Das Geheimnis von Val Mentiér
 
26. Kapitel
 
Sehnsucht und Leidenschaft
 
er graue Schleier der Dämmerung hatte sich aufgelöst und war dem kalten Tuch der Nacht gewichen. Von der Bucht zog ein immer wieder auffächernder Strom über die Burg und trug die Gerüche und Laute der zum Leben erwachten Stadt mit sich herauf und kühlte etwas die stehende, schwüle Luft. Die leichte Meeresbrise schaffte es aber nicht, die angestaute Wärme des Tages gänzlich hinfort zu wischen.
Liebend gern wäre Sebastian jeden Abend, jede Nacht hinab gestiegen, in die Gassen und auf die Plätze, hätte sich unter das Volk gemischt, den Feuertänzen zugesehen, der Musik und den Gesängen gelauscht und die vielen angebotenen Köstlichkeiten versucht.
Zwei Gründe jedoch verleideten ihm, sich tatsächlich am freizügigen Leben seiner Untertanen zu beteiligen. Zum ersten fehlte ihm Antarona. Ohne sie bedeutete eine solche Luftveränderung nur den halben Spaß. Nicht, dass es in Falméra keine freizügigen Frauen gab, die ihm mit Hingabe die Nacht versüßt hätten!
Sebastian wünschte sich aber nichts sehnlicher, als solche Streifzüge inkognito mit der Frau zu erleben, die er liebte, die es wie keine andere verstand, ihn mit ihrer bloßen Anwesenheit zu verführen. Sebastian fehlte Antarona! Mit ihr Hand in Hand unbeschwert das freizügige Nachtleben der von vielen Feuern beleuchteten Stadt unter der Himmelsburg zu erkunden, war eine Sehnsucht, die er sich zu erfüllen wünschte.
Ein anderer Grund war das Geld. Er besaß keines. Und hätte er nicht bei Antarona diese seltsamen Ringe gesehen, wüsste er nicht einmal, dass es in dieser Welt so etwas wie Geld gab! Nun, es gab es! Genau so, wie in den meisten Kulturen, bezahlten auch die Ival und Oranuti mit einem gültigen, von allen anerkannten Zahlungsmittel.
Das Ringgeld. Sebastian kannte noch nicht den Wert der einzelnen, unterschiedlichen Ringe, die man an einem schmalen Gürtel um die Hüfte, oder an einem Band um den Hals trug, meist verdeckt, denn hier zu Lande prahlte man nicht mit materiellem Reichtum. Es war ihm auch ziemlich egal, welchen Wert ein Ring aus Horn, gegenüber einem aus dem so genannten Mondmetall besaß.
Er hatte sowieso kein Ringgeld. Er, Areos, der Sohn des Königs, offizieller Träger Tálinos, Führer aller Streitkräfte des Königs, besaß nicht einmal so viel Geld, sich am Markttag Papier und Zeichengerät für die Landesaufnahme zu kaufen! Hekthur, der König, niemand scherte sich darum, ob Areos Bedürfnisse hatte, die er gern erfüllt hätte! Niemand fragte ihn, ob er Geld brauchte!
Überhaupt sprach man in dieser Welt nie von Geld! Entweder man besaß es, dann war es auch ganz gleich, wie viel man davon ausgab, denn war das Säckel leer, dann war es eben so. Oder man hatte erst gar keines, dann tauschte man mit dem, was man eben sonst noch so besaß. Niemand sprach darüber! Und das Wort sparen war allenfalls dem König und seinen Beratern geläufig.
Irgendwie war diese Welt schöner, unkomplizierter und zwangloser, als jene, aus der er vor vielen Wochen, oder gar Monaten hereingestolpert war, stellte Sebastian mit Genugtuung fest. Inzwischen hatte er sogar vergessen, wie lange er schon von zu Hause fort war. Wie lange war er schon hier?
Zeit hatte für die Ival ebenso wenig Bedeutung, wie Geld. Man hatte sie, oder nicht! Doch damit zu rechnen, oder Zeit und Geld womöglich nach einem Plan einzuteilen, darauf kamen weder Ival, noch Oranuti. Wenn ein Ival zwei Zentaren nannte, dann war dies keineswegs eine fest geschriebene Definition.
Es war vielmehr als die Anzahl von einer Einheit zu verstehen, die im Gebrauch von jedem Einzelnen, je nach Situation sehr variieren konnte. So mochten zwei Zentaren für den einen, welcher über den Tag dachte, zwei Stunden bedeuten, für den anderen aber, der ein Eisen im Feuer hatte, zwei Minuten.
Aber Sebastian gefiel diese Art zu leben. Die Zwänge, die manche Stunde seines bisherigen Lebens zum Stress machten, gab es im Val Mentiér oder in Falméra nicht. Man hetzte nicht von einem Termin zum nächsten. Man plante nicht! War etwas dringend, so beeilte man sich, war jedoch keine Gefahr im Verzug, so dauerte etwas eben so lange, wie es nun einmal dauerte!
Sebastian fiel wieder der Wachdienst ein, als er durch die Tore trat. Dort wurde es besonders deutlich. Stand kein feindlicher Soldat vor den Toren der Himmelsburg, so machte sich auch niemand die Mühe, darüber nachzudenken, wie die Burg am effizientesten zu sichern war. Aber gerade das wollte Sebastian ändern!
Löste er damit womöglich bei den Ival eine grundlegende Veränderung im Umgang mit Zeit und Geld aus? War er gerade dabei, etwas zu zerstören, das er selbst in seiner Welt vermisst hatte; das ihm in diesem Land paradiesisch erschien? Zuverlässigkeit und Aufmerksamkeit, Pünktlichkeit und Planung, diese Grundpfeiler eines funktionierenden Wachdienstes, waren sie die Zwänge, die er den Ival in diesem Augenblick brachte, denen er selbst aber froh war, entflohen zu sein?
In Sebastians Kopf nistete sich ein paradoxer Gedanke ein. Verbesserung bedeutete zwar Bequemlichkeit und Sicherheit, bedeutete aber auch Aufgabe von Lebensqualität im Sinne von Freiheit, Fröhlichkeit und Sorglosigkeit. Aber betrieb man nicht das eine, um das andere zu bekommen? Doch im Ergebnis schien dabei eher das Gegenteil die Frucht der Ernte zu sein!
An seinen eigenen, vermeintlichen Verbesserungen zweifelnd, schlich Sebastian an der Turmwache vorbei, grüßte nur knapp und stieg die Treppen hinauf. Eine bleierne Müdigkeit legte sich ihm plötzlich aufs Gemüt. Er haderte mit sich selbst. All die fortschrittlichen Ideen, die er aus seinem Kulturkreis in diese Welt mitbrachte, waren sie alle nichts Wert, weil sie die Menschen des Volkes letztlich mehr einschränkten, als befreiten?
Innerlich abgeschlagen verließ Sebastian den Turm zum Nordflügel und ging leise den unbeleuchteten Korridor zum Westflügel hinunter, als er hinter sich ein Geräusch wahr nahm. Mit einem gehörigen Schrecken in den Gliedern fuhr er herum, konnte aber im ersten Moment nicht viel erkennen, denn außer dem Licht des Viertelmondes drang nichts durch die Fenster in die Finsternis herein.
Sebastian riss das Schwert aus der Scheide, drückte sich an die Wand und wartete. Eine Gestalt kam den Flur entlang geschlurft, wie ein schaftrunkener Geist.
»Herr.., seid ihr zurück.., ich bin es, euer ergebener Diener Frethnal!« Sebastian atmete auf und löste sich aus dem Schutz der Wand.
»Frethnal.., bei allen Dämonen, was schleicht ihr hier in stockfinsterer Nacht umher? Fast hätte ich euch mit meinem Schwert aufgespießt, wie einen bratfertigen Ochsen!«
Sebastian konnte seiner Erleichterung kaum Luft machen, dass es nur sein Kammerdiener war, der ihm im Dunkeln aufgelauert hatte.
»Verzeiht mein ungebührlich Auftreten, Herr...«, entschuldigte sich Frethnal ängstlich, »...aber ich musste auf euch warten, so ihr doch Zugang zu euren Gemächern begehrt!« Sebastian versuchte seinen Diener durch die Dunkelheit hindurch anzusehen.
»Frethnal, was im Namen der Götter redet ihr da? Macht gefälligst mal Licht.., man sieht ja nicht die Hand vor Augen!« Kurze Zeit später glimmte ein Span auf, und ein blaues Flämmchen entzündete eine der Fackeln an der Wand. Frethnal hatte offenbar noch nicht geschlafen, denn er stand in komplettem Livree vor seinem Herrn.
Umständlich kramte er einen mächtigen Schlüssel unter seinem Gewand hervor und reichte ihn Sebastian mit den Worten:
»Der Zugang zu euren Gemächern, Herr, so, wie ihr es mich geheißen habt! Der Schlüssel passt für die Vorzimmer des Waffenraums, des Westsalons und des Wohnraums im Westflügel, Herr! Farasami hat nun die Beratungszimmer und nebenan findet ihr jetzt einen Arbeits- und Besprechungsraum.«
Sebastian war angenehm überrascht. Er hatte nicht erwartet, dass Frethnal seine Entscheidungen so rasch umzusetzen vermochte.
»Danke Frethnal, ihr seid die Tränen der Götter wert...«, lobte Basti den Kammerdiener, »...doch nun seht aber zu, dass ihr in die Federn kommt! Ich bin ebenfalls sehr müde und wenn nicht gerade die Burg abbrennt, so möchte ich bis weit in die Sonne hinein schlafen! Und Frethnal..., ihr tragt mir Sorge dafür...«
»Herr.., ich weiß schon...«, unterbrach er Sebastian freundlich grinsend, »...ich gebe acht, dass niemand Feuer legt!«
»Ihr seid vorlaut und mutig, Frethnal...«, lachte Sebastian zurück, »...aber ihr wisst, was ich will und das reicht mir. Gute Nacht!«
»Gute Nacht, Herr!« Damit übergab ihm Frethnal die Fackel und entfernte sich genau so lautlos, wie er aufgetaucht war. Sebastian steckte den Schlüssel in das Schloss, drehte ihn vorsichtig und es knackte und knirschte so laut, dass er schon glaubte, die ganze Burg aus dem Schlaf zu reißen.
Hinter sich verschloss er die Tür wieder und begab sich durch die langen Flure des West- und Südflügels zu seinem Schlafgemach. Als er am Zimmer mit den Türmchen vorüber kam hielt er kurz inne. Konnte er sich innerhalb der nächsten Stunde durch das Holz der oberen Tür arbeiten? Dann würden ihm und Antarona die Stunden der restlichen Nacht gehören, Stunden, die ihnen niemals wieder jemand nehmen konnte!
Traurig verwarf er den Gedanken wieder. Es war viel zu spät, um nun noch an den massiven Beschlägen herum zu schnitzen. Er war innerlich zerrissen von der zerfressenden Sehnsucht zu seiner Frau einerseits und dem Bewusstsein für die fortgeschrittene Stunde andererseits. Was war stärker, die Vernunft, oder das Gefühl?
Die innere Zwietracht seines Herzens hielt plötzlich in ihrem verborgenen Kampf inne. Hatte er nicht etwas gehört? Eine leise Stimme? Sebastian begann an seinem Verstand zu zweifeln. Offenbar war er schier übermüdet, denn er glaubte tatsächlich für einen Moment, Antarona singen gehört zu haben. Er wollte gerade weiter gehen.., da! Wieder ganz leise eine Stimme, wie die eines Engels!
Sebastian wagte nicht sicht zu rühren, ja nicht einmal zu atmen und lauschte in die Dunkelheit. Zunächst war es, als hörte er nur das gedämpfte Rauschen des Wasserfalls, das von der anderen Seite der Schlucht durch die Fenster herein drang. Doch da war noch etwas anderes, etwas Göttliches, wie eine Stimme des Himmels, die leise zu ihm sprach.
Basti mochte sich täuschen, doch er glaubte, Antarona singen zu hören, so, wie sie sang, wenn sie mit den Tieren sprach und sie beruhigte. Stand irgendwo ein Fenster offen? Saß sie, wie an jenem Abend des Festes, in einem Fenster ihrer Gemächer und träumte in die Weite hinaus? Für Sebastian bestand kein Zweifel mehr. Es war Antarona, deren lieblicher Gesang wie durch Zeit und Raum zu ihm drang.
Mit einem Mal war Sebastian wieder hellwach! Jedes Aufkommen von Müdigkeit war verflogen. Er musste feststellen, von wo aus ihre Stimme den Weg zu ihm fand! Wenn er sie hören konnte, so musste sie auch ihn hören! Endlich konnten sie zumindest miteinander sprechen!
Gespannt lauschend schlich er weiter den Korridor entlang und stellte erstaunt fest, dass das Singen lauter und deutlicher wurde, als würde es aus einem Sprachrohr kommen. Auf der Höhe des Ostsalons hörte er die lieblichen Klänge am deutlichsten. Sebastian öffnete die Tür, nur so weit, dass er gerade hindurch schlüpfen konnte und verharrte hinter der Säulengalerie, welche das Zimmer vom Vorzimmer trennte. Der unverwechselbare Gesang kam von nebenan, aus seinem Schlafgemach! Sebastians Herz begann zu hüpfen. Antarona war doch nicht etwa..?
Voller Hoffnung drückte er die Tür zum Ankleidezimmer auf, das ebenfalls von Säulen gestützten Bögen getrennt war. Das Singen verstummte plötzlich. Mit weit aufgerissenen Augen starrte er in die Dunkelheit seines Schlafgemachs. Die Fenster waren geschlossen, ihre Stimme war also nicht von draußen herein gedrungen!
Sebastian wartete. Eine Falle? Er horchte angestrengt. Nichts. Totenstille! Er trat zwei Schritte in das Zimmer hinein und spürte sofort die Bedrohung. Rückzug? Zu spät! Wie es ihm Antarona beigebracht hatte, vollführte er eine schnelle Drehung um die eigene Achse und zog dabei sein Schwert.
»Zeigt euch.., kommt heraus aus eurem Rattenloch, sonst werde ich euch vierteilen, bevor ihr noch wisst, wie euch geschieht!« Wie ein Blitzschlag fuhr seine Stimme in den Raum.
Im gleichen Augenblick löste sich eine Gestalt aus der hinteren Ecke des Zimmers und schwebte wie eine übernatürliche Kreatur auf ihn zu. Etwas, wie Nebel oder Dunst umgab das Wesen wie ein sich bewegender Schleier und als es am Fenster vorbeikam, sah Sebastian im Restlicht der Gestirne den Schürhaken des Kamins aufblitzen.
»Bleibt wo ihr seid...«, warnte er mit drohender Stimme, »...bei den Göttern, sonst werdet ihr die Sonne nicht wieder sehen!«
Da polterte etwas klirrend zu Boden und Sebastian wusste, dass es der Feuerhaken war. Gleichzeitig kam das geheimnisvolle Wesen weiter auf ihn zu und geriet in den helleren Bereich des Fensters. Deutlich erkannte Sebastian die hellen Federn im Haarschopf und ließ sein Schwert sinken.
»Antarona?« Ungläubig sah er ihr entgegen, zu keiner Handlung fähig und starrte nur auf das Wunder, das auf ihn zukam, wie ein geheimnisvoller Traum. Sein Herz raste und hämmerte bis in seinen Hals, heiße und kalte Wellen jagten durch seinen Bauch und sein Atem überschlug sich fast.
Ein kleines Lichtlein flammte auf, dann ein weiteres im Kerzenständer auf dem Tisch. Antarona wuchs aus der Dunkelheit, wie eine Elsire, die zu glühen begann. Wie wunderschön sie war! Sebastian hielt den Atem an. Es schien, als trug sie nichts weiter, als einen dunstigen Schleier auf ihrer Haut, der mehr von ihr enthüllte, als versteckte.
Mit schneller Akrobatik drehte sie sich, flog durch das Zimmer, entzündete eine Fackel an der Wand und blitzschnell einen weiteren Kerzenständer auf der Kommode. Ein zierliches Metallband glitzerte auf ihrer Stirn, flammte kurz im Feuerschein auf, gab das Licht weiter an ihren Bauchnabel, auf dem ein großer Schmuckstein funkelte.
Ihr Körper glänzte, wie mit purem Gold bestäubt, sie wand sich wie eine Schlange in die Mitte des Raumes zurück und begann ohne Musik, wie eine Erscheinung aus Sebastians Phantasie, den Tanz der Elsiren. Basti hörte nur ihre nackten Füße wie einen Trommelwirbel über den Boden tappen, spürte den Windzug ihrer Bewegungen und nahm einen Duft wahr, der all seine Sehnsüchte nach ihr zum Sieden brachte.
Wie in einem Rausch wirbelte sie vor ihm umher, ihre Beine entwanden sich dem tief sitzenden Rock, glänzten schimmernd und ließen den hauchdünnen Stoff ihres Kleides fliegen, der ihren Bewegungen nicht mehr folgen konnte und immer wieder all ihre verführerischen Geheimnisse preis gab, die Sebastian die Sinne vernebelten und sein Verlangen nach ihr hoch kochen ließ.
Antarona tanzte immer schneller, ihre Beine drohten sich in den Schleiern des Kleides zu verfangen und die federleichten Ärmel ihres Oberteils hingen ihr vor dem Gesicht. Plötzlich hielt sie mitten in der Bewegung inne und stand völlig außer Atem vor Sebastian. Sie rang nach Luft, ihre Brüste hoben und senkten sich und schimmerten anziehend hinter dem durchscheinenden Nichts des filigranen Stoffes.
Bastis Arme legten sich um ihre Taille und zogen den glänzenden Körper an sich. Zuerst wehrte sie sich spielerisch, dann siegte auch ihre Begierde und sie schlang ihre Arme um seinen Hals. Einen Moment lang sahen sie sich in die Augen und es bedurfte keiner Worte, keiner Begrüßung oder Erklärung, sie spürten beide die flammende, ungebrochene Anziehungskraft zwischen sich.
Antarona öffnete leicht ihren sinnlichen Mund und Sebastian glaubte in Flammen zu stehen, als er ihre süßen, weichen Lippen auf seinen spürte. Im Schein flackernder Kerzen küssten sie sich so heftig, als wollten sie sich gegenseitig verschlingen. Antaronas Hände fassten mit sanfter Gewalt Bastis Kopf und ihre Begierde der so lange zurückgehaltenen Leidenschaft explodierte in atemlosen Küssen die ihre Lippen mit glühender Hitze verschmolzen.
Sebastian fühlte seine Brust zerspringen und wollte seine Antarona spüren, wie einen Vulkanausbruch, wie einen Strom Lava, der ihn mit seiner Hitze fort riss. Er hob sie hoch, nahm sie auf die Arme und trug sie eilig durch die Zimmer. Er bewegte sich wie unter dem Einfluss von Drogen, ließ sich von ihrem Duft gefangen nehmen, der ihn an Patschuli und Vanille erinnerte.
Erst im Ruhezimmer, in dem die vielen Felle und Kissen herum lagen, stellte er sie wieder sanft auf die Beine. Er öffnete rasch die Tür zum Balkon, ließ die schwere, warme Nachtluft und das Rauschen des Wasserfalls herein und wollte sich ihr wieder zuwenden.
Doch Antarona schmiegte sich bereits mit ihrer Wärme an seinen Rücken und ihre Finger tasteten nach den Bändern seines Hemdes.
»Ich hab’ dich so vermisst, mein Engelchen, ich bin fast verrückt geworden vor Sehnsucht!«, gestand Basti ihr atemlos.
»Oh Ba - shtie.., icsch habe dicsch auch so herbei gesehnt, mein Schoß verlangte so sehr nach dicsch, und mein Herz, und.., icsch konnte nicht mehr schlafen.., keinen Mond mehr...« Weiter kam sie nicht, denn Bastis Lippen verschlossen ihren Mund und er presste sie so fest an sich, dass sie glaubte, ersticken zu müssen. Er nahm nicht einmal wahr, dass sie sich bemühte, mit ihm in der Gepflogenheit seiner Welt zu sprechen.
Antarona ließ ihren Dolch fallen, den sie gerade aus dem Gürtel gezogen hatte und wurde in seinen Armen ganz weich und anschmiegsam, wie Wachs. Ohne, dass es noch vieler Worte bedurfte, verschmolzen ihre Lippen zu einem leidenschaftlichen Kuss und ihre erhitzten Körper drängten sich verlangend aneinander.
Die Sterne und eine einzelne Kerze beleuchteten Antaronas schimmernde Haut und die schäumenden Wasser der Kaskaden wurden Zeuge ihrer entfesselten Leidenschaft und trugen sie wie ein dahin strömendes Geheimnis mit sich fort, hinab nach Falméra.
Antarona und Sebastian lagen eine geraume Zeit eng umschlugen in den Fellen und lauschten dem steten Rauschen des Wasserfalls. Ab und zu klang es, als würde das Geräusch stärker, als wuchs die Wassermasse plötzlich an, doch es lag wohl am Wind, der den Klang mal mehr, mal weniger verweht herüber trug.
Sie hatten das Gefühl für die Zeit verloren, so heftig war der Liebesrausch, dem sie sich hingaben, der sie beide fort gerissen hatte und sie nun langsam wieder aus seinem Bann entließ. Sie wollten das Gefühl für die Zeit gar nicht wieder finden, denn die Zeit war ihr Feind! Sie wollten nicht wissen, wann sie sich wieder trennen mussten, sie wollten der Zeit entfliehen und sich für immer in den Armen liegen!
Doch ihnen beiden war bewusst, dass sie ihrem Schicksal nicht entrinnen konnten, es sei denn, sie flohen bei Nacht und Nebel und verbargen sich für den Rest ihres Lebens in einem der verlorenen Seitentäler des Val Mentiér. Und in diesem Augenblick des zweisamen Glücks wäre ihnen die Entscheidung wohl leicht gefallen!
»Wie bist du an den Wachen vorbei in meine Gemächer gelangt?« fragte Sebastian, indem er seine Finger in ihren Haaren spielen ließ.
»Meine Kammerdienerin, Vesgarina, sie zeigte mir verborgene Wege in den Mauern, sie führen micsch überall hin, ohne dass böse Augen micsch folgen«, klärte Antarona ihren Mann auf, der sich erst daran gewöhnen musste, dass sie krampfhaft versuchte, seine Personalpronomen zu übernehmen, was ihr nur mit einem fürchterlichen Akzent gelang.
Antarona erzählte ihm von den verborgenen Wegen zwischen den Stockwerken und Zimmern und verschwieg ihm auch nicht, dass sie durch diese Geheimgänge Bentals Wachhunde ausgeschaltet hatte.
»Was.., du warst das.., all diese Zerstörungen, die Bental seinen Kötern zugeschrieben hatte? Bei den Göttern, du hast gründliche Arbeit geleistet!« gab Basti anerkennend zu. Er berichtete ihr, wie er selbst versucht hatte, durch die Türen der Türmchen einen Weg zu ihr zu finden und wie er sie eines Morgens auf dem Freisitz beobachtet hatte.
»Es war der Tag, an dem icsch sterben sollte«, warf Antarona wie beiläufig ein. Sebastian richtete sich erschrocken auf und sah sie entsetzt an.
»Was soll das heißen, als ich sterben sollte...«, wollte er verwundert wissen. Sie erzählte ihm von dem Anschlag auf Vesgarina, der mit Sicherheit ihr gegolten hatte und verschwieg ihm auch das vergiftete Essen nicht, dem sie nur mit Glück entkommen war. Sebastian sprang erbost auf, wanderte aufgeregt im Zimmer hin und her und schimpfte:
»Das ist ja wohl nicht wahr! Wenn ich diese miese Ratte in die Finger bekomme, die es nur wagt, dich schief anzugucken, dann.., ich schwöre dir, mein Engelchen, den schlitze ich von unten nach oben auf und werfe ihn den Turm hinab in die Schlucht!«
»Kommt wieder her, Ba - shtie...«, beruhigte sie ihn, »...kommt wieder her zu mir unter die Felle, in diesem Mond ergreift ihr ihn nicht mehr!« Doch Sebastian wollte sich nicht mehr beruhigen. Nachdenklich sagte er:
»Mein Diener wird das Essen für dich in meine Gemächer tragen, wir werden in Zukunft zusammen in meinem Salon speisen, wir haben ja nun einen geheimen Weg, der uns verbindet!«
»Nein, Ba - shtie.., er wird es herausfinden und wieder versuchen! Wir müssen unser Essen selbst besorgen, oder Hunger erleiden!« meinte Antarona und Basti überlegte, wie ernsthaft das wohl gemeint war.
»Kommt gar nicht in Frage...«, entgegnete er, »...mein Diener Frethnal ist zuverlässig und hat Zugang zur Garküche und zum Speiseaufzug. Er wird dir dein Essen hinaufziehen, dann weißt du, dass es in Ordnung ist. Wir werden ein Zeichen ausmachen, das dafür bürgt, dass Frethnal es herauf gezogen hat.., so geht es!« stellte Sebastian fest.
»Frethnal.., dicsch Diener heißt Frethnal?« fragte Antarona verwundert. Dann vertraute sie ihm Vesgarinas Geheimnis an, dass sie Frethnal heimlich verehrte.
»Dein.., Antarona.., es muss dein Diener heißen«, berichtigte er sie. Er wusste, dass es unhöflich war, sie deswegen zu unterbrechen, doch ansonsten würde sie es niemals lernen.
»Und wenn das so ist, wie du sagst...«, fuhr er fort, »...dann bringe ich Frethnal mit, wenn wir uns das nächste Mal sehen und du wirst Vesgarina mitbringen! Vielleicht finden ihre Herzen zueinander und wir haben gute, zuverlässige Verbündete, die unser Geheimnis mit uns teilen!« Antarona antwortete nicht, doch ihr stilles, glückliches Lächeln sprach Bände!
»Außerdem glaube ich, kann ich dich an den Wachen vorbei schleusen und wir können während des Mondlaufs zusammen nach Falméra gehen...«, schlug er ihr vor, »...nur leider.., ich habe keine Quarts! Die sind in dicken Kisten eingeschlossen, in zwei, drei Zimmern weiter, und ich habe bisher nicht den Schlüssel dazu gefunden«, gestand er ihr.
Anstelle von Enttäuschung hellte sich Antaronas Mine wider erwarten auf und sie verkündete mit einem geheimnisvollen, listigen Lächeln:
»Ba - shtie.., das ist traurig.., aber dein En-gel-chen wird dicsch helfen!« Sebastian sah sie verwundert und fasziniert gleichzeitig an. Was hatte sie nun schon wieder für eine Überraschung auf Lager?
»Wie willst du mir denn helfen...«, fragte er skeptisch, »...weißt du denn, wo sich die Kassette mit den Quarts befindet?«
»Nein, Ba - shtie.., Areos, wo ihr eure Quarts verborgen habt weiß Sonnenherz nicht, doch icsch weiß, wo sich jener Stab verbirgt, mit dem man das Versteck öffnet!« So schnell, wie zuvor Sebastian war sie auf den Beinen, hängte sich den Rock ihres Kleides um, nahm die Kerze und ging zur Tür zum Südsalon.
Sebastian folgte ihr durch das kleine Bad in das Vorzimmer des Süd- Turmes und weiter bis in den Archivraum.
»Gib gut acht, hier ist mir vor zwei Nächten jemand entwischt, der hier herum geschlichen war«, warnte er Antarona. Sie blieb stehen und sah ihn überrascht an.
»Und micsch war in diesem Zimmer jemand gefolgt, dem icsch eben noch entkommen konnte«, gab sie zu. Sie sahen sich an und plötzlich wussten sie beide ohne Worte, wem Sebastian nachgestellt, und wer Antarona durch die Räume gehetzt hatte. Wie Schuppen fiel es ihnen von den Augen, sie lachten übermütig und Sebastian fragte:
»Wohin bist du entwischt, dass du so schnell vor meinen Augen verschwunden warst? Ich glaubte dich bereits eingeholt, da warst du fort, wie ein Geist!«
»Komm, Ba - shtie...«, forderte sie ihn auf, »...icsch werde es micsch zeigen!« Sebastian folgte ihr in die Bibliothek und gab es auf, sie berichtigen zu wollen.
Mich, ich, dich und du würde sie in der nächsten Zeit wohl nicht lernen, vor allem nicht, wenn sie ansonsten nur Ival sprach. Sie brachte die Zuordnungen völlig durcheinander und Sebastian war versucht, ihr vorzuschlagen, wieder in der dritten Person zu ihm zu sprechen.
Sie gelangten ins Vorzimmer der Bibliothek und Antarona zeigte ihm den geheimen Zugang zu den verborgenen Wegen. Schlagartig wurde Sebastian klar, warum sie in jener Nacht so urplötzlich vor seinen Augen verschwunden war.
Er ließ sich von ihr den Weg durch die Gänge erklären und er zeigte ihr anschließend die aufgebrochene Tür des Türmchens, wo er seinerseits versucht hatte, zu ihr zu gelangen. Anschließend führte ihn Antarona weiter in sein Arbeitszimmer, wo sie in jener Nacht, als sie ihn gesucht hatte, den Leuchter umgestoßen hatte.
»Wenn dicsch den Stab zum öffnen der Truhen sucht, Ba - shtie...«, flüsterte sie, hob den Leuchter hoch und hielt ihm dessen Boden unter die Nase, »...so versucht es einmal mit diesem hier!«
Sebastian staunte nicht schlecht. Im massiven Boden des Bronzeleuchters war eine Vertiefung eingearbeitet, in der passgenau ein verschnörkelter Schlüssel klemmte. Er drückte auf den Griff und der Schlüssel sprang wie von einer Feder getrieben aus der Halterung.
Neugierig, ob sich damit die Quarttruhe öffnen ließ, räumte er sein Schreibpult zur Hälfte ab, schlug die Tischplatte zurück und hob unter Mühen die Kiste aus der Versenkung des großen Möbels. Antarona sah interessiert zu, obwohl sie mehr Interesse an Ba - shtie hatte, dessen geschmeidige Bewegungen im Kerzenlicht erneut ihren Liebeshunger anfachten.
Seine Muskeln spielten glänzend bei jeder Bewegung im spärlichen Licht der Kerze und sie stellte sich vor, wie seine kräftigen Arme ihren Leib hoch hoben, sie umschlangen und haltlos, aber dennoch behütet in den Himmel entführten.
Inzwischen hatte Basti den Schlüssel in das Schloss gesteckt. Er passte! Einmal umdrehen, Deckel auf und er blickte in ein heilloses Chaos von großen und kleinen, goldenen, silbernen und knochenfarbenen Ringen, die in einem wilden Durcheinander in die Truhe geworfen waren. Er fand hölzerne Ringe ebenso, wie welche aus Stein, aus Eisen und sogar aus dicken Muschelschalen.
Mit einem Perlmutt schimmerndem Ring zwischen den Fingern drehte er sich zu Antarona um und verkündete stolz:
»So, mein Engelchen, im nächsten Mondlauf werden wir beide zu den Elsirentänzen gehen und allen zeigen, dass wir zusammen gehören, auch, wenn Bental uns trennen will!«
Überrascht stellte er fest, dass sie ihm gar nicht zuhörte. Das viele Ringgeld interessierte sie gar nicht. Statt dessen kam sie wie eine sich anschleichende Katze auf ihn zu, ihre Hände glitten sensibel tastend über seine Arme und Schultern und mit süßem Blick suchte ihr halb geöffneter Mund seine Lippen.
Berauscht von ihrer sinnlichen Initiative ließ er den Ring wieder klimpernd in die Truhe fallen und seine Arme legten sich um ihre Taille. Er zog Antarona zu sich heran und sie erwiderte ihren Kuss voll heißer Leidenschaft. Sie vergaßen die Quarts, den Schreibtisch, den nüchternen Raum mit den unbequemen Holzdielen ohne Felle und Kissen. Antarona ließ sich von ihm in den Schatten der Wand drängen und sie verloren sich erneut in der Begierde einer Sehnsucht, die so lange einsam in ihren Körpern gefangen war und von Phantasie gezehrt hatte...
Irgendwann mussten sie eingeschlafen sein. Als Antarona erwachte, begann es bereits zu dämmern. Erschrocken fuhr sie hoch. Sie musste in ihren Gemächern sein, bevor Vesgarina erwachte. Fand diese ihre Gemächer verlassen vor, würde sie vielleicht die ganze Burg rebellisch machen!
Wie gerne hätte sie sich noch an ihren tief schlummernden Ba - shtie gekuschelt, doch ihr kleines Geheimnis, dass sie trotz des Königs Entscheidung zueinander fanden, galt es heimlich zu bewahren. Ohne Zweifel würde König Bental Mittel finden, ihre heimlichen Treffen zu unterbinden, noch bevor sie überhaupt begonnen hatten.
Auf dem Weg zur Bibliothek, den sie durch die Zimmer beschritt, hörte sie eine Tür im Korridor klappen. Die Angst, entdeckt zu werden, beflügelte ihre Schritte. Antarona flog dahin, ihr leichtes Kleid wie eine flüchtige Fahne hinter sich her ziehend. Erst als sie den geheimen Gang im Vorzimmer der Bibliothek erreicht hatte, wurde sie wieder ruhiger. Wie ein Geist verschwand sie in der kleinen Öffnung in der Wand.
Kurze Zeit später schlich Antarona durch den Gang ein Stockwerk höher. Sie war dem unbekannten Tunnel auf ihrer Etage nie bis zum Ende gefolgt. Mal in die eine Richtung, mal in die andere folgte Antarona dem verborgenen Weg und fand noch vier weitere Ausgänge in ihren Gemächern.
Der erste Ausstieg befand sich im Vorraum des Esszimmers, das an ihren beliebten Südsalon grenzte. Weil das Esszimmer keine Fenster besaß, benutzte sie es nicht und schenkte ihm auch sonst keine Beachtung. Der Gang endete mit einem weiteren Ausstieg im Westflügel, gegenüber der Dachbodentür, hinter der sie die seltsamen Gemälde entdeckt hatte.
In der anderen Richtung waren die beiden letzten Eingänge angeordnet, einer in der Ecke ihres Bades, so versteckt, dass sie ihn von außen niemals gefunden hätte, der andere in einem nach außen gemauerten Wandteil zwischen dem Abort und dem Kaminzimmer.
Antarona war sich schnell klar darüber, dass ein so verzweigtes Labyrinth geheimer Gänge von großem Nutzen für sie sein musste, für eine freiheitsliebende, eingesperrte Frau. Die Frage war nur, wer, außer Ba - shtie und Vesgarina wusste noch von den Wegen zwischen den mächtigen Mauern?
Gerade noch rechtzeitig gelangte sie in ihr Schlafgemach. Kaum einen Augenblick später hörte sie ihre Zofe vom Flur in das Frisierzimmer gehen. Dort würde sie verweilen, bis sie gerufen wurde, es sei denn, der König verlangte nach Antarona. In diesem Fall würde Vesgarina sie sogar aus dem Schlaf reißen.
Rasch schlüpfte sie in ein schlichtes, eher alltägliches Kleid, als ihr ein Schreck durch die Glieder fuhr! Der Dolch, den sie bei sich trug, als sie Sebastian so stürmisch begrüßte, war weg! Jenen Dolch, der sie hatte töten sollen, besaß sie noch, als Sebastian sie in das große Zimmer mit Fellen und Kissen trug. Plötzlich erinnerte sie sich!
Sie ließ ihn zu Boden fallen, als sie sich ihrem Liebsten hingab. Dort lag er noch. Hoffentlich! Zurück in Ba - shties Gemächer konnte sie nun nicht mehr. Mittlerweile erwachte ja die Burg zum Leben eines neuen Tages! Ihr blieb nur die bange Hoffnung, dass Ba - shtie ihn finden würde, bevor es ein anderer tat.
Wer immer ihr Feind auf dieser Burg sein mochte, der ihr nach dem Leben trachtete, würde schnell zu kombinieren wissen, durch wen der Dolch aus ihren, in Sebastians Gemächer gelangt war. Wohl nicht sofort, auf welchem Wege, doch das war dann nur noch eine Frage der Zeit.
Um nicht ständig an die geheimnisvolle Waffe denken zu müssen, wollte sich Antarona ablenken, was ihr jedoch als eine zur Untätigkeit Verurteilten, schwer fiel. Sie hatte keine Aufgabe, sie war in diesem Stockwerk der Burg eingeschlossen, praktisch eine Gefangene. Freilich, sie brauchte nur einen Wunsch zu äußern und bekam, was sie wollte. Ausgenommen ihre Freiheit!
Frustriert ließ sie sich von Vesgarina die Haare bürsten. So sehr war sie in Gedanken versunken, dass sie auf die fragenden Augen ihrer Dienerin gar nicht reagierte. Natürlich wollte Vesgarina wissen, wie es ihr in der Nacht, als sie allein durch die Burg schlich, ergangen war. Aber an der Verträumtheit ihrer Herrin konnte sie unschwer erkennen, dass zumindest die Liebe wieder in ihr Herz zurückgekehrt war.
Vesgarina seufzte, denn sie sehnte sich ebenfalls nach einem Mann, der sie glücklich machte. Ein wenig neidete sie ihrer Herrin das Glück, in dem sie schwebte, wenn es auch nur ein Glück im Verborgenen war.
»Was habt ihr, Garina?« wollte Antarona wissen, denn ein so tiefer Seufzer entging nicht einmal einer Verliebten, die von ihrem Märchenprinzen träumte. Doch sie hatte vergessen, dass ihre Kammerzofe nichts sagen konnte.
Antarona schloss die Augen, konzentrierte sich auf das Mädchen, dass ihr mit einer an Leidenschaft grenzenden Ausdauer die Haare bürstete und spürte plötzlich, wie sie selbst es war, welche die Bürste durch die langen Strähnen zog.
Sie fühlte die ziehende Leere in der Brust, diese unerfüllte Sehnsucht nach Liebe, nach Geborgenheit und Glück. Sie empfand aber auch noch etwas anderes. So etwas, wie Scham, ein schlechtes Gewissen, Reue. Antarona ließ ihre Sinn in eine geistige Tiefe gleiten, immer noch eine Dimension weiter, bis sie sich völlig von dieser Welt löste. Sie sah Bilder schnell an sich vorüberziehen, verzerrte, lückenhafte Bilder, die keinen Zusammenhang zu ergeben schienen.
Dann sah sie sich selbst, als hätte sie auf mystische Weise ihren Körper verlassen. Sie sah, wie sie das hellblaue Kleid ihrer Mutter auszog und sie sah ihr Mal in ihrem Schoß. Sie sah es so deutlich und betrachtete es mit Neugier. Gleichzeitig stiegen Angst und Scham in ihr auf. Dann sah sie Medunzia, die schreckliche Dienerin, die ihr nicht geheuer war. Sie spürte, dass Medunzia nun von ihrem Mal wusste! Sie spürte, dass es etwas Böses war, etwas, das sie sehr bedrückte.
»...Oh, meine Schwester.., ihr geht es nicht gut.., ich muss Hilfe holen!« Diese Gedanken durchrasten sie plötzlich wie ein Blitz, wie etwas, das ihr Herz lähmte. Antarona spürte sich in ihr eigenes Herz fahren, schlug die Augen auf und atmete so heftig, dass sie sich verschluckte und in einen nicht enden wollenden Husten verfiel. Sie nahm wahr, das sie wie von einer fremden Macht gelenkt, von ihrem Frisierstuhl aufstand und nach zwei Schritten kraftlos in die Knie sank.
Sofort war Vesgarina bei ihr, tupfte ihr mit einem nasskalten Tuch die Stirn ab und versuchte sie wieder auf die Beine zu bringen. Antarona winkte ablehnend mit der Hand, sie brauchte noch einen Moment, sich zu finden. Allmählich beruhigten sich Herz und Lunge wieder und klare Gedanken hielten in ihrem Kopf Einzug. Nach und nach konnte sie die Bilder zwischen ihren Augen und denen Vesgarinas trennen und gleichzeitig entschlüsselte sich ihr Zusammenhang.
»Es ist schon gut, Garina«, beruhigte Antarona ihre aufgeregte Zofe, »es geht mir wieder gut!« Sie ließ sich von Vesgarina wieder auf den Stuhl helfen und das Mädchen betrachtete enttäuscht die Haare ihrer Herrin.
»Ihr müsst euch nicht um meine Haare sorgen, Garina, ihr braucht nicht noch einmal von vorn zu beginnen, es ist schon gut!« Entsetzt starrte das Mädchen die Frau an, der es diente. Konnte die Gedanken lesen?
»Ja, meine kleine Zofe«, sagte Antarona wie zur Antwort, mein Kopf hört eure Gedanken, und mehr noch!« Vesgarina fühlte sich ertappt und lief puterrot an. Antarona lächelte freundlich und sprach:
»Aber ihr müsst euch nicht grämen, ich trage es euch nicht nach, dass ihr Medunzia das Geheimnis meines Mals verraten habt. Was hättet ihr denn tun sollen? Hättet ihr euch widersetzt, so wäre euch schlimmeres widerfahren! So wisst ihr nun, dass ich es euch nicht verüble und könnt von nun an beruhigter schlafen!«
Das Kammermädchen erstarrte. Antarona wusste davon? Sie konnte in ihren Kopf hinein schauen? Diese Frau war wie eine Schwester zu ihr, nie zuvor hatte sie einer liebenswerteren Frau gedient, dennoch war ihr diese neue Herrin nicht geheuer, sie machte ihr Angst!
Antarona spürte Vesgarinas Entsetzen und versuchte ihr die Angst zu nehmen. Sie schloss das Mädchen, das sich ängstlich verkrampfte, in ihre Arme und küsste ihr mütterlich auf die Stirn.
»Es wird unser Geheimnis bleiben, Garina, und darüber hinaus schätzt es doch glücklich, dass ich in eure Gedanken sehen kann. So können wir miteinander reden, ohne dass ihr ständig Kohle und Papier bei euch tragen müsst!« Etwas skeptisch noch, aber schon beruhigter, nickte das Mädchen zustimmend.
Ein wenig erschrak Antarona ebenfalls. Immer häufiger war sie in der Lage, sich in andere Köpfe hinein zu schleichen und Dinge zu sehen, oder zu hören, die andere nur dachten. Es bereitete ihr immer weniger Mühe, sich mit Wesen, oder Landschaften zu verbinden, kostete sie aber im Gegenzug stets mehr Kraft und schwächte sie für Stunden. Was hatte der Stein der Wahrheit nur mit ihr angestellt?
Nach der Frisierstunde versuchte sich Antarona zu beschäftigen, ertappte sich jedoch immer wieder dabei, dass sie nur ein Ziel verfolgte, nämlich sich für den kommenden Abend vorzubereiten, an dem sie Sebastian wiedersehen würde.
Im Grunde, so versuchte sie sich selbst glauben zu machen, war es doch das, was sie sich wünschte! Ihr Mann ging seinem Tagwerk nach und am Abend lagen sie sich in den Armen! Nur etwas fehlte. Sie wünschte sich ein gemütliches Zuhause, eine kleine, bescheidene Hütte in der Nähe ihres Vaters, ihres gefühlten Vaters, die sie liebevoll einrichten konnte!
Was nützte ihr eine ganze Burg voller überladener Räume, in denen sie ihren Ba - shtie erst Zentaren lang suchen musste? Sie wollte nichts vom König, von diesen sich mächtig fühlenden Menschen, die sich anschickten, ihr sogar ihren Ba - shtie fort zu nehmen!
Antarona begehrte, frei zu sein, ihren Kampf für das Volk zu führen und zu beenden, für ihren Mann, für ihre Kinder, die sie sich unter ihr Herz wünschte und für ein Heim in Frieden und Freiheit! Ba - shtie mochte Areos sein und sie vermochte nicht zu sagen, wie sich alles entwickeln würde. Genau davor hatte sie Angst!
Aber sie vertraute ihm. Er sprach davon, dass alle Menschen des Volkes gleichsam regieren würden. Sie hatte keine Vorstellung, wie das gehen mochte, doch dies war die Hoffnung, mit Ba - shtie ein Leben in den Tälern des Val Mentiér führen zu können. Ein Traum, ein bescheidener Wunsch, der anders aussah, als der einer Oranuti!
Über all diese Umstände dachte Antarona nach, als sie mit einem Mal ein seltsames Gefühl überkam. Es schien, als würden ihre Sinne zu etwas, zu einem bestimmten Ort gerufen. Sie spürte einen inneren Drang, sich zum Südbalkon zu begeben, den sie nicht bewusst wollte. Irgend etwas war von selbst in ihren Kopf geschlichen und lenkte sie! Aber sie fühlte, dass es etwas Gutes war.
Mit einer Mischung aus Unbehagen und Neugier öffnete sie die Tür zum Freisitz und trat hinaus. Augenblicklich spürte sie den Grund für ihre innere Unruhe. Tekla und Tonka! Suchend sah sie sich um, entdeckte aber nur jene der Schwarzvögel, die sich bereits am Vortag auf der Balustrade eingefunden hatten.
Wieder schloss Antarona die Augen und konzentrierte sich auf ihre beiden gefiederten Schwestern. Sie flog knapp über Baumwipfeln dahin, über einem endlosen, gewundenen Tal entlang, schließlich über einen hohen, bewaldeten Bergrücken. Unter ihr schoss ein kleiner Fluss in seinem steinigen Bett dahin. Plötzlich endete das Land an einer Kante zum Nichts und das strömende Wasser fiel rauschend in eine tiefe Schlucht.
Halt suchend stützte sich Antarona an den Rahmen der Tür und öffnete die Augen. Ihre Knie zitterten und schienen aller Kräfte beraubt zu sein. Sie taumelte bis zur Balustrade vor, stützte sich auf dem breiten Sims ab und sah zum Wasserfall hinüber, der aus der Sonne in den Schatten der Felsen fiel.
Aus diesem Schatten lösten sich zwei dunkle Punkte, bewegten sich, kamen heran und nahmen Gestalt an. Gemächlich, mit der Thermik der warmen Felsen, auf denen die Burgfeste ruhte, schwebten Tonka und Tekla heran, ruderten heftig mit den Schwingen und setzten auf der breiten Fläche der Balustrade auf.
Die beiden Vögel ließen sich von Antaronas feingliedrigen Fingern über das Federkleid fahren und sahen sie aufmerksam mit ihren schwarz glänzenden Augenperlen an. Bei Tekla und Tonka musste sich Antarona nicht sonderlich anstrengen, um das zu sehen, was die beiden Krähen in den letzten Wochen erlebt hatten. Sie sah weder deutliche Bilder, noch hörte sie einen detaillierten Bericht.
Vielmehr sah sie Farben, bunt vermischte, sich stetig, mal langsam, mal schnell sich verändernde Farben in abwechselnd warmen oder kalten Tönen, je nach Stimmung. Dazu empfand sie gute oder schlechte Stimmungen, ein bedrückendes, oder glückliches, ein ängstliches, oder zufriedenes, aufgeregtes, oder beruhigendes Gefühl.
Die Gesamtheit dieser Eindrücke formten sich zu einer komplexen Sprache aus Empfindungen, aus spürbaren Impulsen, die sie verstehen konnte. Antarona bediente sich einer Sprache, die keiner Worte, Laute, oder Bilder bedurfte.
Es war die uralte, vergessene Sprache der Götter, aus jener Zeit, da die Götter selbst noch auf der Erde weilten. Eine Sprache, die nur geistige Empfindung war, die immer mehr, von Generation zu Generation erlosch, da sich der Geist der Nachfahren jener Götter an das Leben auf dieser Welt gewöhnten.
Doch manchmal, nach Ewigkeiten von Geburt und Sterben, erblickte ein Menschenwesen das Licht Talris, das diese Kräfte, diese Gabe, sich der geistigen Sprache der Götter zu bedienen, fähig war. Antarona besaß diese Gabe, die durch günstige Fügungen, wie das blaue Licht und den Stein der Wahrheit, sowie durch Nantakis, noch verstärkt wurde. Doch von all dem ahnte das Krähenmädchen selbst nichts.
Sie spürte nur, dass etwas in ihr vor ging, dass sich eine seltsame Fähigkeit in ihrem Körper und ihrer Seele ausbreitete, je älter sie wurde. Als ob etwas Geheimnisvolles, etwas mystisches in ihr heranwuchs. Dieses unergründliche Gabe bescherte ihr Fähigkeiten einer Seherin, machten ihr aber auch um so häufiger Angst, je mehr sie diese Gabe erforschte und ihre Grenzen ausspähte.
In diesem Augenblick dachte sie jedoch nicht so sehr an die Möglichkeiten ihrer heimlichen Begabung, als denn mehr daran, ihrem Vater durch Tekla und Tonka eine Nachricht zu übermitteln. Oft bediente sie sich der geistigen Nachrichten, die ihr Vater ein ums andere mal auch zu deuten wusste. Doch seine Interpretationen beschränkten sich nur auf schlechte und gute Nachricht.
Da sich Antarona zur Zeit zerrissen, unwohl und eingesperrt fühlte, wollte sie nicht riskieren, Hedarons Sorgen um sie noch zu schüren. Sie entschied sich, ihm eine geschriebene Botschaft zu senden. Rasch schrieb sie ein paar Zeilen auf zwei Papiere, wickelte diese in Fettpapier ein und band sie ihren geflügelten Freundinnen um die Beine.
Anschließend genügte ein Gedanke und die beiden Schwarzvögel hüpften vom Sims, ließen sich mit ausgebreiteten schwingen in die Schlucht abkippen und segelten davon. Antarona sah ihnen eine Weile nach, bis sie Tekla und Tonka aus den Augen verlor. Hätte sie es gewollt, so wäre es ihr kein Hindernis gewesen, mit den Augen der Schwarzvögel auf das unter ihnen dahin ziehende Land zu blicken.
Später nahm sie ihr Mahl ein, das, wie verabredet, diesmal von Frethnal über den Speiseaufzug geschickt wurde. Danach bereitete sie sich mit viel Aufwand auf den Abend und das nächste Treffen mit Sebastian vor.

Antarona war verschwunden, als Sebastian aus seinen tiefen Träumen erwachte und enttäuscht hoch fuhr. Er musste einige Zeit darüber nachdenken, ob nicht sogar sie nur Teil seines Traums gewesen war. Doch ihr verführerischer Duft hing noch immer in den Decken und Fellen. Zufrieden sank er wieder auf die Kissen zurück, blickte zum Baldachin seines Bettes hinauf und versuchte sich an jede Einzelheit der letzten Nacht zu erinnern.
Jedes Detail ihrer Zweisamkeit, jede winzige Empfindung ihrer Liebe kam ihm an diesem Morgen wie etwas Heiliges vor, das er sich behüten und am liebsten für alle Zeit konservieren wollte. Antarona war für ihn wie ein Rausch reinen Glücks, der niemals enden sollte, der süchtig machte. Und er war bereits wieder auf Entzug!
Endlich zwang er sich aufzustehen. Es nützte nichts, hinter der wundervollen Nacht her zu trauern, und seine ihm aufgetragenen Aufgaben zu vernachlässigen. Je früher er seine Arbeit erledigt hatte, desto früher konnte er sich wieder auf Antarona und ihr nächstes Zusammensein einlassen.
Sebastian hatte das Gefühl, die zauberhafteste, gleichzeitig aber auch wildeste Leidenschaft seines Lebens ausgekostet zu haben. Er fand die zerwühlten Felle und Decken im Ruhezimmer, die geöffnete Truhe mit den Quarts und in seinem Schlafgemach Antaronas Gürtel aus Metallscheiben. Das also war es, was in der Nacht scheppernd zu Boden ging!
Die süßeste aller Vorstellungen war ihm im Augenblick jene, die ihm zeigte, wie der Gürtel über Antaronas kaum bekleidete Taille glitt. Seufzend schloss Sebastian im Ruhezimmer die Tür zum Balkon, die sie in ihrem Rausch ihrer Zweisamkeit aufgelassen hatten. Gerade, als er die Kassette mit dem Ringgeld verschloss, erschien Frethnal und wünschte ihm, wohl geruht zu haben.
Sebastian wünschte sich seinen Diener in diesem Moment ganz woanders hin, zwang sich aber, die Freundlichkeit zu erwidern und bemühte sich, seinen Geist auf die Arbeit zu konzentrieren.
»Wir werden heute mit den untersten Gewölben beginnen, Frethnal, sorgt also dafür, dass Farasami in drei Zentaren bereit ist, dass ich zuvor noch eine Audienz beim König habe und dass uns alle Räume und Kammern dort unten zugänglich sind!« Frethnal gab eine knappe Bestätigung, dass er alles verstanden hatte. Sebastian fiel noch etwas ein:
»Ach, und Frethnal, wir werden heute nur bis zum Mittag vermessen und uns dann ausruhen! Dafür haltet euch zum Ende des Sonnenlaufs bereit, wir werden nach Falméra hinab gehen!« Er zwinkerte Frethnal verschwörerisch zu und fügte noch an:
»Es könnte sehr spät werden, oder sehr früh, je nach dem, wie ihr es sehen mögt. Ein Soldat der Wache wird uns begleiten, stellt euch darauf ein!«
»Sehr wohl, Herr, ich werde für alles sorgen«, versprach Frethnal eifrig, »ich werde sofort bei Hekthur nachfragen, ob seine Hoheit geneigt ist, euch zu empfangen.«
»Er wird geneigt sein, Frethnal«, bestimmte Sebastian, »denn er will ja etwas von mir, nicht umgekehrt!« Damit entfernte sich sein treuer Diener und Basti begab sich in sein Ankleidezimmer, um seinen Waffenrock anzulegen.
Die Vermessungsarbeit im Kriegsrock auszuführen, gestaltete sich zuweilen zwar als unpraktisch, doch Sebastian wollte zu keiner Zeit Zweifel darüber entstehen lassen, dass er der wieder eingesetzte Herr über alle Streitkräfte war. Mitunter öffnete der unbequeme Rock Türen, die ansonsten verschlossen blieben.
Sebastian wollte sich schon auf den Weg machen, als Frethnal abermals in der Tür erschien. Er schien ziemlich aufgeregt:
»Verzeiht, Herr, zum meinem Bedauern muss ich euch noch einmal stören«, brachte er unsicher hervor und hielt einen länglichen Gegenstand in der Hand.
»Nun, mein Guter«, antwortete Sebastian freundlich, denn es musste etwas Wichtiges sein, »dazu seid ihr doch da, zu stören, nicht wahr? Zu Bedauern wäret ihr gewesen, wenn ihr nicht gestört hättet!« Basti meinte das keineswegs böse, doch verunsicherte er Frethnal damit noch mehr.
»Also, was gibt es Aufregendes, das keinen Aufschub duldet?« fragte er lachend, um dem Diener seinen Druck von der Seele zu nehmen.
»Dieses hier, Herr«, verkündete Frethnal ängstlich und hielt Sebastian einen Dolch hin, »ich fand ihn im Ruhezimmer neben dem Salon Talris, Herr, halb unter der Anrichte verborgen.«
Sebastian nahm ihm die Waffe ab und betrachtete sie kurz. Er erinnerte sich an ihre heiße Nacht im Ruhezimmer und seine Gedanken entführten ihn kurz in die Erinnerung, ließen ihn für einen Moment verträumt in die Weite sehen.
Frethnals Räuspern brachte ihn in die Gegenwart zurück. Sebastian wog den Dolch in der Hand und sagte beruhigend:
»Das ist nur Antaronas Dolch, Frethnal, darüber müsst ihr euch nicht euren Kopf zerbrechen. Sie hat ihn verloren, als sie...«
Er sprach den Satz nicht zu Ende. Er musste seinem Diener nicht noch seine erotischen Abenteuer beichten. Statt dessen lächelte er geheimnisvoll. Frethnal verzog sein Gesicht ebenfalls kurz zu einem geheimnisvollen Grinsen, wurde dann aber wieder schlagartig ernst.
»Herr, Frethnal weiß nichts von einer Antarona in euren Gemächern. Meine Augen sehen solcherlei nicht«, versicherte er, »aber dies dort ist nicht der Dolch jener, von welcher ihr ihn vermutet!«
Sebastian sah seinen Diener erstaunt an, dann wieder auf das verzierte, ähnlich einem Schwert gearbeitete Messer in seiner Hand. Er war sich sicher, Antarona hatte diesen Dolch aus ihrem Metallgürtel gezogen und im Rausch ihrer Liebe achtlos fallen lassen. Er wusste aber auch, dass Frethnal kein Mann war, der Gespenster sah.
»Frethnal, wollt ihr also bitte die Güte haben, mich darüber aufzuklären, wessen Dolch ihr da eurer geschätzten Meinung nach gefunden zu haben wollt?« Sebastian hielt die Waffe hoch und drehte sie vor dem Gesicht seines Kammerdieners.
»Dies ist der Dolch Krenjas, Herr, Frethnal erkennt ihn genau!« Sebastian sah ihn immer noch fragend an.
»Und wer bitte ist Krenja, wenn ihr mich gütigst aufklären wollt«, forderte Sebastian. Nun war es Frethnal, der eine staunende Miene aufsetzte.
»Was ist«, setzte Basti nach, als ihn sein Diener nur dumm anglotzte, »heraus mit der Sprache, wer bei den Göttern ist Krenja?« Frethnal trat verlegen von einem Bein auf das andere, bevor er zögernd antwortete:
»War, Herr! Krenja war eure Base, Herr, anverbunden.«
»Frethnal, ich habe nicht den ganzen Tag Zeit, drückt euch gefälligst klarer aus! Was soll das mit eure Base, anverbunden?« Sebastian wurde allmählich ungeduldig und blickte seinen Diener verärgert an.
»Krenja war die Frau Torbuks, Herr«, gab er stockend zurück. Sebastian sah ihn zweifelnd an und schüttelte den Kopf.
»Das kann nicht sein, ihr müsst euch irren, Frethnal! Wie sollte Antarona an den Dolch von Torbuks Frau gelangen? Das ist dummes Zeug!« Frethnal räusperte sich verlegen und sagte unsicher:
»Ich weiß nicht, was dummes Zeug ist, und was nicht, Herr, doch dies ist ohne Zweifel die Waffe der Krenja, Herr. Frethnal erkennt sie genau. Seht auf die Parierstange, Herr, ihr werdet dort einen kleinen Gor finden!« forderte er Sebastian auf.
Basti drehte den Dolch, bis die Klinge direkt in sein Gesicht zeigte. Tatsächlich war auf beiden Seiten der schmalen Parierstange ein kleiner Drache tief in das Metall eingeschlagen worden. Doch er war misstrauisch.
»Woher soll ich wissen, dass ihr euch nicht irrt?« fragte er den Diener. Frethnal verlor jegliche Unsicherheit und antwortete prompt:
»Herr, ihr mögt euch sicher erinnern, ich berichtete euch davon, wie ich im Raum der losen Stimmen und befreiten Seelen, tief unter der Erde von Quaronas gefangen war?«
»Ja, ich erinnere mich, Frethnal, ihr habt dort, tief unten in Torbuks Kerkern eure Eltern verloren, wie könnte ich das wohl vergessen?« bestätigte Sebastian. Frethnal fuhr fort:
»Eines Tages, meine Eltern lebten noch, kam Torbuk mit Krenja an seiner Seite in die Kerker. Ich kann mich nicht erinnern, was er dort wollte. Doch ich ergriff die Gunst der Zentare und flehte Krenja um Gnade für meine Eltern an.«
»Und, hat sie euch angehört?« unterbrach ihn Basti neugierig. Frethnal schüttelte traurig den Kopf und berichtete weiter:
»Ja, gehört hatte sie mich wohl, doch anstelle meinen Eltern Gnade zu erweisen, zog sie ihren Dolch und hielt ihn mir drohend unter die Nase. Ich dachte, ich müsste sterben, diesen Anblick des Dolches werde ich nicht mehr vergessen, solange ich lebe, Herr. Was ihr dort in der Hand haltet, glaubt eurem treu ergebenen Diener, ist ohne irren der Dolch der Krenja!«
»Verratet mir eines, Frethnal«, wunderte sich Sebastian, »wieso sollte Krenja sich freiwillig von ihrem Dolch trennen, wenn man ihn ihr denn nicht geraubt hat?« Frethnal zuckte die Achseln und ließ seinen Gedanken freien Lauf.
»Krenja ist seit einigen Sommern im Reich der Toten, sie bekam das böse Fieber und starb daran. Möglich, sie hatte den Dolch vorher einem ihrer Vertrauten vermacht, oder er ist nach ihrem Tode von Torbuk weitergegeben worden, wer weiß?«
»Krenja also«, überlegte Sebastian, »Torbuk und Quaronas, immer wieder Torbuk und Quaronas! Langsam wird mir dieser Kerl mit seiner Stadt zum Alptraum! Es wird Zeit, dass etwas geschieht und Bental seine Augen öffnet!«
Sebastian wog die Klinge zwischen seinen Fingern und warf den Dolch hasserfüllt mit voller Wucht durch den Raum. Die Waffe drehte sich blitzend ein paar Mal um die eigene Achse und knallte dann in die Holzvertäfelung der Wand, wo sie vibrierend stecken blieb.
»Wir sind spät dran, Frethnal, danke, dass ihr mich aufgeklärt habt«, sprach Sebastian, »tut nun, was ich euch geheißen, inzwischen statte ich unserem König einen netten Besuch ab!«
Damit riss er das Messer wieder aus der Wand, steckte es sich in den Waffengurt und machte sich auf den Weg in Bentals Gemächer. Sein Rapport bei seiner gütigen Hoheit dauerte nicht lange. Sebastian hatte den Eindruck, dass sich Bental nicht wirklich für die vorgebrachten Anliegen interessierte. Offenbar waren seine Gedanken mit weitaus Wichtigerem beschäftigt.
Bental gab seinem Wunsch nach mehr Budget für die Vermessungsarbeit ohne zu Überlegen nach und unterzeichnete auch ohne zu hinterfragen Sebastians Pläne zur Änderung der Wacheinteilung auf der Burg. So einfach hatte sich das Basti nicht vorgestellt! Es musste etwas sehr Dringendes sein, das seinen König belastete.
Als Sebastian sich schon zum Gehen wandte, hielt ihn Bental noch einmal auf. Er deutete auf Krenjas Dolch und fragte nicht ohne Spott:
»Findet ihr es beeindruckend, euch mit dem Dolch einer Frau zu schmücken, oder darf ich Hoffnung tragen, dass ihr einer Verbindung mit dem Hause Nuharat nicht abgeneigt seid? Hat sie ihn euch gegeben, diese kleine, wie heißt sie noch?«
»Ihr denkt sicher an Farasami, Hoheit, jene, die ihr mir sandtet, mir die Sprache der Ival zu lehren«, erinnerte ihn Sebastian.
»Farasami, richtig«, bestätigte Bental scheinheilig. »Nun, ich darf wohl annehmen, dass die Kleine euren Bedürfnissen entspricht? Ihr Vater ist ein nicht unbedeutendes Glied im Bündnis zwischen Falméra und Oranutu! Aber lasst euch ruhig Zeit mit ihr. Man sollte nichts übereilen, das ein Leben lang verbindet!«
»Der Dolch ist nicht aus dem Hause Nuharat, und auch nicht von Farasami«, entgegnete Basti, ohne auf Bentals Anspielung einer Verbindung mit Farasami einzugehen. Statt dessen zog Sebastian das Messer aus seinem Gürtel und hielt Bental den Griff hin.
»Erkennt ihr diesen Dolch, gütige Hoheit? Er ist ein heimliches Geschenk und ich weiß wirklich nicht, von wem«, log Sebastian und beobachtete aufmerksam die Augen des Königs. Entweder war Bental ein perfekter Schauspieler, oder er war tatsächlich ahnungslos. Er betrachtete das Stück von allen Seiten bemerkte dann aber nur:
»Der Gor ist das Wappen Quaronas. Mögen die Götter wissen, mit welchem Trödel er nach Falméra gelangt ist. Wertvoll ist er nicht, es ist die Arbeit für eine gehobene Tochter aus gutem Hause, keine also mit königlichem Geblüt, und keine Oranuti«, stellte er nüchtern fest. Zu nüchtern, wie Basti fand!
Spielte ihm Bental etwas vor? Krenja war die Frau Torbuks und besaß mindestens einen Fürstentitel. Wieso sollte sie sich mit dem Dolch einer Bürgerlichen geschmückt haben? Oder war es Frethnal, der sich irrte?
Bental gab ihm die Waffe gelangweilt zurück, ohne eine Miene zu verziehen. Hatte er Krenja nie von Angesicht zu Angesicht gegenüber gestanden? Fragen, die sich in diesem Moment sicher nicht aufklären ließen. Sebastian steckte die Mordwaffe wieder ein und verließ Bental mit einer tiefen Verbeugung.
Der König also schien Krenjas Dolch nicht zu kennen. Sebastian ließ die Waffe bewusst in seinem Gürtel, so, dass jeder sie sehen konnte. Bei der Vermessungsarbeit kam er in alle Bereiche der Burg. Er musste nur auf die Augen derer achten, die ihn ansahen.
Er hoffte darauf, dass er am jeweiligen Verhalten erkennen würde, wer etwas über dieses Messer wusste. Möglicherweise war sogar der Täter selbst so unvorsichtig, sich durch einen Blick, oder eine Reaktion zu verraten.
Auf dem Burghof warteten bereits Frethnal und Farasami, als Basti den Treppenturm verließ. Er vergewisserte sich, dass Farasami alles Nötige zur Vermessung dabei hatte, dann schritten sie hinter Frethnal her in den Ostturm, der sie in das Untergeschoss führte.
Sie begannen mit der Garküche, die Sebastian bereits besichtigt hatte und arbeiteten sich weiter vor, in einem Labyrinth von Gängen, Räumen und winzigen Vorratskammern. Frethnal trug eine mächtige, zwanzig Zentimeter hohe Sanduhr bei sich, von der er bisweilen die Zeit ablas und die Glaskammern wendete.
Sie hatten noch kein Drittel des Kellergewölbes vermessen, als der Kammerdiener erleichtert die Mittagsstunde verkündete. Sie stiegen aus der Gruft ins Sonnenlicht und mit zusammengekniffenen Augen, die sich erst an die Helligkeit gewöhnen mussten, entließ Sebastian die beiden.
Eilig suchte Sebastian den Dienst habenden Wachführer auf und übergab ihm die Pläne für die neue Wacheinteilung. Sie sahen vor, zusätzlich eine weitere Wacheinheit zu bilden, um die vorhandenen Wachgänge zu verstärken und zu erweitern.
Der Wachführer, ein großer, stämmiger Kerl von vielleicht dreißig Jahren, warf einen flüchtigen Blick in die Rollen und machte ein Gesicht, als hätte ihm jemand sein Essen in den Burggraben geworfen. Doch er schluckte seinen Ärger hinunter, denn schließlich prangten Schriftzug und Siegel des Königs unter dem Dokument.
Als der Mann zufällig den Dolch Krenjas an Sebastians Gürtel bemerkte, hellte sich sein Blick wieder etwas auf. Seine Miene veränderte sich zu einem belustigten Grinsen, das deutlich machte, was er über einen Heerführer dachte, der einen Frauendolch an seinem Gürtel trug.
»Ach, bevor ich es vergesse«, bremste Sebastian seine Schadenfreude, »ich brauche noch zwei Kriegsröcke, den eines Wachführers und den eines Kriegers. Der König möchte mit mir darüber beraten, wie man sie verbessern kann.« letzteres war freilich gelogen.
Nun war es an Sebastian, ein Grinsen aufzusetzen. Denn der säuerliche Blick des Soldaten gab reichlich Anlass dazu. Basti konnte förmlich seine Gedanken sehen, die seinen Groll dagegen zum Ausdruck brachten, dass sich der neue Heerführer auch noch in die Angelegenheiten der Festungswachen einmischte.
Mit verkniffenem Blick führte ihn der Mann zu den Wachunterkünften und übergab ihm die geforderte Kleidung. Sebastian kündigte an, die Umsetzung der neuen Wachpläne in absehbarer Zeit zu prüfen, legte sich die Waffenröcke über den Arm und ließ den düster dreinschauenden Wachführer stehen.
Sebastian beeilte sich, zurück in seine Gemächer zu kommen. Es war bereits Nachmittag und er wollte sich gründlich auf den nächtlichen Ausflug vorbereiten. Frethnal wartete bereits im Korridor auf ihn.
»Herr, welches Gewand wünscht ihr zu tragen?« fragte er als erstes diensteifrig. Sebastian machte keinen Hehl daraus, dass er es für übertrieben hielt, von seinem Diener die Kleidung herausgelegt zu bekommen. Für ihn genügte es völlig, wenn Frethnal von Zeit zu Zeit in seinen Gemächern aufräumte.
»Das weiß ich noch nicht«, gab Basti knapp zurück und bemerkte Frethnals tadelnden Blick. Er blies etwas genervt seinen Atem aus und erklärte seinem Diener:
»Frethnal, ich bin kein kleines Kind! Wenn ich mich entschieden habe, werde ich wahrscheinlich in der Lage sein, den Rock selbst aus dem Schrank zu nehmen. Sorgt ihr inzwischen dafür, dass der Zuber mit heißem Wasser gefüllt ist. Ich gedenke noch ein ausgiebiges Bad zu nehmen.«
»Aber Herr«, versuchte der Diener noch einen Einwand, »Badetag ist erst in zwei...« Sebastian fuhr ihm ungeduldig über den Mund:
»Badetag ist, wenn ich ein Bad zu nehmen wünsche, merkt euch das, Frethnal! Und nebenbei bemerkt, eure Haut würde unter einer körperlichen Reinigung auch nicht unbedingt leiden!« Sebastian zwinkerte seinem Diener auffällig zu, bevor er noch orakelte:
»Wer weiß, vielleicht läuft euch ja an diesem Abend eine wunderschöne Frau über den Weg. Ich an eurer Stelle würde die Gelegenheit nutzen, wer weiß, wann wir wieder aus diesen dicken Mauern heraus kommen.« Frethnal stand zögernd da, wusste eindeutig nicht, wie er sich nun verhalten sollte.
Sebastian seufzte hörbar und fragte sich, warum sein Diener plötzlich so schwer von Begriff war. Geduldig legte er Frethnal die flache Hand auf die Schulter und sagte fast väterlich:
»Mein guter Frethnal, vor wenigen Tagen lobte ich eure Gedankenschärfe. Hatte ich mich da getäuscht? Ihr füllt mir jetzt den Badezuber, den Rest kann ich wohl allein bewältigen. Und ihr kümmert euch dann gefälligst um euer eigenes Wohlbefinden, ist das klar? Ich möchte nicht mit einem Diener nach Falméra aufbrechen, der gelinde ausgedrückt, den Duft eines Wasels verströmt.« Frethnal glotzte ihn unverständlich an und bewegte sich keinen Zentimeter. Sebastian wurde langsam wütend.
»Verdammt noch mal, Frethnal, seid ihr so begriffsstutzig? Ihr bereitet meinen Zuber und danach wünsche ich, dass ihr euch selbst ebenfalls schrubbt, bis das Weiße eurer Haut rot ist! Und wagt ja nicht, mir wieder ungewaschen unter die Augen zu treten! Wir treffen uns am inneren Tor, wenn es dunkel geworden ist. Und jetzt hinfort mit euch!«
Einem eingeschüchterten Wiesel gleich huschte Frethnal davon. Sebastian hoffte, dass er wenigstens zur Hälfte verstand, was er ihm aufgetragen hatte. Offenbar hielt man hierzulande körperliche Reinigung einmal die Woche, oder einmal monatlich für völlig ausreichend.
Sebastian wunderte sich einmal darüber, dass Antarona in dieser Hinsicht total aus der Art ihres Volkes schlug. Seit Bentals Offenbarung kannte er den Grund: Antarona war zur Hälfte Oranuti! In Oranutu schien Reinlichkeit einen anderen Stellenwert zu besitzen! Das zumindest störte Sebastian nicht an diesem für Ival- Verhältnisse exotischen Volk.
Als Sebastian Lauknitz am späten Nachmittag, es begann bereits zu dämmern, im Vorzimmer seiner Bibliothek vor der Luke zum geheimen Gang stand, trug er den Waffenrock eines einfachen Kriegers, mit dem einpunzierten Wappen Falméras auf dem ledernen Brustschild. Das einfache und kurze, aber schwere Schwert steckte in der Scheide an seinem Gürtel, neben Krenjas Dolch.
Er hatte ein ausgiebiges Bad genossen, hatte eine Stunde lang vor sich hin gedöst und sich einen Lederbeutel mit Quarts gefüllt. Nun stand er vor dem verborgenen Weg, den Antarona ihm gezeigt hatte und war gespannt, was ihn hinter dieser Wand erwarten würde.
Vorsichtig drückte er auf die rechte, obere Ecke der Kassette in der Wandvertäfelung und mit einem leisen Quietschen und Rollen öffnete sich der kleine Durchgang. Wo sich Antarona schlangengleich hindurch gewunden hatte, musste Sebastian lautstark schieben und zerren, um in seinem Waffenrock mit dem Schwert durch die Öffnung zu gelangen.
Schnell zog er das Schränkchen, welches die Stelle verbarg, an die Wand zurück und schloss die Luke. Dann lauschte er. Sein Hindurchzwängen hatte einigen Lärm verursacht und lockte womöglich irgendwelche Bedienstete an. Doch es blieb alles ruhig.
Unsicher tastete er nach den Fackeln, die Antarona ihm angekündigt hatte. Wie ein Blinder tapste er auf allen Vieren auf dem Boden umher, das Schwert stieß einige Male gegen Metall und es hallte durch die Gänge, wie die große Glocke eines Doms.
Das wurde ihm endlich doch zu dumm. Mit flinken Fingern entzauberte er seiner Zunderbüchse ein Feuerzeug aus seiner Welt und drückte den Zünder herunter. Das kleine Flämmchen offenbarte sofort, wonach er gesucht hatte. Ein kleiner Stoß Fackeln lag ordentlich in einer Ecke der dunklen Kammer.
Das Flämmchen leckte am geteerten Kopf und breitete sich rasch aus. Im flackernden Schein erkannte Sebastian zwei Gänge, die ins scheinbare Nichts führten und in einer Ecke befand sich der von Antarona beschriebene Schacht, der in die nächsten Stockwerke führte.
Beherzt griff er nach den Eisenbügeln, die in die Wand eingelassen waren und stieg an ihnen hoch. Es gab sicher elegantere Fortbewegungsarten, als sich in einem steifen Waffenrock mit baumelndem Schwert und mit einem brennendem Knüppel in der einer Hand und zwei Waffenröcken über dem anderen Arm, einen engen Schacht hoch zu hangeln.
Oben angelangt fand Basti den eisernen Hebel für die geheime Klappe, die ihn in Antaronas Gemächer einließ. Bevor er sie betätigte, horchte er angestrengt, versuchte auch das leiseste Geräusch aufzufangen, um eine Entdeckung zu vermeiden.
Nicht nur die Tatsache, dass er sich heimlich mit Antarona traf, musste verdeckt bleiben. Genauso mussten sie das Geheimnis der verborgenen Wege zwischen den Burgmauern hüten, denn sonst war ihnen die Möglichkeit verwehrt, sich zu sehen.
Sebastian wartete eine ziemlich lange Zeit, zählte im Geiste die Minuten und wagte erst, als er ganz sicher war, den Eisenring zu ziehen. Leiser, als auf seiner Etage, öffnete sich der Ausstieg. Diesmal schob er sein Schwert voran, um keine verräterischen Geräusche zu verursachen.
Nachdem sich die Luke mit einem leisen Knacken geschlossen hatte, sah er sich um. Genau, wie ein Stockwerk darunter befand er sich im Vorraum einer Bibliothek. Die Tür stand offen und vorsichtig linste er in das mit Pergamenten und Rollen voll gestopfte Zimmer. Es war wesentlich geschmackvoller eingerichtet, als die Bibliothek seiner Gemächer.
Die Räume schienen wie ausgestorben. Sebastian wagte den Vorstoß in das nächste und übernächste Zimmer, das wie ein Ruheraum, mit vielen Kissen ausgelegt war. Dann folgten zwei nüchterne Räume, die wohl als Arbeitszimmer dienten.
Plötzlich hörte er Schritte. Geistesgegenwärtig huschte er durch die nächste Tür in das angrenzende Vorzimmer. Es war ohne Licht und Sebastian drückte sich in die hinterste Ecke, möglichst weit von der Tür entfernt. Drei Atemzüge darauf flog die Tür zum Zimmer auf und wieder zu, fast gleichzeitig öffnete sich die Tür zum Korridor. Sebastian hielt den Atem an.
Im Lichtkegel, der sich nur für eine Sekunde ausbreitete, erkannte er ein junges Mädchen mit goldenen Haaren. Dann fiel die Tür ins Schloss und er stand wieder in der Finsternis des schmalen Vorzimmers.
»Ein Verkehr, wie auf einem Bahnhof«, murmelte er leise vor sich hin, mehr um sich selbst zu beruhigen. Er wartete noch etwas und nachdem er sich vergewissert hatte, dass die Luft wieder rein war, schlüpfte er zurück in das Arbeitszimmer.
Die folgende Tür ließ ihn in ein Bad treten, das ebenso angeordnet und groß war, wie sei eigenes. Ein schön verzierter, ovaler Zuber aus Holz stand in der Mitte, fast bis zum Rand gefüllt. Die violetten Blüten, die auf der Wasseroberfläche trieben, verbreiteten einen süßlichen, schweren Duft, der den ganzen Raum erfüllte.
Nasse Abdrücke von zierlichen Füßen zeichneten sich auf dem Steinboden ab und führten zur nächsten Tür. Sebastian musste bei der Vorstellung grinsen, Antarona beinahe beim Bad überrascht zu haben. Seine Phantasie spielte ihm verschwommen vor, wie er einfach zu ihr in den Zuber stieg. Eine wundervolle Vorstellung, die er gern einmal in der Realität erlebt hätte.
Im angrenzenden Zimmer brannte ein Kamin und verbreitete angenehmes Licht. Allerdings auch eine Wärme, die er angesichts der sommerlichen Temperaturen für übertrieben hielt. Dann folgte ein großer Salon mit einer Tür zum äußeren Ostturm. An den Türmen konnte sich Basti gut orientieren, denn sie erhoben sich über alle Stockwerke.
Der nächste Raum musste demnach das Schlafgemach sein. Behutsam öffnete Sebastian die Tür, schlüpfte hindurch und zuckte augenblicklich zusammen. Irgendetwas Schweres fiel zu Boden und sprang mit einem Knall in tausend Teile. Der Lärm fuhr ihm in die Glieder und er blieb erstarrt stehen.
Fast gleichzeitig kam ein großer Schatten auf ihn zu geflogen und ehe er sich versah, spürte er eine metallene Spitze, die sich ganz langsam in seinen Hals bohrte.
»Antarona, nimm das Ding weg, ich bin’s Basti«, presste er panisch hervor und wagte kaum zu atmen. Nantakis Spitze entfernte sich etwas von seiner Kehle, zielte aber weiterhin auf seine Brust. Der Schatten schwebte aus der Dunkelheit des Ankleidezimmers durch die begrenzenden Säulen ins Licht vieler Kerzen, die im Schlafgemach aufgestellt waren. Sebastian folgte der Schwertspitze und wusste, dass sie ihn durchbohren würde, sollte er einen Ausbruch versuchen.
Sofort huschte hinter ihm ein blondes Mädchen vorbei und flüchtete ängstlich durch die nächste Tür. Antarona ließ Nantakis sinken und Sebastian schoss die Frage durch den Kopf, was geschehen wäre, hätte ihn ein anderes Schwert überrascht.
»Was schleicht ihr in der Dunkelheit herum, Ba - shtie«, tadelte ihn Antarona zornig, »ihr habt Vesgarina zu Tode erschreckt!«
Sebastian vermutete, dass er nicht nur Antaronas Zofe einen Schrecken eingejagt hatte, behielt das aber weise für sich. Aus Erfahrung wusste er, dass er seine Frau in dieser Situation mit einem falschen Wort in ungezügelte Rage versetzen konnte. Riskierte er in diesem Moment ihr Temperament herauszufordern, war der Abend gelaufen!
»Was bei den Göttern tut ihr hier?« zickte sie ihn an. Sebastian war wie vor den Kopf gestoßen. Frauen! Eine eigene Spezies! Er wusste, dass sie sich nichts sehnlicher wünschte, als ihn zu sehen, doch gab er jetzt nicht die richtige Antwort, würde er anstelle romantischer Stunden ein Donnerwetter erleben!
»Areos hatte Sehnsucht nach seiner Prinzessin«, gab er wahrheitsgemäß zu. Antarona funkelte ihn immer noch gefährlich und skeptisch an, legte aber Nantakis auf eine Anrichte. Da erst fiel ihm auf, wie wunderschön, wie aufreizend sie wieder einmal auf ihn wirkte.
Sie trug einen hoch geschlitzten, dunkelblauen, fast schwarzen Rock, der ihr tief auf der Hüfte saß. Der bodenlange Stoff war vorn mit einer silbernen Bordüre V- förmig tief ausgeschnitten und mit kleinen Stoffquasten behängt. Ein schmales Band von gleichem Blau, an dem ebenfalls kleine Quasten baumelten, sorgte dafür, dass ihr das gewagte Kleidungsstück nicht einfach vom Körper glitt.
Das farblich dazu passende Oberteil war ein viel zu enges und schmales Top, das vorn nur mit Mühe von ein paar Bändchen zusammen gehalten wurde. Aus dem gleichen Stoff waren auch die ringförmigen Armstulpen gefertigt, die ihr über der Armbeuge saßen und an denen ein leichter, dünner Schal herabwehte.
An Stelle ihres Metallgürtels trug sie den Oranutu- Stein in ihrem Bauchnabel und die Elsirenkrone auf der Stirn. Sie hatte ihn also erwartet und gehofft, dass er sie zu den Elsirentänzen entführte! Ihre Haut glänzte bronzen im Licht der Kerzen und Sebastian sog den Geruch ein, der sich aus dem Öl des Mondbaums entfaltete, mit dem sie sich eingerieben hatte.
»Ich hatte dich so vermisst, den ganzen Tag lang«, gestand er ihr, »dann konnte ich die Sehnsucht nicht länger ertragen, habe nur noch auf’s Dunkelwerden gewartet. Es tut mir leid, dass ich deine Zofe verschreckt habe, aber ich hatte nur noch an dich gedacht, und jede Vorsicht fallen lassen!« Sebastian hatte die richtigen Worte getroffen.
Plötzlich lag ein unschuldiger, verführerischer Blick in Antaronas Augen. Mit aufreizendem Hüftschwung kam sie langsam auf ihn zu, legte ihren Kopf schief und während sie ihre Arme um seinen Hals schlang schloss sie erwartungsvoll die Augen und öffnete wie zufällig etwas ihren Mund.
Sebastian fiel förmlich in ihren Bann, aus dem es für ihn kein Entrinnen mehr gab. Er griff in ihre Taille und zog sie fest an sich. Ihr betörender Duft, ihre Haut, die sich durch das Öl feuchtwarm anfühlte und ihr schneller werdender Atem raubten ihm augenblicklich die Sinne.
Ihre glühenden Lippen fanden sich, verzehrten einander und brannten sich fest in heißen Küssen, in deren Flammen sie die Welt um sich herum völlig vergaßen. Antarona wollte ihn ganz spüren, mit jeder Faser ihres Körpers. Mit einer Kraft ihrer Arme, die ihr Sebastian nicht zugetraut hatte, zog sie sich an seinem Hals hoch und schwang ihre schlanken Beine einer einklappenden Schere gleich um seine Hüfte.
Mit jedem Atemstoß, mit jedem Kuss zog sie ihre Beinklammer fester und Sebastian spürte die bebende Hitze ihres Schoßes gegen seinen Körper anbranden, die ihn schlicht um den Verstand brachte. Am liebsten hätte er ihr ohne Zögern die wenigen Stoffteile vom Leib gerissen und sie auf ihr Bett geworfen.
Seine innere Stimme musste mit Gewalt gegen seine Begierde anschreien, um nicht vollständig die Kontrolle über sein Handeln zu verlieren. Nach einer Ewigkeit lösten sich zwei Körper voneinander, die beinahe im gegenseitigen Feuer verglüht wären. Zwei Augenpaare verschlangen sich noch immer und die heftigen Atemstöße klangen als einziges Geräusch wie ein wildes, nach Beute lechzendes Tier durch die Stille des Gemachs.
Aber sie beide wussten, dass dieser Abend, diese Nacht noch mehr für sie bereit hielt. Die Feuertänze der Elsiren würden ihre Leiber noch um ein vielfaches mehr anheizen. Wie in jeder Nacht brachten die Tänze der großen Feuer die teilnehmenden Paare an die Grenze ihrer Gefühle, schürten die Sehnsüchte bis zur Ekstase, bis zu jenem Punkt, an dem sie nur noch den glühenden Wunsch hatten, in hemmungsloser Leidenschaft übereinander her zu fallen.
»Antarona«, unterbrach Sebastian die Stille im Raum, »das Verlangen nach dir hat den ganzen Tag wie ein lähmender Schmerz in mir genagt, hat mich fast aufgefressen! Wie kann ich jetzt von dir lassen, wo du so zauberhaft, so wunderschön vor mir stehst; wie kann ich warten, wenn mein Herz für dich am höchsten schlägt?«
Es sprudelte nur so aus ihm heraus und zu anderer Zeit, in seiner Welt, hätte er es lächerlich gefunden. Doch es waren die Worte seines Herzens und er konnte sie nicht verfälschen, nicht bei Antarona! Sie lächelte ihn an, dass er beinahe schon wieder schwach wurde und raunte ihm zu:
»Habt noch ein wenig Geduld, Ba - shtie, und euer En - gel - sen wird euch tief in ihr Herz entführen.« Damit wandte sie sich von ihm ab und verschwand im Nebenraum, in den sich ihre Kammerzofe geflüchtet hatte.
Augenblicke später kam sie mit dem verschüchterten Mädchen zurück und schob sie vor sich her bis hin zu Sebastian.
»Das ist Vesgarina, Ba - shtie, sie wird auch die Wenderin genannt. Sie kann nicht die Worte zum Klang formen, doch sie vermag mehr zu verstehen, als all das andere Gesinde«, stellte sie ihre Dienerin stolz vor. Sebastian musterte das scheue Mädchen, das ihm mehr noch als Antarona an eine flüchtige Elsire erinnerte.
Zunächst schlug sie ihre Augen nieder, sah ihn dann aber plötzlich offen an und zauberte sogar ein flüchtiges Lächeln auf ihr hübsches Gesicht.
»Sie heißt Areos, den Sohn seiner gütigen Hoheit in den Gemächern ihrer Schwester willkommen«, übersetzte Antarona ungefragt ihre Gedanken und löste auf ihren Wangen Schamesröte aus. In einer kaum wahrnehmbaren Bewegung ging Vesgarina in die Knie und verbeugte sich vor Sebastian.
Die plötzliche Geste überraschte ihn und beschämt wie unbeholfen zog er Vesgarina an den Armen wieder hoch und sagte:
»Es freut mich, dass ich euch endlich kennen lernen darf. Sonnenherz hat euch in höchsten Klängen gelobt und es tut mir aufrichtig leid, dass ich euch so erschreckt habe. Ich hoffe, ihr könnt mir meine Unbedachtheit und Grobheit noch einmal verzeihen?«
Große, offene Augen leuchteten ihn auf einem Mal an und Sebastian wusste auch ohne Worte, was sie zu ihm sprachen. Vesgarina trug ihre Empfindungen so offen in den Augen, dass es ihr wohl kaum möglich war, zu heucheln, oder gar zu lügen. Wahrscheinlich war diese Gabe eine langfristige Folge ihrer klanglosen Stimmbänder.
Sebastian hob die beiden Waffenröcke auf, die ihm bei der stürmischen Begrüßung zu Boden gefallen waren und legte sie auf die Anrichte zu Antaronas Schwert.
»Wie wäre es, wenn die beiden Schönheiten ihre Elsirenkleider in einen Beutel tun und statt dessen diese Waffenröcke anlegen?« fragte er mit lauernder Stimme.
»Sie sind nicht gerade angenehm zu tragen, aber damit schleuse ich euch durch die Wachen und wir können ungehindert nach Falméra gehen und uns der Kurzweil hingeben«, verkündete Sebastian viel versprechend und schüttelte einladend das kleine Säckchen mit den Quarts an seinem Gürtel.
Er wartete geduldig, bis Antarona und Vesgarina sich umgezogen hatten. Sie banden sich die Haare hoch, um nicht als Frauen erkannt zu werden und steckten ihre Elsirenkleider in kleine Lederbeutel, die sie sich umhängten.
Erst jetzt erinnerte sich Sebastian wieder an den Dolch Krenjas, der noch immer in seinem Gürtel steckte. Ohne Worte zog er ihn heraus und gab ihn seiner Frau. Im Beisein ihrer Kammerdienerin wollte er Antarona nicht in sein Wissen über die Waffe einweihen.
Nicht, dass er Vesgarina nicht vertraute, doch angesichts der steten Bedrohung durch Torbuks heimliche Verbündete in Falméra hielt er es für klüger, so lange zu schweigen, bis sie allein waren. Es gab vieles, das er ihr sagen wollte, angefangen von der Tatsache, dass Bental plötzlich von ihrem Mal wusste, bis hin zum Geheimnis dieses Dolches.
In den nächsten Nächten würden sie sich wieder und wieder treffen. Dann konnten sie sich in die verschwiegene Ecke eines der vielen Räume zurückziehen, und ihre Geheimnisse austauschen. An diesem Abend jedoch brannten sie darauf, ein kleines Stückchen Freiheit zu genießen.
Insgeheim zog der Gedanke durch Bastis Kopf, einfach mit Antarona von der Burg zu fliehen. Sie konnten ins Val Mentiér zurückkehren und mit Arrak ohne des Königs Zustimmung den Widerstand gegen Torbuk organisieren. Doch selbst wenn sie das Val Mentiér erfolgreich von Torbuks Einfluss befreien konnten, blieb die Frage, wie lange sie das Tal halten konnten, wenn der Rest des Volossoda in Torbuks Hand war und er womöglich noch Unterstützung von den Oranuti erhielt.
Nein, der faulende Keim in diesem Land musste restlos ausgemerzt werden, eher gab es keinen Frieden! Für dieses Ziel mussten sie auf die Burg zurückkehren. Und sie mussten so lange bleiben, bis Bental zur Besinnung kam, die Gefahr erkannte und handelte! Sie mussten in Falméra bleiben, für das Volk der Ival, für das Land, in dem sie einmal in Glück und Frieden leben wollten!
Antarona versteckte Nantakis im Bettkasten ihres zweiten Schlafgemachs, das sie eigentlich nicht nutzte, und hängte sich statt dessen ein leichtes Kurzschwert um. Es war bereits dunkel, als sie endlich durch die Wandluke im Vorzimmer der Bibliothek in den geheimen Gang einstiegen. Ein Stockwerk tiefer, ebenfalls im Raum der gesammelten Schriften, entließen sie die verborgenen Wege wieder.
Nur mit der Beleuchtung einer kleinen Fackel schlichen sie durch Sebastians Gemächer zum Nordost- Flügel und traten in den Treppenturm des inneren Tores. Wie erwartet, hielt ein Soldat an der Tür Wache. Als er die beiden vermeintlichen Krieger in Begleitung seines Heerführers erblickte, versuchte er mit straffer Haltung zu verbergen, dass er im Stehen eingenickt war.
Sebastian nickte ihm freundlich zu. Der Wachmann glotzte sie aber nur erstaunt an. Er hatte niemanden in Areos Gemächer gehen sehen. Dennoch kam sein Herr mit zwei Kriegern durch die Tür, die er keiner der Wacheinheiten zuordnen konnte. Gleichgültig zuckte er mit den Schultern. Schließlich hatte er nur dafür zu sorgen, dass keine Frau die Gemächer verließ. Niemand hatte ihm aufgetragen, jeden Krieger und Soldaten zu melden, der seinen Heerführer aufsuchte.
Ebenso ungehindert gelangten sie durch das innere Tor. Die Wachen begrüßten Areos mit der üblichen Ehrbezeugung, indem sie sich die linke Hand flach ausgestreckt vor die Brust hielten, und ließen ihn und seine beiden Begleiter ungefragt passieren.
Auch am unteren Hoftor hielt sie niemand auf. Dort trafen sie auf Frethnal. Sebastian stellte seinen Diener vor und beobachtete schmunzelnd, wie Vesgarina feuerrote Wangen bekam. An diesem Abend hatte sie wohl alles Mögliche erwartet, nur nicht, dem Mann zu begegnen, in den sie sich heimlich verliebt hatte.
Frethnal indes würdigte Sebastians Begleiter keines Blickes. Die Verkleidung war perfekt! Er hielt sie tatsächlich für irgendwelche Soldaten, die sie zum Schutz begleiteten. Das glaubte offenbar auch die Wache des Haupttores, die sie zunächst aufforderte, stehen zu bleiben. Als sie jedoch Areos erkannten, grüßten sie ehrfurchtsvoll und machten ihm und seinem kleinen Gefolge Platz, ohne weitere Fragen zu stellen.
Wahrscheinlich lag ihnen der neue Wachplan noch schwer auf dem Magen. Die Angst, einen noch unbequemeren Wachdienst aufgebürdet zu bekommen, machte sie ergeben und gefügig. Sie wurden zudem keinen Augenblick misstrauisch, denn Sebastian hatte Antarona und Vesgarina vorher eingeschärft, den plumpen, schweren Gang eines Mannes zu simulieren.
Erst als sie hundert Meter zwischen sich und das Tor gebracht hatten, hielt Sebastian an. Unter Frethnals erstauntem Blick schlugen sich die beiden Soldaten, von denen sie bis dahin stumm begleitet wurden, seitwärts in die Büsche. Doch noch verwunderter schaute Bastis Diener drein, als er kurz darauf zwei betörend schöne Frauen in verführerischen Elsirenkleidern aus dem Unterholz treten sah.
»Na, nun klappt mal wieder euren Mund zu«, riet Sebastian seinem Diener, »habt ihr etwa noch nie eine Frau gesehen?«
»Ja, natürlich, Herr«, stammelte er verlegen, »doch niemals eine, die so wunderschön war!« Fasziniert stierte er Vesgarina an, die in einem rosa Hauch von einem Kleid vor ihm stand. Ihre goldenen Haare leuchteten im Licht der Gestirne, als glühten sie wie von der Sonne selbst entzündet.
Antaronas Zofe lächelte ihn schüchtern an, ließ dann ihre Hand vor ihrem Herzen kreisen und legte sie anschließend Frethnal behutsam auf die Brust. Es war ihre Art, ihm ihre heimliche Liebe zu gestehen. Frethnal aber schaute sie nur verunsichert an, hingerissen von ihrer Schönheit, und brachte keinen Ton heraus. Sebastian konnte das zögerliche Verhalten seines Dieners nicht länger mit ansehen und sagte:
»Frethnal, das ist Vesgarina, auch Wenderin genannt, die Zofe meiner Frau Antarona. Sie kann nicht sprechen, aber ich denke, sie wollte euch mit ihrem Zeichen mitteilen, dass sie euch mag.«
Als sein Diener noch immer nicht reagierte, stieß Sebastian ihn mit dem Ellenbogen an und fragte ungeduldig:
»Nun, was ist? Also, wir können nicht die ganze Nacht hier herumstehen! Ich erwarte von euch Frethnal, dass ihr euch etwas um sie kümmert, denn Antarona und ich, wir haben etwas besseres vor, als eure Ammen zu spielen! Wollt ihr Vesgarina den ganzen Weg nach Falméra hinunter durch die Finsternis stolpern lassen, oder werdet ihr euch heute noch erbarmen sie zu führen?«
»Ja Herr, natürlich, Herr, sie wird an meinem Arm sicher sein, Herr!« Endlich schien Frethnal aus seiner Faszination zu erwachen. Doch er himmelte Vesgarina immer noch an, als wäre ihm ein guter Geist erschienen. Offenbar glaubte er einem Traum zu erliegen.
Sebastian schüttelte lächelnd den Kopf und grinste Antarona an. Seine Frau betrachtete die beiden mit dankbarem Blick, beinahe so, als wären sie ihre Kinder.
»Na, werden wir es heute noch erleben, dass ihr euch in Bewegung setzt?« fragte Sebastian und knuffte Frethnal abermals freundschaftlich in die Rippen. »Und lasst endlich dieses bescheuerte ja Herr, nein Herr, wenigstens, wenn wir allein sind, verstanden?«
Frethnal nickte, nahm vorsichtig Vesgarinas Hand, als wäre sie eine kostbare, zerbrechliche Skulptur und geleitete sie über den dunklen Weg bis zum Portal, von wo die Freitreppen in die Stadt Falméra hinunter führten.
Sebastian legte wie ganz zufällig seinen Arm um Antaronas Hüfte und zog sie etwas näher an sich heran. Die Luft zwischen ihnen knisterte gewaltig und er musste sich sehr zusammen nehmen, um sie nicht einfach in den nächsten Garten zu ziehen.
Vom Hafen und der Stadt zog ein warmer Hauch herauf, der die vielfältigsten Düfte mit sich trug. Die Häuser unter ihnen leuchteten im zuckenden Schein der vielen Feuer und wären da nicht die Klänge von Musik und lachenden Stimmen, die zu ihnen herauf drangen, so hätte man meinen können, die ganze Stadt wäre einem verheerenden Brand zum Opfer gefallen.
Rechts und links der Freitreppen brannten Fackeln, die in Halterungen an den Grundstücksmauern steckten und Sebastian an die Landebahn eines Flughafens erinnerten. Weit unten, dort, wo die Treppen fußten, lockten die Lichter des Hafens. Bis dorthin zweigten zu beiden Seiten der Freitreppe unzählige Straßen und Gassen ab, die zu den Plätzen führten, an denen Nacht für Nacht die Elsirenfeuer brannten und die Tänzerinnen und Tänzer bis zur Ekstase anheizten.
Bevor Antarona und Sebastian einer dieser Gassen folgten, nahm Basti seinen Diener noch einmal ins Gebet:
»Frethnal, ihr haftet mir mit eurem Leben dafür, dass Vesgarina wieder sicher auf die Burg zurück gelangt! Ihr seid mir für sie verantwortlich, egal, was geschieht!« Dann drückte er seinem Diener einige Quarts von nicht unbeträchtlichem Wert in die Hand und fügte hinzu:
»Damit ihr beiden nicht verhungert, oder verdurstet! So und nun verschwindet. Ich will, dass ihr eine schöne Nacht erlebt, die ihr nicht wieder vergesst!« Mit dankbarem Blick nahm Frethnal seine neue Freundin am Arm und zog sie mit sich, weiter die Treppen hinab. Vergnügt, wie losgelassene, übermütige Kinder sprangen sie die Stufen hinunter.
Antarona führte Sebastian in eine dunkle, schmale Gasse, deren zwei oder drei niedrigen Stockwerke mit den kleinen Fenstern wie gedrungene, sich verkriechende Lebewesen wirkten. Obwohl alle Häuser in einer Flucht aneinander gebaut waren, besaßen sie unterschiedliche Charaktäre.
Es gab helle, freundliche Fassaden, mit Blumen geschmückt, und genau daneben düster wirkende, ungepflegte Eingänge. An einigen Türpfosten hingen Laternen, die ein diffuses Licht verbreiteten, dass gerade dazu ausreichte, nicht über die runden Steine zu fallen, mit denen die Gasse gepflastert war.
Einen leblosen, unbewohnten Anblick bot ein Haus, an dem Antarona plötzlich stehen blieb. Sie musterte die Fassade und den Eingang, als suchte sie nach einem Hinweis, wem das Häuschen gehörte. Es war ein heruntergekommenes Haus, das sich wie ein hässlicher Schandfleck scheinbar von selbst zwischen die anderen Anwesen gezwängt hatte.
Fensterläden hingen schief in ihren Angeln, einige wiesen zerbrochene Lamellen auf, die weißen Steine besaßen abgeplatzte Stellen und das Dach machte den Eindruck, als wollte es im nächsten Augenblick in das Haus stürzen.
»Wem gehört das Haus«, wollte Sebastian wissen, »da steht bald kein Stein mehr auf dem anderen, wenn sich niemand darum kümmert.« Antarona sah ihn etwas verlegen an, hob dann aber stolz den Kopf und erklärte:
»Dies ist mein Haus, Ba - shtie, es gehörte meiner Mutter, die es von ihren Eltern vermacht bekam. Als sie meinen Vater...«
Sie stockte plötzlich und bekam einen verzweifelten Gesichtsausdruck. Zwei drei Tränen rannen ihr aus den unsicheren Augen und sie hob verständnislos die Schultern. Basti verstand sie auch ohne weitere Worte. Er zog sie zu sich heran, drückte sanft ihren Kopf an seine Brust und sagte:
»Nur jene sind deine Eltern, welche dir im Leben Liebe, Schutz und ein behütetes Zuhause gaben. Mag dein Fleisch auch aus einem anderen Leib stammen, dein Herz wird von denen bewohnt, die im Leben an deiner Seite waren. Frage dein Herz, Antarona, und du wirst wissen, wer dir Mutter und Vater waren!«
Dankbar sah sie ihn an und nickte stumm. Dann, als hätte sie einen Lebens entscheidenden Entschluss gefasst, nahm sie Sebastian an der Hand und zog ihn von dem verwahrlost aussehenden Haus fort, die Gasse entlang, hin zu einem der Plätze, auf denen sich die Elsirentänze allmählich ihrem Höhepunkt näherten.
Kurz bevor sie den mit feiernden Menschen überfüllten Platz erreichten, hielt sie noch einmal an, sah ihm tief in die Augen und ihre Lippen berührten fast sein Ohr, als sie ihm im Lärm der Musik sagte:
»Die Weisheit der Götter spricht aus eurem Herzen und eurem Mund, Ba - shtie. Allein die Götter vermögen zu erfassen, welche Freude und welcher Schmerz in den Herzen der Menschenwesen lebt, lacht und trauert!«
Sebastian spürte noch einen flüchtigen Kuss auf seinen Lippen, von dem er gern mehr gekostet hätte. Ohne ihm Gelegenheit zu einer Umarmung oder zur Antwort zu geben, zog sie ihn weiter in den großen Lichtkreis des mächtigen Elsirenfeuers, das den ganzen Platz ausleuchtete und die hellen Hausfassaden im Widerschein erglühen ließ.
Nicht nur die zuckenden Flammen, auch die wilde Musik wurde von den Hauswänden als infernalische, hämmernde und winselnde Klangkulisse zurückgeworfen. Das Gejohle der Zuschauer, die halbnackte Tänzer und Tänzerinnen anfeuerten, das Gekreische der durch die Flammen fliegenden Mädchen und die Rufe ihrer Partner verliehen der ohnehin schon orgiastischen Musik etwas teuflisches, animalisches, das jeder, ob Zuschauer, oder Akteur aufnahm und mehr oder weniger hemmungslos auslebte.
Sebastian blieb zunächst an einem Wagen stehen, neben dem ein Feuer unter geschichteten Steinen lohte. Eine riesige, eiserne Pfanne deckte die Steine ab, so dass die Flammen aus den seitlichen Öffnungen herausschlugen. Eine junge Frau stand schwitzend vor der Pfanne, die man leicht mit einem Wagenrad hätte verwechseln können und frittierte irgendwelche runden und flachen Teiglinge.
Der Duft nach Gewürzen, die Basti an Weihnachten erinnerten, zog in seine Nase und ließ ihn nicht widerstehen. Plötzlich verspürte er einen Mordshunger und blieb neugierig vor der Pfanne stehen. Sein Magen begann unerträglich zu ziehen und er glaubte das Knurren seiner Eingeweide trotz der lautren Musik zu hören.
Die Frau stand verklebten Haaren hinter ihrer Pfanne und ihr weit geöffnetes Oberteil gewährte lüsternen Blicken bereitwillig Einblick. Basti vermutete, dass sie ihre Reize skrupellos einsetzte, um das Geschäft zu beleben. Gerade nahm sie eine Fruchtscheibe mit einem angespitzten Stäbchen und tauchte sie in eine dicke, zähe Masse. Dann warf sie das Ding in das siedende Fett, das zischend aufspritzte.
Sie sah Sebastian gespielt überrascht und mit unschuldigem Blick an, als sie ihn gewahrte. Demonstrativ streckte sie sich und drückte den Rücken durch, als müsste sie ihren Rücken einen Moment lang von der ständigen gebeugten Haltung befreien. Dabei bemühte sie sich wie zufällig, die Schnüre ihres Oberteils bis zum Zerreißen zu dehnen.
Sebastian zeigte mit den Fingern, dass er zwei Teigringe haben wollte und holte einige Quarts aus seinem Beutelchen hervor. Gleichzeitig sah er Antarona an. Doch statt eines erwartungsvollen, freudigen Blickes sahen ihn wütende, flammende Augen an. Sie war eifersüchtig!
Sebastian musste innerlich grinsen, gab sich nach Außen aber erstaunt. Eifersucht war der untrügliche, süße Beweis für die Liebe! Antarona in diesem Zustand zu sehen, steigerte sein Begehren, sie an sich zu ziehen und ihr das dünne Elsirenkleid vom Leib zu reißen.
Bevor er noch etwas sagen konnte, schnappte ihm Antarona in einer schnellen Bewegung die Quarts von seiner Handfläche und hielt der verdutzten und enttäuschten Gebäckverkäuferin die zwei Ringe kompromisslos unter die Nase. Die spürte sofort, dass ein Versuch, diesem Mann noch mehr aus dem Beutel zu locken, zwecklos war. Mit schnippischem Blick übergab sie Sebastian zwei kochend heiße, vor Fett triefende Pfannkuchen.
Sebastian ahnte, dass die beiden Frauen wie zwei kampfwütige Tigerinnen bis aufs Blut übereinander hergefallen wären, hätte er nur den vagen Versuch unternommen, der Bäckerin ein Lächeln zuzuwerfen. Aber gerade das liebte er an Antarona. Ihr impulsives, temperamentvolles Wesen faszinierte ihn, forderte ihn ständig heraus, reizte ihn, ihr mehr als nur einen Kuss abzuringen.
Wie eine heißhungrige Wölfin verschlang Antarona das Gebäck unter Bastis erstaunten Augen. Hatte sie aus Angst vor einem weiteren Giftanschlag die ganze Zeit gehungert? Der nächste Stand, an dem gegrillte Fleischspieße feilgeboten wurden, schien ihm Beweis für seine Vermutung.
Mit gehetzten Augen und wilden Bissen riss Antarona das Fleisch von dem Stab und verschlang es in rekordverdächtiger Schnelligkeit. Das Fett rann ihr aus den Mundwinkeln über das Kinn, doch es scherte sie nicht weiter. Erst als seine heiß geliebte Braut an einem Stand stehen blieb, an dem ein Mann Mestas anbot und sie das starke Gesöff in einem Zug hinunterstürzte, kam Sebastian der wahre Grund in den Sinn.
Forschend sah er sich um und entdeckte hier und dort ebenfalls junge Frauen, die sich beinahe animalisch gebärdeten und von ihren Partnern dabei noch angestachelt wurden. Mit einem Schlag wurde ihm klar, dass dieses Verhalten zum Ritual der Elsirentänze gehörte. Auf diese Weise heizten sich die Paare an, schöpften die übermenschliche Kraft für den Feuertanz aus der Ungezügeltheit ihrer Emotionen!
Ausgelassen tanzte Antarona vor Sebastian her, nachdem sie einen weiteren Becher Mestas ihre Kehle hinunter rinnen ließ. Sie wurde mutiger, frecher, aufreizender, und er machte sich bereits Sorgen, dass sie völlig die Kontrolle über sich verlieren könnte. Aber er genoss das neue Spiel, dass sie ihm nahe brachte, das er aber schon kannte.
Raspina hatte ihm bereits eine Vorstellung davon gegeben, was er von einer Frau erwarten konnte, die sich mit Mestas und dem Feuertanz der Elsiren bis zur Ekstase aufgeheizt hatte. Sebastian vermutete, das die Frauen der Ival eine sicher Methode zur Verhütung praktizierten, denn sonst wäre Falméra wohl schon hoffnungslos überbevölkert.
Wie immer sie es auch machten, Antarona schien nicht daran zu denken. Mit wippendem Schritt und aufreizend schwingender Hüfte tanzte sie an Kramläden und Ständen des leiblichen Wohls vorbei, immer im weiten Kreis um das Feuer herum. Sie wand sich dabei wie eine Schlange zum Trommelwirbel der ungezügelten Musik, dass ihr der Saum des Elsirenkleides immer weiter über die Taille hinab rutschte und sich Sebastian besorgt fragte, wann es ihr gänzlich von der Haut gleiten würde.
Die Trommelschläge und das Verstand benebelnde Gejaule der Sackpfeifen wurde indes immer wilder und steigerte sich in ein unkontrolliertes Lärmen, an dem sich die begeisterten Zuschauer brüllend und schreiend beteiligten. Das zuckende Licht des Feuers, die Hitze, die es abstrahlte und nicht zuletzt der Rauch machten Sebastian fast blind.
Antarona schien die ausschweifende Stimmung nur noch mehr anzuspornen, ihre Reize im zügellosen Tanz zu präsentieren. Einige männliche Zuschauer hatten sich bereits vom Geschehen am Feuer abgewendet und verschlangen sie begierig mit lüsternen Augen. In Basti stieg eine Eifersucht hoch, die ihn daran denken ließ, jeden, der sie anglotzte, mit seinem Schwert zu erschlagen. Das Gefühl, Antarona an einen anderen verlieren zu können, bohrte sich wie eine stumpfe, aushöhlende Waffe in seinen Bauch.
Niemand sollte sein Engelchen so sehen, niemand sollte sie anrühren und bei der Vorstellung, dass ein fremder Mann sie beim Elsirentanz um die nackte Taille fasste, ihre Wärme spürte und den Duft ihrer Haut einatmete, wurde er fast wahnsinnig. Aber es war zu spät. Antarona jetzt noch von der Teilnahme am Feuertanz abzuhalten, hätte bedeutet, sie für diesen Abend zu verlieren! Sie hatte Mestas getrunken und war dabei sich immer mehr in Stimmung zu tanzen. Eher hätte sie ihm die Augen ausgekratzt, als nun auf den wichtigsten Tanz ihrer Kultur zu verzichten.
Sebastian beruhigte sich damit, dass die Allgemeinheit der Ival, anders als die Menschen in seiner Kultur, Liebe und Zueinandergehörigkeit respektierten, ja sogar als heilig und unantastbar empfanden und selbst dem größten Reiz widerstehen konnten.
Tausend verführerische Gerüche von Kräutern, Gewürzen und Essbarem strömten mit der Wirkung von Drogen auf Basti ein, die nicht enden wollende Musik zerhämmerte ihm allmählich den Verstand und das flackernde Licht ließ das ausgelassene Treiben immer mehr vor seinem Anstand verblassen.
Sein begehrender Blick heftete sich mehr und mehr ohne Scham an Antaronas schlanke Beine, die in unbändigen Bewegungen den Stoff des Kleides seitlich davonfliegen ließen, und gleichsam an ihre entblößte Hüfte, die sie immer ausschweifender kreisen ließ und seine Phantasie zum Siedepunkt aufkochen ließ.
Die Musik steigerte sich inzwischen zum Höhepunkt. Der Takt der für Sebastian befremdlichen Musik ließ sich mittlerweile nur noch an der Pauke erkennen, der es noch irgendwie gelang, die anderen Instrumente zu übertönen. Jeden Schlag auf das dröhnende Instrument spürte er als Vibration durch seinen Körper fahren.
Jauchzendes, kreischendes Geschrei der Zuschauer brandete jedes Mal auf, wenn eine Elsirentänzerin sicher in den Armen ihres Partners landete. Aus den Augenwinkeln sah Sebastian die beinahe nackten Körper der Mädchen durch die Feuerwand fliegen. Kräftige Arme fingen die glänzenden Leiber sicher auf und setzten sie sanft auf die Füße, bevor sie sich sogleich wieder im Tanz wiegten, drehten und wie irr hin und her bogen.
Plötzlich, ohne Vorwarnung, im heftigsten Trommelsturm, brach die Musik ab. Sofort fluteten Beifall und jauchzende Anerkennung über den Platz. Durch die Menge der Zuschauer drängten sich die Tanzpaare, die Männer mit verschwitzten Oberkörpern, die Frauen mit angebrannten Kleidern und teils abgerissenen Oberteilen. Hand in Hand liefen sie fluchtartig in die dunklen Gassen.
Neidisch blickte Sebastian ihnen nach. Er wusste, dass sich die erhitzten Körper der Paare am Strand, oder in stillen Nischen nun hemmungslos der angestauten Begierde ihrer Lust, dem Verlangen nach erfüllender Liebe hingaben.
Allmählich ebbte der Beifall ab. Links und rechts drang aus den Gassen die Musik der anderen Plätze, auf denen ebenso ausgelassen und freizügig gefeiert wurde. Antarona hatte noch eine weile ohne Musik weitergetanzt und schien wie in Trance zu schweben.
Dann warf sie sich plötzlich herum und flog geradezu in Sebastians Arme. Er fing sie unbeholfen auf und spürte ihre nackte Haut unter seinen Händen. Das Herz begann ihm in der Brust zu rasen und seine Mund näherte sich wie magisch fordernd ihren Lippen. Da erhob sich unerwartet die deutliche Stimme eines Ausrufers und unterbrach ihre Leidenschaft.
Nur mit Mühe konnte Sebastian verstehen, was der Festbüttel über die Menschen hinweg verlauten ließ. Sein Ival war jedoch schon so gut, dass er den Sinn der Ansprache durchaus verstand:
»Talris hat den Königen durch die Anmut seiner Elsiren die Schönheit und Verführung der Weiber in Versuchung gebracht!« begann er mit rufender Stimme.
»So wanderten sie einst aus dem ewigen Eise in das Land der wandernden Sonne, in das Land der Unbekleideten, wo sie jene mit verzückten Blicken sahen, die Talris ihnen auf die rechte Seite des Throns angedachte. Nach Nächten voller Sehnsucht und Tagen langer Kämpfe wussten sie, dass der Widersacher der Wollust sich nicht beschwichtigen ließ. Denn er war hinterhältiger, als ein Wegeräuber und gerissener als eine Ve-ni-tries. Und so fragten sie sich eines einsamen Mondes, als sie am Feuer saßen und ihre Herzen so einsam waren, wie könnten sie Talris ehren, dass er ihnen die Erfüllung der Liebe und des Lebens schenkte?
Da dachte Talris, wie könnte er der Menschenwesen Könige, seiner Schöpfung, ein verderbtes Wesen hinzufügen, das der Könige Herzen erobere, ihm dennoch aber ein paar Tugenden zu bescheren. Er besann sich der Anmut der Elsiren, sandte die Frauen der Unbekleideten durch das Feuer des Göttertores zu der Menschenwesen Könige, im Tanze aus Feuer geboren!«
Der Rufer hatte noch nicht geendet, da ging seine Stimme bereits im fordernden Beifall unter. Im Chor riefen die Umstehenden nach mutigen Paaren, die sich im Elsirentanz bewähren sollten. Eine Sackpfeife begann einen jämmerlichen Ton anzustimmen, der gnadenlos anhielt, bis das erste Paar den Kreis des Feuers betrat.
Der Ton wechselte und eine Rassel gesellte sich dazu, deren permanentes Geräusch das Begehren unmissverständlich unterstrich. Eine Trommel fiel erst leise, dann fordernder mit ein und in ihrem Takt tanzten die nächsten Paare durch den Kreis der Zuschauer in den Schein der Flammen.
Die Männer warfen mit übertriebenen Gesten ihre Hemden in die Menge, die Frauen und Mädchen ließen die Umhänge von ihren Schultern gleiten und folgten ihren Partnern in gewagt freizügigen Kleidern, oder nur in ein flüchtiges Tuch oder einen durchscheinenden Schal gehüllt, zum Feuer, in das ein par Helfer Holz nachlegten.
Funken stieben zum nächtlichen Himmel und eine zweite Sackpfeife begann eine Reihe verschiedener Töne zu spielen. Allmählich fanden der hämmernde Trommelklang und das Jaulen der Pfeifen einen einheitlichen Rhythmus und ließen tatsächlich so etwas wie eine Melodie erahnen. In langsamem Takt reihten sich weitere Paare in den Reigen ein.
Die Frauen heizten ihre Männer mit ausgefallenen, eindeutigen Bewegungen an, wanden sich provozierend wie indische Tempeltänzerinnen und ließen sich vom allmählich schneller werdenden Takt treiben. Plötzlich spürte Sebastian Antaronas Hand kräftig auf seinem Unterarm.
»Kommt, Ba - shtie, Engelsen wird euch zeigen, welches Feuer in ihrem Herzen und ihrem Schoß brennt.« Mit sanfter Gewalt zog sie ihn in den Kreis des Feuers und in den Reigen der Tanzenden.
Sebastian hatte gehofft, noch einen Tanz auslassen zu können, um sich den Fortlauf genauer einprägen zu können. Doch genauso wenig wie Raspina ließ ihm auch Antarona kaum Zeit zum Nachdenken. Es ergab sich alles wie von selbst und Basti ließ sich nur noch vom Geschehen mitreißen.
Wie er es bei den anderen gesehen hatte, streifte er sich das Hemd ab und warf es hinter sich in die Zuschauer. Spätestens in diesem Augenblick wurde allen auf dem Platz klar, wer das zauberhafte Wesen, diese weibliche Komposition aus einer schlanken, filigranen Ival und einer dunkelhäutigen, temperamentvollen Oranuti zum Elsirentanz führte, die alle bereits fasziniert anstarrten. Das aufgestickte Wappen hatte seine Anonymität aufgehoben.
Die Menge schrie auf, johlte und jubelte, sie warfen vor Begeisterung Kleidungsstücke in die Luft und schwangen Tücher und Hemden zum Gruß. Der Sohn ihres Königs hatte sich ausgerechnet ihr Elsirenfeuer für seinen Tanz ausgesucht und präsentierte ihnen zudem eine seltene, exotische Schönheit, wie sie lange keine gesehen hatten und die sie vom ersten Augenblick an verehrten.
Antarona ließ keine Wünsche offen. Sie begann einen Tanz, den das Volk noch nicht gesehen hatte. Anders, als ihre Mittänzerinnen vollführte sie graziöse Ausfallschritte, wirbelte dann mit zusammengelegten, erhobenen Händen so plötzlich herum, dass erstauntes Raunen und überraschte Ausrufe durch die Zuschauerreihen gingen.
Die übrigen Tänzerinnen mochten sich abmühen, wie sie wollten, allein Antarona zog das Publikum in ihren Bann. Immer wieder begeisterte sie die aufgeheizte Menge, indem sie mit ihren fraulichen Reizen im Wechsel mal mit feiner, mal schier animalischer Bewegung lockte.
Ihr Tanz war durchsetzt von lauernder, wandlerischer Artistik, langsam, fast einschläfernd. Im nächsten Augenblick schien ihre Choreografie plötzlich zu explodieren, sie wirbelte umher, drehte sich um die eigene Achse, ließ sich auf den Rücken fallen, rollte sich perfekt ab, sprang wieder auf die Beine und in riesigen Sätzen von einem Fuß auf den anderen. Sie vollführte immer wieder Saltos rückwärts und blieb mit ineinander verkrallten, vorgestreckten Händen und gespreizten Beinen abrupt stehen, bevor sie ihre Kunst von neuem darbot.
Ihre Bewegungen und Sprünge kamen Sebastian scheinbar bekannt vor, wie eine seltene Darbietung, die er irgendwo einmal zufällig gesehen hatte. Doch er wollte nicht hinter das Geheimnis ihres Tanzstils kommen, denn er war viel zu sehr damit beschäftigt, ihren blitzartigen Verrenkungen und Kunstsprüngen zu folgen, ohne sich vor seinem Volk lächerlich zu machen.
Sebastian war zur Passivität verurteilt. Während die anderen Partner ihre Tänzerinnen immer wieder herum schwangen und hochhoben, sorgte er allenfalls dafür, dass Antarona nach einem Salto nicht stolperte und hart hinschlug.
Erst nach der zweiten Runde um das Feuer dämmerte ihm allmählich, was ihm an der Tanzweise seiner Frau so bekannt vorkam. Und nach einer weiteren halben Runde wusste er es. Er selbst hatte es von ihr gelernt. Sie simulierte einen Kampf! Sie tanzte ihre eigene, ausgefeilte Kampftechnik, ohne Schwert, aber mit allen Finessen ihrer Wendigkeit und Schnelligkeit!
Die Zuschauer ahnten freilich nicht, was sie zu sehen bekamen. Sie glaubten an eine ausgefallene Tanzweise, von der sie sich berauschen ließen, weil sie neu war, weil sie zeigte, zu welch atemberaubender Akrobatik eine Elsirentänzerin fähig war!
Nachdem Sebastian Antaronas Tanz durchschaut hatte, begann er sich immer mehr seiner Frau anzupassen, sich vorsichtig in ihre Choreografie zu integrieren, mit jeder Bewegung etwas mehr, damit es für die Zuschauer plausibel und gewollt aussah. Immer heftiger, immer schneller vollführten sie nun ihre Kampsimulation, die sie auf ihrem langen Weg über die Berge nach Falméra oft bis zur Erschöpfung trainiert hatten. Sie boten dem Volk von Falméra in dieser Nacht einen Zweikampf, wie diese nie zuvor einen gesehen hatten, ohne Waffen zwar, doch mit einer Perfektion, die den Umstehenden den Atem raubte.
Was das übersättigte, verwöhnte Volk von Falméra für eine neue Tanzrichtung hielt, war nichts anderes, als eine Abfolge von Bewegungen, die sich Antarona über Jahre hinweg selbst angeeignet hatte, um in der rauen Welt stets kampfbereiter, roher Männer zu überleben.
Alle jene, die um das Feuer herum standen, mit offenen Mündern glotzten und das temperamentvolle, biegsame Krähenmädchen bewunderten, und sie euphorisch anfeuerten; sie alle ahnten nicht, dass dieser Tanz bereits mehr Schwarze Reiter in das Reich der Toten befördert hatte, als sie wohl jemals zu Gesicht bekommen würden.
Die Musik wurde lauter, Trommeln, Rasseln und Pfeifen änderten den Takt in eine schnellere Spielweise, und das Publikum untermauerte mit klatschenden Händen den Rhythmus, der das Tempo bestimmte und anheizte. Je nachdem auf welcher Seite des Feuers sie sich gerade befanden, wechselten die Gerüche, die Sebastian am Rande seiner Aufmerksamkeit für den Tanz noch wahrnahm.
Irgendwann aber verflüchtigten sich auch diese starken Eindrücke. Was blieb, war die vollständige Konzentration auf ihren Zweikampf, dem sie manchmal Besonderheiten zufügten, wie den Sprung über einen Stein, um sich zum Gegner in eine bessere Position zu bringen.
Mittlerweile tanzten sie keine vorbestimmte Abfolge von Bewegungen mehr, sondern agierten aus der Situation heraus. Sie versuchten sich gegenseitig zu besiegen, waren bemüht, den gegnerischen Schwerthieben auszuweichen, den simulierten Feind zu verwirren und auszutricksen.
Was das Volk für eine noch freizügigere und aufreizendere Tanzart hielt, war für Sebastian und Antarona ein mit Spaßeinlagen gewürztes Training ihrer Kampfkunst, die sie in der letzten Zeit sträflich vernachlässigt hatten. Sie boten dem Volk einen Tanz, eines Königs würdig, ausgefallen, einzigartig, nie da gewesen. Sie waren die Hauptattraktion auf diesem Platz, in dieser Nacht!
Schneller und immer stürmischer wurde der Trommelwirbel, die Stimmung begann zu kochen und stampfende, drehende Füße ließen Staub wie Nebel aufsteigen. Die Spielleute gebärdeten sich noch teuflischer, je mehr die Tanzpaare versuchten, ihrer Musik zu folgten. Das Stampfen der mit Glöckchen behangenen Füße der Musikanten ließ den Bretterpodest, auf dem sie standen bedenklich erzittern.
Halbnackte Frauenkörper, von Männerarmen gehalten, herumgeworfen, empor geworfen, schossen durch die von zuckendem Licht und ziehendem Rauch, von Gerüchen und wilden Klängen erfüllte Nacht. Das Volk schrei und johlte, wollte endlich die Mädchen, die Oranuti- Bräute durch das Feuer zu ihren Königen fliegen sehen.
Sebastian nahm Antarona kaum noch als verführerische Gestalt wahr, viel zu rasch und unverhofft schnellte sie von einem Angriff in die Verteidigung, um mit dem nächsten Lidschlag wieder eine Attacke zu versuchen. Die Spielleute steigerten sich inzwischen in ein derartiges Krescendo, dem zu folgen, Sebastian an seine Grenzen brachte.
Jeden Augenblick musste das Volk mit dem gemeinsamen anschwellenden Ruf fordern, die Tänzerinnen durch die Flammen zu werfen. Doch die Musikanten hatten anderes im Sinn. Ein solch bedeutendes Tanzpaar, wie den Königssohn selbst mit seiner unbekannten, elsirenhaften Schönheit in ihrer Mitte zu haben, war für sie nicht allnächtlich.
Abrupt beendeten sie ihr Spiel und nicht nur die Tanzpaare waren überrascht. Auch die Zuschauer waren völlig irritiert und verstummten. Nur Antarona und Sebastian reagierten nicht. Sie hatten sich so stark auf ihren Zweikampf konzentriert, dass ihnen die plötzliche Stille gar nicht auffiel. In einem atemberaubenden Solo lieferten sie sich einen Kampf, der mit einem Schwert geführt, unbarmherziger nicht hätte sein können.
Erst die begeisterten Zurufe des Publikums brachten sie wieder in die Wirklichkeit zurück. Erstaunt hielten sie inne und sahen sich fragend um. Doch da begann die Musik schon wieder zu spielen. Eine langsame, aber fordernde Melodie stimmte an, in der die mächtige Pauke allein den wiegenden Takt schlug.
Antarona stieg als erste mit schlangenartigen, verführerischen Bewegungen in das neue Klangbild ein. Sie begann die Umkreisung eines Gegners zu tanzen, lauernd und angespannt, bemüht, ihn mit jeder Faser ihres nackten Körpers zu faszinieren, zu bannen, um dann plötzlich, mit der Schnelligkeit einer Schlange vorzustoßen um ihn zu vernichten.
Sebastian kannte ihre Taktik, die ihr als Frau oft genug das Leben gerettet hatte, weil sie ihren Angreifer schlicht überrumpelte. Doch in diesem Tanz sollte sich das ändern! In Sebastians Phantasie entspann sich ein Plan zu einem besonderen Schauspiel, das er seinem vermeintlichen Volk bieten wollte. Ein Spektakel, dass sie niemals vergessen sollten, ein Spiel, dass ihn beim gemeinen, tanzsüchtigen Volk beliebter und Antarona zu einer Legende an seiner Seite machen sollte!
Antarona war ahnungslos, doch er setzte darauf, dass sie rasch erfasste, was er vorhatte und bereitwillig mitspielte. Insgeheim hoffte er, dass auch die Musikanten sein Spiel erkannten und mit einstiegen. Zunächst ging er auf Antaronas Choreografie ein, umkreiste sie ebenfalls mit der Lauerstellung eines angriffsbereiten Ringers. Die Musik würde sich erst allmählich steigern und mit ihr die Schnelligkeit des Kampfes. Doch so lange wartete er nicht.
Plötzlich und unerwartet sprang Sebastian seine Geliebte an, als finge er sie wie eine fliegende Elsire aus der Luft ein. Antarona war völlig überrascht. Sie hatte nicht mit einer Attacke gerechnet und hielt kurz in ihren Bewegungen inne. Er aber musste Zeit schinden, um Antarona Gelegenheit zu geben, in sein Schaustück einzusteigen, gleichzeitig aber weiter spielen, um dem Publikum vorzugaukeln, ihnen einen einstudierten Tanz zu präsentieren.
Sebastian riss sie sanft von den Beinen, warf sie zu Boden und warf sich spielerisch auf sie, wie auf eine lebende Beute. Die Musik spielte weiter, etwas verunsichert, weil die Spielleute noch nichts mit der neuen Situation anzufangen wussten.
»Spiel einfach mit und sie werden dich lieben und verehren«, rief er ihr ins Ohr, gerade so laut, dass nur sie ihn verstehen konnte. Dann stand er auf, verbeugte sich tief vor der noch im Staub liegenden, ihm scheinbar ausgelieferten Schönheit und bot ihr seine Hände, um ihr hoch zu helfen.
Dann begann er Antarona zu umtanzen, zeigte dem Publikum im eindeutigen Spiel, dass er sie begehrte, sie verführen wollte und dass er sein Verlangen nach ihrer Schönheit und Sinnlichkeit kaum noch zu zügeln vermochte.
Die Menge nahm diese schauspielerische Art des Tanzes mit neugieriger Erwartung an. Sie riefen ihnen anfeuernd zu, klatschten begeistert Beifall und waren kaum noch zu bändigen. Immer enger zog Sebastian die Kreise, mit denen er um Antarona herum tanzte. Erstaunlich schnell begriff sie sein Spiel und begann einen Tanz, als wollte sie ihn abwehren, andererseits aber seinen Verführungskünsten erliegen.
Sie tanzten das neue Spiel aus ihrer spontanen Phantasie heraus, jedoch so gut, beinahe perfekt, dass die inzwischen von lüsterner Begierde gepackte Zuschauermenge gar nicht erst auf den Gedanken kam, dass sie die gesamte Choreografie nur improvisierten. Erstaunlicherweise fanden die Spielleute ziemlich rasch einen Klangstil, lieblich, langsam anschwellend, bald fordernd, der das Schauspiel harmonisch untermalte.
Im Takt der Musik und der klatschenden Menschen um sie herum, tanzte sich Sebastian an seine Frau heran, fuhr mit den Händen ehrfürchtig, gleichsam aber verlangend ihre Rundungen ab, ohne sie jedoch zu berühren.
Antarona hingegen tanzte auf der Stelle, wie eine sich unter seinen Berührungen windende Schlange, die es sichtlich genoss, verführt zu werden, ihren Verehrer aber noch grausam lange hinhielt. Immer wieder entwand sie sich tänzerisch seinen fordernden Griffen, drehte sich und lockte ihn erneut mit aufreizenden Gesten.
Frech warf sie ihren Kopf nach hinten, ließ ihre Haare wild durch die Luft fliegen, fuhr langsam mit den Händen über Brüste, Bauch und ihre Schenkel, als erwartete sie die stürmische Eroberung durch ihren Tanzpartner. Kurz bevor Sebastian ihre Taille umfassen konnte, drehte sie sich einen Meter von ihm fort und begann ihr verlockendes Spiel aus Neue.
Mittlerweile fragte sich Sebastian, wen sie mit ihrem gekonnt aufreizenden Spiel zwischen naiver Unschuld und verführerischer Raffinesse mehr anheizte, das vom hinreißenden Spektakel trunkene Publikum, oder ihn selbst.
Plötzlich wünschte er sich nichts sehnlicher, als sie aus dem Kreis der berauschten Zuschauer zu entführen, an einen einsamen Strand, wo sie im Licht einer Fackel alle Bedenken fallen lassen konnten und sich hemmungslos ihrer Leidenschaft und Begierde hingeben durften.
Doch diesen Tanz war Sebastian dem Volk schuldig. Er hatte das Spiel begonnen, er musste es beenden, musste die geschürte Erwartung erfüllen, auch wenn seine Sehnsucht nach Antarona ihn zu verglühen drohte.
Sebastian gestaltete seine Tanzbewegungen immer fordernder, Antarona die ihren noch freizügiger und lockender, bis sie tatsächlich Bastis Hände auf ihrer Haut spürte und sie bis in die tiefste Faser ihres Körpers erschaudern ließen. Sie wand sich wie in Ekstase unter seinen streichelnden Berührungen, drängte ihren Leib flehentlich und bettelnd seinen fordernden Händen entgegen und durfte letztlich doch nur nach der Erfüllung ihrer beider Wünsche schmachten.
Das begeisterte Volk vermutete nicht, dass aus dem anfänglichen Schauspiel längst eine glühende, nicht mehr zu löschende, echte Begierde geworden war, in der sich die beiden Tanzenden vor Verlangen schlicht verzehrten.
Die Spielleute steigerten das Taktmaß und die Lautstärke ihrer Musik, als spürten sie, dass sie das kochende Blut des Tanzpaares zum einen, und der Schaulustigen zum anderen nicht mehr lange würden im Zaum halten können.
Nun begannen auch die anderen Tänzerinnen und Tänzer die spielerische Liebe nachzutanzen. Erst zögernd, dann mit der gleichen Leidenschaft wie Antarona und Basti heizten sie die ohnehin schon brennende Luft mit ihrer Nachahmung noch mehr an. In dieser Nacht erfuhren die Elsirentänze die nicht mehr aufzuhaltende Geburt einer neuen Tanzweise.
Gleichzeitig bekam dieser Ritualtanz eine noch größere Bedeutung für das Volk, insbesondere für die jungen Menschen der Ival. Sebastian hatte als Areos die stille Revolution einer uralten Tradition in Gang gesetzt und damit der Mythologie und dem Glauben der Ival neue Impulse gegeben und das Interesse an ihr neu geweckt! Die nach Neuerungen lechzenden Ival berauschten sich an der neuen und ungewohnten aber willkommenen Abwechslung und Sebastian staunte über dieses einfache Volk, das einer plötzlichen, neuen Offenheit in seiner gewohnten Kultur ohne zu zaudern folgte.
Immer unbändiger tanzten Antarona und Sebastian, steigerten sich in einen Rausch begehrender Sinnlichkeit und die anderen Paare folgten ihnen. Tänzer und Tänzerinnen ließen alle Hemmungen fallen, rissen die Musikanten mit, die mit einem wahren Sturm rhythmischer Klänge den Platz beherrschten.
Choreografie und Bewegungen entwickelten sich von selbst, wurden nur noch vom Verlangen und vom Instinkt der Tanzenden geleitet. Im Rausch, der inzwischen den ganzen Platz überrollt hatte, nahm Antarona Anlauf, schoss in einem Salto durch den Luft und ließ sich von Sebastian auffangen.
Sobald sie seine kräftigen Hände ihre Taille umfassen spürte, umklammerte sie seinen Leib mit ihren Beinen, bog ihren Oberkörper nach hinten, als ließe sie sich in eine Trunkenheit der Lust fallen. Im dröhnenden Takt ließ sie ihr Becken fordernd kreisen und Sebastian hatte Mühe, mit einer Hand ihr Gesäß, mit der anderen ihren Rücken zu halten.
Ihre zur Schau getragene Sinnlichkeit berauschte ihn so stark, dass er die Kontrolle zu verlieren drohte. Er packte Antaronas Hüfte fester und hob sie in die Luft, bevor er sie mit einem Schwung auf dem Boden aufsetzen ließ und sofort wieder mit einem Ruck hochhob. Dies war das Zeichen zum Sprung durch das Feuer.
Sebastian wiederholte die Geste einige Male, bis auch die anderen Tanzpaare bereit waren. Antarona sprang in die Luft, von Bastis kräftigen Armen unterstützt, und mit gleicher Hilfe landete sie wieder sanft auf den Füßen. Im kaum noch zu steigernden Krescendo der ungezähmten Trommeln und Pfeifen sprang Antarona jedes Mal höher, ihr Kleid flatterte wirr um sie herum ihren und gab ihren unverhüllten Körper frei.
Plötzlich verstummten die Pfeifen der Spielleute, nur die Trommeln schmetterten noch wie ein sich überschlagendes Gewitter über den Platz. Jetzt! Es war so weit! Sebastian legte all seine Kraft in die Arme und spürte die Anspannung, die von Antaronas Beinen ausging. Mit der Schnelligkeit einer Sprungfeder schoss sie in die Luft, Basti gab ihr den nötigen Stoß und mit ausgebreiteten Armen verschwand seine Frau in der zuckenden Wand gelbroter Flammen.
Sebastian machte sich bereit, eine andere Tänzerin zu empfangen. Im Lärm der Beifall brüllenden Menge viel es ihm schwer, sich zu konzentrieren. Er zählte in Gedanken die Takte. Drei.., vier.., fünf... Mit wehendem Kleid, wie ein zerzaustes Vögelchen kam ein Mädchen aus den Flammen geflogen. Mit sicherem Griff packte Sebastian sie in den Hüften, ließ sie auf dem Boden abfedern und wirbelte sie im Tanz herum.
Seine neue Partnerin war nur wenig schwerer, als Antarona. Sie hatte ihre rotblonden Haare zu einem dicken Zopf geflochten, der wie eine Peitsche durch die Luft sauste. Ihr Kleid war von gröberem Stoff, dafür aber noch freizügiger geschnitten.
Das Mädchen himmelte Sebastian mit großen Augen an und lächelte verführerisch. Der Traum aller Mädchen, der seit einiger Zeit durch die weiblichen Reihen des Volkes geisterte, ward ihr in diesem Augenblick erfüllt. Sie tanzte mit Areos, mit dem Thronfolger von Falméra! Sebastian allerdings war noch nicht so recht klar geworden, dass er mittlerweile der heimliche Star aller Frauen und Mädchen Falméras geworden war.
Die Sackpfeifen setzten wieder ein und im Tanz warf er sie herum, hob sie mit Schwung in die Luft und fing sie wieder auf. Sie hatte keine Hemmungen, sich an ihn zu klammern, um ihn ihre Reize spüren zu lassen, obwohl sie wahrscheinlich ebenfalls mit einem Partner zum Tanz gekommen war. An ihrem Atem erkannte Sebastian, dass sie mehr Mestas konsumiert hatte, als gut für sie war.
Unter diesem Einfluss drängte sie sich fordernd an ihn, dass er Mühe hatte, sie auf körperliche Distanz zu halten. Offenbar war sie bereit, sich in aller Öffentlichkeit von ihm nehmen zu lassen. Trotz aller verlockenden Reize machte Sebastian ihre freizügige Art Angst und er hoffte flehentlich, die Trommeln würden den nächsten Sprung durch das Feuer ankündigen.
Doch er wusste auch, dass sie ihm nicht gefährlich werden konnte. Er liebte Antarona, ja er spürte sie mit jedem Nerv seiner Glieder und seines Leibes, auch wenn sie nicht direkt bei ihm war. Er spürte diese Frau, die Wildheit und Sensibilität gleichzeitig verkörperte, sein Herz fühlte das ihre und sein Verlangen war nur auf sie ausgerichtet.
Basti konnte es kaum erwarten, seine Hände wieder um Antaronas Taille zu schließen, sich von ihrem Duft berauschen zu lassen, ihre Wärme zu fühlen, der Versuchung zu erliegen, jeden Zentimeter ihrer Haut zu kosten, sie mit all seinen Sinnen zu verschlingen.
Dieses rotblonde Mädchen weckte keine Sehnsucht in ihm. Die Liebe und Leidenschaft Antaronas hielt sein Herz und seinen Geist fest umfangen, und er fieberte dem Augenblick entgegen, da er wieder ihre Nähe spürte.
Die Pfeifen verstummten und überließen dem Hämmern der Schlagzeuge die Bühne. Schneller und schneller wirbelten Stöcke und Ruten auf gespannte Tierhäute nieder, ließen Leiber zucken, springen und schließlich wie von Katapulten gestartet, durch die Luft schießen. Sebastian erhaschte noch den enttäuschten Blick der Tänzerin, bevor sie in den Flammen verschwand.
Er kümmerte sich nicht weiter darum. Seine brennende Spannung galt der Erwartung, Antarona aus dem Feuer auf ihn zu fliegen sehen. Weiter vorn empfing gerade ein Tänzer seine Partnerin, er fischte sie regelrecht aus dem Flug heraus. Sebastian zählte im Intervall der eindringlichen Trommelschläge. Der Mann vor ihm war nun an der Reihe, dann er selbst!
Zählen, rasende Trommelschläge, begeisterte, immer wieder neu anbrandende Chorrufe aus der Menge, zuckendes Licht und Rauch wurden eins. Doch diese Eindrücke schienen plötzlich weite Fernen von Sebastian entfernt. Er bewegte sich in federndem Tanz auf einem Fleck, starrte auf die Feuerwand und ignorierte, dass Staub und Rauch in seine Augen bissen und Tränen über sein Gesicht liefen.
Unerwartete tief kam Antarona mehr durch das Feuer gesprungen, als geflogen. Der Absprung war ihr anscheinend nicht sehr geglückt. Sebastian empfing sie mit offenen Armen. Dennoch stieß sie so heftig gegen seinen Körper, dass sie beide hart hinschlugen. Sie hatten aber nicht so viele Tage während ihrer Reise Falltechniken im Kampf geübt, um den Zuschauern einen chaotischen Sturz zu gönnen.
Statt dessen nutzten sie die Energie ihres Falls, rollten sich gekonnt ab, fanden sich und kamen eng umschlungen wieder auf die Knie, gerade, als die Sackpfeifen erneut mit schneller, jammernder Melodie in den wilden Takt der Trommeln einfielen.
Sebastian zog seine Frau langsam von den Knien hoch, so langsam, dass es für die Zuschauer wie eine eingeübte Tanzbewegung aussehen musste. Antarona spielte mit. Sie ließ sich zunächst führen, schmiegte sich mit der Anmut einer Schlange an ihn, rieb ihre Haut an seiner und schien ihn mit ihren Reizen völlig zu lähmen. Die umstehende Menge feuerte sie an, fordernder, wilder zu werden. Doch Antarona drehte sich plötzlich von Sebastian weg, immerhin noch langsam genug, dass er sie an den Hüften fassen und wieder zu sich zurückziehen konnte. Er umfasste ihre Taille von hinten, als hielt er sie gefangen, während sich Antarona in seinem Griff wie ein wildes, gefangenes Tier hin und her wand.
Die Spielleute stiegen in ihr Spiel ein und wurden langsamer. Je mehr die Musik an Tempo verlor, desto weniger widerspenstig bewegte sich Antarona in Bastis Händen. Nicht lange und sie ließ für die Zuschauer ihr gespieltes Losreißen aus Bastis Griff in eine sinnliche Leidenschaft verwandeln.
Sie drückte ihren Rücken durch, rieb Gesäß und Schenkel in eindeutiger Geste an Sebastians vorstehendem Bein und warf sich immer wieder wild ihre Haare in den Nacken. Dabei schüttelte sie sich in scheinbarer Ekstase und brachte die beobachtenden, erhitzten Gemüter schier zum kochen. Die Menge tobte. Die auf den Geschmack gekommenen Leute wollten nun alles sehen! Die unsichtbare, über viele Generationen hinweg bestehende Hemmschwelle schienen sie mit einem Mal wie einen lästigen Mantel abzuschütteln.
Das jedoch war genau der Punkt, an dem es Sebastian zu weit ging. Er hatte gefühlt, dass Antaronas Schau kein Spiel mehr war, sondern echte, tief empfundene Leidenschaft und pures Verlangen. Er hatte deutlich ihren rasenden Atem, ihr Zittern und die Hitze ihrer Haut gespürt. Wie weit sie bereit war, dieses Spiel noch weiter zu treiben, konnte er nicht ahnen.
Sie war das Kind eines Naturvolkes, für das im Elsirentanz zur Schau getragene Nacktheit und Erotik mit leicht anzüglichen Gesten als Choreografieeinlage etwas völlig Normales waren. Ihre öffentliche, recht freizügige Darstellung angedeuteter Liebessspiele und Sexualität hatte in dieser Nacht ohnehin schon die Moralgrenze der Ival, und erst recht der Oranuti überschritten. Noch mehr zu wagen, konnte möglicherweise unabsehbare Folgen für sie beide nach sich ziehen.
Für Sebastian war der Augenblick gekommen, zu verschwinden. Kurz entschlossen packte er Antaronas Handgelenk und zog sie mit sich aus dem Kreis der Tanzenden. Sie war so überrascht, dass ihr keine Chance zur Gegenwehr blieb. Mit erstauntem Blick folgte sie ihm. Über Monate hinweg hatte sie gelernt ihm zu vertrauen. Sie stellte keine Fragen, ließ sich einfach von ihm führen.
Als Sebastian sich einen Weg durch den Ring der dicht gedrängten Zuschauer bahnte, warf ihm ein Unbekannter sein Hemd zu. Basti hatte angenommen, ein Souvenierjäger hatte es sich unter den Nagel gerissen. Er hatte sich bereits heimlich von dem reich verzierten Kleidungsstück verabschiedet. Im Vorbeidrängen schnappte er noch rasch einem verdutzten Mann die Fackel aus der Hand und griff sich die Riemen seiner Waffen, die scheppernd aneinanderschlugen.
Nur mit dem massiven Einsatz seiner Ellenbogen gelang es Sebastian sich und Antarona durch die begeisterten, johlenden Menschen zu schleusen. Manche klopften ihm anerkennend auf die Schulter, andere jubelten dem Paar zu, dass es gewagt hatte, die Vereinigung zweier miteinander Verbundenen so frei und offen zu tanzen. Einige Männer waren von Antarona so fasziniert, dass sie versuchten, ihr die spärlichen Kleider vom Leib zu reißen. Nur mit größter Anstrengung konnte Sebastian sie vor solchen Übergriffen schützen.
Erst einmal aus dem Kreis des Feuertanzes heraus, beschleunigte Sebastian seinen Schritt. Antarona noch benommen von den Eindrücken und von eigener Trance taumelte auf nackten Füßen willenlos hinter ihm her. Er wusste nicht genau weshalb, doch einer inneren Intuition folgend, schlug Basti den Weg in die stille, dunkle Gasse ein, in der sie ihm das haus ihrer Mutter gezeigt hatte.
Während der letzten Meter gewann Antarona allmählich ihre gewohnte Sicherheit zurück und als sie das dunkle, schmuddelige Haus erreichten, konnte es ihr nicht schnell genug gehen, den großen, verrosteten Schlüssel für die Tür zu finden. Sie entdeckte ihn schließlich unter einem der großen Steine, die in einer Reihe als Begrenzung einer schmalen Rabatte aneinandergelegt worden waren.
Die Feuchtigkeit der Bucht hatte dem Schloss arg zugesetzt. Nur mit kräftigem Rackeln und Herumstochern ließ sich der Metallzylinder knackend drehen. Mit kreischendem, knarrendem Geräusch flog die alte Tür auf und drohte die Scharniere zu sprengen.
»Sag mal, Antarona, wie lange war denn niemand mehr in diesem Haus, dass man selbst mit Schlüssel wie ein Einbrecher...« Weiter kam Sebastian nicht. Die Tür fiel ins Schloss, die Fackel auf den Steinboden, wo sie beinahe aus ging und augenblicklich hing Antarona mit ihrer gewohnten Wildheit an ihm.
Sie warf ihre Arme um seinen Hals, drängte sich stürmisch und fordernd an ihn, dass er im nächsten Moment mit Schultern und Rücken an die Wand prallte. Antarona verfiel einem nicht enden wollenden Rausch, den Sebastian dem Mestas zusprach. In atemlosen, wilden Küssen verzehrten sie sich, drohten aneinander zu ertrinken. Sebastian spürte, wie sich ihr Leib in glühender Leidenschaft an seinem Körper rieb, ihre Schenkel sein Bein umklammerten, als wollte sie ihn damit wie eine gefangene Beute festhalten.
Sebastian packte ihr Gesäß und presste sie noch fester an sich, während sich ihre Hände hinter seinem Kopf verkrallten und sich ihre Lippen heftig auf seine drückten, als wollte sie ihm die Luft aus den Lungen saugen. Beiden drohten allmählich die Sinne zu schwinden, als sie ein permanentes Geräusch allmählich aus ihrer sinnlichen Isolation holte.
Es war ein Klappern und leises Quietschen, das sich in unregelmäßigen Abständen wiederholte und ihre Zweisamkeit störte. Antaronas Lippen suchten noch Bastis Mund, als dieser bereits nach der Fackel angelte, die mit kleinen Flämmchen auf dem Boden müde vor sich hin flackerte.
Enttäuscht ließ Antarona von ihm ab und sah ihm enttäuscht in die Augen. Erst als sie das Geräusch ebenfalls deutlich vernahm, fiel die unbekümmerte Leidenschaft wie eine zweite Haut von ihr ab. Die Kriegerin in ihr war wieder erwacht! Lauernd horchten sie in die Dunkelheit der verstaubten Räume. Sebastian ließ die Lederscheide von seinem Schwert gleiten und hob die Klinge, jederzeit bereit zuzustoßen.
Antarona tastete nun ihrerseits nach dem Schwert, das sie anstelle Nantakis mitgenommen hatte. Gefährlich langsam hob sie die Waffe mit beiden Händen und versuchte ihr Gewicht abzuschätzen. Selbst ein Kurzschwert war für ihre zierliche Gestalt zu schwer, um es sicher im Kampf zu führen. In diesem Augenblick bereute sie, Nantakis mit seinen vorteilhaften Eigenschaften in der Burg gelassen zu haben.
Sebastian, das Schwert in der einen Hand, die zu neuem Leben erwachte Fackel in der anderen, pirschte sich inzwischen den dunklen, staubigen Flur entlang, dem eigenartigen Geräusch folgend, das gewagt hatte, ihm die süßesten Minuten dieses Abends zu rauben.
Der gelbliche Schein wanderte geheimnisvoll drei bis vier Meter vor ihm her, blendete ihn aber mehr, als dass er ihm offenbarte, was vor ihm in den finsteren Zimmern lauerte. Jeden Muskel angespannt drang er in den Raum vor, aus dem die Laute kamen. Plötzlich huschte etwas zu seinen Füßen wieselflink über den Boden und verschwand in einer Art Katzenklappe in der Wand. Klappernd und Quietschend schwang die Klappe zurück.
»Es sind nur Darwicks«, hörte er Antarona neben sich raunen. Basti hielt die Fackel höher, um den Raum besser auszuleuchten. In der hintersten Ecke, in einem Haufen von allerlei Unrat, tummelte sich eine ganze Familie der hundegroßen Kobolde und Sebastian hätte diese Tatsache gelassen hingenommen, wenn es sich nicht um eine Spezies gehandelt hätte, die er bereits aus seiner Welt kannte, wo die verhassten Tiere allenfalls die Größe einer Literflasche erreichten.
»Darwicks? Das sind Ratten, Antarona, eklige, miese Ratten, richtige Riesenviecher sind das! Bis wir die nicht ausgeräuchert haben, setze ich in diesem Haus keinen Fuß mehr vor den anderen, dass du’s weißt«!
»Seid nicht kindisch, Ba - shtie, Darwicks sind nicht gefährlich, sie fürchten sich vor den Menschenwesen«, konterte Antarona mit verstecktem Triumph.
»Mag sein«, gab Sebastian zu, »doch in meiner Welt tragen diese Biester die schlimmsten Krankheiten mit sich, die sie rasend schnell verbreiten«, erklärte er ihr. Bedeutsam fügte er noch hinzu:
»Vor allem bringen sie den Menschenwesen den Fleckentod. Es genügt schon, den Staub ihres Kots einzuatmen«, warnte er sie angeekelt. Als Antarona nicht gleich etwas erwiderte, schlug er drängend vor:
»Komm, wir verschwinden von hier und kommen ein anderes mal wieder. Dann machen wir hier gründlich sauber und überreden die Darwicks sich ein anderes Zuhause zu suchen!«
»Wir kommen wieder in das Haus meiner Mutter?« fragte Antarona mit rätselhafter Scheinheiligkeit. Sebastian verließ beinahe fluchtartig das Gemäuer und sagte, als sie draußen standen und die Tür endlich im Schloss knackte:
»Na ja, wenn sonst niemand etwas von deinem Haus weiß, können wir hier zuweilen ziemlich ungestört sein, oder nicht?«
Ein Leuchten huschte über Antaronas Gesicht und sie ließ es geschehen, dass er sie in den Schatten des Hauseingangs drängte, ihren Körper ganz fest an sich heranzog und ihre sinnlichen, weichen Lippen kostete. Sie erwiderte seinen Kuss, schnappte wie eine erstickende nach Luft und immer wieder suchten ihre bebenden Lippen aufs neue Sebastians Mund.
»Komm mit, wir suchen uns einen schöneren Platz«, forderte er sie auf und zog sie sanft aber bestimmt mit sich. Wie gehetzt liefen sie die Gasse hinab, über den Platz, wo immer noch die Begeisterung für den Tanz hoch kochte. Sie liefen durch erleuchtete, belebte Straßen, über weitere Plätze und Sebastian kam es so vor, als liefen sie im Kreis, denn die Häuser wollten kein Ende nehmen.
Hand in Hand sprangen sie zwischen verwundert blickenden Menschen hindurch, getrieben von dem einen Gedanken: Endlich allein zu sein, sich fallen zu lassen, sich dem Verlangen nacheinander ohne Tabus hinzugeben. Zwischendurch nutzten sie verschwiegene Winkel und Hauseingänge, um sich mit atemlosen Küssen und Liebkosungen weiter anzuheizen, für den ersehnten himmlischen Augenblick, da sie die Begierde ihrer Liebe hemmungslos ausleben konnten.
Ständig wurden sie durch andere Paare gestört, die ihrerseits nach Erfüllung ihrer Leidenschaft suchten, oder von heimkehrenden Hausbesitzern, die sich an den nächtlichen Tänzen berauscht hatten. Getrieben vom Drang, ineinander zu verschmelzen, hetzten sie weiter, schoben sich durch tanzende Menschen, jagten durch dunkle Gassen, sprangen über Zäune, lachten, alberten herum und gebärdeten sich wie die tollen Hunde.
Endlich erreichten sie völlig außer Atem, aber überglücklich den Hafen. Ausgelassen sprang Antarona auf die hüfthohe Hafenmauer, Basti hielt ihre Hand und wie eine Elfe balancierte sie auf der Mauerkrone dahin. Sebastians Gefühle verschlangen das anmutige Bild seiner wunderschönen Begleiterin, bis er es nicht mehr aushielt.
Er packte sie an den Fußgelenken, küsste ihre Beine, bis sie das Gleichgewicht verlor und kichernd von der Mauer zu fallen drohte. Sebastian umschlang ihre Schenkel mit den Armen, hielt sie fest und ließ sie ganz langsam an sich herunter gleiten. Er sog ihren Duft ein, vergrub sei Gesicht in ihrem Bauchnabel und konnte nicht genug von ihr bekommen.
Nun war es Antarona, die los lief und ihn hinter sich her zog. Sie stürmten an der Mauer entlang, das glitzernde Meer zur rechten, die letzten Feuer der Stadt ließen sie links liegen. Irgendwann rannten sie befreit über den einsamen Strand.
Nur wenige kleine Feuer brannten zwischen sandigen Dünen, oder in Mulden, in denen sich verliebte Paare dem Wunsch ihrer Herzen hingaben. Hier und dort verbreitete eine Fackel warmes Licht und hüllte zwei Liebende mit etwas gedachter Geborgenheit ein.
Antarona und Sebastian liefen weiter, immer weiter, bis kein Licht, außer dem der Gestirne mehr zu sehen war. Sebastian wollte ihre Fackel wieder anzünden, doch etwas anderes stand bereits in Flammen. Antaronas sinnliche Lippen überfielen seinen Mund mit dem Feuer des Verlangens. Die Fackel fiel achtlos in den Sand, ihre Körper drängten aneinander, rieben sich in der Hitze ihres Blutes, nicht mehr bereit, länger zu warten, und Sebastian spürte die Glut zwischen ihnen, die sie zu verbrennen drohte.
Leiser Wind fuhr zwischen die Büsche jenseits des Strandes, wisperte geheimnisvoll, die Wellen rauschten in ab und anschwellendem Klang an den Strand und ihre Füße gruben sich in den feinen Sand, der noch warm von der Sonne des Tages war.
Ungestüm erst, dann mit sanfter Zärtlichkeit, schließlich wild fordernd, verschmolzen ihre Lippen in einem ausgehungerten Kuss, der sie in einen Rausch der Erfüllung entführte, dem sie sich in hemmungsloser Liebe hingaben, in dem all ihre Sinne hoffnungslos versanken...

Irgendwann hörten sie nur noch das Rauschen des anbrandenden Meeres, das leise Klingeln der Muscheln und Steinchen, die von jeder Welle über den Strand bewegt wurden. Das Blut pochte noch in ihren Schläfen und verhaltener Wind kühlte allmählich ihre überhitzte Haut, die im faden Licht der Gestirne glänzte. Ausgepumpt und vom Glück beseelt lagen sie nebeneinander im Sand.
Antarona suchte Sebastians Wärme und er schloss ihren nackten Leib beschützend in seine Arme. Er ließ sich von ihrem Duft bezaubern, streichelte liebevoll ihre Rundungen, spielte mit ihren unbändigen Haaren und bedeckte ihre Blöße mit seinem Hemd, als er ihr stilles Frösteln bemerkte.
Dankbar und glücklich blickte das Krähenmädchen ihren Prinzen von Falméra an. All ihre fraulichen Sehnsüchte und Träume, die sie allzu lange vor dem Leid ihres Volkes verdrängt hatte, fanden an diesem Abend heiß ersehnte Erfüllung. Sie durfte eine Nacht lang den schweren Mantel der überlegenen, harten und kalt berechnenden Kriegerin wie eine erdrückende Last abwerfen und sich der liebevollen Wärme, Geborgenheit und Zärtlichkeit eines Mannes hingeben, ohne die Befürchtung, benutzt oder unterdrückt zu werden.
»Was denkt ihr, Ba - shtie«, fragte sie ihn plötzlich, als er seinen Blick stumm und verträumt über die Schaumkronen der Wellen hinaus aufs offene Meer gleiten ließ.
Sebastian löste seinen Blick von der dunklen, silbrig blinkenden Wasserfläche, die irgendwo weit draußen mit der Dunkelheit verschmolz, und sah seiner Frau in die Augen. Er hatte den Eindruck, sie nie sanfter gesehen zu haben.
»Ich denke daran, wie schön es sein könnte, wenn Frieden wäre, wenn wir für immer hier leben könnten. Du hast ein kleines Haus, wir könnten es herrichten und unsere Kinder würden in einer geborgenen Welt aufwachsen, wenn...«
»...wenn euer Vater erwachen und seinen Blick auf Val Mentiér richten würde!« setzte Antarona seine Worte fort. Sebastian spielte nachdenklich mit ihren Haaren und sagte berichtigend, eher wie beiläufig:
»Bental ist nicht mein Vater und ich bin nicht Areos, sein Sohn.« Erstaunt richtete sich Antarona auf. Sie bemerkte nicht einmal, dass ihr Bastis Hemd von den Schultern glitt und ihre Brüste entblößte. Fragend blickte sie ihn an.
»Ich bin nicht Areos, der wieder auferstandene Sohn des Königs, ich war es einmal, vielleicht. Ach, es ist ja zum verrückt werden! Ich weiß nicht wer ich bin, oder wer ich einmal war, oder sein soll. Ich weiß nur eines, und zwar, dass ich Sebastian Lauknitz bin, dein Ba - shtie, und ich will niemals ein anderer sein!«
Plötzlich rückte wieder die Tatsache in Antaronas Bewusstsein, dass sie nach Aussage Bentals seine leibliche Tochter sein sollte. Und sie hatte Areos, den Sohn Bentals in ihren Schoß gelassen! Die Götter forderten für eine Frau, die ihren leiblichen Bruder in ihren Schoß ließ, die Strafe des steinernen Todes. Sie wusste es. Aber sie liebte Ba - shtie, oder Areos, oder wie immer man ihn nennen mochte, sie liebte und begehrte ihn über alles! Herz und Schoß würden ihr leer bleiben, sie wollte den Kampf gegen Torbuks Männer suchen und sterben, sollten sich ihre Herzen entzweien!
»Aber Bental hat euch als seinen Sohn erkannt, Ba - shtie, was wird nur aus uns werden?« In ihrer Frage klang Verzweiflung und unendliche Traurigkeit mit.
Tief seufzend zog Sebastian seine Frau fest an sich, spürte ihre nackten, warmen Brüste auf seiner Haut und hielt beschützend ihren Kopf. Weit verlor sich sein Blick in der Nacht.
»Ich weiß nicht mehr, wer ich bin, mein Engelchen, nur, dass ich dein Ba - shtie bin und dich mehr als mein eigenes Leben liebe. Und wärest du meine Schwester, so würde ich dich um kein Haar weniger lieben. Es würde nichts ändern zwischen uns. Es gibt dich und mich, und wenn die Götter selbst uns trennen wollten, so würde ich dich tief in die Wälder bringen, in irgendein verborgenes Tal, wo niemand uns zu finden vermag, nicht einmal deine Götter. Ich gebe unsere Liebe nicht auf, niemals, um keinen Preis, merk dir das!«
Antarona wollte etwas erwidern, doch Sebastian drückte ihr seine Lippen auf den Mund. Dann sprach er feierlich:
»Ich weiß, du glaubst, dass du meine Schwester bist und dass wir etwas Verbotenes tun. Doch niemand Geringeres, als die Götter selbst, die allmächtig sind und allwissend, sie haben uns die Elsiren, das Zeichen ihres Wohlwollens gesandt, sie selbst haben unsere Herzen miteinander verbunden, ein Band, das nicht einmal der König zerreißen darf! Also sollten auch wir es nicht tun. Antarona, unsere Liebe steht unter dem Schutz deiner Götter!«
Er ließ seine Worte wirken und sah, dass Antarona zwischen Zweifeln hin und her gerissen war. Sebastian hob sanft ihr Kinn an, so dass sie ihm in die Augen schauen musste.
»Ich weiß bestimmt, dass du nicht meine Schwester bist! Denkst du, die Götter hätten unsere Herzen verbunden, wenn es nicht sein dürfte? Sie wissen mehr, als der König, als Elwha und all die Gelehrten von Falméra. Es liegt an uns allein. Wenn wir nicht hadern und zweifeln, wenn wir beide eins sind, wird unsere Liebe ewig sein!«
Antarona sah ihn wehmütig, mit halb geöffnetem Mund an. Zwei Tränen rannen ihr aus den großen Augen, zogen eine glitzernde Spur über ihre Wange und setzten sich auf ihre bebenden, sinnlichen Lippen. In diesem Augenblick sah sie so verführerisch und verlockend aus, gleichzeitig so unschuldig und verletzlich, dass er der Versuchung nicht widerstehen konnte.
Sanft zog Sebastian seine Frau an sich und küsste sie zärtlich. Zuerst wie verschüchtert, dann immer wilder und fordernder erwiderte sie den Druck seiner Lippen. Die Begierde hatte über ihre Zweifel gesiegt.
»Außerdem glaube ich nicht, dass du seine Tochter bist«, sagte Basti atemlos, als sie sich wieder lösten, »ich denke, dass er uns das nur einreden will, damit ich eine Oranuti zur Frau nehme. Aber an eines hatte der große König nicht gedacht. Nämlich, wärest du tatsächlich seine Tochter, so wärest du auch eine halbe Oranuti!«
Als hätte er eine Beleidigung ausgesprochen, verzog Antarona das Gesicht zu einer Grimasse und sah ihn tadelnd an.
»Aber du bis schöner und anmutiger, als es eine Oranuti je sein könnte. Nein, du bist eine Ival, und somit nie und nimmer Bentals Tochter!«
Ein leichtes Strahlen huschte über Antaronas Gesicht. Sebastian aber wusste, dass er mit dem zweiten Satz gelogen hatte. Zumindest erlag er selbst großen Zweifeln. Etwas, das er seiner Frau nie offen sagen durfte, ohne dass sie ihm dafür die Augen auskratzte, stand für ihn felsenfest. In ihren Adern floss definitiv nicht nur Ival- Blut!
Ihr dunkler Hauttyp, ihre bläulich schimmernden, kräftigen schwarzen Haare, das Engelsgesicht mit den großen, dunklen Augen, die wie Sterne leuchten konnten und natürlich das feurige Temperament ließen keinen anderen Schluss zu. Sie war zum Teil eine Oranuti! Dem Wesen, ihrer sportlichen Figur und dem unbändigen Gerechtigkeitssinn nach war sie eine Ival, der Rest von ihr bewies jedoch unübersehbar die überwiegenden Gene einer Oranuti.
»Dann, mein großer Ba - shtie, können wir ja mit der Liebe weitermachen«, säuselte sie neckisch und reckte ihm ihre Brüste entgegen. Sebastian wollte sie schon wieder an sich ziehen, doch sie entwand sich rasch seinem Griff, sprang auf und lief zum Wasser hinunter.
»Wenn ihr aber lieber dort sitzen bleibt...«, rief sie zurück, lockte noch einmal scheinheilig mit wippenden Hüften und stürzte sich kopfüber in die anbrausenden Wellen.
»Na warte, du kleines Biest«, entfuhr es Sebastian lachend, indem er sich hoch rappelte und ihr nachlief. In dieser Nacht vergaßen sie die Welt um sich herum. Alles, was sie sonst belastete, bedrohte und einschränkte, schien mit einem Mal nicht mehr zu existieren.
Ohne zu zögern stürzte sich Sebastian in die rauschenden Wellen. Er empfand das Wasser als angenehm, es versetzte ihn in einen Rausch, als wenn es eine Droge freizusetzen vermochte. Er wusste, welche Droge es war, die seinen Körper elektrisierte. Sie hieß Antarona!
Doch gerade sie schien plötzlich verschwunden zu sein. Basti ruderte mit Armen und Beinen, drehte sich zwischen zwei Wellen um die eigene Achse und reckte den Hals. Es half nichts, Antarona war verschwunden.
Ein schrecklicher Gedanke schoss ihm durch den Kopf. Haie! Sie sprangen nachts in ein ungewöhnlich warmes Meer. In solchen Gewässern pflegten Haie zu jagen! Dabei war sich Sebastian nicht einmal sicher, ob es in Antaronas Welt überhaupt Haie gab. Allein, dass er sie nicht mehr sah, brachte ihn auf diese fixe Idee. Nun hielt er zusätzlich nach Flossen Ausschau, die aus dem Wasser ragten.
Weder eine Flosse, noch seine Frau konnte er irgendwo entdecken. Waren es am Ende noch die Plon-tas, die heimlich in der Dunkelheit badende Menschenwesen jagten? Oder gab es noch andere fürchterliche, Fleisch fressende Kreaturen, die nur darauf warteten, dass ein verliebtes Paar unvorsichtig genug war, sich in ihr Reich zu wagen?
In diesem Augenblick biss ihn etwas mit scharfen Zähnen in die Lenden. Basti schnappte nach Luft, fuchtelte panisch mit den Armen, schlug mit den Händen auf die Wasserfläche, es nützte nichts. Zwei Zahnreihen hielten ihn gepackt und zogen ihn unbarmherzig in die Tiefe.
Und schlug die wildeste seiner Vorstellungen schon Purzelbäume, so wurde er nun auch noch von kräftigen Fangarmen umklammert. Er hielt die Luft an, erstarrte und hoffte, dem Tier vorgaukeln zu können, bereits tot zu sein. Viele Raubtiere ließen erst einmal von ihrem Opfer ab, wenn sie es für tot hielten.
Nicht so dieses! Die Fangarme zogen sich enger und plötzlich spürte Sebastian etwas weiches auf seinen Lippen. Fordernd drängte sich etwas an ihn, doch kein Schmerz durchfuhr seinen Körper, kein Biss riss ihm das Fleisch aus dem Leib, kein Fangarm drohte ihn zu ersticken. Im Gegenteil. Das Tier schmiegte sich mit angenehmer Wärme an ihn und plötzlich ging es wieder hinauf, an die Oberfläche.
Prustend durchbrach Bastis Kopf die Stille der Unterwasserwelt und wurde sofort wieder vom Rauschen der Wellen überfallen. Das Tier hing noch immer an seinen Leib. Es umklammerte fest seine Gürtellinie und zog ihn mit weiteren Tentakeln am Hals.
Bevor er sich das Wasser aus den Augen wischen konnte, fühlte er ein bekanntes, süßes Verlangen auf seinen Lippen. Antarona! Ihr weicher mund legte sich fordernd auf seinen und ein Stein fiel ihm vom Herzen. Von diesem Tier wollte er nur allzu gern gefressen werden!
Sie lockerte etwas ihre Beinklammer, rieb ihre Schenkel an seiner Haut, um höher zu kommen und zog gleichzeitig ihre Arme an um sich einem noch stürmischeren Kuss hingeben zu können. Sebastian kam nicht zum Atem holen. Es war auch nicht mehr wichtig. Er versank mit ihr in einem endlosen Kuss, ihre Körper ließen sich wie einer von der Strömung der an- und abrollenden Wellen treiben.
Sie schwebten im Wasser ihres Glücks, vertrauten darauf, dass der Ozean sie trug und gaben sich vollständig ihren begehrenden Gefühlen hin, die sie heftiger überrollten, als die Brandung der See es vermocht hätte.
Antarona und Sebastian hatten die Zeit vergessen. Sie lagen nebeneinander, küssten sich, streichelten sich, fühlten sich von allen Eindrücken nur so überrollt, und ließen sich ausgepumpt fallen. Ihr Atem beruhigte sich allmählich und sie spürten den leisen Wind auf ihrer Haut und wie das Wasser in weichen Wellen ihre erhitzten Körper umspülte. Erst dann wurden sie müde und drohten eng aneinandergekuschelt im bewegten Wasser einzuschlafen.
Von Bastis kräftigen Armen wurde Antarona plötzlich hochgehoben. Sie schlang ihre Arme um seinen Hals und ließ sich von ihm in die windgeschützten Dünen tragen. Sachte legte er sie in den feinen Sand, der noch immer die Wärme der längst versunkenen Sonne abstrahlte. Sebastian sammelte ihre weit verstreute Kleidung auf und brachte auch ihre Waffen und die Fackel mit.
Im spärlichen, flackernden Schein saßen sie da, stützten gegenseitig die Schultern und lauschten dem einschläferndem Rauschen und Plätschern des Meeres. Über ihnen zogen Wolken dahin, wie gespensterhafte Schatten, die sich regelmäßig vor die Gestirne schoben. Antarona begann jedes Mal zu frösteln, wenn die Sterne für einen Augenblick verschwanden und das Blinken im Himmel erstarb. Die Hitze war aus ihren Körpern gewichen und allmählich kroch die Nacht unter ihre Haut.
»Es ist wunderschön hier, aber wir sollten langsam wieder in die Stadt zurück gehen«, schlug Sebastian vor. Antarona nickte, machte jedoch keine Anstalten, sich zu erheben. Nachtkühle hin oder her, sie konnten sich einfach nicht aus der romantischen Stunde lösen.
Mit fahrigen Bewegungen suchte Sebastian in ihren Sachen herum, als könnte er einen bisher verborgenen Umhang darin finden, den er seiner Frau um die Schultern werfen konnte. Dabei fiel etwas in den Sand, das die Sterne reflektierte.
Nachdenklich nahm Basti Krenjas Dolch auf und wog ihn gewichtig in seiner Hand. Auf Antaronas fragenden Blick antwortete er:
»Es ist kein gewöhnlicher Dolch, mit dem man dich in das Reich der Toten schicken wollte, weißt du das eigentlich?« Antarona nickte und zu Sebastians Erstaunen bestätigte sie:
»Ja, Ba - shtie, ich weiß, er gehörte einer Frau, einer Frau von hohem Stand.« Er wunderte sich nicht weiter über ihre Kenntnis, denn eine so aufwendig gearbeitete Waffe konnte kaum einer Dienerin oder der Frau eines einfachen Bauern gehören.
»Aber weißt du auch, welcher Frau dieser Dolch gehörte, bevor er auf geheimnisvollen Wegen in deine Gemächer fand?« Lauernd sah er in das Gesicht Antaronas.
»Antarona kennt diese Frau nicht, Ba - shtie, aber sie hat sie mit dem Dolch auf einem alten Bild gesehen. Es stand zwischen den Bildern der alten Könige und Heerführer, dort, wo das Dach der Burg beginnt«, offenbarte sie ihm.
»Ach, das ist ja interessant«, entfuhr es Sebastian. »Nun, ich weiß nicht, wer die Frau auf dem Bild war, das du gesehen hast, aber ich weiß, wer diesen Dolch zumindest einige Zentaren besessen hat!«
Als ihn seine Frau mit neugierigem, fast bettelndem Blick festnagelte, gab er sein Wissen preis. Er nahm die Waffe bei der Klinge, hob sie bedeutungsvoll hoch und sprach:
»Dieser Dolch hier gehörte einmal, ich weiß es aus ganz sicherer Quelle, Torbuks Frau Krenja!« Verächtlich warf er das Messer mit so kunstvoller Drehung, dass es mit der Klinge ein Stück weit vor Antaronas Füßen im Sand stecken blieb.
Die Vorstellung, dieser Dolch hätte ihm beinahe seine große Liebe für immer fort genommen, widerte ihn an und machte ihm zugleich Angst. Diese Angst war mehr eine Verzweiflung darüber, dass der Attentäter sein Vorhaben jederzeit wiederholen konnte. Niemand vermochte zu sagen, wann und wie er das nächste Mal zuschlug, solange es keinen Hinweis auf seine Identität gab.
Während Antarona auf den Dolch starrte, als wäre er gerade eben vom Himmel gefallen, dachte Sebastian darüber nach, wie er seine Frau vor einem weiteren Angriff aus dem Hinterhalt schützen konnte. Das Bental sie auf der Burg getrennt hielt, erleichterte seine Suche nach einer Lösung nicht gerade.
Mit funkelndem Zorn in den Augen nahm Antarona die Waffe auf. Sie schien nun schwerer in ihren Händen zu liegen, als vorher. Sie hielt das kalte Metall unschlüssig hoch, als wüsste sie nicht, was sie nun damit anstellen sollte.
Sebastian sah in ihren Augen, dass sie das sie das Ding am liebsten in hohem Bogen ins Meer geworfen hätte. Jede andere Frau hätte es wahrscheinlich getan. Nicht jedoch Antarona. Sie wollte herausfinden, wer hinter den Anschlägen steckte, und dazu brauchte sie den Dolch vielleicht noch.
»Verräterische Brut«, fauchte sie vor sich hin, bevor sie gedankenverloren Sebastian anblickte und nach einer Weile fragte:
»Woher wisst ihr es? Woher wollt ihr wissen, dass der Dolch dieser Schlange Krenja gehörte?« Sie konnte sich keinen plausiblen Zusammenhang ausmalen, der sie mit Krenja verband, die ja schon vor einigen Zentaren in das Reich der Toten gegangen war.
»Frethnal«, versuchte ihr Sebastian zu erklären, »Frethnal fand den Dolch zufällig dort, wo du ihn in der Nacht fallen gelassen hattest, in der wir uns heimlich trafen. Er hatte ihn sofort wieder erkannt. Er trägt das Zeichen des Gors auf der Parierstange, ganz klein nur aber deutlich eingeprägt!«
Sebastian erzählte seiner Frau die Geschichte Frethnals, der als Jugendlicher in Quaronas Kerkern ausharren, und den Mord an seinen Eltern miterleben musste.
Noch einmal drehte Antarona das Messer in ihren Händen und hielt es näher an die Fackel. Plötzlich schien ihr Blick zu erstarren. Als hätte sie dem Tod selbst ins Antlitz geblickt, fuhr sie erschrocken zurück.
»Was hast du, Antarona, was ist, was siehst du?« wollte Sebastian wissen. Antarona reagierte nicht. Ihre Gedanken flogen zurück. Sie wusste, dass sie dieses Symbol des Gors schon einmal gesehen hatte. Figuren und Bildnisse von Gore gab es viele im Volossoda. In einem Land, in dem Gore eine ernst zu nehmende Spezies mit einer nicht unbeträchtlichen Population stellten, nicht ungewöhnlich.
Doch diese Darstellung eines Gors, mit gespreizten Flughäuten und einem zu einer Schlaufe gedrehtem Schwanz, hatte sie nur einmal gesehen! Entschlossen steckte sie den Dolch in den Bund ihres Elsirenkleides. Sie wollte Gewissheit!
»Ba - shtie, steigt in der neuen Sonne mit Frethnal durch die verborgenen Wege in meine Gemächer hinauf!« forderte sie einen überraschten Sebastian auf, der gar nicht so schnell begreifen konnte, wie sie ihre Stimmung von dahin schmelzender Romantik in puren Zorn und gleich darauf in kalte Überlegenheit verwandeln konnte. Wie auf Kommando ernüchtert erklärte sie weiter:
»Ich werde euch nach dem Mahl mit Vesgarina am Ausgang des geheimen Ganges erwarten. Ich muss euch etwas zeigen, es ist sehr wichtig und es vermag wohl einiges zu erklären. Womöglich führt der Anblick dessen ich euch zeigen will, zu jenem, der nach Antaronas Leben trachtet!«
»Also, wer dir nach dem Leben trachtet, darüber brauchen wir ja nun wirklich nicht mehr groß nachzudenken, oder? Das ist ja wohl selbst unter den dümmsten Bauern kein Geheimnis mehr!« warf Sebastian ein.
»Das ist gewiss«, bestätigte Antarona mit gedämpfter Stimme, »doch welcher Helfer er sich bedient, lohnt sich ebenfalls herauszufinden, nicht wahr?«
»Stimmt«, gab Sebastian zu, »in der Burg Falméra wandeln wahrscheinlich mehr Spione und Torbuks Anhänger umher, als wir ahnen. So, wie Bental mit der Sicherheit Falméras umgeht...«
Er ließ den Satz offen, der auch ohne Vollendung genug aussagte. Spontan schlug sich Basti auf die Schenkel, um den Feinden symbolisch den Kampf anzusagen.
»Also finden wir es heraus! Aber wie willst du das anstellen?« Antarona spürte Bastis neugiereigen Blick und verkündete ausweichend:
»Seht euch zuerst an, was ich euch zeigen will! Dann werden wir beraten, was zu tun ist.« Um das Thema abzuschließen, warf sie sich abrupt herum, schwang sich über ihn und presste seinen Leib mit ihren Schenkeln in den Sand. Ihre Augen strahlten wieder überlegen und unternehmungslustig. Sebastian hatte keine Chance den Wandlungen ihrer Launen zu folgen. Er wollte protestieren, doch sie hielt ihn mit ihrer Beinklammer nieder, beugte sich zu ihm hinunter und unter dem Vorhang ihrer schwarzen Haare verschmolzen sie zu einem langen, intensiven Kuss...
Irgendwann wanderten sie Hand in Hand den Strand entlang zurück, der Stadt entgegen, in deren Gassen immer noch ausgelassen gefeiert wurde. Diese Nacht am Strand war eine der wunderschönsten, die Antarona je erlebt hatte. Der Mond strahlt geheimnisvoll und silbern auf sie herab und mit ihren Atemzügen genoss sie die angenehme, leicht salzige Meeresluft.
Der feine Sand unter ihren Füßen fühlte sich an wie seidiges Gras, er schimmerte im matten Schein und Steine und Muscheln tanzten im Schoße der Wellen wie weiße Lichter ans Ufer. Ihr langes schwarzseidenes Haar wurde von einem leichten und angenehm kühlenden Wind gestreift und das zarte Elsirenkleid, das sie auf ihrer bronzenen Haut trug, ließ ihren Körper hindurch scheinen.
Mit den Füßen im Wasser spazierten sie den Strand entlang und Antarona blicke auf die scheinbar endlose Weite des Meeres die aussah wie ein großer Spiegel der Unendlichkeit.
Das sanfte Rauschen der Meereswogen sang ihr ein wunderschönes Lied und trug sie auf seinen Schwingen aus der Wirklichkeit in einen wunderschönen Traum. Unbewusst verlangsamte sie ihre Schritte, als wollte sie das Ende dieser romantischen Stunde so lange wie möglich hinauszögern.
Der Samtmantel der Nacht ließ abertausende von funkelnden Sternen auf der Wasseroberfläche erscheinen und sie tanzten zu den Klängen des Meeresrauschens, es erinnerte sie an die vielen wunderschönen klaren Sternennächte an ihrem See. Ihre großen Augen spiegelten die funkelnden Sterne im Wasser wieder und mit ihren süßen Lippen schenkte sie dem Meer ein zauberhaftes Lächeln.
Sebastian bemerkte ihren glücklichen Gesichtsausdruck, ließ sich aber nichts anmerken. Er war froh, dass sie ihre Sorgen und Ängste für eine Nacht vergessen konnte. Er stellte sich vor, wie es wäre, wenn sie für immer in Falméra leben könnten. Sie könnten allabendlich die Ruhe und den Frieden des Meeres genießen.
Seufzend entließ er diese schöne Vorstellung wieder aus seiner Phantasie. In Falméra leben hieße, König Bentals Ansichten zu entsprechen. Und die sahen wohl etwas anders aus, als die Abende an den Elsirenfeuern und am Strand zu verbringen.
Die mächtige, steile Stadtmauer, die sie nun im Dunkeln aus dem Meer aufragen sahen, warf sich wie eine alte mächtige Festung zum Himmel hinauf. Weiße Schaumkronen zerbrachen an ihrem Fuße und ihr Sprühen bekam durch das Mondlicht einen unwirklichen Schimmer.
In ihrem Schatten brannten zahlreiche Feuer, um die noch immer die erhitzten Leiber halbnackter Paare tanzten. Die vornehmlich jungen Leute, unter denen sich viele Soldaten der Wachen und Heerlager befanden, besaßen keine aufwendig gearbeiteten Musikinstrumente.
Sie benutzten verschieden große Hölzer als Trommeln und selbst gebaute Flöten und Pfeifen. Dennoch entfachten sie eine Stimmung, die Sebastian und Antarona begeistert mitriss. Sie reihten sich in die Tänzerinnen und Tänzer ein, fanden den etwas chaotischen Rhythmus und stellten erstaunt fest, dass die Tanzenden bereits ihren neuen Stil des Feuertanzes übernommen hatten.
Wie schnell das ging! Es mochten gerade zwei, höchstens drei Stunden vergangen sein, als sie die neue Choreografie aus ihrer Phantasie entließen. Schon tanzte man die neue Form an den Stränden. Die Ival sogen anscheinend Neuerungen auf, wie ein Schwamm das Wasser.
Es dauerte nicht lange, bis Antarona und Areos erkannt wurden. Das begeisterte Volk überließ ihnen nun den Tanzplatz und erwartete eine neue mitreißende Vorstellung. Der Thronerbe Falméras und seine anmutige Frau eroberten die Herzen der Menschen im Sturm.
Sebastian ahnte den Grund für die Sympathien, die ihnen nur so zuflogen. Volksnähe! Das war es, was die Ival seit langer Zeit entbehren mussten. Nun war er wieder da, Areos, der Held der letzten Schlacht, auferstanden aus dem Reich der Toten. Und er ging unter das Volk, er gab sich als einer von ihnen, er lebte mit ihnen, litt mit ihnen und tanzte mit ihnen!
Dünn erinnerte sich Sebastian an die Aussage Zinthias, Antaronas Tante, die seine Erkenntnis bestätigte. Sind da oben, über ihrer weißen Stadt eben etwas besseres, als unser einer hier unten.., aber so ist es nun mal, und die Himmelsburg, ist eine ganz andere Welt, wo der herkommt.
Das sagte alles. Das war die Stimme des Volkes, die Meinung der Ival über die dort oben. Eine Meinung, die sich in nur einer Nacht geändert hatte. Areos war die Hoffnung, Sinnbild für Veränderung und für eine bessere Zukunft.
Überall, wohin sie in dieser Nacht noch kamen, brachte man ihnen Achtung und Ehrerbietung, ja sogar Freundschaft, entgegen. Areos und Antarona verkörperten das, was dem Volk der Ival bisher gefehlt hatte. Sie hatten erreicht, was dem König nicht gelungen war. Sie hatten Vertrauen geschaffen!
Bei ihrer Wanderung durch die feiernde Stadt wurden sie buchstäblich von einer begeisterten Menge zur nächsten weitergereicht. An jedem Feuer waren sie bereits Gespräch und wurden jubelnd empfangen.
Soldaten der Heerlager begleiteten sie, ohne dazu aufgefordert worden zu sein. Bei ihnen war Areos bereits vor seiner überraschenden Ankunft auf Burg Falméra Held und Vorbild zugleich. Sie waren stolz, ihren Heerführer bei seinem Gang über die Märkte begleiten zu dürfen.
Anfangs sonnte sich das Paar in seiner neuen Popularität, doch bald wurden sie müde, immer wieder, an jedem Feuer, einem euphorischen Publikum ihren Tanz vorzuführen. Und die Stadt dachte in dieser Nacht gar nicht daran, die Feuer ausgehen zu lassen. Die Menschen feierten, als gelte es den Beginn einer neuen Ära zu feiern.
Sie hatten etwas ausgelöst, das Sebastian Angst machte, so sehr er sich auch von der Euphorie der Ival mitreißen ließ. Er schien über Nacht das Volk und das Heer erobert zu haben. Was, wenn dies Bental missfiel? Was mochte geschehen, wenn der König seine Macht von ihm, von einem Dahergelaufenen untergraben glaubte?
Würde Bental seine überschwängliche Beliebtheit beim Volk und bei den Kriegern gleichermaßen akzeptieren? Oder würde er befürchten, vom neuen Areos vom Thron gestoßen zu werden und würde er alles daran setzen, um ihn und Antarona für immer einkerkern oder gar töten zu lassen?
Aber war das überhaupt noch möglich? Wie wollte er das Volk ruhig halten, wenn Antarona und Sebastian plötzlich verschwunden waren? Die Ival würden gegen die Himmelsburg ziehen, eine Situation, die sowohl Torbuk, als auch den Oranuti zupass kommen würde!
Nein, Sebastian war davon überzeugt, dass ihnen nichts geschehen konnte. Denn wer das Vertrauen und die Liebe des Volkes besaß, besaß auch die Macht! Bental konnte nichts tun, glaubte er. Genauso wenig aber wollte er die neue Macht, die er für sich und Antarona aufkeimen sah, missbrauchen. Sie hatten gelobt, dem König zu dienen und darüber hinaus dem Land, welches Antaronas Heimat war!
Nur mit Bental zusammen konnten sie ein Machtpotential entwickeln, das stark genug war, dieses Land irgendwann von seinen inneren, wie äußeren Feinden zu befreien! Sebastian wusste, dass sie ein riskantes Spiel wagten, hoffte aber auf die Vernunft und Unterstützung Bentals.
Beinahe bis zur Dämmerung zog er mit Antarona und seinen Anhängern von Feuer zu Feuer, von Platz zu Platz, durch Gassen und Straßen, quer durch Falméra. Überall brandete ihnen applaudierende Begeisterung entgegen und die Ehrungen schienen kein Ende nehmen zu wollen.
Wilde, ohrenbetäubende Trommelwirbel, jammernde und jaulende Pfeifen, Gerüche nach allerlei Kräutern und Düfte von gebratenen und gebacken Köstlichkeiten führten sie durch eine verzauberte, lebendige Welt, die Sebastian bislang nur von Jahrmärkten kannte, die gerade mal alle drei Monate stattfanden. In Falméra waren sie offensichtlich Alltäglichkeit.
Insgeheim fragte sich der vermeintliche Thronfolger, wie diese Menschen es fertig brachten, nach solchen Nächten wieder ihrer harten Arbeit nachzugehen. Schlaf erwuchs sich aus so einem Leben als purer Luxus.
Irgendwann erreichten sie wieder die Freitreppen, die zur Himmelsburg hinaufführten. Nur noch wenige Anhänger begleiteten sie. Sie waren ihnen anscheinend so treu ergeben und anhänglich, dass sie ihnen bis in ihre Schlafgemächer folgen würden, gebot ihnen Sebastian nicht Einhalt.
Auf einem Treppenabsatz hielt er an und drehte sich zu ihnen um. Überrascht stellte er fest, dass sich Frethnal und Vesgarina seit geraumer Zeit unter den Leuten der kleinen Gruppe befunden haben mussten. Er musste den fremden Anhang loswerden, ohne seine Bewunderer zu vergrämen.
»Vesgarina und Frethnal«, begann er mit möglichst autoritärer Stimme, »es ist spät, macht, dass ihr auf die Burg kommt, es gibt morgen viel zu tun!«
Basti wartete, bis die beiden sich einige Stufen weit entfernt hatten, dann wandte er sich den übrigen Begleitern zu.
»Und ihr, Leute, ich kann euch schlecht auf mein Schlaflager mitnehmen. Geht nach Hause und behaltet diese Nacht in denkwürdiger Erinnerung. Es wird nicht das letzte Mal gewesen sein, dass wir miteinander tanzten und feierten!« Er machte eine weit ausholende Geste über die berge und die im Gestirnelicht schimmernde Bucht, bevor er verkündete:
»Es wird der Tag kommen, da ich euch brauche, jeden und jede einzelne von euch. Es wird ein Tag kommen, an dem wir noch wilder und mit Waffen in den Händen tanzen werden, um das zu bekämpfen, das euch eure Freude und euer hab und Gut nehmen will. Es wird ein Tanz werden, der Torbuk das Fürchten lehren wird und der den Oranuti sagen soll, dass sie unsere Freunde sind und bleiben, nicht aber unsere Könige!«
Die letzten Silben sprach er betont laut und deutlich und löste eine Welle des Jubels aus. Er hatte den empfindlichen Nerv des Volkes getroffen, den Bental nicht sehen mochte.
»Doch nun, meine Freunde«, fuhr er fort, »geht nach Hause, erzählt euren Familien und Freunden, was ich euch gesagt habe. Geht am Tage eurer Arbeit nach und vergesst nicht wofür ihr es tut! Ihr tut es für euch, für eure Kinder, für eure Frauen und Männer, für eure Freiheit und nicht für den König! Denn was wäre König Bental, was wäre ich ohne euch, meine Freunde? Und damit ihr seht, dass ich euch keine leeren Versprechen mit auf den Weg gebe, werde ich regelmäßig zu euch an die Elsirenfeuer kommen und mir eure Wünsche, eure Sorgen und Ängste anhören und euch helfen, wo ich kann!«
Damit wandte er sich um und stieg mit Antarona Hand in Hand die Stufen zur weißen Burg hinauf. Hochrufe und Jubel folgten ihnen. Noch einmal winkte Areos seinen Anhängern zu, dann verebbten allmählich die vielen Stimmen.
Am großen Portal trafen sie wieder auf die beiden Bediensteten, die Antarona halfen, ihre Tarnung als Soldat anzulegen. Entgegen seinen ersten Erfahrungen, waren die Wachen sehr aufmerksam. Sie musterten die Vier und standen wie ein Fahnenmast, als sie Areos erkannten.
Mochten sie sich wundern, woher er zu so früher Stunde kam, so zeigten sie es nicht. Anscheinend glaubten sie an einen Kontrollgang ihres Heerführers. Hätten sie noch aufmerksamer hingesehen, so wäre ihnen mit Sicherheit Vesgarinas blondes Engelshaar aufgefallen, das unter dem viel zu weiten Helm hervorquoll.
Wie oft sie diese Maskerade spielen konnten, bevor ihre Ausflüge herauskamen, wagte Sebastian nicht zu schätzen. Doch auf Dauer würde es wohl nicht funktionieren!
Durch die geheimen Gänge begleitete Sebastian Antarona in ihre Gemächer, bevor er selbst sein Schlafzimmer aufsuchte. Ohne sich seiner Kleider zu entledigen fiel er auf das harte Bett und schlief sofort ein...

Es war bereits Vormittag, als Frethnal ihn weckte. Sein Diener blickte ihn aus übernächtigten Froschaugen an und Sebastian vermutete, dass er selbst nicht viel besser aussah.
»Seine gütige Majestät wünscht euch zu sehen, Herr.., umgehend«, verkündete sein Diener mit wichtiger Miene und zog die schweren Vorhänge von den großen Fenstern zurück.
Sebastian blinzelte in die Sonne. Was für ein schöner Tag! Und was war das erst für eine Nacht! Die schönste, an die er sich Zeitlebens erinnern konnte. Seine Gedanken kamen nur schwer in Gang, kreisten immer noch verträumt um das Schönste, das er zu benennen wusste: Antarona!
Plötzlich durchfuhr es ihn wie ein Blitz. Hatte er nicht mit Antarona abgemacht, sich mit ihr zu treffen, damit sie ihm die alten Bilder auf dem Dachspeicher zeigen konnte? Er schätzte den Stand der Sonne und kam zu dem Schluss, dass es dazu ohnedies zu spät war. Er hatte den halben Tag verschlafen!
Außerdem durfte er König Bental nicht warten lassen. Wohl mehr als eine Ausrede hätte er dem Herrscher präsentieren können, um seine Verspätung zu entschuldigen. Doch sollte er das Vertrauen, dass er gerade versuchte aufzubauen, schon nach so kurzer Zeit durch eine schnöde Lüge in Frage stellen?
Nein! Er hatte die Nacht hindurch gefeiert und wollte auch dazu stehen. Indem Basti ungewaschen in seine Kleider stieg und versuchte, seine Haare zu ordnen, die an einen Wald nach einem Hurrikan erinnerten, wandte er sich halb seinem wartenden Diener zu.
»Frethnal, für unsere Arbeit ist es inzwischen zu spät. Aber ich habe eine andere Aufgabe für euch, die einiges an Verschwiegenheit erfordert.«
»Alles, was ihr wünscht, Herr, es ist bei mir wohl behütet«, versprach der Diener eifrig, »was es auch sein mag, ich will es gern für euch tun, Herr!«
»Dann hört gut zu, Frethnal«, begann Sebastian umständlich, »und lasst endlich dieses alberne Herr! Ihr geht nach Falméra, dort findet ihr ein Haus, ziemlich heruntergekommen...« Sebastian beschrieb ihm Antaronas kleines Anwesen, das sie ihm in der Nacht gezeigt hatte und vergewisserte sich, dass es sein Diener auch finden würde. Er beschrieb ihm, wo er den Schlüssel zu suchen hätte und schärfte ihm mit Nachdruck ein, wie geheim diese Mission war.
»Es wimmelt in diesem alten Kasten nur so von Darwicks«, warnte er Frethnal, »also seht euch vor und sorgt dafür, dass dieses Viehzeug ein für alle Mal verschwindet, habt ihr verstanden?« Frethnal nickte stumm und wunderte sich wahrscheinlich, von welchem Narren sein Herr nun wieder befallen war.
»Dann seht zu, dass ihr dort ein wenig sauber macht, ihr wisst schon, Unrat rausschmeißen, auskehren, Fensterläden öffnen und kräftig durchlüften, und vor allem repariert mir die Dielen, ein paar sind ganz schön morsch.«
Frethnal hob die Augenbrauen an und bei jedem Auftrag, der noch hinzu kam, zog er sie höher. Sebastian schmunzelte und griff nach seinem Beutel mit dem Ringgeld. Er griff großzügig hinein und gab seinem Diener eine Hand voll Ringe.
»Ich weiß, es ist viel Arbeit für einen Tag«, gab er zu, »hier, nehmt, und sucht euch ein paar zuverlässige Leute, die euch helfen, die müssen aber ihren Mund halten können, sonst...«
»Sonst reißen wir ihnen die Zungen heraus und rösten sie über dem Feuer«, vollendete sein Diener den Satz. Sebastian nickte gewichtig.
»Ihr habt mich verstanden, Frethnal«, stellte er zufrieden fest. »Und noch etwas, macht es darin etwas wohnlich, ja? Lasst ein großes Bett hineinstellen, einen schönen Tisch, Kissen, Decken Vorhänge, eben alles, was Frauen gerne haben!«
Der Diener sah ihn erstaunt und fragend an. Sebastian sah seinen Blick und wurde ungeduldig und etwas lauter.
»Verdammt, Frethnal, lasst euch etwas einfallen, ihr seid doch sonst nicht auf den Kopf gefallen! Macht es schön darin, gemütlich, so dass sich eine Frau darin wohl fühlen kann, Kerzen, Leuchter, irgendwelche Tücher, was weiß ich... Nehmt Farasami mit, die hat sowieso nichts weiter zu tun. Frauen wissen, was Frauen gefällt! Und nun macht euch endlich los, morgen brauche ich euch wieder für die Landesaufnahme.«
Doch Frethnal rührte sich nicht von der Stelle. Er sah seinen Herren zweifelnd an und spielte übertrieben mit dem Ringgeld zwischen seinen Fingern. Dabei zählte er auf:
»Leute für die Arbeit, ein Bett, wohl ein stabiles, Holz, Einrichtung, Tücher, Decken, Leuchter...« Sebastian drehte sich abrupt zu ihm um.
»Frethnal, seid ihr noch nicht fort?« Er wartete auf keine Antwort, nahm statt dessen den ganzen Beutel Ringgeld und warf ihn Frethnal zu.
»Hier, nehmt schon! Aber wenn ich das nächste Mal in diese Bruchbude komme, will ich einen Palast vorfinden, ist das klar? Und wagt ja nicht, mich zu enttäuschen, diese Sache ist mir wirklich sehr wichtig, verstanden?«
Frethnal verbeugte sich übertrieben und ließ ein freudiges ja Herr erklingen. Basti sah ihn auffordernd an und sprach scherzhaft:
»Seid ihr noch nicht draußen? Los, haut ab, und lasst bei den Göttern endlich dieses dämliche Ja Herr. Frethnal, bei allem was mir heilig ist, ich kann es nicht mehr hören, ich stopfe es euch in den Kopf, wenn ihr das nicht lasst!«
»Ja Herr!« Und damit war sein Diener verschwunden. Sebastian grinste hinter ihm her. Frethnal wurde immer frecher und Sebastian fragte sich, wie weit er das tolerieren konnte. Andererseits war auf diesen Mann unbedingt Verlass. Er konnte ihm vertrauen und er brauchte zuverlässige Verbündete, wollte er sich und Antarona heil durch diese unsicheren Zeiten bringen.
Sebastian machte sich auf den Weg in die Höhle des Löwen. Bental erwartete ihn im kleinen Sitzungssaal, in dessen Fenster die Sonne schräg einfiel, so dass sie helle Streifen in der Luft erzeugte und den ganzen Raum in ein wirres Zwielicht tauchte. Wie ein Geist stand der König hinter den Lichtstrahlen. Sebastian war es unmöglich, seine Stimmung einzuschätzen.
Wie zufällig verharrte Bental hinter dem Vorhang aus Licht und Staub, doch Sebastian wusste, dass es pure Berechnung war. Die ganze Situation erinnerte ihn an seine erste Begegnung mit dem König. Bental setzte auf diese optischen Hilfsmittel um einzuschüchtern, um zu verunsichern. Doch bei Sebastian Lauknitz zog das nicht mehr!
Er nahm sich vor, dem König selbstsicher gegenüber zu treten, dem alten Mann zu zeigen, dass seine Masche der Einschüchterung bei ihm nicht mehr fruchtete. Mit festem Blick sah er durch den Lichtvorhang hindurch auf die schemenhafte Gestalt.
»Ihr habt nach mir geschickt, eure gütige Hoheit?« begann Sebastian unerschrocken. Der König ging ein Stück auf ihn zu, aber nur so weit, bis lediglich seine goldenen Knöpfe vom Sonnenstrahl erfasst wurden und das hundertfach gebrochene Licht in hellen Punkten an Wand und Decke tanzten, wie ein wild gewordener Schwarm Schmetterlinge.
»In der Tat, ich geruhte, euch vor etwa zwei Zentaren rufen zu lassen«, hörte er die mitleidlose Stimme des Herrschers von Volossoda. Pause. Sebastian überlegte, ob Bental vorher ausprobiert hatte, wie weit seine Knöpfe im Strahl des Lichts reflektieren würden, und wie weit er dazu vortreten musste.
»Es scheint mir, euer Diener ist heute ebenso unpässlich, wie ihr selbst. Oder mag ich mich da irren?« Bental ließ es wie eine Feststellung klingen, atmete tief durch, wippte auf den Füßen und fuhr fort:
»Meine Tochter und ihre Kammerzofe hielten ebenfalls einen ausgedehnten Schlaf bis in den Tag hinein. Seltsam, nicht? Ich befürchtete schon, ein böser Fluch läge plötzlich auf den Mauern der Himmelsburg. Anscheinend sind heute alle um mich herum von einer geheimnisvollen Müdigkeit befallen. Vielleicht eine neue Krankheit?«
Der sarkastische Unterton in seiner Ansprache war nicht zu überhören und Sebastian ahnte, dass Bental genauestens über ihren gemeinsamen Ausflug in der letzten Nacht informiert war. Hinter dem diffusen Lichtstrahl, der quer im Raum stand, wusste er die wachsamen Schlitzaugen, die ihn aufmerksam beobachteten.
»Verzeiht, ich habe zu lange geschlafen. Ich habe die Nacht bei den Feuertänzen verbracht und...« versuchte Sebastian zu erklären.
»Davon habe ich gehört«, unterbrach ihn Bental kühl. Habt euch über die Maßen verausgabt, darf ich vermuten.«
Vermuten! Sebastian musste seine Bemerkung hinunterschlucken. Natürlich vermutete Bental nicht, er wusste! Aber wie viel wusste er? Wie weit waren ihnen des Königs Späher gefolgt? Zu den Feuern? Oder gar bis an den Strand? Es war doch nicht zu fassen! Hatte er nicht einmal seine intimsten Momente für sich? Wusste der Alte, dass seine Tochter Antarona... Als vermochte der König Gedanken zu lesen, fuhr er in diesem Augenblick fort:
»Wie ich hörte, war sie sehr schön; so schön, wie eine Göttin in der aufgehenden Sonne, so schön, dass ganz Falméra heute von nichts anderem spricht.« Sebastian spürte förmlich die lauernden Blicke seines Gegenüber.
Was sollte das? Wollte Bental, dass er ihm frei heraus gestand, es gewagt zu haben, seine Tochter aus den bewachten Gemächern zu entführen um sie leicht bekleidet am Strand zu verführen? Wollt er genau das hören? Sebastian war sicher, dass es Bental bereits wusste. Also spielte er das Spiel mit!
»O ja«, fing er zu schwärmen an, »sie war wie eine Göttin und eine Elsire zugleich, anmutig, als stammte sie aus königlichem Geblüt und so feinsinnig, wie die kleinen Wesen des Feuers, und doch so wild und leidenschaftlich, wie eine geborene Kriegerin. O ja, eure gütige Hoheit, sie war schöner, als ein Traum, sie war...«
»Es reicht«, schnitt ihm Bental mit müder Stimme das Wort ab. Auf einem Mal schien er seine Kraft und Überlegenheit verloren zu haben, mit der er ihn stets in die Schranken zu weisen wusste. Der König ging zur Sitzungstafel hinüber, setzte sich auf einen Stuhl und bedeutete Sebastian, sich zu ihm zu setzen.
Dann begann er zu reden und es klang, als würde er durch eine unsichtbare Wand hindurch in eine andere Welt hinein, wie zu den Göttern selbst sprechen:
»Ich liebe dieses Land, von den Inseln bis zum immerwährenden Eis, von der schlafenden bis zur wandernden Sonne. Und ich liebe die Ival, mein Volk, sie alle sind meine Kinder, für die ich Sorge trage, deren Schicksal zu lenken und zu führen die Götter mich erwählt haben.« Er machte eine Gedankenpause, straffte sich kurz, als saugte er neue Kraft in sich hinein und fuhr fort:
»Mein Vater, König Tramon der dritte, alleiniger Herrscher von Volossoda, König von Falméra, Quaronas und Zarollon, legte die hohe Pflicht, das Volk zu führen in meine Hände. Torbuk, mein Bruder, erwies sich weder als würdig, noch als geeignet, ein Land dieser Größe zu regieren. Er war von frühester Jugend an ungestüm, achtete nicht die Gesetze der Götter, und brach so ziemlich mit jedem Gebot, das die Götter unserem Geschlecht auferlegt hatten.«
Sebastian hörte Bental gespannt zu, er wagte nicht, ihm ins Wort zu fallen und gab ihm Zeit, immer wieder seine Gedanken zu sammeln.
»Torbuk«, erzählte er seufzend weiter, »achtete nicht das Volk, das seinem Vater anvertraut war. Er benutzte es, er bediente sich seiner Brüder und Schwestern, seiner Töchter und Söhne wann immer es ihm einfiel und irgendwann vergaß er sogar, dass sie Menschenwesen waren. Er sah sie als Vieh, das nur seinem Zwecke diente, mächtiger und mächtiger zu werden.«
Bental beugte sich etwas zu ihm herüber und seine Hand schien Halt zu suchen, als er sie auf Bastis Knie legte. Sebastian aber wusste, dass er ihn mit dieser Geste nur zu noch mehr Aufmerksamkeit aufrütteln wollte. Doch das war kaum nötig, denn er sog ohnehin schon gespannt Bentals Preisgabe ein, wie ein Schwamm das Wasser. Er wiederholte die Geschichte, die Sebastian bereits in groben Zügen kannte, als wollte er sie sich selbst in Erinnerung rufen.
»Mein Vater erkannte, dass Torbuk niemals Herrscher sein durfte. Er wusste, dass Volossoda unter seiner Regentschaft untergehen würde. Aber es gab das unumstößliche Gebot der Götter, dass bei der Wahl zwischen zwei Thronerben derjenige die Thronfolge antritt, welcher als erster einen Sohn vorweisen konnte.
Das wäre Torbuk nicht schwer gefallen, denn er war zu jeder Zeit hinter jeder Frau her, die ihm über den Weg lief. Ich hingegen war der nachdenklichere von uns beiden, der schüchterne, der eine Frau lieben musste, um sie an die rechte Seite des Throns zu führen.«
Bental stand auf, ging zu den großen Fenstern hinüber und sah nach Süden hinaus, über die Hügel und Berge Falméras und noch weiter.
»Mein Vater fuhr mit mir nach Oranutu. Den Geboten der Götter folgend, warb er für seinen zurückhaltenden Sohn um eine Frau, die ihm einen Sohn aus frischem Blutgeschlecht schenken sollte.« Bental drehte sich zu Sebastian um und unterbrach seine Erinnerungen und erklärte:
»So wurden die Götter einst zu den Königen der Menschenwesen. Sie folgten von Erbe zu Erbe dem Gebot, sich mit einer Frau aus fremdem Geschlecht zu paaren, um ihr Blut rein und ihre Sinne klar zu halten. So war es den Königen der Ival seit Alters her beschieden, sich mit einer Tochter der anderen, der Unbekleideten, der Oranuti zu verbinden.« der König wandte sich wieder dem Fenster zu, als wäre es ihm peinlich, seine Geschichte einem Fremden zu offenbaren.
»Unter der Glut der wandernden Sonne, in einer Nacht, die zum Tag wurde, verliebte ich mich in Asgarinia, in die Tochter eines Landesfürsten, der das Land der Feuer speienden Berge sein Reich nannte. Sie war sein einzig Kind und mein Vater musste ihm den freien Handel mit den Städten Volossodas zusagen, damit ich Asgarinia in das Reich der Ival führen durfte.«
»Und wie verhielt sich Torbuk dabei?« wollte Sebastian wissen. Bental drehte sich um und sah Sebastian tief in die Augen. Trotzdem hatte Basti das Gefühl, er würde durch ihn hindurch sehen, in eine andere Welt, eben in eine andere Zeit.
»Darum kümmerte ich mich zu dieser Zeit nicht. Mein Blick galt nur noch ihr, Asgarinia. Ihr hättet sie sehen sollen, eine wahre Prinzessin war sie, eine Schönheit, die selbst die Morgenröte erblassen ließ, eine wahrhaft königliche Anmut... Antarona, ihr Abbild allein, ist ihrer Schönheit noch über«, schwärmte Bental in weit entfernten Erinnerungen.
Plötzlich gab er sich einen Ruck und es hatte den Anschein, als wollte er die süßen Gedanken an seine Frau abschütteln, um nicht in tiefe Trauer zu verfallen.
»Ja, Torbuk«, griff er Sebastians Frage auf, »zunächst schwänzelte er auffällig liebenswürdig um Asgarinia herum, gab sich ihr wie ein Bruder zu seiner Schwester, so dass mein Vater schon glaubte, er hätte sich zum Guten gewandelt. Doch dann plötzlich wandte er sich von ihr, von uns allen ab. Von einem auf den anderen Sonnenlauf ging er seine eigenen Wege. Während jeder schlafenden Sonne teilten gleich mehrere Frauen sein Lager, die er sich einfach holte. Ohne zu fragen, ohne wirklich zu lieben nahm er Vätern ihre Töchter und Männern ihre Frauen, je nach Belieben und Gelüsten.«
»War er vielleicht eifersüchtig«, warf Sebastian die Frage ein, »und Tramon, was unternahm er dagegen?« Bental blickte in die Weite, als würde ihm erst jetzt, nach Jahrzehnten klar werden, was damals geschehen war.
»Mein Vater unternahm nichts. Er ließ ihn gewähren, denn solange Torbuk nicht mit einer Frau kam, die er liebte, mit welcher er sich verbinden wollte, solange hatte er die Hoffnung, dass letztlich nicht doch noch der falsche Sohn auf den Thron Volossodas stieg.« Bental seufzte tief und setzte sich wieder an den Tisch des Sitzungssaals.
»Die Nachsicht meines Vaters anheim des Tun und Treibens seines Sohnes Torbuk war der Beginn, war die Geburt der Geißel dieses Landes«, sprach er in Rätseln weiter. »Von dieser Zeit an verfolgte mein Bruder nur noch eigene Interessen. Er schreckte auch vor dem Bruch mit den Gesetzen und Geboten nicht mehr zurück. Immer häufiger gingen Brandschatzung und Mord auf sein Haupt.«
»Und Tramon unternahm immer noch nichts?« fragte Sebastian.
»O, Torbuk war nicht so töricht, sich selbst die Hände zu beflecken«, erklärte Bental, »er schuf sich eine eigene Armee von Handlangern und Gefolgsleuten. Die taten für ihn das, was ihm auf ewig den Thron verwehrt hätte. Bald schon sprach man in den Tälern und Niederungen, in den Gassen und Häusern offen über die Wilden Horden, die schwarzen Reiter, die unter seiner Hand das Land unsicher machten.
Er ließ dort foltern und morden und baute seine Macht aus, wohin Tramons Arm nicht reichte. Die Täler im Reich der schlafenden Sonne, wo die Berge gefüllt sind mit den Steinen, aus denen das Metall und die Tränen der Götter gewonnen werden, fielen als erste unter seine Kontrolle. Trupps, die Tramon aussandte, um für Frieden und Ordnung zu sorgen kamen einfach nicht wieder, verschwanden spurlos!«
Sebastian hörte aufmerksam zu und schüttelte mit dem Kopf. Als Bental ihn fragend ansah, versuchte er gedanklich nachzuvollziehen:
»Das habe ich soweit verstanden, aber... Versuchte Torbuk nicht dennoch auf rechtem Wege auf den Thron zu gelangen? Ich meine, zeigte er seinem Vater bereits offene Feindschaft, oder...«
»Nein, dazu war er zu gerissen«, erregte sich Bental lautstark, »er schleppte eine Frau nach der anderen an, mit der er sich angeblich verbinden wollte. Er hatte erkannt, dass er nur mit einem männlichen Nachkommen in einer Weise auf den Thron gelangen konnte, dass auch die Gelehrten der Götter und das Volk ihn als König akzeptieren mussten. Beliebt war er beim Volk ohnehin nicht mehr, dazu trugen inzwischen zu viele Gräueltaten seine heimliche Handschrift.« Bental zog eine angewiderte Grimasse bevor er seine Schilderung fortsetzte:
»Die Weiber, die er unserem Vater vorstellte, die seine rechte Seite auf dem Thron besetzen sollten, hielten keiner Prüfung stand. Sie waren nicht in den Tafeln Talris bewandert, kannten die Gebote der Götter nicht, oder waren von so einfacher Herkunft, dass sie nicht einmal zu lesen vermochten. Alle wurden vom Rat der Gelehrten und meinem Vater abgewiesen.« Des Königs Miene hellte sich etwas auf, als er seine Erzählung weiter führte.
»Meine Hoffnung und die Hoffnung Tramons und des Volkes lag in Asgarinia. Sie trug inzwischen ein kleines Herz unter ihrem Herzen. Die Seherinnen der Täler prophezeiten Tramon und mir die Geburt eines wahren Kriegers, der treu seinem Volk ergeben sein würde. Selten irrten diese alten, einsamen Weiber, die ihre sehenden Kunden aus den tiefen Wäldern unter das Volk streuten. Doch dieses Mal taten sie es, mochten die Götter wissen, weshalb.«
Niedergeschlagen senkte der König den Blick. Sebastian konnte beobachten, wie schwer es ihm fiel, die Erinnerung in die Gegenwart zurückzuholen.
»Torbuk verband sich überraschend mit Krenja. Sie war eine Bürgerliche und von keinem edlen Blute, doch sie war unterwiesen in allen Lehren Talris und sie war klug, sehr klug. Sie war halb Ival, halb Oranuti. Diese Tatsache, und der Umstand, dass Asgarinia bereits einen Sohn erwartete, ließ Tramon und die Gelehrten Milde walten und entsprachen dieser Verbindung. Alsbald ward auch Krenja mit einem Herzen unter dem ihren gesegnet. Dann verließ das Wohlwollen der Götter die Himmelsburg.«
König Bental sackte auf seinem Stuhl zusammen, als spürte er die Enttäuschung, die er vor zwanzig Jahren erfuhr, wie am Tag ihrer Verkündung.
»Asgarinia brachte entgegen aller Prophezeiungen eine Tochter zur Welt. Antarona! Es war der Wille der Götter, denn das Kind trug ihr Mal, das Zeichen Talris, das Bild der Sonne in seinem Schoß. Die Götter hatten uns verlassen! Wenn Krenja einen Sohn zur Welt brachte, so musste Tramon Torbuk den geforderten Thron geben!«
Krachend schlug Bental plötzlich seine Faust auf den Tisch und stand auf. Als suchte er noch nach einer Entschuldigung für seine frühere Tat, sah er Sebastian mit beinahe Hilfe suchendem Blick an.
»Das durfte nicht sein! Das Volk durfte nicht diesem Tyrannen anheim fallen! Doch die Götter hatten so entschieden! Mein Vater, Tramon, brachte mich dazu, mich der Entscheidung der Götter zum Wohle des Volkes zu widersetzen. Ab diesem Tag begann ich zu lernen, die Gebote der Götter und die Gesetze der Ival so auszulegen, dass sie oft nicht mehr ihrem Sinn entsprachen, doch aber dem Wohl und der Sicherheit des Volkes dienten.«
»Ihr ließet Antarona verschwinden und zeigtet dem Volk Areos als euren Erbfolger?« Sebastian kannte die Geschichte bereits, wollte aber sicher gehen, dass er sie auch richtig verstanden hatte. Bental packte ihn am Arm und schüttelte ihn, bevor er verzweifelt sagte:
»Versteht ihr denn nicht? Wenn Tramon dem Willen der Götter statt gegeben hätte und Torbuk auf den Thron gestiegen wäre... Das Volk der Ival wäre seinem Untergang geweiht gewesen! Es hätte das Ende unserer Welt bedeutet. Hass, Neid, Lüge, das Böse hätte fortan das Land beherrscht!«
»Das tut es doch auch so, außer vielleicht in Falméra, hier noch nicht, noch nicht«, warf Sebastian schonungslos und mahnend dazwischen.
Bental ließ sich nicht beirren und sprach weiter. Tramon ließ einen vertrauten kommen und hieß ihn das Kind, Antarona, weit weg zu bringen. Er ließ offen, ob es getötet, oder an fremde Eltern gegeben werden sollte. Wir wollten es nicht wissen. Wichtiger war, einen Thronerben zu bekommen, einen männlichen! Also schickte Tramon seine Späher aus, zu erkunden, wo ein neugeborener Knabe zu finden sei.
Irgendwann kamen die Soldaten mit einem Kind wieder und berichteten, dass seine Eltern gesunde und kräftige Leute gewesen wären und auch das Kind ihnen groß und kräftig erschien. Die Zeit drängte, die Kunde vom geborenen Thronerben hatte sich wie ein Lauffeuer verbreitet. Niemand fragte, was mit den Eltern des Kindes geschehen war. Für das Volk war jedes Opfer recht. Ganz Falméra wollte das Kind sehen. Ohne Frage interessierte es auch meinen Bruder, entschied es doch darüber, wer nach Tramons Tod den Thron bestieg!
Tramon untersagte bei Strafe, dass je wieder davon gesprochen wurde, was in jener Nacht entschieden und getan ward, als Asgarinia unseren Sohn Areos gebar. Hätte Torbuk bei all seinen Zweifeln je einen Zeugen aufgetan, hätte er je beweisen können, was er ahnte, so hätte er das Volk gegen mich und meinen Vater aufgebracht und säße nun auf dem Thron dieser Burg.«
Bental stand auf und ging schwer gebeugt unter seiner seelischen Last zum Fenster hinüber. In seiner Stimme schwang plötzlich eine Verbittertheit mit, die Sebastian vom König noch nicht kannte.
»Und nun kommt ihr und bringt sie mir zurück, meine Tochter, Antarona, deren Antlitz ihre Mutter nicht leugnen kann...«
»Aber ihr habt doch selbst gesagt, die Leute kennen sie nicht als eure Tochter und ihr hattet sie über all die Jahre geleugnet, ja nicht einmal gesehen«, unterbrach ihn Sebastian, »und ich bin nicht euer Sohn, das habt ihr selbst gesagt! Wo also liegt das Problem, wenn wir uns lieben?«
Bastis Stimme überschlug sich fast. Er wollte partout nicht einsehen, warum er wegen einer uralten Lüge mit Antarona nicht glücklich werden sollte.
»Ihr habt nicht verstanden«, sagte Bental nun gereizt, »was ich euch mit dieser Offenbarung sagen wollte. Für das Wohl und die Sicherheit wird jedes Opfer gerecht, wenn es geringer ist, auch wenn Einzelne es für größer halten. Das Wohl aller wiegt mehr, als das Wohl des Einzelnen und sei er der König selbst!« Etwas ruhiger erklärte er:
»Diese, welche ihr über alles liebt sieht ihrer Mutter so verblüffend ähnlich, dass ein jeglicher, der Asgarinia kannte, sie in Antarona wieder erkennt. Das letzte, was dieses Reich gebrauchen kann, ist nach dem zurückgekehrten Sohn des Königs, die Rückkehr seiner Frau!« Bentals Stimme wurde leiser und wieder lauter.
»O ja, ich wünschte nichts sehnlicher, als Asgarinia an meiner Seite, aber darum geht es nicht! Wenn Torbuk wittert, dass Antarona meine Tochter ist und ihr nicht mein Sohn seid, was glaubt ihr, wie lange er braucht, um aus Hedaron, dem Holzer, die Wahrheit aus dem Leib zu pressen?« Sebastian schüttelte skeptisch den Kopf.
»Ich glaube nicht, dass Hedaron etwas verraten würde, er liebt Antarona mehr als seinen Sohn Tark und würde...«
»Er würde«, fiel Bental dazwischen, »glaubt mir, er würde! Torbuk hat noch jede Zunge gelockert, der hat die Seele eines Eishundes! Er würde Hedaron öffentlich vor den Toren Falméras anketten und ihn so lange foltern lassen, bis er dem Volk der Ival die ganze Wahrheit ins Gesicht schreit! Torbuk würde sich auf die Gebote der Götter berufen und den Thron fordern. Wäre die Beweislast erdrückend, müssten auch die Gelehrten Talris seiner Forderung zustimmen. Das Volk der Ival wäre ihm dann für alle Zeit ausgeliefert.«
Der König fiel in ein nachdenkliches Schweigen und begann seine gewohnte Wanderung durch den Raum. Sebastian blickte betreten zu Boden. Es musste doch eine Lösung geben!
»Ich könnte mit Antarona zurück ins Val Mentiér gehen«, schlug er vor, »dort kennt man sie nur als des Hedarons Tochter, dort ist niemand, der Asgarinia je begegnet war, dort könnten wir euch ebenso dienen, wie hier, dort...« Bental drehte sich in einer blitzschnellen Bewegung zu ihm um.
»Von dort hättet ihr sie erst gar nicht hierher bringen sollen!« Seine Stimme verriet Verzweiflung und Zorn zugleich.
»Ich kann euch jetzt nicht wieder fort schicken, nachdem ihr in letzter Nacht dafür gesorgt habt, dass euch das Volk mehr liebt, als mich! Die Ival verehren euch, und zwar euch beide! Und obwohl ihr euch im Schein der Feuer und nicht im Lauf der Sonne aus der Burg wagtet und euch dem Volk zeigtet, wurden schon erste Stimmen laut, welche von der Ähnlichkeit eurer Begleiterin mit Asgarinia sprachen.«
Von einer Sekunde zur anderen fand Bental seine gewohnte Überlegenheit zurück und verkündete nüchtern:
»Vom neuen Sonnenlauf an werdet ihr nur noch allein nach Falméra gehen. Antarona wird euch nur dann begleiten, wenn das von mir gewünscht ist und nur, nachdem sie so vorbereitet wurde, dass kein Ival ihrer Ähnlichkeit mit Asgarinia augenfällig wird. Ich vermag nicht zu sagen, wie ihr es angestellt habt, sie ungesehen an den Wachen vorbei aus der Burg zu schaffen. Noch nicht! Doch seid gewarnt! Fortan werden die Wachen selbst die Begleiter des Areos überprüfen!«
Mit starrem Blick, als wollte er sich vergewissern, dass Areos ihn unmissverständlich vernommen hatte, sah er ihn an, bevor er weiter sprach.
»Möglich, dass es mir auf ewig nicht gelingt, zu verhindern, dass sich zwei heimlich treffen, die sich über das Reich der Toten hinaus lieben. Ich selbst hätte mich wohl ebenfalls nicht abhalten lassen. Vielleicht ist es auch gar nicht mein Wunsch, eure Liebe zu verhindern, denn was läge mir ferner, als meine Tochter unglücklich und leidend zu sehen. Wenn ich mir nur eurer Treue und eures Vertrauens sicher sein könnte.«
»Aber das könnt ihr, bedingungslos!« versicherte ihm Sebastian. »Antarona selbst würde mich verachten, täte ich etwas, das an euch oder dem Volk der Ival Verrat übte!«
»Ja, darauf gabt ihr mir bereits euer Wort«, entgegnete Bental. »Dennoch entführtet ihr meine Tochter und wart zudem so unvorsichtig, das Risiko einer folgenschweren Entdeckung einzugehen. Es bedarf schon etwas mehr, als solcher Taten, um das Vertrauen des Königs zu gewinnen!« Ohne Sebastian Zeit für eine Reaktion zu lassen, sagte er abschließend:
»Die Zeit mag entscheiden, wann und wie ich eurer Verbindung mein Wohlwollen ausspreche, oder nicht. Dient mir mit der Ergebenheit, die ein König von seinem Heerführer erwarten kann, sorgt dafür, dass mein Bruder Torbuk mit seiner Sippschaft nur noch Geschichte ist und es wird sich ein Weg finden, eure Verbindung auch vor dem Volk und den Gelehrten der Götter gut zu heißen!«
Damit wandte sich König Bental ab und verließ den Raum. Das war deutlich! Offiziell würde Antarona so lange von Sebastian fern gehalten werden, bis Torbuk keine Gelegenheit mehr hatte, seine Hand nach dem Thron Volossodas und Falméras auszustrecken.
Faktisch bedeutete das, Sebastian, in Gestalt des Areos, musste als Preis für seine große Liebe etwas Unmögliches möglich machen! Bis dahin war seine Phantasie dahingehend gefordert, sich mit Antarona heimlich zu treffen.
Niedergeschlagen verließ Basti den leeren Sitzungssaal und stieg die Treppe hinauf in seine Gemächer. Er ahnte, dass es ein langer Weg werden würde, bis er mit Antarona offen als Paar in Falméra leben durfte.
     
  Wichtiger Hinweis: Die Texte des Autors Frank Adlung, insbesondere die des Romans "Das Geheimnis von Val Mentiér", sind durch notarielle Hinterlegung urheberrechtlich geschützt. Ein Herunterladen und Ausdrucken ist nur für den privaten Zweck des Lesens gestattet. Kommerzielle Nutzung, öffentlicher Vortrag, oder Vervielfältigung und Verfälschung des Inhalts, sowie öffentliche Verbreitung ohne Genehmigung des Autors sind untersagt und werden zur Anzeige gebracht.
 
 
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