Das Geheimnis von Val Mentiér
 
21. Kapitel
 
Jäger des Glücks
 
wei Tage später, inzwischen ging wieder einmal ihr Proviant zur Neige, veränderten Wald und Himmel ihr Gesicht. Die großen, knorrigen Bäume, die wohl schon einige hundert Jahre alt sein mussten, überließen jüngeren Birken das Terrain. Das alles zuwuchernde Gestrüpp wurde ebenfalls karger. Ihre Wanderung führte sie immer mehr über offenes Heidegelände. Häufig mussten sie nun grundlose, schwarze Seen, oder still dahin ziehende, modrige Bäche durchwaten, die ihnen den Weg versperrten.
Es schneite nicht mehr. Doch der Himmel blieb lange grau. Dazu lag leichter Bodenfrost auf dem Land. Regelmäßig trafen sie auf Nebelbänke, die sich über dem nassen Grund gebildet hatten und sich schier am Boden fest bissen. Die feuchte Kälte kroch auch ohne Wind durch Jacken und Felle. So sehr sie auch danach suchten, fanden sie so gut wie kein trockenes Holz mehr, um sich an einem Feuer hätten wärmen zu können.
Nachmittags gelangten sie immer tiefer in ein ausgedehntes Sumpfgebiet hinein. Überall stießen sie auf kleine Tümpel und verzweigte, stehende Bäche in deren schwarzbrauner Brühe abgestorbene, oder umgestürzte Bäume lagen, oder aus denen halb vermoderte Äste heraus ragten. Mittlerweile war der Boden so aufgeweicht und nass geworden, dass sie keine drei Schritte mehr tun konnten, ohne nasse Füße zu bekommen.
Antarona zog trotz der Kälte ihre Beinlinge aus und band sie sich zum Trocknen auf ihr Fellbündel. Sebastian folgte ihrem Beispiel und stellte erstaunt fest, dass der sumpfige Boden gar nicht so eisig kalt war. Vermutlich behielt die Erde noch eine Weile etwas Wärme, bevor der Frost in sie eindrang und sie eroberte.
Schmatzende und gurgelnde Geräusche entstanden, wenn sie ihre Füße auf den Boden setzten und das Wasser um sie herum aus dem Moor trat. Manchmal hatten sie Mühe, ihre Füße wieder aus dem Morast zu ziehen, wenn sie etwas tiefer in den dunklen Schlamm einsanken.
»Elender Dreck!« fluchte Sebastian wütend, als er wieder einmal ohne Vorwarnung im grundlosen Matsch versank und sein Hosenbein tief in die muffig riechende Brühe tauchte.
»Möchte mal wissen, wie lange das noch so geht...«, brummte er vor sich hin und dann etwas lauter, »...bis wir hier durch sind, haben meine Füße garantiert Schwimmhäute bekommen, oder wir sind gnadenlos abgesoffen!«
»Sprecht nicht voller Zorn im Herzen wenn ihr im Land der Elsiren wandert, Ba - shtie...«, ermahnte ihn seine Frau, »...es ist das Land, in dem das Glück geboren wird! Erzürnt mit euren Worten nicht jene Wesen, welche unsere Herzen verbunden haben!«
»Was soll das nun schon wieder...«, wollte er etwas genervt wissen, »...was ist das mit dem Glück und wieso Land der Elsiren? Das einzige Glück, dass ich vielleicht habe, ist, wenn meine Füße mal einen Moment trocken bleiben!« Antarona blieb unverhofft stehen und drehte sich zu ihm um. Ihre Stimme klang geheimnisvoll und war angefüllt von einer Ehrfurcht, die Sebastian das letzte Mal bei ihr erlebt hatte, als sie die Hallen von Talris betreten hatten.
Ba - shtie.., dies ist das Land der Elsiren, sie leben in den großen Sümpfen, durch die wir nun gehen. Es ist ihre Welt und wir werden nur dann ihr Wohlwollen ernten, wenn wir ihre Welt achten!« Antarona sagte das mit einer so inbrünstigen Überzeugung, dass er sich erschrocken umsah. Er hatte gelernt, den Dingen, die seine Gefährtin mit dieser Ehrfurcht behandelte, mit ebensolcher Vorsicht zu begegnen.
»Aber ich sehe keine Elsiren«, stellte er fest, nachdem er gründlich in alle Richtungen gespäht hatte. Antarona gab sich weiter geheimnisvoll.
»Sie verbergen sich, denn sie fürchten die Menschenwesen, welche ihnen oft Böses antun. Wenn sie das Gute in unseren Herzen spüren, dann werden sie den Weg zu uns finden. Niemals aber dürft ihr nach ihnen suchen, Ba - shtie, hört ihr.., niemals! Jagt ihr nach dem Glück der Elsiren, dann werdet ihr es niemals wieder erfahren!« Antarona sah Sebastians ungläubigen Blick und sprach warnend weiter:
»Begegnet ihr Elsiren, Ba - shtie.., so nähert euch ihnen in demütiger Haltung.., blickt zu Boden und erwartet, was sie tun. Erkennen sie das Gute in eurem Herzen, so werden sie sich auf eurem Haupt niederlassen. Dann erfahrt ihr das höchste Glück. Doch seid gewarnt...Wagt es nicht, eine von ihnen selbst zu berühren! Dann werden sie euch verbrennen und niemals wieder an ihrem Glück teilhaben lassen!«
Sebastian hatte zwar verstanden, doch er begriff nicht ganz, welchen Sinn die Elsiren dem Volk der Ival brachten, dass sie diese kleinen, flüchtigen Geschöpfe so verehrten.
»Aber was war mit den Elsiren am See bei deinem Vater, wieso waren die plötzlich da und warum hatten sie unsere Herzen verbunden?« forschte er weiter. Antarona blickte ihn entrüstet an, als hätte er die Existenz der Sonne in Frage gestellt.
»Was fragt ihr da, Ba - shtie? Die Götter hatten sie uns gesandt, und sie spürten, dass sich unsere Herzen füreinander erwärmt hatten! So steht es ja in der Prophezeihung, in den alten Tafeln von Talris! Und so wird es sein! Die Elsiren waren gekommen, unsere Herzen zu verbinden, so dass die Menschenwesen sie nicht mehr trennen sollten! So ist es das Gebot der Götter, Ba - shtie. Es ist von alters her so bestimmt und Hedaron, mein Vater, musste sich ebenso dem Willen der Götter beugen, wie Falméras Medicus!«
Sebastian war überrascht. Aus ihrem Munde klang zwar alles so, als hätte eine höhere Macht ihre Verbindung vorbestimmt. Dennoch wurde er plötzlich den Verdacht nicht mehr los, dass sie selbst den Auftritt der Elsiren inszeniert hatte, um mit ihm, dem vermeintlichen Areos, verbunden zu werden, ohne dass der Holzer etwas dagegen tun konnte.
Denn auch der war ja an das Gebot der Götter gebunden, welches jene untrennbar miteinander verband, die den Segen der Elsiren erhielten. Mit Sicherheit hatte der Holzer die Lichtpunkte der Elsiren auf dem See gesehen und ebenso sicher wusste er, wohin sein Töchterchen mit dem Fremden verschwunden war, als sie unter seinem Gelächter das Haus verließen.
Hatte ihr Vater Antarona bereits Andreas, dem Arzt von Falméra zur Frau versprochen? Wollte sie dieser Verbindung um jeden Preis entfliehen und hatte womöglich selbst die Elsiren um Hilfe gebeten? Unmöglich war das gewiss nicht, für eine Frau, die mit gefährlichen Bären und anderen Tieren kommunizierte. Sebastian war nur allzu froh über die Entwicklung, die ihre Liebe besiegelte und wollte sie erst gar nicht näher ergründen.
Ganz allmählich, sie hatten sich inzwischen an das farblose Dämmerlicht gewöhnt, wurde es heller. Kraftlose Sonnenstrahlen bohrten sich durch den Dunst, beschienen das Gelände vor ihnen und ließen die teilweise abgestorbenen Bäume grotesk erscheinen. Die beiden einsamen Menschenwesen verhielten, blickten erstaunt zurück.
Weit weg, wohl schon über dem ewigen Eis der Berge, hatten sich die Wolken in ein unwirkliches Muster aufgeteilt. Dunkle, fast schwarze Steifen hingen vor goldgelb beleuchtetem Himmel. Hinter der untersten Wolkenbank, die mit dem Horizont verschwamm, lugte die Sonne hervor.
Golden schimmerten mit einem Mal die Wasseradern und Tümpel des Moores, unterbrochen von den schwarzen Silhouetten der Bäume, der Gräser und versunkenen Äste. An einigen Stellen hingen die Nebelschwaden über den kleinen Seen und nahmen das Licht unnatürlich in sich auf, so dass Sebastian auf die Bezeichnung Brennende Nebel kam.
Durften sie die vage Hoffnung hegen, dass sich das Wetter aufklarte? Doch selbst dieser kleine Lichtblick änderte nichts an dem Umstand, dass sie für die kommende Nacht wahrscheinlich kein trockenes Plätzchen finden würden.
Bis zum Einbruch der Dunkelheit wateten sie noch durch soundso viele Tümpel, stolperten über dicke Köpfe von Grasbüscheln, die wie Inseln aus dem Sumpf ragten und schlitterten über aufgeweichten Boden. Irgendwann gaben sie es auf, nach einem trockenen Nachtlager zu suchen und setzten sich erschöpft, frierend und hungrig auf einen alten Baumstamm, der halb im Morast verschwunden war.
Dort blieben sie eine geraume Weile sitzen, ruhten sich aus und nagten an einem letzten, zu Stein gewordenem Stück Brot. Dann erhob sich Sebastian ächzend und erkundete die nähere Umgebung. Wie zufällig entdeckte er einen Flecken, an dem die Grasbüschel so dicht aus dem Moor ragten, dass sie sich darauf legen konnten, wenn sie es vermieden, sich im Schlaf hin und her zu wälzen.
Vorsichtig legte er seinen Regenponcho auf die binsenartigen Gewächse. Darauf drapierte er seine Iso-Matte und den Schlafsack. Das ganze erweckte schon beinahe den Eindruck, mitten im Sumpf stünde ein Bett. Antarona legte ihren Fellhaufen darauf und positionierte ihre Waffen und den Rucksack am Kopfende. Ihre Kleidung hängten sie in ein abgebrochenes Geäst, das Sebastian über dreißig Meter weit heran schleppen musste.
Dankbar für den minimalen Luxus krochen sie schließlich völlig ausgekühlt unter die Felle. Antarona fror erbärmlich. Zitternd zog sie die Knie an und Sebastian umklammerte ihre ausgekühlten Füße mit seinen Beinen, um sie zu wärmen. Verzweifelt schlangen sie die Arme um ihre Körper und zogen sich so fest aneinander, dass kaum noch Luft zwischen sie gelangte.
Sebastians Hände reiben Antaronas Rücken und ihr Gesäß, bis ihre Haut unter seinen rauen Händen zu glühen begann. Ihre Körper wärmten sich gegenseitig und es war die einzige Möglichkeit, die lähmende Kälte ein wenig zu besiegen. Eng ineinander verschlungen fanden sie schließlich in einen unruhigen Schlaf.

Der Tag begrüßte sie mit starrem Frost. Es war kein weiterer Niederschlag gefallen, dafür hatte der alte, angetaute Schnee vom Vortag einen harten, überfrorenen Überzug gebildet. Eisiger Dunst lag über dem Land und von der Sonne sahen sie keine Spur. Antaronas lederner Hüftschurz war zu einem festen Stück gefroren. Ebenso steif präsentierte sich Sebastians Hose.
Um überhaupt Kleidung auf den Leib zu bekommen, huschte Sebastian schnell unter den Fellen hervor, sammelte die Kleidungsstücke ein, welche sie gewöhnlich direkt auf der Haut trugen und kroch damit wieder unter die warme Pelzhöhle. Mit der Wärme ihrer Körper tauten sie die Sachen auf und zogen sie schließlich unter dem schützenden Baldachin der Felle an.
Zuletzt überwanden sie ihre Abscheu vor den Minusgraden und stülpten sich Jacke und Fellmantel über. Stiefel und Beinlinge blieben auf Rucksack und Bündel geschnallt, um sie halbherzig trocken zu halten. Setzte ihnen das kalte Wasser des Sumpfes all zu arg zu, so konnten sie sich in den Marschpausen wenigstens etwas auf die Füße ziehen! Ob das allerdings die gefühllosen Glieder genug erwärmen konnte, blieb ein zweifelhafter Gedanke.
Mit brummenden Mägen und immer noch todmüde setzten sie ihren Weg durch eine Landschaft fort, die endzeitiger und mitleidloser nicht sein konnte. Jegliche Farbe schien aus der Vegetation gewichen. Die Tümpel und Wasserpfützen dampften und bildeten Nebelbänke, die knapp über dem Boden, maximal bis zwei Meter hoch vor sich hin waberten.
Offenbar war das Wasser des Moores noch wesentlich wärmer, als die eisige Luft, die von den fernen Gletschern herab strömte. Alles schien den Atem anzuhalten. Sebastian hatte das Gefühl, durch ein totes Land zu gehen. Es gab rein gar nichts, das ihnen auch nur entfernt suggerierte, lebendig zu sein.
Kleinere Seen und Tümpel umgingen sie und nahmen dabei oft große Umwege in Kauf. Sie wollten vermeiden, außer ihren Beinen auch noch den restlichen Körper auskühlen zu lassen. Unterdessen begann Sebastian die Gewässer zu zählen. Mehr war es eine Tat der Verzweiflung, als dass es ihnen beispielsweise bei der Bestimmung ihres Standorts genützt hätte.
Viele Strecken mussten sie auf dem alten Schnee zurücklegen, der von einer geschlossenen Eisschicht bedeckt war. Ihre nackten Füße brachen teilweise durch das Eis und verletzten sich. Doch die waren inzwischen so gefühllos geworden, dass sie es kaum mehr spürten.
An anderer Stelle brachen sie durch den Schnee und steckten mit den Füßen im Morast fest. Gegenseitig mussten sie sich wieder herausziehen und stützen, um nicht noch tiefer einzusinken. Anschließend gefror der Schlamm an Sebastians Hose und bildete einen wahren Panzer aus Mooreis. Der hielt zwar den Wind ab, wurde aber so schwer, dass er ihn regelmäßig abbrechen musste, wobei freilich auch seine Hose litt.
Einige Male, wo der Schnee auf längeren Strecken liegen geblieben war, warf Sebastian ihr Gepäck meterweit voraus, nahm dann die leichte Gestalt Antaronas auf seine Arme und trug sie über die Schneefelder hinterher. Das wiederholte er so lange, bis sie die Passage überwunden war.
Einmal, sie machten eine kurze Rast, besah er sich die Füße seiner Frau, die aus mehreren kleinen Wunden bluteten. Sebastian holte sein Verbandstäschchen aus dem Rucksack und stellte fest, dass er noch drei Mullbinden besaß. Mit klammen, kalten Fingern wickelte er den weißen Stoff um ihre Füße. Die Binde waren lang genug, so dass er sie noch ein Stück weit über die Knöchel wickeln konnte. Auf diese Weise konnte sie das scharfe Eis nicht mehr verletzen.
»Was ist mit euren Füßen, Ba - shtie...«, fragte sie dankbar lächelnd, »...sie sind auch verletzt!« Kritisch besah sie sich seine Knöchel, die ebenfalls aufgeschrammt und blutig aussahen.
»Ach das geht schon noch...«, beruhigte er sie, »...wenn wir das hier hinter uns haben, dann kannst du mir ja deinen Kräuterbrei darauf machen. Das Zeug hat beim letzten mal Wunder bewirkt!« Sie sah ihn skeptisch an, beließ es aber dabei. Sie hatte augenblicklich nicht mehr die Kraft, sich auf irgend welche Wortgefechte einzulassen. Sie konnte sich an Abend seiner Wunden annehmen.
Den ganzen Tag hindurch liefen sie weiter, kaum, dass sie sich eine Rast gönnten. Der Boden wurde immer instabiler und teilweise mussten sie auf nur wenige Zentimeter breiten Grasstreifen entlang balancieren, um nicht im Moor zu versinken.
Immer öfter waren sie gezwungen, kniehohe Wasserläufe zu durchwaten. Diese zogen sich wie Bäche durch das Gelände, ohne jedoch zu fließen. Das schwarze Wasser in ihnen stand bewegungslos und glatt, wie eine Glasplatte. Bäume waren nur noch selten anzutreffen. Die, welche sie fanden, waren meist nur noch abgestorbene, morsche Stämme, die der letzte Sturm vergessen hatte, umzuwerfen.
Etwa um die Mittagszeit geschah das Unvermeidliche, das Sebastian bereits hatte kommen sehen. Antarona, die stets vor ihm ging, glitt auf dem nassen Binsengras zwischen zwei Moorgruben aus und rutsche mit dem linken Bein in einen der Tümpel. Sie verlor den Halt, und fiel in die dunkle zähe Masse des Moores. Ihr Versuch, das Bündel Felle von sich zu stoßen, verlieh ihr noch zusätzlichen Schwung, der sie fast bis in die Mitte des Schlammlochs katapultierte.
Bis zu den Hüften steckte sie im Morast, den Oberkörper mit dunkelbraunem Moder bedeckt. Als sie nur still mit versteinertem Gesicht da stand und keine Anstalten unternahm, wieder aus dem Pfuhl heraus zu kommen, setzte Sebastian seinen Rucksack ab und krempelte die Hosenbeine hoch. Vorsichtig trat er an den Rand des Tümpels. Reno und Rona beobachteten ihn aufmerksam.
»Was tut ihr da, Ba - shtie?« fragte ihn Antarona und in ihrer Stimme klang etwas mit, das Sebastian überhaupt nicht gefiel. Es war etwas, das sie nur selten zum Ausdruck brachte: Angst! Er wusste nicht recht, wie er mit der plötzlichen Angst seiner immer überlegenen Frau umgehen sollte und versuchte die Situation mit seinem Sarkasmus zu überspielen.
»Na, was denkst du wohl, was ich jetzt tue, hm? Ich hole mir Brennholz, mache ein gemütliches Feuer und sehe dir beim Baden zu...«, versuchte er witzig zu sein, beantwortete aber sogleich kopfschüttelnd ihre, wie er meinte, ziemlich einfältige Frage:
»Natürlich werde ich dich jetzt da heraus holen.., was hast du denn geglaubt?« Noch bevor er darüber nachdenken konnte, weshalb Frauen ständig überflüssige und unlogische Fragen stellen mussten, fuhr ihn Antarona mit überraschender Schärfe in der Stimme an:
»Untersteht euch, in dieses Loch zu steigen, Ba - shtie - laug - nids! Wagt es ja nicht, auch nur einen Fuß hier hinein zu setzen!« Erschrocken wich er vom Rand des Tümpels zurück.
Was sollte das nun wieder? Sebastian hatte geglaubt, inzwischen alle ihre Launen zu kennen, doch nun war er völlig verunsichert. Antarona indes stand bewegungslos im Morast und wagte kaum zu atmen. Ihr Gesicht war aschfahl geworden und das nackte Entsetzen stand in ihren Augen.
Irgend etwas musst da zusammen mit ihr in dem Morastloch sein, das sie bedrohte, schoss es ihm durch den Kopf. Eine Würgeschlange, irgend ein weiteres Monster dieser Welt, das er noch nicht kennen gelernt hatte? Was war imstande, seiner Frau einen solchen Schrecken einzujagen?
Mittlerweile ließ er sich von der Angst Antaronas anstecken und verlor jeglichen Humor. Ihre Furcht vor dem Unbekanntem machte nun auch ihm Angst!
»Ja, was zum Kuckuck ist denn überhaupt los...«, wollte er völlig verunsichert wissen, »...steckst du fest.., bedroht dich etwas? Ich kann dich da herausziehen!« versicherte er ihr.
»Ihr bleibt, wo ihr seid.., Ba - shtie...«, presste sie zornig hervor und versuchte dabei so ruhig wie möglich zu bleiben, »...ihr werdet auf gar keinen Fall hier hinein steigen, habt ihr das verstanden?« Die Angst wich für einen Moment lang aus ihrem Blick und sie zeigte eiserne Entschlossenheit.
In diesem Augenblick stiegen eine reihe von Blasen aus dem Moorwasser auf und zerplatzten blubbernd. Gleichzeitig sank Antarona ein bis zwei Zentimeter tiefer. Sebastian hätte es wahrscheinlich gar nicht bemerkt, wenn er nicht seine volle Konzentration auf seine Gefährtin gerichtet hätte.
Doch nun begriff er mit einem mal den Ernst der Lage! Mit jeder noch so winzigen Bewegung und sei es nur, dass sie sprach, versank sie tiefer im Morast. Wenn ihm nicht in den nächsten Minuten etwas Schlaues einfiel, würde er sie nicht mehr retten können! Nun verstand er auch Antaronas Warnung. Wäre er zu ihr in den Tümpel gestiegen, so hätten sie beide ohne Hoffnung auf Befreiung fest gesteckt!
Er sah sich verzweifelt um und überlegte fieberhaft. Antarona erkannte an seinem Blick, das er endlich verstanden hatte, worum es ging. Sebastian erkannte jedoch schnell die Ausweglosigkeit der Situation. Weit und breit gab es nichts, mit dem er hätte seine Frau aus dem Moor ziehen können, ohne selbst in den Morast zu steigen. Den letzten, umgestürzten Baumstamm hatten sie vor gut einer Stunde gesehen.
Doch den hätte er niemals tragen können. Selbst wenn, dann wäre er viel zu spät gekommen. Wie zur Bestätigung glucksten wieder ein paar Blasen herauf und seine Geliebte sackte erneut zwei Zentimeter tiefer. Inzwischen steckte sie bis über den Bauchnabel im schwarzen Schlamm.
Hastig riss Basti seinen Rucksack auf. Er wusste, dass er irgendwo noch ein paar Reepschnüre hatte! In seiner Verzweiflung kippte er den gesamten Inhalt aus, ungeachtet dessen, dass ein paar Dinge in den gegenüberliegenden Tümpel fielen. Reno und Rona wollten schon hinter den Utensilien her springen.
»Reno.., Rona, zurück!« herrschte er sie an. Das letzte, was er jetzt noch gebrauchen konnte, waren zwei absaufende Hunde! Sebastian wühlte in den Dingen herum, die sein Rucksack preis gab, fand aber keine Reepschnüre. Plötzlich fiel es ihm wieder ein. Er hatte sie bereits für die Trage verwendet, die sie seinerzeit für Annuk gebaut hatten!
Enttäuschten Blickes sah er sich zu Antarona um. Da blieb ihm fast das Herz stehen! Mit Schrecken stellte er fest, dass sie bereits bis zur Brust im Tümpel verschwunden war. Offenbar verursachte jeder ihrer Atemzüge ein weiteres Absinken.
Gehetzt suchte Sebastian mit den Augen die Umgebung ab, ob nicht doch irgendwo ein Ast, ein Strauch, oder auch nur ein Zweig zu finden war. Nichts. Es war zum Heulen. Ausgerechnet an dieser Stelle gab es nicht einmal etwas längeres Gras!
Da fiel sein Blick auf den Bogen, den er in der Panik von seiner Schulter geworfen hatte. Er lag auf dem schmalen Grasstreifen zwischen den beiden Tümpeln. Ob der lang genug war? Sebastian schnappte ihn, kniete sich in den nassen Boden und streckte ihn, so weit es ging, Antarona entgegen. Die brachte nur mit Mühe ihre Arme nach oben und versuchte das Ende des Bogens zu greifen. Es fehlten nur ein paar Zentimeter! Aber es reichte eben nicht.
Sebastian legte sich auf den Bauch, stützte sich mit der freien Hand im letzten Grasbüschel ab und reckte sich noch ein Stück vor. Antarona bekam das Ende mit den Fingerspitzen zu fassen, doch ihre schlammigen Finger rutschten immer wieder von dem dünnen Holz ab. Es blieb hoffnungslos!
Mit Bestürzung stellte Sebastian fest, dass sie durch diese Aktion wiederum tiefer eingesunken war. Bis zu den Schultern reichte ihr nun der tödliche Morast! In einer letzten Verzweiflungstat griff er sich seinen Rucksack, nahm genau Maß und warf ihn seiner Frau genau vor die Brust.
»Breite ganz langsam deine Arme darauf aus und stütz’ dich ganz leicht darauf!« wies er Antarona an. Doch sie zögerte. Die blanke Angst lähmte sie! Ihr Blick war nur noch starr geradeaus gerichtet, als hätte sie mit ihrem Leben bereits abgeschlossen.
Sebastian war nahe daran, selbst in Panik zu geraten und einfach zu ihr in den Moortümpel zu springen, in der vagen Hoffnung, doch noch einen festen Stand zu finden. In einem letzten Versuch schrie er sie an und seine Stimme überschlug sich fast vor Angst.
»Verdammt noch mal, Antarona..., jetzt mach endlich..., tu einmal das, was man dir sagt und leg deine Arme auf den dämlichen Rucksack!« Sebastian schnappte nach Luft, ließ aber nicht locker.
»Antarona.., tue es jetzt, oder willst du vor die Götter treten und ihnen sagen, dass du einfach aufgegeben hast?« Das saß! Apathisch hob sie ihre Arme aus dem Moor und legte sie auf den Rucksack, der zunächst wie ein Rettungsring auf dem Morast schwamm. Sebastian hatte sogar den Eindruck, dass sie wieder ein paar Zentimeter nach oben kam. Natürlich hielt der kleine Erfolg nicht lange an. Ganz allmählich sank auch der Rucksack in den Schlamm ein. Aber er verzögerte das Absinken so weit, dass Sebastian ein paar Minuten gewann, um nachzudenken.
Doch es wollte ihm nichts mehr einfallen. Alles, was er Antarona noch zuwerfen konnte, woran sie sich klammern konnte, würde ebenfalls binnen Minuten vom grundlosen Morast in die Tiefe gezogen. Mit den Dingen, die sie bei sich trugen, konnte er ihr nicht helfen.
So weit waren sie gekommen, hatten sich gefunden, gegen Torbuks Banditen gekämpft, die Wächter von Talris überlebt und sogar den Achterrat dazu bewegt, Widerstand zu leisten. Sie hatten sich geliebt, sich vertraut und sogar die Elsiren hatten ihre Verbindung manifestiert...
Die Elsiren! Das war’s! Sebastian schlug sich die Hand vor den Kopf. Warum war er nicht gleich darauf gekommen! Die Elsiren.., sie mussten helfen! Wenn diesen kleinen Wesen und den Göttern wirklich etwas an ihrer Verbindung lag und wenn die Prophezeihung recht behalten sollte, dann würden sie Antarona nicht einfach sterben lassen!
»Antarona.., jetzt hör’ mir genau zu...«, beschwörte Sebastian sein Krähenmädchen, das dem Tod in die Augen blickte, »...du wirst nicht sterben.., jedenfalls nicht heute und nicht hier! Aber du musst mir unbedingt vertrauen, ja? Jetzt hör’ genau zu! Der Rucksack trägt dich noch ein paar Minuten, wenn du still hältst. Sag’ mir nur.., wo finde ich die Elsiren?«
»Es ist zu spät.., Ba - shtie...«, sagte sie leise und resigniert, »...versucht nach Falméra zu kommen.., rettet das Volk.., ich lie - be dich!« Das Wort ich sprach sie so selten aus, dass es etwas Endgültiges besaß, doch Sebastian hörte sie nicht.
»Verflucht noch mal, Antarona, jetzt reiß dich gefälligst zusammen...«, schnauzte er sie brutal an, »...ich gebe dich niemals auf.., aber.., du musst mir sagen, wo ich die Elsiren finde!« Antarona starrte ihn an, Sebastian erkannte einen winzigen wachen Moment in ihren Augen und setzte noch mal alles auf eine Karte.
»Antarona.., wenn du schon aufgibst, dann tue es wenigstens noch für dein Volk! Also hör’ mich an und sag’ mir.., wo fin - de ich die El - si - ren?« Sie blickte durch ihn hindurch und er merkte, dass sie wieder in die Teilnahmslosigkeit abdriftete, wie schon damals, als sie in den Hallen von Talris von dem unbekannten Dämonen bedroht wurden. Doch dann fing sie sich noch einmal...
»Nehmt das Kraut.., sucht das Elsirenkraut, das gleiche, das an meinem Bündel hängt...«, sie machte eine Pause und Sebastian befürchtete schon, dass sie nicht mehr weiter sprechen wollte, doch mit matter Stimme setzte sie den Satz fort:
»...sucht das Kraut.., und sie finden euch!« Sebastian drehte sich augenblicklich um, sein Herz raste und drohte aus der Brust springen. Er griff nach Antaronas Bündel und zog es mit aller Kraft zu sich heran. Ein paar getrocknete, bläulich grüne Büschel baumelten an den Fellen. Ohne zu zögern riss Sebastian das Kraut mitsamt dem Lederband ab und hielt es Reno und Rona hin.
»Sucht.., los, sucht schon.., sucht dieses Kraut, und schnell!« Die beiden Hunde begriffen offenbar, dass es um Tod oder Leben ging, schnupperten ein paar Mal an den getrockneten Blättern und sprangen auf, die Nasen an den Boden geheftet, liefen sie los.
Rona und Reno liefen nur etwa vierzig bis fünfzig Meter voraus, dann blieben sie bellend stehen. Sie scharrten mit den Pfoten am Ufer eines der vielen Tümpel und gebärdeten sich, als hätten sie einen Wasel gestellt. Sebastian schob die Hunde beiseite und als er die Stelle untersuchte, fand er zwischen den Polstern des Binsengrases tatsächlich jenes Kraut, das Antarona in getrocknetem Zustand auf ihrem Fellbündel hatte.
Sebastian dachte nicht lange nach, riss das ganze Büschel heraus und wunderte sich über den sehr intensiven Geruch nach Lemonen, Citronella, Minze und so etwas wie Teebaumöl. Nun, selbst wenn es gestunken hätte, wie die Hinterlassenschaft eines Gors, er hätte das Zeug angebetet!
Mit beiden Händen, ehrfurchtsvoll, wie eine Ikone, so trug er das Kraut zu Antarona zurück. Noch wusste er nicht, wie man es verwendete, noch viel weniger, wie man damit Elsiren herbei rief. Nach Antarona befanden sie sich ja im Land der Elsiren, jedoch gesehen hatte Sebastian noch keine von ihnen.
Er hatte sehr daran gezweifelt, dass sich in diesem gottvergessenen Loch auch nur eine dieser edlen Geschöpfe herumtrieb. Doch angesichts ihrer Not klammerte er sich nun allein an die Vorstellung, dass diese kleinen Wesen ihre letzte Hoffnung waren.
Zwanzig Meter trennten ihn noch von dem Schlammteich, in dem Antarona fest saß, als er seitlich über dem Moor ein kleines Licht bemerkte. Es bewegte sich schnell auf und ab und kam auf ihn zu. Intuitiv hielt Sebastian das Bund Kräuter hoch und wedelte damit leicht hin und her. Noch ein zweites Licht tauchte zwischen dem Binsengras auf und folgte dem ersten.
Ähnlich großen Libellen, schwebten die beiden kleinen Wesen heran und Sebastian senkte demütig den Kopf und blickte zu Boden. War er ansonsten ein hoffnungsloser Ignorant und hundertprozentiger Realist, so war diese Ehrfurcht nicht gespielt. Er fühlte sie wirklich! Sebastian hielt den Arm mit dem Elsirenkraut über den Kopf und dachte intensiv an seine Frau und an die Lage, in der sie sich befand.
Die beiden Elsiren setzten sich kurz auf seinen Kopf, Sebastians Körper durchströmte einen Moment lang das kribbelnde, erleichterte Gefühl von Glück, dann verschwanden die Elsiren wieder so wundersam, wie sie gekommen waren. Sebastian stand wieder allein in der Hoffnungslosigkeit. Aber er gab nicht auf!
Notfalls würde er selbst in den Morast springen, die Luft anhalten und Antarona heraus heben, auch wenn es das Letzte war, das er tat! Mit diesem Vorhaben im Sinn erreichte er das Morastloch. Antarona steckte mittlerweile bis unter das Kinn in der zähen Brühe. Sofort machte sich Sebastian daran, seine Kleidung abzulegen. Das Elsirenkraut aber behielt er noch in der Hand. Er mochte den letzten Strohhalm noch nicht los lassen.
Antaronas Blick zeigte nacktes Entsetzen, denn sie erkannte, was er vor hatte. Sie wagte jedoch nicht, etwas zu sagen, denn sie wusste, dass selbst Sprechen sie tiefer sinken ließ. In dem Augenblick, da Sebastian zum Sprung ansetzte, erschienen erneut die beiden Lichter. Plötzlich waren sie da, wie herbei gezaubert. Schnell kamen sie näher und noch bevor sie ganz heran waren, gesellten sich zwei weitere zu ihnen.
Sebastian hielt inne, hob wieder die Hand mit dem Kraut und blickte in tiefer Demut auf den Boden. Das Gefühl reinen Glücks durchströmte ihn und nahm ihm fast die Sinne, als sich die kleinen Leuchtwesen auf seinem Kopf niederließen. Gleichzeitig sah er noch zwei.., nein drei weitere Lichter über dem Moor auftauchen. Sebastian schloss die Augen und konzentrierte sich ganz auf Antarona.
Die Elsiren schienen das zu spüren, denn sie erhoben sich wieder von seinem Kopf, ließen Sebastians Haare wie elektrisiert zu Berge stehen und flogen zu Antarona hinüber, der das Wasser inzwischen buchstäblich über dem Kinn stand. Die Elsiren schienen ihr plötzlich Mut zu machen, denn sie reckte den Kopf hoch, um noch ein paar Sekunden Zeit zu gewinnen.
In allen Richtungen des Sumpfes entflammten nun vielzählige, kleine Lichter, die sich auf Antarona und Sebastian zu bewegten. Immer mehr dieser kleinen, durchscheinenden und leuchtenden Geschöpfe kamen heran geflogen. Während einige sich bereits auf Antaronas Kopf niederließen, umschwirrten sie die anderen in einem wahren Lichterreigen.
Sebastian konnte sich nicht denken wie, doch seine Zuversicht, die auf einem Mal als Strom des Glücks durch ihn hindurch zog, sagte ihm, dass seine tapfere, kleine Krähenfrau nun gerettet würde. Indes versammelten sich immer mehr Elsiren über Antaronas Haupt und er wunderte sich, woher die alle kamen. Es war im wahrsten Sinne der Worte wie das erlösende Ende eines bösen Alptraums.
»Antarona.., hör zu...«, rief ihr Sebastian zu und folgte damit einer unerklärbaren Eingebung, »...du musst versuchen, die Arme nach oben zu heben.., hörst du? Versuch die Arme hoch zu heben, los.., versuch’ es!«
Erleichtert stellte er fest, dass Antarona tatsächlich einmal das tat, was er ihr sagte. Es kostete sie einige Mühe, doch irgendwie brachte sie die Arme aus dem schweren Morast in die Höhe. Dafür sank sie nun bis unter die Nase ein. Ihre weit aufgerissenen Augen verrieten Todesangst und Sebastian litt so sehr mit ihr, dass er betend in die Knie sank.
Sofort hängten sich die Elsiren an ihre erhobenen Arme, sie klammerten sich daran, wie Holzfäller an einen Baumstamm. Sie zogen, zerrten und mühten sich unter größter Anstrengung ab. Doch es schien aussichtslos. Einige der kleinen Sumpfbewohner gerieten mit den Flügelchen an Antaronas Arme, verklebten sich mit dem Schlamm und stürzten wie kleine Hubschrauber in den Tümpel.
Doch immer mehr Elsiren flatterten heran, hängten sich an jene, die Antaronas Arme umklammerten und an die, welche bereits andere fest hielten. Wie ein Bienenschwarm fielen sie aus allen Richtungen ein, klammerten sich fest, hakten sich ein in das Bemühen, die Tochter der Ival aus dem Morast zu heben, der sie in die schwarze Tiefe ziehen wollte.
Eine riesige Traube der elfenhaften, kleinen Kreaturen hielt Antaronas Arme im Griff und es kamen von Sekunde zu Sekunde mehr dazu. Sebastian vermutete, dass sich an diesem Tümpel inzwischen das ganze Elsirenreich versammelt hatte. Doch immer noch tauchten neue Elsiren auf, die sich in die anderen einreihten und die kollektive Hilfe verstärkten.
Wie ein riesiger, beleuchteter Wetterballon schwebten die heiligen Geschöpfe der Ival über Antarona und der Tümpel leuchtete wie der Krater eines abgestürzten Kometen. Der Zustrom der kleinen Sumpfgeister schien kein Ende zu nehmen. Und ganz allmählich, quälend langsam schafften tausende von Winzlingen in der Gemeinschaft das, was Sebastian Lauknitz nicht gelungen war. Sie hoben Antaronas kraftlosen Körper Zentimeter für Zentimeter aus dem Moor.
Mehr und mehr Elsiren fielen kraftlos, oder mit Morast an den Flügelchen wie fallende Kerzen in den Tümpel. Sebastian bemühte sich, so viele, wie möglich mit seinem Bogen zu erreichen. Kam er mit der Spitze der Waffe in ihre Nähe, so klammerten sie sich daran fest und er hob sie vorsichtig auf die umliegenden Grasbüschel in Sicherheit. Andere wurden von ihren Gefährtinnen aus dem Moor gefischt und gerettet.
Mittlerweile hatte die Masse der Elsiren Antarona bis zu den Hüften aus dem Schlamm gezogen. Wie tausende von Hubschraubern, die einen havarierten Flugzeugträger aus dem Meer hievten, so hoben diese hilfsbereiten Wesen einen Menschen aus dem Loch, das den sicheren Tod bedeutet hätte. Und immer noch flogen vereinzelt Elsiren aus den Weiten des Moores heran, um zu helfen.
Schließlich, nach endlosen, quälenden Minuten der Anspannung war Antarona aus dem Sumpf heraus! Der Morast rutschte ihr in ganzen Fladen von der Haut und klatschten zurück ins Wasser. Ihr Fellmantel, vom Wasser aufgeweicht und ausgedehnt glitt ihr von den Schultern und versank ebenfalls im tiefen Moder. Dadurch wurde das Gewicht Antaronas leichter und die Elsiren trugen sich nun ohne große Anstrengung zu Sebastian auf den schmalen Grasstreifen hinüber.
Ihm liefen vor Freude und Dankbarkeit dicke Tränen über das Gesicht. Mit offenen Armen nahm er den scheinbar leblosen Körper seiner Frau in Empfang. Doch Antarona war weder tot, noch bewusstlos. Wie in tiefer Trance bewegte sie ihren Kopf mit den Schlamm verklebten Haaren hin und her und stammelte irgend welche Worte in der Sprache der Ival. Hätte es Sebastian nicht besser gewusst, so wäre ihm der Gedanke gekommen, eine völlig betrunkene Frau in Empfang zu nehmen.
Als die Elsiren sie los ließen, sank sie kraftlos in Sebastians Arme. Er musste sich anstrengen, sie zu halten und beinahe wäre er mit ihr zurück in den Tümpel gestürzt. Antarona kicherte albern, machte mit fahrigen Händen obszöne Gesten und gebärdete sich wie eine mit Drogen voll gepumpte Jugendliche im Discorausch.
Sebastian war dieser Situation absolut hilflos ausgeliefert. Er wusste sich nicht anders zu helfen, als sie kurzerhand auf seine Arme zu heben und aus der Gefahrenzone zu tragen. Verzweifelt suchte er einen Ort, an dem er sie ablegen konnte, ohne dass sie gleich wieder in irgendeinen grundlosen Morast fiel. Nach ein paar Metern in ihrer Marschrichtung fand er einen geeigneten Platz.
Mehrere Grasbüschel standen dicht beisammen und der Boden dazwischen war wohl feucht, jedoch nicht aufgeweicht. Er legte Antarona auf das feste Gras und sie ließ keine Gelegenheit unversucht, um sich zu schlagen, ihn anzugrabschen und zu versuchen, ihm die Kleidung auszuziehen. Dabei entfuhr ihr ein Wortschwall, den er von ihr nicht kannte. Dem Ton ihrer Worte zufolge hatte Sebastian auch kaum das Bedürfnis die Übersetzung ihrer Äußerungen kennen zu lernen. Offenbar war Antarona in einen Rausch gefallen, der die tiefsten Abgründe der Seele in höchst animalischer Form freisetzte und mit zu viel an Übermut und Ausgelassenheit würzte.
Einige Elsiren umschwirrten noch ihre Köpfe und spendeten Licht in der bereits hereinbrechenden Dämmerung. Ein paar tanzten noch über dem Teich, aus dem sie Antarona gerettet hatten. Doch die Masse der kleinen, wundersamen Wesen hatte sich bereits wieder verflüchtigt. Sebastian hatte das Bedürfnis, sich bei diesen gutmütigen Sumpfbewohnern zu bedanken, doch er wusste nicht so recht wie und er hatte auch gar keine Zeit dafür. Er musste sich dringend um seine Gefährtin kümmern, die sich in einem völlig unkontrollierten Zustand befand.
Plötzlich schoss ihm ein Gedanke durch den Kopf. Natürlich! Hatte Antarona ihm nicht von der Wirkung der Elsiren auf die Menschenwesen berichtet? Und hatte er nicht selbst erfahren, wie diese kleinen Leuchtwesen auf das Gemüt wirkten, damals am See des Holzers, als sie beide wie zwei liebestolle Hunde übereinander her fielen?
Nun wurde ihm klar, was seine Frau in diesen Zustand versetzt hatte. Es waren die Elsiren! Antarona litt eindeutig und zweifelsfrei an einer Überdosis reinen Glücks! Sebastian hatte das berauschende Gefühl noch nicht vergessen, das ihm durch Körper und Kopf rauschte, als sie im See auf die kleinen elfenhaften Geschöpfe trafen.
Tausende von ihnen hatten Antarona minutenlang in ihrem Griff! Sebastian war nun kaum noch über die hemmungslose Ekstase erstaunt, in der sich seine Frau befand. Er befürchtete aber, dass sie durch diese enorme Überdosis einen Schock erleiden konnte. Also musste er schleunigst ihre Felle herbei schaffen um sie warm zu halten.
»Ihr bleibt bei Sonnenherz...«, befahl er Reno und Rona, »...und passt ja gut auf!« Dann hetzte er zum Schlammloch zurück, wo ihre Ausrüstung immer noch verstreut herum lag. Schnell sammelte Sebastian den Inhalt seines Rucksacks, Antaronas Fellbündel und ihre Waffen ein und trug sie zum Lager für die kommende Nacht. Auf dem Weg beschäftigte ihn noch kurz der Gedanke, wie Antarona es geschafft hatte, beim Sturz noch ihre Waffen abzuwerfen.
Sie konnte sehr schnell sein, dieses Krähenmädchen. Und doch wurde selbst ihr, die mit der Natur dieses Landes so sehr verwachsen war, mit der sie doch so vertraut war, dieser Sumpf beinahe zum Verhängnis! Eine Sekunde der Unachtsamkeit konnte in dieser Gegend den Tod bedeuten! Sebastian kannte das vom Bergsteigen her. Aber da beschränkte sich die immer währende Wachsamkeit auf die Tour, auf die Kletterstelle, die es zu überwinden galt.
Hier, im Volossoda, im Val Mentiér, in diesem Land, das wer weiß wo lag, war die Gefahr allgegenwärtig, selbst beim Schlafen! Mit dieser Feststellung kehrte Sebastian zum Lager zurück. Antaronas Befinden hatte sich kaum geändert. Rona und Reno waren in diesen Momenten die Opfer ihrer verbalen Attacken. Die Kälte, durch die verschwindende Sonne noch verstärkt, nahm sie scheinbar gar nicht wahr.
Sebastian holte Wasser, wusch seiner Frau die Reste des Moores vom Körper und trocknete sie ab. Antarona geriet über seine Berührungen in endlose Verzückungen und für Sebastian wurde die Situation mehr als befremdlich. Er war froh, als er sie endlich in ihre Felle wickeln konnte. Jedoch nicht für lange, denn sie strampelte sich immer wieder frei, räkelte sich in anzüglicher Weise auf dem Lager und verfiel jedes Mal in einen neuen Schauer der Ekstase, wenn Sebastian sie wieder zudeckte.
Na, das konnte ja noch was werden! Wie lange mochte dieser Rauschzustand anhalten? Die ganze Nacht, einen Tag lang, drei Tage? Bei der Masse von Elsiren, die sie aus dem Morast gezogen hatten, befürchtete Sebastian, seine Rechnung auf eine Woche ausdehnen zu müssen.
Als er schließlich seine verbliebenen Habseligkeiten in ein paar Plastiktüten gepackt hatte, kroch er zu Antarona unter die Felle. Augenblicklich fiel das Krähenmädchen über ihn her. Sie rieb ihren Körper wild an seinem und wollte sich ihrem ungezügelten Verlangen hingeben. Zu anderer Zeit hätte ihm das sicherlich gefallen. Doch als sie begann, sich wie eine Vergewaltigerin aufzuführen, war der Spaß für Sebastian Lauknitz vorbei. Kurzerhand packte er seine Gefährtin in die Hüfte, warf sie auf den Rücken und hielt mit aller Kraft ihre Handgelenke umklammert. Mit ihren eigenen Bändern, die sie gewöhnlich um den Leib trug, fesselte er ihre Arme auf den Rücken.
»Wenn du nicht aufhörst, dich wie ein wild gewordener Robrum zu benehmen, dann binde ich dir auch noch die Füße zusammen«, warnte er sie. Doch jegliche Drohung war in den Wind gesprochen. Immer wieder wälzte sie sich auf ihn, glotzte ihn mit übernatürlich groß aufgerissenen Augen an und versuchte ihn mit ihrem Schoß auf die Felle zu drücken. Dabei stieß sie keuchend und stöhnend Worte aus, die er nicht verstand, von denen er aber annahm, dass sie selbst einem Reiter Torbuks die Röte ins Gesicht getrieben hätten.
Sebastian tat es nicht gern, doch um ihrer Sicherheit willen, sah er sich gezwungen, seine Frau wie ein Paket zu verschnüren. Dann zog er wieder die Felle über ihre Körper, umklammerte Antarona ganz fest mit Armen und Beinen und zwang sie so zum still halten.
Wenngleich er auf diese Weise ihre körperlichen Gebärden einschränkte, ihre verbalen Obszönitäten blieben. Wider Willen band er ihr auch noch ihren eigenen Hüftschurz so fest auf den Mund, dass sie nur noch unterdrückte Laute von sich geben konnte. So brachte er sie endlich zur Ruhe.
Allerdings nur mit zweifelhaftem Erfolg. Bis in die frühen Morgenstunden hinein zitterte und bebte ihr Leib in regelmäßigen schauerartigen Anfällen und versuchte sich gegen die festen Fesseln zu wehren. Ihre Gefühle wollten sich austoben, hemmungslos ausbrechen aus der Vernunft ihres Geistes, doch ihr Körper war zur Bewegungslosigkeit verurteilt. Sebastian vermutete, dass sie in dieser Lage Höllenqualen litt. Erst, als sich schon die Sonne ankündigte, hatte sich ihre Energie so weit aufgezehrt, dass sie in einen unruhigen Schlaf viel.
Dankbar versuchte auch Sebastian noch ein wenig die Augen zu schließen. Im Wegdämmern ging ihm noch durch den Kopf, was geschehen würde, fänden Elsiren zusammen mit Mestastan, jenem Gebräu, das hier zu Lande ähnliche Wirkung zeigte, den Weg in seine Welt. Damit ließe sich gewiss Millionen verdienen, wohl aber auch ganze Zivilisationen zerstören! Immer weniger wunderte ihn, weshalb so viele Frauen und Mädchen der Ival Opfer von Schändungen und Vergewaltigungen durch Torbuks Truppen wurden.

Wie lange Sebastian geschlafen hatte, wusste er nicht. Das erste, das er wieder bewusst wahr nahm, waren Knüffe in die Nierengegend, die immer heftiger wurden und sich als Schmerz in seinem Körper ausbreiteten. Mit einem Mal war er hellwach!
Antarona war es auch. Sie zog ruckartig ihre gefesselten Beine an und ihre spitzen Knie versetzten Sebastian die Stöße, welche ihn aus dem Schlaf gerissen hatten. Dabei sahen ihn Funken sprühende Augen an. Sebastian war fassungslos. Wirkte die Droge der Elsiren etwa immer noch?
»Hör auf, so herum zu zappeln.., ja, wenn du still bist, dann nehme ich dir die Fesseln ab«, versprach er ihr. Auf der Stelle hörte das Geknuffe auf und Antarona beruhigte sich. Skeptisch beobachtete er sie noch einen Moment, doch als sie ihn mit flehenden Augen ansah, löste er ihre Knebel.
»Ba - shtie.., was soll das.., warum bindet ihr mich wie ein erlegtes Wild...«, empörte sie sich, »...habt ihr alle eure Sinne verloren?« Sebastian war sprachlos, denn sie war es ja wohl, die ihre Sinne nicht mehr beieinander gehabt hatte.
Antarona blickte sich fragend um und es hatte den Anschein, dass sie sich tatsächlich an nichts mehr erinnern konnte. Offenbar besaßen Elsiren die gleiche Wirkung, wie ein Alkoholrausch mit Gedächtnisverlust. Ansonsten hatte ihr der Ausflug in den tödlichen Morast augenscheinlich nicht geschadet.
»Ja, das war nötig, denn du hattest dich aufgeführt, wie eine Verrückte!«, entschuldigte er sich. Dann sah er sie fragend an.
»Sag mal.., kannst du dich denn an gar nichts mehr erinnern?« Zweifel standen in Bastis Augen und Antarona schien angestrengt nachzudenken. Zögernd schüttelte sie den Kopf.
»Nein, Ba - shtie.., Antarona weiß nur, dass die Götter sie zu sich riefen!« Skepsis machte sich in Sebastians Gesicht breit. Dann erzählte er ihr von den Elsiren, wie er sie herbei gerufen hatte und wie ihr diese kleinen Geister geholfen hatten. Antarona hörte aufmerksam zu und als er mit seinem Bericht fertig war, sagte sie leise und fast demütig:
»Elsiren sind die Töchter der Götter, sie besitzen die Macht, die ihnen die Götterwesen gaben und sie sind reinen Herzens. Sie fürchten sich vor den Menschenwesen, denn diese tun ihnen viel Böses an. Ihr, Ba - shtie - laug - nids, besitzt nun das Vertrauen der Elsiren. Wo immer ihr auf sie trefft, werden sie euch als Freund betrachten.« Antarona machte eine ausholende Handbewegung, als offenbarte sie ihm die Weite der Landschaft. Anschließend fuhr sie fort:
»Überall dort, wo Elsiren sind, wohnt das Glück der Menschenwesen. Es ist den Ival bestimmt, die Elsiren und ihr Land zu schützen! So steht es in den Tafeln von Talris, so sagt die Prophezeihung!«
»Na ja...«, überlegte Sebastian, »...ich weiß nicht, was da alles in den Tafeln von Talris zu lesen ist... Aber diese kleinen Dinger haben jetzt etwas bei mir gut, das ist klar.., denn sie haben dich gerettet, das, was mir das Teuerste im Leben ist. Und damit sind sie ohne Frage meine Freunde, egal, was geschieht!«
Einen Moment später blickte Antarona stumm und in sich gekehrt zu Boden. Traurigkeit breitete sich in ihren Augen aus.
»Was ist mit dir...«, wollte Basti wissen, »...freust du dich nicht, dass kein Herz das andere verloren hat?« Aufmunternd lachte er sie an. Selbst in dieser Stimmung ließ er sich noch von ihrer Schönheit verzaubern.
»Ba - shtie.., vergebt der Tochter der Ival...«, begann sie schuldbewusst, »...durch sie habt ihr euer Bündel verloren, das Bündel aus dem Reich der Götter, welches die Farben des Sommers trug!«
Zunächst wusste er nicht, was er sagen sollte. Glaubte sie allen Ernstes, er würde ihr den Verlust seines Rucksacks zum Vorwurf machen? Oder steckte noch etwas anderes dahinter? Suchte sie nur nach einem Vorwand, um ihre plötzliche Missstimmung zum Ausdruck zu bringen?
»Na, da mach dir mal keine Sorgen, mein Engelchen...«, versuchte er sie zu beruhigen, »...das Meiste vom Inhalt konnte ich ja retten. Das ganze Zeug steckt dort in den Plastiktüten, die ich noch...« Sebastian wandte sich zu seinen Supermarkttüten um und erstarrte.
Eine der Tüten war wohl in der Nacht umgekippt. Einige Dinge waren heraus gefallen und lagen zwischen den Grasbüscheln verstreut. Das Medaillon, das Sebastian dem Skelett auf dem Weg von Balmers Hütte ins Tal abgenommen hatte, hing zwischen den Grashalmen und glänzte auffällig im Sonnenlicht.
Er griff danach und wog es abschätzend in der Hand. Dabei sah er Antarona aufmerksam forschend in die Augen. Sie starrte beschämt zu Boden und wich seinen Blicken aus.
»Ist es deswegen.., bist du traurig, weil dies hier bei den Dingen aus meinem Bündel ist?« Sebastian berührte sie versöhnlich an der Schulter, doch sie drehte sich schmollend zur Seite.
»Also, das gehört mir nicht...«, gab sich Basti alle Mühe, die Sache aufzuklären, »...ich weiß nicht einmal, was genau das Ding bedeutet.., ich...«
»Warum habt ihr es dann und verbergt es vor den Blicken von Sonnenherz?« unterbrach sie ihn und in ihrer plötzlichen Frage wurden Enttäuschung, Zorn und Trauer gleichermaßen laut. Sie schaute ihn niedergeschlagen an, ihre Augen füllten sich mit Tränen und Sebastian spürte, dass sie verzweifelt nach einer Antwort suchte, vor der sie aber Angst hatte.
»Ihr tragt Antaronas Herz in eurer Brust, Ba - shtie.., so wie sie das eure in sich trägt...«, schluchzte sie, »...ihr habt Sonnenherz zwei Mal das Leben zurück gegeben, ihr geht mit ihr den Weg, der das Volk befreien soll... Und ihr besitzt das Wohl der Elsiren...« Sie machte eine Pause und schien nachzudenken. Bevor Sebastian ihr antworten konnte, klagte sie ihn offen an.
»Dennoch tragt ihr das Zeichen des Bösen bei euch, das die Ival vernichten will! Und ihr versteckt es vor den Augen derer, die euch vertrauen!« Sebastian fasste sie an die Schultern, um sie zu beschwichtigen und packte fester zu, als sie sich wieder abwenden wollte.
»Antarona...«, begann er sich verzweifelt zu rechtfertigen, »...das Vertrauen zwischen uns ist nicht gebrochen, auch wenn du das jetzt glaubst. Ich wusste nicht, dass dies ein Zeichen des Bösen ist!« Sebastian blieb nicht ganz bei der Wahrheit, denn er hatte bereits vermutet, dass dieses Medaillon einem Anführer von Torbuks Streitkräften gehört hatte.
Umständlich erklärte er seiner Frau die Herkunft der groben Kette mit dem großen Anhänger und versicherte ihr, dass er diese nur aus Unwissenheit und Neugier mitgenommen hatte, was auch der Wahrheit entsprach. Ebenso verriet er ihr, dass er später beabsichtigt hatte, das Medaillon vielleicht einmal als Mittel zum Zweck zu benutzen, um Torbuks Männer zu täuschen.
»Deshalb habe ich dieses Zeichen nicht fort geworfen! Vielleicht können wir es noch mal benutzen, um Gefangene zu befreien?« versuchte Sebastian seine Gefährtin zu überzeugen.
Antarona beruhigte sich allmählich und sah sich die Kette näher an. Die Abscheu, die sie dabei empfand, stand ihr im Gesicht geschrieben. Das Misstrauen war noch nicht ganz aus ihren Gedanken gewichen. Ihr Herz aber sagte ihr, dass Ba - shtie - laug - nids kein Verräter war. Ihr Herz vertraute ihm weiterhin! Und ihr Herz war es, auf das sie über alle Zweifel hinweg hörte, auch wenn ihr der Verstand etwas anderes erzählen mochte.
Sie spürte, das Sebastian sie niemals hintergehen würde, war aber gleichzeitig traurig darüber, dass er ihr den Besitz dieses Medaillons verheimlicht hatte. Ebenso war es mit den Karten und den Metallbildern jenes Unbekannten, der nicht den Weg zu den Göttern gefunden hatte und den Ba - shtie hinter der fremden Hütte in der Erde verscharrte.
Warum musste er all diese Dinge des Bösen behalten und verwahren? Was wollte er damit? Antarona verstand es nicht. Sie wusste auch nicht, wozu er die kleinen Scheiben, welche aus den Tränen der Götter gemacht waren, im Gang der wandernden Schatte aufbewahrte. Was nützten sie ihm? Viele Dinge gab es im Leben, die ihr wesentlich wichtiger erschienen!
Sie besaß nichts, außer der Kleidung, die sie auf dem Leib trug, ihr Schwert Nantakis und den Stein der Wahrheit. Mehr brauchte sie nicht. Mehr wollte sie nicht! Ba - shtie aber wollte Dinge für sich haben, die nicht gut waren, sie zu besitzen. Es machte ihr Angst, denn ihr Volk wurde von dem Bösen heimgesucht, weil Torbuk ebenfalls Vieles besitzen wollte, das für das Leben der Ival nicht wichtig war.
Weshalb wollten Torbuk und Karek die Tränen der Götter und immer noch mehr davon? Und warum hielt Ba - shtie diese Scheiben aus den Göttertränen in ihrer Höhle verborgen? Was bedeuteten sie ihnen? Man konnte sie nicht essen und man konnte nichts mit ihnen anfangen. Alles, was das Volk jemals daraus hergestellt hatte, als der Besitz noch erlaubt war, ist unbrauchbar gewesen.
Pfeilspitzen verbogen sich, Schwerter waren so schwer, dass sie auf einem Karren gefahren werden mussten und Kessel oder andere Gefäße waren für den Gebrauch des Tages ebenfalls zu schwer. Die Götter waren weise! Sie wussten, dass man aus ihren Tränen nichts machen konnte. So machten sie daraus die Tafeln, welche sie den Ival gaben, um ihnen zu sagen, wie sie leben sollten. Die Tränen der Götter bekamen keine Flecken und zerstörten sich nicht selbst! Sie waren in den Hallen von Talris gut aufgehoben! Warum aber wollten alle diese Tränen, welche so unnütz waren?
Ba - shtie hatte ihr erzählt, dass jeder im Reich der Götter danach strebt, diese Tränen, welche nie ihren Glanz verloren, zu besitzen, mit gleicher Zunge verurteilte er dieses Verhalten. Aber er selbst behielt diese Tränen, wie etwas Wertvolles. Waren selbst die Götter untereinander uneins, so, wie sie es oft beim Achterrat erlebt hatte?
Es war ihr zu müßig, darüber nachzudenken. Aber es ging um Ba - shtie, um den Mann, der mit ihrem Herzen verbunden war und dessen kleines Herz sie eines Tages, wenn die Zeit reif dazu war, in ihrem Bauch tragen würde. Sie hatte Angst, dass die Macht der Göttertränen, von der alles Böse auszugehen schien, ihr Glück zerstören könnte.
Sie schüttelte angewidert mit dem Kopf, wie um ein böses Omen aus ihren Gedanken auszuschließen und gab Sebastian das Medaillon zurück.
»Ba - shtie.., hört, was Sonnenherz.., was ich euch sagt...«, begann sie halb feierlich, halb drohend, »...ihr mögt all diese Dinge haben wollen und in dem Gang, den niemand betreten soll, aufbewahren... Doch Sonnenherz mag diese Dinge nie wieder sehen.., sie will sie nicht! Habt ihr verstanden? Es geht Böses von ihnen aus und es soll nicht im Leben von Sonnenherz und Glanzauge sein!«
Sebastian musste schmunzeln. Antarona bemühte sich sporadisch ihm nachzueifern und in ihren Gesprächen das du und ich einzusetzen. Doch sie konnte nicht nachvollziehen, in welcher Form sie an welche Stelle gehörten. Sie setzte die Worte der fremden Sprache wahllos ein, wie es ihr gerade einfiel. Zweifelsohne musste die komplexe Sprache Sebastians in ihren Ohren wie ein akustisches Chaos klingen!
»Warum lacht ihr, Ba - shtie.., Sonnen.., mich meint die Worte, wie ich gesagt hat...«, stellte sie mit Nachdruck klar. Sebastian legte ihr beschwichtigend die Hand auf den Arm.
»Diese Dinge sind nur wichtig für den Kampf gegen Torbuk, mein Engelchen, sonst haben sie keine Bedeutung. Sie bleiben in der Höhle verborgen und wenn wir einmal eine Hütte haben, in der wir in Frieden leben können, so werden diese Dinge niemals den Weg dort hinein finden.., das verspreche ich dir!« Damit gab sie sich offenbar zufrieden.
Sebastian überprüfte seine beiden Kaufhausbeutel, die nun allerdings noch weniger in diese Welt passten, wie vorher sein getarnter Rucksack. Außer einem Feuerzeug fehlten sein Personalausweis mit Führerschein, seine Geldbörse, sowie das Mundstück seiner Pfeife.
Das Mundstück war ihm egal, da der Tabak sowieso zur Neige gegangen war. Doch wie sollte er im Zweifelsfall ohne gültige Papiere je wieder dieses Land verlassen können? Oder was geschah mit ihm, wenn sie nach Falméra kamen und er sich nicht ausweisen konnte?
Seine Gefährtin unterbrach die Gedanken, die einen von der Zivilisation geprägten Lauknitz mehr belasteten, als in der momentanen Situation nötig. Sie fing an, die Felle zusammen zu binden und zog das an, was von ihrer Kleidung noch übrig geblieben war. Um nur mit dem spärlichen Hüftschurz durch das Land zu laufen, war es eindeutig zu kalt.
Geschwind schnitt sie sich mit ihrem Messer eine Art Weste aus einem der Felle heraus. Die Reste des Fells wickelte sie sich um die Waden. Aus einem der großen Schlaffelle trennte sie einen kopfgroßen Flicken und warf sich den Pelz anschließend wie einen Poncho über. Eine breite Lederschnur hielt das Fell, das ihr gerade mal bis über die Hüfte reichte, auf ihrem Leib zusammen.
Sebastian machte sich große Sorgen um ihre Gesundheit. In diesem Aufzug musste sie sich doch zu Tode frieren, sobald etwas Wind aufkam! Doch bald begriff er ihre Taktik. Bewegung! Solange sie sich schnell bewegte, fror sie nicht. Und in den Marschpausen wickelte sie sich einfach in eines der großen Felle um, die sie sonst zum Schlafen nutzten.
Sie hatten bis weit in den Tag hinein geschlafen und Sebastian war nicht auf den Gedanken gekommen, an diesem Tag noch weiter zu wandern. Er hätte es vorgezogen, diesen guten Lagerplatz nicht aufzugeben und am Morgen darauf weiter zu ziehen. Doch für seine Frau schien es selbstverständlich zu sein, auch die wenigen Stunden Tageslicht zu nutzen, um vorwärts zu kommen.
»Dieses Lager ist gut, wenn es trocken ist, Ba - shtie...«, erklärte sie ihm geduldig, »...doch wenn das sprühende Wasser vom Himmel fällt, oder von den Bergen kommt, dann geht es in diesen Sumpf und weiter in den großen See. Alles wird dann im Wasser sein, Ba - shtie... Antarona wird dann keinen Weg mehr finden!«
Das leuchtete ein! Wenn es massiv regnete, konnte der Sumpf womöglich komplett überflutet werden. Bei einem wahren Unwetter, wie er es bereits auf Högi Balmers Alm erlebt hatte, liefen sie Gefahr, gnadenlos zu ersaufen! Von Weg konnte dann ohnehin keine Rede mehr sein.
Andererseits fragte sich Sebastian, wie seine Krähenfrau in diesem Labyrinth von Tümpeln, Buschwerk und Grasbuckeln überhaupt einen gangbaren Pfad fand. Vermutlich waren es wiederum ihre telepathischen Fähigkeiten, mit denen sie ihren Weg dachte.
»Warum gehen wir nicht auf dem Trockenen...«, warf er nachdenklich ein, »...in der Ebene habe ich vom Berg aus durchaus trockene Landstriche gesehen. Ist doch idiotisch, sich durch diesen Sumpf zu quälen und dabei fast abzusaufen!« Antarona sah ihn zweifelnd an.
»Ba - shtie.., wie weit glaubt ihr, würden wir wohl gelangen, in einem Land, das von Torbuk beherrscht wird? Überall sind seine Reiter unterwegs. In das Land des Wassers, wo die Elsiren leben, wagen sich aber nur wenige, die das Glück suchen, um es den Göttern zu stehlen. Sonnenherz nahm immer den Pfad durch das Wasserland, wenn sie nach Falméra ging!«
Über diese Aussage machte sich Sebastian so seine eigenen Gedanken. Wie oft war sie denn schon auf diesem Pfad unterwegs? Dieser Weg war nicht gerade ungefährlich, was ihr Ausrutscher in das Moor nur bestätigte. Sebastian hielt es für reines Glück, dass sie den Tag gestern überlebt hatte. Der Weg durch diesen Sumpf war gewiss keine Wanderung, die man regelmäßig unternahm!
Vorsichtig setzten sie ihren Weg fort. Das Erlebnis vom Vortag hinterließ wachsende Aufmerksamkeit. Rona und Reno liefen vorweg und Antarona folgte ihnen, einen Fuß bedächtig vor den anderen setzend. Für Sebastian wurde die Reise zu einem akrobatischen Akt.
Er vermisste seinen Rucksack. Mit einer Plastiktüte in jeder Hand, dazu den Schlafsack unter einem Arm, sowie die Waffen um den Hals gehängt, folgte er unsicheren Fußes seiner Gefährtin. Zeitweise kam ihm bei eigener Betrachtung der Gedanke an eiligst aufgebrochene Flüchtlinge.
Das Wetter hingegen war erträglich. Die Wolkendecke war aufgerissen und für wenige Augenblicke gab sich die Sonne ein Stelldichein. Das genügte, um Schnee und Frost bis auf kleine, schattige Stellen abzutauen. Über einem entfernt liegenden Wäldchen gaben die Wolkenlücken zeitweise sogar den Blick auf schemenhafte Bergriesen frei, die als vernebelte, bläuliche Silhouetten den Horizont begrenzten.
So weit waren sie schon von den vergletscherten Gipfeln fort gewandert und doch bestimmten diese noch mit ihrer Mächtigkeit das Landschaftsbild. Diese Tatsache erzählte Sebastian etwas über die Größe dieser Gebirgsketten. Insgeheim musste er ihre Höhe um tausend Meter nach oben korrigieren, was wieder einmal die Frage nach seinem Aufenthaltsort aufwarf.
Doch er hatte kaum Zeit mehr darüber nachzudenken. Schon stellte sich ihnen ein neues Hindernis in den Weg. Ein großer See breitete sich vor ihnen aus, dessen Ufer kaum erkennbar und von einem breiten Morastgürtel gesäumt war. Auf der anderen Seite beherrschte lichter Nadelwald das Gelände. Die Wasserfläche schien wie eine Glasplatte zu stehen, in der sich die Schatten der Berge spiegelten.
Reno und Rona liefen am Rand des Gewässers auf und ab und machten den Eindruck, dass sie nicht genau wussten, welche Richtung sie einschlagen sollten. Zu beiden Seiten erstreckte sich der See endlos in das heideähnliche Land.
Antarona warf ihre Felle zu Boden, zog sich den Pelz aus und band ihn auf das Bündel. Ohne Umschweife entledigte sie sich ihrer Beinlinge und Wadenwickel, so dass sie letztlich nur noch ihren Hüftschurz und die Fellweste trug. Sebastian beobachtete sie aus verständnislosen Augen.
»Du willst doch wohl nicht etwa da durch?« fragte er sie verwundert, mit einem Anflug von Panik in seiner Stimme. Sie griff nach hinten, zog sich ihre Waffe auf dem Rücken zurecht und antwortete mit einer Gegenfrage:
»Seht ihr einen anderen Weg, Ba - shtie?« Als er sich nur ratlos nach beiden Seiten umsah, fühlte sich Antarona in ihrer Entscheidung bestätigt.
»Es gibt nur diesen Weg! Dort, wo der Wald ist, wird das schwarze Wasser nicht mehr mit seinen kalten Fingern nach uns greifen.« Abwehrend hob Sebastian die Hände.
»Aber warum gehen wir nicht um den See herum? Wenn wir da durch waten, werden wir entweder ertrinken, oder vom Moor in die Tiefe gezogen! Reicht das nicht, was uns gestern widerfahren ist.., müssen wir das wirklich noch mal durchmachen? Die Elsiren werden kaum Lust haben, uns jedes Mal wieder aus...«
»Ba - shtie.., hört mit dem Reden auf...«, unterbrach sie ihn ungeduldig, »...ihr könnt nicht um das Wasser herum gehen.., es ist zu groß! Warum, glaubt ihr, folgen Reno und Rona nicht dem Wasserlauf? Denkt ihr, sie haben den Weg verloren?« Sie ließ ihren Blick einen Moment lang auf Sebastian ruhen, bevor sie ihm erklärte:
»Sie kennen den Weg, denn sie sehen den Pfad, den alle Tiere nehmen.., sie spüren ihn, denn alle Wesen der Götter benutzen ihn. Sie wissen, es gibt keinen Weg, der um das schwarze Wasser herum führt!« Antarona stand auf, warf sich das große Bündel über die Schulter und sah Basti wartend an.
»Wir werden durch das Wasser gehen...«, bestimmte sie entschlossen, »...es wird nicht sehr tief sein.., es ist nur weit!« Sebastian war mehr als nur skeptisch, was ihr Urteil über diesen Schlammsee anging. Doch was blieb ihm anderes übrig, als ihr zu folgen? Wie immer das auch ausgehen mochte, er hatte keine Wahl!
Die Hunde sprangen als erste ins Wasser. Waren sie zunächst nur zögerlich am Ufer herumgeschlichen, so genügte Antaronas bloße Geste, in den See zu steigen. Rona und Reno hüpften erst unbeholfen über den Morast hinweg, begannen dann aber zu schwimmen, sobald das Wasser tief genug war. Antarona stakste vorsichtig durch das Moor am Ufer und es hatte den Anschein, als schreite sie feierlich den Mittelgang einer Kirche entlang.
Sebastian war für diese Sache nicht ganz so begeisterungsfähig. Er hatte sich bis auf die Unterhose entkleidet und stand vor Kälte schnatternd im groben Gras. Die Erfahrung hatte ihn skeptisch gemacht. Sollte Antarona mal wieder im Dreck stecken bleiben, dann musste er sie schließlich retten.., wer sonst?
Sie war bereits bis über die Knie im Schlamm verschwunden, tastete sich aber Schritt für Schritt vor, als befürchtete sie, etwas Lebendiges auf dem Grund des Sees zertreten zu können. Sebastian indes fürchtete tatsächlich mehr das Lebende in diesem Wasser. Wer konnte schon genau sagen, was da alles, im Land der Gore, Eishunde und Felsenbären, in so einem verlassenen See herumpaddelte?
Das Wasser ging Antarona bis knapp an die Hüfte, als sie stehen blieb und sich umdrehte. Sie war erstaunt, dass Sebastian noch immer am Ufer stand.
»Was habt ihr, Ba - shtie...«, rief sie zu ihm hinüber, »...kommt, es geht ganz einfach.., fühlt nur mit jedem Fuß die Schritte, so wisst ihr, wohin ihr treten könnt! Nun kommt schon.., oder wollt ihr dort wie ein Baum in die Erde wachsen?«
»...fühlt nur mit jedem Fuß die Schritte...«, äffte er seine Frau leise nach und brummte weiter in seinem Sarkasmus vor sich hin, »...ist ja auch alltäglich, durch so ein Dreckloch zu waten, was? Muss ja unbedingt da durch, koste es, was es wollte.., Weiber! Nichts als Theater mit denen! Aber wehe, wenn dann der Hintern stecken bleibt, wer darf dann wieder den großen Helden spielen..?«
Langsam fühlte sich Sebastian mit den Füßen vorwärts, ertastete jeden Zentimeter des schlammigen Bodens. Ihm war seit jeher unwohl dabei, in ein Gewässer zu steigen, dem er nicht auf den Grund gucken konnte. In so etwas mochten wer weiß was für Tücken stecken!
Seine Unterhose hatte er zu guter Letzt auch noch ausgezogen. Erstens durfte er in dieser Gegend kaum damit rechnen, wegen Erregung öffentlichen Ärgernisses belangt zu werden und zweitens besaß er nur diese fünf Slips, von denen drei bereits nach Seife und Wasser verlangten.., wohlgemerkt klarem Wasser!
Meter für Meter schob er sich in den See hinaus, bemühte sich, zu seiner Gefährtin aufzuschließen. Er blieb nicht stecken, soff nicht ab und wurde auch von keinem im Schlamm verborgenen Tier angegriffen.
Doch ein paar Mal blieb er an versunkenen Wurzeln hängen, stieß sich an untergegangenen Baumstämmen den Fuß an, oder trat auf irgend etwas Spitzes. Jedes Mal dachte er, der letzte Schritt seines Lebens war gekommen.
Bald ging er dicht hinter Antarona her, der die schwarze Brühe immer noch nicht höher als bis zum Bauchnabel reichte. Das aber beruhigte Sebastian wenig, Er blieb angespannt, auch wenn die ganze Aktion harmlos zu verlaufen schien. Rona und Reno hatten inzwischen das jenseitige Ufer erreicht und kämpften sich durch den Morastgürtel.
Endlich, nach unendlichen Minuten des Bangens, schoben auch sie sich durch das zähe Moor, das irgendwann ohne sichtbaren Abschnitt flacher wurde und in Binsengras überging. Dahinter lag der Wald. Eine Art Kiefer wuchs dort, deren lange Nadeln in Fächern angeordnet aussahen, wie kleine Hände, die nach einem griffen.
Frierend stand Sebastian auf dem pieksigen Gras, während Antarona ihre Felle anzog. Er sah sich nach halbwegs sauberem Wasser um, denn der Morast klebte in Flocken an seinem Körper. Wenn er seine Hose darüber zog, so konnte er sie auch gleich weg werfen.
»Lasst es einfach trocknen, Ba - shtie...«, riet ihm die Frau an seiner Seite, die kopfschüttelnd sein Problem erkannte, »...es lässt sich dann ganz leicht abreiben, wie Staub!«
»Aber das Zeug ist dreckig, es versaut mir die ganzen Klamotten!« entgegnete er aufgebracht und fror weiter. Antarona blickte ihn tadelnd an, als zweifelte sie an seinem Verstand.
»Es ist nur Erde, Ba - shtie, dieselbe Erde, welche uns ernährt, welche uns ein Heim gibt, welche uns leben lässt...« Sebastian fuhr ihr über den Mund:
»Es ist mir klar, dass es nur Erde ist.., darum geht es ja! Ich muss das nicht in meiner Kleidung haben.., verstehst du? Allmählich verdrecken wir ja immer mehr bei diesem Ausflug!« Verständnislos sah ihn seine Frau an. Sie konnte nicht begreifen, was er von ihr wollte. Sie waren ohne zu erfrieren über die Berge gelangt, lebend durch den Sumpf gekommen und waren fast am Ziel.
Wieso machte Ba - shtie jetzt noch solche Schwierigkeiten um nichts? Männer! Sie kannte es bereits. Ihr Vater und Tark waren ebenso. Stets waren sie umständlich, wenn alles einfach war, jedoch zu ungestüm, wenn eine Sache mehr Feingefühl verlangte. Sie sahen oft nicht die Dinge, welche sich von selbst erledigten!
»Sieh dich doch mal an...«, forderte Sebastian sie auf, als sie nicht antwortete und deutete an ihrem Körper hinunter, »...du siehst nicht viel besser aus.., alles ist verschmiert!«
In der Tat war ihr Körper vom Bauch an mit Schlamm und Morastflocken bedeckt. Der Hüftschurz klebte ihr nass auf der Haut und starrte vor Dreck. Sebastian fragte sich, wie sie es immer wieder schaffte, dieses winzige, dünne Stück Leder, das sie ständig trug, zu reinigen, ohne dass es auseinander fiel, oder wie eine Kloake stank.
Ein wenig beleidigt wischte Antarona prüfend über ihren Bauch und verschmierte die schwarze, nasse Erde noch mehr. Sie konnte nichts feststellen, was Ba - shtie veranlasste, sich so aufzuregen. In den Bergen und in den Wäldern machte es nichts aus, Mutter Erde auf der Haut zu tragen. Wer sah es denn schon? Außerdem war es nützlich!
»Lasst die Erde an eurem Leib, Ba - shtie...«, riet sie ihm, obgleich sie wusste, dass er ihre Lehre in den Wind schlagen würde, »...wenn es trocknet, schützt es euch vor den Stichen der Gla-hins, der kleinen Plagegeister der nassen Wälder!«
»Ich denke gar nicht daran...«, gab er trotzig zurück, »...bleib du nur in deinem Dreckmantel.., fein siehst du aus, das muss ich schon sagen!« Er gab sich keine Mühe, seine Ironie zu verbergen, was wiederum Antarona provozierte.
»Was ist, Ba - shtie.., findet ihr meinen Leib nicht mehr schön und begehrenswert, nur weil Mutter Erde an ihm ist?« Sie bekam plötzlich diesen funkelnden Blick, der Sebastian warnte. Wie, um seine Ahnung zu bestätigen, setzte sie ihren verbalen Konter fort.
»Wollt ihr meine Wärme nicht mehr, welche euch die Zeit der schlafenden Sonne verschönt? Sagt.., teilt ihr nicht mehr die Felle mit En - gel - sen, weil ihr sie für schmutzig haltet, ja.., ist das so?«
Ihre Stimme bekam einen gefährlichen Unterton, den Sebastian bereits kannte. Es war zum verrückt werden! Er wollte doch nur den Dreck von seiner Haut waschen.., in einer Gegend, die sowieso nicht viel Hygiene zuließ. Wieso entstand aus so einer Lappalie gleich ein Streit?
Als er nicht sofort eine beschwichtigende Antwort gab, fühlte sich Antarona in ihrer zuerst nur gespielt geäußerten Aussage bestätigt. Sie riss sich demonstrativ den gerade angezogenen Fellponcho vom Leib und warf auch noch die Pelzweste hinterher. Mit schnippischem Blick zu Sebastian ging sie an ihm vorbei zum Ufer hinüber, legte sich in den Morast und beschmierte sich erst recht mit der aufgeweichten Erde.
»Seht her, Mann von den Göttern...«, forderte sie ihn heraus, indem sie sich aufreizend im Moor suhlte, »...Sonnenherz, die ihr so begehrt, ist überall mit Erde bedeckt.., seht ihr? Wollt ihr noch diesen Leib, der so mit Dreckmantel ist, ja.., wollt ihr noch mit ihr unter einem Fell schlafen?« Dabei verteilte sie immer mehr schwarzen Schlamm auf ihrer Haut.
Sebastian fand das kindisch und völlig überzogen. Er wollte dem Spektakel ein Ende machen und war mit drei Schritten bei ihr. Ohne auf den Schmutz zu achten, zog er sie aus dem Morast hoch, schnappte sie um die Taille und trug das strampelnde, wütende Wesen auf das trockene Gras. Nicht gerade behutsam stellte er sie auf den Boden, hielt ihre Hüfte mit den Armen umklammert und zog sie fest an sich.
»So, du kleine Kratzbürste.., damit du siehst, dass mir deine Erde nichts, aber auch gar nichts ausmacht! Darum ging es nämlich nicht, aber das wolltest du ja erst gar nicht hören, nicht wahr? Und jetzt werde ich dich so lange fest halten, bis du wieder vernünftig geworden bist!«
Antarona wollte nun erst recht aufbegehren und ihren Ba - shtie mit einem wahren Krescendo von Drohungen überschütten, als sie etwas vernahm, das sie erstarren ließ. Sebastian bemerkte ihre plötzliche Versteifung und verstand das Alarmsignal. Eine Sekunde später erfasste sein Blick Reno und Rona, die stocksteif vor ihnen standen und leise den Wald anknurrten.
Irgend etwas hatten die beiden mit ihren feinen Sinnen aufgespürt, das Antarona und er nicht sehen konnten. Es musste etwas sein, von dem Gefahr ausging, sonst hätten sich Balmer Hunde nicht so verhalten. Sebastian ließ seine Frau los und augenblicklich verstanden sie sich wieder ohne ein Wort und waren auf ein gemeinsames Ziel fixiert, das sie aber noch nicht lokalisieren konnten.
Antarona kümmerte sich nicht weiter um den Schmutz auf ihrer Haut. Langsam, jeden ihrer Sinne angespannt, hängte sie sich Nantakis um und nahm Bogen und Pfeile zur Hand. Sebastian griff sich sein Schwert und sah seine Gefährtin still fragend an. Seinen Bogen ließ er liegen, denn er war noch zu unsicher mit dieser Waffe. In akuter Gefahr vertraute er mehr auf das, was er sicherer handhaben konnte.
Sie starrten den Waldrand an und warteten. Antarona schien sich nur noch auf die Bäume und auf das, was dahinter war zu konzentrieren. Sie bewegte sich nicht einen Millimeter und Sebastian hatte schon Angst, sie würde aufhören zu atmen.
Reno und Rona standen immer noch in drohender Haltung da, ihre Flanken zitterten leicht, was von der inneren Anspannung zeugte. Die beiden spitzten die Ohren und ließen hin und wieder ein drohendes Knurren hören.
»Robrums...«, fragte Sebastian im Flüsterton, »...oder ein Felsenbär?« Antarona schüttelte kaum merklich den Kopf.
»Nein, Ba - shtie, die kommen nicht in die Sümpfe, auch keine Gore. Das ist etwas anderes«, gab sie so leise zurück, dass er sie kaum verstand. Dann hockte sie sich ganz langsam nieder, nahm mit einer Hand Erde auf und beschmierte damit den Rest ihres Oberkörpers und das Gesicht, ohne den Wald auch nur für einen Lidschlag aus den Augen zu lassen.
Wäre die unbekannte Bedrohung nicht so spürbar gewesen, hätte Sebastian meinen können, sie setzte das trotzige Spiel von vorhin fort. Doch die Lage schien zu ernst zu sein und brachte ihn dazu, sich ebenfalls zu tarnen. Anschließend verfiel Antarona in einen traumwandlerischen, kaum hörbaren Singsang.
Kurz darauf segelten Tekla und Tonka heran und landeten direkt vor ihren Knien. Reno und Rona ließen sich von den beiden Schwarz gefiederten diesmal nicht aus der Ruhe bringen. Sie waren nach wie vor wie Salzsäulen auf den Waldrand fixiert.
Wie mochte das mit den Krähen funktionieren, dachte Sebastian insgeheim. Jedes Mal, wenn Antarona sie rief, und das tat sie ja nicht unbedingt so laut, dass es über Berge und Wälder hallte, erschienen die beiden Vögel nur Minuten später. Basti kam zu dem Schluss, dass sie immer irgendwo in der Nähe von Antarona blieben. Doch wo waren sie, als ihre menschliche Freundin in Not war und beinahe in dem schwarzen Tümpel ertrunken wäre? Er hatte da nichts von ihnen entdecken können.
Nicht lange, dann breiteten Tekla und Tonka ihre Flügel aus, hoben elegant ab und flogen über den Wald davon. Nun warteten sie. Sebastian kannte das schon. Inzwischen irgendwo in Deckung zu gehen war nicht möglich, denn es gab keine! Einzig der Wald bot einen leidlichen Schutz, doch gerade dort schien ja die unsichtbare Gefahr zu lauern.
Es vergingen kaum drei Minuten, die ihm aber wie Stunden vorkamen, da glitten die beiden Krähen schon wieder aus den Baumwipfeln heran. Auf welche Weise Antarona ihnen ihre Informationen entlockte, konnte Sebastian immer noch nicht richtig nachvollziehen. Doch als die Vögel wieder verschwunden waren, drehte sich das Krähenmädchen abrupt und mit zornigem Gesicht zu Sebastian um.
»Es sind die wilden Horden.., Torbuks schwarze Reiter!« verkündete sie mit hasserfüllter, leiser Stimme, »...sie lagern auf einer Lichtung jenseits der Bäume, am Pfad, welcher in das Land der Oranuti führt.« Sebastian sah Antarona erstaunt an.
»Was.., in dieser ungemütlichen Gegend gibt es noch Wege?« Antarona nickte bestätigend und fügte erklärend hinzu:
»Ja, Ba - shtie.., es ist ein Pfad aus dem Holz der Bäume. Er führt von Quaronas nach Chihantrà, der nächsten Stadt in Oranutu. Die Sklaven der Ival haben ihn gebaut.., unter den Peitschen der schwarzen Pferdesoldaten!« Den zweiten Teil des Satzes sprach sie betont langsam aus, mit dem Klang abgrundtiefer Verachtung, so dass Sebastian ein kalter Schauer über den Rücken lief.
»Was wollen wir jetzt tun...«, wollte Sebastian wissen, »...den Wald weit umgehen, oder...« Antarona schnitt ihm mit einer Handbewegung das Wort ab.
»Wir werden so leise, wie die fallenden Blätter im Wind sein und wir werden sehen, was diese Kadaver dort tun!« bestimmte sie. Sebastian gefiel das gar nicht. Zu oft für seinen Geschmack waren die Begegnungen mit Torbuks Leuten eskaliert und jedes Mal hatten sie nur Glück, dass sie mit heiler Haut davongekommen waren.
»Weißt du denn, wie viele es sind?« fragte er seine Frau vorsichtig, um nicht sofort seine Ansicht preis zu geben, lieber Reißaus zu nehmen.
»Viele.., es sind viele, Ba - shtie.« Diese Tatsache schien sie nicht zu beunruhigen, denn sie machte keine Anstalten, so schnell wie möglich aus diesem Gebiet zu verschwinden.
»Sollten wir dann nicht lieber...« Sebastian wollte einen geordneten Rückzug vorschlagen, doch Antarona unterbrach ihn abermals.
»Reibt euch mit viel unserer Mutter Erde ein, Ba - shtie...«, forderte sie ihn auf und ging zum morastigen Seeufer hinüber, »...nun macht schon, Glanzauge, viel davon auf die Haut reiben, auch auf das Gesicht und in die Haare!« Sebastian starrte sie entgeistert an.
»Was soll das denn jetzt wieder.., was hast du vor?« Sebastian schüttelte angewidert den Kopf und hob abwehrend die Hände.
»Nein, nein.., das kannst du vergessen, mein Engelchen, nicht diesen Matsch.., nicht auf meinen Körper...« Antarona sah ihn mit großen, durchdringenden Augen an und beschwor ihn:
»Ba - shtie.., tut es.., tut es jetzt! Wir müssen schnell machen, solange die Sonne das Land erwärmt!« Sebastian wollte aufbegehren.
»Ja, was wollen wir denn machen? Weihe mich ja nicht in deine geheimnisvollen Pläne ein!« setzte er noch sarkastisch hinzu. Antarona antwortete nicht, sondern wühlte im Schlamm herum, den sie sich dick auf die Haut auftrug.
»Nein, ich dank’ ja gar nicht daran.., ich mach’ das nicht...«, legte Sebastian für sich fest, »...ständig ist man hier mit irgend welchem Dreck behaftet, das reicht jetzt langsam!« Antarona schlug zornig mit der Hand in das Moor und verspritzte es meterweit um sich herum.
»Ba - shtie - laug - nids.., jetzt macht endlich..., tut einmal das, was Sonnenherz euch sagt und macht die Erde auf eure dehm - lisch - hen Haut!« zischte sie ihm wütend zu. Dabei bediente sie sich bewusst der Worte, die er selbst ihr zugerufen hatte, als sie im grundlosen Loch des Tümpels zu ertrinken drohte. Das zeigte Wirkung.
Sebastian seufzte verzweifelt, zog wieder seine Klamotten aus und begann ebenfalls damit, sich in einen Dreckspatz zu verwandeln. Was sollte er auch sonst tun? Er war auf seine Gefährtin angewiesen, es war ihr Land! Ohne sie hätte er sich bereits hoffnungslos verlaufen und wäre wahrscheinlich irgendwo verhungert!
Nach dem Schlammbad ließen sie alles, außer ihren Waffen zurück. Wie unheilvolle Geister schlichen sie in den Wald.
Antaronas Anblick war schier zum Fürchten. Eine afrikanische Voodoo-Kriegerin konnte kaum mehr Schrecken verbreiten. Ihre vom Schlamm verklebten Haare hingen ihr in groben, schwarzen Strähnen vom Kopf, wie die Beine einer übergroßen Spinne. Eine schwarze Schicht bedeckte ihren nackten Körper und selbst an ihrem Hüftschurz haftete die dunkle Erde. Allein ihre großen Augen und zwei weiße Striche, die sie sich auf die Wange gezeichnet hatte, ließen ein lebendiges Wesen erkennen.
Sebastian selbst hatte seine Hose anbehalten. Das dunkle Leder war Tarnung genug. Oberkörper, Gesicht, Arme und Haare strotzten jedoch vor Dreck. Die dicke Schlammpackung trocknete allmählich auf seiner Haut, juckte und ziepte an den behaarten Stellen.
»Lasst die Erde auf der Haut, Ba - shtie...«, hörte er seine Gefährtin neben sich flüstern, »...auch wenn sie tut, wie tausend Plagegeister des Waldes!« Ihr entging anscheinend nichts, stellte er mit gemischten Gefühlen fest.
Reno und Rona schlichen voran, Antarona und Sebastian folgten ihnen im Schatten der Bäume. Sie stahlen sich von Baum zu Baum, nutzten jeden dickeren Stamm als Deckung und spähten aufmerksam voraus. Der Waldboden war nass und aufgeweicht. Offenbar reichte das Hochwasser regelmäßig bis weit in den Wald hinein. Das ermöglichte ein beinahe geräuschloses Anpirschen. Allerdings nur beinahe! Ab und zu schmatzte und gurgelte es unter ihren Füßen, wenn sie den Boden mit ihrem Gewicht belasteten. Dann erstarrten sie, verschmolzen optisch regelrecht mit den Bäumen, verharrten und lauschten, ob sich irgendwo etwas rührte.
So ging das eine ganze Weile. Von Baum zu Baum huschen, warten, weiter huschen und wieder Deckung nehmen. Trotz der Kälte schwitzte Sebastian. Er konnte nicht sagen, ob es an dem trocknenden Morast auf seiner Haut lag, oder eher an der Anspannung, unter der er kaum zu atmen wagte.
Bei jeder Bewegung hatte er das Gefühl, seine Haut wollte sich in großen Schuppen von seinem Körper lösen. Und er war mehr als einmal versucht, sich zu kratzen. Doch die pure Angst vor dem Unbekannten, das noch kommen sollte, ließ die Disziplin über sein Empfinden siegen.
Anders Antarona. Sie schien sich ausschließlich von ihren Gefühlen leiten zu lassen, die so sehr mit den Gegebenheiten dieses Landes verbunden waren, dass sie schon Vernunft selbst waren. Für sie war alles selbstverständlich, sie schien jeder Situation gewachsen und bewegte sich, als wäre sie von Wölfen aufgezogen worden.
Lautlos, als unscheinbarer Schatten gab sie Sebastian das perfekte Beispiel einer Kriegerin, die es verstand, sich selbst an einen Felsenbären unbemerkt heran zu schleichen. Sebastian bemühte sich, es ihr nach zu tun, doch er merkte sehr schnell, wo er an seine Grenzen stieß, und war es nur das Geräusch eines Zweiges, der ihm ins Gesicht peitschte, oder das winzige Stück Holz, das unter seinem nackten Fuß zerbrach.
Plötzlich blieben Balmers Hunde stehen. Sie knurrten nicht, bellten nicht, sondern stellten nur ihre Ohren auf, was Antarona als Signal genügte. Sofort ging sie zu Boden und arbeitete sich mit der Biegsamkeit einer Eidechse weiter vor.
Sebastian versuchte das ebenfalls und stellte dabei überrascht fest, dass es eine Vielzahl Muskeln in seinem Körper gab, die er noch nie in Anspruch genommen hatte. Entsprechend ungelenk gestaltete sich seine Fortbewegung. Auch mit größtmöglicher Körperbeherrschung konnte er ein Rascheln, oder Scharren nicht ganz vermeiden.
Lange mussten sie sich nicht auf dem Bauch durch das Unterholz schieben. Auf einem Mal lag die von Antarona angekündigte Lichtung vor ihnen. Es war ein ziemlich großes Gelände, in dessen Mitte einige Tümpel und sumpfige Seen glänzten. Auf der gegenüber liegenden Seite begrenzte etwas den fehlenden Baumbestand, das sich wie eine lange, flache Brücke durch das Land zog.
»Der Pfad nach Oranutu«, hauchte ihm seine Frau ins Ohr. Sebastian nickte und zeigte auf etwas, das ihm augenblicklich wichtiger erschien. Mindestens sechs oder sieben von Torbuks Reitern hatten sich zwischen dem Wald und den Morasttümpeln ein Lager eingerichtet. Die Pferde hatten sie jenseits der langen Holzbrücke angebunden.
Die Pferdesoldaten hatten ihre Rüstungen abgelegt und schienen die letzten Stunden des Tages zu genießen. Drei von ihnen lümmelten im Gras herum, zwei putzten ihre Waffen und zwei beschäftigten sich mit etwas, das Sebastian nicht gleich erkennen konnte. Am Rand des ersten Teiches hatten sie so etwas wie Kisten aufgebaut, an denen die beiden schwarzen Krieger herumfingerten.
An sich wäre daran nichts besonderes gewesen, wenn... Also.., diese Kisten strahlten! Sie gaben einen hellen Schein von sich, als würden sie brennen. Zweige und struppiges Gras behinderten jedoch Sebastians Sicht, so dass er nicht genau sagen konnte, was dort geschah. Vorsichtig wollte er das Gestrüpp auseinander biegen, um besser sehen zu können.
Antaronas Hand legte sich auf seinen Arm und hielt ihn zurück. Ihr schwarzes Gesicht sah ihn mit großen, scheinbar leuchtenden Augen an und sie schüttelte betont langsam den Kopf. Still gab sie ihm das Zeichen zum Rückzug und ihre Hand zog ihn behutsam mit sich, zurück in Deckung.
»Es sind Jäger von Mó-ha-ná.., Elsirenfänger, Ba - shtie...«, erklärte sie ihm leise, »...Sonnenherz hatte es vermutet!« Sebastian zeigte mit fragendem Blick zur Lichtung.
»Du meinst...?« Er brauchte seine Frage nicht zuende zu stellen. Antarona verstand ihn auch so und bestätigte seine Vermutung. Sie nickte bedeutsam und zischte voller Hass:
»Diese stinkenden Hunde fangen Elsiren und bringen sie fort.., nach Quaronas. Dort werden sie gegen Quarts, Mestas oder Waffen getauscht, je nach Belieben!«
Sebastian war entsetzt. Diese kleinen friedlichen und liebenswürdigen Geschöpfe, die seiner geliebten Frau das Leben retteten, wurden keine dreißig Meter entfernt gefangen und versklavt, wie das Volk der Ival selbst. Er sah Antarona unsicher an.
»Aber wieso? Welchen Nutzen haben die davon?« Seine Gefährtin wurde auf einem Mal sehr traurig und er spürte förmlich, wie nahe ihr die Situation der kleinen Elfenwesen ging. Tapfer rang sie ihre Tränen hinunter und erzählte mit zitternder Stimme:
»Sie benutzen sie nur, die kleinen Lichtgeister der Götterwesen.., sie benutzen sie, wie Wurek und Fister das kleine Grautier benutzte, als wir im Wald über dem See lagerten.« Dann wurde Antaronas Blick starr, er gefror regelrecht zu einer hassverzerrten Maske.
»Diese Misthunde benutzen sie zur Kurzweil, Ba - shtie.., sie berauschen sich an dem Gefühl des Glücks, welches von ihnen ausgeht! Sie halten sie in Käfigen, oder in Gefäßen gefangen und lassen sich von ihrer Nähe die schmutzigen Sinne berauschen. Das tun sie so lange, bis die Elsiren durch Hunger, Einsamkeit, oder Misshandlung zu den Göttern gerufen werden.«
Sie machte eine kleine Pause und wischte sich die Tränen aus den Augen. Ihre Trauer ging Sebastian fast näher, als die Tatsache, dass diese kleinen Geister der Sümpfe von bösen Menschenwesen für niedere Zwecke missbraucht wurden.
»Manchmal...«, berichtete das Krähenmädchen weiter, »...trinken die Soldaten Mestas, oder Mestastan dazu, wenn sie sich an den kleinen Geistern des Glücks berauschen. Ihre Sinne sind dann vergiftet von Shé-vú!«
»Was ist Sche-wu...«, fragte Sebastian dazwischen. Antarona reagierte jedoch nicht auf seine Frage, sondern setzte ihre erschütternde Veranschaulichung fort.
»Dann holen sie sich die Frauen des Volkes, welche ihre Gefangenen sind, oder sie gehen zu ihren eigenen Frauen und tun ihnen Gewalt an. Sie tun dann schlimme Dinge mit uns. Viele unserer Töchter und Schwestern werden danach niemals wieder ein kleines Herz unter ihrem Herzen tragen können. Oft werden sie danach zu den Göttern gerufen, denn Elsiren und Mestas zusammen macht die Menschenwesen na-ta-tie.., ohne Verstand.«
Sebastian musste nicht mehr fragen, was Shé-vú ist, denn Antarona hatte es deutlich genug beschrieben. Das, was sie ihm da erzählte, war das mit Abstand Niederträchtigste, was er seit langen gehört hatte. Er begriff immer mehr den Hass gegen die Besatzer dieses Landes, den diese kleine Frau in sich trug.
»Also, die sind so etwas, wie Glücksfänger...«, versuchte Sebastian sich die Lage der Dinge zu verinnerlichen.
»Nein, Ba - shtie.., das sind sie nicht...«, berichtigte ihn seine Frau bestimmt, »...denn sie jagen das Glück zur Kurzweil.., sie tun ihm Böses an.., sie zerstören es! Sie verachten und nehmen sich jenes mit Gewalt, das die Götterwesen einst den Menschenwesen als größte Gabe schenkten. Doch sie schenkten es den Menschenwesen nicht, dass sie sich nach Gelüsten daran bedienen! Sie gaben es als höchstes Gut und es sollte die guten Herzen unter den Menschenwesen selbst finden und zu ihnen gehen...«
»...so, wie sie unsere beiden Herzen am See deines Vaters gefunden haben!« beendete Sebastian den Satz für sie.
»Ja, Ba - shtie...«, bestätigte sie, »...so ist es von Alters her bestimmt.., so sprechen es die Zeichen in den Tränen der Götter, welche ihr in den Hallen von Talris saht. Die Elsiren sind den Ival heilig. Doch jene dort...«, Antarona wies zur Lichtung hinter den Bäumen hinüber, »...sie spotten den Göttern.., sie sehen nur ihre Tränen, die ihnen ebenso wie Mestas die Sinne rauben und viel Leid und bösen Geist über das Land bringen.«
Sebastian blickte beschämt zu Boden. Er selbst war einer von den Menschen, die dem Gold, den Tränen der Götter hinterher gejagt waren. Bis in die hohen Berge hatte ihn seine Hand voll versteckter Goldmünzen getrieben. Ihretwegen befand er sich nun in diesem Land.
War etwa genau das der Grund für seinen Aufenthalt in dieser Welt? Gab es etwas noch viel Mächtigeres zwischen Himmel und Erde, als die kleinen zänkischen Menschen mit ihrem technischen Fortschritt und ihrer vermeintlich allwissenden Überheblichkeit? Etwas Göttliches, das ihm aufzeigen wollte, was Leben bedeutet, was Leben wirklich erst lebenswert macht? Das zumindest, so unglaublich es auch klang, machte einen Sinn!
Antarona.., war sie ihm als seine Lehrerin bestimmt, auf seinem Weg zur Erkenntnis? Es würde erklären, warum sie Janine so ähnlich war, jener Frau, die ihm einmal mehr als jeder andere Mensch vertraut war.
»Ba - shtie.., was habt ihr..?« holte sie ihn wieder aus seinen Gedanken zurück. Antaronas Blick stellte mehr als nur eine Frage.
»Ach nichts.., es geht mir gut...«, wehrte er ihre Sorge ab, »...aber was machen wir jetzt?« Sebastian war zweierlei klar. Erstens würde das Krähenmädchen an seiner Seite nicht tatenlos zusehen, wie Torbuks Männer die heiligen Elsiren fingen und fort schleppten, denen sie nun auch ihr Leben verdankte, und zweitens konnte er selbst ebenfalls keinen großen Bogen um die Lichtung schlagen und so tun, als sei alles in Ordnung.
Nachdem ihm diese kleinen Wesen geholfen hatten, Antarona aus dem Sumpf zu befreien, gingen sie ihn auch etwas an. Er fühlte sich diesen unwirklichen Geschöpfen verpflichtet, deren Existenz er noch vor einem halben Jahr für ein Märchen aus uralter Zeit gehalten hätte. Ja, sie mussten etwas unternehmen!
»Vielleicht...«, überlegte Sebastian für Antarona hörbar, »...können wir warten, bis die Sonne geht und uns im Dunkeln in ihr Lager schleichen und die Elsiren befreien...«
»...und die stinkenden Kadaver der Reiter dann hinter uns wissen, weil sie uns dann verfolgen werden?« fragte seine Gefährtin verächtlich zurück.
»Nein, Ba - shtie.., wir werden es so tun, wie eine Kriegerin der Ival handelt, wenn grausame Wesen in ihr Land kommen und das Heiligste unter dem Schutz der Götter rauben und vernichten wollen!« stellte sie fest. Sebastian erkannte an ihrem Tonfall, dass es zwecklos war, sie noch umstimmen zu wollen.
»Na schön...«, gab er nach, »...aber wie stellst du dir das vor? Wollen wir die einfach frontal angreifen.., wir Zwei und die beiden Hunde? Ich denke, da beziehen wir mächtig Prügel, selbst, wenn wir das Glück haben, sie im Schlaf zu überraschen«, spielte er die Möglichkeit gedanklich durch. Dann sah er seiner Frau in die Augen und ermahnte sie beschwörend:
»Antarona.., die sind einfach zu viele! Wir haben selbst mit dem Wohlwollen der Elsiren nicht immer das Glück, dass uns ein Arrak zu Hilfe eilt, oder dass...«
»...So müssen wir mit der List des Volkes kämpfen, Glanzauge...«, beschwichtigte sie ihn, »...gebt gut acht, Mann mit den Zeichen der Götter, ihr dürft nun lernen, wie eine Kriegerin der Ival kämpft! Eine aus dem Volk kämpft nicht wie die räudigen Hunde der Wilden Horden gegen die Götter und die Erde, welche die Mutter der Menschenwesen ist, sondern sie kämpft mit ihr in Einheit, so, wie sie auch mit ihr im Einen lebt!«
Damit setzte sie sich geräuschlos in Bewegung und ging einfach davon aus, dass ihr der Mann mit den Zeichen der Götter fraglos folgte. Sie schlichen durch den Wald, nördlich der Lichtung, weit um das Lager der Banditen herum. Irgendwann gebot Antarona zu halten.
Sie hockte sich zu Boden und witterte wie eine Raubkatze in die Luft, als könnte sie den Standort des feindlichen Lagers durch ihren Geruchssinn bestimmen. Möglicherweise konnte sie es sogar.., wer wusste das schon so genau?
Antarona änderte die Richtung und kroch auf allen Vieren weiter. Eine Schlange konnte sich vermutlich nicht unbemerkter durch das dichte Unterholz schieben und Sebastian hatte Mühe, hinter seiner Frau zu bleiben. Sie wand sich um Grasbuckel herum, schlängelte sich unter umgestürzten Baumstämmen hindurch und kroch ohne zu halten durch Morastpfützen.
Ihr Anblick erinnerte eher an eine Amphibie, denn als an ein menschliches Wesen. So gut passte sie sich an ihre Umgebung an, und verschmolz optisch mit dem Gelände, dass sich Sebastian ihre Position gut einprägen musste, wenn sie einmal kurz verharrte, sonst hätte er sie schlicht aus den Augen verloren.
Auf diese Weise arbeiteten sie sich näher an Torbuks Gesindel heran, als einem ängstlichen Basti Lauknitz lieb war. Plötzlich wich vor ihnen der Schutzmantel der Bäume und gab den Blick auf das Lager der schwarzen Reiter frei. Sebastian war erschrocken, wie nahe sie ihnen tatsächlich waren. Deutlich konnte er die Stimmen ihrer Feinde hören und wäre er ihrer Sprache mächtig gewesen, hätte er ihren Dialogen beiwohnen können.
Ebenso hatte sie die Distanz zu dem beachtlichen Bauwerk verkürzt, das Sebastian an eine einfache, flache Holzbrücke erinnerte. Der mächtige Holzsteg stand auf dicken Stützpfeilern, die je nach Gelände ein bis drei Meter aus dem Boden ragten. Beindicke Streben und Querhölzer gaben dem Ganzen einen stabilen Halt. Darüber waren baumstarke Planken aneinander gefügt und befestigt, so dass alles eine horizontal gerade, hölzerne Straße ergab.
Dieses Bauwerk, das Antaronas Bericht zufolge von den versklavten Ival errichtet wurde, zeugte von einer etwas höher entwickelten Architektur, die Sebastian an dieser Stelle nicht vermutet hätte. Der Holzweg führte auf der einen Seite aus dem Wald heraus, überquerte die Lichtung mit all ihren moorartigen Untiefen und trat dann an der anderen Seite wieder zwischen die schattigen Bäume ein.
Nicht mehr als zwanzig bis dreißig Meter trennten Antarona und Sebastian von dem unnatürlichen Wall, der das Land optisch zerteilte. Dazwischen, in der feuchten Senke, lagerten die Pferdesoldaten Torbuks direkt vor den im Dickicht verborgen liegenden Beobachtern. Reno und Rona waren links von Sebastian in Stellung gegangen und rührten sich nicht, als spürten sie genau, dass nun absolute Stille und Konzentration gefragt waren.
Gerade kam ein Reiter gebückt unter dem Holzweg hindurch und gesellte sich zu seinen Kameraden. Aha.., noch einer mehr! Sebastian zeigte Antarona acht seiner Finger, zum Zeichen, dass sie mit einem Reiter zusätzlich rechnen mussten. Sie antwortete, indem sie ihm neun Finger entgegen hielt und wies anschließend zum gegenüber liegenden Waldrand.
Dort entdeckte Sebastian noch einen Mann, der offenbar Reisig für das Feuer zusammentrug. Er sah seine Frau erwartungsvoll an und zeigte ihr stumm seine Handflächen. Dazu zuckte mit den Schultern, denn er wusste immer noch nicht, was Antarona vor hatte. Fragen traute er sich nicht, denn selbst ein Flüstern konnte von ihren Gegnern möglicherweise gehört werden, so nahe waren sie ihnen!
Antarona antwortete nicht, sondern spannte ohne ein Geräusch zu verursachen ihren Bogen auf. Das wiederum brachte Panik in Bastis Gesicht. Was zum Donnerwetter hatte sie nun wieder vor? Sie konnte die Reiter doch nicht ernsthaft einen nach dem anderen abschießen wollen?
Selbst, wenn sie im günstigsten Fall drei von ihnen erwischte, musste der vierte oder fünfte unweigerlich Alarm schlagen. Dann hatten sie es immer noch mit vier starken Kerlen zu tun, die ihnen kräftemäßig weit überlegen waren! Er zog eine deutliche Grimmasse und zeigte dann seinen fragenden Blick.
Antarona verstand seine stille Sorge und legte ihm zur Beruhigung ihre Hand auf den Arm. Sie bedeutete ihm in Zeichensprache, dass sie gar nicht vor hatte, auf die Reiter zu schießen. Statt dessen wies sie mit der Bogenspitze auf etwas, das wie eine große Frucht unter dem Gebälk der hölzernen Straße angebracht war. Sebastian verstand sie nicht, auch konnte er sich nicht erklären, was sie ihm da zeigte. Es besaß die gleiche Farbe, wie das Holz und hätte sie ihn nicht darauf aufmerksam gemacht, so hätte er es glatt übersehen.
Das seltsame Ding war ein wenig größer, als ein menschlicher Kopf und ähnelte von der Form her einer Pflaume, oder einem nach unten hin spitz zulaufenden Kürbis. Sebastian sah näher hin und entdeckte noch drei weitere dieser unrunden Holzkugeln, die ebenfalls unscheinbar unter dem Aufbau hingen.
Antarona wartete, bis auch der nach Holz suchende Reiter wieder im Lager war. Dann spannte sie den Bogen. Sebastian hielt den Atem an, denn er kannte immer noch nicht die Einzelheiten ihres Plans.
»Gal-ná-rò.., die schmerzende Plage...«, flüsterte ihm Antarona ins Ohr, »...sie wird mit Glanzauge und Sonnenherz kämpfen.., seht genau hin!« Fast gleichzeitig ließ sie die Sehne fahren und ihr Pfeil sirrte davon. Die Pferdesoldaten sahen und hörten ihn nicht, doch drüben am Gebälk des Holzweges schlug er in die vordere Kugel ein. Das Ding wackelte und fiel zu Boden.
Schon zischte der zweite Pfeil los, traf eine weitere Kugel, die sofort auf die Erde schlug und halb auseinander brach. Während der dritte Pfeil lautlos über die Köpfe der schwarzen Soldaten hinweg flog, sah Sebastian etwas, das ihn zunächst an einen bösen Zauber erinnerte.
Aus der zweiten, zerbrochenen Kugel strömte eine dunkelgraue Wolke aus, wie der Geist aus einer verzauberten Flasche. Sie breitete sich wie ein Schatten aus und schien sich dann als dunkler Belag an eine der Stützen zu heften. Inzwischen waren auch die dritte und vierte Kugel zu Boden gestürzt. Nach und nach entflohen auch den anderen Holzbällen Unheil verkündende Wolken.
Wie ein schwarzer Nebel breiteten sich die Wolken langsam über dem Gelände aus und auch die erste löste sich wieder vom Stützpfeiler und vereinte sich mit den anderen. Antarona griff inzwischen zu ihrem Schwert und auch Sebastian umklammerte Krampfhaft den Griff seiner Waffe, ohne genau zu wissen, was eigentlich geschah. Sie verharrten im Dickicht, warteten und beobachteten.
Ein unheilvolles Summen drang mit einem Mal an Sebastians Ohr, dass immer lauter wurde, je näher die Wolke an das Lager heran rückte. Da wurde ihm plötzlich klar, was Antarona heraufbeschworen hatte. Ihre Pfeile hatten nichts geringeres als Wespen- oder Hornissenkörbe von den Balken geschossen.
Die kleinen Tiere waren nun freilich sehr erbost über diese Störung und suchten nach dem Schuldigen. Dabei würden sie kaum zu unterscheiden wissen, welches Menschenwesen ihnen das Dach über den Köpfen zusammengeschossen hatte.
Mittlerweile vernahmen wohl auch die schwarzen Reiter das intensiver werdende Summen. Sie erhoben sich von ihrem Lager, oder hielten in ihrer Beschäftigung inne und suchten nach der Ursache.
»Gal-ná-rò!« schrie einer von ihnen unvermittelt, ließ fallen, was er in der Hand hatte und lief blindlings los. Sofort kam auch Bewegung in seine Kumpane, doch es war bereits zu spät. Wie ein böser Fluch war die Wolke plötzlich über ihnen und fiel gnadenlos über sie her.
Die Soldaten brüllten, schrieen und schlugen wie wild um sich. Doch es nützte ihnen nichts. Welche Tiere auch immer Antarona in ihrer Ruhe gestört hatte, sie nahmen grausame Rache an allem, was sich bewegte. Und Torbuks Reiter bewegten sich! Sie tanzten mit den Armen rudernd herum, hüpften, wälzten sich auf dem Boden, oder flohen ganz einfach in heilloser Panik und rannten ziellos in den gegenüberliegenden Wald hinein.
Zwei der Reiter suchten ihre Rettung im Wasser der Tümpel und sprangen in voller Kleidung hinein. Die Wespen oder Hornissen stachen auf alles ein, was sich auch nur rührte. Auch die Pferde der Soldaten blieben nicht verschont. Sie bäumten sich auf, rissen an den Lederriemen, mit denen sie an das Gebälk der Straße gebunden waren, bis sie sich losreißen konnten und in vollem Galopp davon trabten.
Ein mächtiger Schwarm kam auch auf Antarona, Sebastian und die Hunde zu. Nun bekommen wir die Quittung für deinen super blöden Einfall, dachte Sebastian und sah mit nackter Angst in seinem Gesicht Antarona an. Die erkannte die Panik in seinen Augen und zischte ihm schnell zu:
»Haltet euren Mund und die Augen zu, Ba - shtie, und rührt euch nicht..! Nicht rühren!« wiederholte sie noch einmal ausdrücklich, dann verbarg sie ihr Gesicht rasch im Waldboden. Sebastian folgte ihrem Beispiel, zitterte vor Angst aber so heftig, dass er glaubte, gerade deshalb von diesen Insekten zu Tode gestochen zu werden.
Dann war der todbringende Schwarm über ihnen. Das Summen wurde unerträglich und steigerte sich zum infernalischen Lärm. Die Welt schien nur noch erfüllt von angriffslustigen, tödlichen Stachelträgern. Sebastian hielt die Luft an und betete zum ersten mal in seinem Leben zu so etwas wie einem Gott.
Doch er spürte keinen Stich, keinen Schmerz, keine Lähmung, noch sonst irgend etwas, das sein Leben bedrohte. Allein ein tausendfaches Gekrabbel und Gewimmel schien seinen Körper zu erobern. Es war, als setzte ihn jemand unter schwachen Strom, wie er durch Weidezäune floss.
Die dicke Schlammschicht, mit der sie sich eingerieben hatten, war inzwischen getrocknet und wirkte wie eine schützender Panzer. Kein Stich erreichte ihre Haut und Sebastian grub zusätzlich seine Hände und Füße in die Erde, weil er befürchtete, dass der Morast mittlerweile von ihnen abgefallen war.
Durch das Brummen und Summen hindurch hörten sie immer wieder die Reiter schreien. Schreie so voller Entsetzen und Verzweiflung hatte Sebastian noch nie von ausgewachsenen Männern gehört, noch viel weniger von welchen, die gewohnt waren, selbst wahllos grausam zu töten, wo und wann es ihnen in den Sinn kam. Nun erfuhren sie, welches Leid sie so oft selbst verbreitet hatten. Doch sie würden diese Erfahrung mit in das Reich der Toten nehmen!
Vielleicht eine halbe Stunde nach dem Angriff der Killerinsekten, Sebastian kam es eher wie eine Ewigkeit vor, spürte er Antaronas Hand auf seinem Arm. Anscheinend wollte sie ergründen, ob er ihren wahnwitzigen Einfall überlebt hatte. Immer noch mit der Angst im Nacken zuckte er nur kurz mit dem Muskel.
»Ihr könnt nun aufstehen, Ba - shtie.., es ist vorbei«, hörte er sie plötzlich sagen, indem sie sich aus dem Dickicht erhob. Dann gingen sie mit kampfbereiten Schwertern durch das feindliche Lager. Ihre Waffen jedoch brauchten sie nicht mehr. Der Insektenschwarm hatte ganze, vernichtende Arbeit geleistet!
Zwei Pferdesoldaten lagen mit völlig entstellten und aufgequollenen Körpern tot im Gras. Die anderen schienen ihr Heil in der Flucht gefunden zu haben und würden kaum an diesen Ort zurückkehren. Antarona ging zum Holzsteg hinüber. Sebastian folgte ihr und musste sich die Abscheu hinunter würgen, die ihn beim Anblick dessen überfiel, was diese Insekten angerichtet hatten.
Eines der Pferde hatte es nicht schnell genug geschafft, sich los zu reißen. Das tote Tier hing noch mit dem Kopf in den Zügeln. Dort, wo die Augen waren, gähnten zwei große, schwarze Löcher. Überall war der Körper trotz des Fells mit dicken, gelben Beulen und kleinen, punktartigen Fleischwunden übersät. Sebastian bekam einen Eindruck davon, was ihnen widerfahren wäre, hätten sie sich nicht mit dem Morast eingerieben.
Plötzlich hörten sie ein Geräusch. Sofort wirbelte Antarona herum, Nantakis zum Kampf bereit. Doch es gab nichts zu kämpfen. Keine Menschenseele war zu sehen. Dennoch vernahmen sie eine dünne, gequälte Stimme, die aus dem Lager zu kommen schien. Hatte doch noch einer dieser Mistkerle überlebt?
Bereit jedem möglichen Angriff zu begegnen, schritten sie langsam, sich ständig umschauend, zum Platz zurück, auf dem noch die Habseligkeiten der Reiter herumlagen, als wären diese nur mal eben Austreten gegangen. Gespannt lauschten sie. Halt! Da war er wieder, ein müder, kraftloser Ruf. Er kam aus der Richtung der Käfige, in denen noch immer die Elsiren fest saßen.
Sebastian glaubte schon, eine der Elsiren selbst hätte sie gerufen, als seine Frau bereits an den Käfigen vorbei ging und vor dem Tümpel stehen blieb, in den von irrer Panik geleitet, zwei der Reiter gesprungen waren. Eine kalte Welle des Grauens kroch Sebastian über den Rücken, als er Antaronas Blicken folgte.
Ein Pferdesoldat guckte gerade noch mit dem Kopf aus dem Morast. Vor Entsetzen geweitete Augen saßen in einem Gesicht, das keines mehr war. Sein Kopf glich eher einer blutigen, aufgequollenen Fratze. Zwei Meter neben seinem Kopf ragte eine bleiche, zerstochene Hand aus dem Sumpf. Einer hatte es also bereits hinter sich!
Der Mann im Schlamm stammelte irgend etwas in Ival, das so klang, wie Gnade.., oder helft mir! Doch Antarona rührte sich nicht. Sebastian sah sie fragend und auffordernd an. Demonstrativ hockte sie sich in aller Ruhe hin und sah zu, wie der Mann vom Morast allmählich in die Tiefe gezogen wurde.
»Wir können den doch da nicht einfach sterben lassen!« schrie Basti aufgebracht. Antarona konnte! Sie hockte still am Rand des Tümpels, sah den Mann mit eiskalten, leblosen Augen an und wartete.
Sie war noch völlig mit dem schwarzen Schlamm bedeckt und der Ertrinkende musste glauben, eine böse Dämonin aus den Sümpfen hatte ihm und seinen Kameraden den Garaus gemacht. Vermutlich hatte er mehr Angst vor dem Anblick Antaronas, als vor dem Angesicht seines eigenen Todes.
Sebastian konnte das nicht! Etwas war in ihm, das nicht zulassen wollte, dass ein Mensch starb, wenn man ihn doch retten konnte. Kurz entschlossen sprang er auf, rannte wie ein Irrer zum Waldrand hinüber, griff sich den ersten, längeren, am Boden liegenden Ast und hetzte zurück.
Er kam gerade noch rechtzeitig, um den Todeskampf eines Menschen mit zu erleben, der den Tod sicherlich verdient hatte. Doch waren sie beide, er und das Krähenmädchen, mit Recht seine Richter?
Mund und Nase versanken im Morast, die Arme des Reiters ruderten in wilder Panik, schlugen spritzend auf die Wasserfläche, erhoben sich wieder, versuchten ihren Körper verzweifelt aus dem Schlamm zu heben, versagten schließlich ihren Dienst und blieben irgendwann kraftlos und still auf dem Morast liegen. Zwei erstarrte, weit aufgerissene Augen blickten ihnen anklagend entgegen, bevor auch sie im Wasser verschwanden und nur noch ein Haarschopf aus der spiegelnden Fläche ragte.
Sebastian wollte etwas sagen, brachte aber nur ein Schlucken und Würgen hervor. Angewidert wandte er sich ab. Antarona blieb noch einen Augenblick unbeweglich vor dem Tümpel hocken, als fürchtete sie, der Soldat Torbuks könnte immer noch aus dem Morastloch heraus kommen.
Dann erhob sie sich, und trat wortlos neben Sebastian, der nach Luft rang und gegen die plötzlich aufkommende Übelkeit ankämpfte. Sein Kopf schwirrte und er musste sich auf sein Kurzschwert stützen, um nicht umzukippen.
»Sag mal.., ist so etwas wirklich nötig?« brachte er mühsam heraus. Antaronas Augen blitzten ihn kalt an und zunächst sah es so aus, als fiel ihr keine Antwort ein. Sie drehte sich um und wollte sich den Elsiren zuwenden. Doch unvermittelt überlegte sie es sich anders.
»Was glaubt ihr, Ba - shtie - laug - nids, hätten diese dort mit den Schwestern und Töchtern des Volkes getan, mit Mestas im Bauch und mit Mó-ha-ná, dem Geist der Elsiren in ihren wirren Köpfen? Na.., Ba - shtie.., sagt es einer Ival ins Gesicht, was hätten sie mit eurem En-gel-sen getan.., was?«
Mit Unverständnis und Entrüstung im Blick ließ sie einen betretenen Sebastian stehen, schritt zu den Käfigen hinüber und begann einen nach dem anderen zu öffnen. Sofort kam wieder Leben in die kleinen Leuchtwesen, sie flogen aus ihren Gefängnissen und schwirrten Antarona um den Kopf, als dankten sie ihr für die Befreiung. Ebenso schnell, wie sie erleichtert in die Freiheit flatterten, verschwanden sie auch in der Weite des Moores. Dann wurde es still. Was blieb, waren die Leichen der beiden Reiter im Lager, sowie das tote Pferd. Von den Insekten war kein einziges mehr zu sehen. Offenbar hatten sie sich in die Wälder verflüchtigt.
Sebastian stand ratlos vor den beiden toten Pferdesoldaten. Er fühlte sich müde und abgeschlagen. Er versuchte seine Frau zu verstehen und entschuldigte ihr Handeln damit, dass sie einer ganz anderen Kultur, mit viel unerbittlicheren Gesetzen und noch grausameren Feinden entstammte. Im Grunde war die Strafe, welche die Reiter heimgesucht hatte, nur gerecht! Aber war sie auch menschlich?
Wer wusste denn schon, ob gerade diese Männer es waren, die Frauen und Mädchen der Ival vergewaltigt und getötet hatten? Vielleicht waren sie nur arme, dumme Trottel, die von ihren Heerführern geschickt waren, Elsiren zu fangen. Wie auch immer.., nun lagen sie da, mit der Endgültigkeit in ihren Augen. Sie waren gekommen, um dem Gefühl des reinen Glücks hinterher zu jagen. Doch letztlich fanden sie nur den Weg in das Reich der Toten.
Sebastian seufzte müde. Würde das Töten in dieser Welt jemals aufhören? Er hatte die mächtige Stadt Quaronas gesehen, ihre Ausmaße und ihre vielen Heerlager. Um so etwas zu besiegen, reichte ein Menschenleben kaum aus. Er würde steinalt werden und immer noch mit dem Schwert in der Hand, Rücken an Rücken mit seiner Frau gegen das Böse aufbegehren, das er dennoch niemals ganz ausmerzen konnte.
Was machte das für einen Sinn? Wo blieb da sein Traum von einem friedlichen, glücklichen Leben mit Antarona, mit seinen Kindern, die unter seiner Obhut spielten? Ketzerische Gedanken verfolgten ihn. Wenn es denn einen Weg zurück gäbe.., mit Antarona.., in die Welt, aus der er gekommen war...
Schweigend gingen sie zurück zum See, wo sie sich mit dem Morast eingestrichen hatten und noch ihre Bündel lagen. Ohne ein Wort nahmen sie ihre Habe auf und setzten ihren Weg fort. Den Lagerplatz der Reiter ließen sie unangetastet. Antarona hatte lediglich ihre Pfeile eingesammelt und die Käfige, in denen die Elsiren gefangen waren im Morast versenkt.
Sollte ein Spähtrupp Torbuks das Lager in Augenschein nehmen, nachdem die geflohenen Soldaten Alarm geschlagen hatten, so mussten sie glauben, ihre Leute waren einfach nur von den Insekten überfallen worden.
Inzwischen waren sie wieder, drei- oder vierhundert Meter wieder nördlich, zu der hölzernen Straße gelangt, die sich offenbar durch das ganze Sumpfland zog. Sie mussten unter dem Gebälk hindurch klettern, um auf der anderen Seite ihren Weg fort zu setzen. Argwöhnisch blickte Sebastian auf die hölzernen Kugeln, die auch an dieser Stelle unter den Streben hingen. Antarona bemerkte seinen skeptischen, angstvollen Blick.
Ihr braucht die Gal-ná-rò, die schmerzende Plage nicht zu fürchten, Ba - shtie...« brach sie endlich das Schweigen zwischen ihnen, »...wenn ihr nicht an ihre Nester stoßt, werden sie euch nicht schaden!«
Dennoch wagte er nicht zu atmen, als sie sich behutsam an den seltsamen Bällen vorbei schlichen. Diesen Biestern zu entkommen, war so gut wie unmöglich.
»Antarona, woher wusstest du von den Nestern der Insekten.., der Gal-ná-rò?« Sebastian stellte die Frage mehr, um herauszufinden, in welcher Stimmung sich Antarona befand, als denn wegen der Wichtigkeit dieser Information.
»Ba - shtie...«, kam die vermutete Antwort, »...habt ihr vergessen? Das Volk hat den Weg gebaut! Torbuk ließ viele Männer aus den Dörfern holen und ließ sie unter Gewalt die Bäume schlagen. Viele Söhne und Brüder der Ival sind an den Stichen der schmerzenden Plage ins Reich der Toten gegangen, denn die Gal-ná-rò sind in den Bäumen mit den vielen Fingern!« Dabei zeigte Antarona auf die Kiefernart, die Sebastian in diesem Land zum ersten Mal gesehen hatte. Dann erklärte sie weiter:
»Die Ival benutzen nicht den Weg, in welchem die Bäume sind. Aber die Wilden Horden der schwarzen Reiter führen ihre Pferde darüber. Oft wecken sie die Gal-ná-rò und werden getötet. Die Soldaten Torbuks sind dumm, Ba - shtie.., sie glauben, die schmerzende Plage kommt von den Bäumen. Sie erkennen nicht, dass sie unter ihrem Weg ist!«
»Das ist in der Tat ziemlich dämlich...«, bestätigte Sebastian, »...aber wie kommen denn diese Viecher unter den Weg?« Antarona hielt an, tat sehr geheimnisvoll und setzte plötzlich ein hinterlistiges Lächeln auf, das Sebastian selten auf ihrem Gesicht sah.
»Die Pferdesoldaten zwangen die Ival den Weg zu bauen, Ba - shtie.., sie sagten ihnen, wie sie es tun sollten, wie sie jedes holz einfügen sollten... Aber sie hatten den Söhnen und Brüdern des Volkes nicht gesagt, dass sie die jungen Nester der Gal-ná-rò aus dem Holz fort nehmen sollen!«
»Und die haben sie natürlich darin gelassen, damit diesen Sklaventreibern ihr Weg noch mächtig sauer aufstoßen sollte...«, brachte Sebastian ihre Ausführungen schmunzelnd zu Ende.
»Die schwarzen Reiter bringen auch Sklaven der Oranuti auf diesem Weg nach Quaronas und zu den Bergen, aus denen Torbuk die Tränen der Götter holen lässt.«, verriet ihm seine Frau weiter. »Es sollte kein guter Pfad werden, Ba - shtie, denn es ist ein Pfad des Leids und nicht ein Weg des Glücks!«
»Ja, das verstehe ich...«, pflichtete er ihr bei, »...aber es scheint die Wilden Horden nicht davon abzuhalten, den Holzweg zu benutzen, oder?« Sebastian sah sie fragend an.
»Nein.., aber sie verlieren jedes Mal einige Reiter, wenn sie auf ihm gehen!« verkündete Antarona nicht ganz ohne Stolz.
Wie einfältig mussten diese Soldaten doch sein, dachte Sebastian, wenn die nicht mal merkten, warum ihre Horden bei jedem Raubzug auf diesem Weg dezimiert wurden. Andererseits beruhigte es ihn, denn es zeigte ihm, dass sie auf jeden Fall verwundbar waren. In wie weit ihnen dieser Umstand noch zum Vorteil gereichen konnte, bliebe abzuwarten.
Zunächst mussten sie erst einmal nach Falméra gelangen! An diesem Tag jedoch legten sie nicht mehr viel des Weges zurück. Das Sumpfgelände ging allmählich in Sandboden über. Trockene Heideflächen mit großen Kiefernwäldern bestimmten nun das Bild.
Lediglich dort, wo sich das Schmelzwasser der Berge seinen Weg in das Meer suchte, erstreckten sich links und rechts der Bäche und kleinen Flüsse heimtückische Moore, die Antarona zu umgehen wusste.
Während der nächsten drei Tage schlugen sie ihr Nachtlager in den kleinen Senken der Heidelandschaft auf. Tagsüber lud der weiche Sandboden zu Schwertübungen ein. Glaubte Sebastian, seine Frau hätte das Bestreben, ihn zu trainieren, durch die Erlebnisse aufgegeben, oder zumindest vergessen, so hatte er sich getäuscht. Auch seinen Unterricht in Kultur, Sprache und in der Biologie des Landes ließ sie wieder aufleben.
In der Kampftechnik des Schwertes und in der Handhabung des Bogens machte Sebastian sprunghafte Fortschritte. Kleine Rückschläge hielten ihn nicht davon ab, zu glauben, mit beinahe jedem Pferdesoldaten Torbuks fertig zu werden. Doch immer wieder wies ihn Antarona in seine Schranken, zeigte ihm neue Schwächen auf, brachte ihm Tricks und Finten bei, um seine Kunstfertigkeit mit der Waffe zu verbessern.
Manchmal, wenn das Gelände eine geschützte, sandige Arena bot, warf Antarona ihre Bündel achtlos in den Heidesand, zog sich bis auf den Lederschurz aus und gebot Sebastian sich ebenfalls zu entkleiden.
Dann tanzten sie stundenlang mit erhobenen Schwertern umeinander, führten fiktive Attacken aus, entwickelten Abwehrchoreografien und trainierten den Kampf mit dem Schwert, wie ein Ballettstück, bis die Bewegungen in Fleisch und Blut übergingen.
Bei solchen Gelegenheiten wurde Sebastian klar, dass Antaronas Schwert Nantakis eine größere Hilfe darstellte, als ihnen bewusst war. Der geringe Kraftaufwand, mit dem diese Waffe zu führen war, erlaubte das Ausprobieren neuer, unorthodoxer Bewegungsabläufe im Kampf, die einen Gegner mit schwerer Rüstung würden zwangsläufig ins Leere laufen lassen.
Sebastian trainierte diese Bewegungen so lange exzessiv, bis sie ihm auch mit seiner schweren Waffe gelangen und ihm nur noch wie fließende Tanzeinlagen vorkamen. Das wundersamste aber war, dass er mit zunehmender Perfektion im Schwertkampf auch an Selbstwertgefühl gewann. Immer weniger sah er sich als verlorener Gestrandeter in einer fremden Welt...
     
  Wichtiger Hinweis: Die Texte des Autors Frank Adlung, insbesondere die des Romans "Das Geheimnis von Val Mentiér", sind durch notarielle Hinterlegung urheberrechtlich geschützt. Ein Herunterladen und Ausdrucken ist nur für den privaten Zweck des Lesens gestattet. Kommerzielle Nutzung, öffentlicher Vortrag, oder Vervielfältigung und Verfälschung des Inhalts, sowie öffentliche Verbreitung ohne Genehmigung des Autors sind untersagt und werden zur Anzeige gebracht.
 
 
 
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