden Felsen waren es zumeist hohe Büsche, die das Landschaftsbild bestimmten.
Um eine solche Buschgruppe gingen sie ahnungslos herum, als sie plötzlich staunend stehen blieben. Einzig Antarona, die diesen Ort offenbar kannte, zeigte kein sehr überraschtes Gesicht.
»Die Nester der Gore...«, erklärte sie ehrfürchtig und wies voraus, »...hier bestraften die Götter einst jene, die ihre Gebote nicht achteten!« Damit schritt sie auf den Platz zu, der für Sebastian und die anderen nur schwer zu erfassen war. In Abständen von etwa zehn Metern war ein Feld, so groß, wie drei bis vier Fußballfelder, von riesigen, steinernen Nestern bedeckt. In sich geschlossene Steinkränze von bis zu einem halben Meter Höhe und dem Durchmesser eines übergroßen Brunnens umgaben jeweils acht bis zwölf perfekt gleich einem Ei geformte Granitfelsen, die so groß waren, dass vier Mann sie nicht fortbewegen konnten.
Dazwischen wuchs langes, kräftiges Gras, oder auch mal ein kleines, verkümmertes Bäumchen. Allein, so weit sie sehen konnten, zählte Sebastian zwanzig und mehr solcher Nester. Wer oder was hatte sich wofür die Mühe gemacht, so etwas zu schaffen? An Antaronas Legende mit den Goren und den Göttern glaubte er freilich nicht. Eher dachte er da schon an eine intelligente Macht, die einen solchen Aufwand betrieb, um ein naives, gutgläubiges Volk einzuschüchtern.
Wie durch einen Irrgarten suchten sie sich ihren Weg durch die Nester, die nicht enden wollten. Das Ganze erinnerte Sebastian an die Brutplätze irgend welcher Vögel auf den Galapagos Inseln. Nur eben in riesiger, versteinerter Form. Ab und zu erfüllte ein heulender Ton die Luft, als würde jemand stümperhaft auf einer Panflöte blasen. Natürlich hatte das Naturkind Antarona auch dafür eine plausible Erklärung parat. Es waren die Stimmen der Gore, die noch immer als Geister diesen Ort besuchten. Für Lauknitz war es der Wind, der sich durch die Zwischenräume der Eier zwängte, Wirbel entstehen ließ und über Hohlräume pfiff.
Einmal, für einen kurzen Augenblick, trennte sich Sebastian von der Gruppe, um ein dringendes Geschäft zu erledigen. Er ging um ein Nest herum, hinter dem ein üppiger Strauch die Sicht zu den anderen verhinderte. Da lag etwas Weißes zwischen zwei Nestern. Etwas, das von Weitem so aussah, als hätte jemand weiße Farbe verspritzt. Basti näherte sich vorsichtig und war verblüfft. Vor ihm lag das komplette Skelett eines riesigen Drachen!
Seine Beobachtung behielt er für sich, als er die Gruppe wieder erreichte. Es war nicht nötig, ihre undisziplinierten Schützlinge noch unsicherer zu machen. Sebastian selbst hatte schon genug damit zu tun, dieses Land zu begreifen!
Und wie zum trotz wurde er gleich mit dem Nächsten Phänomen dieser Natur konfrontiert. Es war ein Geräusch, das zunächst im Heulen des Winds unterging, nach und nach aber lauter wurde und irgendwann an die Ohren der bunten Wandergesellschaft drang. Ein schluchzendes, jammerndes Gurgeln, als versuchte einer mit durchgeschnittener Kehle um Hilfe zu rufen, ertönte aus der Tiefe der Erde.
Koratan und die Oranuti, ja sogar die angeblich hart gesottenen Windreiter sahen sich ängstlich an. Sie glaubten wohl tatsächlich an Geister. Für Sebastian war klar, dass es wieder nur ein neues, launisches Spiel der Natur war. Neugierig sah er sich um, spähte hinter Felsen und suchte den Boden ab.
»Es sind die klagenden Wasser der Berge«, gab ihnen Antarona zu verstehen. Sebastian nickte nur und forschte weiter, woher der Klang kam. Für ihre Begleiter aber waren und blieben es Geister, von denen nichts Gutes zu erwarten war. Dementsprechend flotter wurde ihr Gang. Plötzlich musste niemand mehr zur Eile gemahnt werden! Selbst die inzwischen arg geschundenen Füße Onafintes und Paranubos flogen über den Boden dahin, als hätten sie aus reiner Luft neue Kraft geschöpft.
Je weiter sie gingen, desto lauter wurden die klagenden Geräusche. Bis plötzlich das Gelände karger wurde und teilweise blanker Stein aus der Erde hervor trat. Wie auf dem Rücken einer gigantischen Schildkröte gingen sie auf flachem, von unzähligen Rissen durchfurchtem, dunklen Fels. An einigen Stellen waren die Risse so breit, dass sie diese einzeln überspringen mussten.
Wasserdampf trat aus den Felsspalten hervor und verflüchtigte sich sofort im Wind. Sebastian stellte fest, dass es kein heißer Dampf, wie etwa bei Geysiren war, sondern eher dem Sprühnebel glich, den er vom Wasserfall bei Antaronas Höhle her kannte. Aus der Tiefe der Spalten drang ein Jaulen und Gurgeln hervor, das ganz sicher nicht von Geistern stammte. Vielmehr waren es Laute, die Wasser hervor brachte, wenn es durch enge Höhlengänge strömte.
Halt.., war da nicht noch ein anderes Geräusch? Sebastian beugte sich an den Rand des Felsspalts und lauschte in die unergründliche Schwärze hinab. Ihm war, als hätte er ein Pferd wiehern gehört.
»Ba - shtie, was tut ihr da.., kommt endlich, macht denen nicht noch mehr Angst!« Antarona war auf einem Mal neben ihm aufgetaucht.
»Ich könnte schwören, ich habe ein Pferd gehört, irgendwo da unten«, berichtete er. Das Krähenmädchen sah ihn zweifelnd an.
»Die klagenden Wasser machen die Menschenwesen irr. Dort unten gibt es keine Pferde, Ba - shtie.., was sollten die dort unten tun?«
Sie hatte recht, wahrscheinlich hatte er sich das nur eingebildet. Die ständige Anspannung und Witterung von Gefahr machte aus einem rationell denkenden Mann allmählich einen Angsthasen. Aber nicht mit Basti Lauknitz!
Vorsichtig setzten sie ihren Weg fort. Die Risse im Boden wurden zahlreicher und größer, so dass selbst Antarona konzentriert darauf achten musste, wohin sie die kleine Gruppe führte. Sebastian ahnte, dass sie sich auf einer riesigen, zerklüfteten Bergkante bewegten. Im Schweizer Wallis hatte er oft solche Geländeformationen durchschritten und wusste um ihre Gefährlichkeit. Oft nur ein falscher Schritt und...
Wieder vernahm er das Wiehern eines Pferdes! Diesmal deutlicher. Doch außer ihm schien es niemand vernommen zu haben. Besorgt holte er zu Antarona auf.
»Können wir einen Moment halten? Ich habe wieder ein Pferd gehört.., ganz deutlich!« Er sah in ihren Augen, dass sie ihm nicht glaubte. Aber sie konnte auch nicht ihren Geliebten und einzigen Verbündeten vor der ganzen Gruppe bloß stellen. Also machten sie ein Pause am denkbar unwirtlichsten Ort dieser Gegend.
»Wo gehen wir weiter...«, wollte Sebastian wissen, »...wie wär’s, wenn wir zwei mal den Weg erkunden? Die brauchen sowie so mal eine kurze Rast«, fügte er mit Blick auf ihre erschöpften Begleiter hinzu.
»Gut, Ba - shtie, wir gehen...«, war alles, was sie sagte. Dann warf sie ihre Felle von den Schultern und gebot den anderen, sich ja nicht vom Fleck zu rühren, bis sie zurück kamen.
Sebastian folge ihr über ein paar wirklich große Erdspalten, bis sie zerrissene Felsaufwürfe erreichten, über welche sie in aufwendiger Kletterei abwärts stiegen. Über nassen, abwärts geplatteten Schieferfels schlitterten sie bis in die Deckung eines angrenzenden Waldes. Im Schutz der Bäume schlichen sie an der Felswand entlang, auf deren Krone sie gerade eben noch standen. Mächtige Spalten und Grotten taten sich im Fels auf, aus denen die Sprühwasser eines wilden Flusses drangen und sie bald bis auf die Knochen durchnässten.
Nicht lange, da war ihr Weg zu Ende. Aus einem riesigen, natürlichen Felsentor donnerte ein Strom von wirbelnden Wassern und stürzte in weitem Bogen in die Tiefe. Es war der Wasserfall, den Sebastian bei seinem Gang durch die Schlucht vor vielen Tagen hatte rechts liegen lassen. Nun standen sie links von ihm und spähten, geschützt durch Sträucher, Felsen und dem Wassernebel hinab zum Ausgang der Schlucht.
Links und rechts des Weges, der in die Klamm führte, lümmelten Männer in schwarzen Kriegsröcken herum. Ihr Anführer, offenbar genervt von seinen Soldaten, saß etwas abseits, hinter einem Felsen auf einem Steinblock, stocherte mit seinem Schwert gelangweilt im Sand herum und ließ es um die eigene Achse kreisen.
Da! Ein Pferd wieherte! Es grenzte an ein Wunder, dass es sogar das Tosen der Wassermassen durchdrang. Die schwarzen Pferdesoldaten mussten ihre Reittiere in einem Seitengang der Schlucht verborgen haben. Das Echo, vielfach von den Felsen zurück geworfen, hatte Sebastian oben durch die Spalten hören können Also doch keine Geister!
Freilich stand es außer Frage, dass dieser Trupp von Torbuk an den Ausgang der Schlucht postiert wurde, um auf jemanden zu warten. Auf wen wohl? Sebastian blickte seine Gefährtin viel sagend an und sie verstand. Die schwarzen Reiter warteten auf sie! Und so viel war nun ebenfalls klar: Hätten sie dem Drängen Wureks und Fisters nachgegeben, so wären sie prompt in eine Falle getappt!
Sebastian zählte fünfzehn Männer plus ihrem Anführer. Wahrscheinlich waren noch weitere Soldaten in der finsteren Schlucht versteckt und mindestens einer musste bei den Pferden geblieben sein. Gegen diese Übermacht hätten sie nie auch nur die Spur einer Chance gehabt! Dies wurde nun auch Antarona augenfällig und Sebastian erntete ihren anerkennenden Blick.
In Basti aber kochte die Wut hoch. Die beiden Tölpel der Windreiter hatten sie beinahe an den Galgen gebracht! Dieser Wurek würde sich noch wundern!
»Warte hier, mein Engel.., ich hole die anderen«, schrie er ihr ins Ohr, denn das Brausen des Wassers verschluckte jeglichen Ton. Antarona nickte ihm zustimmend zu und widmete sich gleich wieder der Beobachtung des erklärten Feindes.
Jegliche Vorsicht außer Acht lassend hetzte Sebastian zurück. Der blanke Zorn auf die beiden Windreiter trieb ihn zur Hochleistung an und binnen Minuten stand er wieder vor der Wandergruppe. Hasserfüllt blitzten seine Augen Fister und Wurek an.
»Wir gehen.., folgt mir, Antarona wartet unten auf uns...«, an die beiden Windreiter gewandt, sagte er in wesentlich schärferem Ton, »...und ihr beide werdet ganz dicht vor mir her gehen, und zwar ohne Zicken zu machen, sonst schwöre ich euch, werdet ihr den nächsten Tag nicht mehr erleben!« Dabei riss er sein Schwert aus dem Gürtel und wies ihnen damit den Weg. Gnadenlos trieb Sebastian die Gruppe an und dirigierte Wurek und Fister schonungslos mit der Schwertspitze durch die Felsen.
Die beiden Windreiter hätten ihn eigentlich leicht überwältigen können, doch schien ihre Angst vor Arrak größer zu sein, als ihr Wille aufzubegehren. Sebastian nahm sich vor, auch mit Arrak ein ernstes Wörtchen zu reden. Was hatte der sich bloß dabei gedacht, ihnen seine dümmsten Leute zu schicken?
Kurz vor dem Wasserfall ließ Sebastian die Gruppe warten. Er schnappte sich lediglich Wurek, der ihn eigentlich an Masse übertraf und zog ihn hinter sich her. Antarona hockte noch immer auf ihrem Beobachtungsposten. Sebastian stieß Wurek neben sie zu Boden und wies über die Felsen hinweg zu den schwarzen Reitern hinüber, um ihm zu zeigen, welchen fatalen Fehler er begangen hätte.
Überrascht fuhr er aus dem Versteck hoch und rief lautstark ein paar Worte in Ival aus, die selbst das tosende Sturzwasser nicht übertönte.
»Das glaubt man doch nicht...«, entfuhr Sebastian ein leiser Fluch, »...wirst du wohl deinen Hintern in Deckung lassen und die Klappe halten!« Gleichzeitig stieß er den verdatterten Windreiter wieder hinter die Felsen und hielt ihm seine Schwertspitze in den Nacken. Im selben Augenblick bereute er, überhaupt so impulsiv reagiert und diesen Waldschrat erst an den Wasserfall gelassen zu haben. Dieser Wurek schien ohnehin nicht sonderlich belehrbar zu sein.
Nun gab Antarona das Zeichen zum Rückzug. Gebückt entfernten sie sich von der Felskante und huschten zur Gruppe zurück. Sebastians Schwertspitze klebte dabei an Wureks Rücken. Fister sah betreten zu Boden, nachdem er erfahren hatte, dass am Ausgang der Schlucht ein Empfangskomitee auf sie wartete. Antarona hatte inzwischen noch mehr gesehen.
»Es sind noch vier der schwarzen Reiter in der Schlucht, Ba - shtie, sie wurden abgelöst, bevor ihr kamt. Sonnenherz glaubt, dass sie in einer der verborgenen Nischen warten.« Also hatten sie zwanzig Reiter gegen sich, zählte Sebastian im Geiste mit und laut sagte er:
»Na, die schwarzen Reiter werden dann wohl warten müssen, bis sie wieder blass werden!« Die Gruppe sah ihn nur verdutzt an. Niemand verstand die Übersetzung Antaronas. Schwarzer Humor war den Ival ganz offensichtlich fremd. Für alle verständlich sagte Basti zu seiner Gefährtin:
»Ich glaube es hat wenig Sinn, wenn wir die Reiter nur umgehen und weiter unten wieder auf den Weg stoßen. Wenn die des Wartens überdrüssig werden, haben wir sie plötzlich im Rücken. Und Torbuk wird den Weg ganz sicher überwachen lassen, davon können wir jetzt ausgehen!« Er dachte kurz nach und sah Antarona an. Bevor die etwas sagen konnte, fuhr er fort:
»Also, so wie ich das sehe, sollten wir uns an die Waldränder der wandernden Sonne halten, zumindest bis zum See. Dann werden wir weiter sehen! Antarona, glaubst du, wir finden einen Pfad durch die Wälder.., mit denen da...?« Sebastian zeigte auf die geschundenen Füße der Oranuti, deren Sandaletten sich beinahe in Nichts aufgelöst hatten.
»Sonnenherz wird einen Weg finden, den auch die Gesandten des Volkes der Oranuti zu gehen vermögen«, bestätigte sie. Und so zogen sie los. Die ersten Stunden kämpften sie sich durch verwucherten, dichten Wald abwärts. Über zerrissene Kleidung und zerkratzte Haut beklagte sich bald niemand mehr. Die ungeschützten Füße der Oranuti hatte Antarona irgendwann unter lautstarkem Protest ihrer Träger mit Fellstreifen und Fasern einer Schlingpflanze umwickelt.
Am Nachmittag erreichten sie den Talboden im Schatten der Felswände, die wie eine unüberwindbare Burgmauer über ihnen aufragten. Aber schon sahen sie sich dem nächsten Hindernis gegenüber. Ein reißender Bach, der aus einem Seitental strömte, verwandelte den südlichen Teil des Talgrunds in ein regelrechtes Hochmoor. Vor ihnen tat sich ein weitflächiger, grundloser Sumpf auf, der sich auf der einen Seite bis in das offene Gelände der Wiesen und auf der anderen bis in das Seitental hinein zog.
Sie folgten dem Ufer des Moores bis weit in das Seitental hinein und konnten es dennoch nicht verhindern, an der einen oder anderen Stelle bis zu den Hüften im schlammigen Wasser zu waten. Als sie endlich wieder festen Boden unter den Füßen spürten, umgab sie die Dunkelheit eines hoch wachsenden Nadelwaldes. Die eintretenden Dämmerung und der lange Schatten der Felswände raubte ihnen das letzte Licht der untergehenden Sonne.
Hinter einer Felsgruppe, auf der dem Tal abgewandten Seite entfachten sie ein Feuer, das sie wärmte und auf dem sie ihren Proviant zubereiten konnten. Selbst Reno und Rona, die sie wie unsichtbare Schatten irgendwo in der Flanke der Gruppe begleitet hatten, gesellten sich wieder hinzu. Auch sie zogen die Wärme des Lagerfeuers dem feuchten, kalten Wald vor.
Sebastian ging noch einmal gut dreihundert Meter in ihrer Spur zurück, von Balmers Hunden begleitet. Erstens wollte er sich vergewissern, dass niemand ihrer Spur folgte und zum anderen musste er sicher gehen, dass ihr Feuer nicht aus der Ferne vom Weg her auszumachen war. Zufrieden stellte er fest, dass der dichte Nadelwald den flackernden Schein zuverlässig abschirmte.
Bald, nach einem kargen Mahl verkrochen sich alle unter ihre Decken oder Felle. Die Wanderung durch das herbstkalte Land zehrte an ihrer körperlichen Substanz, machte müde und erschöpft. Die beiden Windreiter boten sich wiederum an, eine der Wachen zu übernehmen. Um den Schein zu wahren willigten Antarona und Sebastian ein. Doch es war klar, dass sie beide abwechselnd wachen mussten, denn sie beide vertrauten Fister und Wurek nicht mehr.
Reno und Rona sollten bei dem jeweils Wachenden bleiben. Sie würden einen schläfrig gewordenen Wachtposten rechtzeitig vor drohender Gefahr warnen. So hielt Wurek die erste Wache, von einem sich schlafend stellenden Sebastian und zwei aufmerksamen Hunden bewacht.

Der Morgen begrüßte sie mit Windstille und frostiger Kälte. Der Himmel war klar und ein paar letzte Sterne blinkten zum Abschied der Nacht. Die schmale Sichel des Mondes stand verloren über den Gipfeln, die in den ersten Sonnenstrahlen erglühten. Bis die Sonne jedoch den Talboden erreichte, vergingen Stunden. Bis dahin schien es, als drückte die kalte Luft besonders intensiv auf die Erde.
Nur quälend kamen die ermatteten Geister der Wanderer hoch und taumelten zum Feuer hinüber, das Antarona gerade neu anfachte. Koratan machte sich auf, Wasser zu holen, und stakste vor Kälte schnatternd zum Bach hinüber. Antarona versprach einen Tee zu brauen, der sie alle rasch wieder auf die Beine bringen sollte.
In der Tat regten ein paar Becher des heißen Getränks die ausgekühlten Glieder an. An morgendliche Körperreinigung war allerdings bei der Kälte nicht zu denken. Das verschob man gerne auf eine Gelegenheit, die sich am Nachmittag ganz sicher irgendwo bot. Statt dessen behandelte Antarona die Füße der beiden Oranuti und Koratans.
Erst, als die Bodennebel des Talgrunds sich aufzulösen begannen, setzte sie ihren Weg fort. Etwas oberhalb überquerten sie den Bach, der auch dort noch ein ernst zu nehmendes Wildwasser war. Von Fels zu Fels springend und unter Zuhilfenahme langer Äste gelangten sie halbwegs trockenen Fußes ans andere Ufer. Dann folgten sie dem Wildbach zurück bis zum Sumpf.
Im Schutz des Waldes gingen sie der erwachenden Sonne zu, etwa bis auf die Höhe des Dorfes Zumweyer, dessen Hütten sie nur erahnen konnten. Um die Mittagsstunde, die Sonne überflutete das Land nur spärlich mit Licht und Wärme, rasteten sie bei einer Felsgruppe, nahe des Waldsaums. Da der Proviant schneller zur Neige ging, als erwartet, beschlossen Antarona und Sebastian auf die Jagd zu gehen.
Sie schärften ihrer Reisegruppe ein, sich mucksmäuschenstill zu verhalten und den Platz unter keinen Umständen zu verlassen. Anschließend pirschten sie sich leise zwischen den Bäumen hindurch den Berghang hinauf. Wie aus dem Nichts zauberte Antarona plötzlichen einen zweiten Bogen herbei und reichte ihn Sebastian, der sie verdutzt ansah.
»Ihr müsst lernen, damit umzugehen, wenn ihr in diesen Tälern überleben wollt, Ba - shtie«, stellte sie kompromisslos fest. Dann drückte sie ihm noch fünf Pfeile aus ihrem Fellköcher in die Hand.
»Los, versucht es mal.., dort drüben, der alte, krumme Baum.., versucht ihn zu treffen!« Sebastian nahm den Bogen, der aus geglättetem, hellen Holz gefertigt wurde. Die Sehne war an einem Ende des Bogens fest angebracht und wies am anderen eine kleine Schlaufe auf, die kräftige Fäden zusammen hielt. Er stellte den Bogen auf die Erde und drückte ihn durch, um die Sehne einzuhängen. Doch die Waffe versank im weichen Waldboden und drehte sich weg.
»Stellt ihn auf euren Fuß, Ba - shtie, so steht er fest und der nasse Boden weicht die Sehne nicht auf«, riet ihm seine amazonenhafte Kriegerin. Sebastian versuchte es erneut und der Bogen war gespannt! Siegessicher legte er einen Pfeil an die Sehne, so, wie er es bei seiner Gefährtin beobachtet hatte, zog das feste Band nach hinten, zielte und lies es plötzlich los.
Ein müder Stab mit einer Spitze daran sprang unkontrolliert von seinem Bogen, schlingerte, drehte sich in der Luft und schlug klatschend mit dem Schaft gegen einen Baum, der zufällig im Weg stand. Ein irritierter Schütze blickte enttäuscht hinterher.
»Nein.., so geht das nicht...«, belehrte ihn Antarona, »...ihr müsst den Bogen höher halten.., etwa so...« Sie spannte ihren eigenen Bogen und Basti versuchte es sich einzuprägen. »Seht ihr.., und den Arm mit der ganzen Schulter zurückziehen. Atmet ganz ruhig und wenn die Luft aus euren Lungen entweicht, lasst den Pfeil los, ohne eine Bewegung zu machen. Haltet die Bogenhand so, als wäre sie zu Stein geworden!«
Sebastian Lauknitz’ erster Schuss, die Zweite! Er zwang sich zur Ruhe, legte den Pfeil an die Sehne und tat, wie ihm seine Lehrerin geheißen. Einatmen, langsam ausatmen, Bogen noch weiter anspannen.., einatmen.., langsam ausatmen.., Sebastian bezweifelte, dass er in einem Gefecht mit Torbuks Soldaten die Zeit dazu hatte... Die Sehne war gespannt, sein Arm zitterte.., ausatmen... Los! Die Sehne schnellte vor, der Pfeil brach mit einem hässlich knackenden Geräusch entzwei und Sebastian zog instinktiv den Kopf ein, um die Splitter nicht ins Auge zu bekommen.
»Ba - shtie...«, tadelte seine Meisterin, »...ihr müsst den Bogen fühlen, mit euren Sinnen und nicht nur mit dem Arm spannen! Und ihr dürft nicht zögern.., es muss eine Bewegung sein.., seht her!« Damit legte sie wie beiläufig einen Pfeil an ihren Bogen, zog den Arm in einer fließenden Geste zurück und ließ den Pfeil fahren, noch während sie zog. Mit einem kurzen, trockenen Geräusch schnellte das Geschoss von ihrer Sehne, fuhr mit sirrendem Klang davon und schlug augenblicklich mitten in ein Astloch des Baumes, den sie ihm zuvor ausgewählt hatte und blieb vibrierend darin stecken.
»Donnerwetter!«, entfuhr es Sebastian staunend, »...du schießt ja einem Gor das Auge im Fluge aus!« Ein wenig naiv sah er sie an.
»Meinst du, dass ich das auch irgendwann kann?« Antaronas Blicke wanderten an seiner Gestalt auf und ab und er hatte plötzlich das Gefühl, von einer fremden Frau begutachtet zu werden und nicht von seiner neuen Lebensgefährtin.
»Ihr konntet es, Ba - shtie...«, verriet sie ihm auf geheimnisvolle Weise, »...Arrak sagte, ihr wart ein sicherer Bogenschütze! Das Reich der Toten hat euch eures Könnens und eurer Erinnerung beraubt. Ihr müsst sie wieder erlangen, denn ihr werdet es können müssen!« Sie lächelte ihn an, wie eine Verschwörerin.
»Wie sonst wollt ihr die Ival in ihrem Kampf gegen Torbuk führen? Wenn ihr ein Anführer sein wollt, Ba - shtie, so müsst ihr einen Weg zeigen, sonst folgt euch niemand!«, weissagte sie.
»Los.., versucht es noch einmal...«, forderte sie ihn auf, »...seht auf das Ziel, Ba - shtie, nicht auf die Pfeilspitze.., seht mit euren Sinnen das, was ihr treffen wollt!«
Noch einmal legte Sebastian an, spannte den Bogen, fixierte den alten Baum und... Schuss! Der Pfeil schnellte davon und blieb mit einem trockenen Schlag in einem Baum drei Meter vom anvisierten Ziel entfernt stecken. Lob heischend sah er mit strahlendem Gesicht zu seiner Gefährtin hinüber.
»Das war doch gar nicht so schlecht.., oder?« Antarona quittierte seinen Treffer mit nicht ganz ernst gemeintem, vorwurfsvollem Blick.
»Ba - shtie - laug - nids.., habt ihr auf diesen Baum dort drüben gezielt?«, fragte sie zweifelnd.
»Nein...«, gab er offen zu, »...ich habe auch auf den alten Baum gezielt, auf den du geschossen hast!«
Beide mussten plötzlich lachen und Augenblicke später lagen Bogen und Pfeile achtlos auf dem Waldboden verstreut und zwei Verliebte sich in ihren Armen. Seit ihrem Aufbruch von Hedarons Hof waren die Gelegenheiten selten geworden, sich ihren Gefühlen hin zu geben. Wo anders, als auf einsamer Pirsch sollte sich ihr angestautes Verlangen erfüllen?
Antarona ließ sich von Sebastian spielerisch gegen einen kräftigen Baumstamm drücken und genoss es, sich willenlos seinen Küssen auszuliefern. Der Wald verschluckte ihren keuchenden Atem und warf einen schützenden Mantel der Verschwiegenheit auf die entbrannte Leidenschaft von zwei Menschenwesen, welche die einzige und letzte Hoffnung eines Volkes sein sollten, und als junge Verliebte einer schweren Verantwortung unterlagen.
Etwas später suchten sie ihre Waffen zusammen, und pirschten sich weiter den Berghang hinauf, jederzeit bereit, auf ein Stück Wild anzulegen, das unvorsichtig genug war, ihren Weg zu kreuzen. Es verging jedoch noch eine weitere Stunde, bevor das Jagdglück ihrem Wunsch nachgab.
Sie hatten bereits eine beträchtliche Höhe erreicht, als das Gelände an Steilheit verlor und der Wald in ein abgestuftes Plateau überging, dessen Graslandschaft sich vor ihnen in weitflächigen Terrassen ausdehnte. Vereinzelt lagen Felsbrocken oder ganze Felsgruppen herum und zeugten von der Macht der schneebedeckten Berge, wenn das Wetter sie entfesselte.
Auf einem der höheren, beinahe flachen Absätze, die sich einen halben Kilometer und weiter auseinander zogen, graste friedlich eine Herde, die Sebastian für Wildziegen hielt. Jedoch waren sie von feingliedrigem Körperbau, anders, als das Gemswild in den Alpen. Eher glichen sie einer Antilopenart. Antarona zeigte mit ihrem Bogen in ihre Richtung und flüsterte:
»Unser Mahl für die nächsten Tage.« Sebastian nickte stumm und folgte ihr seitwärts durch eine Senke. Ihre Strategie war simpel. Sie mussten die ahnungslosen Tiere so weit umgehen, dass sie diese von oben kommend und gegen den Wind angehen konnten. Sebastian vermutete, dass diese Spezies ein ausgezeichnetes Gehör besaß. Bei dem geringsten Geräusch würde die ganze Herde verschwunden sein!
Am tiefsten Punkt der Senke, wo ein einzelner Fels am Rande eines winzigen, flachen Sees lag, entledigte sich Antarona trotz des kalten Windes ihrer Felle, sowie ihrer Beinlinge und kauerte sich in ihrem knappen Lederschurz hinter den Steinblock. Erwartungsvoll lag ihr Blick auf Basti.
»Worauf wartet ihr.., los, zieht euch aus!« forderte sie ihn auf. Sebastian sah sie nur verständnislos an. Es war eiskalt und er konnte keinen Grund dafür finden, sich eine handfeste Erkältung einzufangen.
»Wir besitzen kein Fell, wie diese Tiere dort...«, gab ihm seine Frau zu verstehen, »...unsere Kleidung macht zu viel Lärm! Sie raschelt, wie das trockene Laub im Wald.., die Tiere können das hören.., also zieht endlich eure Kleider aus, Ba - shtie!« Widerwillig pellte er sich zögernd aus seinen warmen Klamotten und legte sie zu Antaronas Fellen. Sofort begann er im kalten Wind zu frieren und musste die Zähne fest zusammen beißen, sonst hätte bereits ihr Klappern ihre Anwesenheit verraten.
Nur mit einer Unterhose bekleidet, schlich er hinter seiner Krähenfrau her, den Blick zu Boden geheftet, damit er sich nicht noch den Fuß an einem Stein anschlug. Im Bogen umgingen sie die Herde so weiträumig, dass er schon befürchtete, seine Kleidung nie mehr wieder zu finden.
Geduckt schlichen sie um einige Felsen herum, durch ein zugewachsenes Bachbett und schließlich in entgegen gesetzter Richtung hinter einem Hügelkamm entlang. Nach einer Ewigkeit, Sebastian fror schon lange nicht mehr, hob Antarona kurz ihre Hand zum Zeichen und duckte sich tief ins Gras. Still verharrte sie in dieser Stellung und schloss die Augen, als wollte sie sich konzentrieren.
Basti hatte indes damit zu tun, seinen rasselnden Atem wieder zu beruhigen. Wenn diese Antilopen schon seine Kleidung knistern hörten, dann waren sie durch seine ausgepumpte, pfeifende Lunge erst recht gewarnt!
Antaronas Züge erwachten unverhofft wieder zum Leben. Sie kreuzte ihre nackten Füße übereinander, steckte das Ende ihres Bogens dazwischen und spannte in liegender Stellung die Sehne auf. Dann griff sie in ihren Köcher und zog drei Pfeile heraus, von denen sie zwei quer zwischen die Zähne nahm. Den dritten legte sie locker auf den Bogen. Geräuschlos wie eine Schlange, die Waffe bereit, wand sie sich vorwärts, auf den Scheitel der Hügelkuppe zu. Sebastian kroch etwas versetzt neben ihr ebenfalls hinauf.
Als sie über den Kamm hinweg spähen konnten, sahen sie die Wildziegen direkt unter sich, keine zwanzig bis dreißig Meter weit entfernt. Sie grasten friedlich und konnten kaum ahnen, dass sie für den Topf einer hungrigen Reisegruppe bestimmt waren. Sebastian wagte nicht mehr zu atmen. Schweiß trat ihm auf die Stirn und er betete, dass diese flüchtigen Tiere nicht auch noch gut riechen konnten.
Antarona wartete und Basti spürte ihre innere Anspannung. Ihr Bogenarm lag wie fest genagelt und ausgestreckt im Gras und hielt den Bogen quer vor sich. Erst, als eine leichte Brise aufkam und ihnen ins Gesicht blies, zog das Krähenmädchen langsam und gleichmäßig die Sehne zurück. Sie passte es so perfekte ab, dass die nötige Spannung in genau der Zehntelsekunde erreicht war, wo der Windstoss wieder abflaute.
Im gleichen Augenblick sauste ihr Pfeil davon und durchschlug den Hals eines der hinteren Tiere. Mit einem knurrenden Laut sprang die Antilope auf. Gleichzeitig ruckten die Köpfe ihrer Artgenossen hoch. Zu spät! Schon bohrte sich Antaronas zweiter Pfeil in den Brustkorb eines weiteren Opfers, das noch einen Satz machte, zusammenbrach und über den Boden rollte.
Sofort stoben die übrigen Tiere in heilloser Flucht davon, verfolgt von Antaronas drittem Pfeil. Der erwischte die letzte Antilope im Hinterleib. Das arme Geschöpf krümmte sich, knickte ein, versuchte wieder hoch zu kommen und fiel endgültig um. Das alles vollzog sich in wenigen Sekunden.
Sebastian war noch dabei, den Ablauf gedanklich zu erfassen, da sprang Antarona schon auf und lief den Hang hinab, als wäre der Leibhaftige persönlich hinter ihr her. Er rappelte sich hoch und hetzte ihr nach.
»Was rennst du denn so, wir haben doch, was wir wollten«, rief er ihr hinterher. Sie hörte ihn gar nicht, sondern lief am ersten der erlegten Tieren vorbei, ohne es zu beachten. Bei der Antilope, die ihren zweiten Pfeil abbekommen hatte, hielt sie an. Mit viel Mühe zog sie ihr den Pfeil aus der Brust, was nicht einfach war, da sich das Geschoss offenbar in Knochen und Fell verhakt hatte. Als der Pfeil endlich heraus war, hingen kleine, blutige Fellfetzen an der geschmiedeten Spitze.
Inzwischen war Sebastian zum letzten Schussopfer gelaufen. Das Tier lebte noch, versuchte erneut auf die Beine zu kommen, was ihm aber nicht mehr gelang. Den Pfeil herauszuziehen, wagte er nicht, denn das hätte der Antilope unnötige Qualen beschert. Antarona huschte mittlerweile zu dem Tier mit dem Halsschuss und riss ihm den Pfeil aus dem Fell.
Ohne sich weiter darum zu kümmern lief sie zur mittleren Antilope zurück, zog ihr Messer und durchschnitt dem Tier die Kehle. Nur wenig Blut sickerte heraus.
»Los, Ba - shtie.., fasst an den Beinen an, wir tragen es dorthin, wo unsere Kleidung ist«, forderte sie ihn auf. Sebastian zögerte, deutete statt dessen zur letzten Antilope hinüber und fragte:
»Das Tier dort lebt noch.., es ist nur verwundet! Wollen wir es nicht erst von seinen Qualen erlösen?« Antarona sah erst gar nicht auf.
»Lasst es...«, war ihre unbefriedigende Erklärung, »...wir nehmen dieses hier!« Er sah sie entgeistert an und verstand nicht, weshalb sie stets übertrieben respektvoll mit Tieren umging, nun aber ein verletztes Wesen einfach liegen lassen wollte.
»Aber diese Wildziege dort lebt noch.., sie hat deinen Pfeil im Rücken und kann nicht mehr...«
»Ba - shtie.., lasst es, wir brauchen es nicht...«, herrschte sie ihn mit Nachdruck an, »...wir müssen jetzt schnell sein...« Sebastian begriff immer weniger das seltsame Verhalten seiner Gefährtin.
»Warum bei den Göttern hast du dann drei Stück erschossen, wenn wir nur eines brauchen?« fragte er vorwurfsvoll.
»Für die dort...«, kam ihre knappe Antwort, dabei wies sie mit einem kurzen Nicken zur nächsten Hangterrasse hinauf. Sebastian folgte ihrem Blick und augenblicklich erstarrte jede seiner Bewegungen.
In nicht einmal fünfzig Metern Entfernung lauerte ein Rudel von Raubtieren, die alles andere als freundlich aussahen. Sebastian kannte diese Gattung, die aussah, wie eine Kreuzung zwischen Hyäne und Wehrwolf! Aufgeregt zitternd verriet er Antarona:
»So ein Biest hatte die Gruppe bei sich, die dein Bruder Tark auf dem Weg anführte, den ich von Balmer her ins Tal gekommen bin!«
»Ja, Ba - shtie.., Eishunde.., ich weiß...«, bestätigte Antarona, »...aber diese dort sind wild und wenn sie nicht gleich etwas abbekommen, dann halten sie sich an uns!« Das war deutlich! Sebastian brauchte nun keine gesonderte Aufforderung mehr, um das erlegte Wild an den Läufen zu packen und es fort zu tragen.
Aus den Augenwinkeln zählte er fünfzehn bis zwanzig Eishunde, die darauf warteten, über die verschmähte Beute der Zweibeiner her zu fallen. Einige der Monsterhunde saßen nur beobachtend da, andere liefen ungeduldig und Zähne fletschend auf und ab, ohne sich jedoch zu nähern. Sebastian malte sich in unschönen Farben aus, was geschehen würde, wenn er sich mit Antarona zu viel Zeit ließ und die gierige Meute unnötig provozierte.
Rasch zerrten sie ihr Abendessen den Hang hinab, in Sicherheit. Das war für die lauernden Raubtiere das untrügliche Zeichen, dass nun sie Herrscher über das Schlachtfeld waren. Sofort setzte einer der ungeduldigen Räuber nach und fiel über die erste Antilope her. Ohne zu zögern fetzte er Stücke aus ihrem Körper und verschlang diese unzerkaut mit hin und her zuckendem Kopf.
Gleichzeitig stürmte die ganze Meute den Hang herab. Sie hatten Blut gerochen! Einige balgten sich sogleich um die erste Antilope, andere hetzten unverzüglich weiter zu der noch lebenden und rissen sie gnadenlos in Stücke. Die widerwärtigen Kreaturen gerieten derart in Blutrausch, dass einige sich nicht entscheiden konnten und wie irr zwischen den beiden mit Blut bespritzten Futterplätzen hin und her liefen.
Besorgt blickte Sebastian auf die feine Blutspur, welche ihre eigene Beute im Gras hinterließ. Wenn eines dieser Viecher auf den glorreichen Einfall kam, ihr zu folgen... Drei, maximal vier von ihnen konnte Antarona mit ihren Pfeilen stoppen, dann blieb ihnen nur noch... Zwei Schwerter gegen sechzehn, siebzehn blutgierige Monster mit einem Gebiss wie eine Nagel gespickte Hydraulikschere?
Beinahe im selben Moment erkannte auch Antarona die Gefahr. Entschlossen ließ sie das Beutetier fallen, zog ihr Schwert von der Schulter und ging ein paar Schritte in ihrer Spur zurück. Kräftig grub sie die Spitze von Nantakis in den Boden und zog zwei tiefe Furchen quer über die dünne Blutspur.
»Was.., das soll reichen?« entrüstete sich Sebastian mehr vor Angst, als von Empörung geleitet. »Du glaubst doch wohl nicht, dass die das abhält, über uns her zu fallen?«
»Sie wissen nun, sie werden sterben, wenn sie uns über dieses Zeichen hinweg folgen«, war Antaronas nüchterne Antwort. Darüber nachzudenken blieb Sebastian keine Zeit mehr. Schon erschien auf der Höhe der nächsten Bodenwelle der erste Eishund, die Nase hechelnd auf der Blutfährte.
Sogleich bemerkte er die beiden Menschenwesen, zögerte und tänzelte mit den Vorderläufen unschlüssig hin und her. Offenbar hatte er nicht den Mut, ihnen allein zu folgen.
»Auch noch feige, diese Missgeburten der Schöpfung«, fluchte Sebastian zornig, als sie ihr Beutetier wieder anhoben und hinter die nächste Geländeerhebung schleppten. Ein paar Meter noch, dann erreichten sie den Felsen und den kleinen Tümpel, wo ihre Kleider lagen.
Sebastian schnappte sich sofort den Bogen, welchen er von Antarona bekommen hatte und erwartete den Angriff der Monsterhunde. Doch nichts geschah. Nicht eine blutrünstige Nasenspitze ließ sich auf dem Hügelkamm blicken. Erstaunlicherweise schien Antaronas Trick zu funktionieren. Allerdings schrieb er den Erfolg eher Antaronas telepathischen Fähigkeiten zu, als den beiden Schmarren, die Nantakis im Steppengras hinterlassen hatte.
Allmählich beruhigte sich Sebastian. Und er begriff wieder einmal mehr, wie sehr er ohne Antarona den Gefahren dieser fremden Welt ausgeliefert war. All die vielen Kenntnisse des technischen Fortschritts seiner Zivilisation nützten ihm hier gar nichts! Sie verleiteten nur zu falschen Schlüssen und Handlungen mit fatalen Folgen.
Antarona hatte sich unterdessen wieder ihre Felle umgehängt und bei ihrem Anblick wurde auch Basti sehr schnell in Erinnerung gerufen, dass es herbstlich kalt war. Unverzüglich schlüpfte er in seine wärmende Kleidung und fühlte sich plötzlich gar nicht mehr so nackt und schutzlos diesem Land ausgeliefert. Sollten diese gierigen Hyänen doch kommen, er würde ihnen schon den Schädel einschlagen!
Dringender galt es nun, das erlegte Wild zu versorgen. Gemeinsam schleppten sie die Antilope bis zum Waldrand, wo Antarona mit ihrem Schwert zwei kurze und einen längeren, gerade gewachsenen Ast abschlug. Die kürzeren, nicht ganz einen Meter breiten Stöcke spreizte sie zwischen die jeweils vorderen und hinteren Läufe ihrer Beute und fixierte sie mit ein paar Pflanzenfasern. Sie bemerkte Sebastians fragende Blicke und erklärte:
»Die Beute muss auskühlen, damit das Fleisch nicht verdirbt!« Damit nahm sie den längeren Ast, befreite ihn von allen Zweigen, schob die so entstandene Stange unter die beiden Querhölzer und band sie daran fest. So konnten sie das Tier bequem auf den Schultern zu ihren hungrigen Weggefährten tragen, ohne es durch das Walddickicht schleifen zu müssen.
Als sie schon ein gutes Stück durch den Wald abwärts gestiegen waren, eröffnete sich ihnen an einer Felskanzel unerwartet ein weiter Ausblick auf das Tal. Scheinbar in Steinwurfweite unter ihnen lag Zumweyer und Sebastian hatte nicht gedacht, dass sie dem Dorf so nahe waren. Deutlich war jede Einzelheit zu erkennen.
Friedlich und still lag der Ort im diesigen Licht des Wolken verhangenen Himmels. Nichts rührte sich dort unten. Die Häuschen, Ställe und Gassen schienen ausgestorben und eigentlich hätte Sebastian dies bei solchem Wetter nicht weiter gewundert. Doch Antarona setzte das Wildstück ab, hockte sich an die Kante des Felsbalkons und beobachtete die Hütten, aus deren Schornsteinen feiner Rauch empor stieg.
Basti erinnerte sich an ihre Bemerkung, als sie in ähnlicher Weise auf Fallwasser geblickt hatten: Es ist zu ruhig, Ba - shtie! Er sah genauer hin, nahm jede Hütte, jedes Vorratshaus und jeden Stall genau in Augenschein. Kein Menschenwesen ließ sich sehen. Nicht einmal Kinder, die gewöhnlich jede Minute nutzten, um draußen zu Spielen, zeigten sich zwischen den Hütten oder in den umliegenden Wiesen.
»Es ist zu ruhig...«, wiederholte er Antaronas Worte und spann seine Gedanken noch weiter, »...wenn da mal nicht noch ein Hinterhalt darauf wartet, über unseren Häuptern zuzuschnappen.«
Antarona nickte viel sagend, spähte weit über das Dorf hinaus und deutete dann auf eine Stelle jenseits des Baches.
»Seht diese Bäume dort, Ba - shtie.., wo das Wasser einen Bogen macht... Seht ihr es, schaut ganz genau hin!« Sebastian kniff seine Augen zusammen und musste sich eingestehen, dass er mit Antaronas Sehkraft nicht mithalten konnte.
Trotzdem erkannte er die Bewegung zwischen den Bäumen des kleinen Wäldchens, das ihm seine Frau gezeigt hatte. Er konzentrierte seinen Blick auf diesen Punkt, der gewiss ein paar hundert Meter vom Dorf entfernt lag. Zwischen den Bäumen bewegten sich große Schatten, langsam, nur bei genauerer Beobachtung wahr zu nehmen. Fragend sah er Antarona an.
»Pferde, Ba - shtie.., das sind Pferde, dort, zwischen den Bäumen.., versteckt, damit sie von niemandem, der den Weg aus dem Berg kommt, gesehen werden...«
»Und wo Pferde sind...«, setzte er ihren Gedanken fort, »...müssen auch Reiter sein, richtig?« Antarona antwortete nicht sofort und Basti kombinierte weiter:
»Und wo befinden sich wohl die Reiter, wenn sie nicht bei ihren Reittieren sind?« Er sah sie auffordernd mit hochgezogenen Augenbrauen an.
»In den Hütten versteckt und warten darauf, dass eine Gruppe unvorsichtiger Ival, wie eine dumme Kuh auf den eigenen Schlachter zu, durch das Dorf latscht...«, gab er sich selbst die Antwort. Das Krähenmädchen sah ihn bestätigend an.
»Sie wissen, dass Sonnenherz und Glanzauge auf dem Weg nach Falméra sind und warten, dass wir ihnen in die Falle gehen. Einer aus dem Achterrat, einer, dem mein Vater vertraut, hat uns verraten, Ba - shtie!« Aus ihrer Stimme klang Enttäuschung und Niedergeschlagenheit.
»Tja.., so sieht’s wohl aus«, bestätigte Sebastian seufzend. Dann legte er seine Hand auf ihren Arm und schaute ihr ernst in die Augen.
»Was sollen wir jetzt tun? Umkehren? Uns verkriechen, wie verängstigte Wasel?« Er ließ seine Frage einen Sekundenschlag wirken.
»Dann werden wir niemals einen Platz haben, an dem wir glücklich leben können und an dem wir unsere Kinder heranwachsen sehen. Dann wird uns die Angst beherrschen und wie gejagte Tiere werden wir uns immer tiefer in die Wälder zurückziehen, und zusehen, wie Torbuks Männer das Land und die Töchter der Ival schänden und die Stätten der Götter entweihen...« Seine düsteren Prophezeiungen fielen auf fruchtbaren, revolutionsbereiten Boden.
»Nein, Ba - shtie...«, sagte Antarona entschlossen, »...das wird Sonnenherz nicht zulassen! Es ist genug des Leids in unseren Tälern! Wir schleichen uns während der schlafenden Sonne an ihnen vorbei.., durch den Wald, Ba - shtie.., bis an den See!« Damit stand sie auf; gemeinsam hoben sie ihr Beutetier auf und trugen es den wartenden, hungrigen Mäulern ihrer Gefährten entgegen.
Sie hatten ihren Rastplatz, an dem sie ihre Schutzbefohlenen zurückgelassen hatten, noch nicht erreicht, da vernahmen sie bereits lautes Geschrei. Deutlich hob sich Koratans helle Stimme von den anderen ab. Aufgeregt versuchte er wohl seine Ansicht zu verteidigen, während Fister und Wurek unablässig auf ihn einredeten. Paranubo und Onafinte schnatterten dazwischen, jedoch war kaum nachvollziehbar, welchen Standpunkt sie vertraten.
»Kaum lässt man die mal einen Lidschlag allein, drehen die durch und hetzen uns noch Torbuks ganze Bande auf den Hals«, schimpfte Sebastian leise, aber für Antarona durchaus verständlich.
»Sie sind dumm, Ba - shtie...«, pflichtete sie ihm bei, »...sie sind blind und einfältig, sie sehen nicht die Stille des Landes, welche von Gefahr erzählt!«
Als Antarona und Sebastian den Platz im Schutze der Felsen unverhofft betraten, wurde es schlagartig still. Den Kontrahenten wurde anscheinend plötzlich bewusst, wie leichtsinnig sie sich verhalten hatten. Jene, die sich am lautesten gebärdet hatten, blickten beschämt zu Boden. Sebastian ließ die Antilope achtlos fallen, stemmte die Fäuste in die Hüfte, trat warnend einen Schritt vor und fixierte einen nach dem anderen.
»Sagt mal, ihr seid wohl von allen guten Geistern verlassen, was?« Er schlug seinen Handrücken in die flache andere Hand und die Schreihälse schluckten schuldbewusst, denn sie interpretierten die Geste durchaus richtig, als Schlag in ihr dummes Gesicht.
»Übersetz’ das mal, aber deutlich!« forderte er Antarona auf. Dann holte Basti mit dem Arm weit aus und fuhr die Gescholtenen mit krampfhaft gedämpfter Stimme an:
»Macht ruhig weiter.., lasst euch nicht stören..., schreit nur immer lustig und frei im Wald herum... Die schwarzen Reiter lauern uns kaum drei Steinwürfe von hier entfernt auf, aber das muss euch ja nicht kümmern, nicht wahr?« Er marschierte drohend vor ihnen auf und ab.
»Ich will euch jetzt mal etwas sagen! Entweder haltet ihr euch von jetzt ab an das, was Sonnenherz euch sagt, oder ich schwöre euch, ich werde euch eigenhändig vor die Füße der schwarzen Soldaten werfen!« Sebastian machte eine Pause, wartete, bis Antarona seine Worte weitergegeben hatte und fuhr dann mahnend fort.
»In Zukunft will ich von keinem von euch auch nur einen einzigen Muckser hören, es sei denn ihr werdet etwas gefragt! Wenn hier noch einmal jemand den Mund aufreißt, dann schneide ich ihm höchst persönlich die - Zun - ge - raus!« Mit der Betonung der letzten Silben zog Sebastian sein Bowiemesser, holte kurz aus und warf es in den Stamm des nächsten Baumes, vor dem zufällig Fister stand. Zwei Finger breit neben dessen Ohr blieb die Klinge in der Rinde stecken. In Fisters frechem Grinsen breitete sich rasch blankes Entsetzen aus und seine Gesichtsfarbe wechselte von Hochrot zu Linnenweiß. Wurek indes zuckte ängstlich zusammen, als hätte er Sebastians Messer direkt ins Herz bekommen.
»So, und nun seht zu, dass ihr die da...«, Sebastian zeigte auf die Antilope, »...zurecht macht, und zwar ohne viel Krawall!« Abrupt wandte er sich von der Gruppe ab, ließ Antarona seine Standpauke übersetzen und musste lächeln.
Die Gelegenheit, die Gruppe einzuschüchtern kam ihm wie gerufen, denn er selbst hatte nicht einen blassen Schimmer davon, wie man eine erlegte Antilope ausweidete und ihr das Fell über die Ohren zog. Erleichtert beobachtete er aus den Augenwinkeln, wie Antarona ihre Anweisungen gab und die von Schuld Geplagten sich emsig über das Wild her machten.
Auf diese Weise wurde das Wildpret prompt zerlegt, ohne dass er peinlichst zugeben musste, selbst keine Ahnung zu haben, wie man das machte. Zwar hatte er oft im Stall seiner Großeltern der Schlachtung eines Kaninchens beigewohnt, ansonsten aber bediente er sich gewöhnlich der mundgerecht zerlegten und in Folie verpackten Filets der Supermarktregale.
Mit zur Schau getragener Gleichgültigkeit, aber mit verstohlenen interessierten Blicken, lernte Sebastian Lauknitz ein weiteres Kapitel zum Überleben in einer Welt ohne technischen Fortschritt. Er prägte sich genau ein, wie Antarona die Antilope Schnitt für Schnitt häutete und mit flach gehaltenem Messer am Bauch aufschlitzte, das Gedärm heraus trennte und das Tier mit beiden Händen auseinander brach.
Anschließend hängte sie den geöffneten Wildkörper an den Felsen und rieb ihn innen wie außen mit einem Kraut ein, das Sebastian vom Duft her an Thymian erinnerte.
»Damit die Fliegen keine Eier in das Fleisch legen...«, erklärte sie ihm ungefragt und über ihre Schulter hinweg. Sebastian fühlte sich ertappt. Woher wusste sie, dass er bemüht war, sich jedes Detail heimlich einzuprägen? Blieb diesem Krähenmädchen überhaupt etwas verborgen?
Zum Schluss, nun offen neugierig, sah er Antarona dabei zu, wie sie das Fell zum Bach trug und gründlich wusch. Dann wendete sie es wieder rechts und zog es auf eine vorher geschnittene kräftige Astgabel, bis die Haut fest darauf gespannt war. Anschließend schälte sie die Rinde vom Stamm eines Baumes, den Sebastian leicht mit einer Linde oder Kastanie verwechselt hatte.
Dort, wo sich die Rinde vom Stamm löste, sickerte eine leicht milchige Flüssigkeit hervor, die Antarona in das Fell einarbeitete. Mit ihrem süßen, überlegenen Lächeln sah sie ihn an.
»Das macht die Haare weich und sie lassen sich gut entfernen«, erklärte sie ihm bereitwillig. Zum Schluss nahm sie ihr Messer zur Hand und begann damit das Fell von der Haut zu schaben, wobei sie einen flachen Stein als feste Unterlage benutzte.
Sebastian rümpfte leicht die Nase. Diese Arbeit, die sie mit Hingabe betrieb, war mühevoll, schwer und stinkend. Immer wieder musste sie die Klinge des Messers an einem Holzstück von Hautteilchen und Haaren befreien, weil diese die Schneide verklebten. Antarona schabte gründlich. Dort, wo ihre Fellbehandlung nicht gewirkt hatte, blieben die Haarwurzeln als kleine schwarze Pünktchen in der Haut zurück. Hier musste sie tiefer schaben, jedoch »...die Haut besitzt dadurch verschieden dicke Stellen und ist nicht so begehrt«, klärte Antarona ihren Mann auf.
Dann wurde es ruhig auf ihrem Rastplatz. Sie warteten auf die Nacht. Antarona schabte unermüdlich weiter, Paranubo und Onafinte massierten sich ihre geschwollenen Füße. Die beiden Windreiter hatten sich ein kleines Mäuslein gefangen und ergötzten sich daran, das arme, wehrlose Tier mit Stöcken zu traktieren und es immer wieder in eine andere Richtung zu treiben, bis es sich völlig erschöpft und verängstigt zusammen kauerte. Dann warteten sie eine Weile und begannen das düstere Spiel von neuem.
Sebastian beobachtete das Treiben eine Weile ohne Kommentar. Schließlich aber widerstrebte es ihn, mit ansehen zu müssen, wie Fister und Wurek ein Tier quälten, nur um sich zu unterhalten. Er wollte auch keinen neuen Streit heraufbeschwören, ohne Antarona von Anfang an auf seiner Seite zu haben. Also griff er zu einer List.
»Warum lasst ihr das arme Tier nicht einfach in Ruhe, bereitet es euch etwa Freude, zu beobachten, wie es vor Angst vergeht?« Sebastian sagte das mit einem verachtenden, beinahe gleichgültigen Tonfall, ohne den beiden zu drohen. Doch es genügte, Antarona auf den Plan zu rufen, das Krähenmädchen, das zwar Antilopen erlegte, jedoch jegliche sinnlose Gewalt an Tieren verabscheute.
Sie hielt mit dem Schaben inne, blickte sich um und sah, wie Wurek und Fister mit dem Leben der kleinen Maus spielten. Sofort verdüsterten sich ihre Augen und der flammende Hass, den sie plötzlich versprühten, traf die beiden Windreiter, ohne dass sie es bemerkten. Sebastian kannte diesen Gesichtsausdruck bereits und wusste, dass es nun kaum etwas gab, das seine Krähenfrau noch aufhalten konnte. Er sah Antarona bereits aufspringen und den Tierquälern ihre stählerne Klinge an den Hals halten. Doch es geschah etwas völlig anderes...
In aller Seelenruhe, als wollte sie nur Wasser holen gehen, stand Antarona auf, legte ihre Arbeit beiseite und schlenderte quer durch das kleine Lager, ohne Fister und Wurek auch nur eines Blickes zu würdigen. Fister, dem ihre aufreizenden Kurven kaum entgangen waren, glotzte hinter ihr her und vergaß dabei glatt, seinen Mund zu schließen. Wurek hatte nun Mühe, das kleine Nagetier allein in Schach zu halten und dementsprechend rücksichtsloser und brutaler ging er gegen das winzige Wesen vor.
Antarona indes schien Fisters Blicke zu spüren, denn an der Stelle, wo sie ihre Bündel abgelegt hatte, zog sie sich betont langsam ihre Felle über den Kopf und stand nur noch mit ihrem Hüftschurz bekleidet unter Fisters verlangenden Blicken. Dem vielen beinahe die Augen aus den Höhlen und Speichel lief ihm übers Kinn, weil er noch gar nicht realisiert hatte, dass seine Mundhöhle Durchzug bekam.
Ohne Hast und eher mit gelangweilten Bewegungen machte sich Antarona daran, ihren Bogen aufzuspannen und Sebastian beugte sich etwas vor, um besser sehen zu können. Er ahnte, dass irgend etwas passieren würde und wollte das Schauspiel auf gar keinen Fall versäumen.
Selbst als sie mehrere Pfeile aus ihrem Köcher nahm, stierte Fister sie noch geifernd an, ohne auf den Gedanken zu kommen, längst ertappt worden zu sein. Wurek, wohl inzwischen des monotonen Spiels mit der Maus überdrüssig, holte mit seinem Stöckchen aus und schnippte das geschwächte, kleine Tier angewidert gegen den Felsen, wo es mit einem quiekenden Laut liegen blieb.
Gleichzeitig erfüllte ein sirrendes Geräusch die Kulisse und einer von Antaronas Pfeilen steckte plötzlich in Wureks Fuß. Zunächst glotzte der Getroffene nur verwirrt auf das Geschoss und begriff gar nicht, dass seine Gliedmaßen Ziel einer Attacke geworden waren. Doch mit dem Anblick des heraussickernden Blutes aus seinem Reitstiefel riefen sich offenbar auch Bewusstsein und Schmerz in Erinnerung.
Wie von einer Feder geschossen sprang er auf, heulte wie der überzogene Motor eines Rennwagens und humpelte im Kreis herum. Fister erwachte endlich aus seinem Traum von einem nackten, liebeswilligen Krähenmädchen, sah seinen Kumpanen mit immer noch offenem Mund verständnislos an und machte ein dummes Gesicht. Nur allmählich dämmerte ihm, was geschehen war und er erhob sich von seinem Platz. Doch in diesem Augenblick traf ihn bereits Antaronas zweiter Pfeil voll ins Gesäß.
Ein Kreischen, ähnlich einer festgefahrenen Kettensäge, entfloh seiner Kehle und er reihte sich, mit beiden Händen sein Hinterteil haltend, in den Tanzreigen seines Gefährten ein. Fassungslos starrte Wurek inzwischen auf seinen stark blutenden Stiefel und ließ eine wahre Kaskade von Vokabeln auf Antarona los, von denen Sebastian nur vermuten konnte, was sie aussagten.
Fister und Wurek humpelten und hüpften umeinander herum, der eine seinen Fuß, der andere seinen Hintern haltend, und für einen entfernten Beobachter mochte es so ausgesehen haben, als probten sie die Choreographie eines neuartigen Regentanzes.
Unterdessen stand Antarona, wie von Geisterhand dorthin befördert, auf dem Felsen, in dessen Schatten sich Fister und Wurek zuvor mit der Maus die Zeit vertrieben hatten. Das Blitzen in ihren Augen sprach Bände. Ganz gemächlich, als würde es ihr Genuss bereiten, zog sie die Sehne ihres Bogens durch. Der Pfeil klatschte direkt vor Wureks gesundem Fuß in den Waldboden und ließ Erde und Laub aufspritzen.
Sebastian ahnte, dass sie absichtlich daneben geschossen hatte, denn er wusste, dass sie den beiden ohne große Mühe jeden Finger einzeln abschießen konnte, wenn sie es nur wollte. Wurek wusste das nicht! Er suchte sein Heil in der Flucht und humpelte in panischer Hatz quer durch das Lager. Bevor er die Felsen am Ende erreicht hatte, sauste aus dem Nichts ein weiterer Pfeil heran und grub sich nur Millimeter vor seinem Fuß in die Erde.
Jammernd und heulend wandte er sich um und hüpfte nun in die entgegengesetzte Richtung. Aus der kam ihm aber sein Freund entgegen, den Antaronas Pfeile ebenfalls dazu bewegt hatten, sich aus dem Staub zu machen. Bevor die beiden bemerkten, dass sie auf Kollisionskurs waren, krachten ihre Körper auch schon gegeneinander. Mit nackter Angst in den Gesichtern rappelten sie sich hoch und hinkten in Richtung Wald, Wurek voran, Fister hinterdrein.
Sebastian stand von seinem Platz auf, verschränkte die Arme vor der Brust und sah dem makaberen Spiel interessiert zu. Er zog erst gar nicht in Betracht, einzuschreiten, denn erstens mochte er die beiden Windreiter von Anfang an nicht und zweitens bekamen sie nur genau das zurück, was sie dem armseligen Geschöpf von Maus angetan hatten.
Für Antarona gab es keinen Unterschied zwischen einem Robrum und einem unscheinbaren Mäuslein. Für sie waren alle Tiere gleich; alle waren sie die Kinder der Götter und sie ehrte jedes einzelne von ihnen, wenn nicht gerade das unbedingte Überleben davon abhing, eines zu töten. Genauso nachtragend ahndete sie jegliche, sinnlose Übergriffe auf die Geschöpfe der Götter.
Ihr nächster Pfeil donnerte in den Stamm eines Baumes, an dem Wurek und Fister vorbei flohen. Die beiden hielten kurz inne, sahen keine Gefahr für sich und wollten schon weiter humpeln, als das nächste Geschoss heranzischte und Fister in die offene Handfläche fuhr. Das war für beide das deutliche Zeichen, dass sie auf diesem Wege nicht weiter kamen.
Wurek drehte um, lief wieder in eine neue Richtung, während sich sein Kamerad in Panik den Pfeil aus der Hand riss und die Wunde damit noch vergrößerte. Sebastian sah einen ausgewachsenen Mann wie ein Kind weinen und verzweifelt hinter seinem älteren Genossen her hetzen. Sie kamen nicht weit!
Vor ihren Füßen blieben zwei Pfeile stecken, die warnend an ihren Waden gezupft hatten. Beide warfen sich synchron herum, stützten sich und schlugen wieder eine andere Richtung ein. Inzwischen keuchten sie wie ein Triathlet nach seiner Bestzeit und waren dem Zusammenbruch nahe. Doch Antaronas Pfeile hetzten sie gnadenlos weiter, von einer Seite des Lagers zur anderen und wieder zurück. Wollten die beiden sich ermattet fallen lassen, traf auch mal ein Pfeil, meist in das Sitzfleisch der beiden.
Hustend, schreiend und flehend erhoben sie sich dann jeweils und flohen weiter, ohne Ziel, ohne je eine schützende Deckung zu erreichen. Nach einer halben Ewigkeit, Sebastian fragte sich schon, woher Antarona noch ihre Pfeile nahm, waren sie am Ende. Völlig entkräftet, gedemütigt und gebrochen fielen sie Antarona vor die Füße, krümmten sich zusammen und wimmerten nur noch leise. Paranubo und Onafinte, mittlerweile ganz still geworden, blickten nur eingeschüchtert und fassungslos in die Runde.
Vor Sebastians entsetzten Augen zeigte Antarona keinerlei mitfühlende Geste für ihre Opfer, als sie mit verachtendem Blick an den beiden Geschundenen vorbei ging und in seliger Ruhe ihre Pfeile einsammelte. Zuletzt trat sie ohne Mitleid an die beiden bebenden Körper heran und riss ihnen gnadenlos und ohne jegliche Vorwarnung die letzten beiden Pfeile aus dem blutüberströmten Gesäß.
Fister und Wurek schrieen auf, verschluckten sich fast und lagen dann nur noch zitternd und schluchzend im Dreck. Antarona kümmerte das nicht. Mit einer Kaltschnäuzigkeit, die Basti ihr nicht zugetraut hatte, wischte sie ihre Pfeile an der Kleidung der beiden Verletzten ab und verstaute sie wieder sorgsam in ihrem Köcher.
Dann entspannte sie ihren Bogen, griff nach ihrem Schwert Nantakis und ging zielstrebig auf die beiden Windreiter zu. Nun war es endgültig genug! Sebastian trat ihr waffenlos in den Weg.
»Nein.., das wirst du nicht tun... Sie haben ihre Strafe bekommen und werden daraus lernen. Du wirst ihnen heute und hier nicht das Leben nehmen!« Sebastians Stimme klang entschlossen und kompromisslos. In Antaronas Augen verlosch plötzlich der vernichtende Zorn. Wärme und Güte zogen wieder in sie ein. Beschwichtigend legte das Krähenmädchen ihre zierliche Hand, die gerade eben beinahe zwei Menschen getötet hätte, auf Bastis Arm und sagte mit warmer Stimme:
»Seid unbesorgt, Ba - shtie.., Sonnenherz wird nicht mehr Hand anlegen an jene, welche den Göttern spotteten und achtlos ein Leben nahmen, ohne die Not des Hungers.., allein zur bloßen Kurzweil!« damit stieg sie verächtlich über die beiden vor Angst zitternden Leiber Fisters und Wureks hinweg und kniete sich vor die tote Maus, die noch immer am Felsen lag.
Was nun geschah, mochte dem Auge eines unbeteiligten Betrachters lächerlich erschienen sein, doch Sebastian wusste, dass es Antaronas tiefstem Herzen entsprang und betrachtete die Geste mit stiller Ehrfurcht. Antarona legte ihr Schwert auf den Boden und hob die tote Maus, wie ein wertvolles Sakrileg darauf, als wollte sie den kleinen Nager auf der Waffe aufbahren. Geschmeidig, wie ein Farn im Wind stand sie auf, streckte Nantakis mit dem toten Tierchen auf Fingerspitzen dem Himmel entgegen und schritt mit einem leisen Singsang auf den Lippen aus dem Lager. Sie bot ihren Göttern eine sinnlos geopferte Seele zur Aufnahme in ihr gütiges Reich an.
In der Zwischenzeit nahm sich Sebastian der beiden verwundeten Windreiter an. Sie schrieen und stöhnten, als er ihnen die getroffenen Hautpartien entblößte, um die Verletzungen zu begutachten. Antarona hatte entweder gut gezielt, oder es nicht ganz ernst gemeint, mit ihrer Attacke. Weder bei Wurek, noch bei Karek war ein Knochen verletzt. Allerdings stand zu befürchten, dass Stofffasern in die Wunden eingedrungen waren und sich entzünden konnten. Bei dem mangelhaften medizinischen Versorgungsstand dieser Gegend war dies kein schöner Gedanke.
»Hat hier jemand Mestas, oder Mestastan dabei?« fragte Sebastian laut und blickte in die Runde. Jedoch sah er nur in fragende Gesichter. Ohne Dolmetscherin war er in diesem Teil der Welt ziemlich aufgeschmissen. Früher oder später würde er die Sprache der Ival lernen müssen, wollte er sich mit Antarona in einem der Seitentäler häuslich niederlassen.
Gerade wollte er losziehen, Antaronas Heilkraut zu suchen, mit dem sie einmal seinen Fuß behandelt hatte, da kam das Krähenmädchen bereits zurück, in der Hand ein Büschel von eben diesen Pflanzen. Kommentarlos hockte sie sich an den Felsen, und bereitete aus den Blättern jenen Brei, der auch Sebastians Wunde geholfen hatte.
Minuten später hatte sie das Wundmittel fertig und stellte es Sebastian ohne Worte vor die Füße. Sie dachte gar nicht daran, Fister und Wurek zu behandeln. Im Stillen dachte Basti darüber nach, was geworden wäre, wenn er sich Antarona bei ihrer ersten Begegnung zur Feindin gemacht hätte...
Die mutigen Windreiter krähten wie am Spieß, als Sebastian ihnen die Paste auf die Wunden strich. Kopfschüttelnd sah er Antarona an. Diese beiden gehörten wahrlich nicht zu Arraks Elite!
Als es endlich zu dämmern begann, rüstete sich die Gruppe zum Aufbruch. Antarona führte, Sebastian und Koratan unterstützten nur widerwillig Wurek und Fister, denen ihr Gesäß bei jedem Schritt Schmerzen bereitete und die beiden Oranuti trugen das erlegte Wild, das nach Antaronas Anweisung noch etwas abhängen musste, bevor sie es zubereiten konnten.
Der kleine Trupp drang in den Wald ein, gerade so weit, dass sie von den Weiden her nicht mehr gesehen werden konnten. Sechs ausgewachsene Männer stolperten hilflos hinter einem Krähenmädchen her und waren bemüht, sich nicht den Hals zu brechen. Onafinte und Paranubo stolperten ständig, fielen hin, rappelten sich mit ihrer Last wieder hoch und stürzten über die nächste Wurzel wieder zu Boden. Fister und Wurek humpelten und kamen von vorn herein nur langsam voran.
Bei dem Lärm, den sie im finsteren Wald verursachten, wunderte sich Sebastian, dass die schwarzen Reiter Torbuks sie nicht längst aufgespürt hatten. Ständig knackten Zweige, oder sie schlugen ihnen schmerzhaft ins Gesicht, oder unter ihrem Gewicht brachen herumliegende Äste mit lautem Krachen entzwei. Ihre Körper, die sich in der Dunkelheit unbeholfen durch das Unterholz zwängten, erinnerten an einen Bulldozer, der sich rücksichtslos seinen Weg durch einen Urwald brach.
Intelligenter wäre es gewesen, über die Weiden der Berghänge zu gehen, dachte Sebastian. Doch waren weder die Oranuti, noch die beiden verletzten Windreiter in der Lage, auch nur hundert Höhenmeter zu erklimmen. Ob Antarona daran gedacht hatte, als sie ihre Pfeile auf Fister und Wurek abschoss?
Dünne, biegsame Zweige peitschten Sebastian ins Gesicht und trieben ihm Tränen in die Augen, als er an den anderen vorbei zu Antarona aufholte. Sorgenvoll gab er zu bedenken, was im Grunde auf der Hand lag.
»Sag mal, wir brechen hier durch den Wald wie ein abstürzender Gor.., hast du gar keine Angst, dass Torbuks Männer uns hören können?«
»Nein, Ba - shtie«, kam ihre klare Antwort, »...sie werden uns nicht bemerken.., hört selbst«, forderte sie ihn auf und blieb abrupt stehen. Sofort stolperten ihnen die anderen ungebremst in den Rücken. Als endlich alle still standen und die natürlichen Geräusche der Nacht an ihre Ohren drangen, hörten sie noch etwas anderes: Ein entferntes, verzerrtes Lachen, Singen und Grölen, das immer wieder vom Rauschen des Windes in den Baumkronen unterbrochen wurde.
»Das glaubt man doch nicht...«, raunte Sebastian fassungslos in die Stille hinein, »...wir quälen uns hier durchs Gestrüpp, dass uns bald die Haut in Fetzen vom Gesicht hängt und die feiern da irgendwo, und dröhnen sich mit Mestas voll, bis sie nicht mehr stehen können...«
»Ja, Ba - shtie...«, setzte Antarona seinen Kommentar fort, »...noch vor der erwachenden Sonne werden die meisten von ihnen so tief schlafen, sie würden gar nicht bemerken, wenn ein Robrum sie forttragen würde. Dann können wir das Tal durchqueren und uns auf der anderen Seite des Sees verbergen, bis die Sonne wieder hinter die Berge wandert.«
Sebastian verstand ihre Taktik. Sie würden am See rasten und sie hatten Gelegenheit Antaronas Höhle am Wasserfall aufzusuchen. Außerdem wechselten sie damit zur unwirtlicheren Seite des Tales, wo mit Torbuks Soldaten wenigstens bis Mittelau weniger zu rechnen war.
»Aber warum drücken wir uns dann hier im Wald herum, wenn die dort drüben sowieso mit sich selbst und ihrem Trinkrausch beschäftigt sind«, fragte Basti. Er konnte der Logik seiner Amazonen-Frau nicht ganz folgen.
»Ba - shtie.., sie werden dennoch Wachen und Posten abgestellt haben, die das Tal beobachten. Sie mögen keine Gefahr für uns sein, doch müssen sie nicht wissen, dass wir an ihren Lagern vorbei geschlichen sind! Wir werden sie lange Wege hinter uns gelassen haben, wenn sie noch des Glaubens sind, wir werden in ihre Falle laufen!«
Insgeheim hoffte Sebastian, dass sie Torbuks Reiter tatsächlich täuschen konnten. Mit der Belastung ihres aufgezwungenen Gefolges war das allerdings mehr als zweifelhaft. Wenn sie es dennoch schafften, hinter die Linien von Torbuks Kontrollposten zu gelangen und sich woanders bewegten, als dieser Verbrecher es vermutete, dann konnten sie vielleicht den Rest des Weges unbehelligt fortsetzen.
»Was aber, wenn die auf den Einfall kommen, auch am Waldrand Posten aufzustellen?« gab Sebastian vorsichtshalber zu bedenken.
»Nein, das werden sie nicht...«, gab Antarona bestimmt zurück, »...sie haben zu große Furcht vor Felsenbären, Robrums und den Geistern der Götterwesen, welche des Nachts durch die Wälder ziehen!«
»Ach.., na sieh mal an... Das ist ja interessant!« Sebastian gab sich keine Mühe, seinen berüchtigten Sarkasmus zu verbergen. »Dann ist es ja gut, dass wir so viel Mutiger sind, als diese schwarzen Jammergestalten, was? Beruhigend zu wissen, dass wir uns natürlich nicht fürchten!« Doch schon in diesem Moment glaubte er das ängstliche Knochenzittern von Koratan hören zu können.
Schweigend gingen sie weiter. Antarona führte, Sebastian und die anderen folgten ihr blind. Wieder beschäftigte ihn die Frage, wie des Holzers Tochter den Weg finden konnte. Es war stockfinster und nur selten fiel das Gestirnelicht durch die Bäume oder auf eine Lichtung. Sie ahnte ihren Weg mit den Sinnen, war seine einzige Erklärung und er fragte sich, welche verborgenen Fähigkeiten dieses Naturkind noch besaß.
Irgendwann, es konnte nicht mehr viel Zeit bis zur Dämmerung sein, gelangten sie an einer steile Felswand, die sich wie eine glatte Mauer weit hinauf zog und direkt im Wiesengelände fußte. Der Wald setzte sich auf der Kante fort und entschwand hoch oben ihren Blicken. Sie konnten zum einen nicht mit der ganzen Gruppe so weit und unbestimmt in die Höhe steigen, andererseits war es ziemlich riskant unter der Felsmauer über die Weiden zu latschen. Wie leicht konnten sie vor der steinernen Kulisse entdeckt werden!
Letztlich blieb ihnen nichts anderes übrig, als auf die Knie zu fallen und ihren Weg auf allen Vieren fort zu setzen. Antarona zerteilte die Antilope in große Fleischstücken, so dass die Last auf viele Rücken aufgeteilt werden konnte. Dann duckten sich ihre Körper ins hohe Gras und versuchten ihren Weg an der Orientierung der hohen Felskante zu finden.
Während Antarona wie ein Panther durch das hohe Gras schlich, hatte Sebastian Mühe, seinen Rucksack und die schwere Antilopenkeule gerade auf dem Rücken zu halten. Onafinte und Paranubo verfingen sich mit den Knien alle paar Meter in ihren Kleidern, die beiden Windreiter krabbelten wie zwei müde, torkelnde Krebse dahin und Koratan hatte die seltene Begabung, sich an jedem herum liegenden Stein die Hände und Knie aufzuschlagen.
Zwischendurch mussten sie soundso viele Bäche durchwaten, über Schuttkegel kriechen und sich ihren Weg durch mannshohe Brennesselfelder bahnen. Als sich endlich ein neuer Tag ankündigte, schlichen sieben erschöpfte und zerschundene Gestalten in ein Birkenwäldchen, das am Rande eines Hochmoores lag. Ein hoher Wasserfall, von einem Bach weit oben über der Bergkante gespeist, rauschte an der Felswand herab, nährte den Sumpf und sandte mit jedem Windhauch einen Sprühnebel zerstäubtes Wasser in das Wäldchen.
Zwischen mächtigen Felsblöcken, die irgendwann von der hohen Kante gestürzt waren, suchten die müden Wanderer Schutz. Auf ein wärmendes Feuer mussten sie jedoch verzichten. Wäre der Rauch in einem Nadelwald breit auseinander gefächert worden und nicht mehr zu sehen gewesen, musste er zwischen Birken, die bereits ihr Laub eingebüßt hatten, wie eine weiße Säule weithin auszumachen sein. Trockenes Holz, dass ohne viel Qualmentwicklung verbrannt wäre, war unter dem steten Nebel des Wasserfalls nicht zu finden.
Wie gehetzte Tiere verkrochen sie sich unter die Überhänge der Felsblöcke und versuchten der Nässe zu entgehen; mit mäßigem Erfolg. Sebastian und Antarona kauerten sich im Windschatten aneinander geschmiegt unter die überhängende Fläche eines Felsens. Sie versuchten sich gegenseitig unter Antaronas Fellen zu wärmen und zählten die dicken Wassertropfen, die in stoischer Regelmäßigkeit von dem üppigen Moosbewuchs des Steinblocks fielen und seltsamerweise jedes Mal genau auf ungeschützte Hautpartien trafen. Rona und Reno hatten sich zu ihren Füßen zusammengekauert und Sebastian beneidete die beiden um ihre angewachsenen Felle.
Paranubo und Onafinte hatten sich mit Hilfe ihrer Kurzschwerter eine kleine Grotte unter einen gegenüber liegenden Felsen gegraben. Sie zwängten sich zusammen mit Koratan darunter und ihre erschöpften Körper ließen sie sogleich einschlafen.
Fister und Wurek hockten ein paar Meter weiter unter zwei Felsen die aneinandergelehnt liegen geblieben waren und auf denen im Laufe der Zeit ein Dach von Moosen und Flechten gewachsen war, das nur wenig Wasser durchsickern ließ.
In einiger Entfernung hatten sie das Fleisch der Antilope so hoch in eine der Birken gehängt, dass es von Landtieren nicht zu erreichen war. Und vor Räubern aus der Luft wurde ihr Proviant von Tonka und Tekla bewacht. Die Portionen hingen einzeln in den Ästen verteilt und es war kaum zu verhindern, dass sie hin und wieder einen Schwall Nebel vom Wasserfall abbekamen. Doch der Wind trocknete das Fleisch ebenso schnell und verhinderte eine allzu feuchte Lagerung.
So verbrachten sie den Tag zwischen Schlafen und Wachen sowie im endlosen Warten auf die Dunkelheit, in deren Schutz sie sich weiter das Tal hinab schleichen konnten. Da sie das Dorf Zumweyer durch den Wald und über teilweise steile Hänge umgehen mussten, zog sich ihre Reise unbestimmt in die Länge.
In der Zeit bis zum Aufbruch gingen Sebastian die absurdesten Gedanken durch den Kopf. Sie reichten von einem nicht enden wollenden Traum, hervorgerufen durch einen Unfall und eine komaartige Bewusstlosigkeit, bis hin zu einem Leben nach dem Tod. Letzterem Schicksal gab Sebastian am ehesten nach. Nur hatte er sich das was danach kommt nicht so aufregend, gefährlich und unbequem vorgestellt!
Doch mit der Akzeptanz dieser Möglichkeit wurden in seinem Kopf wiederum neue Fragen geboren. Wie oft wiederholte sich das? Wie oft konnte ein Mensch sterben und sich in einer anderen Welt wieder finden? Wie oft sollte er Janine.., Antarona, noch verlieren und den Schmerz erleiden, der ihm jahrelang innere Qualen bereitet hatte? Waren die Menschen dazu verdammt, ewig zu leben, in immer neue Welten zu wechseln, wo sie sich immer wieder aufs Neue bewähren mussten?
Er hatte es stets belächelt, wenn Menschen davon sprachen, nach dem Tod würde nur der Körper auf der Erde zurückbleiben, der Geist aber vermochte weiter zu leben. Er hatte nie daran geglaubt. Und nun wusste er es besser! Von wegen, Körper bleibt zurück... Jeden Knochen einzeln spürte er in seinem Leib, die Füße brannten, die Schultern schmerzten und all seine Gliedmaßen zitterten vor Kälte.
Wenn das der ewige Frieden war, von dem die Menschen ihre Priester in den Kirchen predigen hörten, dann war irgend etwas in der Entwicklung des menschlichen Glaubens fürchterlich schief gelaufen! Von wegen Erlösung! Aber vielleicht befand er sich ja auch nur auf einer Zwischenstation auf dem Weg zum ewigen, erlösenden Leben. Musste er an der Seite Antaronas zunächst Buße tun, für seine Verfehlungen im irdischen Leben? War es das, was ihn hier gefangen hielt? Aber was erwartete ihn dann noch?
Antarona riss ihn aus seinen Gedanken. Sie veränderte ihre Stellung unter dem gemeinsamen Schutz der Felle, vor der herein kriechenden, klammen Kälte. Er spürte ihren kalten Po sich an ihn drängen und ihre Füße, die sich wie Eiszapfen an seine Beine klammerten. Sie trug unter ihren Fellen nichts weiter, als ihren Lederschurz. Wie musste sie erst frieren! Sebastian rollte seinen Schlafsack aus und breitete ihn wie eine Decke unter den Fellen aus.
Dann zog er Antaronas zitternden Körper fest an sich, umklammerte sie mit den Armen und vergrub sein Gesicht in ihren langen Haaren. Gleichzeitig versuchte er mit seinem Atem ihre Ohren zu wärmen. Auf diese Weise spendeten sie sich gegenseitig Wärme. Sogleich erntete er das dankbarste Lächeln, dass ihm ihre Augen bisher geschenkt hatten. Ohne Feuer schien dies die einzige Möglichkeit zu sein, in dieser Kälte auszuhalten.
Mit der aufziehenden Dämmerung erwachte Antarona. Ihr Körper hatte sich allmählich erwärmt und Haut an Haut war sie in Sebastians Armen eingeschlafen. Nun drängte ihr naturgegebenes Zeitgefühl zum Aufbruch. Doch selbst sie, eine stolze Tochter der Ival, scheute sich davor, die gemeinsame wohlige Wärme zu verlassen. Sie spürte Sebastians warme Hände auf ihren Brüsten und seinen beruhigenden Atem, der ihr in einschläfernder Regelmäßigkeit einen warmen, angenehmen Hauch in den Nacken blies. Sie genoss seine warme Nähe und wären sie allein gewesen, so hätte sie ihn mit ihrer Hitze verwöhnt, die sie plötzlich in sich aufsteigen fühlte.
Doch sie mussten weiter! Das Schicksal ihres Volkes stand auf dem Spiel und ihr, Sonnenherz, war aufgetragen, den Mann der Götter, den Befreier, ihren Ba - shtie - laug – nids, nach Falméra zu führen, um ihrem König zu beweisen, dass die Ival bereit waren, sich des unerträglichen Jochs Torbuks Schreckensherrschaft zu entledigen. Vom Gelingen ihres Auftrags hing das Überleben ihres Volkes ab!
»Ba - shtie.., wacht auf.., wir müssen weiter unserem Weg folgen, die schlafende Sonne ist nahe...«, flüsterte etwas warm in Sebastians Ohr, »...lasst die Mutter der Nacht los und erinnert euch unserer Aufgabe, Ba - shtie...«
Die sanfte Stimme eines Engels riss ihn aus einem tiefen Schlaf. Er brauchte eine Weile, um wieder klar denken zu können und spürte, wie Antarona sich von ihm lösen wollte. Doch er zog sie mit sanfter Gewalt wieder an sich heran, wie einen wertvollen Schatz, der ihm zu entgleiten drohte.
»Ba - shtie, lasst mich los, wir müssen aufbrechen«, mahnte sie und versuchte erneut sich ihrem Geliebten zu entwinden. Doch Basti dachte gar nicht daran, ihren warmen Körper so schnell wieder gegen die feuchte, kalte Luft und den eisigen Wind einzutauschen.
»Noch nicht, mein Engelchen.., lass uns erst mal überlegen, wie wir weiter gehen wollen«, versuchte er Zeit zu schinden. Zärtlich küsste er ihre salzig schmeckende Haut und sog tief ihren süßlichen Duft ein, der ihn irgendwie an frisch gerösteten Kaffee erinnerte. Ihre Haare kitzelten in seiner Nase und er empfand es als angenehm. Doch er spürte ihre Unruhe und so sehr er sich auch bemühte zu verhindern, dass kalte Luft zwischen ihre Körper gelangte, so konnte er doch nicht verhindern, dass Antarona aus seinen Armen schlüpfte.
»Was müsst ihr da überlegen, Ba - shtie.., wir können nicht bis in die Zeit des langen Schnees unter dem Felsen liegen!« Doch, konnten sie, dachte Sebastian still und träumte von eben gerade dieser Vorstellung! Seufzend behielt er diese Gedanken für sich und erhob sich ebenfalls von ihrem Lager. Sofort griffen Kälte und Wind in seine Kleider und machten ihm schonungslos bewusst, wie ungeschützt er dieser Welt ausgeliefert war.
Bibbernd sah er zu, wie Antarona einen Lederriemen um ihren Leib schlang, damit ihr die Felle enger an der Haut lagen und dem Wetter keine Möglichkeit boten, ihren Körper erneut auszukühlen.
Ihre plötzliche Aktivität war auch für die anderen das Zeichen zum Aufbruch. Selbst Wurek und Fister fügten sich still in ihr Schicksal, denn Sebastian vermutete, dass sie sich liebend gern irgendwo verkrochen hätten.
Sie warteten noch, bis es vollends dunkel geworden war. Dann führte Antarona die Gruppe aus dem kleinen, lichten Wäldchen auf die offene Wiese. Sie gebot ihren Begleitern zügig und schnell zu gegen. Jederzeit konnten sie durch einen dummen Zufall entdeckt werden. Sebastian versuchte ständig die Finsternis mit seinen wachsamen Augen zu durchdringen.
Doch das raubte ihm nur die Konzentration und als Fister einmal stehen blieb, rannte er ihn geradezu über den Haufen. Laut scheppernd fiel der Angerempelte der Länge nach ins Gras.
»Haben euch die Götter verlassen.., was soll das?« kam Antarona leise schimpfend heran. »Warum verkündet ihr nicht gleich mit einem großen Feuer, wo sie uns finden!« Dabei zeigte sie mit der Hand in die Richtung, wo sie Torbuks Posten vermutete.
Eine Stunde später nahm sie endlich der schützende Wald auf. Zumweyer lag hinter ihnen und Sebastian atmete erleichtert auf. Wenigstens konnten sie nun nicht mehr aus der Entfernung gesehen werden. Da sie aber damit rechnen mussten, im dichten Wald in ein Lager von Torbuks Soldaten zu stolpern, schickte Sebastian Reno und Rona vor. Die beiden würden eine drohende Gefahr rechtzeitig ankündigen.
Das herab gefallene Laub war feucht und sie bewegten sich darauf, wie eine Bande von gemeinen Dieben. Ab und zu zerbrach ein Zweig unter ihrem Gewicht, doch sein Knacken klang hohl und weich.
Antarona führte sie stets in die Richtung der erwachenden Sonne und als sie eine erste Rast machten, waren sie schon wieder in die Nähe von Felsen gelangt. Wie mächtige, schlummernde Geister wuchsen sie zwischen den Bäumen empor. Als unheimliche Schattengestalten tauchten sie plötzlich vor ihnen auf und versperrten den Weiterweg.
Einige junge Birken waren so keck, ihre Wurzeln in den Spalt eines Felsens zu versenken und sie schienen auf nacktem Gestein prächtig zu gedeihen. Überhaupt fiel Sebastian auf, dass sich um die meisten Felsformationen vermehrt Birken ansiedelten. Mal war es eine ganze Felsgruppe von übereinander geschichteten Granitblöcken, mal lagen einzelne Riesenbrocken verstreut zwischen Baumstämmen, als hätten die Götter einstmals mit ihnen Würfel gespielt.
Selten waren sie so hoch, dass sie die Baumwipfel überragten und nur ein Mal lag eine ganze Felsgruppe auf einer kleinen Lichtung. Diese wurde zum Rastplatz erklärt. Erleichtert ließen sich die Wanderer zwischen den schützenden Steinblöcken nieder. Da sie kaum die Hand vor Augen erkennen konnten, war ein Feuer vonnöten.
Doch Antarona verbot jedes noch so kleine Flämmchen, bevor nicht die nähere Umgebung erkundet worden war.
»Ba - shtie, nehmt Reno und Rona und zieht einen weiten Rund um das Lager...«, ordnete sie an, »...erst wenn wir sicher sein dürfen, können wir ein kleines Feuer entfachen.« Sebastian jedoch fürchtete, sich allein in den weiten Wäldern zu verirren.
»Aber wie soll ich wieder zurück finden, wenn nicht einmal ein kleines Licht mir den Weg weist.., Antarona, ich halte das für keine besonders gute Idee.« Er sagte es leise genug, ohne die anderen auf den Plan zu rufen. Er wollte nicht riskieren, Antaronas Autorität als Führerin in Frage zu stellen.
»Ihr habt die Hunde des Väterchen Balmer, Ba - shtie, sie werden eure Augen sein.., sie werden euch sicher zurück bringen!« Dann sagte sie etwas in ihrer seltsamen Krähensprache und sah dabei die Hunde an, die mit hechelnden Zungen erwartungsvoll neben ihnen verharrten.
Sebastian nickte kurz, zog sein Schwert und wandte sich zum Gehen. Sofort setzten sich auch Rona und Reno in Bewegung. Plötzlich blieb er stehen. Er sah sich um und Antarona stand noch immer als schwarzer, unbeweglicher Schatten da. Basti hieb sein Schwert in die Erde des Waldes, ging die paar Schritte zurück, griff seiner Geliebten in die Hüfte und zog sie so heftig an sich, dass ihr Nantakis aus den Händen glitt und zu Boden fiel.
Sie klammerte sich fest an ihn und ihr Mund suchte seine Küsse, wie eine Ertrinkende die Luft. Für ein paar Sekunden war ihnen gegönnt, wie ein Herz zu sein und Sebastian wünschte sich, sie würde ihn auf seiner Erkundung begleiten. Doch er wusste auch, dass es unmöglich war, die anderen Fünf allein zu lassen. Sie konnten alles Mögliche anstellen und die ganze Reise gefährden. Sebastian löste sich wieder von ihr und sah in ein leuchtendes Paar großer Augen, die sich deutlich vor dem dunklen Wald abhoben. Das Feuer, welches Antarona nicht wagte anzuzünden, trug sie bereits in ihrem Blick!
Basti ergriff sein Schwert, gab Rona und Reno ein Zeichen und verschwand zwischen den Baumstämmen im Dunkeln. Antarona sah ihm noch eine Weile nach. Etwas seltsames ging in ihr vor. Seit vielen Jahren zog sie allein durch die Wälder, stets auf einer Spur, oder selbst auf der Flucht. Doch nie zuvor hatte sie sich so leer und allein gelassen gefühlt.
Sie wusste, dass der Mann mit den Zeichen der Götter nur kurze Zeit fort sein würde und ihr Verstand sagte ihr ebenfalls, dass die Hunde des alten Balmer ihn sicher führen würden. Dennoch fühlte sie stets eine erdrückende Unruhe in sich, wenn Ba - shtie nicht bei ihr war. Anfangs hatte sie dieses Gefühl verdrängt, als sie noch zweifelte, ob dieser Mann jener war, der sie wirklich lieben würde, trotzdem ihr Herz bereits den Ival gehörte.
Diese eine Nacht jedoch, in welcher die Elsiren sie spüren ließen, dass ihre Herzen bereit waren, eines zu werden, veränderte sich alles. Antarona verstand es nicht. Sie wollte es, ihr Herz sagte Ja, doch ihr Geist war zu sehr mit dem Schicksal ihres Volkes verbunden. Er zweifelte.
So suchte sie die Antwort in einer Wahrheit, die das Volk längst vergessen hatte. Nur noch wenige Ival fanden den Weg zu Nephtir, der Mutter der Bäume, welche niemals lügt. In den mächtigen Ästen des alten, knorrigen Mammutbaumes fand sie jene Gewissheit, welche ihr der Stein der Wahrheit, ihre Kristallkugel, versagte.
Herz und Geist fanden in Einklang. Sie fühlte plötzlich, dass Ba - shtie dieser eine war, welcher ihr Herz zum Schwingen und ihren Bauch zum Ziehen brachte, mit dem sie ein kleines Herz unter dem ihren spüren wollte. Und sie wusste, dass er es sein musste, mit welchem an ihrer Seite sie das Volk befreien konnte. Die Götter hatten ihn zu ihr gesandt, die Elsiren hatten ihr den Willen der Götter gezeigt und ihr Herz sagte ihr, dass es gut so war!
Sie fühlte sich glücklich und von so viel neuer Kraft durchströmt, ihr kam gar nicht mehr in den Sinn, dass es noch etwas geben würde, was diese Beschwingtheit wieder trüben konnte. Doch an jenem Tag, an dem Ba - shtie plötzlich verschwunden war, am Tag, als Tark, ihr Bruder heimkehrte, da wusste sie auf einem Mal um ihre Angst, irgendwann wieder einmal ohne Ba - shtie Glanzauge zu sein.
Sein Herz war nun mit ihrem verbunden, so, wie ihr Herz fortan ein Teil des seinen war. War Ba - shtie fort, oder in Gefahr, so spürte sie es! Ebenso, wie er es fühlen musste, wenn ihr etwas zustieß!
Ihre Gedanken wurden jäh zerrissen. Lautstark erhob sich Koratans quiekende Stimme und sie hörte, wie Wurek und Fister auf den verängstigten Lakaien des Königs einredeten. Gerade noch rechtzeitig erreichte sie den Lagerplatz, bevor der Tumult eskalierte und Paranubo und Onafinte noch in den Streit eingriffen.
»Was fällt euch ein, wollt ihr von den schwarzen Reitern aufgespießt werden?« herrschte sie die Kontrahenten an. Koratan verstummte sofort, zeigte nur demonstrativ auf ein Häuflein zusammengetragener Zweige und auf einen Feuerbeutel, den Fister rasch wieder an sich nahm.
Die Sache war klar. Die beiden Windreiter sahen nicht ein, warum sie auf ein wärmendes Feuer verzichten sollten. Koratan jedoch steckte dermaßen die Angst vor Torbuks umher schleichenden Reitern in den Knochen, dass er jedes noch so kleine Fünkchen fürchtete, das sie verraten konnte.
Antarona wandte sich drohend an Fister und Wurek. Sie machte keinen Hehl mehr daraus, wie sehr sie die beiden verachtete.
»Wagt es nicht, auch nur ein winzig kleines Flämmchen zu entzünden, bevor Areos zurück ist«, zischte sie die beiden warnend an. Sie war auf alles gefasst und ließ die unfähigen Boten Arraks keine Sekunde aus den Augen. Die spielten provokativ mit ihren Feuerbeuteln herum und zeigten deutlich, was sie von einer jungen Frau hielten, die ein Schwert führen wollte, anstatt, wie alle Frauen des Volkes, Wäsche zu waschen. Ihre geringschätzigen, lauernden Blicke lasteten auf ihrem Körper und Antarona wusste genau, was sie zu erwarten hatte, würde nicht ihr Ruf und ihr Schwert sie schützen. Möglicherweise hielt auch nur die Anwesenheit von Areos die beiden von dem Versuch ab, ihre schmutzigen Gedanken in die Tat umzusetzen.
Deutlich spürte sie die Anspannung und die Gefahr, die aus der Situation hervor ging. Fister und Wurek standen ihr wie Feinde gegenüber, während sich Koratan wie ein verängstigtes Kaninchen hinter ihr verkroch. Die beiden Oranuti standen wie teilnahmslos etwas abseits. Sie hielten sich bedeckt und beobachteten interessiert das Geschehen. Antarona war sich keineswegs sicher, ob sie in einer offenen Auseinandersetzung auf die Hilfe der beiden Exoten zählen konnte.
Die Frauen der Oranuti besaßen bei weitem nicht so viele Rechte und einen sehr viel geringeren gesellschaftlichen Stellenwert, als die der Ival. Bei den Oranuti hatten die Männer das Sagen. Den Frauen war lediglich der Bereich im Haus und auf dem Feld in Eigenverantwortung gestattet. Der Anblick einer Schwert tragenden, kämpfenden Frau war den Gesandten der Oranuti ebenso fremd, wie die beschwerliche Wanderung durch steile Bergwälder.
Antarona machte sich nichts vor. Es war vermutlich die Autorität des Achterrats, die sie davor bewahrte, dass ihr die beiden Abgesandten aus dem Land der wandernden Sonne in den Rücken fielen. Im Grunde brauchten sie Sonnenherz und Areos nicht, denn Fister und Wurek konnten sie ebenso zur Grenze geleiten.
Irgendwie ahnte sie, dass genau an diesem Ort und zu diesem Zeitpunkt der Moment gekommen war, an dem sich entscheiden sollte, ob sie in der Lage war, sich den Respekt zu verschaffen, mit dem sie den Auftrag ihres Vaters und des Achterrats erfüllen konnte. Wenn schon eine Entscheidung bevor stand, so wollte Antarona selbst die Umstände bestimmen!
Langsam, drohend löste sie die Kordel ihres Schwertes und hielt Fister und Wurek die Spitze der Waffe vor die Brust. Eine tonlose Geste, die allein schon Bände sprach. Die beiden Windreiter taten, als beeindruckte sie das wenig. Sie nestelten an ihren Feuerbeuteln herum und grinsten sich gegenseitig an, wie zwei Jungen, die Nachbars Honig gestohlen hatten.
Wenn sie dieses Spiel noch lange hinaus zögerte, würde sie vielleicht die Kontrolle verlieren, das wusste Antarona. Sie musste jetzt und hier eine Entscheidung erzwingen, oder Wurek und Fister würden sie so demütigen, dass ihr niemand mehr folgen würde. Koratan und die Oranuti würden zweifelsohne dafür sorgen, dass sich ihre Schwäche schnell unter den Ival herum sprach. Ihr Ruf als Kämpferin für das Volk wäre damit aus aller Munde gelöscht.
»Werft die Feuerbeutel auf den Boden«, befahl sie und ließ mit ihrem Blick keine Sekunde von den beiden ab. Fister grinste frech und sah seinen Kumpanen an, wie um dessen Bestätigung zu erheischen. Scheinheilig verbeugte er sich vor Antarona.
»Wie immer ihr wollt, oh gütige Kriegerin der Ival und des Achterrats.., euer Wunsch ist uns gleichsam freudiger Befehl.., wenn ihr gestattet...«
Sonnenherz wusste, dass dies keineswegs ehrlich war und ahnte eine versteckte Attacke. Sie kam jeder hinterhältigen Absicht Fisters zuvor, hob Nantakis aus dem Stand in einen ausholenden Seitenhieb und durchtrennte mit der Klinge gleichzeitig die Feuerbeutel von Fister und Wurek. Antarona führte den Streich so blitzschnell aus, dass die beiden nur noch zusehen konnten, wie Feuerstein, Eisen und Zunder mit dem unteren Teil der Beutelchen über den Boden purzelten.
Verdutzt blickten die beiden mit dummen Gesichtern auf die Bändchen, die noch zwischen ihren Fingern baumelten. Allmählich begriffen sie, dass ebenso gut ihre Hände auf dem Boden liegen konnten. Ihre Augen wurden größer und die Farbe wich aus ihren Gesichtern. Bevor sie noch zu irgend einer Reaktion fähig waren, nahm ihnen Antarona jeden Entschluss ab.
»Und jetzt eure Waffen.., legt sie dazu!« Ihre Worte schnitten wie Peitschenhiebe durch die Nacht und ließen keinen Kompromiss mehr zu. Die beiden glotzten sie nur an und schienen wie erstarrt. Antarona zuckte nur einmal kurz mit Nantakis, sofort kam Bewegung in die beiden paralysierten Gestalten. Hastig rissen sie sich die Gürtel mit den Schwertern von den Hüften und warfen sie so heftig von sich, als hätten sie etwas glühend Heißes in den Händen.
»Nun tretet ein paar Schritte zurück«, forderte sie die beiden auf. Wie abgerichtete Tanzbären folgten sie dem Kommando des Krähenmädchens und wagten nicht mehr auch nur ihr Gesicht zu verziehen. Sie hatten eine deutliche Vorstellung davon bekommen, wie diese Frau mit der Waffe umzugehen wusste und hatten nun keinerlei Verlangen mehr nach weiteren Kunststücken mit dem Schwert.
Antarona wandte sich an Koratan, der immer noch hinter ihr stand und dessen Zittern sie schon zu hören glaubte.
»Sammelt ihre Waffen ein.., wir werden sie an uns nehmen. Später, wenn wir unser Ziel erreicht haben, können sie ihre Schwerter zurück bekommen.« Koratan kam hinter ihr hervor gekrochen, wie ein scheues Reh aus dem Wald. Vorsichtig näherte er sich den Schwertern und Dolchen am Waldboden, als könnten sie jederzeit zum Leben erwachen und ihn massakrieren. Zögernd blickte er Antarona an.
»Nun macht schon, Koratan.., sie können euch nichts mehr tun...«, trieb sie ihn an und an die beiden Windreiter gerichtet sprach sie in deutlich schärferem Ton:
»Die beiden kühnen Reiter aus Arraks Mitte werden sich jetzt ganz still an einen Baum setzen und sich von der beschwerlichen Reise ausruhen.« Dabei wies sie den beiden mit einem Kopfnicken einen dicken Baum zu, dessen Stamm so mächtig war, dass sie sich nicht so einfach ungesehen fort schleichen konnten.
»Fister und Wurek sind sicher so erschöpft, dass sie keinen Fuß mehr vor den anderen setzen möchten, oder irre ich mich?« Ihr fragender Blick lag wie eine schwere Eisenkette auf den beiden und wäre Sebastian zugegen gewesen, hätte er auf den spöttischen Unterton ihrer Bemerkung stolz sein können. Antarona bewunderte Ba - shties Sprachgewandtheit. Immer öfter ertappte sie sich dabei, wie sie ihre Sprache in solchen Situationen ebenfalls mit dem Spott würzte, welcher andere lächerlich machte und bloß stellte.
Wurek und Fister begriffen, dass sie nun endgültig verloren hatten. Stumm trollten sie sich an den zugewiesenen Platz und ließen sich dort nieder. Ihre Waffen ließ Antarona von Koratan an einen Baum legen.
»Seht euch freundlichst nach ein paar schweren Steinen um, Koratan, und bringt sie hier her«, bat sie den Diener des Königs. Sie hätte es selbst getan, doch sie konnte nicht wagen, die beiden aufsässigen Windreiter mit Paranubo und Onafinte allein zu lassen. Ihren Standpunkt und ihre Autorität hatte sie unmissverständlich klar gemacht, doch war die Lage keineswegs so stabil, dass sie es wagen konnte, diese hinterhältigen Ratten aus den Augen zu lassen.
Koratan lief im Dunkeln stolpernd den Waldboden ab und wenn er es tatsächlich schaffte, einen größeren Stein zu finden, kam er stolz damit zurückgelaufen, als hätte er eine Heldentat vollbracht. Irgendwie erinnerte er an einen treuen, manchmal aber etwas begriffsstutzigen Hund.
Die Steine, die er nach und nach anschleppte, schichtete Antarona auf die Waffen der Windreiter. So war es ihnen nicht möglich, in einem günstigen Moment überraschend darauf zuzugreifen. Fister und Wurek, zunächst erstaunt über das Steingrab, verstanden allmählich den Sinn der Aktion. Sofort verfinsterten sich ihre düsteren Mienen noch mehr.
»Was um alles in der Welt tut ihr da?« Wie aus dem Nichts war Sebastian wieder aus der Finsternis des Waldes aufgetaucht. »Beerdigst du jetzt schon all unsere Waffen, mein Engelchen.., bevor der Kampf überhaupt begonnen hat?«
Basti hatte ihr Lager in einem weiten Bogen nach drei Seiten hin abgesucht. Außer Bäumen und undurchdringliches Dickicht hatte er nichts gefunden. Auch Reno und Rona gaben nicht ein einziges Mal Laut. Er hatte aber festgestellt, dass sie der Felskante am Wasserfall und somit dem See näher waren, als sie vermutet hatten. Das Gelände fiel in immer steileren Felsterrassen ab und Sebastian konnte das Donnern und Rauschen des fallenden Wassers in nicht allzu weiter Ferne hören.
Antarona und Sebastian hockten sich an einen etwas weiter entfernten Baum, gerade, dass sie noch die Windreiter im Auge behielten. Er ließ sich von ihr erzählen, was sich in seiner Abwesenheit zugetragen hatte und Sebastian klärte seine Frau über ihren Standort auf.
»Ich vermute mal...«, kommentierte Basti ihre Lage, »...dass Torbuk unten am See eine Wegwache postiert hat.., vielleicht etwa dort, wo wir uns zum ersten Mal begegnet sind.., das wäre eine gute Stelle, was meinst du?« Antarona nickte nachdenklich.
»Wir sollten das erkunden, wenn Talris seinen Lauf mit der Sonne beginnt«, überlegte sie laut. Die schwarzen Reiter werden nicht vermuten, dass wir über die Felsen im Wald in das untere Tal steigen. Sie werden sich an einer Stelle verbergen, von wo aus der Weg über die Felsenkante zu sehen ist. Sonnenherz kennt alle diese Stellen, doch die Soldaten von Quaronas wissen nicht, dass die Tochter der Ival sie kennt.
»Ja.., und was diese beiden verlogenen, hinterhältigen Kröten hier anbelangt...«, sagte Basti so laut, dass Wurek und Fister ihn deutlich hören mussten. Langsam ging er auf die beiden zu und hockte sich vor ihnen hin. Er sah ihnen lange intensiv in die Augen, so dass sich ihre Blicke vor Unsicherheit regelrecht in den Waldboden bohrten und sie wünschten sich in diesem Augenblick nichts sehnlicher, als sich in jenen Löchern zu verkriechen, aus denen die Ameisen kamen.
Sebastian nickte plötzlich bedeutsam, dann sprach er leise, doch mit so kaltem Hass, dass den beiden Windreitern das Blut in den Adern gefror:
»Ich habe es schon einmal gesagt und ich werde sehr zornig, wenn ich mich wiederholen muss. Wenn ihr euch noch ein einziges Mal gegen die Frau stellt, deren Herz mit meinem verbunden ist, oder wenn ihr auch nur daran denkt, es zu tun...« Sebastian machte eine gedankliche Pause, ließ seine Worte wirken und begann dann gefährlich zu lächeln.
»Wisst ihr...«, begann Sebastian erneut und gab sich gespielt naiv, »...ich bin noch nicht allzu lange zurück aus dem Reich der Toten und habe wohl einiges vergessen... Ihr könnt mich sicher aufklären... Als wir die Antilope jagten, trafen wir auf eine Horde von ungefähr zehn bis zwanzig Eishunden.., richtig hungrig sahen die aus.., so hungrig, dass sie schon den Verstand verloren! Was glaubt ihr.., wie lange würden die wohl brauchen, ihr Futter zu finden, wenn man zwei so fette Happen wie euch dort oben an einen Felsen binden würde?«
Fister und Wurek saßen blass wie zwei Leichen an ihrem Baum und wagten sich nicht zu mucksen. Mit offenem Mund starrten sie Sebastian an, dessen Grinsen nur noch breiter wurde.
»Also ich finde ja, man sollte diese armen Geschöpfe nicht allzu lange suchen lassen... Was meint ihr, würde es etwas nützen, eine feine Blutspur bis zu dem Punkt zu legen, von wo aus sie euch wittern können?« Basti blickte die beiden mit kalten Augen an.
»So, wie ich das sehe, wäre es auch für euch das Beste...«, er zuckte gleichmütig mit den Schultern, »...was dann kommt geht eigentlich ziemlich schnell... Ich habe zugesehen, was die halb verhungerten Tiere mit der zweiten Antilope gemacht haben, die Sonnenherz nur verletzt hatte. Erst mal hat eines dieser Biester der Antilope sämtliche Eingeweide aus dem Leib gerissen... Aber keine Angst, ihr würdet nur ein paar Augenblicke leiden. Denn wenn erst einmal der Fressneid unter den Viechern ausgebrochen ist, machen sich gleichzeitig andere über eure Füße, eure Beine und eure Hände her.., es dauert nicht allzu lange...«
Fister quollen plötzlich die Augen über, er beugte sich zur Seite und musste sich hustend übergeben, während sein Kumpan Wurek stocksteif und aschfahl dasaß und nicht mehr zu atmen wagte. Sebastian lächelte beide gnädig an.
»Ihr könnt euch natürlich auch befleißigen, wieder nett zu uns zu sein... Vielleicht müssen die Eishunde dann hungrig schlafen gehen...« Damit klopfte er Wurek freundschaftlich auf die Schulter und ging zu Antarona zurück.
»Was habt ihr mit ihnen gemacht, Ba - shtie?« wollte sie von ihm wissen. Ihr durfte kaum entgangen sein, dass Fister plötzlich seine letzte Mahlzeit wieder ans Tageslicht befördert hatte. Sebastian machte ein gleichgültiges Gesicht und erklärte ihr wie beiläufig:
»Ach, nichts weiter... Wir haben uns nur über die Jagdgewohnheiten von Eishunden unterhalten.., nichts Besonderes also«, versuchte er die Sache zu verharmlosen. Antarona verstand ihn dennoch und musste lachen. Sie lachte selten, viel seltener, als Janine es getan hatte. Deshalb erfreute sich Basti offen an ihrer Heiterkeit und fiel in das Gelächter ein, wobei er immer wieder die entsetzten, farblosen Gesichter von Fister und Wurek vor Augen hatte, die sich schon als Nachtmahl der Eishunde sahen.
Da in unmittelbarer Nähe nicht mit Torbuks Leuten zu rechnen war, beschlossen sie, ein kleines Feuer im Sichtschutz der Felsen zu machen, gerade so groß, dass sie sich daran erwärmen konnten und um ein paar Stücke Fleisch zu garen. Sebastian schürte das Lagerfeuer, Antarona und Koratan sorgten für das leibliche Wohl. Antarona wickelte die Fleischstücke in große Blätter und legte sie direkt in das Feuer.
»Wenn das Fleisch offen über dem Feuer brät, weht der Geruch über das Land, Ba - shtie«, erklärte sie Sebastian, der sie mit fragendem Blick beobachtete, »...Wir wissen nicht, ob die schwarzen Krieger Torbuks Hunde mit sich führen...« Er nickte und sah ein, dass ihre Bedenken angebracht waren.
Dass jeder wieder etwas Warmes in seinen Bauch bekam, hob die Stimmung etwas an. Selbst Wurek und Fister vergaßen die angekündigte Begegnung mit den Eishunden und schienen sich plötzlich sehr handzahm in die Reisegruppe zu integrieren. Zumindest Sebastian versuchte ihnen zu zeigen, dass er nicht nachtragend war und reichte ihnen ein großes Stück Antilope zur Stärkung. Antarona allerdings würdigte die beiden Windreiter weiterhin keines Blickes.
Die anschließende Nacht verlief ruhig. Nach dem Mahl zeigte sich bei allen die Müdigkeit, die ihnen schon seit Tagen in den Knochen steckte. Jeder suchte sich ein Platz am Feuer und wickelte sich in Decken, Felle, Kleidung.., eben in das, was vorhanden war. Antarona und Sebastian wollten sich mit der Wache abwechseln. Trotzdem gebot Basti den beiden Hunden Reno und Rona auf der Hut zu sein. Er brauchte es ihnen nur zu sagen und wusste, dass sie jede Annäherung von außen mit einem Knurren ankündigen würden.
Sebastian übernahm die erste Wache. An einem mannshohen Felsen, von wo aus er das Lager gut im Blick hatte, kroch er in seinen Schlafsack und setzte sich aufrecht mit dem Rücken gegen den Stein, das Schwert quer über seine Knie gelegt. Zuvor hatte er noch etwas Holz neben sich aufgeschichtet, mit dem er das Feuer über Nacht nähren konnte.
Antarona legte sich direkt neben ihm in ihre Felle. Sie wühlte sich wie ein Maulwurf hinein, bis nur noch ein kleiner Schopf ihrer langen, schwarzen Mähne daraus hervor lugte. Wie gern wäre Sebastian mit ihr unter das Fellknäuel gekrochen. Sehnsüchtig dachte er an ihre warme, glatte Haut, an ihren biegsamen Leib, der sich so perfekt an seinen Körper anzuschmiegen vermochte, dass sie wie ein Stück aneinander gefügt daliegen konnten und jede Faser und Regung des anderen spürten.
Er dachte an den süßlichen Duft, den ihre Haut verströmte, wenn wohlige Wärme ihre Körper umfing, er sehnte sich nach ihren Haaren, in denen er sein Gesicht vergrub und gleichzeitig ihren empfindlichen Hals küsste, er fühlte die Hitze in sich hoch steigen, wenn sie ihren Po an seinen Schoß drückte und er ihren leib mit den Händen umfasste, um sie noch fester an sich zu ziehen.
Basti hörte ihre verhaltenen Seufzer, wenn sie im Schlaf von der Mutter der Nacht entführt wurde, welche die Sinne der Menschenwesen im Schlaf wandern lässt. Er spürte ihren Atem, der ruhig und regelmäßig ihre Brüste hob und senkte und ihn im gleichmäßigen Rhythmus einfing und ihn mit sich fort trug.
Seine Sehnsucht wanderte weiter, zu einem kleinen, sauberen Häuschen, vor dem Antarona in einem liebevoll angelegten Garten stand und ihre Kräuter zog. Ihr dünnes Sommerkleid flatterte im warmen Wind und sie lächelte ihn süß an. Sie lief ihm entgegen, warf ihre Arme um seinen Hals, klammerte sich mit ihren Beinen an ihn und rief voll überschwänglicher Freude seinen Namen.
»Ba - shtie.., Ba - shtie.., Ba - shtie...« Er spürte ihre feingliedrigen Hände auf seinem Gesicht und ihre Haare kitzelten in seiner Nase. »Ba - shtie.., Ba - shtie - laug - nids.., wacht auf.., lasst die Mutter der Nacht los.., wacht auf!«
Sebastian öffnete die Augen und sah in Antaronas Gesicht. Er lächelte zufrieden, ließ seine Lider wieder fallen und ergab sich erneut in seine Sehnsucht nach der wundervollsten Frau der Welt. Doch etwas störte ihn. Irgendetwas packte ihn bei den Schultern und schüttelte ihn so erbarmungslos, dass jenes betörende Bild von seiner Geliebten in tausend Teile zerbrach und davon stieb. Er schlug erneut die Augen auf und blickte wieder in ihr liebliches Gesicht. Aber etwas stimmte nicht...
»Ba - shtie, wacht auf.., rasch.., Fister und Wurek sind fort!« Sebastian schreckte hoch, starrte in das aufgeregte Gesicht seines Krähenmädchens und war in der nächsten Sekunde hellwach. Der Morgen war angebrochen, grau zwar, aber die Dunkelheit war einem farblosen, kalten Licht gewichen. Leichter Frost hing zwischen den Bäumen und ihre Atemzüge hingen als starre Wölkchen in der Luft, bis sie sich auflösten.
In einer einzigen Bewegung fuhr Sebastian aus seinem Schlafsack und registrierte sofort den leeren Platz, an dem Fister und Wurek noch am Abend gesessen hatten. Verwirrt blickte er sich um. Koratan stand am gerade neu angefachten Feuer und zuckte unschuldig mit den Schultern. Rona und Reno umrundeten aufgeregt den Lagerplatz und warteten offenbar nur auf einen Befehl, hinter den beiden Ausreißern her zu hetzen.
»So etwas Blödes aber auch...«, fluchte Sebastian vor sich hin und schlug sich mit der flachen Hand in ungezügelter Wut gegen sich selbst auf sein Bein, »...ich bin eingeschlafen.., ich Rindvieh bin doch tatsächlich eingeschlafen!«
»Vergesst euren Zorn, Ba - shtie.., wir alle wurden von der Mutter der Nacht übermannt und in ihr Reich geholt«, versuchte Antarona zu beschwichtigen. Doch Sebastian ließ sich so schnell nicht mehr beruhigen. Er rannte aufgebracht hin und her, suchte den Boden nach Spuren ab und schalt sich selbst den größten Narren, den das Val Mentiér je gesehen hatte.
»Ja.., wir alle haben geschlafen.., ja, aber ich hatte doch wohl Wache, oder?« Etwas leiser setzte er hinzu:
»Einfach eingeschlafen.., man glaubt es doch nicht!« Plötzlich blieb er abrupt stehen. Er überlegte kurz, beruhigte sich etwas und sah dann verständig nickend in die Runde. Er sprach mehr zu sich selbst, aber für alle hörbar:
»Wir sind Tag und Nacht unterwegs.., ständig auf der Hut, wie auf der Flucht.., ständig unter Anspannung... Wir schlafen am Tag in eisiger Kälte und schlagen uns des Nachts durch weglose Wälder.., wir essen nicht, trinken zu wenig und gönnen uns kaum eine Pause... Na ja, und dann passiert es eben... Man schläft einfach ein und kann gar nichts dagegen tun!« Zu Antarona gewandt überlegte er:
»Was meinst du, wo sind die beiden Ratten hin? In Aussicht auf einen warmen Ofen nach Mittelau? Die werden ja wohl nicht so dumm sein und nach Zumweyer, direkt in Torbuks Arme laufen, oder?«
Antarona hockte vor der Stelle, an der Fister und Wurek gesessen hatten und fuhr mit ihren Fingern über das Laub. Sie befühlte die Blätter und den Boden, bevor sie aufstand und laut ihre Erkenntnisse verkündete.
»Die toten Blätter der Bäume sind trocken und nicht von der glitzernden Kälte bedeckt, Ba - shtie. Sie können noch nicht sehr lange fort sein. Sie sind mit ihren Verletzungen langsam und kennen nicht die Wälder und Schluchten unserer Täler und Berge...«
»Mit anderen Worten...«, setzte Sebastian ihre Überlegung fort, »...wenn wir uns beeilen und Rona und Reno auf ihre Fährte ansetzen, können wir sie mitunter noch einholen, bevor sie irgend eine Dummheit anstellen, meinst du das?«
Antarona nickte stumm und ging zu dem Steinhaufen hinüber, den sie am Vortag über den Waffen der beiden Ausreißer aufgeschichtet hatte und begann damit, die Steine fort zu räumen.
»Was tust du da?« wollte Sebastian wissen und sah ihr erstaunt zu. Während sie weiter Stein für Stein zur Seite warf und nach und nach die Schwerter frei legte, klärte sie ihn über ihre Schulter hinweg auf.
»Wir brauchen etwas, an dem der Geruch von Fister und Wurek ist, Väterchens Hunde mögen dann diese Witterung aufnehmen und ihnen schnell folgen.« Daran hatte Sebastian nicht gedacht. Er glaubte, der Waldboden an jener Stelle, wo die beiden die Nacht verbracht hatten, genügte, um die Hunde auf ihre Spur zu bringen. Antarona nahm Wureks Gürtel mit dem Dolch und hielt ihn Basti hin.
»Ba - shtie, sie sind eure treuen Begleiter, wie Tekla und Tonka die von Sonnenherz sind... Zeigt ihnen, was sie suchen sollen!«
Sebastian nahm sein Schwert und wartete, bis auch seine Gefährtin ihre Waffen aufgenommen hatte. Dann wandte er sich an Koratan, Paranubo und Onafinte.
»Und ihr drei...«, machte er ihnen eindringlich klar, »...rührt euch hier nicht vom Fleck, bis wir wieder zurück sind.., ist das klar? Es kann ein paar Stunden dauern, und ich werde ziemlich sauer, wenn ich euch anschließend auch noch suchen muss.« Ohne auf eine Antwort zu warten, sah er ihnen tief in die Augen und fügte mahnend hinzu:
»Denkt daran.., Torbuks Männer schleichen hier überall herum, die wollen uns um jeden Preis abfangen und werden auch davor nicht zurückschrecken, zwei Gesandt aus Oranutu an die Bäume zu nageln! Also verhaltet euch ruhig, stärkt euch an der Antilope und denkt darüber nach, bevor ihr auf die Idee kommt, Fister und Wurek folgen zu wollen!« Sebastian nickte, wie um seinen Vortag abzusegnen und bat Antarona, seine Worte zu übersetzen.
Endlich rief er Reno und Rona herbei, die bereits ungeduldig am Rand des Lagers auf und ab tigerten. Er gab ihnen ein Stück vom erlegten Wild, das sie in drei Bissen hinunterschlangen und hielt ihnen den Gürtel Wureks hin.
»Sucht nach Fister und Wurek.., los, sucht sie.., sucht...« Die beiden Hunde jagten zielstrebig davon und verschwanden zwischen den Bäumen. Antarona und Sebastian hatten Mühe, ihnen zu folgen. Basti fand es erstaunlich, dass Reno und Rona ihn verstanden, obwohl sie doch eigentlich an die Sprache der Ival gewöhnt sein mussten.
Entweder hatte der alte Balmer mit ihnen in der Sprache des Totenreichs gesprochen, oder sie interpretierten einfach Sebastians Stimmung und Tonfall. Vielleicht, so hoffte er, hatte er ja auch ein wenig von Antaronas Gabe, seine Sinne auf die der Tiere zu übertragen. Jedoch verlassen sollte er sich nicht darauf, das sagte ihm seine Begegnung mit dem Gor und dem Felsenbären.
In schnellem Lauf hetzten sie hinter den beiden Hunden her durch den Wald. Zeitweise verloren sie Rona und Reno aus den Augen. Aber schon kam einer von beiden zurück gelaufen, sprang herum und setzte sich wieder auf die Fährte. Antarona hatte ihren Fellumhang abgeworfen und trug nur noch ihren Hüftschurz und die Beinlinge. Sebastian hatte sich ebenfalls seiner Lederjacke und seines Hemdes entledigt und rannte barhäuptig hinter seinem Krähenmädchen her.
Zweige, Äste und Gestrüpp peitschten ihm um Oberkörper und Gesicht, trieben ihm Tränen des Schmerzes in die Augen und er fragte sich, wie es Antarona gelang, durch das Unterholz zu jagen, ohne, dass ihr die Haut in Fetzen vom Leib hing.
Fasziniert beobachtete er, wie sie einer Gazelle gleich mit geschmeidigen Bewegungen und abrupten Sprüngen jedem Hindernis auswich. Ihr schlanker Körper bog sich dabei ständig in alle Richtungen und einmal machte sie sogar einen gewaltigen Satz aus dem Lauf heraus und wirbelte mit einem perfekten Salto über einen Dornenbusch mit hässlichen Stacheln, in dem Sebastian natürlich hoffnungslos hängen blieb.
Mit dem Schwert und verbissener Kraftanstrengung hieb er sich den Weg frei und blickte entsetzt auf seinen aus vielen Wunden blutenden Oberkörper. Er biss die Zähne zusammen und hetzte weiter. Was seine kleine Frau aushielt, musste er doch wohl ebenfalls ertragen können! Sein Scharfsinn verriet ihm aber auch, dass seine Gefährtin seit frühester Jugend durch die Wälder strich und an die schnelle Fortbewegung im dichten Urwald gewöhnt war.
Sie hatte im Laufe der Jahre offenbar eine eigene Technik entwickelt. Ihre Nacktheit machte sie zwar verletzlich, doch ihre Schnelligkeit und Gewandtheit glichen das offenkundig wieder aus. Eine schützende Kleidung musste sie nur behindern.
Wahrscheinlich war diese Tatsache auch ihr Vorteil im Kampf. Im Grunde war sie ohne Gewand schutzlos den Hieben ihrer Gegner ausgeliefert. Doch die geheimnisvolle Eigenschaft von Nantakis und ihre wendige Schnelligkeit machten sie zu der legendären Kriegerin der Ival, der ihr Ruf bereits weit voraus eilte. Sebastian vermutete, dass ihre Taktik auch darin lag, ihre Gegner zunächst ziemlich zu verwirren. Er, Sebastian Lauknitz, würde jedenfalls sehr verwundert sein, wenn sich ihm als gepanzertem Reiter eine zierliche, halbnackte Frau in den Weg stellte.
Aber gerade das musste ihr Vorteil sein. Bevor der Gegner noch seine Überraschung hinunter geschluckt hatte, und sie eindeutig unterschätzen musste, konnte sie ihn blitzschnell attackieren. Ihr Erfolg lag in der blitzartigen Bewegung, welcher Torbuks Reiter in ihren schweren Kettenhemden nicht folgen konnten.
Sie war eine Guerillakriegerin! Sebastian wusste aber auch, dass sie in einem massiven Schlachtgetümmel nicht lange überleben konnte. Der Hieb eines kräftigen Mannes mit einem dieser irre schweren Schwerter, die er selbst kaum anheben konnte, in ihren ungeschützten Rücken musste Antarona unweigerlich das Rückgrat brechen. Das machte ihm Angst!
Diese Angst, die stets in seinem Bauch rumorte, wenn er seiner Geliebten in eine neue Gefahr folgte, war es auch, die ihn den Schmerz der peitschenden Zweige des Waldes nicht mehr spüren ließ. Sebastian hatte nur noch im Sinn, Antarona zu folgen, sie vor jedweder Bedrohung zu beschützen. Er ignorierte Dornen, Stacheln und Tannennadeln, die seine Haut im Vorbeihetzen malträtierten und brach ohne Rücksicht durch das Dickicht.
Sie waren Balmers Hunden etwa eine dreiviertel Stunde lang gefolgt, als das Gelände immer mehr steil abfiel, sich in steinerne Terrassen gliederte, auf denen die Bäume standen, wie Besucher in einem Stadion. Mittlerweile erfüllte ein bekanntes Geräusch die kalte Luft: Das Rauschen von einer großen Menge Wasser. Sie näherten sich dem See, dem Wasserfall, Antaronas Höhle.
Wieso schlugen Wurek und Fister diese Richtung ein? Wenn sie denn nicht völlig unterbelichtet waren, mussten sie doch ahnen, dass Torbuk gerade an dieser Stelle, wo sich der Weg in Serpentinen über die Felskante zum See hinab wand, eine Wache postiert hatte. Strategisch war es nur logisch. Wo sonst, als an so exponierter Stelle konnte man eine Gruppe Fußreisender abfangen?
»Antarona.., mein Engelchen.., halt, warte mal...«, keuchte er hinter seiner Amazonenkriegerin her, »...so warte doch mal, ich muss dir etwas sagen!« Sebastian blieb stehen, stemmte seine Hände auf die Knie und spürte plötzlich, wie ausgepumpt er war. Seine Lunge rasselte und er musste husten. Solche Gewaltsprints war er nicht gewohnt. Er war Alpinist, an gleichmäßiges Steigen in großer Höhe gewohnt, aber nicht für einen Dauermarathon in dicht bewachsenem Gelände geschaffen.
»Was habt ihr, Ba - shtie, verlässt euch schon die Kraft.., Mann von den Göttern?« spottete sie und kam mit einem triumphierenden Lächeln zurück gelaufen.
»Nein...«, schnaufte er und rang nach Atem, »...das ist es nicht, mein Engelchen...« Sebastian stütze sich gegen einen Baum und wies in die Richtung, in die sie bis dahin vorwärts gestürmt waren.
»Sag mal, weißt du eigentlich, wohin wir da laufen?« Antarona zupfte an einigen Flechten und Blättern, die sich in ihren verfilzten, langen Haaren verfangen hatten und blickte ihn fragend an.
»Na, überleg’ doch mal...«, forderte er sie auf, als sie nichts sagte, »...wieso laufen die beiden Windreiter ganz offensichtlich Torbuks Reitern in die Arme? Es ist doch so gut wie sicher, dass die dort unten am See irgendwo einen Hinterhalt gelegt haben, so blöd können doch selbst Fister und Wurek nicht sein, das nicht zu erkennen! Und der Wasserfall mit dem See sind nicht mehr allzu weit entfernt.«
Antarona sah nachdenklich in die Richtung, in der Balmers Hunde im Wald verschwunden waren und nickte verstehend.
»Was ihr sagt, hat Wahrheit, Ba - shtie.., warum gehen sie zu dem Weg, den ein jeder im Tal kennt und der gewiss von den schwarzen Reitern überwacht wird, wenn...« Sie wagte es nicht auszusprechen.
»Wenn sie nicht genau wüssten, dass sie dort auf Freunde treffen...«, beendete Sebastian ihren Gedanken.
»Freunde unter jenen Männern, die für Torbuk und Karek Schrecken und Tod unter die Ival tragen?« Zweifelnd sah sie Basti in die Augen und umfasste seinen Arm, als wollte sie diese Erkenntnis von den Beinen reißen.
»Glaubt ihr, unter Arraks Windreitern befinden sich Verräter am Volk der Ival? Denkt ihr, Ba - shtie, Fister und Wurek haben selbst Arrak getäuscht und sind wahrheitlich Torbuks Krieger, und diesem bösen Fürsten und Geißel unseres Landes untertan?« Sebastian hob fragend seine Schultern und ließ sie wieder sinken.
»Schon möglich... Ihr ganzes Handeln war doch schon von Anfang an sehr eigenartig, oder etwa nicht? Hast du jemals bei Arraks Truppe einen Reiter gesehen, der sich so dumm, ungeschickt und unehrenhaft verhalten hat, wie diese beiden Ratten?« Basti ließ sie kurz über seine Worte nachdenken, bevor er deutlicher wurde.
»Was, wenn uns diese beiden Missgeburten ganz bewusst in einen Hinterhalt führen sollen, wenn sie nur eine Aufgabe zum Ziel haben; nämlich eine aufsässige Kriegerin und einen wiedergekehrten, lästigen Sohn eines lästigen Königs mit einem Streich in Torbuks Arme zu locken?« Seine Frau blickte durch ihn hindurch und Sebastian sah, wie es in ihrem Kopf arbeitete.
»Überleg’ doch mal, Antarona...«, hakte er nach, »...was würde es für Torbuk bedeuten, wenn er uns beide auf einen Streich zu fassen bekäme. Er wäre zum einen das Problem los, dass ihm schon seit geraumer Zeit nach und nach seine Krieger dezimiert, mit anderen Worten dich, und er würde gleichzeitig die Bedrohung eines wieder auferstandenen Areos ausmerzen, von dem er zweifelsohne bereits Kenntnis hat, nämlich mich!« Er machte eine kleine Pause, überlegte dann weiter.
»Du hast es doch selbst gesagt: Ich.., du.., wir sind die letzte Hoffnung für das Volk... Wir sind Torbuks schlimmster Alptraum, wir können all seine Pläne, die Ival zu versklaven und die Hallen von Talris zu finden, vereiteln! Er will uns los werden, bevor wir zu viel Einfluss beim Volk gewinnen, bevor wir uns für den Widerstand die Versicherung Bentals holen können. Er muss uns aufhalten! Und wenn der tatsächlich glaubt, dass er uns auf diesem Weg nach Falméra in die Finger bekommt, und dafür sprechen die Hinterhalte, die uns auflauern, dann...«
»...dann müssen wir verraten worden sein, Ba - shtie!« entfuhr es Antarona an seiner Stelle. Sebastian befühlte die Wunden, welche ihm die Bäume und das Gestrüpp zugefügt hatten und dachte laut.
»Stellt sich noch die Frage, von wem und wie viel von unseren Plänen an Torbuks Ohr gelangt sind... Vor allem.., wir müssen damit rechnen, dass uns Fister und Wurek in einen Hinterhalt locken. Die sind wohl doch schlauer, als wir angenommen haben. Sie werden davon ausgehen, dass wir sie verfolgen.« Basti drehte sich um die eigene Achse und wies mit offenen Armen in alle Richtungen.
»Nur, wo wollen sie uns auflauern?« Mit hochgezogenen Augenbrauen sah er Antarona an, als hätte sie bereits die Antwort parat. Im Grunde hoffte er, dass sie ihm die Orte aufzählen würde, die für einen Hinterhalt in Frage kommen konnten.
Plötzlich erschienen Reno und Rona zwischen den Bäumen und kamen heran getrottet. Sofort wurde Sebastian misstrauisch, denn gewöhnlich jagten sie vorwärts und nur einer der beiden Hunde erschien, wenn ihr Herrchen nicht mithalten konnte. Antarona und Basti blickten sich ratlos an.
»Also, entweder haben sie die Fährte verloren...«, interpretierte er ihr Verhalten und strich beiden dankbar über das Fell, »...oder sie haben gefunden, was sie gesucht haben und wollen uns nun dorthin führen.« Antarona verließ sich weniger auf Vermutungen. Sie hockte sich hin und redete in ihrer Krähensprache auf die beiden Tiere ein. Ihre Hände fuhren durch das dichte Fell, suchten den Hinterkopf der Hunde und kraulte sie hinter den Ohren, etwas, das sie offensichtlich sehr genossen. Vertrauensvoll legten sie ihre Köpfe auf ihre Beine und Antarona neigte ihren Kopf zu ihnen hinab.
Ein objektiver Betrachter musste diese Art der Vertrautheit zwischen Mensch und Hund beinahe für eine Zirkusnummer halten. Doch Sebastian wusste, dass es wesentlich mehr war. Antarona verband ihre Gedanken mit denen Renos und Ronas. Noch vor einem halben Jahr hätte Sebastian Lauknitz ein solches Verhalten, einen so innigen Umgang mit Tieren als widerwärtig und unhygienisch verurteilt und für unmöglich gehalten. Doch wieder einmal wurde ihm augenfällig, wie sehr sein Leben von der Vertrautheit zu diesen beiden Tieren abhängen konnte. Ohne Rona und Reno mussten sie unweigerlich in die Falle tappen, die ihnen Fister und Wurek sehr wahrscheinlich gelegt hatten. Und wiederum aufs neue beeindruckte ihn seine Gefährtin mit ihrer geheimnisvollen Gabe, sich mit den Geschöpfen der Natur geistig auszutauschen.
Als Antarona wieder aufstand, machte sie ein ernstes, aber fest entschlossenes Gesicht. Sie deutete in die Richtung, wo der See liegen musste und erklärte ihm:
»Fister und Wurek sind dort. Es sind viele Männer dort.., Männer mit Pferden!« Also hatte Sebastian richtig getippt. Wahrscheinlich wollten die beiden abtrünnigen Windreiter ihn und seine Krähenfrau in die Arme der schwarzen Reiter locken!
»Was meinst du...« fragte Basti auffordernd, »...sehen wir uns das mal an?« Trotz seiner Frage kannte er die Antwort bereits.
»Ja, Ba - shtie.., es ist gut, wenn unsere Augen wachsamer sind, als die jener Reiter, welche Unglück über unser Land bringen.« Sie sah durch die Bäume zum Himmel hinauf und sprach weiter: »Die schlafende Sonne wird bald erwachen und Talris wird seinen Lauf beginnen. Dann werden unsere Augen jede ihrer Bewegungen sehen, doch sie werden es nicht bemerken!«
Das klang für Sebastians Erfahrungen nicht gut! Er sah sie beide wieder einmal in ein gefährliches Abenteuer hinein schlittern, von dem er seine wagemutige Frau kaum würde abbringen können. Er wollte nur kurz beobachten, sehen, was der Feind tat, um ihm nach Möglichkeit zuvor zu kommen. Aus Antaronas Munde klang es jedoch schon wieder so, als zog sie in Erwägung, die Pferdesoldaten aus dem Hinterhalt anzugreifen.
»Damit wir uns richtig verstehen, mein Engelchen...«, wollte er sich versichern, »...wir beobachten die nur und kundschaften ihre Stärke aus.., nichts weiter, ja? Nur gucken und wieder weg! Nicht irgend eine gewagte Aktion, die uns den ganzen räudigen Haufen auf den Pelz hetzt.., habe ich das richtig verstanden, ja?«
Beschwichtigend legte sie ihm die Hand auf den Arm und hauchte ihm einen flüchtigen Kuss auf die Lippen. Sogleich fasste sie ihre Geste in Worte.
»Macht euch keine Sorgen, Ba - shtie, wir werden nichts tun, was Karek und Torbuk verrät, wo wir sind. Die Wälder werden uns verschlucken und uns erst bei den großen Sümpfen wieder ausspeien. Torbuks Reiter werden uns nicht mehr sehen!«
»Na dann ist es ja gut...«, beruhigte sich Sebastian, »...also dann wollen wir mal... Reno.., Rona.., los, wo geht’s lang, sucht, ihr beiden, sucht!« Er klopfte den beiden zuversichtlich auf das Fell und sofort jagten sie los.
Diesmal wurde Bastis Oberkörper nicht von Dornen und hinterlistigen Zweigen in blutige Streifen zerfetzt. Dafür musste er aus dem Stehgreif lernen, ohne Überlegung über Felsabsätze zu springen und sich an abschüssigen Steinmauern hinab zu hangeln. Er war ein geübter Berggeher, doch auch in diesem Gelände schien Antaronas Gewandtheit ihm überlegen.
Wo er mühsam über einen Felsabhang kletterte, griff sich das Krähenmädchen den kräftigen Ast einer weit ausladenden Tanne, ließ die Zweige durch ihre Hände gleiten und schwebte wie durch Zauberhand abwärts. Ihre Sinne registrierten und nutzten im Bruchteil einer Sekunde jede Gelegenheit, die ihr half, im unwegsamen Gelände schnell voran zu kommen. Zeitweise spukte Sebastian schon die Bezeichnung weiblicher Tarzan durch den Kopf. Nur, dass sie eher Leichtigkeit und Schnelligkeit zum Erfolg führte, als denn übermenschliche Kraft.
Als Sebastian den Trick mit dem Tannenzweig versuchte, grabschte er wohl zu fest in die Nadeln. Die Angst, das raue Holz würde ihm die Handflächen aufreißen, ließ ihn den Zweig so kraftvoll umklammern, dass er daran hing, wie eine zu schwer gewordene Pflaume.
Er glitt nicht hinab, wie seine grazile Gefährtin, sondern pendelte über den Abgrund hinaus und hörte mit Schrecken ein hässliches Knacken, als der Ast brach. Es gab einen Ruck, der Ast hing nur noch an einigen Holzfasern, pendelte zurück und Sebastian knallte mit voller Wucht gegen die Felsen, an denen er eigentlich in weitem Abstand elegant vorüber gleiten wollte. Sein Gewicht drückte ihn wieder zurück und plötzlich raste der Stamm des Baumes, an dem er hing, auf ihn zu...
Basti spürte ein Atem raubendes Stechen, als er gegen die hölzerne Säule schlug und die Verletzung, die er in tagelanger Quälerei auf Högi Balmers Alm auskuriert hatte, rief sich wieder in Erinnerung. Unbewusst ließ er den gebrochenen Ast los und lernte sogleich, dass die Anziehungskraft der Erde auch in einem Leben nach dem Tod durchaus noch realistischen Charakter besaß!
Wie ein nasser Sack polterte er auf den felsigen Waldboden. Etwas benommen rieb er sich die Rippen und sein Gesäß, das er sich empfindlich geprellt hatte. Ihm wurde klar, dass der große Bergführer Sebastian Lauknitz zu schwerfällig war! Er mochte zwar auf das Matterhorn gestiegen und durch die Majorroute am Mont Blanc geklettert sein, doch für solche fliegenden Waldläufe fehlte ihm Antaronas artistische und akrobatische Leichtigkeit.
Die nächsten Geländehürden nahm er weniger mutig, dafür mit etwas mehr Sicherheit. Was machte es schon, wenn sie nicht ganz so schnell waren? Die schwarzen Schergen Torbuks würden schon noch da sein, wenn sie hin kamen. Schließlich warteten die ja auf sie!
Nach einer weiteren halben Stunde Kletterei, auf dem nassen Boden Hinabrutschen und soundso vielen Stürzen über die eigenen Füße erreichte Sebastian mit Antarona eine dicht bewachsene Felskante, an der bereits Reno und Rona im Schutz des Dickichts und mit hechelnden Zungen auf sie warteten. Inzwischen war es hell geworden, doch die Sonne verbarg sich, wie schon an den Tagen zuvor, hinter einer geschlossenen Wolkendecke.
Leise und geduckt schlichen sich Antarona und Sebastian an die Kante heran, die eine Postkartenaussicht bot. Unter ihnen schlängelte sich der Weg, den Basti bereits kannte, zum See hinab. Im Hintergrund donnerte der Wasserfall in die Tiefe, der Antaronas Höhle vor allzu neugierigen Augen verbarg. Dahinter breitete sich der See unter dem Grau des Himmels wie eine aus Blei gegossene Platte aus.
Doch etwas anderes weckte bei den Beobachtern und ihren Hunden wesentlich mehr Interesse. Dort, wo die Serpentinen des Bergpfades wieder in den geraden, gut ausgebauten Weg übergingen, nahe der Stelle am Strand, an der Sebastian seiner Antarona zum ersten Mal begegnet war, beherrschten schwarz gekleidete Männer und einige Pferde den Weg und die angrenzende schmale Wiese. Aus der Ferne der erhöhten Warte konnten sie jedoch keine Einzelheiten erkennen.
Also mussten sie weiter hinunter, natürlich ohne gesehen zu werden. Den direkten Weg über den Abhang konnten sie schon mal ausschließen. Die Bäume standen nicht mehr so dicht beieinander und auf dem felsigen, steilen Grund hielt sich nicht sehr viel Unterholz. Moose und Flechten, sowie ein paar kärgliche Sträucher bevölkerten den Hang und boten kaum Deckung.
»Was hältst du davon, wenn wir ein Stück zurück gehen, noch weiter absteigen, bis der Wald wieder dichter wird, dann den Weg überqueren und uns vom See her an diese Mordbrenner heranpirschen? Wir umgehen sie einfach...«, raunte Sebastian seiner kleinen Kriegerin ins Ohr, »...die erwarten ja, dass wir oben an der Felskante erscheinen und auf dem Weg herab kommen. Die werden uns kaum auf dieser Seite vermuten.«
Sebastian musste über sich selbst staunen. So etwas, wie ein Jagdtrieb war in ihm erwacht, ein Gefühl, dass er bis dahin nicht gekannt hatte. Er fühlte sich diesen Reitern dort unten überlegen, er genoss plötzlich das riskante Versteckspiel, dass er mit diesen ahnungslosen Figuren dort auf dem Weg treiben konnte und es reizte ihn. Eine Art Kampffieber hatte ihn gepackt und jeglicher Schmerz, den er eben noch gespürt hatte, war von einer Sekunde zur anderen auf seltsame Weise verschwunden.
»Wir werden es so machen«, hörte er Antarona an seiner Seite flüstern und schon zog sie sich lautlos von der Kante zurück in den dichten Wald. Sebastian und die Hunde folgten ihr. Auf einem Mal war der Wald mit seinen peitschenden Zweigen nicht mehr sein Feind, sondern Bastis Verbündeter. Plötzlich konnte er dieses Band fühlen, das Antarona mit den Bäumen, den Sträuchern, mit jeder einzelnen Pflanze verband. Wie Falkenauge in den Lederstrumpfgeschichten, die er als Jugendlicher in einem wahren Leserausch verschlungen hatte, empfand er mit einem Mal jeden Baum als Krieger, der mit ihm in die Schlacht zog.
War dieses Gefühl jene Triebkraft, die Antarona nach und nach zu einer perfekten Guerillakriegerin geformt hatte? War nun auch in ihm dieser Jagdinstinkt geweckt, den er zum Überleben in diesem Land dringend brauchte?
Rona und Reno schlichen mit wachsamen Ohren voran. Sie hetzten nicht mehr zwischen den Bäumen hindurch, als gelte es, ein Wild zu erjagen, sondern verhielten der neuen Situation angepasst. Entweder standen sie weiterhin in ständiger Verbindung mit Antaronas Sinnen, oder ihr Instinkt sagte ihnen, dass es nun darum ging, sich an den Gegner heran zu schleichen. Als sie die steinigen Ausläufer der hohen Felskante hinter sich hatten, arbeiteten sie sich noch einige hundert Meter weiter durch den Wald.
Dann bog Antarona nach Norden ab, in die vermeintliche Richtung zum See. Unter dem verhangenen Himmel blieb für Sebastian die Orientierung rätselhaft. Der dichte Wald verhinderte die Sicht auf die Berge, die noch als Bezugspunkte im Gelände dienen konnten. Anscheinend waren es wiederum Ahnungen, die das Krähenmädchen zielsicher lenkten.
Unverhofft endete der Wald und wurde von einem hellen Streifen durchschnitten. Der Weg durch das Tal! Noch im Schutz der Bäume begann Antarona damit, sich von oben bis unten mit weichem Humus einzureiben. Anderorts hätte Sebastian sie für eine Strandschönheit gehalten, die großzügig mit Sonnenschutzcreme umging. Doch die Notwendigkeit einer guten Tarnung hatte inzwischen selbst er begriffen.
Kurz darauf sah auch Sebastian Lauknitz aus, als hätte er mit Wildschweinen in einem Sumpf gerungen. Zusätzlich banden sie sich mit Lederschnüren Zweige an Arme und Beine, um ihre Konturen zu verwischen. Vorsichtig schoben sie sich anschließend Stück für Stück an den Weg heran und spähten nach beiden Seiten.
Der Weg war leer. Wie ausgestorben lag er da. Die Reiter, die sie von der Felskanzel aus beobachtet hatten, waren durch eine leichte Wegbiegung ihrem Blickfeld entzogen. Dennoch nahm Antarona ihren Bogen und spannte ihn. Wenn sie von irgend einem herum streunenden Feind entdeckt wurden, war es Schnelligkeit, worauf es ankam!
Alles blieb ruhig und auf ein Zeichen Antaronas hin, schossen Reno und Rona als lautlose Schattengestalten aus dem Unterholz, setzten über den Weg und wurden auf der anderen Seite ebenso geheimnisvoll vom Wald verschluckt.
Antarona wartete einen Augenblick, dann sprang sie auf und flog ebenfalls wie ein Schatten über den deckungslosen Streifen. Nur mit Mühe konnte Basti sie drüben ausmachen. Mit ihrer Tarnung verschmolz sie vollständig mit dem Hintergrund des Waldes.
Zuletzt sprang Sebastian auf und lief geduckt und in langen Sätzen hinüber. Kein Menschenwesen hatte sie bemerkt. Der Weg lag weiterhin verlassen da, als wurde er seit Ewigkeiten nicht mehr benutzt. Nun befanden sie sich in einer Position zu ihren Feinden, welche diese nicht einmal ahnten.
Wie Wölfe, die ihr Opfer umkreisten, schlichen Reno und Rona den beiden Spähern voraus. Geduckt trabten sie von Strauch zu Baum, von Gebüsch zu Gebüsch, jede Senke, jeden umgeworfenen Baum als Deckung nutzend. Antarona und Sebastian folgten ihnen in geringem Abstand auf leisen Sohlen. Von nun an konnte jedes noch so leise Geräusch sie verraten.
Das schlechte Wetter jedoch war ihr Verbündeter. Die feuchtkalte Witterung ließ alles am Boden liegende, wie Laub, kleine Äste und Zweige, ja sogar das Gras geschmeidig und weich werden. Ein herab gefallener Zweig, der bei Trockenheit mit lautem Knacken brach, bog sich, mit Feuchtigkeit voll gesogen, ohne große Geräusche unter ihrem Gewicht. Das nasse Herbstlaub knisterte nicht unter ihren Füßen, sofern sie es vermieden, ihre Füße nicht wie Treibanker durch den Blätterteppich zu ziehen.
Zeitweise gelangten sie nahe an das Ufer des Sees, was ihnen deutlich machte, wie schmal der Waldgürtel zwischen See und Weg war. Antarona fischte ein Bündel Pfeile aus ihrem Köcher und behielt sie in fortan in der Hand.
Jederzeit konnten sie durch einen dummen Zufall entdeckt werden, bevor sie noch die Stärke des Trupps erkundet hatten. Es brauchte nur einer der Pferdesoldaten aus Scham vor seinen Kameraden ein Stück weit in den Wald eindringen, um sein Geschäft zu erledigen, schon war ihre Deckung aufgeflogen.
Sebastian erinnerte sich an Reno und Rona, die wie stille Schatten stets an ihrer Seite waren. Sie befanden sich kurz vor dem Ziel und er hatte Angst, die beiden Hunde könnten ohne zu zögern auf die verhassten Pferdesoldaten los gehen. Vorsichtshalber schickte er die beiden Hunde zurück. Die zögerten jedoch, wollten an der Seite ihres Herren bleiben. Erst als Antarona ihnen drei knappe Worte zurief, trotteten sie davon.
Einige Minuten später erreichten sie die Stelle, an der Sebastian Antarona zum ersten Mal begegnete. Im Schutz des großen Felsens, der noch in Bastis Erinnerung geblieben war, verharrten sie. Der Waldgürtel war an dieser Stelle kaum mehr dreißig bis vierzig Meter breit. Der Strand, an dem Sebastian damals versucht hatte, Fische zu jagen, ragte weit in die Bäume hinein und minderte ihre Chancen, unentdeckt zu bleiben.
Sie warteten eine Weile, um sicher zu gehen, dass sich niemand außer ihnen im Waldgürtel aufhielt, als plötzlich Stimmen an ihre Ohren drangen. Vermutlich hatte der Wind gedreht und trug nun jedes Geräusch zu ihnen herüber. Aus mindestens fünf verschiedenen Kehlen erhob sich ein grölen und lachen, sowie eine offenbar aufgeregte Auseinandersetzung.
»Die sind so mit sich selbst beschäftigt...«, flüsterte Sebastian Antarona ins Ohr, »...jetzt, oder nie!« Sie bestätigte seinen Entschluss mit einem kurzen Nicken und huschte ohne zu zögern los. Sebastian folgte ihr dicht auf den Fersen. Sie versuchten sich so weit als möglich in der Mitte des Wäldchens zu halten, was jedoch immer schwieriger wurde, je mehr der Baumbestand abnahm und der Wald nahe dem Wasserfall in hohes Gebüsch überging.
Rasch gelangten sie an eine kleine Felsgruppe, die sich aus dem Unterholz erhob. Vorsichtig umrundeten sie die übereinander geschichteten Riesensteine und sahen sich unversehens Torbuks Spähtrupp gegenüber. Sofort duckten sie sich tief in das mannshohe Gestrüpp und versuchten durch die Sträucher hindurch etwas zu erkennen.
Vor ihnen lagen nur noch ein paar Meter dichtes Unterholz, dann verband ein breiter Platz mit sandigem Boden den Weg mit dem Strand des Sees. Jenseits ihres Verstecks warfen sich die hohen Felsen auf, von denen sich das gesammelte Gletscherwasser aller Nebentäler in mächtigen Kaskaden in den See stürzte. Sie befanden sich unmittelbar an der Stelle, wo Antarona sich in die Fluten geworfen hatte, um ihre Kristallkugel, den Stein der Wahrheit zu befragen. So friedlich, wie am Tag ihrer ersten Begegnung war es freilich nicht mehr.
Auf der anderen Seite des Weges, auf einem schmalen Grasstreifen, hatten sich Torbuks Männer häuslich niedergelassen. Ein Lagerfeuer glomm vor sich hin, ihre Ausrüstung, sowie Lanzen und Sattelzeug lagen verstreut herum. Ihre Pferde hatten sie etwas weiter, am Fuß des Hanges an das dornige Gebüsch gebunden. Weit oben am Hang war die Felskante zu sehen, von der Sebastian mit Antarona noch vor einer guten Stunde herabgeschaut hatten.
Auf dem großen Sandplatz, der wahrscheinlich regelmäßig vom Wasser des Sees überschwemmt wurde, hielten sich fünf bis sechs, vielleicht sieben schwarze Reiter auf. Sie trugen schwere Rüstungen, jedoch keine Helme, wie bei dem überfall auf Zumweyer. Drei von ihnen hielten einen schmächtigen Mann fest, der wohl den Weg herauf gekommen war. Zwei Reiter standen etwas abseits, nagten an einem Stück Fleisch herum und belustigten sich an der Szenerie, wie ihre Kumpane den Passanten schikanierten.
Behutsam bog Sebastian etwas die Zweige des Gebüschs auseinander, um besser sehen zu können. Durch das erweiterte Blickfeld sah er noch drei Gestalten, die am Rande des Weges zusammen im Gras hockten. Er war kaum überrascht, dort Fister und Wurek im Gespräch mit einem weiteren Pferdesoldaten zu sehen. Vorsichtig stupste er Antarona an, um sie auf die drei aufmerksam zu machen.
Die Gesichtszüge seiner Gefährtin verfinsterten sich schlagartig, als sie die beiden Verräter erkannte. Er spürte förmlich, dass sie am liebsten losstürmen würde, um den beiden den Garaus zu machen. Doch dies war der falsche Zeitpunkt für Bestrafungen.
»Sechs schwarze Reiter und unsere beiden Ratten...«, zählte Sebastian leise, »...der arme Teufel von Wanderer dort drüben zählt nicht.«
»Sieben Reiter«, verbesserte ihn Antarona und wies auf einen wahren Hünen, der hinter den Pferden aus dem Unterholz kam. Er strich sich den Waffenrock unter der Rüstung glatt und schlenderte zu seinen Kameraden hinüber, die auf grobe, ungehobelte Weise den Reisenden überprüften. Er musste sich wohl erleichtern und war nur einen Moment im Dickicht verschwunden.
»Eher acht«, fügte Sebastian hinzu und nickte zum Hang hinüber. Seine Augen hatten die Bergflanke abgesucht und einen von Torbuks Männern entdeckt, der weiter oben in den Felsen hockte und offensichtlich die Aufgabe hatte, Ausschau zu halten und jede Person zu melden, die sich der Straßensperre näherte. Er beobachtete seine Kameraden auf dem Weg und schien sich ansonsten zu langweilen. Für Antarona und Sebastian bedeutete dies, noch mehr auf der Hut zu sein, denn ein Ausguck in der Höhe hatte natürlich einen besseren Überblick und konnte bei der geringsten falschen Bewegung auf sie aufmerksam werden.
So stand die Sache also. Fister und Wurek sollten sie in diesen, oder in irgend einen anderen Hinterhalt locken! Sebastian dachte darüber nach. Natürlich.., es war geplant! Eine so groß angelegte Aktion, um zweier Zielpersonen habhaft zu werden, konnte nur gut geplant durchgeführt werden. Und zwar von langer Hand vorbereitet!
»Weißt du, Antarona...«, leise teilte ihr Basti seine Vermutung mit, »...diese beiden hinterhältigen Windreiter sollten uns zwar in eine Falle locken, aber der Verräter sitzt wahrscheinlich ganz woanders!« Er machte eine Pause um sicher zu gehen, dass sie ihm folgen konnte und flüsterte dann weiter:
»So eine Wegsperre errichtet man nicht einfach so.., da steckt ein Plan dahinter! Wer immer uns verraten hat, der muss unser Vorhaben bereits vor Tagen gekannt haben...« Antarona nickte zustimmend und ergänzte seine Hypothese:
»...und er muss einen der Männer vom Achterrat kennen.., oder selbst zum Rat der Acht gehören. Sonnenherz wird warten, bis die Götter den Verräter, der ihres Vaters Vertrauen missbrauchte, vor ihr Schwert führen. Er wird seiner gerechten Strafe nicht entgehen!« Sie zischte die Worte mit so viel Hass und Verachtung heraus, dass Sebastian Angst hatte, sie könnten von den Reitern gehört werden. Doch die waren nach wie vor mit dem kleinen Mann beschäftigt.
Sebastian dachte nach. Fünfzehn Mann hatte Torbuk am Ausgang der Schlucht postiert, ein größerer Trupp wartete in Zumweyer, wahrscheinlich auf Abruf, um schnell eingreifen zu können, sollte dies erforderlich werden. Acht schwarze Soldaten zählten sie hier am See und wie viele noch auf dem Weg bis Quaronas und Falméra lauerten, war ungewiss. Mindestens aber hatte dieser schwarze Fürst hundert bis hundertfünfzig Mann in Marsch gesetzt, um ein zierliches, leicht bekleidetes Mädchen und einen im Kampf unerfahrenen, nicht gerade kräftigen Mann in seine Gewalt zu bekommen.
Was, außer dem Mythos vom wiedergekehrten Areos und der Legende von einem unverwundbaren Krähenmädchen veranlasste ihn zu solcher Machtdemonstration? Vor allem... Was geschah, wenn er sie nicht fassen konnte? Würde er seine Männer einfach wieder abziehen? Oder zog er dann mit dieser kleinen Armee durch die Dörfer und ließ ihrem willkürlichen Treiben freien Lauf? Sebastian musste sich bei dieser Vorstellung schütteln, versuchte das, was sich in seinen Gedanken ausmalte, zu verdrängen.
Nun aber ahnten sie, mit welchen Maßnahmen sie bei diesem Verrückten rechnen mussten und konnten sich entsprechend darauf einstellen. Sie hatten genug gesehen! Vorsichtig machte Sebastian das Zeichen zum Rückzug und Antarona machte schon zwei Schritte hinter die schützenden Felsen, als die Stimmen drüben auf dem Sandplatz lauter wurden. Antarona riskierte noch einen Blick und erstarrte.
»Los.., lass uns abhauen...«, raunte ihr Basti ins Ohr, als sie keine Anstalten machte, den Rückweg anzutreten, »...lass uns sehen, dass wir hier weg kommen, bevor die uns noch entdecken!« Doch Antarona rührte sich nicht, blickte nur starr auf das Geschehen auf dem Sandplatz.
Sebastian konnte erkennen, wie die drei Reiter begannen, das völlig verschüchterte Männlein mit einer Peitsche zu traktierten. Ein etwas kleinerer, hässlicher Kerl ließ die Peitsche gezielt auf den Rücken seines Opfers niedersausen. Der versuchte auszuweichen, wurde aber von den beiden anderen Soldaten hin und her geschubst und in die Reichweite des Züchtigungsinstruments zurück gestoßen.
»Worauf wartest du noch, wir können ihm sowieso nicht helfen, sonst machen wir selbst Bekanntschaft mit der Knute«, ermahnte Basti seine zögernde Gefährtin. Antarona wehrte seine Einwände energisch mit einem deutlichen Handzeichen ab und blieb, wo sie war.
»Das ist Frogath, mit dem Torbuks Männer dort ihre rauen Späße treiben.., der Stadtschreiber von Quaronas«, klärte sie ihn auf.
»Na dann trifft es ja nicht unbedingt den Falschen, oder?« Sebastian wurde allmählich ungeduldig und drängte darauf, den brenzligen Ort zu verlassen.
»Nicht alle Menschen von Quaronas sind Torbuk ergeben, Ba - shtie.., die meisten hassen Karek und seinen tyrannischen Vater und sind auf unserer Seite!« Sie legte beschwichtigend ihre Hände auf seinen Arm und er spürte, wie sich ihre Fingernägel vor Anspannung in seine Haut gruben.
»Frogath hat seine Frau und seine beiden Töchter durch Torbuk verloren, er ist unser Spion.., unser Auge unter dem Mantel Torbuks.., versteht ihr, Ba - shtie?« Nun, da gab es kaum etwas miss zu verstehen! Sebastian legte beruhigend seine Hand auf die seiner aufgeregten Frau, die sich immer noch in seinem Arm verkrallte.
»Aber was bei den Göttern macht dieser Frogath dann hier, auf diesem Weg, mutterseelenallein?« fragte er zweifelnd.
»Er wird eine wichtige Nachricht für den Achterrat bei sich tragen, sonst hätte er sich nicht auf so eine beschwerliche Reise begeben«, mutmaßte sie leise, »Frogath verlässt Quaronas nie.., er sendet seine Nachrichten mit den Schwarzvögeln.«
»Na, das ist ja wunderbar...«, unkte Basti genervt, »...und was willst du jetzt tun?« Er betete heimlich, dass Antarona nicht genau das vorhatte, was er im Stillen bereits befürchtete.
Inzwischen hatten die Männer in den schwarzen Rüstungen Spaß daran gefunden, den armen Frogath zu quälen. Offenbar genoss er als Stadtschreiber in Torbuks Hauptstadt nicht unbedingt das Ansehen, das man einer solchen Amtsperson normalerweise zusprach. Die derben Hände der Pferdesoldaten hatten ihm seine Schuhe und die Kleidung bis auf die Unterhosen vom Leib gerissen und ergötzten sich an seiner Schmach, entblößt vor den Attacken seiner Peiniger hin und her zu fliehen.
Irgendwie erinnerte Sebastian die ganze Szene an eine Geschichte, welche ihm Antarona von ihrer Mutter erzählt hatte. Sie war vor vielen Jahren an genau der selben Stelle von schwarzen Reitern zu Tode gequält worden. Er spürte Antaronas innere Spannung und ahnte, dass sie in diesem Augenblick an nichts anderes denken konnte. Er hoffte, sie würde sich nicht zu einer unüberlegten Handlung hinreißen lassen. Im Geiste sah er sie schon selbst unter der Peitsche des schwarzen Soldaten im Staub liegen. Schon diese Vorstellung allein, ließ ihn schwindelig werden.
Das rohe Spiel, das die drei Reiter mit Frogath trieben, rief nun auch die beiden abseits stehenden Männer auf den Plan. Sie traten näher an das Geschehen heran und es war klar, dass sie sich an dem Spektakel beteiligen wollten. Einer bückte sich, hob einen faustgroßen Stein auf, wog ihn kurz in der Hand und warf ihn mit kräftigem Arm nach Frogaths nackten Füßen. Der machte einen raschen Satz nach hinten, um dem Geschoss zu entgehen.
Die Kumpane des Werfers fanden daran einen Heidenspaß und sofort sammelten sie ebenfalls Steine aus dem Sandboden auf. Ein neues interessantes Spiel war erfunden! Währenddessen schienen sich die anderen beiden Reiter nicht groß darum zu kümmern. Sie saßen mit Fister und Wurek am Lagerfeuer und blickten nur sporadisch gelangweilt zu ihren verspielten Kameraden hinüber.
Es war ein grausames Spiel, das sich die fünf übermütigen Häscher auf ihre Fahnen geschrieben hatten. Erst nacheinander, dann jeder nach eigenem Gutdünken schmetterten sie die Steine auf Frogaths Füße, der verzweifelt versuchte, dem schmerzhaften Bombardement auszuweichen. Eine Weile gelang es ihm erfolgreich, in dem er von einem Bein auf das andere sprang und sich bemühte, ständig einen Fuß in der Luft zu halten.
Wäre die Situation nicht so ernst gewesen, hätte Sebastian schmunzeln können, denn es sah aus, als tanzte Frogath nach einer wilden, orgienhaften Musik, die immer schneller zu spielen schien. Die rauen Gesellen Torbuks jedenfalls, fanden das sehr belustigend und ließen sich zu einem makaberen Wettstreit hinreißen, wer von ihnen wie oft die Füße ihres Opfers traf.
Doch entweder gaben sie sich keine allzu große Mühe, oder sie beabsichtigten, das grausame Spiel so lange wie möglich hinauszuzögern, um es richtig zu genießen, denn sie trafen nicht. Irgendwie gelang es Frogath immer wieder, den Steinen auszuweichen. Zwischendurch hielt ihn einer der Männer mit seinem Schwert in Schach und gab seinen Kameraden die Gelegenheit, in aller Seelenruhe die verschossenen Steine wieder einzusammeln. Das gab Frogath die Möglichkeit, sich etwas auszuruhen, bevor das Martyrium von neuem begann.
Irgendwann aber wurden die Peiniger der Tanzkünste ihres Opfers überdrüssig. Sie begannen, ihre Steine gezielter zu werfen. Mit Erfolg. Eines der Geschosse traf Frogaths linken Fuß. Er brüllte vor Schmerz auf, hielt sich das getroffene Gliedmaß mit beiden Händen und tanzte auf dem anderen Fuß weiter. Unglücklicherweise hüpfte er genau auf einen anderen Stein, knickte ein und schlug in voller Länge auf den Sandboden. Die brutalen Reiter bogen sich vor Lachen, grölten und forderten den Geschundenen auf, sich wieder zu erheben.
Frogath aber war mittlerweile am Ende seiner Kräfte. Er wälzte sich durch den Staub und hielt immer noch seinen schmerzenden Fuß. Das passte seinen spaßsüchtigen Folterern gar nicht. Wütend eilten zwei von ihnen zu ihm hin, packten ihn unter den Schultern und rissen ihn unerbittlich wieder auf die Füße. Kaum hatten sie sich wieder von ihm entfernt, hagelte es erneut Steine.
»Sie werden ihn töten, Ba - shtie.., sie werden sich an ihm belustigen und ihn dann ganz einfach totschlagen...« Antarona zitterte vor verhaltenem Zorn und offenem Entsetzen. Jegliche Farbe war aus ihrem Antlitz gewichen und sie bemerkte gar nicht, dass sich ihre Finger so fest in Bastis Arm krallten, dass er bereits zu bluten begann. Sebastian wagte aber nicht, etwas zu unternehmen, denn er fürchtete eine überzogene Reaktion seiner innerlich aufgewühlten Frau.
Es machte ihn ohnmächtig, daran zu denken, was geschehen würde, sollten sie, vor allem Antarona, diesen Männern in die Hände fallen. Er erinnerte sich wieder an seinen Traum bei der alten Wassermühle und ihm wurde schier schlecht vor Angst, denn wie rasch konnte diese nächtliche Einbildung Wirklichkeit werden!
»Wir müssen ihm helfen, Ba - shtie.., er wird sonst sterben«, hörte er sein Krähenmädchen schockiert flüstern. Aber genau davor hatte er Angst!
»Wie um alles in der Welt willst du ihm denn helfen.., hast du vergessen, wie viele es sind?« Sebastian war außer sich vor so viel Naivität. Er versuchte ihr klar zu machen, wie sinnlos und gefährlich ein Eingreifen in diese Situation für sie war.
»Was glaubst du, werden die mit dir anstellen, wenn sie dich zu fassen kriegen...«, bemühte er sich, sie von ihrem Vorhaben abzubringen, »...hast du deine Mutter schon vergessen.., weißt du nicht mehr, wie es ihr ergangen war, genau hier, an dieser Stelle?«
»Nein.., ich habe meine Mutter nicht vergessen, Mann mit den Zeichen der Götter, wie könnt ihr das glauben...«, fauchte sie ihn unterdrückt zwischen zusammengebissenen Zähnen hindurch an, »...ich werde sie niemals vergessen und das, was ihr diese verfaulten, stinkenden Söhne der Finsternis angetan haben. Niemals werde ich ihre Schreie vergessen, Ba - shtie, hört ihr, niemals, denn sie verfolgen mich im Wachen und im Schlafen! Ich höre sie jeden Tag wieder, jeden einzelnen Tag in meinem Leben, an dem unser Volk unter diesen in Robrumscheiße getauchten Frauenschändern und Mordbrennern zu leiden hat!«
Ihr glühender Hass ließ sie alle Vorsicht vergessen, und nur dem Leid geplagten Frogath war es wohl zu danken, dass die schwarzen Reiter sie nicht gehört hatten. Denn der schrie plötzlich auf, als hätte man ihn auf einen Spieß gesteckt.
Er lag am Boden, seine Füße und Beine waren blutüberströmt und er rutschte verzweifelt auf dem Rücken dahin, sich mit den Ellenbogen weiter schiebend, um aus dem Bereich der fliegenden Steine zu kommen. Doch es war sinnlos. Immer mehr Steine schlugen auf seinen gebeutelten Körper ein. Mit letzter Kraft drehte er sich auf den Bauch, zog die Beine an, versuchte, seinen Kopf mit den Händen zu schützen und blieb leise wimmernd in Embryostellung liegen.
Die Männer der wilden Horden jedoch kannten keinerlei Erbarmen. Sie wollten Blut sehen! Ihnen genügte nicht, einen Mann zum Krüppel zu schlagen. Sie wollten sich an seinem langsamen, blutigen Tod berauschen! Einer der Männer aber wollte wohl das Schauspiel schneller beenden, als geplant. Er griff sich einen großen Stein, hob ihn hoch über seinen Kopf und wollte ihn auf Frogaths zitternden Leib schmettern.
Plötzlich jedoch hielt er in seiner Bewegung inne, den Stein weiter in die Höhe haltend, als wollte er sich nicht so recht entschließen, das Leiden des Stadtschreibers zu beenden. Seine Kameraden grölten laut und ungezügelt, konnten sich vor Lachen kaum halten und feuerten ihn an, das armselige Bündel Mensch endlich zu zermalmen.
Statt dessen ließ der Angefeuerte den kleinen Felsen in seinen Händen langsam wieder sinken. Dann sackte er unversehens auf die Knie. Seine Kameraden, die an eine neue Variante des grausamen Spiels glaubten, hielten sich vor Lachen ihre Bäuche und wollten sich gar nicht mehr beruhigen. Doch auf einem Mal blieb ihnen ihre Schaulust buchstäblich im Halse stecken.
Ihr Hauptdarsteller neigte sich mit starrem Blick vornüber und fiel dann wie ein nasser Sack keine zwei Zentimeter vor Frogaths zerschundenem Körper auf sein Gesicht. Fassungslos stierten ihn seine Kameraden an, das letzte Lachen erstarb in einem überraschten Husten und auch Basti kniff in seinem Versteck die Augen zusammen, um zu sehen, was den schwarzen Reiter so abrupt zu Fall gebracht hatte.
Sebastian fühlte schlagartig sein Blut gefrieren. Im Hals des Reiters steckte ein Pfeil! Basti drehte sich wie elektrisiert um und sah entgeistert zu Antarona auf, die unvermittelt wie eine Säule aus dem Gebüsch wuchs, bereits einen neuen Pfeil an der Sehne hatte und den Bogen spannte.
Noch bevor Sebastian reagieren konnte, sirrte der Pfeil durch die Luft und bohrte sich in die Schläfe des Soldaten, der sich gerade über seinen gefallenen Kameraden beugte. Wie von einer unsichtbaren Faust niedergestreckt, fiel der Mann nun selbst über seinen toten Freund und regte sich nicht mehr.
In panischer Angst griff Sebastian das einzige, was er von Antarona zu fassen bekam, den hinteren Knoten ihres Oberteils und zog sie so heftig in die Deckung zurück, dass dieser entzwei riss. Sie verlor den Halt und fiel rücklings ins Unterholz und direkt in Bastis Arme. Wutschnaubend wollte sie sich wieder hoch rappeln. Doch Sebastian hielt sie mit aller Kraft in das Dickicht gedrückt.
»Bist du wahnsinnig?« herrschte er sie im Flüsterton an. »Was glaubst du eigentlich, was du da tust?« Während sich Antarona bemühte, ihren Bogen möglichst geräuschlos aus dem Gestrüpp zu befreien, spähte Sebastian aus der Deckung.
Die schwarzen Reiter standen unschlüssig da, denn sie konnten nicht ergründen, woher die Schüsse aus dem Hinterhalt kamen. Mit hektischen Blicken suchten sie die Serpentinen des Weges bis hinauf zur Felskante ab und kamen zunächst nicht auf die Idee, dass sich ihr Feind bereits in ihrem Rücken befand. Doch es war nur eine Frage der Zeit, bis sie anfingen, das Unterholz zu durchsuchen.
»Da hast du ja was Schönes angerichtet...«, warf Basti seiner Frau vor und erntete immer noch vernichtende Blicke, »...für einen Rückzug ist es jetzt zu spät, was sollen wir jetzt machen?«
»Na was wohl...«, giftete sie ihn an, »...natürlich weiterkämpfen!« Blitzschnell legte sie einen neuen Pfeil an die Sehne ihres Bogens und schob sich schlangengleich im Unterholz vorwärts, bis sie freies Schussfeld hatte. Plötzlich ertönte ein alarmierender Ruf aus der Bergflanke gegenüber. Der Ausguck hatte offenbar die Bewegungen im Gebüsch gesehen und versuchte nun, seine Kameraden zu warnen.
Doch da schnellte bereits Antaronas Pfeil durch das Dickicht und durchschlug das Kettenhemd eines Reiters direkt unterhalb seines Brustpanzers. Er griff sich an den Bauch, starrte verwirrt auf den Pfeil und sank auf die Knie. Seine beiden Mitstreiter jedoch wussten nun, wo sich der vermeintliche Heckenschütze verborgen hielt. Sie zogen ihre Schwerter und stürmten auf das Versteck Sebastians und Antaronas los. Gleichzeitig sah Basti die beiden Soldaten am Lagerfeuer aufspringen. Sie erfassten rasch die Situation und machten sich daran, ihnen in die Flanke zu fallen. Nun galt es, sich einer Übermacht zu erwehren, die sie beide nicht besiegen konnten.
»Da haben wir den Salat...«, brachte Sebastian mit zitternder Stimme hervor, »...jetzt gehen die uns an den Kragen!«
Der erste Reiter erreichte das Unterholz und erhob sein Schwert hoch über den Kopf, um erst einmal die Büsche zusammen zu hauen. Er bekam Antaronas Pfeil direkt ins Gesicht, prallte zurück, als wäre er gegen eine Mauer gelaufen und riss seinen Kumpanen mit von den Beinen, bevor er regungslos im Sand liegen blieb.
Laut brüllend sprang der andere wieder auf die Füße, riss das Schwert seines Kameraden hoch und stürmte vorwärts. Antaronas nächster Pfeil blieb im Brustpanzer seiner Rüstung stecken, hielt den Mann aber keine Sekunde auf. Er brach durch das Gestrüpp, wie ein wild gewordenes Nashorn und setzte zum Hieb auf Antarona an, die ungeschützt am Boden kniete, während sie noch damit beschäftigt war, Nantakis von ihrem Schulterband zu lösen.
Sebastian streckte dem Feind sein Schwert von unten herauf entgegen, um seine Gefährtin zu schützen. Die Klingen trafen laut knallend aufeinander und er hatte das Gefühl, seine Arme würden in tausend Teile zerspringen. Die Wucht des gegnerischen Schlags war so groß, dass sie Sebastians Schwert einfach niederschmetterte. Das aber gab Antarona die Zeit, den Griff ihrer Waffe fest zu umklammern und es in panischer Hast schräg nach oben zu stoßen.
Nantakis Spitze durchstieß die Rüstung des Reiters, fuhr ihm in die Brust und blieb in seinem Kettenhemd stecken. Wahrscheinlich konnte Antarona den Streich aus ihrer knienden Position heraus nur mit halber Kraft führen. Im Sekundenbruchteil erkannte sie, dass der Mann seinerseits wieder sein Schwert anhob, um die vor ihm hockende, halbnackte Frau zu erschlagen.
Ohne den Griff von Nantakis loszulassen, sprang sie flink wie ein Frosch breitbeinig auf die Füße und stemmte sich mit all ihrer Kraft hoch. Ihr Gesicht verwandelte sich vor Anstrengung zu einer Fratze, mit einem kriegerischen Schrei mobilisierte sie noch einmal die letzten Kräfte für einen Stoß und rammte ihrem verdutzt blickenden Gegner die Klinge noch tiefer in den Leib. Der Mann glotzte sie ungläubig an und versuchte immer noch seine eigene Waffe anzuheben.
Mit kalter Überlegung und wutverzerrtem Blick umfasste sie den Griff ihres Schwertes neu und drehte es mit einem kraftvollen Ruck im Körper des schwarzen Reiters. Der fiel nun endlich vornüber und brach mit seinem vollen Gewicht über Antarona zusammen. Dabei drückte sich das Griffstück ihres eigenen Schwertes schmerzhaft in ihren nackten Bauch und nagelte sie regelrecht am Boden fest.
Inzwischen waren die beiden Reiter vom Lagerfeuer heran und hieben sich mit ihren Klingen eine Schneise vom Weg her durch das Gebüsch, um Antarona in den Rücken zu fallen. Vergeblich versuchte sie, sich unter dem Gewicht des toten Pferdesoldaten hervor zu winden, ihr langes Haar verfing sich hoffnungslos in den Dornen eines Strauchs und sie strampelte hilflos mit Armen und Beinen, ohne dass sie dem massigen Körper des Toten entkommen konnte.
Noch auf den Knien warf sich Sebastian gehetzt den Angreifern entgegen. Trotz der Taubheit in seinen Armen packte er sein Schwert an Spitze und Griff und hielt es den niedersausenden Klingen der Gegner entgegen. Wie Meteore schlugen die Hiebe der fremden Krieger in seine Arme ein und Sebastian verlor völlig das Gefühl in seinen Händen. Seine Waffe glitt ihm einfach aus den Fingern, als Torbuks Männer bereits zum zweiten Schlag ausholten.
Verzweifelt nahm er noch einmal seine ganze Kraft zusammen, drehte sich liegend um die eigene Achse, stemmte seinen linken Fuß in den Boden und holte mit seinem rechten weit und kraftvoll aus. Auf Anhieb säbelte er den einen Soldaten schlicht von den Beinen, der krachend im Unterholz verschwand. Der andere jedoch strauchelte nur, fing sich sofort wieder und wollte sein Schwert auf Sebastians Kopf niedersausen lassen.
Doch dazu kam er nicht mehr. Plötzlich, wie von Geisterhand geführt, steckte Sebastians Schwert zwischen seinen Beinen. Er ließ seine eigene Waffe fallen und hielt sich mit beiden Händen seine hässliche Wunde, die sofort stark blutete.
Antarona hatte Sebastians ausweglose Lage erkannt. Trotzdem ihr Unterleib immer noch von dem schweren Leichnam des Reiters am Boden festgehalten wurde, streckte und wand sie sich wie eine Schlange hin und her, angelte sich mit den Fingerspitzen das Schwert Sebastians und stieß es über ihren Kopf hinweg in den ungeschützten Genitalbereich des Angreifers.
Unterdessen war der Reiter, den Sebastian von den Beinen gerissen hatte, wieder aufgestanden. Und auch jener, der am Berghang Ausschau gehalten hatte, war inzwischen von den Felsen herab gestiegen und herangeeilt. Nebeneinander kamen sie drohend und frech grinsend mit erhobenen Klingen und betont langsam auf Antarona und Sebastian zu, die ihnen nun wehrlos ausgeliefert waren. Sie ergötzten sich an der Hilflosigkeit ihrer Opfer, blieben vor ihnen stehen und blickten schadenfroh auf sie herab.
Sebastian war klar, was nun geschehen würde und in seinem Kopf spielten sich bereits die fürchterlichsten Szenen ab. Was mit ihm geschah, interessierte ihn nicht mehr. Seine ganze nackte Angst galt nur noch Antarona! Wenn er, Sebastian Lauknitz tot war, konnte er nicht mehr verhindern, dass diese beiden brutalen Kerle über seine wehrlose, verletzliche Frau her fielen. Basti hatte bereits kennen gelernt, was diese gefühllosen Teufel mit hilflosen Mädchen und Frauen anstellten. Diese Vorstellung brachte ihn schlicht um den Verstand.
Zeit gewinnen, hämmerte es ihm durch den Kopf! Wenn er doch nur Reno und Rona nicht zurück geschickt hätte! Mit ihnen in der Waagschale des Kampfes, wäre die Situation jetzt möglicherweise eine andere. Doch die beiden Hunde waren nicht da. Sicherlich waren sie zu ihrem Lagerplatz, zu Koratan und den beiden Oranuti zurück gelaufen.
Zeit gewinnen, die beiden schwarzen Soldaten provozieren, sie hinhalten, sie von Antarona ablenken! Dieser Gedanke allein bestimmte nun sein ganzes Handeln. Sebastian hechtete nach links; dort lag noch das Schwert des ersten Angreifers. Er packte es am Griff und wollte es hoch reißen.
Plötzlich aber wuchs ein Schatten über ihm auf und ein schwarzer Stiefel stellte sich auf die Klinge. Er hatte keine Chance. Augenblicklich fühlte er sich von vier Armen gepackt, hoch gehoben und zur Seite geschleudert. Sebastian flog mit dem Rücken gegen einen Felsen und ihm blieb auf der Stelle die Luft weg. Eine Hustenattacke nach der anderen schüttelte ihn, er schmeckte faulige Erde und zwischen seinen Zähnen knirschte Sand.
Aus den Augenwinkeln sah er, wie sich zwei Reiter über Antarona her machten. Einer rollte mit einem derben Fußtritt seinen toten Komplizen von ihrem Leib herunter. Sofort griffen vier Hände nach ihr, packten sie unter den Armen und schleiften sie ohne Rücksicht auf ihren unbekleideten Körper durch das Dickicht auf den sandigen Platz am Weg. Sie strampelte verzweifelt mit den Beinen, versuchte um sich zu beißen, wie eine gefangene Hyäne und schaffte es sogar, einem Reiter so kräftig in den Bauch zu treten, dass dieser kurz von ihr ab ließ. Sofort aber klammerte sich seine dicke Faust wieder um ihr Handgelenk, und behielt sie in eisernem Griff.
Dieser Anblick verlieh Sebastian wieder neue Kraft, er stemmte sich hoch und wollte eine der herumliegenden Waffen greifen. Wiederum war es der schwere Stiefel, der ihm auf den Rücken trat und ihn wieder mit unbezwingbarer Kraft zu Boden drückte. In diesem Augenblick schossen zwei Schatten aus dem Gebüsch, flogen über Sebastians Kopf und trafen seinen Peiniger. Der Fuß verschwand von seinem Rücken und der schwarze Soldat krachte in das Unterholz. Über ihm waren die zwei Schatten. Reno und Rona!
Die beiden guten Hunde des alten Balmer schnappten und bissen gnadenlos auf den Mann ein, der noch gar nicht begriffen hatte, wer, oder was ihn angriff. Sebastian konnte sich nicht länger darum kümmern. Er hörte die wütenden Schreie seiner Frau und das dröhnende Gelächter der schwarzen Männer Torbuks. Mit einem seitlichen Blick erhaschte er die Situation.
Die zwei Schwarzen hielten Antaronas Arme je links und rechts mit ihren kräftigen Händen in den Staub gedrückt und fixierten so ihren Oberkörper. Vor ihr standen Fister und Wurek und versuchten an sie heran zu kommen. Doch sie gebärdete sich wie eine Verrückte und strampelte so wild mit den Beinen, dass die beiden nur unschlüssig dastanden und sich scheuten, ihr näher zu kommen. Anscheinend fürchteten sie, von einem ihrer unkontrollierten Fußtritte in das Land der Träume befördert zu werden.
Die beiden Reiter machten spöttische Bemerkungen, nickten einladend zu ihrer Gefangenen hinunter und feuerten Fister und Wurek immer wieder an, über das hilflose Krähenmädchen her zu fallen. Doch sie waren eben nur feige, hinterhältige Kreaturen, die wie Schakale lauernd um ihr Opfer herum schlichen, bis es erlahmte. Das war Sebastian Lauknitz letzte Chance.
Mit dem Mut der Verzweiflung wälzte er den Reiter auf den Rücken in dessen Leib Antaronas Schwert steckte, riss Nantakis mit einem Ruck aus der Rüstung und stürmte auf den Sandplatz. Die beiden Reiter sahen ihn nicht. Ihre ganze Aufmerksamkeit galt der Beschäftigung, Antarona für die beiden Verräter festzuhalten. Fister und Wurek jedoch sahen ihn kommen und erstarrten in jeder Bewegung.
Bevor die beiden schwarzen Reiter realisieren konnten, weshalb Fister und Wurek plötzlich wie Salzsäulen dastanden, war Sebastian bereits über ihnen. Mit inbrünstigem Hass holte er aus, führte Nantakis mit einer Leichtigkeit, als wäre es eine Spielzeugwaffe und hieb dem ersten Gegner die Klinge in den Hals. Der kippte sofort zur Seite, schlug gegen seinen Kumpanen und spritzte ihn mit seinem Blut voll, das stoßweise aus seiner klaffenden Wunde schoss.
Sebastian drehte sich aus der Bewegung heraus um die eigene Achse, um neuen Schwung zu holen und ließ die Klinge auf den zweiten Reiter niedersausen. Das Metall schlug ohne Widerstand in den Körper und trennte die Schulter des Mannes von seinem Hals. Warme Spritzer flogen ihm ins Gesicht, aber sein Blick suchte bereits nach Wurek und Fister.
Im Bruchteil einer Sekunde gewahrte er Wurek, der auf der anderen Seite Antaronas stand und unerwartet ein Schwert der schwarzen Reiter in seinen Händen hielt. Die Klinge zielte nach unten auf Antaronas Bauch. Sebastian konnte nicht dazwischen fahren, ohne auf seine Gefährtin zu treten, oder von ihrem Toben selbst getroffen zu werden. Sie wiederum hatte noch gar nicht bemerkt, dass ihre Arme frei waren und zwei ihrer Gegner bereits ihr Leben aushauchten. Wie in einem Rausch trat und schlug sie weiter in verzweifelter Hysterie um sich und selbst Sebastians Zurufe konnten sie nicht beruhigen.
Schon sah er Wurek sich mit der blanken Klinge auf Antaronas tobenden Leib stürzen, als etwas von hinten seinen Hals durchschlug und darin stecken blieb. Durch den Aufprall angestoßen, kippte Wurek zur Seite und schlug der Länge nach zu Boden. Aus seiner zerschmetterten Kehle ragte ein Pfeil und augenblicklich sprudelte helles Blut aus der Wunde hervor und färbte den Sand rot.
Staunend sah Sebastian drei schwarz gekleidete Gestalten mit gespannten Bögen und Schwertern auf ihren Rücken neben den Pferden der Soldaten auftauchen. Irgend welche Männer von Torbuk, die ihrerseits das Privileg für sich beanspruchen wollten, Sonnenherz und den wiedergeborenen Areos gefangen genommen zu haben! Er hob Nantakis und wollte sich auf die Verteidigung gegen die drei neuen Feinde einstellen, als ihm etwas auffiel.
Diese Männer trugen keine Rüstung und keine Kettenhemden, sondern lediglich leichte, schwarz gefärbte Waffenröcke aus Leder. Schlagartig wurde ihm klar, wer ihnen zu Hilfe kam und im selben Moment erkannte Sebastian den Mann in der Mitte. Arrak! Sofort kam ihm in den Sinn, dass die Götter selbst den Windreiter und zwei seiner Gefährten zu ihnen geschickt hatten.
Fister stand immer noch fassungslos auf dem Platz des Kampfes und wurde sofort von den beiden Begleitern Arraks zu Boden geworfen und gefesselt. Sebastian, erleichtert, keine weiteren Feinde bekämpfen zu müssen, drehte sich abrupt zu Antarona um. Sie lag noch immer im Sand, warf ihren Kopf mit der langen Mähne hin und her, sprach, wie in einem Traum wirres Zeug und hielt sich zum Schutz beide Handflächen vor das Gesicht.
Sebastian ließ sich ermattet auf die Knie fallen und beugte sich über sie. Sofort begann sie wieder zu toben, trat um sich und fuhr mit ihren Fingernägeln quer über Bastis Gesicht. Mit sanfter Gewalt packte er ihre Handgelenke und versuchte sie mit ruhiger Stimme zu besänftigen. Allmählich kam Antarona ihre Gegenwehr auf.
Mit letzter Kraft hob er sie auf und trug sie zum Ufer des Sees. Dort ließ er sich erschöpft in den Sand sinken, bettete seine Geliebte vorsichtig in seinen rechten Arm und begann mit der freien Hand das klare Wasser zu schöpfen und sie behutsam zu waschen. Die Haare hingen ihr mit Blut verklebt im Gesicht und auch ihr Körper war mit Blut und kleinen Wunden bedeckt.
Sebastian spürte ein Zittern durch ihren Leib fahren und wie in Trance suchten ihre aufgeschlagenen, blutigen Hände sein Gesicht. Sie fühlte ihn und einen Lidschlag später schlang sie Schutz suchend ihre Arme um seinen Hals und begann hemmungslos zu schluchzen. Er spürte ihre warmen Tränen auf seiner Brust und alles in ihm zog sich zusammen.
Ein Gefühl zwischen behüten und trösten wollen und ohnmächtiger Wut gegen dieses Land breitete sich in ihm aus. Beschützend zog er ihren entblößten, bebenden Körper fest an sich und hielt ihren Kopf, wie den eines Säuglings. Er wollte ihr die sichere, umhüllende Wärme geben, die eine Frau an der Seite ihres Mannes erwarten durfte. Doch immer wieder stellte sich ihm dieses Land mit seiner unerbittlichen Härte in den Weg und versuchte sie auf die eine oder andere Weise zu trennen.
Wieder lief ein ängstliches Zittern durch sie hindurch und ihre Finger verkrampften sich panikartig um Sebastians Hals, als versuchte sie sich an den letzten Strohhalm des Lebens zu klammern.
»Meine liebe, kleine, tapfere Frau...«, versuchte Sebastian sie zu beruhigen, »...jetzt ist es vorbei..., hab keine Angst mehr, niemand wird dir mehr etwas antun.« Er wusste nicht, ob es die richtigen Worte waren, um ihr das Gefühl von Schutz und Geborgenheit zu vermitteln.
Sebastian war unsicher und kam sich beinahe hilfloser vor, als vorhin , wo er im Kampf den schwarzen Reitern unterlag und tatenlos mit ansehen musste, wie sie Antarona vor seinen Augen auf den Sandplatz verschleppten. Sie stemmte sich plötzlich aus seinem Arm hoch und blickte sich suchend um.
»Arrak.., es war Arrak, der auf einem Mal da war und uns geholfen hat, mein Engelchen...«, erklärte er ihr, »...er ist mit zwei seiner Windreiter gekommen. Frogath ist verletzt, aber es ist nicht schlimm. Und außer Fister sind wahrscheinlich alle in das Reich der Toten eingezogen.«
In diesem Augenblick kamen Reno und Rona herangetrottet und legten sich wie ganz selbstverständlich ihnen zu Füßen. Sebastian traute sich nicht vorzustellen, was aus dem Pferdesoldaten geworden war, den sie überraschend angegriffen hatten. Natürlich hatten sie ihn getötet. Doch den Anblick konnte er sich hoffentlich ersparen. Dankbar klopfte er ihnen auf die Seite und sprach ein paar lobende Worte.
»Nan - ta - kis.., Ba - shtie, Nantakis...«, sagte Antarona plötzlich mit leiser Stimme. Sebastian verstand sofort. Niemand durfte dieses Schwert anrühren, denn niemand kannte sein Geheimnis, und so sollte es auch bleiben! Sebastian sah sich um. Arrak kümmerte sich um Frogath und seine beiden Windreiter waren mit Fister beschäftigt. Nantakis musste also noch dort liegen, wo Sebastian es in dem Augenblick hatte fallen lassen, als Arraks Auftritt den Kampf entschieden hatte.
Dort, wo er Antarona aufgehoben hatte, lag ihr Schwert, die geheimnisvolle Waffe, ohne die sie wahrscheinlich verloren gewesen wären. Sebastian schob seiner mutigen Frau einen Haufen Sand unter den Kopf, bettete sie darauf und ging zu Nantakis hinüber. Keine Sekunde zu früh!
Denn gerade schlenderte einer von Arraks Begleitern über den Sandplatz, den Arm voller Waffen, die er wohl aus dem angrenzenden Gebüsch gesammelt hatte. Sebastians kurze Waffe war ebenfalls darunter und er nahm sie dem freundlich lächelnden Mann ab.
Nantakis legte er neben Antarona in den Sand. Sie setzte sich auf, griff sofort danach, wog es kurz in der Hand und erhob sich dann mit schmerzverzerrtem Gesicht. Sebastian schüttelte ungläubig den Kopf. Eben noch lag sie hilflos und scheinbar all ihrer Kraft beraubt in seinem Arm, eine Minute später stand sie wieder.., wackelig zwar, aber mit der alten Entschlossenheit in den Augen. Sebastian glaubte mittlerweile, dass sich die Kraft Nantakis in irgend einer Form auf Antarona, oder eben jeden, der das Schwert führte, übertrug.
Humpelnd und von Arrak gestützt, kam Frogath zu ihnen herüber. Er sah Antarona dankbar an und sagte etwas in Ival zu ihr. In seinen Augen las Basti, was er sprachlich nicht verstehen konnte. Frogath bedankte sich offenbar für seine Rettung und himmelte Antarona an, wie eine Göttin. Sebastian allerdings fragte sich, wie seine Krähenfrau den Stadtschreiber erkannt hatte, wenn dieser, nach ihren Ausführungen, Quaronas nie verließ.
War seine Frau bereits in Quaronas gewesen, in der Stadt, welche die Hochburg Torbuks Anhänger zu sein schien? Wenn, dann hatte sie ihm nichts davon erzählt. Doch Sebastian traute ihr ohne weiteres zu, getarnt in die Höhle des Löwen zu schleichen. Mit welchem Mut sie auf ein Ziel los ging, auch wenn die Chancen gleich Null standen, hatte sie an diesem Tag bewiesen!
Nachdem sich Frogath ehrfürchtig bei seiner Heldin bedankt hatte, sprach Arrak mit ihr. Seine Ausführungen waren etwas umfangreicher und Sebastian war wiederum auf Antaronas Übersetzung angewiesen. Er musste dringend die Sprache der Ival lernen! Zugegeben, es blieb ihnen selten die Zeit für all diese Dinge, die er lernen musste, um sich im Land seiner Frau zurecht zu finden, doch es schien ihm notwendiger denn je!
Von Antarona erfuhr er Einzelheiten. Fister und Wurek hatten, wie bereits vermutet, die Aufgabe, sie in einen der Hinterhalte zu locken. Sie waren jedoch nicht, wie Sebastian angenommen hatte, übergelaufene Windreiter, sondern Männer Torbuks. Sie hatten den beiden echten Windreitern in Zumweyer aufgelauert und sie hinterrücks erstochen. Dann hatten sie sich ihrer Waffenröcke und Schwerter bemächtigt und bei der alten Ruine auf sie gewartet.
Während sie mit Fister und Wurek weiter zogen, fand ein Bote Arraks im von Torbuk besetzten Zumweyer zufällig die Leichen seiner Kameraden und meldete dies ohne zu zögern seinem Anführer. Seitdem war Arrak selbst auf ihrer Fährte, kam aber durch die Wegsperren, die Torbuk errichten ließ, nur langsam voran. Wie Antarona und Sebastian musste auch er den Weg meiden und seine Pferde kilometerweit durch den dichten Wald führen.
Nur dem Zufall war es zuzusprechen, dass er mit seinen Reitern in dem Augenblick die hohe Felskante erreichte, als Sebastian mit Nantakis aus dem Unterholz stürmte und die beiden Soldaten nieder schlug, die Antarona fest hielten.
Arrak wartete, bis Sebastian alles gehört hatte und begann erneut auf Antarona einzureden. Sebastian wiederum wartete ungeduldig, bis sie ihm berichtete.
»Arrak sagt, Schwarze Reiter werden bald hier sein.., sie sind überall im Land unterwegs und suchen nach uns. Wir sollten diesen Ort schnell verlassen!« Sebastian nickte und überlegte. Er sah sich um und fragte sie:
»Ja.., aber was machen wir mit all den Toten hier, mit den Pferden und mit den Spuren des Kampfes?« Er sah in die Runde, als erwartete er eine ultimative Lösung. Prophetisch fuhr er fort:
»Wenn wir das hier alles so lassen, wird Torbuk sofort wissen, dass wir seinen Trupp ausgelöscht haben. Vor allem wird er nachvollziehen können, wo wir uns befinden! Er wird den Weg noch stärker abriegeln lassen, er wird noch mehr Männer in Marsch setzen und vielleicht sogar die Dörfer in Brand setzen, um uns jede mögliche Zuflucht bei den Ival zu nehmen.« Sebastian wartete, bis Antarona für Arrak übersetzt hatte.
»Der Winter steht vor der Tür, die Zeit des langen Schnees und der großen Kälte... Was wird aus dem Volk, wenn Torbuk alles niederbrennt?« Antarona nickte nachdenklich und sprach kurz mit Arrak.
»Ba - shtie.., was schlagt ihr vor, das wir tun sollen?« fragte sie erwartungsvoll. Sebastian drehte sich um sich selbst und wies dabei mit offenen Handflächen auf alles um sie herum.
»Wir müssen ganz schnell, so gut es geht, alle Spuren beseitigen, so, als ob hier niemals eine Wache gewesen war. Die müssen denken, dass ihre eigenen Leute entweder ihren Posten verlassen haben, oder erst gar keinen abgestellt haben! Wir müssen sie verwirren, verunsichern.., wenn wir das immer öfter tun, wird Torbuks Männer allmählich der Mut verlassen. Vor dem, was sie nicht verstehen, werden sie Angst bekommen!«
Antarona erklärte den Vorschlag Arrak und der bekam leuchtende Augen. Offenbar fand er die Idee so originell, dass er ein Gelingen gar nicht erst in Zweifel zog.
Sebastian selbst war vom Erfolg seines Einfalls nicht so überzeugt, wie er ihn versucht hatte, zu verkaufen. Wenn nur einer dieser schwarzen Reiter etwas Intelligenz besaß und die List erkannte, blieb ihr Bemühen wirkungslos. Doch das behielt er tunlichst für sich. Andererseits hatten sich nichts zu verlieren!
Ohne zu zögern machten sie sich an die Arbeit. Antarona kümmerte sich um die Pferde, die sich schnell an ihre neuen Herren gewöhnen mussten. Sebastian und Arrak löschten das Lagerfeuer, stachen anschließend Grassoden aus und legten sie so auf die verbrannte Erde, dass sie selbst nicht mehr erkennen konnten, wo Torbuks Männer sich aufgewärmt hatten.
Die beiden Reiter Arraks sorgten dafür, dass die Leichen aus dem Unterholz verschwanden und die Spuren des Kampfes nicht mehr so offensichtlich waren. Freilich hatten sie nicht die Zeit, die Toten in der erde zu vergraben. Die mussten sie wohl oder übel auf die Pferde binden und irgendwo im Schutz des Waldes verscharren.
Frogath, dankbar und heilfroh, noch am Leben zu sein, ließ es sich nicht ausreden, den Sandplatz von allen Spuren zu befreien. Er nahm den mit Blut getränkten Sand auf, warf ihn in den See und verwischte mit einem Zweig sämtliche Spuren.
Fister hockte unterdessen stumm und düster blickend an einem Baumstamm gefesselt und beobachtete ihr Treiben. Ihn mussten sie zunächst ebenfalls mitnehmen, denn er würde sie natürlich verraten, sobald er von seinen Kameraden gefunden wurde. Über ihn konnten sie später noch befinden, wenn sie den Lagerplatz, Koratan und die Oranuti unbehelligt erreicht hatten.
Eine knappe Stunde später lag der Platz da, als hätte in den letzten Tagen keines Menschen Fuß seine Erde berührt. Die Pferde standen ebenfalls beladen und zum Abmarsch bereit. Antarona und Sebastian sahen sich noch einmal zum Wasserfall um. Beide dachten sie daran, dass sie die Höhle aufsuchen wollten, die sich hinter den Kaskaden verbarg. Nun, das musste warten!
Die Karawane setzte sich in Bewegung und das letzte Pferd zog einen ausladenden Zweig mit Blättern hinter sich her, um auch diese Spuren unsichtbar zu machen. Sie zogen ein Stück des Wegs abwärts und traten an der Stelle in den Wald ein, an der Antarona und Sebastian drei Stunden zuvor den Weg überquert hatten. Anfangs scheuten die Pferde den dichten, dunklen Wald, denn sie waren wohl eher an offenes Gelände gewöhnt. Einmal mehr war es Antarona, die mit ihrer geheimnisvollen Gabe die Tiere beruhigte und alsbald an die ungewohnte Umgebung gewöhnte.
An einer kleinen Lichtung, sie waren bereits eine viertel Stunde unterwegs, hielten sie an und vergruben die Toten nahe einer Felswand im weichen Waldboden. Anschließend bedeckten sie die flachen Gruben mit Steinen, um zu verhindern, dass die Tiere des Waldes die Leichen ausbuddelten und vielleicht doch noch ein Kleidungsstück durch einen dummen Zufall vor den Augen von Torbuks Häschern landete.
Antarona nutzte die Zeit, ihre Krähen zu rufen. Sie sollten ihr Augen und Ohren sein und den Aufenthalt weiterer Stoßtrupps Torbuks klären. Wie unheimliche, schwarze Schatten kamen sie heran geflogen und ebenso geheimnisvoll verschwanden sie wieder. Trotz aller positiver Eigenschaften, die Sebastian an diesen Vögeln schätzen gelernt hatte, blieben sie für ihn ein Mysterium, dass ihm suspekt war. Allein ihre Augen schienen stets Sebastians geheimste Gedanken zu ergründen.
Sie setzten ihren Weg fort und eine knappe Stunde später erreichten sie den Lagerplatz, wo sie die Oranuti und Koratan zurückgelassen hatten. Einer großen Erklärung bedurfte es nicht. Paranubo, Onafinte und Koratan sahen Arrak und die Windreiter und stellten fest, dass Fister und Wurek nicht bei dem Trupp waren. Koratan kümmerte sich sofort um Frogath. Sie schienen sich flüchtig zu kennen.
Antarona hatte inzwischen ihre gewohnte Sicherheit wiedererlangt und sprach mit den Oranuti. Anschließend forderte sie Arrak, Koratan und Sebastian auf, am verloschenen Lagerfeuer Platz zu nehmen.
»Torbuks Männer sind überall im Tal...«, begann sie mit der gewandten Stimme einer Diplomatin, »...viele Menschenwesen können nicht ohne Kampf nach Falméra gelangen. Zwei Krieger jedoch mögen leise, wie der Nebel am Morgen an ihren Posten vorbei schleichen, ohne gesehen, oder gehört zu werden. Darum wird es gut sein, wenn Arrak und seine Krieger die Oranuti, Koratan und Frogath zu meines Vaters Haus zurück bringen.« Sie unterbrach ihre Ansprache für einen Moment, um sicher zu gehen, dass jeder sie verstanden hat. Sie nickte zufrieden, zeigte auf Sebastian und fuhr fort.
»Glanzauge mit den Zeichen der Götter wird mit mir nach Falméra zu König Bental gehen und ihm berichten«, legte sie bestimmt fest. Alle nickten zustimmend und selbst Koratan hatte angesichts des übel zugerichteten Frogaths keine Einwände mehr.
»Was um alles in der Welt veranlasst diesen Irren aus Quaronas, so einen riesigen Aufwand zu betreiben, nur um zwei Boten des Achterrats in die Hände zu bekommen?« warf Sebastian nachdenklich in die Runde. Antarona übersetzte und schien selbst keine Antwort darauf zu haben.
Plötzlich stand Koratan auf, verschaffte sich mit einer umständlichen Geste Gehör und deutete auf Frogath, der abseits auf seinem Lager ruhte.
»Vielleicht solltet ihr ihn einmal fragen... Er hat Interessantes zu berichten, weshalb er ja das Tal hinauf unterwegs war. Er hat es mir erzählt.., fragt ihn!« forderte er sie auf. Erstaunte Blicke lagen auf seiner Gestalt, die sonst lediglich Anlass von Zweifeln war.
»Fragt ihn...«, drängte er nach, »...Torbuk hat nämlich keineswegs vor, nur eine Tochter der Ival und einen..., äh..., aus dem Reich der Toten zu fangen!«
Alle Augen richteten sich auf einem Mal auf den Mann, der zerschunden und ausgestreckt auf einem Stapel Felle lag und apathisch in das Geäst der Bäume blickte. Antarona erhob sich ging zu Frogath hinüber und kniete sich an sein Lager und beugte sich über ihn. Sanft strich sie ihm über die Stirn und sprach leise auf ihn ein.
Sebastian wurde ein wenig neidisch, denn er stellte sich vor, an Frogaths Stelle zu sein. Knapp dem Tod entronnen in das feine, wunderschöne Gesicht eines schwarzhaarigen Engels zu blicken... Frogath drehte seinen Kopf und sprach mit einem müden Flüstern mit dem Krähenmädchen. Also war selbst der geschwächte, halb zu Tode geprügelte Stadtschreiber Quaronas noch empfänglich für die Reize Antaronas Schönheit!
Mit ernstem Blick kehrte Antarona in den Kreis der Beratenden zurück. In ihrem Kopf schien es eine Weile zu arbeiten, dann holte sie tief Luft und streckte ihren Oberkörper wie zum Trotz in eine aufrechte, Mut machende Geste, dass ihre Brüste beinahe ihr Oberteil sprengten.
»Frogath war gekommen, die Ival zu warnen...«, hob sie an, das Erfahrene zu berichten, »...Torbuk hat nicht nur vor, Sonnenherz und Glanzauge zu finden...« Sie ließ sich die Zeit, ihre Worte in das Bewusstsein eines jeden Einzelnen sickern zu lassen und ihr Blick verfinsterte sich noch mehr, bevor sie weiter sprach.
»Dieser Abschaum der Dämonen will die Ival noch vor der Zeit des langen Schnees so schwächen, dass er in der Zeit der blühenden Bäume leichtes Spiel mit ihnen hat.« Sebastian spürte ihren abgrundtiefen Hass und ihre unbändige Wut gegen den Tyrannen ihres Landes aufkeimen und wagte nicht, sie mit einer Frage zu unterbrechen. Ihre Stimme begann leicht zu beben, ein paar Tränen rannen ihr aus den Augen, die starr in weite Fernen blickten. Dennoch berichtete sie mit festem Ton weiter:
»Torbuk und Karek sammeln entlang des Weges im unteren Tal einen großen Teil ihrer Truppen. Wenn der lange Schnee nur noch wenige Tage entfernt ist, werden sie in die Dörfer des oberen Tals einfallen, Töchter und Männer der Ival, die sie brauchen, werden sie mitnehmen, die Häuser werden sie in Brand stecken und die Ernten vernichten und das Vieh töten... Das Sterben des Volkes wird dann der lange Schnee für sie tun. Wenn dann das Val Mentiér in der zunehmenden Sonne neu erblüht, werden von den Ival nur noch schwache, gebrochene Sklaven übrig sein und Torbuk kann fortan ungestört die Eroberung von Oranutu vorbereiten.«
Ratloses Schweigen beherrschte die Runde. Die neue, niederschmetternde Botschaft musste erst einmal verdaut werden. Jeder der Anwesenden versuchte offenbar auf seine Weise zu ergründen, wo er sich selbst, seine Familie und seine Freunde, hinsichtlich dieser Prognose in einem Jahr sah. Sebastian suchte fieberhaft nach einer Lösung. Wenn das Volk der Ival starb, verlor er auch Antarona! Doch diese kleine Frau, die sein Herz scheinbar zum zweiten Mal im Sturm erobert hatte und die sein Schicksal durch Welten hindurch zu bestimmen schien, wollte er bis zum letzten Atemzug schützen und verteidigen!
»Wir werden sie aufhalten!« sagte er bestimmt und sah den anderen fest in die Augen. In seinen Gedanken reifte ein tollkühner Plan...
Im Grunde begannen sie einen Wettlauf mit der Zeit. Sebastian hatte bereits seit längerem eine Idee im Hinterkopf, wie man eine angreifende Truppe im Winter aufhalten konnte... Die Geschichte seiner eigenen Kultur und seine jahrelange Leidenschaft des Bergsteigens hatten ihn auf diesen Einfall gebracht. Voraussetzung war, dass viel Schnee auf den Bergen lag! Doch bislang versagte ihm die Natur ihre Unterstützung.
Sebastian Lauknitz, der bequeme, entschlussfaule Großstadthandwerker wurde dennoch vom eigenen heldenhaften Mut beflügelt, der ihm plötzlich ungekannten Auftrieb gab. In ihm flammte unverhofft so viel Energie auf, dass er seine Gefährten damit ansteckte, ohne nur ein Wort sagen zu müssen.
Sein entschlossener Blick versprach Hoffnung und fesselte die Gemüter, deren Augenmerk sich rasch auf ihn richtete. Es war die Liebe zu Antarona, zu dieser halbnackten, temperamentvollen Kriegerin mit ihren verfilzten, strähnigen Haaren, die eine solche Kraft in ihm auslöste, einen inneren Mut, der an Waghalsigkeit grenzte.
Er war so fest entschlossen, das Land, die Heimat seiner Frau und vielleicht einmal seiner Kinder vor dem Untergang zu bewahren, dass er Arrak und Koratan mit seinem Enthusiasmus schlicht überrollte.
»Wann müssen wir denn mit dem Beginn des langen Schnees rechnen...«, wollte Sebastian wissen und sah seine Freunde fragend an.
»Ihr werdet es sehen, Ba - shtie...«, erklärte ihm seine Frau, »...wenn ihr die Gore nach der wandernden Sonne hin ziehen seht, wenn die Eishunde sich in die Nähe der Dörfer wagen und die Robrums tiefer in die Wälder gehen, wenn ihr die Wasel verschwinden und die hohen Berge aufleuchten seht, dann wird der lange Schnee kommen. Und er kommt schnell, Ba - shtie.., sehr schnell und sehr stark.., so stark, dass er viele Wesen der Götter mit seiner weißen Starre überrascht und tötet!« Arrak und Koratan hörten Antaronas Worte und nickten bestätigend.
»Also, wie Sonnenherz bereits sagte...«, begann Sebastian laut zu denken, »...sollte Arrak mit seinen Kriegern die Oranuti, Koratan und Frogath zu Hedaron dem Holzer bringen. Dort sind sie im Moment am sichersten. Ich werde mit Sonnenherz nach Falméra gehen und den König um Autonomie für das Val Mentiér bitten...«
»Au - ho - to - mie...?« fragte Arrak verständnislos. Sebastian lächelte ihn beruhigend an und bemühte sich, es so zu erklären, dass ihn der Anführer der Windreiter auch nach Antaronas Übersetzung noch verstand.
»Au - to - no - mie... Das heißt, ich werde Bental auffordern, das Val Mentiér für die Zeit des Widerstandes gegen Torbuk aus seinen Gesetzen zu entlassen. Dann werden wir nach eigenen Regeln und Gesetzen, die wir selbst bestimmen, leben, kämpfen und notfalls sterben, und zwar so lange, bis das Böse aus diesen Tälern so weit vertrieben ist, dass der König selbst wieder das Volk der Ival regieren kann!«
»Doch sagt.., wie wollt ihr euren König Vater dazu bringen, einen Teil Volossodas frei zu geben...«, zweifelte Arrak, »...und selbst, wenn ihr das schafft.., wie wollt ihr eine geschlossene Armee Torbuks in der Starre des langen Schnees mit einer Hand voll Krieger aufhalten?«
Sebastian wartete, bis Antarona die Übersetzung beendet hatte und ließ sich Zeit. Arrak war intelligent und Basti musste ihm schon mit plausiblen Argumenten kommen, um ihn vollständig davon zu überzeugen, sich seiner Führung unterzuordnen.
»Sagt, Arrak, habe ich mich in meinem Aussehen sehr verändert, dort im Reich der Toten?« wollte er von dem Windreiter wissen. Erst Antarona, dann Arrak und Koratan sahen ihn an, als wäre er plötzlich verrückt geworden.
»Nein.., kaum...«, antwortete Arrak schließlich, »...ich hatte euch sofort wieder erkannt, als ihr in das Haus des Hedaron geschritten kamt.« Sebastian nickte zufrieden und sagte ruhig:
»Nun, dann ist das Problem schon mal ausgeschlossen. Wenn der König das Wesen besitzt, von dem ihr spracht, dann wird es mir möglich sein, ihn zu überzeugen! Und was Torbuks Armee angeht...«
»...wird diese mit ein paar Kriegern nicht so leicht zu besiegen sein, wie ihr euch das vorstellt«, beendete Arrak seinen Satz. Sebastian hob die Hand, um sich abermals Gehör zu verschaffen.
»Da seid ihr aber im Irrtum, mein Freund...«, erklärte Sebastian geheimnisvoll, »... allein mit der Hilfe von ein paar Kriegern wird sich dieser Tyrann sicher nicht aufhalten lassen, da habt ihr wohl Recht. Doch mit Hilfe des langen Schnees und der Götter können wir ihn gewiss aufhalten und sogar einen großen Teil seiner Armee vernichten! So, wie der lange Schnee die Ival töten kann, wenn es Torbuk gelingt, die Hütten und Ernten zu vernichten, so kann derselbe lange Schnee auch Torbuks Armee aufhalten!«
Sebastian erntete von seinen Gefährten nur noch Verständnislosigkeit und Staunen. Sie alle warfen ihm Blicke zu, die ihm zügellosen Wahnsinn bescheinigten. Und in der Tat grenzte sein Plan an puren Leichtsinn. Doch für Sebastian gab es kein Zurück mehr. Das Schicksal hatte ihm die Chance offenbart, ein Leben in Liebe und Glück aufzubauen und für diese Chance wollte er um jeden Preis und gegen jedes Hindernis kämpfen und sie sich bewahren!
Arrak hatte als erster seine Worte wieder gefunden. Es brauchte eine Weile, doch sein Gefühl sagte ihm wohl, dass in diesem wiedergekehrten Areos mehr steckte, als er von jenem her kannte, mit dem er früher Seite an Seite gekämpft hatte. Das Reich der Toten hatte seinen Kampfgefährten möglicherweise auf wundersame Art verändert, eben weiser werden lassen! Dennoch verstand er ihn nicht.
»Aus euren Worten spricht der Mut des Anführers, Areos, Herr...«, sagte Arrak, »...doch wie sollte eine Hand voll Krieger mit dem langen Schnee eine ganze Armee aufhalten.., erklärt euch!« forderte er Sebastian auf.
Lauknitz sah sich nach Worten suchend um. Dabei entdeckte er etwas auf dem Waldboden, dass augenblicklich ein siegreiches Lächeln in sein Gesicht zauberte. Ameisen hatten am Fuße eines kleinen Felsens eine Straße gebaut und wanderten zu hunderten darauf hin und her.
Noch verdutzter als bisher wurde sein Handeln von den anderen beobachtet, als er sich vor die Ameisen hin kniete und sie seinen Freunden wie ein neues Wunder mit großer Geste präsentierte. Und damit nicht genug, begann Sebastian, Erde und Sand auf dem Felsen über der Ameisenstraße aufzuhäufen. Immer mehr Erde und Sand türmte er auf den Felsen, bis nicht eine Krume mehr auf den Stein passte.
»Nun stellt euch mal vor...«, begann er geheimnisvoll und deutete auf die Ameisenstraße, »...dies hier ist der Weg durch das Tal, dort, wo er am engsten ist, voll mit Männern von Torbuks Truppen.., an der Schlucht beispielsweise.« Sebastians Hände wanderten den Felsen hinauf und positionierten sich über dem aufgehäuften Sand.
»Und jetzt stellt euch weiter vor, dies hier, der Sand, das ist alles Schnee, gefallen in ein paar Tagen...« Damit schob Sebastian den Sand über die Felsenkante. Das Erdmaterial rutschte über die Steinflanke und landete genau auf den Ameisen, die plötzlich wild und orientierungslos herumkrabbelten. Viele von ihnen begrub der Sand und sie mussten sich mühsam darunter hervor strampeln.
Die Gesichter seiner Zuschauer erzählten Sebastian von etwas zwischen Faszination und Unglaube. Antarona ließ ihre Augen begeistert auf den konfus herum irrenden Krabbeltieren ruhen. Dann sah sie Sebastian fragend an.
»Ba - shtie.., Sonnenherz kennt den donnernden Schnee, der im Winter ganze Dörfer zu zerstören vermag. Wie aber wollt ihr es machen, dass er auf euer Geheiß von den Bergen kommt, wenn Torbuks Armee auf unsere Dörfer vorrückt und wie tut ihr es, dass der donnernde Schnee unsere Hütten verschont? Es wird nicht möglich sein!«
»Oh doch, mein Engelchen, das ist sehr wohl möglich...«, erwiderte Basti, »...wir müssen nur rechtzeitig dort oben sein...« Damit zeigte Sebastian zu einem nahen Schneegipfel hinauf, der sicherlich mehr als viertausend Meter in den Himmel ragte.
»Areos.., Herr, verzeiht mir...«, warf Arrak dazwischen, »...aber wie wollt ihr so viel des weißen Regens den Berg hinab schieben? Ein Zuber voll Schnee ist bereits so schwer, dass zwei Männer Mühe haben, ihn zu bewegen. Der donnernde Schnee, der in die Täler kommt, ist so viel, wie alle Ival zusammen nicht zählen können!«
»Auch das geht, mein lieber Arrak...«, versicherte ihm Sebastian, »...wenn es so weit ist, brauche ich so viel Freiwillige, wie dreimal Finger an meiner Hand.., dann werde ich euch zeigen, wie man das macht!« Zweifelnde Augen sahen ihn an.
»Auch mit so vielen Männern vermögt ihr nicht so viel Schnee hinab zu schieben!« Arrak schüttelte bei seinen Worten den Kopf. Koratan sagte zu alledem gar nichts. Es überstieg schlicht sein Vorstellungsvermögen.
Allein Antarona schien Vertrauen in ihren Mann von den Göttern zu haben. Sie hatte bereits erkannt, dass ihr Ba - shtie Dinge kannte und Fähigkeiten besaß, die dem Volk der Ival fremd waren. Gleichwohl sie erlebt hatte, dass er, den sie alle Areos nannten, kaum mit den lebensnotwendigen Dingen des Volkes vertraut war, glaubte sie an ihn. Ihr Herz sagte ihr, dass er die Gunst der Götter besaß, dass es nur ihm gegeben war, mit ihr gegen das Böse aufzubegehren.
Sebastian allerdings kamen Bedenken an seiner eigenen Idee. Zwar hatte er gelernt, Lawinen, die alpine Skipisten bedrohten, vom Helikopter aus mit Sprengpatronen gezielt auszulösen und wusste, bei welchen Schneeverfrachtungen man ansetzen musste, doch saß er dabei in einem sicheren Luftschiff!
Hier musste er durch grundlosen Schnee mit einer Karawane von Freiwilligen auf die Grathänge steigen und unter Lebensgefahr Schneebretter mit manuellen Hilfsmitteln auslösen. Das war etwas ganz anderes und er war sich nicht sicher, jemals von einem solchen Unterfangen gehört zu haben. Dennoch wusste er genug von instabilen Schneehängen, um sich einen Versuch vorstellen zu können.
So etwas würde ein riskantes Unternehmen werden. In seiner technisch abgesicherten Welt wäre ihm ein solcher Gedanke niemals gekommen. Hier aber ging es darum, sein Leben, seine Liebe und ein ganzes Volk vor einer fürchterlichen Bedrohung zu bewahren! Wie viel wog da noch so ein Risiko?
»Arrak...«, sprach Sebastian den Führer der Windreiter persönlich an, »...vertraut ihr mir.., werdet ihr an meiner Seite für das Volk der Ival kämpfen?« Der Angesprochene überlegte nicht lange, zog in einer großen Geste sein Schwert und legte es Sebastian vor die Füße.
»Wo immer euer Schwert den Kampf führt, Herr, Areos, Bentals Sohn, da wird meine Klinge an eurer Seite sein, so, wie in alter Zeit! Sonnenherz vertraut euch, Hedaron vertraut euch und der Rat der Acht hat euch in seinen Kreis gelassen.., das genügt mir. Ihr seid noch immer der Sohn meines Königs... Ja, Areos, Herr.., ich vertraue euch! Die Windreiter werden mit euch kämpfen, siegen, oder sterben!« Sebastian lächelte den großen Krieger an, für den Bescheidenheit ebenso eine Tugend war, wie Mut und Stolz.
»Gut.., Arrak, mein Freund.., kämpfen, siegen, oder sterben wir gemeinsam! Aber ihr seid mir hoffentlich nicht böse, wenn wir uns mit dem Sterben noch reichlich Zeit lassen, oder?« Sebastian grinste ihn herausfordernd an und sein neu gewonnener Freund verstand ihn und quittierte den Spaß mit offenem Lachen.
»Arrak.., ich möchte, dass ihr etwas für mich tut...«, bat Sebastian nun, doch es klang mehr wie eine Forderung. Der Windreiter steckte sein Schwert wieder ein und sah Sebastian fest in die Augen.
»Sprecht, Herr, wie können die Windreiter euch dienen? Wenn es dem Wohl der Ival dient, wird jeder Reiter von uns bereit sein!« Sebastian nickte beruhigt und legte seine Hand freundschaftlich auf Arraks Schulter.
»Ich möchte, dass ihr folgendes tut, Arrak. Ihr werdet so schnell wie möglich Koratan, Frogath und die Oranuti zu Sonnenherz Vater bringt. Die Sicherheit dieser Männer liegt fortan in euren Händen. Und nehmt auch diesen Fister mit. Der Achterrat soll ihn ordentlich ausquetschen.., der weiß vermutlich mehr, als er zugibt!« Sebastian wartete, bis Antarona übersetzt hatte. Dann fuhr er fort:
»Anschließend sammelt ihr eure Reiter und versucht, den Ausgang der Schlucht und die Ruine zu besetzen. Versucht jene von Torbuks Männern, die bereits in das obere Tal geschlichen sind, zu finden und fest zu setzen. Wenn es euch gelingt, einen möglichen Angriff Torbuks auf Fallwasser und Imflüh so lange zu verhindern, bis der lange Schnee kommt und bis ich mit Sonnenherz zurück bin, dann haben wir die Möglichkeit, Torbuks Pläne zu durchkreuzen!« Sebastian sah Arrak tief in die Augen, um der Bedeutung seiner Worte mehr gewicht zu verleihen.
»Egal, was geschieht, Arrak.., haltet die schwarzen Reiter an der Schlucht auf! Wollt ihr das für mich.., für das Volk der Ival versuchen?« Arrak schob stolz seine Brust vor und versicherte:
»Herr.., auch die Windreiter kennen die Prophezeihung, welche die Alten den Kindern in der zeit des langen Schnees erzählen. Ein jeder von uns wird dafür kämpfen, dass diese Prophezeihung endlich Wahrheit wird! Die Windreiter werden das Volk zu schützen wissen und die wilden Horden abwehren, bis Ihr mit Sonnenherz in das Tal zurück kehrt!«
Damit war alles gesagt. Der Sohn des Königs und sein treuester Kämpfer gaben sich zum Abschied mit festem Druck die Hände. Eine Stunde später waren Antarona und Sebastian ebenso zum Aufbruch bereit, wie Arrak, seine beiden Reiter, die zwei Oranuti, Frogath und Koratan.
Arraks Karawane setzte sich mit den erbeuteten Pferden in Bewegung, von denen eines den verräterischen Fister quer über den Rücken gebunden trug. Koratan und Arrak hoben zum Abschied ihre Hand, dann zogen sie zwischen den Bäumen davon. Antarona, Sebastian und die beiden Hunde Balmers warteten noch einen Augenblick und sahen ihnen nach, bis das letzte Pferd mit den Baumstämmen verschmolz und verschwand.
Nun setzten auch die beiden verliebten Menschenwesen ihren Weg fort, in deren Herzen die ganze Hoffnung und Zukunft der Ival lag. Ein Weg, der beide in neue Abenteuer führen sollte und Sebastian ein Leben versprach, das er hoffentlich irgendwann in Frieden, mit Antarona an seiner Seite, erleben durfte.
     
  Wichtiger Hinweis: Die Texte des Autors Frank Adlung, insbesondere die des Romans "Das Geheimnis von Val Mentiér", sind durch notarielle Hinterlegung urheberrechtlich geschützt. Ein Herunterladen und Ausdrucken ist nur für den privaten Zweck des Lesens gestattet. Kommerzielle Nutzung, öffentlicher Vortrag, oder Vervielfältigung und Verfälschung des Inhalts, sowie öffentliche Verbreitung ohne Genehmigung des Autors sind untersagt und werden zur Anzeige gebracht.
 
 
 
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