Das Geheimnis von Val Mentiér
 
27. Kapitel
 
Heimliche Ausflüge
 
Der lange Flur brüllte ihn mit Stille und Dunkelheit an. Düsterer konnte sich Sebastian eine Prognose nicht vorstellen. Es konnte Jahre andauern, bis Torbuk und Karek aus diesem Land vertrieben waren. So lange sollte er Antarona nicht wiedersehen? Wenn sie beide alt und grau waren, machte es keinen Sinn mehr, ein gemeinsames Leben aufzubauen!
Nein, für ihn stand fest, sie mussten die Burg verlassen, ob nun mit oder gegen Bentals Willen. Sie konnten den Kampf gegen Torbuk auch so fortführen, wie er es dem Achterrat vorgeschlagen hatte. Aus dem Hinterhalt angreifen und verschwinden.
Mit Arrak und den Windreitern auf ihrer Seite konnten sie nach und nach eine schlagkräftige Armee von Guerillakriegern aufbauen, die an verschiedenen Stellen zeitgleich, oder in Abständen zuschlagen konnten, ganz nach Erfordernis.
Möglich, dass er auch dann nur selten mit Antarona zusammen sein konnte und allein waren sie allenfalls in ihrer Höhle. Doch sie hatten die Freiheit zu bestimmen, wann sie sich sahen. Dazu bestand die Möglichkeit, irgendwo in den weiten, einsamen Tälern eine kleine Hütte zu bauen, in der sie eine Zeit lang ungestört leben konnten.
Seine ganze Überlegung hatte allerdings einen Haken. Antarona würde allein um des Volkes willen des Königs Wünsche respektieren und auch wider ihrer Natur auf der Burg bleiben. Er musste also versuchen, sie zu überzeugen!
In der Zwischenzeit wollte er einen Weg finden, der ihnen beiden ermöglichte, eine gewisse Freiheit für sich zu erhalten. Der Trick mit den Verkleidungen, um an den Wachen vorbei zu kommen, konnte nun nicht mehr funktionieren. Außerdem ahnte Bental möglicherweise, dass es so etwas wie verborgene Wege in seinen Mauern gab. Womöglich kannte er sie sogar.
Sebastian überlegte, wie weit er der Aussage Vesgarinas trauen konnte, dass diese Wege tatsächlich nur Asgarinia und deren Zofen, und letztlich nun auch Antaronas Zofe bekannt waren. Im Augenblick jedoch waren diese Wege hinter den Mauern die einzige Möglichkeit, Antarona zu sehen.
Frethnal stand wie eine steinerne Säule in der Nische gegenüber der Tür, als Sebastian den Treppenturm verließ. Vermutlich hatte er geduldig auf seinen Herren gewartet.
»Frethnal, was steht ihr hier im Dunkeln herum?« fragte Sebastian beinahe vorwurfsvoll. Der Diener verbeugte sich steif, als wären sie nie wie heimliche Verbündete zu einer rauschenden Nacht aufgebrochen.
»Herr, das besagte Haus ist ganz nach euren Wünschen vorbereitet. Die Wände sind mit Stoff bespannt, die Räume sind eingerichtet und der Zierrat, nun, Farasami hat ein kleines Wunder vollbracht, wenn ihr eurem Diener diese Bemerkung erlaubt.«
Sebastian sah seinen Kammerdiener erstaunt an, denn er hatte nicht damit gerechnet, dass er in so kurzer Zeit eine Ruine in ein wohnliches Haus verwandeln konnte. Anerkennend nickte er Frethnal zu und sagte:
»Das habt ihr gut gemacht und ich hoffe auch verschwiegen?« Bastis Augen musterten den Diener scharf.
»Verschwiegen wie ein Grab, Herr«, bestätigte dieser, fingerte mit einer Hand in seiner Gürteltasche herum und förderte den Lederbeutel mit Quarts zu Tage, den Sebastian ihm gegeben hatte.
»Es ist noch etwas übrig, Herr, nicht viel, aber Farasami und ich haben sparsam eingekauft!« Basti nahm den Beutel und stellte fest, dass noch ein paar Ringe darin verblieben waren, deren Wert er ohne Antaronas Hilfe kaum einschätzen konnte. Er drückte sie Frethnal in die Hand und sagte:
»Den Rest könnt ihr euch mit Farasami teilen. Und sagt dem Mädchen, dass ich ihre Dienste heute nicht mehr benötige, sie kann zu ihren Eltern gehen, soll aber morgen früh wieder hier sein. Und was euch betrifft, Frethnal«, Sebastian beugte sich etwas vor und sprach leiser weiter, als befürchtete er, belauscht zu werden.
»Egal, wie ihr es anstellt, aber ich wünsche zum Ende des Sonnenlaufs eine paar köstliche Speisen im Ostsalon vorzufinden. Danach dürft ihr euch ebenfalls zurückziehen. Und lasst endlich dieses lächerliche Ja Herr! Ach, und Frethnal, ich würde nicht unbedingt mit euch hadern, wenn sich zufällig eine Flasche Mestas in meine Gemächer verirren sollte!«
»Ja Herr«, nickte Frethnal und verschwand mit einem frechen Grinsen in der Tür. Sebastian schüttelte belustigt den Kopf. Er brauchte ihn! Ohne diesen seltsam kauzigen Diener wäre er in diesen Mauern blind, taub und gelähmt.
Rasch begab sich Sebastian in Bad und Ankleidezimmer und eine Stunde später betrachtete er sich in dem riesigen Wandspiegel, der ein verzerrtes Bild von ihm wiedergab. Der Spiegel war rissig, vergilbt und das Glas war alles andere als glatt, doch für diese Welt bereits fortschrittlich.
So schnell ihn seine Füße trugen huschte Sebastian in den Vorraum der Bibliothek und stieg in den geheimen Gang. Ein Stockwerk darüber verließ er ihn wieder und unter größter Vorsicht schlich er durch die Zimmer Antaronas Gemächer.
Im Bade fand er einen noch dampfenden Zuber vor und die nassen Abdrücke nackter Füße auf dem Steinboden. Daraus schloss er, dass sich Antarona im Ankleide- oder Schlafzimmer befand. Dazwischen lag ein Kaminzimmer und ein großer Salon.
Behutsam drückte Sebastian die Tür zum Kaminzimmer auf. Da! Irgend ein Geräusch weckte seine Sinne! Jemand war in diesem Zimmer! Antarona? Er steckte den Kopf durch den breiten Spalt und spähte in den Raum.
Eine Gestalt stand mit dem Rücken zu ihm vor einem Tisch und schien etwas anzurichten. Aber warum im Dunkeln? Ein Kerzenständer stand doch direkt daneben! Sebastian hielt den Atem an. Die Person konnte weder Vesgarina noch Antarona sein, denn sie war fülliger und bewegte sich schwerfälliger. Mehr konnte Sebastian in dem diffusen Restlicht, das von draußen eindrang, nicht erkennen.
Aber es war eine Frau. Deutlich sah er die Umrisse ihres weiten Rockes, der leicht hin und her wiegte. Was tat die Frau dort und warum in aller Heimlichkeit? Sebastian war sicher, dass Antarona gar nicht wusste, dass sie Besuch hatte.
Gern hätte er die geheimnisvolle Dame überrascht. Doch dann würde sich wie ein Lauffeuer in der Burg verbreiten, dass Sebastian ungesehen an den Wachen vorbei in Antaronas Gemächer eingedrungen war. Ein solches Aufsehen konnte er sich sparen. Also beobachtete er weiter, bemüht, nicht einmal einen Windhauch zu verursachen.
Plötzlich griff sich die Frau in die Rockschöße und förderte etwas glänzendes zu Tage. Er strengte seine Augen an und meinte, es musste etwas aus Glas sein. Ein Fläschchen etwa? Die Unbekannte hantierte noch eine Weile am Tisch herum und unter ihren Händen entstand ein leises, kaum hörbares Rascheln, wie, als wenn jemand mit der Hand über Heu oder Stroh strich.
Dann schob sich die silhouettenhafte Gestalt das Glas wieder unter den Rock. Sebastian hörte etwas, wie man eine Schublade leise schließt, und schon drehte sich die Person zur Tür und verschwand hastig im Vorzimmer.
Einen Augenblick lang wartete er, unsicher, ob die Frau nicht noch einmal zurück kam. Doch es blieb still. Nun wagte sich Basti in das Zimmer und trat an den Tisch, der gar keine Schublade besaß. Auf der Tischplatte lag nichts weiter, als ein Buch. Ein ganz gewöhnliches, ordinäres Buch, antik und mit reich verziertem Ledereinband, aber eben nur ein Buch.
Was wollte diese Frau mit einem Glas an einem Buch? War in dem Fläschchen etwa Tinte und hatte sie etwas hineingeschrieben? Sebastian ließ die Seiten fahrig durch seine Finger gleiten. Soweit er im Dämmerlicht sehen konnte, enthielt es eine Menge Text in der Schrift der Ival, sowie viele Zeichnungen von Pflanzen, Früchten und Wurzeln.
»Was tut ihr da, los zeigt mir euer Gesicht, bevor mein Schwert euer Herz durchbohrt!« Antaronas Stimme schlug wie ein Peitschenhieb durch die Stille. Gleichzeitig flammte ein Span auf und Vesgarina brachte eine Lampe zum Leuchten. Staunend standen die beiden Frauen in der Tür und Antarona ließ langsam ihre Hand sinken, in der die Klinge Nantakis blitzte.
»Ba - shtie, es wird euch zur Gewohnheit, durch meine Gemächer zu schleichen«, stellte sie mehr vergnügt, als erbost fest. Geistesgegenwärtig gab sie Vesgarina das Schwert mit den Worten:
»Danke meine Schwester, ich brauche euch heute nicht mehr.« Mit wiegenden Hüften und tänzelnden Schritten kam sie auf Sebastian zu. Sie war barfüßig und verursachte so gut wie kein Geräusch auf dem Boden. So hatten sie sich also unbemerkt angeschlichen! Nun, nach dem Attentat auf sie hatte Antarona wohl dazu gelernt.
»Ich hatte Sehnsucht nach dir und wollte dich abholen«, gestand ihr Basti, »ich habe Frethnal ein paar Kleinigkeiten vorbereiten lassen, um dir den Abend zu versüßen.« Er packte sie an den Hüften, hielt sie etwas auf Distanz fest und betrachtete sie fasziniert.
»Du bist so schön, wie die Tochter des Mondes und die Schwester der Sterne«, raunte er ihr schwärmerisch zu.
Sie trug ein weit aufgebauschtes, dünnes und weißes Beinkleid, das ihr tief auf der Taille saß und vom Oberschenkel bis zur Wade geschlitzt war, um entweder den Knien mehr Bewegungsfreiheit zu lassen, oder aber begehrende Männeraugen zu betören. Dazu hatte sie sich das Oberteil ihres Elsirenkleides über die Schultern gelegt, jedoch nicht verschnürt, so dass es nur einer schnellen Bewegung bedurfte, um ihre Brüste zu entblößen.
Vermutlich hatte Sebastian die beiden Frauen beim Ankleiden gestört. Hatte er sich so tölpelhaft bewegt, oder waren sie bereits auf die Fremde aufmerksam geworden, die sich vor ihm im Zimmer befand?
Antaronas Haar hing ihr noch feucht über die Schultern und duftete nach einer unbekannten Note, die geheimnisvoll und doch anziehend auf Sebastian wirkte. Schnell war die fremde Frau vergessen, die noch vor ein paar Minuten in Antaronas Buch geblättert hatte.
Sebastians kräftige Hände fassten um ihre Taille und zogen sie an sich. Antarona wurde in seinem Griff wie heißes Wachs. Ihre Arme legten sich um seinen Hals, sie zog sich an ihm hoch und beide drohten in berauschenden Küssen zu ertrinken.
Nachdem sie wieder zu Atem gekommen war, bemerkte Antarona das Buch auf dem Tisch. Sie runzelte die Stirn und fragte:
»Ba - shtie, ihr habt mir eine Schrift mitgebracht?« Sebastian reagierte geistesgegenwärtig. Wenn Antarona danach fragte, so war es nicht ihr Buch, in dem die geheimnisvolle Frau geblättert hatte. Vermutlich hatte sie es mitgebracht und für Antarona dort hingelegt. Doch warum so heimlich?
»Nein, Bental gab mir die Schrift, ich soll sie studieren«, gab er beiläufig und so gelangweilt wie möglich zurück. Sebastian wollte wissen, was es mit diesem Buch auf sch hatte, wollte es genau unter die Lupe nehmen. Seine innere Stimme sagte ihm, dass es Antarona schaden sollte.
»Studiert lieber euer En - gel - sen, Mann mit den Zeichen der Götter«, forderte sie ihn übermütig heraus.
»Wartet ein wenig, dann wird Sonnenherz bei euch sein!« Damit gab sie ihn noch einen flüchtigen Kuss und verschwand in ihrem Ankleidezimmer.
Während Sebastian auf sie wartete, sah er sich das Buch genauer an. Es war keine dieser lapidar zusammengehefteten Schriften, die er aus der Bibliothek der Burg kannte. Vielmehr war es mit einer ordentlichen Fadenbindung versehen, die er aus seiner eigenen Welt kannte. Der Inhalt allerdings war in den Schriftzeichen der Ival verfasst.
So genau Sebastian auch die Seiten durchsah, er konnte keine Eintragung mit Tinte finden. Was hatte die Schattengestalt mit dem Buch gemacht, wenn nicht etwas hinein geschrieben und warum ließ sie es auf dem Tisch liegen? Der plausibelste Grund war, damit Antarona es fand und las. Aber wozu? Was an diesem Werk war so wichtig?
Es schien ein Buch über Kräuterlehre, oder Pflanzenkunde zu sein, also durchaus ein Thema für das sich Antarona interessierte. Welches Geheimnis stand darin geschrieben, dass man es ihr auf so eigenartige Weise zukommen ließ?
Sebastian wollte es ergründen, teils aus Neugier, teils, um Antarona vor etwas zu beschützen, das er selbst noch nicht kannte. Er musste dafür sorgen, dass Antarona nicht mehr darauf aufmerksam wurde. Sah sie erst eines der Bilder, die irgendwelche Pflanzen darstellten, so würde garantiert ihr Interesse geweckt!
Kurzerhand steckte er sich das Buch unter das Hemd und klemmte es hinter seinem Gürtel fest. Farasami konnte ihm am nächsten Tag dabei helfen, es zu lesen. Inzwischen war er wohl mit der Schrift der Ival vertraut, doch damit, ein ganzes Buch in dieser Sprache zu durchstöbern, war er schlicht überfordert.
Antarona brauchte nicht lange. Die Aussicht, mit ihrem Ba - shtie einen romantischen Abend zu verbringen, beflügelte ihr Bemühen, ihre wilde Mähne in eine kunstvolle Haartracht zu verwandeln. Rasch flocht sie einige kleine Zöpfe hinein, steckte sich die schönsten Federn an und schob sich die Elsirenkrone unter den Haaransatz ihrer Stirn.
Noch einmal den glitzernden Hosenbund auf die Taille gedrückt und den Sitz des Oberteils überprüft, dann war sie bereit für ihren Mann von den Göttern!
»Hattet ihr Sonnenherz vergessen? Sie wollte euch jene Bilder zeigen, welche verborgen unter dem Dach liegen!« waren die ersten Worte, mit denen sie wieder den Raum betrat. Sebastian starre sie völlig perplex an. Was sollte das schon wieder?
»War eure Sehnsucht nach Sonnenherz nicht groß genug, so ihr sie bis zum Ende des Sonnelaufs warten ließet?« fügte sie noch hinzu, als er nicht gleich antwortete. Sebastian schüttelte verzweifelt den Kopf. Warum mussten Frauen stets auf solche Kleinigkeiten herumhacken, wenn man gar nicht mehr daran dachte?
»Bental hat mich zu sich gerufen und er ließ mir keine Zeit, dir erst noch eine Nachricht zu schicken«, verteidigte sich Basti. Noch bevor Antarona Gelegenheit hatte, weiter nachzubohren, erklärte er weiter:
»Er weiß übrigens von unserem Ausflug letzte Nacht und so wie es aussieht, wird er das in Zukunft zu verhindern wissen. Jedenfalls deutete er an, in Zukunft auch meine Begleiter in Kriegstracht kontrollieren zu lassen.«
Sebastian fand es im Grunde unpassend, gerade in diesem Moment davon zu berichten, doch mit dieser Nachricht hoffte er ihr plausibel zu machen, warum er am Vormittag nicht erschienen war. Es funktionierte!
»Ba - shtie, wir können nicht immer in diesen Mauern verweilen, wie wird es mit uns werden?« fragte sie aufgebracht und enttäuscht zugleich. Offensichtlich hatte sie sich bereits auf den nächsten nächtlichen Tanz in Falméra gefreut. Sebastian nahm sie in den Arm und versicherte:
»Irgend einen Weg werde ich schon finden, vertraue mir einfach, mein Engelchen, ich lasse mir etwas einfallen!« Damit gab sie sich zunächst zufrieden. Sebastian allerdings hatte noch nicht die leiseste Idee, wie er sie künftig aus der Burg schmuggeln sollte. Augenblicklich wollte er sich nur auf diesen Abend konzentrieren.
Gemeinsam schlüpften sie in den Schacht der verborgenen Wege und stiegen nach unten. Im Vorzimmer der Bibliothek leuchtete ein kleines Lämpchen und verbreitete gerade so viel Licht, dass sie nicht in völliger Finsternis dastanden. Frethnal dachte an alles!
In der Bibliothek schob Sebastian das Buch unter seinem Hemd im Vorübergehen in eines der Regale. Antarona ließ sich von ihm durch die Räume führen und sie erinnerte sich an ihre erste Nacht in diesen Zimmern. Sie spürte plötzlich ein Kribbeln und Flattern in ihrem Bauch und Schoß, dessen Ursache keineswegs der Hunger war.
Auch Sebastian hatte eigentlich mehr Appetit darauf, seiner Frau die wenigen Kleider von der Haut zu reißen, als sich mit den Speisen zu beschäftigen, die Frethnal besorgt hatte.
Diese gegenseitige, unsichtbare Anziehung die ständig zwischen ihnen bestand und die Sebastian bereits in Antaronas Höhle fast zum Wahnsinn getrieben hatte, kannte er aus seiner Welt nicht. Selbst Janine hatte nicht die Wirkung auf ihn, die Antarona auszustrahlen schien.
Auf dem Weg zum Ostsalon quälten ihn seine Phantasien und Basti war froh, dass er im Bad noch kurz seine Hände waschen konnte, die durch die Fackel im geheimen Gang verschmutzt waren. Doch eine wirkliche Ablenkung von Antaronas Wirkung auf ihn, war das nicht.
Neugierig drückte Sebastian die schwere Flügeltür zum Ostsalon auf. Er konnte nicht sagen, was er erwartet hatte, vermutlich einen kleinen gedeckten Tisch, zwei Stühle und eine Kerze, ähnlich wie in einem romantischen, kleinen Restaurant in seiner Welt.
Doch was Frethnal für sie beide inszeniert hatte, war weit überwältigender. Ein Lichtermeer hunderter Kerzen blendete ihre Augen. Überall standen kleine, irdene Schälchen mit ein oder zwei Kerzen, jeder Winkel, jedes Sims, ja sogar auf dem Fußboden flackerte ein Lichtlein. Es war als traten sie in den Sternenhimmel selbst ein.
Vor dem brennenden Kamin lagen eine Vielzahl Felle ausgebreitet und ein Haufen Pelze lag noch daneben. Im kleinen Vorraum, optisch durch Bogensäulen vom Salon getrennt, stand ein gedeckter Tisch, der ebenfalls durch viele Lichter erhellt wurde.
Frethnal hatte für Obst, gebratenes Geflügel und reichlich Getränke gesorgt. Zwei Flaschen Mestas standen etwas abseits auf einer kleinen, mit Schnitzereien verzierten Anrichte. Sebastian füllte zwei Becher mit dem berauschenden Trank und gab einen davon Antarona, die immer noch wie ein kleines Kind staunend in das Lichtermeer blickte. Sie nahm einen kleinen Schluck und verzog das Gesicht.
»Ba - shtie, wollt ihr Sonnenherz ihrer Sinne berauben«, fragte sie scheinheilig lächelnd. Sebastian sah ihr in die Augen und flüsterte:
»Das, denke ich, hast du mit mir auch ohne Mestas längst getan. Du hast meine Sinne in dein Herz geschlossen und dort werden sie für alle Zeit bleiben!« Dann trank er seinen Becher aus und hielt ihn fragend Antarona hin. Sie schüttelte langsam den Kopf, als zweifle sie an seinem Verstand und sagte leise:
»Glaubt ihr, Herz und Schoß entflammten mir allein mit dem Feuer des Mestas? Ba - shtie, spürt ihr nicht die Glut in euch steigen, verlangt es euch nicht nach Sonnenherz?«
»Und wie es mich nach dir verlangt, mein Engelchen, mehr als du glaubst, willst du wissen, wie sehr?« fragte er sie herausfordernd.
Gleichzeitig umfasste sein Arm ihre zierliche Gestalt, zog sie fordernd an sich, ließ den Becher achtlos zu Boden fallen und seine Hände glitten ihren Rücken hinab unter den seidigen Stoff ihrer Hose. Antarona krallte sich an ihn, wie eine ertrinkende an einen Baumstamm, öffnete halb ihren Mund und erwartete seine Küsse. Sebastian konnte dieser süßen Versuchung keine Sekunde widerstehen.
Sie vergaßen den Tisch mit den auserlesenen Speisen, ließen sich in die Welt ihrer Sehnsüchte entführen und gaben sich nur noch ihrem gegenseitigen Verlangen hin.
Einige Kerzen waren bereits verloschen. Lange Zeit hatten sie eng aneinander geschmiegt vor sich hin geträumt. Sebastian hatte ihr von seiner Welt erzählt, von einer verrückten, irren Welt, wie Antarona glaubte. Es war die Welt der Götter, wo eben alles möglich war, selbst auf Rädern fahrende Hütten und Häuser.
Aber sie glaubte an diese Mythologie. Sebastians Erzählung, dass einige aus seiner Welt auf dem Mond waren, wusste sie bereits.
»Ba - shtie, das weiß doch jedes Kind, dass In-sha-tale, die Göttin der Nacht auf der hellen Scheibe wohnt, welche ihr des Nachts seht, so, wie die Sonne der Thron Talris ist«, war ihre einzige entrüstete Bemerkung. Wie konnte Ba - shtie annehmen, sie wüsste nicht um die Lehren der Götter?
Sebastian gab es wieder einmal auf. Gegen die Götter dieser Welt kam er nicht an, zumal Antarona und einige andere daran glaubten, dass er selbst von den Göttern gesandt worden war. Seufzend wühlte er sich aus dem Berg Felle heraus, schlüpfte in seine Hose und warf sich das Hemd über.
»Ich habe jetzt doch ein wenig Hunger. Möchtest du auch etwas?« Er wartete ihre Antwort erst gar nicht ab, sondern brachte Schalen, Teller und alles, was auf dem Tisch stand zum Kamin und verteilte es um ihr Pelzlager herum. Gegenseitig schoben sie sich die Genüsse der Burgküche in den Mund. So ließ es sich leben!
»Kein Wunder, dass Bental, seine Berater und Gelehrten den Blick vom Val Mentiér abwenden«, bemerkte Basti mit vollem Mund, »denen geht es doch hier gut, zu gut! Die kommen hier gar nicht auf den Gedanken, dass dort in den Tälern die Menschen sterben!«
Er hätte das nicht sagen sollen. Denn plötzlich legte Antarona ein schönes Stück Wafan einfach angewidert auf den Teller zurück. Zu lebendig noch waren ihre Erinnerungen an die Grausamkeiten der schwarzen Reiter. All zu gegenwärtig stand noch das Bild ihrer misshandelten Freundin und von Annuk vor ihren Augen. Wie konnte sie hier ruhig speisen und es sich sorglos geben, wenn in ihrem Tal das Volk unter Hunger, Folter und Tod litt?
»Wenn wir nicht essen, werden wir keine Kraft haben, dem Volk der Ival zu helfen«, bemerkte Sebastian kauend und hoffte Antarona damit wenigstens für ein Stück Obst zu begeistern. Doch sie ließ sich nicht davon abbringen, dass es heuchlerisch war, sich in der Sicherheit der Burg den Bauch voll zu schlagen, während in den Dörfern die Ernten durch die wilden Horden vernichtet wurden.
Zunächst ließ sich Sebastian nicht von ihrem schlechten gewissen anstecken. Er konnte doch all diese Köstlichkeiten nicht vergehen lassen!
»Wer verbürgt sich heute dafür, dass dieses Essen nicht ebenso vergiftet wurde, wie jenes, das meine schwarz gefiederten Schwestern tötete?« warf sie plötzlich in den Raum.
Voller Zweifel sah Basti seine Frau an und hörte abrupt zu kauen auf. Der Bissen blieb im Mund, ihn hinunter zu schlucken traute er sich nun doch nicht. Aber er hatte doch schon vom Wafan und den Früchten gegessen! Unschlüssig schüttelte er mit dem Kopf und würgte hinunter, was sich in seinem Mund befand.
Wenn es dem Attentäter doch noch gelungen war, Frethnal auszutricksen und Gift in das Essen zu mischen, was er für unwahrscheinlich hielt, dann war es ohnehin zu spät! Der Appetit aber war nun auch ihm vergangen. Basti schob seinen Teller beiseite.
»Wir müssen zwar vorsichtig sein«, dachte er laut, »doch wir können uns nicht ewig verstecken und aus Angst verhungern«. Antarona sah ihn nachdenklich an.
»Es nützt auch nichts, nur einen Weg zu finden, die Burg nach belieben verlassen zu können«, überlegte er weiter, »denk an den Dolch und den nächtlichen Angriff. Wir können nicht ständig wachen, ohne zu schlafen!« Antarona nickte und Sebastian bemerkte, wie sich ihre Augen verengten und ein gefährliches Leuchten bekamen.
»Du meinst...«, versuchte er ihren Gedanken aufzunehmen. Antarona hob entschuldigend die Schultern und stellte fest:
»Warum nicht? Sonnenherz wird nicht warten, bis die Mordbrenner wiederum des Nachts daher geschlichen kommen. Sie werden sie suchen und töten!«
»Wie willst du das anfangen?« fragte er skeptisch. »Der oder die Meuchelmörder werden sich kaum zu erkennen geben und dass sie sich gegenseitig verraten, ist auch nicht zu erwarten.«
»Die Tochter des Hedaron wird ihnen eine Falle stellen!« erklärte Antarona mit entschlossenem Blick. »Bis dahin versuchen wir herauszufinden, wer die Verräter an uns und am Volk der Ival sind!« Sebastian sah sie mit hochgezogenen Augenbrauen an.
»Das ist ja sehr schön, aber wo willst du damit beginnen? Willst du alles Gesinde, einschließlich der Wachen einfach fragen seid ihr jene, welche uns in der Reich der Toten schicken wollen?«
»Nein Ba - shtie, wir werden dort beginnen, wo sich das Bild mit dem Dolch findet, unter dem Dach der Burg!« kam ihre prompte Antwort.
Sebastian dachte noch darüber nach, inwieweit ihnen alte, verstaubte Gemälde helfen konnten. Antarona beobachtete seine Unentschlossenheit und fuhr fort:
»Bringt, wie ihr schon beabsichtigt habt, Frethnal mit. Wir sehen uns alle Bilder an, etwas muss es geben, das die Wahrheit spricht!«
Sie war davon überzeugt und Sebastian hatte bislang keinen besseren Einfall. Also warum nicht, was konnte es schon schaden, sich ein paar Ahnenbilder anzusehen?
Inzwischen sah Antarona ihn an. Sie musterte ihn auf eine seltsame, tiefgründige Weise, als erwartete sie, einer sebastianschen Hautverfärbung beizuwohnen. Als erblickte sie ihn zum ersten Mal, legte sie leicht ihren Kopf schief und betrachtete ihn neugierig.
Bevor Basti fragen konnte, nickte sie zufrieden und zog sich den Teller mit Wafan heran, den sie noch vor ein paar Minuten ablehnend verschmäht hatte. Wie ganz selbstverständlich griff sie nach dem Stück Fleisch und schob es sich genüsslich in den Mund.
Entgeistert sah er sie an und konnte ihre plötzliche Sinneswandlung nicht begreifen. Er deutete auf ihren Teller, sagte aber nichts und schüttelte statt dessen den Kopf.
»Was habt ihr, Ba - shtie?« fragte sie mit vollem Mund. Er zeigte mit beiden geöffneten Handflächen auf den Wafan und wollte wissen:
»Was tust du da?«
»Essen«, gab sie knapp zurück, kaum, dass sie das Wort herausbekam, ohne sich zu verschlucken. Sebastian hob seine Stimme an und sagte vorwurfsvoll:
»Aber eben wolltest du doch noch keinen Bissen hinunterbringen, solange das Volk unter Torbuk leidet und hattest außerdem Angst, es könnte vergiftet sein!«
»Ist es vergiftet«, fragte sie mit listigem Blick, »ja, Ba - shtie, spürt ihr etwas, fühlt ihr euch schlecht, habt ihr Schmerzen?«
»Nein, natürlich nicht«, gab er verwundert zu. Antarona biss wieder vom Braten ab, sah ihm unverhohlen in die Augen und stellte klar:
»Dann kann Sonnenherz beruhigt essen!« Sebastian starrte sie an, reglos, fassungslos, als hätte ihn ein Blitz berührt. Ihre unschuldigen, großen Rehaugen wichen ihm keinen Moment aus.
»Na du hast ja ein sonniges Gemüt«, stellte er ironisch fest, »lässt deinen Mann mal ein bisschen vorkosten, nicht wahr! Er kommt ja von den Göttern, und Götter sterben nicht, was?«
»Die Götter beschützen jenen, den sie senden«, kommentierte sie seinen Sarkasmus, den sie allmählich kannte, »und sie schützen jene, welche mit ihm sind!«
»Na dann guten Hunger«, sagte er nicht ganz ernst gemeint und griff selbst noch einmal zu.

Früh am Morgen, noch bevor es in der Burg lebendig wurde, begleitete Sebastian seine heimliche Besucherin zurück in ihre Gemächer. Sie vergewisserten sich bei Vesgarina, dass ihr Verschwinden unentdeckt geblieben war und verabschiedeten sich mit langen Küssen, als müssten sie sich für Monate trennen.
Anschließend stieg Sebastian in seine Räumlichkeiten hinab und bereitete sich auf einen arbeitsreichen Tag vor. Die Vermessung der Grundmauern, Kerker und Wachunterkünfte standen auf dem Programm und er wusste, dass die Arbeiten im Flackerschein der Fackeln schwierig werden würden.
Sie mussten sich in Bereichen bewegen, die nur schwer zugänglich, oder gar nicht zu betreten waren. Die Maße und Informationen mancher Gewölbe würde er schätzen, oder von den Mauern und Wänden des darüber liegenden Stockwerks herleiten müssen.
Sebastian belud die Arme seines Dieners mit den bisherigen Aufzeichnungen, mit Papierrollen, Schreibgerät und dem Buch aus Antaronas Kaminzimmer, dessen Geheimnis er mit Farasamis Hilfe zu lüften hoffte. Dann begaben sie sich in die Arbeitszimmer, wo Farasami bereits wartete.
»Einen frohen Sonnenlauf, Herr«, begrüßte sie ihn, »ihr findet einige Gesuche und Bittschriften auf eurem Arbeitstisch, Herr, der Hauptmann der Wache hat sie gebracht.«
»Danke, Farasami«, antwortete er knapp und zu Frethnal gewandt, »legt die Sachen erst einmal hier ab, ich sehe mir das nur kurz an.«
Sebastian begab sich ins Nebenzimmer, wo einige Rollen und Papiere mit Bändern zugeschnürt auf dem Tisch lagen. Er begann sie der Reihe nach durchzusehen. Alle Dokumente waren direkt an ihn gerichtet. Offenbar setzte das Volk große Hoffnung in den zurückgekehrten Areos.
Soweit er es mit seinen Ival- Kenntnissen beurteilen konnten, beinhalteten die meisten Schriften die Bitte an ihn, die eine oder andere Sache dem König vorzutragen. Areos Volksnähe hatte sich bereits herumgesprochen, wie ein Feuersturm.
Er sah ein Schriftstück nach dem anderen durch. Es handelte sich um Bitten, die Himmelsburg mit irgendwelchen Waren beliefern zu dürfen, um ein Gnadengesuch, das vom König bereits einmal abgelehnt wurde, um die Beschwerde eines Ival, der glaubte, von einem Oranuti betrogen worden zu sein und so fort.
Eine Schriftrolle interessierte ihn besonders. Die Absenderin war Tariz, jenes Mädchen, dessen Bekanntschaft er am Abend des großen Empfangs anlässlich seiner Rückkehr gemacht hatte. Sofort bekam Sebastian ein schlechtes Gewissen. Längst hätte er sich für Tariz und ihre Freunde verwenden sollen, wie er es versprochen hatte.
Die Unterlagen über die Eltern der jungen Ival und Oranuti lagen bereits seit einiger Zeit auf dem Schreibtisch in seinen Gemächern. Zweifelsohne wartete Tariz auf eine Nachricht von ihm. Wenn er sich bereits so unzuverlässig einführte und diese sechs jungen Menschen enttäuschte, würde seine Beliebtheit beim Volk nicht lange andauern.
Er wollte eben anfangen, die Zeichen Tariz unverdorbener Handschrift zu entschlüsseln, als aus dem Nebenraum, wo er Farasami und Frethnal zurückgelassen hatte, ein polterndes Geräusch ertönte. Zunächst kümmerte er sich nicht darum. Sicher hatten die beiden etwas umgestoßen.
Doch plötzlich erschien Frethnal in der offenen Tür, kreidebleich, zitternd, die Hände blutig. Seine Augen glotzten Sebastian wie irr an und er brachte keinen Ton hervor, starrte nur mit entsetztem Gesichtsausdruck an ihm vorbei in die Leere.
Basti reagierte sofort, stieß den Diener zur Seite und stürzte zurück in das andere Arbeitszimmer. Dort lag Farasami am Boden, über und über mit Blut beschmiert, so dass er nicht erkennen konnte, wo ihre Wunde war. Sie lebte noch, ganz flach und dünn ging ihr Atem. Ihre Haut war, sofern er das bei all dem Blut überhaupt erkennen konnte, so hell, wie die Frethnals.
Ohne zu überlegen drehte er das Mädchen in die Seitenlage, wie er es einmal beim Militär gelernt hatte. Dann suchte er nach ihrer Wunde, indem er ihr die Kleider auszog und ihren blutigen Körper mit einem Kommodendeckchen abwischte. Verblüfft stellte er aber fest, dass sie keine besaß. Vielmehr sickerte das Blut ganz langsam aus den Poren der Haut, überall an ihrem Körper.
Sie zitterte ganz leicht und ihre Lippen wurden blau. Hier konnte nur jemand helfen, der Erfahrung mit Kräutern oder innerer Medizin hatte. Und es musste schnell gehen, sonst würde Farasami an dem Blutverlust sterben. Aber woher sollte er hier einen Arzt nehmen?
Kurzentschlossen sprang Sebastian auf und sah sich nach Frethnal um. Der stand gebeugt und zitternd in der Tür und hielt sich am Rahmen fest. Er riss ihn herum und schlug ihm seine offene Hand ins Gesicht, einmal rechts, einmal links, wieder rechts. Endlich schienen Frethnals Augen zu erwachen.
»Herr, ich habe nichts getan, Herr, gar nichts, das Blut lief plötzlich aus ihr heraus, überall, am Kopf, an den Händen, Herr, ich habe nicht Hand an sie gelegt, ich...«
Sebastian schlug ihm abermals ins Gesicht, um ihn zu unterbrechen, denn er steigerte sich von neuem in das Unfassbare hinein, das er gesehen hatte.
»Frethnal, ihr werdet mir jetzt zuhören und tun, was ich euch sage! Egal, wie ihr es anstellt, ihr lauft ohne zu zögern zu Antarona und bringt sie her. Sofort, habt ihr verstanden, ihr lasst euch von niemandem aufhalten, selbst vom König nicht, ist das klar? Dann schickt ihr nach einem Medicus, wenn es hier überhaupt so etwas gibt!«
Frethnal nickte aufgeregt, sah sich um und versuchte sich zu orientieren, in welche Richtung er laufen musste. Sebastian packte ihn an den Schultern, drehte ihn zum Korridor und gab ihm einen heftigen Stoß. Dann beugte er sich wieder über Farasami.
Ungebremst sickerte Blut aus den Poren ihres ganzen Leibes und Sebastian blieb nichts anderes übrig, als es immer wieder abzutupfen. Dabei schien die Haut des Mädchens immer mehr an Farbe zu verlieren. Allenthalben ihre Lippen verfärbten sich von blau in lila, bis beinahe schwarz.
Sebastian versuchte sie anzusprechen, doch es war sinnlos. Sie reagierte nicht mehr. Ganz wenig, kaum zu sehen, hob und senkte sich ihre Brust. Es war noch Leben in ihr, doch nach und nach wich es offenbar aus ihrem Körper.
Mit einem Mal stand Hekthur in der Tür, reglos. In seinem feinen, dunklen Livree sah er noch blasser aus, als er ohnehin schon war. Zitternd fragte er:
»Könnt ihr etwas tun, Herr? Ich habe bereits nach dem Medicus geschickt, doch das mag ein ums andere Mal mehr oder weniger lang dauern.«
»Danke Hekthur«, sagte Sebastian, ohne seinen Blick von Farasami zu lassen, »ihr könnt mir mal helfen, los, wir legen sie auf den Tisch!« Gemeinsam hoben sie das Mädchen hoch, Sebastian wischte mit seinem Arm Papier und andere Gegenstände von der Tischplatte und sie legten den zitternden Körper darauf, den bereits das Leben verließ.
Hekthurs Hände waren sofort mit Blut beschmiert. Angewidert hob er sie hoch und wich zur Tür zurück, wo er mit Antarona zusammenprallte, die gerade angestürmt kam. Mit einem energischen Hieb stieß sie den Mann zur Seite, sah Sebastian nur flüchtig in die Augen und beugte sich über die Kranke.
»Nu-hú-wi, das Gift der Würmer aus den Sümpfen der schlafenden Sonne«, stellte Antarona mehr für sich, als für andere Ohren fest. Sebastian sah sie ungläubig an.
»Gift, sie ist vergiftet worden?« fragte er entsetzt. Antarona antwortete nicht. Sie ließ sich nicht aus der Ruhe bringen, wischte dem Mädchen das Blut von der Brust und legte ihr Ohr darauf.
»Das Gift treibt das Leben mit schnellen Schritten aus ihrem Leib, wir müssen ihr Herz langsamer gehen lassen, Ba - shtie, helft mir, nehmt ihren Kopf, sie muss den Mund öffnen!«
Dann zog sie ein kleines Fläschchen, nicht größer als ein Parfüm- Flakon, mit einer dunkelbraunen Flüssigkeit aus ihrem Beutel und entkorkte es. Ein ekelhafter, schwer süßlich bitterer Geruch verbreitete sich im Raum. Sebastian hielt Farasamis Kopf mit der einen Hand fest und versuchte ihren Mund mit der anderen zu öffnen. Blut quoll ihr über die Lippen, das Antarona rasch mit einem Tuch auswischte.
Sofort goss sie dem Mädchen den ganzen Inhalt des Fläschchens in den Rachen und strich ihr mit der flachen Hand behutsam die Kehle hinab, immer wieder, bis ihr Körper reflexartig schluckte. Dann begann sie den Körper Farasamis mit Tüchern zu bedecken, die sie anscheinend selbst mitgebracht hatte.
»Felle, besorgt viele Felle, rasch, sie braucht Wärme, damit das Blut trocknet und die Haut verschließt«, rief sie über die Schulter hinweg. Sebastian klatschte kräftig in die Hände und machte Hekthur ein aufforderndes Zeichen. Sofort entfernte sich der Kammerdiener des Königs.
»Ich gehe mit ihm, Herr, helfe tragen«, hörte er Frethnal sagen und augenblicklich wurde es ruhig. Offenbar hatte sein eigener Diener endlich seine Fassung zurück gewonnen. Vesgarina erschien in diesem Moment in der Tür, leise, wie eine geisterhafte Erscheinung. Sie brachte weitere Tücher, die Antarona sachte auf der Haut des Mädchens verteilte.
»Dies ist alles, was wir tun können«, verkündete das Krähenmädchen mit müder Stimme und strich Farasami vorsichtig die klebrigen Haare aus dem Gesicht. »Alles andere fügt sich im Willen der Götter.«
Inzwischen kamen Hekthur und Frethnal mit Fellen herbeigeeilt, die Antarona dem Mädchen locker über den Körper legte, nicht zu beengt, nicht zu luftig. Unerwartet erschien eine weitere Gestalt in der Tür.
»Vermögt ihr dem Mädchen zu helfen, Weib des Areos, wird sie das Reich der Toten verschlossen vorfinden?« Antarona stand auf, drehte sich um und sah dem König in die Augen. Sebastian bemerkte sofort den stummen Austausch ihrer Blicke, so etwas, wie ein geheimes Abkommen, eine verschwiegene Akzeptanz füreinander.
»Es liegt in der Güte Talris, ob sie in das Reich der Toten eingeht, oder weiter unter den Menschenwesen wandert, Herr«, antwortete sie. »Wir werden warten, wie sich die Götter entscheiden, gütige Hoheit.« Bental nickte stumm, senkte den Blick und sprach, wohl mehr für sich selbst:
»Sie ist die Tochter eines bedeutenden, einflussreichen Oranuti- Fürsten, der in Falméra viele Vertraute und Freunde hat, wenn sie ausgerechnet aus den Mauern der Himmelsburg in das Reich der Toten einzieht...
»Es hätte ebenso eine Ival treffen können, Herr! Ihr seid doch aber der König, der Herrscher über diese Insel, der die Oranuti nicht zu fürchten braucht, weshalb auch immer, oder nicht?« fragte Antarona bewusst provozierend.
Einer Kranken zu helfen, das war eine Sache. Doch die ihrer Hilfe bedurfte, war nun einmal eine Oranuti! Und sich Sorgen über nationale Belange wegen des Todes einer Oranuti zu machen, wo in den Tälern des Reiches täglich und gewaltsam Ival starben, verstand Antarona nicht. Und sie wollte es auch nicht verstehen, denn erstens war Farasami noch unter den Lebenden und zweitens war es nicht Recht! Es war nicht Recht und der König handelte nicht Recht seinem Volk gegenüber!
Antarona konnte ihren Hass kaum verbergen. O nein, sie hasste nicht diese kleine Oranuti, die zwischen Leben und Tod auf dem Tisch vor ihr lag! Sie war nur ein unschuldiges Opfer einer großen Intrige und Lüge, vor der anscheinend jeder in Falméra die Augen verschloss. Mehr hasste sie schon ihren König, der ihr Vater sein wollte. Denn er allein hatte es in der Hand zu entscheiden, wie viel Freiheiten man den Fremden im eigenen Land gewährte und wie viel davon man dem eigenen Volk zumuten konnte!
Würde Bental sich ebenso um eine seiner Mägde sorgen, um die Tochter eines Ival? Läge an dieser Stelle ein Ival- Mädchen, wäre er dann überhaupt erschienen, um sich nach ihrem Befinden zu erkundigen? Antaronas Augen blitzten auf und nur Sebastian bemerkte, wie sie das gefährliche Leuchten bekamen, das stets einem großen emotionalen Ausbruch Antaronas vorausging. Bental ging nicht auf Antaronas versteckte Herausforderung ein. Er versuchte sich so rasch wie möglich wieder aus der Affäre zu ziehen.
»Nun gut, tut für sie was ihr vermögt, es soll euer Schaden nicht sein«, versprach er unsicher. Dann blaffte er Hekthur und Frethnal, die noch immer an der Tür lehnten, erheblich lauter an:
»Wo bleibt eigentlich dieser Medicus? Wozu bekommt der einen Beutel Quarts jeden Mondeslauf, wenn er nicht da ist, so man ihn braucht? Die Folgen dafür hat Falméra zu tragen! Sie ist die Tochter des Fürsten Nuharat von Oranutu! Wenn ihr auf unserer Burg etwas geschieht! Es würde eine nie da gewesene Empörung unter allen Oranuti auslösen! Wie soll ich so etwas vor den Oranuti vertreten?«
König Bental redete sich seine ganzen Sorgen von der Seele, ungeachtet der Tatsache, dass beinahe seine ganze engere Dienerschaft anwesend war. So konfus und verunsichert hatte Sebastian den König noch nicht erlebt und ein wenig schämte er sich für ihn. Doch scheinbar war Bental nicht der einzige, der sich nicht mehr völlig in der Gewalt hatte.
Antarona war es nun, die sich nicht mehr zurückhalten konnte. Mit drei Schritten, wie ein Windwirbel, stand sie vor ihrem Herrscher und sämtliche in ihr angestaute Wut schien sich auf einem Mal gegen diesen zu entladen.
»Wie wäre es, eure gütige Hoheit, wenn ihr es verträtet, wie ein König, wie ein freier Herrscher seines Landes und nicht wie eine Spielpuppe der Oranuti, welche nur Gäste im Land der Ival sind?«
Es wurde totenstill im Raum. Alle hielten plötzlich den Atem an. Bental stierte Antarona irritiert an, als wäre sie vor einer Sekunde aus der Hölle aufgefahren. Sie hatte ihn völlig überrumpelt und er schien zu keinem Gegenargument mehr fähig.
Sebastian hob beschwichtigend die Hände und versuchte zwischen Bental und Antarona zu treten, denn er kannte mittlerweile die unkontrollierte Wildheit, die sie an den Tag legen konnte, wenn der Zorn sie packte. Doch Antarona dachte gar nicht daran, sich beruhigen zu lassen. Hemmungslos schrie sie den König an:
»Habt ihr euch je so um die vielen Frauen und Mädchen der Ival gesorgt, die von den wilden Horden Torbuks, von den schwarzen Reitern verschleppt, gequält und getötet werden? Ja, habt ihr je eure Gedanken an sie verschwendet, die euer Volk sind und ebenfalls zu eurem Reich gehören? Doch wenn es um das Wohl einer einzigen Oranuti, einer Fremden in unserem Land geht, so wollt ihr verzweifeln, aus Angst, ihr Vater könnte euch...«
Sebastian trat hinter seine kleine, wild gewordene Frau, packte sie in der Taille und riss sie von den Beinen direkt in seine Arme. Sie strampelte, trat um sich, kratzte und wollte sich nun auf ihn stürzen, doch er hielt sie mit eisernem Griff umklammert. Ihr Mundwerk jedoch vermochte er nicht zu bändigen.
»Und ihr, Ba - shtie, ihr helft ihm noch«, tobte sie, »kriecht zu seinen Füßen, seht zu, wie er sein eigenes Volk vergisst und knechtet und sich nur um die ehrenwerten, voll gefressenen Oranuti sorgt, die sich nicht die Hände beschmutzen, um ihrer täglich Nahrung! Ihr seht zu, wie er seine eigene Toch...«
Im allerletzten Augenblick legte ihr Sebastian seine Hand auf den Mund und verhinderte so eine Katastrophe, die vielleicht niemand mehr hätte eindämmen können. Antarona besann sich kurz, nutzte die Gelegenheit und entwand sich rasch seinem Griff.
Einen Wimpernschlag später stand sie wieder vor ihrem König, vor Zorn schnaubend. Vernichtender Hass sprühte aus ihren Augen und Sebastian sah sie schon wieder auf den Herrscher losgehen. Doch der hielt sie mit einem ruhigen, gütigen Blick in Schach, der sich plötzlich auf sein Gesicht legte.
Unversehens strahlte Bental wieder seine gewohnte Integrität aus. Anstatt Antarona zurechtzuweisen, schnauzte er Frethnal und Hekthur an:
»Was ist, was steht ihr da herum? Los tut gefälligst etwas! Schafft mir diesen unnützen Medicus her, aber schnell!« Wie zwei erschrockene Kaninchen huschten die beiden Diener davon. Dann wandte er sich ruhig und entspannt Antarona zu, als wäre nichts gewesen.
»Nun, sie ist eine Oranuti«, stellte er nicht gerade intelligent fest, »dennoch habt ihr dem Mädchen geholfen!« In seiner Feststellung schwang eine deutliche Frage mit, die Antarona wieder etwas ernüchterte.
»Natürlich habe ich ihr geholfen! Sie ist ein unschuldiges Mädchen, ein Opfer der Machtspiele, die ihr, der König, mit eurem Bruder austragt. Sie ist vergiftet worden! Wer anderer, als euer Bruder Torbuk würde das Essen dieser Burg mit etwas vergiften lassen, das es nur in den Sümpfen der nördlichen Täler gibt?« Sie wartete eine Antwort Bentals gar nicht ab, sondern holte nur zu einem weiteren verbalen Angriff Luft.
»Diese Oranuti dort hat nichts damit zu tun, dass ihr die Oranuti mehr schätzt, als euer eigenes Volk, die Ival«, wetterte sie weiter, »wie lange wollt ihr noch warten, beraten und die Gelehrten befragen, bis ihr gegen euren Bruder und seine Missgeburt vorgeht und sie aus dem Val Mentiér und den anderen Tälern vertreibt? Alle stehen bereit, euch zu helfen, euer Sohn Areos, Arrak und die Windreiter, die Männer in den Dörfern. Aber sie brauchen einen König, der sie führt, der ihnen zeigt, dass er für sie eintritt, anstatt den Oranuti dabei zu helfen, in Falméra immer mächtiger zu werden!«
Bental hatte inzwischen die Arme vor der Brust verschränkt und hörte Antarona teils belustigt, teils genervt zu. Er hatte offenbar erkannt, dass es sinnlos war, ihr den Mund zu verbieten, ohne sie noch mehr anzustacheln. Anscheinend wartete er geduldig, dass ihr die Luft ausging. Doch er unterschätzte die Energie, die sie aufbringen konnte, wenn der Zorn sie beherrschte.
»Werden die Oranuti euch noch als König akzeptieren, wenn die Ival nicht mehr zwischen ihnen und euch stehen, ja, glaubt ihr das? Denkt ihr, ihr werdet noch König sein, wenn es mehr Oranuti als Ival in Falméra gibt? Und was wird aus den Ival? Sollen sie die Sklaven der Oranuti werden, nur weil ihr König nicht...«
In diesem Augenblick schlug Farasami die Augen auf. Sie hätten es wohl nicht bemerkt, wenn sie nicht ihre schwache Stimme gehört und Vesgarinas aufgeregte Zeichen gesehen hätten.
»I-vè.., neph-ni«, sprach Farasami leise, mit langen, kraftlosen Pausen, »I-vè-nem-ró.., he-nieh Tal-ruun.., Je-hii.., Farasami ga-na Tal-ri-ne.., ga-na Tal-ris.« Dann wich das letzte bisschen Kraft aus ihrem Körper. Ihre Augen, liebe, um Leben bettelnde Augen, blieben leer.
Sebastian und Bental traten an sie heran und sahen stumm zu, wie Antarona der kleinen Oranuti bedächtig die Augen schloss. Vesgarina legte ein Tuch über ihren Kopf. Ihre Seele sollte noch nicht zu den Göttern in das Reich der Toten gehen. Sie sollte noch warten, bis ihre Eltern sie gesehen hatten.
»Was hat sie gesagt?« wollte Sebastian wissen, der die leisen Worte nicht verstanden hatte. Antarona schluckte, würgte ihre Tränen hinunter und erklärte:
»Sie hat nach ihrem Großvater und ihrer Großmutter gefragt. Ihr war kalt und sie wusste, dass die Götter sie zu sich riefen und dass sie gehen musste. Sie sprach von Talris, sie sagte in ihrem letzten Atem die Namen der Götter der Ival!«
»Ja, sie liebte ihre Großeltern sehr, im Grunde mehr, als ihre Eltern«, sagte Sebastian nachdenklich. Deutlich, für alle hörbar fügte er hinzu:
»Diese hatten sie nämlich aus einem ganz bestimmten Grund auf die Himmelsburg geschickt, nicht wahr, eure gütige Hoheit?« Der König wurde urplötzlich nervös, denn Bastis Anspielung brachte sein Intrigenbauwerk mächtig ins Wanken. Er konnte freilich nicht wissen, wie weit Sebastian seinen Plan durchschaut hatte, für den er Farasami ebenso benutzt hatte, wie ihr eigener Vater, der Fürst von Nuharat.
»Sie sollte euch, Areos, die Schriften und Bräuche der Ival und Oranuti lehren«, versuchte Bental sich zu verteidigen, obwohl ihn niemand direkt angeklagt hatte. Antaronas skeptischen Blick ignorierend bemerkte Sebastian nur:
»Dafür ist sie nun tot, euer Hoheit, und vielleicht nur deshalb, weil sie euch und ihrem Vater nicht ihr ganzes Leben opfern wollte und sich mir in ihrer Not anvertraute. Ich habe das Gefühl, das hat irgend jemandem nicht in den Kram gepasst!« Das war für Bental nun endgültig zu viel.
»Findet es heraus und berichtet mir dann«, sprach er knapp und eisig. Dann wandte er sich abrupt um und verließ den Raum.
»Was erzählt ihr da, Ba - shtie«, fragte nun Antarona mit fordernder Stimme. Sebastian berichtete ihr, weshalb Farasami auf der Burg war und was Bental und der Vater des Mädchens im Schilde führten. Antarona sah ihn misstrauisch an.
»Ihr hattet nie davon erzählt, dass eine junge Oranuti die Gemächer mit euch teilt«, warf sie ihm vor und sie machte sich nicht die Mühe, den aufkeimenden neuen Zorn in ihrer Stimme zu verbergen.
»So war es auch nicht«, versuchte er ihre Eifersucht zu beschwichtigen, »Frethnal hatte ihr zwei Zimmer im Nordflügel hergerichtet. Sie hatte keinen Zugang zu meinen Gemächern...«
»Wenn ihr es nicht wolltet!« stichelte sie weiter. Sebastian wurde es langsam müde. Mussten Frauen immer etwas Verwerfliches in jeder Situation sehen, in der ihr Mann Kontakt zu anderen Frauen hatte?
»Also, nun hörst du mir mal zu, ja«, forderte er sie auf und hielt, grober als beabsichtigt, ihren Arm fest. Dann berichtete er seiner Frau von dem Tag an, als Farasami das erste Mal in die Burg kam.
»Irgendwer muss herausgefunden haben, dass sie mir vertraute und dass sie womöglich hätte etwas von den Wasserwagen und den Holzfrachten ihrer Großeltern verraten können«, endete er schließlich. Er überlegte und fügte hinzu:
»Dieses Kind wurde einfach benutzt und musste sterben, weil es mir zufällig von ihren Großeltern erzählte!« Antarona blickte Sebastian forschend in die Augen. Ihre Eifersucht war inzwischen verflogen. Sie sah, dass er die Wahrheit sprach. Aber da war noch etwas anderes, irgend etwas, das nicht zusammen passte!
»Ba - shtie, glaubt ihr wirklich, deshalb musste sie in das Reich der Toten gehen?« Sebastian hob unsicher die Schultern und fragte:
»Kannst du dir einen anderen Grund vorstellen?« Antarona kam auf ihn zu, nahm seinen Kopf in ihre Hände und schüttelte ihn, als könnte sie seine Gedanken damit wach rütteln.
»Ja, Ba - shtie, nämlich, dass der Anschlag nicht ihr galt!« versuchte sie ihm klar zu machen. Sebastian musste zugeben, dass er bisher nicht daran gedacht hatte, obwohl es ziemlich nahe lag.
»Also, du meinst«, dachte er laut, »irgend jemand wollte mir und meinem Einfluss auf Bental ein Ende setzen?« Zweifelnd wiegte er seinen Kopf hin und her, als Antarona ungeduldig herausplatzte:
»Nicht euch, Ba - shtie, sondern Sonnenherz, eurem En-gel-sen galt wohl das Gift! Überlegt doch mal, erst der Dolch, dann das vergiftete Essen!«
»Das ist kaum möglich«, erwiderte er überzeugt, »Farasami wurde ja nicht in deinen Gemächern vergiftet, sondern im Arbeitszimmer neben ihrem eigenen Gemach und...«
»Und wenn kein Mensch in Frage kommt, welcher ihr das Gift gab, so sollten wir fragen, wie man es ihr gab! Dort liegt dann die Wahrheit verborgen«, unterbrach sie ihn triumphierend.
Damit zog sie die Felle von Farasami herunter und begann, jede Stelle ihres Körpers zu untersuchen. Nachdenklich starrte sie auf das Gesicht des toten Mädchens.
»Sie hat das Gift zu sich genommen, seht her, Ba - shtie, seht ihre Lippen! Sie besitzen eine unnatürlich dunkle Farbe, fast schwarz. Aber sie sind nicht gleichmäßig gefärbt!« versuchte sie ihm ihre Entdeckung zu erläutern.
Bevor sie weiter sprechen konnte, kamen Frethnal und Hekthur zurück. Nach Atem ringend berichtete Sebastians Diener stockend:
»Der Medicus ist nach Varntal gerufen worden, er wird nicht vor dem neuen Sonnenlauf...« jetzt erst gewahrte Frethnal das unbedeckt auf dem Tisch liegende, tote Mädchen und verhielt mit offenem Mund.
»Ist schon gut, Frethnal«, beruhigte ihn Sebastian, »sie hat es bereits hinter sich, der Medicus wäre sowieso zu spät gekommen.« Dann fiel ihm etwas ein und er sah seinen Diener scharf an.
Der wich vor Angst zwei Schritte zurück und prallte auf Hekthur. Sebastian kümmerte sich nicht weiter darum, sondern fragte:
»Sagt mal, Frethnal, ihr wart doch mit Farasami im selben Raum! Was ist eigentlich geschehen, hat sie irgend etwas gegessen, oder getrunken?« Frethnal, von Antarona und Sebastian gleichermaßen streng gemustert begann ängstlich zu stottern.
»Aber nein, Herr, nicht! Es war ja gar nichts zum Essen da, Herr, sie war ganz wie immer, bis sie, mögen die Götter wissen wie, zu bluten begann, einfach mal eben so, Herr, einfach so!« Der Diener zitterte am ganzen Körper, so sehr nahm ihn die Erinnerung an das Erlebte mit. Er sprach also die Wahrheit! Doch Sebastian ließ nicht locker.
»Bei den Göttern, Frethnal, versucht euch zu erinnern! Was hatte Farasami getan, bevor sie zu bluten begann?« Bastis Diener trat verlegen von einem Fuß auf den anderen und schien wirklich angestrengt nachzudenken.
»Sie ordnete die Papiere, Herr, die Rollen und Schriften, die ihr selbst mitbrachtet, Herr, dann... Nein, da war noch etwas.., eine dicke Schrift mit Leder drum herum.., Herr, sie blätterte darin. Dann, plötzlich, begann sie zu bluten, Herr, sie selbst hatte es erst gar nicht bemerkt.«
Ein Gedanke schoss durch Sebastians Kopf und in ihm entstand ein ungeheuerlicher Verdacht. Gleichzeitig schien Antarona eine ähnliche Vermutung zu hegen, denn sie nahm Farasamis rechte Hand, drehte sie um und hielt sie in Sebastians Richtung hoch.
Die Kuppen ihres Daumens, des Mittel- und Zeigefingers waren ebenso geschwärzt, wie ihre Lippen. Für Sebastian war nun alles klar! Er hob die Hände und rief laut und deutlich:
»Niemand rührt hier irgend etwas an!« An seinen Diener gewandt sagte er: »Frethnal, stellt jetzt keine Fragen und hört genau zu! Ihr geht jetzt unverzüglich und wascht euch die Hände und zwar gründlich und mit Seife! Und ihr fasst auf dem Wege nichts an! Ihr fasst euch nicht an die Nase, nicht an euren Mund und ihr kratzt euch nicht und reibt euch nicht die Augen, bevor ihr euch die Hände gewaschen habt, ist das klar?« Dann sah er den Bediensteten des Königs an.
»Hekthur, ihr sorgt dafür, dass er tut, was ich ihm geheißen! Los jetzt und dann will ich euch beide wieder hier sehen!«
Antarona wartete währenddessen stumm und geduldig. Sie kannte Sebastian und war sicher, dass er wusste, was er tat. Sie sah zu, wie er sich neugierig über die Papiere beugte, die verstreut auf dem Boden lagen und die er mit dem Arm von der Tischplatte gefegt hatte, als er und Frethnal Farasami darauf legten.
Mit der Stiefelspitze fuhr er in den Rollen und Schriften herum, bis das Buch aus Antaronas Kaminzimmer darunter zum Vorschein kam. Sebastian zog sein Messer und schob die breite Klinge unter den Ledereinband. Vorsichtig hob er das Buch hoch und legte es auf den Tisch neben die tote Farasami. Dann winkte er Antarona heran.
»Na, erkennst du es wieder, überleg mal, versuche dich zu erinnern!« forderte er seine Frau auf. Antarona riss überrascht die Augen auf.
»Es ist die dicke Schrift, welche ihr mitbrachtet, als ihr Sonnenherz zum Nachtmahl abholtet!« stellte sie erschrocken fest.
»Nein«, berichtigte er sie, »ich brachte diese Schrift nicht mit, sie war bereits in deinem Gemach, wo das Feuer brannte!« Anschließend berichtete er kurz, was er in ihrem Kaminzimmer beobachtet hatte, als er auf dem Weg zu ihr war.
»Irgend etwas warnte mich vor diesem Buch«, schloss er seinen Bericht, »deshalb sagte ich nichts weiter und nahm es heimlich an mich. Auch ich blätterte darin, doch wusch ich mir noch die Hände, bevor wir in den Salon gingen, erinnerst du dich?«
Antarona nickte nachdenklich, nahm Sebastian zögernd den Dolch aus der Hand und begann mit der Spitze das Buch umzublättern. Bereits auf den ersten Seiten wurde sie fündig. Am Rande, nahe den unteren Ecken, konnten sie deutlich Farasamis Fingerabdrücke erkennen, als hätte sie beim Blättern blaue Farbe an den Fingern gehabt.
»Nu-hú-wi«, wiederholte sie bestimmt den Namen des Giftes, das ihr zumindest von der Wirkung her bekannt zu sein schien.
»Sumpfwürmer scheiden es aus ihrem Leib aus, wenn sie bedroht werden«, erklärte sie, »es besitzt auch getrocknet seine ganze Kraft und nur wenig davon kann sehr schnell töten. Jemand hat die Seiten dieser Schrift damit bestrichen...«
»...und wenn man seine Finger an der Zunge befeuchtet, um besser umblättern zu können, dann nimmt man das Gift unweigerlich auf«, sprach Sebastian ihren Satz zuende. Dann packte er Antarona an den Schultern und schüttelte sie erregt.
»Du hattest recht Antarona, dieser Anschlag galt allein dir! Sieh dir die Schriften genau an, sie erzählen von Kräutern und Heiltränken, sie zeigen jene Dinge, welche dich ohne Zweifel neugierig gemacht hätten! Du solltest das Buch finden und darin herumblättern, darauf verwette ich meinen Kopf!«
Antarona war still geworden. Diese neue Erkenntnis machte ihr zwar keine Angst mehr, denn sie hatte sich damit abgefunden, dass man mit aller Macht darauf sann, sie zu töten. Aber sie fühlte sich elend, wie nie zuvor. Ein unschuldiges Kind musste an ihrer Stelle in das Reich der Toten gehen! Wenn es auch eine Oranuti gewesen war, sie, Sonnenherz, die Tochter des Hedaron aber war Schuld an dem frühen Schicksal dieses Mädchens!
Sebastian ahnte ihre Gedanken. Und obwohl sich eine mächtige Wut gegen den Attentäter in seinem Bauch ausbreitete, nahm er sie in den Arm und versuchte sie zu trösten.
»Du kannst am wenigsten etwas dafür, Antarona! Ich glaube, der Meuchelmörder hätte früher oder später sowieso versucht sie zu töten«.
Antarona sah Sebastian fragend an. Daraufhin erzählte er ihr von Farasamis Großeltern und seinem Verdacht, dass diese Bauholz für Torbuks heimliche Invasionsflotte in den Norden Zarollons verschifften. Hätte jemand vermutet, dass Farasami ihm davon erzählte, so wäre sie zweifelsohne ebenso ein erklärtes Angriffsziel geworden.
Natürlich wusste Basti, dass dies für Antarona kein Trost war. Doch er schürte erneut die Entrüstung ob solcher Taten in ihr. Der Zorn in ihr würde sie von ihren Schuldgefühlen ablenken. Zur Bestätigung seiner Hoffnung sagte sie plötzlich:
»Ba - shtie, wir müssen diesen Verräter finden, denn er vermag wohl überall zuzuschlagen, wann immer es ihm beliebt. Auch versteht er sich trefflich auf die Kunde der Gifte und Tränke. Nu-hú-wi hätte auch Sonnenherz nicht bemerkt. Sie verdankt Farasami nun ihr Leben. Lasst uns den Verräter für Farasami finden!«
»Nein, nicht für Farasami sollten wir es tun«, antwortete Sebastian bestimmt, »sondern für das Volk, für die Ival! Wer Farasami und deine schwarz gefiederten Freundinnen getötet hat, kann auch den König bedrohen. Und ohne Bental ist Falméra und somit das ganze Volossoda verloren. Torbuk und die Oranuti hätten dann freie Hand!«
Noch indem er sprach, warf Sebastian Holz in den Kamin und stapelte feine Späne und Stroh davor. Das todbringende Buch legte er obenauf. Dann ging er in den Flur und suchte eine der Zunderbüchsen, welche die Diener in jedem Flur für die Lampen bereit hielten.
Kurz darauf ging das vergiftete Buch in Flammen auf. Sebastian sah zu, wie sich das Leder unter der Hitze nach oben wölbte und die Seiten dem Feuer überließ. Er hätte das Buch freilich noch behalten können, um seine Herkunft herauszufinden, doch ein Gift, dass man nicht sehen konnte und das eine so tödliche Wirkung hatte, war ihm nicht geheuer. Er fühlte sich besser mit dem Wissen, dass es für immer vernichtet war.
Hekthur und Frethnal kamen zurück, letzterer mit deutlich entspanntem Gesicht. Sebastian straffte sich und ordnete an:
»Ihr seht zu, dass Farasami hier heraus geschafft wird. Und dass sie niemand mit den Händen, oder sonst wie berührt, umwickelt euch die Hände mit Tüchern oder Häuten!« Da meldete sich Antarona zu Wort:
»Ba - shtie, wir müssen sie zu ihrer Familie schaffen! Die Oranuti nehmen oft zwei oder drei Sonnen lang Abschied vom Geist ihrer Toten, bevor sie ihn in das Reich der Toten einziehen lassen. Solange bleibt der Kopf bedeckt, damit der Geist nicht entfliehen kann, bevor sich die Familie von ihm losgesagt hat.«
»Weißt du, was du da verlangst?« fragte Sebastian forschend. »Ihr Körper ist vergiftet, und zwar mit einem sehr starken, gefährlichen Gift, wie du selbst gesagt hast! Ich halte es für besser, wenn ihn niemand mehr berührt!« Antarona zuckte mit den Schultern und sah Sebastian gleichgültig an. Als ginge sie das alles nichts mehr an, erklärte sie:
»Sonnenherz mag die Oranuti nicht, darum mag es ihr gleich sein. Doch Bental wird keinen Ärger mit Farasamis Familie wollen, darum...« Sie sprach den Satz bewusst nicht zuende, sondern überließ es Sebastian, sich die Folgen auszumalen, sollte dem Wunsch und dem Glauben der Familie Nuharat nicht entsprochen werden.
»Ich werde mit Bental darüber sprechen«, beruhigte er sie, »und nicht nur darüber«, fügte er mehr für sich selbst hinzu. Frethnal und Hekthur wies er an:
»Ihr bringt sie jetzt dorthin, wo Tote auf der Burg üblicherweise erst einmal hin gebracht werden. Dann sehen wir weiter. Und um euer Leben willen rate ich euch, sie nicht anzufassen!«
Dann wandte er sich wieder Antarona zu. Erst jetzt fiel ihm auf, dass sie mit nichts weiter bekleidet war, als dem einfachen, schlichtweißen Kleid, das sie auf dem Weg von ihrer Tante nach Falméra trug. Einen schmalen Stoffschal hatte sie sich als Gürtel umgebunden. Offenbar hatte Frethnal sie bei der Morgentoilette gestört.
Er wollte ihr etwas sagen, doch Frethnal und Hekthur machten einen Heidenlärm bei dem Versuch, den Tisch, auf dem Farasamis Leichnam lag, aus der Tür in den Flur zu bugsieren. Ärgerlich rief er:
»Ich hoffe, die Herren kriegen das heute noch hin, oder ich helfen?« Sebastian erwartete keine Antwort und befahl:
»Wickelt sie in die Decken und legt sie auf ein Fell und tragt sie endlich raus! Holt euch Leute von der Wache, wenn es sein muss, aber seht zu, dass ihr fertig werdet!«
Er wartete geduldig, bis sie Farasami in den Korridor geschleiften hatten. Dann schloss er die Tür und schlug Antarona vor:
»Es ist wohl das Beste, wenn ich dich erst einmal in meine Gemächer bringe, bis ich mit Bental gesprochen habe, oder?« Antarona wollte protestieren, doch Basti legte beschwichtigend seine Hand auf ihren Arm und mahnte:
»Dort bist du jedenfalls sicherer, als in deinen Räumen und außer Frethnal weiß dann niemand, wo du dich aufhältst.«
»Sonnenherz ist in diesen Mauern nirgendwo sicher und sie fürchtet sich nicht, dem gegenüber zu treten, welcher sie in das Reich der Toten schicken will«, antwortete sie trotzig.
Sebastian musste im Stillen zugeben, dass sie recht hatte. Jeder, selbst Frethnal oder Vesgarina konnten der verborgene Mörder sein! Aber er musste Zeit gewinnen. Zeit, um den hinterhältigen Verräter zu entlarven. Der ließ sich gewiss besser jagen, wenn Sebastian seine Frau dort wusste, wo sie der Täter nicht vermutete.
»Die Sache hat nur einen Haken«, stellte Sebastian ruhig fest, »jener, welcher dich in das Reich der Toten schicken will, wird nicht warten, bis er entdeckt ist und noch viel weniger wird er dir gegenübertreten! Was ist, wenn du in deine Gemächer zurück gehst und auch nur eine Tür anfasst, die mit einem ähnlichen Gift behaftet ist? Oder das Wasser in deinen Krügen, oder der Griff von Nantakis?« Basti sah Antarona eindringlich an und setzte eine traurige Miene auf.
»Ich liebe dich und ich will dich nicht verlieren! Ich will mit dir leben! Glaubst du, ich will dich ebenfalls von Frethnal und Hekthur hinaustragen lassen? In meinen Räumen können wir uns gegenseitig schützen, Frethnal, Vesgarina, du und ich!«
»Wir werden in diesen Mauern niemals frei von Gefahr sein, Ba - shtie«, entgegnete sie abgeklärt, »der Meuchelmörder braucht sich nicht zu eilen, er kann uns so lange angreifen, wie er euch und Sonnenherz in dieser Burg eingesperrt weiß!« Sebastian nickte und einen Lidschlag später hatte er den richtigen Einfall.
Sie mussten hinaus aus der Burg! Wenn sie die Burg verlassen konnten, wann immer sie wollten und irgendwo in Falméra, oder in den Bergen ein Versteck hatten, so konnten sie den Attentäter womöglich verunsichern und ihm gezielt eine Falle stellen.
»Antarona«, begann Sebastian von neuem, »es ist doch nur so lange, bis ich mit Bental gesprochen habe, vielleicht lässt er mit sich reden, nachdem...«
»Bental ist blind und taub, Ba - shtie«, fiel sie ihm ins Wort, »er sieht und hört nicht, was Sonnenherz und Areos sehen und hören! Er verschließt seine Sinne vor dem, was ist! Warum lässt er die gesandten des Achterrats nicht ziehen? Wir brauchen ihn nicht, um zu kämpfen, wir kämpfen mit Arrak und den Windreitern, mit den Vätern, Söhnen und Brüdern der Ival in den Tälern!«
»Irrtum, Antarona, wir brauchen ihn, wir brauchen seine Heerlager, wir brauchen Falméra!« widersprach Basti.
»Nur gemeinsam sind wir vielleicht so stark, dass wir Torbuk aufhalten und das Volk retten können! Nur darum sind wir noch hier! Das allein ist der Grund, warum wir nicht heimlich in der Nacht für immer aus der Burg geflohen sind!«
Antarona wusste, dass Ba - shtie, Areos, recht hatte. Natürlich konnten sie allein gegen Torbuks wilde Horden kämpfen und sie würden sie immer wieder besiegen können, wo immer sie auf einen ihrer Trupps stießen. Doch ein friedliches Leben in Freiheit würden sie nicht eher führen können, bis Torbuk, Karek und alle ihre Anhänger getötet, oder aus dem Lande gejagt waren.
»Gut, Ba - shtie«, gab sie sich schließlich kompromissbereit, »versuchen wir es auf eure Weise. Was sollen wir also tun?« Sebastian zog seine Frau in den hinteren Raum, als fürchtete er heimlicher Lauscher und sagte leise:
»Zuerst bringe ich dich in meine Gemächer. Dort bleibst du, bis ich von Bental zurück bin. Dann überlegen wir weiter, was wir tun wollen. Bist du damit einverstanden?«
Antarona stimmte unter der Bedingung zu, dass sie zuerst ihr Schwert Nantakis holten, das sie in ihrem ungenutzten Schlafgemach verborgen hatte. Sebastian überredete sie, in seinen Räumen zu warten, während er über den geheimen Gang hinauf stieg und Nantakis holte. Anschließend führte er sie und Vesgarina in das Lesezimmer mit den zwei kleinen Türmen.
»Wenn irgend jemand naht, von dem du nicht weißt, wer er ist«, schärfte Sebastian ihr ein, »dann versteckst du dich hier drinnen!« Damit schlug er den Wandbehang zur Seite und zeigte ihr die Tür, deren Schloss er in mühevoller Kleinarbeit entfernt hatte. Rasch erklärte er ihr, dass der Turm in ihre Gemächer führte, er das Türschloss aber erst zur Hälfte frei geschnitzt hatte. Mit unheilvollem Gefühl ließ er die beiden Frauen zurück und schlich sich durch die geheimen Gänge in Antaronas Gemächer.
Basti war beunruhigt. Ihm wäre wohler gewesen, wenn er Nantakis schon jetzt in Antaronas Händen gewusst hätte. Zudem ärgerte er sich, dass er ihr nicht wenigstens ein Kurzschwert aus seiner Waffenkammer gegeben hatte. Intuitiv beschleunigte er seine Schritte, um möglichst schnell wieder bei den beiden schutzlosen Frauen zu sein.
Auf Anhieb fand er Nantakis in Antaronas Versteck und kurze zeit später stand er wieder im Lesezimmer. Doch von Antarona und Vesgarina fehlte jede Spur. Sebastian schaute in die Nachbarräume. Nichts! Zu rufen wagte er nicht. Bental, Hekthur, oder sonst jemand musste nicht unbedingt wissen, dass sich Antarona in Areos Stockwerk aufhielt.
Wütend über so viel Unvernunft, sich einfach heimlich zu entfernen, begann er Raum für Raum zu durchsuchen. Auf dem Flur kam ihm Frethnal entgegen.
»Farasami ist im Zimmer Talris, Herr. Hekthur bereitet sie für ihre Eltern vor, Herr. Die Wache wird ihrem Vater einen Boten schicken.«
»Ja, Frethnal, schön«, kommentierte Basti unkonzentriert, »das ist jetzt unwichtig! Antarona und Vesgarina sind verschwunden. Sie waren im Lesezimmer und nun sind sie plötzlich wie von der Erde verschluckt! Und ihr habt sie natürlich nicht gesehen, nicht wahr?« fragte er den Diener beinahe vorwurfsvoll.
»Nein Herr«, bestätigte der, »doch, wenn ihr eurem bescheidenen Diener das Wort erlaubt, sie werden sich nicht in Luft verwandelt haben und eins mit den Mauern können sie ebenfalls nicht geworden sein!«
Trotz der beschwichtigenden Worte spürte Sebastian auch bei ihm eine gewisse Unruhe. Seine Sorge um Vesgarina vermochte er nicht zu verbergen. Aber er hatte den entscheidenden Denkanstoß gegeben. Warum war Sebastian nicht selbst darauf gekommen?
»Frethnal, ihr bleibt hier im Korridor und meldet mir jeden, der meine Räume betritt!« ordnete Sebastian an.
»Ich bin im Lesezimmer. Wenn irgend etwas ist, so ruft nach mir, auch, wenn ihr mich nicht seht, verstanden?« Frethnal nickte verständnislos und wunderte sich zweifellos über das wundersame Gebaren seines Herren.
Basti kehrte in das Lesezimmer zurück, schlug den Vorhang zur Seite und trat durch die angelehnte Tür in den Treppenturm. Sofort vernahm er das kratzende Geräusch, das ihm so bekannt vorkam. Eine Nacht lang hatte er es gehört, als er versuchte, das Schloss der oberen Tür zu entfernen.
»Was treibt ihr hier eigentlich?« fragte er gereizt, als er Vesgarina und Antarona mit einem Messer vor der Tür hocken sah. Natürlich wusste er genau, was sie taten. Er musste sich einfach Luft machen.
»Wenn der Meuchelmörder nun auf diese Kratzerei aufmerksam geworden wäre, dann hättet ihr schön in der Falle gesessen, nicht wahr? Und dann? Was hättet ihr dann wohl gemacht, was?« In Sebastians Frage schwang mehr Sorge als Vorwurf mit.
Doch Antarona ließ sich davon nicht einschüchtern. Ihre Augen blitzten ihn gefährlich an und sie schob Vesgarina zur Seite. Basti rechnete schon damit, dass sie auf ihn losgehen wollte, doch er täuschte sich wieder einmal.
»Das hätten wir getan, Ba - shtie«, kommentierte sie, stieg eine Stufe auf der Treppe herab und sprang dann wie eine Pantherin die Tür an. Sebastian machte sich reflexartig bereit, sie aufzufangen, doch das war nicht nötig. Es gab ein hässliches Geräusch, das schwere Schloss sprang zurück und die Tür flog auf. Zwei, drei Mal schwang das Schloss noch an einigen Holzfasern hin und her, dann schlug es scheppernd auf die Steintreppe.
Triumphierend stand Antarona wie eine überirdische Erscheinung im Türrahmen. Die Sonnenstrahlen des dahinter liegenden Zimmers durchdrangen ihr weißes Kleid, das ihr über die eine Schulter gerutscht war und ihre Weiblichkeit mehr als gewollt präsentierte.
»Ist ja schon gut«, gab Sebastian geschlagen zurück, »dein Erfolg gibt dir recht. Aber das nächste Mal, wenn ich dir etwas sage, tust du...«
»Ist etwas geschehen, Herr, seid ihr wohlauf?« klang es von unten herauf. Frethnal hatte wohl den Krach gehört und sich seine eigenen Gedanken gemacht. Sebastian verzog sein Gesicht zu einer Fratze.
»Hört hier vielleicht irgend jemand mal, was man ihm sagt? Kann hier nur einmal jemand das tun, was man ihm aufträgt?« Er rief es so laut, dass auch Frethnal es unweigerlich hören musste.
»Verzeiht, Herr«, klang es verzerrt durch den Treppenturm, »ich dachte, dass ihr Hilfe gebrauchen könnt!«
»Ach, schon gut Frethnal, es ist nichts geschehen, Vesgarina und Antarona sind bei mir«, rief er resigniert hinab, fügte aber noch hinzu:
»Und Frethnal, lasst endlich dieses bescheuerte Herr, sonst vergesse ich mich!«
»Ja, Herr, schon verstanden, Herr!« echote es von unten herauf. Sebastian sah Antarona und Vesgarina verzweifelt an und sagte spaßhaft:
»Was soll ich bloß mit ihm machen? Egal, was ich tue, ich kann ihm seine Frechheiten nicht austreiben. Es wird Zeit, dass ich ihn in ein Heerlager schicke!« Dabei beobachteten Sebastian und Antarona Vesgarinas Gesichtszüge, die ihr plötzlich entglitten und eindeutig ihre Gefühle für Frethnal verrieten.
»Was meinst du, Antarona, gäbe es einen Grund, ihn vielleicht doch noch hier zu behalten?« fragte Sebastian seine Frau scheinheilig mit einem versteckten Seitenblick auf Vesgarina. Das Dienstmädchen errötete bis in die Haarspitzen und biss sich fast auf die Lippe. Selbst, wenn sie gekonnt hätte, würde sie nichts gesagt haben, zu groß war ihr Respekt vor ihrer Herrschaft.
Antarona tat unbeteiligt und gleichgültig. Sie machte das grausame Spiel mit. Gelangweilt stieg sie die Treppe herab, beachtete Vesgarina gar nicht und umarmte ihn. Wie beiläufig sagte sie:
»Ba - shtie, warum fragt ihr Sonnenherz? Frethnal gehört zu eurem Gesinde. Fragt jene, was mit ihm geschehen soll!« Damit gab sie ihm ein Zeichen, den Spuk zu beenden.
Vesgarina wusste inzwischen schon nicht mehr, wohin sie noch schauen sollte. Sie platzte beinahe vor Schamesröte und begann völlig sinnlos die Holzspäne der Tür mit den Händen zusammen zu schieben.
»Vesgarina, was meint ihr dazu?« wollte Sebastian wissen. Wie von einer Schlange gebissen fuhr das Mädchen auf und sah den Sohn des Königs erwartungsvoll, beinahe bettelnd an.
»Was meint ihr, Vesgarina, sollte ich Frethnal verzeihen und ihn hier behalten? Glaubt ihr, er ist ein guter, treuer Bediensteter?« Heftig nickend faltete Antaronas Zofe die Hände vor der Brust und verbeugte sich. Sie machte eine Geste, die Basti mit Unterwürfigkeit bis hin zur Erniedrigung interpretierte.
Das reichte! Er wollte es nicht übertreiben. Sie wussten, was sie wissen wollten, das genügte. Vesgarina war offensichtlich schwer in Frethnal verliebt. Wahrscheinlich war er der erste Mann, der dieses stumme Mädchen als Frau respektierte und liebte. Er gab ihr wohl zum ersten Mal in ihrem Leben den Halt, der ihr bisher gefehlt hatte. Damit hatten Sebastian und Antarona zwei wirklich ergebene Seelen an ihrer Seite, denen sie vertrauen konnten.
»Nun, dann will ich ihm seine lose Zunge wohl vergeben, was? Möglicherweise gebe ich ihm sogar die Erlaubnis, sein Herz mit dem einer Frau zu verbinden. Was glaubt ihr, Vesgarina, wird Frethnal ein Herz finden, das ihn ehrlich liebt?« fragte Sebastian hinterlistig. Das Mädchen sah beschämt zu Boden und ihr Gesicht glich einer Tomate, die zuviel Sonne abbekommen hatte.
Zufrieden grinsend stieg Sebastian die Treppe hinunter, gefolgt von Antarona und Vesgarina, die bemüht war, sich schier unsichtbar zu machen. Unten wurden sie von Frethnal mit neugierigem Blick erwartet. Es war offenkundig, dass sein Interesse allein Vesgarina galt.
»Frethnal«, schalt ihn Sebastian, »was hatte ich euch aufgetragen? Im Korridor zu warten, nicht wahr? Was, wenn ich fragen darf, tut ihr dann hier? Na?« Frethnal lugte an seinem Dienstherrn vorbei und suchte die Augen Vesgarinas.
»Schaut gefälligst mir in die Augen, wenn ich mit euch spreche«, herrschte Sebastian ihn an. Frethnal zuckte zusammen und machte Anstalten, sich wieder in den Korridor zurückzuziehen.
»Wo wollt ihr hin?«, hielt Sebastian ihn zurück. »Ihr bleibt schön hier! Zur Strafe werdet ihr nun auf Vesgarina Acht geben, während Antarona und ich dem König berichten.« Dem an dieser Stelle üblichen Ja Herr seines Dieners kam Sebastian zuvor, indem er ihm einschärfte:
»Und Frethnal, ihr werdet ihr nicht von der Seite weichen! Ihr zwei werdet hier warten, bis wir wieder zurück sind und euch selbst hier wieder abholen! Einstweilen könnt ihr Vesgarina ein paar Felle und Kissen holen und es ihr bequem machen, die Ereignisse waren schließlich aufregend genug.«
Damit zog er Antarona an der Hand hinter sich her aus dem Raum. Verschmitzt grinste er sie an und fragte:
»Na, ist die Bestrafung hart genug, was glaubst du?« Antarona gab jedoch keine Antwort. Ihr schlichen andere Dinge im Kopf herum.
»Was hofft ihr damit zu erreichen, wenn ihr Sonnenherz zu Bental mitnehmt?« fragte sie grübelnd. »Er wird nicht erfreut sein, seine Tochter mit euch zusammen zu sehen!«
»Nun, dann wird er sich daran gewöhnen müssen, denke ich, denn ich habe nicht vor, dich, das mir das wertvollste und teuerste auf dieser Welt ist, dem Volk, dem König, oder diesem Land zu opfern! Vielleicht verstehst du es nicht, mein Engelchen, aber alles, was ich tue, ist ohne dich sinnlos. Darum wird Bental von nun an deine Unversehrtheit in diesen Mauern garantieren müssen, oder du bleibst Tag und Nacht an meiner Seite!«
Sebastian sagte das mit einer festen Entschlossenheit, die Antarona beeindruckte. So wünschte sie sich den Mann an ihrer Seite! Tatkräftig, zielstrebig und ohne Furcht! Aus den Augenwinkeln himmelte sie ihn an. Er hatte sich seit ihrer ersten Begegnung am See verändert. Ein Mann, der zuviel redete und über seine eigenen Füße fiel, so hatten ihn die Götter zu ihr gesandt.
Inzwischen war er zum Krieger geworden, den sie nicht zum Feind haben mochte. Und sie, Antarona Holzer, hatte ihn dazu gemacht! Plötzlich, in diesem dunklen Gang, auf dem ungewissen Weg zum König wurde ihr klar, dass sie bereit war! Von einer Zentare zur anderen wusste sie, dass sie nun das Herz von ihm, welches sie unter ihrem trug, wollte. Die Götter sagten es ihr! Diesmal würde sie keinen Sud bereiten, der die Frucht sterben ließ!
Stolz, mit neuem Mut und wie verwandelt schritt sie neben Sebastian her. Er sah sie kurz an und spürte die Veränderung. Doch er konnte sie nicht einordnen. Es war ihre Stimmung, ihre plötzliche Entschlossenheit, sich mit ihm, sollte es nötig sein, gegen Bental zu stellen. Sebastian fühlte wieder ihre gewohnte Selbstsicherheit, mit der sie ihn über die Berge nach Falméra geführt hatte.
König Bental erwartete sie bereits. Es war für Sebastian unerklärlich, mit welchen heimlichen Augen er sie beobachten ließ, ohne dass sie etwas davon bemerkten. Und es machte ihm Angst.
Wenn es des Königs Vertrauten gelang, sie ungesehen zu überwachen, dann gab es auch für ihre Feinde eine Möglichkeit, sich ihnen unbemerkt zu nähern. Kannte etwa noch jemand die verborgenen Gänge zwischen den dicken Mauern der Burg? War das des Rätsels Lösung? Waren auf diese Weise die Anschläge auf Antarona, Vesgarina und Farasami möglich gewesen?
Sebastian kam zu dem Schluss, dass er Antarona so schnell wie möglich aus der Burg hinaus schaffen musste, wenn möglich mit dem Wohlwollen des Königs. Sollte der sich jedoch einem solchen Gedanken verweigern, musste er einen anderen, weniger diplomatischen Weg finden. Auf Dauer wurde diese Burg für Antarona zur Falle. Das wollte er auf gar keinen Fall zulassen!
»Eure gütige Hoheit, es ist an der Zeit, euch von einigen Geschehnisse innerhalb eurer Mauern zu berichten, die euch nicht gefallen werden!« ergriff Sebastian das Wort, ohne auf eine Aufforderung Bentals zu warten.
Erstaunlicherweise schien dieser das kaum zu missbilligen. Er stand im Erker des Nordsalons und blickte über den großen Wehrturm hinweg nach Falméra hinab. Ein außen stehender Betrachter konnte mutmaßen, dass ihm der König gar nicht zuhörte. Doch Sebastian wusste es besser.
Darum berichtete er ihm schonungslos von den heimlichen Anschlägen und was sie bisher dazu herausgefunden hatten. Bental hörte sich geduldig alles an, ohne ihn zu unterbrechen. Dann drehte er sich zu ihnen um und fragte:
»Was werdet ihr nun dem Fürsten Nuharat sagen? Wie rechtfertigen wir den Tod seiner Tochter unter eurer Obhut, unter dem Schutz des Areos, des Sohnes des Königs?«
Sebastian war sprachlos, musste erst einmal verarbeiten, was er da gerade gehört hatte. Die Stille, die den Raum erfüllte, war aufgeladen von einer spürbaren Spannung. Ein Seitenblick zu Antarona verriet Sebastian, dass sie wie ein wildes Tier bereit war, den König anzuspringen. In ihren Augen sprühten wilde Flammen. Rasch nahm Basti ihre Hand in die seine und drückte sie fest, um sie zur Besonnenheit zu ermahnen.
Inzwischen sortierte er seine Gedanken und fand seine Sprache wieder. In gleichmütig ruhigem Ton stellte er eine Gegenfrage:
»Ist das eure einzige Sorge, die Frage, was wir Farasamis Vater sagen?« erregte er sich und sah Bental mit offener Härte an. Er wartete keine Antwort ab, denn es galt zu verhindern, dass Antaronas Temperament die Konversation eskalieren ließ.
»Und was heißt hier überhaupt unter der Obhut des Areos? Habe ich das Mädchen an den Hof geholt, ja, habe ich sie kommen lassen? Nein, das war nicht so! Ihr habt sie holen lassen, angeblich, um mich die Gebräuche der Ival zu lehren. Aber was war der wahre Grund dafür, dass sie eines Tages in meinen Gemächern auftauchte? Nun, wollt ihr es eurer Tochter nicht verraten?« Er machte eine kleine Pause, um die Reaktion Bentals zu beobachten. Doch der stand reglos da, lediglich seine mahlenden Kiefer verrieten, dass er lebte.
»So will ich es ihr sagen«, sprach Sebastian weiter. »Da ihr glaubtet, ich könnte dem jugendlichen Charme und dem Zauber einer Oranuti verfallen und die Liebe zu Antarona, eurer Tochter vergessen, wagtet ihr zu hoffen, Antarona noch erfolgreicher vor den Augen des Volkes verstecken zu können und gleichzeitig einen mächtigen Oranuti- Fürsten an euch zu binden! Nicht wahr, das war euer Plan! Und nun, da die Sache schief gegangen ist, stand Farasami auf einem Mal unter meiner Obhut! Hattet ihr das gemeint, als ihr mir sagtet, für das Wohl und die Sicherheit des Volkes ist jedes Opfer recht?«
»Seid ihr endlich fertig, oder gibt es noch etwas?« fragte Bental ruhig. Sebastian entging aber nicht die Ungeduld und Gereiztheit in seiner Stimme.
»Ja, gibt es«, provozierte Sebastian bewusst, »ein weiteres Opfer Torbuks, ein unschuldiges Mädchen, das der Obhut der königlichen Burg anvertraut war! Das muss endlich aufhören, ein für alle Mal! Antarona muss von hier fort! Nicht genug, dass sie hier einfach nicht sicher ist, wie ihr wohl zugeben müsst, es betrifft nun auch andere Menschen in eurer Nähe, und morgen vielleicht euch selbst!« Bental blickte ihn verständnislos an.
»Und, was schlagt ihr nun vor? Farasami wird es nicht wieder lebendig machen«, bemerkte er mit einer nie da gewesenen Gleichgültigkeit.
Sebastian erkannte eine so ungeheuerliche Selbstverständlichkeit in seinem Blick und in seinen Worten, die ihn noch mehr erschütterten.
»Nein«, bestätigte Basti vorwurfsvoll, »lebendig wird es das Mädchen nicht wieder machen! Aber wollt ihr es ihren Eltern beibringen, ja, tut ihr das? Seht ihr denen in die Augen, wenn sie erfahren, dass ihr Kind in der Himmelsburg vergiftet wurde? Habt ihr den Mut, das zu tun? Wie oft müssen wir uns diese Frage stellen, bis etwas geschieht? Die Anschläge galten eurer eigenen Tochter! Wollt ihr warten, bis der Mörder endlich Erfolg hat?«
Sebastian zwang sich zur Ruhe und ging unaufgefordert drei Schritte auf den König zu. Nachdrücklich forderte er:
»Es ist an der Zeit, die Notwendigkeit zu erkennen, Antarona aus der Burg heraus zu bringen, Hoheit! Wir beide können euch besser dienen, wenn wir uns in den Wäldern und Tälern verbergen und den Kampf gegen euren Bruder dort ausfechten! Gebt uns die Vollmacht für die Autonomie des Val Mentiér und lasst uns ziehen. Wir kämpfen für euch, egal an welchem Ort, doch tot können wir nicht mehr kämpfen!«
Bental sah ihn an und Sebastian erkannte an seinem Blick, dass er sich in einer ziemlichen Zwickmühle gefangen sah. Antarona und Sebastian hatten ihm nichts als Unruhe in seine Burg gebracht. Wie schön einfach musste es für Bental gewesen sein, ohne störende Einflüsse zu regieren. Sein Bruder war zu einer eher abstrakten Bedrohung geworden, zumindest, solange er nicht mit einer Flotte in der Bucht von Falméra auftauchte. Die Oranuti nahmen ihm viele unangenehme Verwaltungsaufgaben ab, beanspruchten im Gegenzug lediglich freie Wirtschaftshandlung und hielten das Volk der Ival gerade eben so ruhig, dass er sich darum keine Sorgen zu machen brauchte.
Und dann kamen diese beiden, wie zwei Donnerschläge aus heiterem Himmel auf einem Mal: Ein Fremder, den sein Volk vom ersten Augenblick an als seinen Sohn akzeptierte, bejubelte und verehrte, und seine eigene Tochter, von der das Volk jedoch nicht einmal die Existenz einer Haarspitze erfahren durfte!
»Ihr meint also von mir eine Eigenständigkeitsvollmacht für das Val Mentiér zu bekommen und einfach so wieder abziehen zu können, als sei nichts geschehen. Stellt ihr euch das etwa so vor?« Bental musterte sie beide scharf und Sebastian wusste, dass er mit seiner Vermutung im Hinblick auf des Königs verfahrene Situation Recht hatte.
»Ja, eure gütige Hoheit, so ungefähr hatte ich mir das gedacht«, gab er freimütig zu, »das Volk in den Tälern vertraut uns und Antarona ist dort nur Sonnenherz, die für ihr Volk kämpft, nicht aber die Tochter des Königs, der auf Falméra für die Menschen in den Tälern unerreichbar geworden ist!«
»Ach, sieh mal an, das habt ihr euch so einfach ausgedacht, ja?« entfuhr es Bental. »Und habt ihr auch daran gedacht, was ich dem Volk sagen soll, wohin Areos, mein Sohn, den alle beinahe schon als ihren neuen Führer der Stände und Heerlager ansehen, so plötzlich entschwunden ist? Ja, habt ihr daran gedacht, was hier in Falméra los sein wird, wenn jener auf einem Mal nicht mehr da ist, der aus der Himmelsburg kam und sich so volksnah gab?«
Bental drehte eine seiner berühmten Marschrunden auf dem Parkett und blieb anschließend wieder vor Antarona und Sebastian stehen, die wie vor einem angeklagten Paar seines Gesindes.
»Ihr selbst habt euch mit eurem Auftritt beim Einzug in Falméra und mit euren Ausflügen unter das Volk Ketten angelegt! Warum wohl wahrten all die Könige von Falméra und Volossoda über Generationen hinweg einen göttlichen Abstand zum Volk? Nun, fällt es euch ein?« Er wischte Sebastians Antwort schon im Voraus mit einer Handgeste fort und sprach weiter:
»Nein, wenn ich euch zu dieser Zeit ziehen ließe, so stünde das ganze Volk der Ival vor den Toren der Burg. Ich muss dafür einen Grund haben, den das Volk gut heißt! Falméra selbst muss euch mit fliegenden Bannern ziehen lassen! Darüber aber will erst beraten sein.«
Dann sah er mit der gleichen Nüchternheit Antarona an. Er zeigte keinerlei Gefühl, keine Geste, welche die tatsächlichen familiären Bande zwischen ihnen erklären würde und sprach mit dem selbem unpersönlichen Ton.
»Und nun zu euch, meine Tochter«. Er wartete einen Moment, als musste er feststellen, ob sie ihm auch wirklich zuhörte.
»Vom ersten Augenblick an wusste ich, dass ihr mein eigen Blut und Gebein seid. Dies jedoch wisset, nicht, da ich den Namen des Hedaron Holzer vernahm. Als ihr das erste Mal vor euren König tratet, sah ich eure Mutter Asgarinia! Ihr besitzt nicht nur ihr Licht, das sie umgab, sondern auch ihre anmutige Schönheit, ihre Statur, ihre Augen und Haare. Ihr seid unverkennbar die Tochter Asgarinias, wenngleich auch euer Wesen um so einiges ungestümer zu sein scheint.« Bental schlug Antarona mit den Waffen einer Frau.
Noch vor einem Wimpernschlag war sie bereit, ihm ins Gesicht zu springen und ihm die Augen aus den Höhlen zu kratzen. Doch nun erlag sie tatsächlich der Schmeichelei, die göttliche Schönheit ihrer Mutter geerbt zu haben. Zumindest vergaß sie für dem Moment den Groll gegen den Mann, der ihr Vater sein wollte, etwas, das ihr zu glauben immer noch schwer fiel.
Auch Antarona konnte sich nicht länger vor der Tatsache verschließen, dass die Menschen in Falméra bereits hinter vorgehaltener Hand munkelten, egal, wo sie mit Sebastian auftauchte. Die Ähnlichkeit mit ihrer Mutter musste verblüffend sein. Doch warum hatte jener, der ihr all die langen Jahre der Vater war, nie über ihre wahre Herkunft gesprochen? Hatte er Angst, vor der Krone in Ungnade zu fallen? Befürchtete er, das ihm anvertraute Kind wieder zu verlieren?
Und warum hatte sie keinerlei Vorstellung von ihrer wahren Mutter, wohingegen jene, die ihr eine Mutter gewesen war, allgegenwärtig in ihren Sinnen lebte? Fragen, so viele Fragen, auf die sie eine Antwort haben wollte, die sie aber nicht finden konnte.
Würde sie nun ihre gesamte bisherige Familie verlieren? Hedaron ihren Vater, Tark, ihren Bruder, den sie beinahe so liebte wie Ba - shtie? Was würde ihre Tante sagen, wenn sie erfuhr, dass sie ein Kind der Himmelsburg war, eine Tochter jenen Ortes, der sich für die Menschen Falméras und wohl ganz Volossodas so entrückt und unnahbar gab?
Nein! Sie musste auf ihr Herz hören, das zu ihr sprach. Es sagte ihr, dass sie eine Tochter der Täler des ewigen Eises war! Sie gehörte nicht nach Falméra! Ihre wahre Wiege stand in den Wiesen von Fallwasser im Val Mentiér. Sie war eine Tochter des Volkes, nicht der Könige und Götter!
König Bental unterbrach die Gedanken, die ihr im Kopf herumschwirrten. Er hatte etwas gesagt, doch sie hatte nicht hingehört.
»Wenn mein missratener Bruder erfährt, dass ich eine Tochter habe, wird er zweifellos versuchen, das Volk und den Rat davon zu überzeugen, dass er der rechtmäßige Thronfolger Tramons war und wird meinen Platz fordern. Nach dem Gesetz der Götter wäre er der König und selbst ich weiß nicht, wie die Gelehrten Talris und das Volk entscheiden würden, käme er nun mit dieser Forderung und einem großen Beutel Versprechungen daher, der freilich nur ein Windbeutel wäre!« Bental wippte auf seinen Fußballen auf und ab, um seinen Standpunkt zu unterstreichen.
»Bis nicht mit Elwha und den Gelehrten Talris, sowie mit meinen engsten Beratern ein sicherer Ausweg gefunden ist, kann ich euch, Areos, nicht gewähren, fort zu ziehen und euch, meine Tochter, nicht einmal erlauben euch dem Volk zu zeigen. Die Wachen sind angewiesen, euch stets zurückzuweisen, suchtet ihr nach einem Weg aus der Burg!« Der König unterbrach kurz seine Rede und sah beide forschend an, um dann gleichgültiger fort zu fahren:
»Mögen die Götter wissen, wie ihr es zu Werke bringt, einander immer wieder zu treffen! Anscheinend besitzt ihr tatsächlich den Segen der Elsiren, meine ich. Nun, die Liebe vermag stets einen Weg zu finden, ich weiß dies, wie niemand sonst. Ihr liebt das Volk ebenso, wie ich?« Damit sah er Antarona in die Augen.
»Dann macht euch klar, was aus eurem Verhalten folgt, solltet ihr jegliche Vorsicht unbeachtet lassen. Ein Kind dieses Areos in eurem Schoß wird in dieser Zeit nicht das künftige Anrecht auf den Thron Falméras und Volossodas besitzen!«
Das war zuviel! Bental war einen Schritt zu weit gegangen und nicht einmal Sebastian konnte seine Frau nun noch zurückhalten. Wie ein Blitz fuhr sie auf den König zu, ihre Augen sprühten vernichtende Flammen und er befürchtete schon, dass sie dem Herrscher mit ihren Krallen die Haut vom Gesicht zog.
»Was fällt euch ein, so mit Sonnenherz zu sprechen, die euch ein Leben lang im Kampf diente und die ihr außerdem als Tochter verleugnet habt?« giftete sie ihn an. Je mehr Bental vor der plötzlich entfesselten Furie zurück wich, setzte sie nach und Sebastian musste bei diesem Schauspiel fast schon schmunzeln.
»Ihr habt eure Tochter einfach fort gegeben, aus schmählicher Angst«, fauchte sie, »und nun, da sie wieder vor euch steht, wagt ihr es, zu bestimmen, wessen kleines Herz sie unter ihrem Herzen und wessen Kind sie in ihrem Schoß tragen soll? Sonnenherz allein wird entscheiden, über die Saat, die in ihrem Schoß reift! Und damit ihr es wisst, es ist die Liebe dieses Mannes hier, der von den Götter und den Elsiren an Sonnenherz Seite gegeben wurde, dessen Saat mein Herz und Schoß erreichte!«
Sebastian und auch dem König blieb keine Zeit, überrascht zu sein, denn Antarona hörte nicht auf zu toben, sondern steigerte sich noch mehr in ihren Zorn hinein.
»Glaubt ihr etwa, Sonnenherz will einen solchen Thron für ihren Sohn, der sein eigen Fleisch und Blut leugnet, der so hoch über dem Volke steht, dass die Ival ihn nicht einmal mehr sehen können? Ja, glaubt ihr das? Ihr behauptet, Antaronas Vater zu sein, wo doch allein jener Mann dort in den Tälern ihr die Liebe gab, derer sich eine Tochter erfreuen darf. Wo wart ihr denn, als euer Bruder die Frau töten ließ, die meinem Herzen Mutter war? Wo wart ihr, großer König von Falméra, als Antarona Holzer um sie trauerte? Wo wart ihr, als die Tränen von Sonnenherz das Wasser des grünen Sees trübten und ihr Herz vor Schmerz zersprang?«
Ohne eine Antwort zu erwarten, wirbelte sie herum, ging auf das Fenster zu und wies über die Dächer Falméras in die Ferne.
»Dort, großer König, dort wohin ihr nicht zu blicken vermögt, lebt der Mann, der Sonnenherz das gab, was ihr eurer Tochter verweigert habt! Hedaron der Holzer brachte Sonnenherz das Laufen bei, und das Schwimmen und Reiten, und er beschützte sie, tröstete sie und sprach ihr Mut zu, als ihre wahre Mutter von ihr ging! Er ist der Vater von Sonnenherz! Und dieses Land dort hinter dem großen Wasser ist das Land von Sonnenherz!«
»Aber ein Land ohne Schutz, wenn ihr nicht meine Zustimmung habt, frei zu entscheiden und zu handeln!« wagte Bental einzuwerfen. Mit einem Satz sprang Antarona vor und ließ ihre kleinen Fäuste auf des Monarchen Brust hernieder trommeln, so dass dieser beschwörend seine Hände hob. Doch die kleine Ival mit dem Herzen einer Bärin und dem Blut einer Oranuti in den Adern dachte gar nicht daran, klein beizugeben.
»Welchen Schutz?« keifte sie ihn an. »Hat das Volk in den Dörfern je von eurem Schutz erfahren, oder ihn gespürt? Seit vielen Zentaren sterben die alten Männer, werden die jungen Männer in den Höhlen der schlafenden Sonne geknechtet und die Töchter der Ival mit der faulen Brut eures Bruders und seinem Abkömmling besudelt! Wo war er denn euer Schutz? Wo ist er jetzt? Im Namen des Achterrats baten Sonnenherz und Areos um eben diesen, doch ihr habt nichts besseres zu tun, als die Gesandten des Volkes von Val Mentiér einzusperren, wie räudiges Vieh!«
Antarona stieß und drängte Bental immer weiter in den Erker hinein und entwickelte dabei eine Kraft, die man einer so zierlichen Person nicht zugetraut hätte. Bentals Hilfe suchende Blicke erreichten Sebastian, der endlich aus dem Bann seines Staunens erwachte.
Er sprang hinter seine Frau, griff um ihre Taille und zog sie von Bental fort, der erleichtert und verlegen seine Kleidung zurecht zupfte. Antarona hatte sich so sehr in Rage gebracht, dass sie ohne Unterbrechung strampelte, schrie, kratzte und um sich schlug. Sebastian kannte das bereits und unter dem Hagel ihrer Faustschläge hob er sie hoch und trug sie hinaus. Zu Bental sagte er beim Hinausgehen ermahnend:
»Glaubt mir, Hoheit, wenn ich sie jetzt nicht fort bringe, ist sie im Stande, und reißt euch in Fetzen, bevor ihr noch wisst, wie euch geschieht!«
»Darauf könnt ihr Gift nehmen«, kreischte Antarona, »wartet nur, bis Sonnenherz wieder auf ihren Beinen steht! Und ihr, Ba - shtie«, zeterte sie weiter, »lasst mich sofort runter, oder ihr werdet es bereuen, ich werde...«
»Du wirst dich erst einmal beruhigen«, vollendete Basti ihren Satz bestimmt, umfasste sie etwas fester, dass sie kaum noch Luft bekam und bugsierte sie durch die Tür in den Korridor. Dort trug er sie in eine Fensternische und stellte sie mit Wucht auf die Füße. Wutschnaubend wollte sie an ihm vorbei zurück in den Salon stürmen, doch Sebastian hielt sie am Arm fest.
»Jetzt ist es aber genug!« herrschte er sie an. »Der hat jetzt gewiss mit sich selbst zu tun, lass ihn doch erst mal nachdenken!« Antarona stemmte ihre Fäuste in die Hüfte und sah Sebastian herausfordernd an, unschlüssig, wie sie sich nun verhalten sollte. Prustend blies sie sich die wirren Haarsträhnen aus dem Gesicht, die aber sofort zurückfielen.
»Du wirst da nicht noch mal rein gehen«, warnte er sie, »oder...« Antaronas Augen blitzten ihn an, wie die einer Schlange, die ihr Opfer suchte.
»Oder was?« fragte sie ihn herausfordernd, scheinbar bereit, ein neues Donnerwetter zu entfesseln. Sebastians Arme schnappten unversehens zu, Antarona spürte, wie sie sich um ihren Leib zusammenzogen und sie an seinen Körper pressten. Mit verzweifelter Wildheit versuchte sie sich zu wehren. Wie kam er dazu, sie einfach einzufangen, wie ein wildes Tier?
Unverhofft nahm sie seinen Duft wahr und spürte seine fordernden Lippen, die sich voll Entschlossenheit auf ihren Mund drückten. Ihre Beine gehorchten ihr plötzlich nicht mehr, ihre Sinn drohten ihr zu schwinden und sie ließ sich zögernd in seine Arme sinken. Sebastian spürte ihren Widerstand erlahmen, lockerte seinen Griff, und fühlte, wie sie sich von einer Sekunde zur anderen von Eis in warmes Wachs verwandelte.
Nach wilden, leidenschaftlichen Küssen sanken sie beide atemlos mit dem Rücken an der Holzvertäfelung zu Boden. Sebastian nahm ihre Hand, führte sie wie etwas, das ihm heilig war an seine Wange und sagte leise:
»Ich mag, wenn du so wütend bist, ich mag deine Lebhaftigkeit und deine Art, dir nichts gefallen zu lassen. Ich bin stolz auf dich, wenn du dich nicht betrügen lässt und es zeigst. Aber noch mehr gefällst du mir so, wenn ich dich in meinen Armen halten kann, wenn ich deine Nähe spüre.«
»Ba - shtie, was soll das?« fragte sie verwundert und ein wenig vorwurfsvoll. Sebastian nahm sie bei den Schultern und bette ihren Kopf in seinen Schoß. Wie zufällig ruhte seine Hand auf ihrem Bauch.
»Wie hast du das vorhin gemeint, als du Bental sagtest es ist die Liebe dieses Mannes hier, dessen Saat mein Herz und Schoß erreichte?« Antarona sah ihn überrascht an und wollte aufstehen, doch er drückte sie zurück, hielt ihre Arme fest und flüsterte ihr ins Ohr:
»Sag, mein Engelchen, wie war das gemeint, ich will das jetzt hören! Gibt es etwas, das ich wissen sollte? Etwas, das uns beide angeht?« Sie drehte sich halb herum und sah ihn offen an.
»Sonnenherz wollte es euch an einem anderen Ort sagen«, raunte sie heimlich und ließ ihre Augen missbilligend über die dunklen Wände des Korridors schweifen. Sebastian berührte sanft ihr Kinn und drehte ihren Kopf wieder ihm zu.
»Was sagen?« drängte er voll Ungeduld und hob sie näher zu sich heran. Sie drehte sich herum und schmiegte sich wie ein Schutz suchendes Kätzchen an ihn.
»Ba - shtie, Sonnenherz wird nicht mehr den Sud der Todfruchtkräuter trinken! Die Götter haben das kleine Herz unter ihrem in ihre Hände genommen und es wohl geheißen! Sonnenherz blickte in das Auge Talris und sah das Licht, den Sohn von Sonnenherz und Glanzauge!«
»Grund gütiger, heißt das, du bist schwanger?« entfuhr es Sebastian lauter, als beabsichtigt.
Seine Augen begannen zu leuchten und tausend Gedanken schossen ihm durch den Kopf. Wo sollten sie leben? Wovon wollten sie leben? Wie würde ihr Haus aussehen und wo würde er es für sie, ihn und das Kind aufbauen?
»Shwan-ga, was ist das?« wollte Antarona wissen. Sebastian, völlig aus dem Häuschen, ignorierte ihre Naivität, sah sie nur verwirrt an. Hatte er sich etwa zu früh gefreut? Laut fragte er:
»Na, bekommen wir nun ein Kind, oder nicht? Du erzählst mir gerade von dem kleinen Herz unter deinem und dass dir die Götter...« Beruhigend legte sie ihre kleine Hand auf seinen Mund und flüsterte:
»Ja, Ba - shtie, wir werden ein Kind haben, Sonnenherz wird euch einen Sohn schenken!« prophezeite sie und Sebastian glaubte in diesem Moment, dass ihre Augen nie zuvor so groß und glücklich strahlten.
Verzückt himmelte er sie an, Liebe und Glück durchfluteten in einer mächtigen Woge seine Eingeweide. Sanft nahm er sie hoch, zog sie vorsichtig an sich, als wäre sie selbst noch ein Säugling. Er riss sich das Hemd vom Leib, knüllte es zusammen und bettete ihren Kopf drauf, bevor er ihr das Kleid über die Hüfte nach oben schob und ihren nackten Bauch mit sanften Küssen bedeckte.
»Was tut ihr da, Ba - shtie?« fragte sie halb belustigt, halb verwundert. Sebastian legte eine Gesichtshälfte auf ihren Bauch und genoss ihren Duft, das pochende Rauschen in ihren Adern und das leichte, beruhigende Heben und Senken ihres Atems.
»Nichts weiter, ich begrüße nur einen neuen Bürger Volossodas, mein Engelchen«, gab er voller Stolz zurück, »mag er nun als eines Königssohnes Sohn geboren werden, oder als Sohn eines Kriegers und Heerführers, oder auch nur in der bescheidenen Hütte eines Pferdezüchters in einem stillen Seitental des Val Mentiér. Egal, er wird unser Sohn sein, und wir werden ihn lieben und wir werden glücklich sein, an welchem Ort auch immer wir leben!«
»Seid nicht töricht, Ba - shtie«, ernüchterte sie ihn wieder, »dort ist nur die Saat, welche zu unserem Sohn wird! Ihr werdet euch schon zweimal die Zeit des langen Schnees und des neuen Erwachens gedulden müssen, bis ihr einen neues Kind Volossodas begrüßen könnt! Doch sein Herz schlägt bereits, auch wenn ihr es nicht zu hören vermögt!«
»Na ja, so lange wird es schon nicht dauern«, widersprach Sebastian, »diese neun Monde sind bald um und bis dahin muss ich...«
»Ihr sprecht wirr, Ba - shtie«, unterbrach sie ihn und unkte: »Hat je einer etwas so Dummes gehört, neun Monde! Sonnenherz Leib ist gesund und kräftig, so werdet ihr wohl die Monde von mehr als ein und einhalb Mal Finger an den Händen erwarten müssen, während welcher eine Frau die Gaben und die Gnade Talris empfängt!« Sebastian schüttelte den Kopf und wunderte sich.
»Fünfzehn Monde? Bist du sicher, dass du dich nicht irrst, mein Engelchen? Nach neun Monden bekommt eine gesunde Frau in meiner Welt ihr Kind!«
»In eurer Welt, Ba - shtie, in der Welt der Götter, mag dies so sein. Doch im Land der Menschenwesen gedeiht ein Kind seit alters her die Zeit von einem Schnee zum nächsten und bis zum Erwachen Talruuns«, klärte sie ihn auf. »Unser Sohn wird ein Kind der Ernte sein, Ba - shtie!« fügte sie noch lächelnd hinzu und erklärte weiter:
»Zum Mond, wie zwei mal beider Hände und drei Finger, begrüßt Talris ein jedes neue Menschenwesen der Ival und heißt es in der Welt der vier Winde willkommen!«
Sebastian wurde wieder einmal bewusst, dass Zeit, so wie er sie kannte, in dieser Welt keine Gültigkeit besaß. Er überlegte. Hatte er nicht von Anfang an das Gefühl gehabt, dass ein Tag länger andauerte, als er es gewohnt war? Er hatte es nie überprüft! Wie auch, mit einer kaputten Uhr? Und Sonnenuhr und Kompass würden das Gleiche anzeigen, wie in seiner Welt, nur in einer anderen Zeitspanne, die er möglicherweise nur am Anfang gefühlt haben mochte, bis er sich daran gewöhnt hatte.
Dennoch aber waren neun Monde immer noch gleich neun Monde! Und wären unter dem Gesichtspunkt, dass sich die Natur des Menschen nicht sonderlich verändert hatte, fünfzehn Monde für eine Schwangerschaft zu veranschlagen, so müsste sich der Mondzyklus in der Zeit, wie Sebastian sie kannte, gewandelt haben. Er wäre schneller, also kürzer geworden, oder nicht? Heftig schlug er sich mit der flachen Hand vor die Stirn.
»Ach zum Teufel, dabei kann man ja einen Knall kriegen!« schimpfte er völlig überfordert vor sich hin. Antarona sah ihn kopfschüttelnd an und begann an seinem Verstand zu zweifeln.
Hatte ihn die freudige Nachricht derart überrascht? Sie wusste, viele Männer der Ival redeten wirr, oder taten plötzlich völlig verrückte Dinge, wenn sie davon erfuhren, dass sie Vater wurden.
Einmal stieg einer sogar auf einen hohen Felsen und rief seine Freude eine ganze Nacht lang zu den Göttern hinauf, damit diese es auch ja hörten. Es war der alte König Tramon, Bentals Vater. Es war eine alte Geschichte und viele junge Männer ahmten Tramons Tat immer noch nach, so sehr verehrten sie die Könige der Ival.
Antarona hatte das Bedürfnis, Ba - shtie von dieser Begebenheit und dieser Tradition zu berichten, schwieg aber. Im Augenblick war ihr Mann schon verrückt genug, als dass er noch einen Felsen besteigen musste! Sie wollte einen lebenden Mann an ihrer Seite, keinen, der sich noch zu Tode stürzte!
Gerade wollte sie ihren wirrköpfigen Mann beruhigen, da schlug irgendwo eine Tür auf und viele Füße trappelten heran. Bental hatte offenbar seine Berater rufen lassen. Sofort ernüchterte auch Sebastian wieder, sprang auf und zog Antarona auf die Beine.
»Jetzt aber weg, wir sollten gar nicht mehr hier sein!« forderte er sie auf. »Los, dort hinüber«, dirigierte er sie den Korridor hinunter.
Am Ende gelangten sie in eine kleine Halle, von der aus ein weiterer Gang, vermutlich über das Torhaus, rechtwinklig abbog. Links führte eine Tür in den kleinen Treppenturm, den Sebastian von seinem Stockwerk her kannte. Er wurde so selten benutzt, dass sich bereits Staub auf die Stufen gelegt hatte. Schnell schlüpften sie durch die Tür. Keine Wache hielt sie auf und niemand folgte ihnen.
»Noch mal gut gegangen«, schnaufte Sebastian und hielt Antarona fest umschlungen, damit sie nicht stolperte und die steile Treppe hinunter stürzte. Rasch zog er sie hinter sich her, die Stufen hinauf. Nur dieses eine Stockwerk, dann hatten sie seine Gemächer erreicht. Von dort aus konnte er sie über das Lesezimmer oder durch die verborgenen Gänge in ihre Räume bringen.
Sie hetzten die Stufen hinauf und mussten sich konzentrieren, nicht daneben zu treten. Viel zu spät bemerkten sie den großen Schatten, der von einer Fackel an die Turmwand geworfen wurde. Sebastian blieb so plötzlich stehen, dass Antarona gegen ihn prallte und sie beinahe beide übereinander fielen.
»Halt, wer da, bleibt stehen!« hallte von oben eine kräftige Männerstimme. Eine Wache? Vor der Tür seines Stockwerks? Basti überlegte nicht lange, machte auf dem Absatz kehrt und rannte die Stufen wieder hinab, zerrte Antarona hinter sich her, die sich verzweifelt an ihn klammerte, um nicht kopfüber die Treppe hinab zu purzeln.
Ohne zu überlegen übersprangen sie gleich mehrere Stufen. Fluchend kam eilig jemand hinter ihnen her. Wahrscheinlich eine Wache, denn deutlich konnten sie das Klappern eines Schwertes, oder einer Lanze hören. In seinem Waffenrock war der Soldat natürlich viel zu schwerfällig, als dass er sie einholen konnte.
»Halt, bleibt stehen, im Namen seiner Hoheit!« rief es ärgerlich von oben. Sebastian dachte gar nicht daran, stehen zu bleiben.
Wer wusste schon, was dahinter steckte! Wurden sie jetzt beide bewacht? Bental musste freilich davon ausgegangen sein, dass sie sich beide wieder in ihren Gemächern befanden. Hatte er nun vor beiden Stockwerken Wachen postiert? War er nun ebenfalls ein Gefangener der Burg? Er wollte die Antwort erst gar nicht kennen!
Der Wachsoldat machte ein solches Geschrei, dass Sebastian befürchtete, der Treppenturm könnte in seinem Gefüge Schaden nehmen. Sie hatten gerade die Tür erreicht, aus der sie gekommen waren, als diese mit einem lauten Knall aufflog.
Er reagierte sofort, sprang weiter und zog sein Krähenmädchen gnadenlos mit sich. Nantakis knallte irgendwo klirrend gegen die Wand und auf dem Podest hinter ihnen versammelte sich eine Meute Wachen, in die erst Bewegung kam, als ihr Kamerad von oben brüllte.
»Haltet sie, so haltet sie doch fest!« schallte es. Sebastian vermutete, dass die Soldaten sich nun in dem engen Treppenturm gegenseitig behinderten und sie dadurch etwas Zeit gewannen.
»Los, nach unten« forderte er Antarona auf. Verfolgt vom Trampeln der Füße und Klirren der Waffen jagten sie die Treppe hinab. Erst, als der weiße Verputz dunklen Mauersteinen wich, kein Fenster mehr Licht in den Turm ließ und auch keine Fackel das Treppenhaus erhellte, suchten sie nach der nächsten Tür. Ohne Zweifel hatten sie das Kellergeschoss erreicht.
Kaum sahen sie noch eine Hand vor Augen. Dennoch entging ihnen nicht die grobe Holztür, die sich halb hinter einer Schutzwand verbarg. Stolpernd stiegen sie die fünf Stufen zum Podest hinauf und Sebastian riss die Tür auf. Im nächsten Moment wurden sie von zuckendem Fackelschein geblendet. Als sich ihre Augen halbwegs an das Dämmerlicht gewöhnt hatten, blickten sie in eine Vielzahl staunender Augenpaare.
Sie waren im Küchengang gelandet, der von hin und her eilenden Köchen, Mägden und Küchenjungen bevölkert war. Sebastian wusste, dass die Wachstuben der Soldaten nur wenige Meter entfernt lagen. Sie waren in die Falle getappt! Geistesgegenwärtig schob er Antarona in den Treppenturm zurück, knallte die Tür wieder zu und stieg den Turm weiter hinab in die Dunkelheit.
Fieberhaft fingerte Sebastian nach einem seiner Feuerzeuge, die er ständig bei sich trug, seit er in diese seltsame Welt gekommen war. Das kleine Flämmchen ging auf und erhellte für einen Moment nur mäßig die nächsten zwei Meter. Dann standen sie wieder im Finstern.
Es hatte keinen Sinn, das Feuerzeug an zu lassen. Aus Erfahrung wusste Sebastian, dass es zu heiß werden und dann nicht mehr funktionieren würde. Sie orientierten sich so gut es ging, wenn das Flämmchen kurz aufleuchtete und tasteten sich dann weiter hinab. Von oben hörten sie Schreien und Lärmen. Vermutlich suchten die Wachen aufgeregt nach einer Fackel.
Sebastian überlegte, ob es nicht vielleicht ratsamer war, den Wachen gegenüber zu treten und seine Macht als Heerführer spielen zu lassen. Schließlich war er auch ihr Vorgesetzter! Möglicherweise irrten die Soldaten nur einem vermeintlichen Eindringling nach. Doch wer wusste das schon? Er kannte ihre Befehle nicht und wollte nichts riskieren. Was, wenn Bental inzwischen angeordnet hatte, Antarona unter strengster Bewachung in einem Zimmer festzusetzen?
Wieder warf das Feuerzeug einen kleinen Schimmer voraus. Der Turm fußte in grob behauenem Felsen. Eine kleine, unschöne Holztür mit einem dicken Riegel und einem klobigen Schloss war in den Stein eingelassen. Sebastian ließ das Feuerzeug erneut aufflammen und rüttelte an dem schweren, schmiedeeisernen Riegel. Verschlossen!
Nun saßen sie erst recht in der Falle! Von oben hörten sie unverändert aufgeregte Stimmen und hier unten ging es nicht mehr weiter.
»Ba - shtie, wir müssen zurück!« drängte Antarona. »Wir werden kämpfen, es sind nur müde, fette Männer, Sonnenherz und Glanzauge sind besser, als sie!«
»Kämpfen?« fragte Basti ungläubig, »mit Händen und Füßen gegen Schwerter und Lanzen?« Er schüttelte den Kopf und suchte erneut die Wände mit der spärlichen Flamme ab.
»Wir haben Nantakis, darauf sind sie nicht vorbereitet«, gab sie hoffnungsvoll zu bedenken. Doch Sebastian antwortete nicht darauf. Ständig musste er das Feuerzeug neu zünden, denn ein kleiner Luftzug blies es immer wieder aus. Ein kleiner Luftzug? Wo Durchzug herrschte, gab es auch eine Öffnung! Das wusste Sebastian aus zahlreichen Spielfilmen.
Da! Ein schwarzer Schatten, gerade mal kniehoch und kaum dreißig Zentimeter groß. Sebastian ging mit dem Flämmchen daran und sofort standen sie im Dunkeln.
»Ein Durchgang, vielleicht für Bentals Wachhunde«, vermutete er. Vorsichtig schob er ein Bein hindurch und berührte auf der anderen Seite den Boden. Aber es blieb bei einem Bein.
»Viel zu klein«, stellte er danach resigniert fest, »da komme ich nie durch!« Enttäuscht stand er wieder auf.
»Aber Sonnenherz wird hindurch kommen«, sagte Antarona bestimmt und schickte sich an, auf die Knie zu gehen.
»Das kommt überhaupt nicht in Frage«, entgegnete Sebastian aufgebracht, »du weißt doch gar nicht, was da hinter ist? Entweder gehen wir zusammen, oder gar nicht!«
Inzwischen hatten sich die Stimmen oben beruhigt. Dafür drangen nun vorsichtige Schritte die Treppe herab, begleitet von zuckendem Fackelschein. Da kamen sie schon. Und er saß mit Antarona wie die Ratten in der Falle!
»Macht schon, Ba - shtie, macht das kleine Feuer, schnell!« verlangte Antarona flüsternd. Was blieb ihn anderes übrig? Die nahenden Wachen ließen keinen Kompromiss mehr zu. Seufzend schnippte er das Feuerzeug an und sah zu, wie Antarona mit Nantakis die Öffnung sondierte und sich anschließend schlangengleich durch das Loch zu zwängen begann. Irgendwo blieb ihr Kleid hängen und zerriss mit hässlichem Geräusch.
»Ist alles in Ordnung, geht es dir gut?« fragte Sebastian halblaut. Er hörte nur ein Kratzen und scharren, schließlich aber drang gedämpft zurück:
»Sonnenherz geht es gut, Ba - shtie, es ist dunkel, sie kann nicht sehen, nur fühlen!« Kaum war ihre Stimme verklungen, waren auch schon die Wachen heran. Mehrere Fackeln erhellten den Turmkeller und ihre Träger blieben überrascht stehen, als sie Areos erkannten.
Sebastian nutzte ihre kurze Verunsicherung und ging in die Offensive. Mit gespielter Entrüstung fragte er den Wachführer:
»Was, im Namen der Götter tut ihr hier eigentlich?« Der Mann trat nervös von einem Bein auf das andere, sah sich gehetzt um und antwortete stotternd:
»Wir verfolgen einen Mann und eine Frau. Sie haben versucht, in die Gemächer seiner gütigen Hoheit einzudringen, Herr.«
»Ein Mann und eine Frau, ja?« fragte Sebastian zweifelnd und sah den schief Soldaten an. Er gab sich alle Mühe, es so aussehen zu lassen, als hielte er ihn für verrückt und schüttelte mitleidig den Kopf.
»Seht ihr hier irgendwo eine Frau? Na, seht euch nur genau um und wenn ihr eine entdeckt, so zeigt sie mir, denn auch ich befinde mich gern in weiblicher Gesellschaft«. Sebastian wartete eine Weile und sah zu, wie der Mann von Sekunde zu Sekunde unsicherer wurde.
»Herr«, stammelte er verzweifelt, »wir haben deutlich eine Frau gesehen!« Sebastian blickte ihn an, als hätte er den Verstand verloren und erwiderte:
»Guter Mann, wie ihr seht, bin ich allein und diese Tür hier ist so fest verschlossen, dass nicht einmal ein Darwick hindurch zu schlüpfen vermag.« Damit rüttelte er demonstrativ an dem schweren Riegel, um seine Aussage zu bekräftigen. Der Wachsoldat schien am liebsten im Boden versinken zu wollen, aber Sebastian setzte ihm noch mehr zu.
»Eine Frau ja? Und dazu braucht ihr eine halbe Armee?« Er ließ seine Worte wirken und der Wachmann sah beschämt zu Boden.
»Ich weiß gar nicht, was ich nun dem König berichten soll?« gab sich Sebastian tief erschüttert und bot all sein schauspielerisches Talent auf.
»Dass seine Wachen jetzt schon Hirngespinsten nachjagen, Geisterfrauen, die es gar nicht gibt? Dass seine Soldaten seinen Sohn mit einer Frau verwechseln? Ja, soll ich ihm das erzählen?« Er trat bis auf Nasenspitzenentfernung an den Mann heran und sagte leise drohend:
»Nun hört mal gut zu! Ich weiß nicht, wie viel Mestas ihr letzte Nacht getrunken habt, und ich will euch deswegen nicht gleich in den Kerker werfen lassen, obwohl so ein Wachvergehen ganz Falméra bedrohen kann. Aber als Heerführer bin ich ja für euch verantwortlich und somit an eurer Unfähigkeit mit schuldig.«
Trotz des diffusen Lichts konnte Sebastian erkennen, wie der Mann ein tiefrotes Gesicht bekam und seine Augen nervös zu flattern begannen. Sebastian setzte auf den Respekt, den die Soldaten vor ihrem Heerführer hatten.
»Ihr werdet jetzt die Führung der Wache an den Zweiten in der Rangfolge abtreten und euch in eure Unterkunft begeben, wo ihr euch so lange ausschlafen werdet, bis ihr wieder bei wachem Verstand seid! Habt ihr mich verstanden?« Der völlig zu unrecht beschuldigte und beschämte Mann blickte ergeben zu Boden und nickte nur. Mit strengem Ton fuhr Sebastian fort:
»Zunächst aber schließt ihr mir diese Tür hier auf, wie ihr ja wisst, bin ich mit der Landesaufnahme und der Vermessung der Burg beauftragt.« Der Soldat sah ihn verwirrt und skeptisch zugleich an.
»Herr, das kann ich nicht«, entschuldigte er sich nicht ganz ohne Vorwurf in seiner Stimme, »wir haben für die Schatzkammern keine Schlüssel, wie ihr wisst. Die haben allein der König, seine Berater und ihr, Herr, der oberste Heerführer. Die Wachen haben hier unten nur zu den Kerkern Zugang!«
»Ja, ich weiß«, log Sebastian, »ich habe meinen Schlüssel nicht dabei, denn eigentlich wollte ich an diesem Tag nur die Treppentürme aufnehmen. Aber ihr dürft so freundlich sein, mir zwei eurer Fackeln zu überlassen, die meine war gerade ausgebrannt, als ihr herab kamt, um diese geheimnisvolle Frau zu suchen.«
Die letzten Worte sprach Sebastian besonders laut und deutlich, um den Wachmann nachhaltig daran zu erinnern, dass er vermeintlich einem Phantom nachgejagt war. Um eventuell aufkeimende Skepsis bei ihm gleich im Keim zu ersticken, setzte Sebastian nach:
»Von eurem Unvermögen mag ich heute noch mal absehen. Jeder hat mal eine schlechte Zentare. Ich werde den Vorfall nicht meinem Vater, dem König melden und ihr werdet künftig euren Wachdienst ausgeruht antreten, verstanden?«
»Ja, Herr, und seid bedankt für eure Großmütigkeit, Herr!« Damit machte er auf dem Absatz kehrt, riss einer Wache die Fackel aus der Hand und reichte sie Sebastian. Dann dirigierte er seine Wachen mit hektischen Bewegungen wieder die Treppe hinauf.
Sebastian wartete, bis auch das letzte Geräusch verstummt war. Als er sicher war, dass sich niemand mehr im Turm befand, rief er leise durch das Loch in der Wand:
»Antarona, die Wachen sind fort, bist du noch da?« Es dauerte eine Weile, dann vernahm er Antaronas gedämpfte Stimme aus der Dunkelheit:
»Ba - shtie, wohin sollte Sonnenherz gehen, ohne ein Licht?« Sebastian steckte die Fackel in eine Halterung neben der schweren Holztür und ging vor dem Durchgang in die Knie.
»Dann komm wieder heraus«, forderte er sie auf, »die Tür werden wir sobald nicht auf bekommen, fürchte ich.« Er hörte, wie Antarona versuchte, sich erneut durch das Loch zu zwängen. Es scharrte und raschelte. Doch plötzlich vernahm er einen unterdrückten, spitzen Schrei und einen Schwall fürchterlicher Flüche, die so ganz und gar nicht zu Antaronas Besonnenheit passten.
»Was ist los, was hast du, komm endlich«, rief Sebastian in das dunkle Loch. Es vergingen wieder einige Sekunden, dann kam die Antwort:
»Es geht nicht, Ba - shtie, das Loch besitzt Zähne und hat Antarona verletzt. Sonnenherz kann durch diese Öffnung nicht wieder zurück!«
Nun unterdrückte Sebastian eine Reihe wilder Beschimpfungen, teils auf die Wachen, teils auf die Burg und auf die Situation, in der sie sich befanden. Er nahm die Fackel und hielt sie in das Loch. Der Durchbruch maß mindestens drei Meter. Die Stärke der Mauern hatte Sebastian deutlich unterschätzt. Aber er hatte auch die Erbauer unterschätzt, die es verstanden haben, dieses Verlies zu schützen.
Oben und unten, sowie an den Seitenwänden des Loches waren stabile, kurze und gebogene Eisen eingelassen, deren rostige Enden spitz zuliefen und nur in eine Richtung, nämlich hinein, zeigten. So war es wohl möglich, einigermaßen unverletzt hindurch zu kriechen, wenn man nicht sehr viel herum strampelte, doch ein Zurück gab es nicht mehr!
Deshalb hatte sich Antarona vorhin das Kleid zerrissen! Sie musste an einem dieser gefährlichen Haken hängen geblieben sein. Ein Wunder, dass sich nicht noch die Lederkordel ihres Schwertes darin verfangen hatte. Diese Haken hielten nun sie gefangen und hatten sie womöglich noch verletzt.
»Wie schlimm ist es, kannst du noch laufen?« fragte Sebastian besorgt. Antaronas Gesicht erschien schemenhaft am anderen Ende des Durchbruchs und sah im Schein der Fackel unwirklich aus.
»Es ist nicht schlimm, Ba - shtie, nur ein par Kratzer auf dem Rücken und an den Beinen, wie die Klauen eines Felsenbären sie machen!« versicherte sie ihm.
Das hielt Sebastian für schlimm genug. Noch dazu waren diese Widerhaken verrostet und er befürchtete, dass sich seine Frau eine Blutvergiftung einhandeln würde, wenn er sie nicht bald aus ihrer Lage befreite. Doch wie sollte er so rasch an die Schlüssel herankommen?
Bental würde wissen wollen, weshalb das Aufmessen des unteren Geschosses plötzlich so eilte. Was sollte er ihm sagen? Das seine Tochter in seiner Schatzkammer eingeschlossen war, weil sie von Angst getrieben vor seinen Wachen geflohen waren? Nein, es musste einen anderen Weg geben. Es gab immer einen Weg, auch in diesem finsteren Loch und wenn er auch nur in eine Richtung führte! Das war es!
»Antarona, warte eine Weile, ich besorge noch mehr Fackeln«, rief er ihr zu, »und bitte, rühr dich nicht vom Fleck, ja? Warte, bis ich zurück bin!« Sebastian nahm die bereits brennende Fackel, stieß sie mit dem Stiel voran heftig in das Loch hinein und betete, dass sie nicht erlöschen möge. Sein Bitten wurde erhört. Die Fackel blieb zwar fast in der Mitte liegen, doch sie brannte noch.
»Ba - shtie, was habt ihr vor?« wollte Antarona wissen. Sorge klang in ihrer Stimme mit. Sie ahnte wohl, dass er etwas völlig Verrücktes plante.
»Wenn du nicht zu mir kommen kannst«, erklärte er ihr, »dann komme ich eben zu dir! Ich hole nur ein par Fackeln, damit wir dort nicht im Dunkeln herum tappen! Nimm solange die Fackel hier, aber bei den Göttern, bleib, wo du bist!«
»Ba - shtie, das ist verrückt, was ist, wenn es keinen Weg mehr heraus gibt?« klang ihre besorgte Stimme aus der Öffnung.
»Dann aber«, rief er zurück, »bin ich bei dir, mein Engelchen und nichts wird uns je wieder trennen, bis wir sterben!« Diese Worte noch im Kopf hetzte er die Treppe hinauf, drei Stufen auf einmal nehmend und stieß ein Stockwerk hoher die Tür zum Küchenbereich auf. Wieder glotzten ihn erstaunte Gesichter an und verneigten sich hastig, als sie ihn erkannten.
»Wo liegen die Fackeln, ich brauche ein paar Fackeln!« schrie er das verdutzte Küchenpersonal an. Ein junger Mann trat vor und Sebastian erkannte in ihm den Burschen, den er bei seiner Besichtigung der Küche zum Abkühlen zu den Pferdetränken in den Burghof geschickt hatte.
»Euer ergebener Diener, Herr, ich werde sie euch zeigen!« Damit ging er voran, den Gang entlang, bis zu einer Nische, in der auf einem Regal fein säuberlich ein Arsenal von Fackeln einsortiert war. Sebastian schnappte sich einen Arm voll, bedankte sich und eilte den Weg zurück, verfolgt von Kopfschütteln und verständnislosen Blicken.
Aber er hatte erkannt, wie wertvoll es war, sich Freunde bei den Bediensteten und beim Volk zu machen. Man erinnerte sich seiner Güte und Freundlichkeit. Manchmal bekam man im Leben etwas von dem zurück, was man einmal gegeben hatte!
Noch bevor Sebastian am Boden des Treppenturms angekommen war, sah er Antaronas Fackel aus dem Loch scheinen. Was wäre wohl geschehen, wenn die Wachen noch einmal nachgesehen hätten? Das Licht hätten sie kaum übersehen können!
»Antarona, ich bin es, Basti, ich komme jetzt durch das Loch!« rief er in die Öffnung. Sofort wurde es darin heller und eine vertraute Stimme antwortete:
»Gebt gut acht, Ba - shtie, die Zähne des Schlundes sind scharf gezackt und trachten danach, euch zu beißen, wie sie es mit Sonnenherz taten!« Sebastian musste schmunzeln.
Inzwischen waren sie sich vertraut als Liebende, als Freunde und Kampfgefährten. Dennoch sprach sie weiterhin streng in der dritten Person, obwohl er sie ein ums andere mal korrigiert hatte. Nur eine kurze Zeit lang hatte sie sich bemüht, seine sprachlichen Gepflogenheiten anzunehmen, was noch unwirklicher klang.
Allmählich gewöhnte er sich daran, gab aber nicht auf, mit ihr in der richtigen Form zu sprechen, in der Hoffnung, sie eines Tages doch noch zu beeinflussen.
Sebastian warf die zusätzlichen Fackeln in die Öffnung und Antarona versuchte sie von der anderen Seite her zu erreichen. Aber nur drei bekam sie zu fassen. Die anderen lagen kreuz und quer in dem tiefen Loch. Kurzentschlossen überwand Sebastian seine Eitelkeit, entledigte sich seiner Kleider, band sie zu einem kleinen Knäuel und warf sie ebenfalls in das Loch in der Wand. Er hielt sich an den vorderen Haken fest und stieg mit den Füßen voran in die Öffnung.
Vorsichtig tastete er sich vorwärts. Als seine Zehenspitzen die Fackeln und seine Kleiderkugel berührten, stieß er sie weiter hinein, immer ein Stückchen mehr, bis Antarona sie greifen konnte und drüben heraus zog.
Einem Lindwurm gleich wand er sich durch die schmale Höhle, darauf bedacht, ja nicht die Beine anzuwinkeln, oder den Kopf zu heben. Nur Zentimeter um Zentimeter rutschte er vorwärts, ständig bedroht von den rostigen Zähnen, die nach seiner Haut gierten. Immer wieder musste er den restlichen Fackeln, die im Weg lagen, einen Stoß versetzen, bis Antarona sie erreichen konnte.
Endlich hatte er sich so weit vorgearbeitet, dass Antarona seine Füße packen konnte. Ohne zu überlegen griff sie zu, stemmte ihren Fuß gegen die Mauer und zog. Deutlich spürte Sebastian, wie er vorwärts kam und wie sich kleine Steinchen schmerzhaft in seinen Rücken bohrten, seine Haut aufrissen und ein unerträgliches Brennen verursachten.
Aus Angst, sich an den verrosteten Stacheln die Arme aufzuschlitzen, versuchtre er gar nicht erst, Antaronas Bemühen, ihn aus dem Loch zu ziehen, mit den Ellenbogen zu unterstützen. Also musste sie ihn aus der Höhle ziehen, wie einen Toten.
Nachdem Sebastian wieder auf seinen Beinen stand, musterte er Antarona mit besorgtem Blick. Ihr Kleid war völlig zerrissen. Notdürftig hatte sie sich die übrig gebliebenen Fetzen um den Leib gewunden und phantasievoll verknotet. Dennoch entgingen Sebastian nicht die blutigen Schrammen auf ihrem Rücken, die trotz des diffusen Lichts rot leuchteten.
»Es ist nichts, Ba - shtie«, versicherte sie ihm, als sie seinen skeptischen Blick sah, »Sonnenherz wird es nehmen wie eine Kriegerin der Ival, es macht sie stark!«
Sebastian schaute noch zweifelhafter drein und stellte fest, dass wieder einmal die Wildheit in ihr zum Durchbruch kam. Er schwieg dazu, denn er wusste, dass alles, was er in diesem Augenblick sagen würde, wohl ihr Ohr, nicht aber ihr Herz erreichen würde.
»Hast du eine Ahnung, wo wir hier sind?« fragte er statt dessen ziemlich nüchtern und sah sich um, soweit das bei dem begrenzten Licht möglich war.
»Ba - shtie, wir sind in den Kerkergewölben der Himmelsburg«, antwortete sie beinahe vorwurfsvoll, »mancher, der gegen den König aufbegehrte, fand hier sein Vergessen und seinen Tod!« Sebastian nickte gewichtig und sagte:
»Na da wollen wir mal zusehen, dass uns nicht das gleiche Schicksal ereilt, nicht wahr?« Mit einem Blick zurück auf das Loch, durch das sie gekrochen waren, stellte er mehr für sich fest:
»Diese Dinger haben sie wohl zur Belüftung eingebaut. Groß genug, dass es einen ordentlichen Durchzug gibt, aber doch so klein, dass man sich die Haut in Streifen abzieht, wenn man zu flüchten gedenkt.«
Sie nahmen jeder eine brennende Fackel in die Hand, den Rest steckte sich Sebastian in den Gürtel. Sie befanden sich in einem niedrig gemauerten Gewölbe, das Sebastian an einen Horrorfilm erinnerte. Von der gemauerten Decke hingen mancherorts Stalagmiten herab und die darunter entstandenen glänzend glatten Kalksteinbuckel erzählten ihm, dass Wasser hier seit Ewigkeiten vor sich hin tropfte.
Es roch nach verrottetem Mörtel, nach Schimmel, modrig und feucht. Und es war kalt. Eigentlich, meine Sebastian, musste es in Kellern immer warm sein, da sie geschützt vor jedwedem Wetter lagen. Doch es war feucht und kalt, wie an einem ungemütlichen Herbsttag. Er spürte regelrecht, wie feiner Nebel fröstelnd an ihnen vorüberzog, als führte sie der Tunnel in eine Winterlandschaft.
Vorsichtig schlichen sie den Gang entlang, der mal nach links, mal nach rechts abbog. In ungleichmäßigen Abständen waren massive, eisenbeschlagene Holztüren eingelassen, deren schwere Riegel und Schlösser aus Eisen nicht einmal Antaronas Schwert zu brechen vermochte. Einmal versuchte sie es und musste erfahren, dass ihr Arm den ganzen Unmut Nantakis zu spüren bekam.
Plötzlich blieben sie wie angewurzelt stehen. Ein markerschütternder, gequälter Schrei drang dumpf durch das Gewölbe. Dies klang nicht wie in einem Spielfilm, sondern furchtbar real! Sebastian war sogar im Zweifel darüber, ob dieser Schrei menschlichen Ursprungs war.
Nun, sie befanden sich noch eine Ebene tiefer, als die Küche, welche bereits im Keller lag. Darunter waren, wie Antarona und die Wachen schon bemerkten, die Kerker und Schatzkammern. Er musste sich aber erst einmal an den Gedanken gewöhnen, dass weit unter seiner Schlafstatt gefoltert wurde. Freiwillig jedenfalls stieß niemand solche Schreie aus!
Lauschend standen sie still, hielten die Fackeln gesenkt, als könnte jemand ihr Licht entdecken. Da! Wieder ein Schrei, etwas leiser zwar, aber dafür noch verzweifelter und wehklagender, fast heulend. Das Blut konnte einem in den Adern gefrieren, so gruselig empfand es Sebastian.
Nicht so jedoch Antarona. Ihr schienen solche Grausigkeiten keinen Schrecken mehr einzujagen. Wie abgebrüht war sie eigentlich? Sebastian beobachtete ihre lockere, fast entspannte Haltung, mit der sie still da stand und horchte, als würde sie den Vögeln im Wald zuhören. Sie verharrte mit der Kaltblütigkeit einer abgeklärten Kriegerin, der ohnehin nichts anderes übrig blieb, als den Angriff zu erwarten.
Dann blieb es ruhig. Nur ein Fauchen und Jammern blieb, als zerfleischte ein großes Raubtier ein gepeinigtes Opfer. Mit den Ohren versuchte Sebastian Mauerwerk und Fels zu durchdringen. Als wispere der Stein selbst ihm etwas zu, so vernahm er die seltsamsten Geräusche, sehr leise.
»Gehen wir weiter«, raunte er seiner Gefährtin zu, »es bringt ja nichts, hier zu Stein zu werden!« Im Grunde wollte er aber nur die Spannung brechen, die für ihn unerträglich wurde. Was sollte schon geschehen, was nicht sowieso geschah, wenn sie an dieser Stelle weiter ausharrten? Etwas tun nahm die Angst, die er sich gerne eingestand, heimlich natürlich.
Die Fackeln angehoben tasteten sich ihre Füße weiter in das Dunkel hinein. An wie vielen Türen genau sie vorüber kamen und was sich dahinter verbarg, blieb ein Geheimnis. Auf einem Mal aber verzweigte sich der Gang. Es ging jeweils nach links oder rechts im schrägen Winkel weiter. Sie entschieden sich für links.
Der Gang endete jedoch bald an einer mächtigen Tür, die locker einen Robrum im Zaum gehalten hätte. Sackgasse! Also zurück, den anderen Weg versucht. Doch auch hier ging es nach einigen Metern nicht mehr weiter. Sie gelangten irgendwann in einen größeren Raum, das Mauerwerk wechselte mit nacktem, behauenem Fels und das Licht ihrer Fackeln wurde so wirkungslos, als wollte es die Finsternis verschlingen.
Langsam, Zentimeter für Zentimeter schoben sie ihre Füße auf dem steinigen Grund vorwärts. Sebastian starrte in die Dunkelheit, bemüht etwas mit den Augen zu erfassen, eine weitere Tür, eine Wand, nur irgend einen Bezugspunkt. Nichts! Ringsum schwarze Leere. Eine geheimnisvolle Macht schien sämtliches Licht zu verschlingen.
Wie aus weiter Ferne erklang wieder jenes grausig klingende Wehklagen und Heulen, als drang es aus einer anderen Welt zu ihnen. Sebastian spitzte die Ohren, konzentrierte sich und versuchte zu ergründen, aus welcher Richtung es kam, als er unvermittelt aus dem Stand zurückgerissen wurde. Die Fackel verschwand im Dunkeln und er schlug hart auf dem rauen Steinboden auf, geblendet von Antaronas Fackel, die ihm fast die Augenlider versengte.
»Sag mal, was soll denn das, bist du jetzt völlig von allen Göttern verlassen?« beschwerte er sich erschrocken. Wütend wollte er sich wieder hochrappeln, doch Antarona hielt ihn mit aller Kraft unten und sagte mahnend:
»Beruhigt euch zunächst, Ba - shtie. Eine zu rasche Bewegung ist unklug! Wartet und seht, was euch Sonnenherz zu zeigen vermag!« Damit ließ sie ihn los und ging, die Fackel fast auf den Boden gerichtet, langsam vorwärts.
Sie kam gerade mal zwei Meter weit. Vor ihren Füßen tat sich abrupt die Erde auf und gab einen gähnenden Abgrund frei. Antarona leuchtete nach links und nach rechts. Der Boden schien einfach aufzuhören und einem schwarzen Unergründlichen Platz zu machen. Auch als sie die Fackel so hoch hob, wie es ihre Statur ermöglichte, gab es nichts zu sehen. Keine Decke, kein Gewölbe, nicht einmal eine Andeutung auf eine Begrenzung des Raums, als stünden sie an der Schwelle des Universums.
Sie standen auf einem Felsen, der ins Nichts ragte. Wäre Sebastian auch nur zwei Schritte weiter gegangen, so hätte ihn die Finsternis verschluckt! Langsam, vom Schreck ernüchtert stand er auf und trat neben seine Frau, die ihm schon wieder das Leben gerettet hatte.
»Was zum Henker ist das hier?« fragte er verwundert und beeindruckt zugleich. Trotz des Bemühens keine Angst zu zeigen, schwang etwas davon in seiner Stimme mit.
»Es ist die Gruft der Dämonen, Ba - shtie«, flüsterte Antarona demütig und gar nicht mehr so selbstsicher, »Sonnenherz und Glanzauge sollten nicht hier sein, es ist das Tor zum Reich der Toten, durch das die Geister gehen!«
»Na, das wollen wir doch erst mal sehen!« Nun war es wieder Sebastian, der sich nicht einschüchtern ließ. Dämonen, Geister und Götter! Auch für sie gab es seiner Meinung nach eine rationelle Erklärung. Er war nicht mit der Mythologie Antaronas Welt aufgewachsen und wollte sich auch nicht von ihr ins Bockshorn jagen lassen! Er holte ein Feuerzeug aus der Tasche und zündete eine neue Fackel an. Dann schwang er die beinahe abgebrannte Fackel über dem Kopf und schleuderte sie in die unbekannte Finsternis.
Wie ein kleiner Meteor, der in die Erdatmosphäre eintritt, sauste der Feuerball davon. Urplötzlich sahen sie in dem kleinen Lichtkegel eine Felswand auf sich zurasen. Die Fackel schlug dagegen und stürzte ab. Sie fiel tief, sehr tief! Sebastian blickte ihr nach, sah einmal den Schimmer einer Wand und dann nur noch, wie das Licht immer kleiner und kleiner wurde, bis es schließlich ganz von der Dunkelheit verschluckt wurde. Dieser Schacht musste riesig sein und in endlose Tiefe führen!
»Was tut ihr da!« schrie Antarona ihn aufgebracht an. Ihre Stimme klang angstvoll und ihr Blick drückte nacktes Entsetzen aus.
»Habt ihr vergessen, was in den Hallen von Talris geschehen war? Ihr habt erneut die Geister der Dunkelheit, die Dämonen der Tiefe geweckt! Sonnenherz wird mit euch in das Reich der Toten gehen, Ba - shtie, wollt ihr das?«
»Niemand wird hier in das Reich der Toten gehen«, versuchte er sie zu beruhigen, »das ist nur ein tiefer Schacht, ein Riss in der Erde, ein großer Felsspalt, weiter nichts! Da ist...« Weiter kam Sebastian nicht.
Völlig unerwartet traf sie ein Windzug, ja fast ein Sturm, der aus der Tiefe herauf kam. Beide taumelten sie von der Felskante weg und ihre Fackeln drohten zu erlöschen. Instinktiv drehte sich Sebastian mit dem Rücken zum Abgrund, um ihr Licht zu schützen, das einzige, was ihnen in diesem Höllenloch noch helfen konnte.
Dann schallte von unten herauf ein Brüllen und Heulen, als wären alle Teufel des Fegefeuer losgelassen worden. Es klang, als würde ein mächtiges, wütendes Ungeheuer einen Weg nach oben suchen, um die Eindringlinge für ihre Ruhestörung zu bestrafen.
»Da habt ihr es! Der Dämon des Feuers und der Finsternis ist geweckt!« Antarona geriet außer sich vor Verzweiflung. Dann wurde sie plötzlich ruhig und verfiel wieder in die seltsame Theatralik, in die sie sich schon einmal in den Hallen von Talris geflüchtet hatte. Und in der Tat klang das Monster genau so, wie dort oben in den Bergen des Val Mentiér.
Sebastian war jedoch nicht bereit, das Drama noch einmal zu wiederholen, das ihm noch immer in den Knochen steckte. Diese Burg saß ganz sicher nicht auf einem Dämonen, der ausgerechnet jetzt, da sie zufällig an seine Haustür gelangten, erwachte! Und er wollte seine Frau nicht noch einmal an den Haaren durch eine Höhle schleifen! Er packte Antarona an den Schultern und rüttelte sie heftig, dass ihr Kopf mit der langen Mähne wild hin und her flog.
»Jetzt komm mal wieder klar, ja, siehst du hier irgendwo blaue Blitze, ja? Hier ist niemand geweckt worden, außer unserer Angst! Ich weiß nicht, was das dort unten ist, aber mit Sicherheit kein Dämon! Und jetzt beruhigst du dich mal wieder!«
Noch immer drang das infernalische Heulen von unten herauf, ging aber allmählich in ein Gurgeln und Röcheln über, als hätte sich Antaronas Dämon ganz fürchterlich verschluckt und drohte nun daran zu ersticken. Dann ebbte der Lärm langsam ab und es wurde wieder totenstill, bis auf das Raunen eines Luftzugs, der nach wie vor aus dem Schlund herauf wehte.
Sebastian nahm Antarona in den Arm und drückte sie ganz fest an sich. Er spürte, wie sie zitterte. So viel Gegensätzlichkeit gab es doch gar nicht! Eben noch kampfeslustig, wie eine gereizte Tigerin, verfiel sie im nächsten Moment in eine angstvolle Starre, die sie fast um den Verstand brachte. Was für eine Macht hatten ihre Götter?
Einen Arm um Antaronas Taille, mit der anderen Hand die Fackel haltend, so führte er sie vom Abgrund fort, zurück in den gemauerten Tunnel. Sofort stieg ihm wieder der Modergeruch in die Nase. Also, folgerte Sebastian, kam aus dem Abgrund frische Luft herauf! Demnach musste der mächtige Schlund irgendwo in der Tiefe nach draußen führen!
Mittlerweile gewöhnte sich auch Antarona an den Gedanken, dass sie an diesem Tag wohl noch nicht ins Reich der Toten einzogen. Sie nahm eine neue Fackel und entzündete sie an der Sebastians. Gemeinsam leuchteten sie sich den Weg zurück zu ihrem Ausgangspunkt, dem Loch im Grund des Treppenturms.
Diesmal folgen sie dem Gang in die andere Richtung. Sebastians Gefühl nach mussten sie sich eigentlich unter dem Küchentrakt befinden. Er blieb stehen und lauschte. Er konnte aber nichts hören, was seine Vermutung bestätigt hätte. Nach unzähligen verschlossenen Türen bog der Gang scharf nach rechts ab und endete an einer Mauer.
Nichts deutete darauf hin, dass dieser Tunnel jemals weiter gegangen wäre. Ihnen blieben nur zwei offensichtliche Alternativen. Zum einen konnten sie versuchen, den Schlund hinab zu steigen, oder eine der Türen mit Nantakis Hilfe aufschlagen, wobei zweifelhaft blieb, ob diese in die Freiheit führten.
»Oder wir haben irgendeinen Gang, oder einen Tunnel übersehen«, zog Sebastian laut eine dritte Möglichkeit in Betracht. Die Fackeln mal hoch, mal tief haltend, gingen sie den Weg noch einmal zurück. Da! Nicht weit der Stelle, wo sie durch das Loch in der Wand gekommen waren, entdeckte Antarona plötzlich eine weitere Öffnung, die knapp über dem Boden lag und nicht viel größer war, als jene, die sie in diese tiefen Gänge geführt hatte.
Sie hielt ihre Fackel hinein und sie stellten zufrieden fest, dass diesmal keine eisernen Widerhaken den Weg zurück versperrten. Also konnten sie getrost ausprobieren, wohin der Durchgang führte. Antarona wollte schon mit den Beinen hinein steigen, als Sebastian sie aufhielt.
»Nein, diesmal gehe ich voran. Wenn es wieder eine Falle ist, kannst du dich immer noch mit Nantakis durch eine der Türen schlagen und Hilfe holen. Wenn es nötig ist, wende dich an Genrath. Ihm vertraue ich noch am ehesten!« Antarona nickte zögernd, dann half sie ihm, in die enge Öffnung zu steigen. Eine brennende Fackel schob Basti mit den Füßen vor sich her, eine Reservefackel behielt er im Gürtel.
Zentimeterweise schob er sich auf dem Rücken vorwärts, bis seine Füße ins Leere griffen. Vorsichtig und nicht minder umständlich führte er die brennende Fackel an seinem Gesicht vorbei, über den Kopf und drehte sich auf den Bauch. Egal was kam, er wollte wenigstens mit den Füßen und nicht mit dem Kopf auf den Boden kommen!
Sein Blick zurück sagte ihm, dass dieses Loch noch um einiges länger war, als das erste. Die Mauern wurden also massiver! Langsam schob er seine Beine aus der Öffnung in den unbekannten Raum und tastete mit den Füßen nach allen Seiten. Nichts! Nirgendwo Halt.
Mit dem Oberkörper blieb Sebastian noch in der Öffnung, seinen Unterleib schob er so weit hinaus, dass er mit den Füßen die Wand unter ihm abtasten konnte. Doch er fühlte nur eine glatte Wand unter sich. War dies wieder nur ein Belüftungsgang, der in einem unergründlichen Schacht endete?
Wie er es bei seinen Felsklettertouren oft getan hatte, suchte sich Sebastian links und rechts in der Kriechhöhle eine tiefe Fuge, krallte sich mit den Fingern darin fest und schob seinen Körper noch weiter hinaus, um tiefer tasten zu können. Seine Füße schlugen an eine massive Wand, scheinbar ohne einen Vorsprung, ohne Fugen, ohne etwas, auf dem seine Zehen Halt finden konnten.
Plötzlich gab eine der Fugen nach, der Stein brach heraus, Sebastian versuchte nachzufassen, bekam aber nur loses Material zu fassen. Instinktiv drehte er sich etwas, um sich mit dem Gewicht seines Körpers abzufangen. Die Finger der anderen Hand verloren dabei ebenfalls den Halt und Sebastians Oberkörper rutschte auf dem krümeligen Boden immer weiter aus dem Loch heraus.
Verzweifelt versuchte er noch, seine Arme nach links und rechts zu stemmen, um sich an den Wänden zu halten, doch rasch wich die Kraft aus seinen zitternden Muskeln. Zuletzt schnappte er mit einem gezielten Griff nach der brennenden Fackel, dann rutschte er vollends aus dem Loch und fiel ins Dunkel...
Das nächste, das er wahr nahm, war Antaronas Stimme, die von sehr weit her nach ihm rief. Er wollte sich aufrichten, doch ein stechender Schmerz nahm ihm schlichtweg den Atem und hielt ihn erst einmal am Boden. Die Fackel lag ein Stück weit entfernt, brannte aber nur noch halb. Mit der unteren Hälfte lag sie in einer kleinen Vertiefung im Boden, in dem sich eine kleine Pfütze gebildet hatte.
Sebastian biss die Zähne zusammen, versuchte den Schmerz zu ignorieren und wälzte sich zu dem kleinen Licht hin, der einzigen Hoffnung in dieser Finsternis. Er nahm die Fackel hoch, drehte sie vorsichtig, bis auch der untere Teil wieder aufflammte und zu brennen begann. Vor seinen Augen tauchte eine Wand aus gemauerten, groben Natursteinen auf, an der er sich stützte und wieder hoch rappelte.
Unter Schmerzen ließ sein Arm das Licht nach oben wandern und seine Blicke suchten den Durchstieg, aus dem er gekommen war. Fünf oder sechs Meter über ihm gähnte das schwarze Loch, aus dem Antaronas gedämpftes Rufen klang.
»Ba - shtie, Baaa - shtiiie! Seid ihr wohlauf, kann Sonnenherz nachfolgen?« Sebastian trat drei Schritte von der Wand zurück und brüllte hinauf:
»Mir geht es gut, aber warte noch , ich sehe mich erst mal um! Ich sage dir, wenn du nachkommen kannst! Also warte, ...arte, ...arte, ...arte!« Ein verblüffendes, vielfaches Echo, ähnlich, wie in Antaronas Höhle, ließ seine Stimme an unsichtbaren Wänden wiederhallen. Demnach, so vermutete er, befand er sich in einem relativ großen Raum, wahrscheinlich ein Stockwerk tiefer.
Sebastian entzündete die zweite Fackel und hob beide Arme in die Höhe. Wider Erwarten befand er sich in einem schmalen, aber sehr hohen Raum, von dem mehrere Gänge in verschiedene Richtungen abgingen. Es waren allesamt niedrige Tunnel, etwa knapp zwei Meter hoch, ebenso breit und mit gewölbeartiger, rund gemauerter Decke.
Er leuchtete kurz in jeden Gang hinein und stellte fest, dass in zwei Gängen ein permanenter Luftzug herrschte. Diese Gänge mussten also irgendwo einen Ausgang haben!
»Antarona, du kannst jetzt nachkommen!« rief er zum Durchgang hinauf. »Sieh dich vor, es geht tief hinab! Aber keine Angst, ich bin da, ich fange dich auf! Hast du verstanden?«
Anstelle einer Antwort rieselten Dreck und kleine Steinchen herab. Sie war also bereits unterwegs. Schnell stellte Sebastian seine Fackeln so auf, dass sie die Wand und das nähere Umfeld beleuchteten, ohne ihn zu behindern. Dann machte er sich bereit, seine Frau zu empfangen.
Nun, darin hatte er ja Übung! Im Grunde war es nichts anderes, als beim Feuertanz des Elsirenfestes, wo er seine Partnerin ebenfalls auffangen musste, die ihm entgegen geflogen kam. Es dauerte nicht lange, da erkannte er oben in der Dunkelheit schemenhaft Antaronas Beine, die Halt suchend hin und her ruderten.
»Stoß dich einfach ab und lass dich fallen, ich bin da und halte dich!« rief er hinauf. Im nächsten Augenblick kam Antarona Fackel herab geflogen, gerade, dass Sebastian sich noch wegdrehen konnte, um das Feuer nicht in die Augen zu bekommen. Die Fackel landete auf dem Boden und seine Pupillen waren so geblendet, dass er nichts mehr sehen konnte.
»Warte noch einen Moment, Antarona, ich...« Es war schon zu spät. Sie fiel mit voller Wucht genau auf seine linke Schulter, Nantakis knallte gegen seinen Kopf und beide gingen sie wie gefällte Bäume zu Boden. Das Scheppern und Klirren von Nantakis hallte unwirklich verzerrt durch die Gänge und kam als Echo zurück.
Sebastians Kopf dröhnte und sein Rücken schmerzte, als hätte Nantakis ihn aufgespießt. Im Schein der Fackeln sah er Antaronas Gesicht verschwommen über sich auftauchen.
»Ba - shtie, was ist mit euch, seid ihr verletzt?« Er konnte nicht sofort antworten, das Atmen fiel ihm schwer. Bei jedem Luftzug stach etwas in seine Rippen.
»So sagt doch etwas, Ba - shtie, seid ihr bei Sinnen, gebt ein Zeichen, wenn ihr Antarona hört«, bemühte sie sich um ihn. Dieses Gefühl der Fürsorge war ein angenehmes und er brauchte ohnehin noch eine Weile, um wieder klar im Kopf zu werden. Also kostete er die Situation genüsslich aus. Den Schmerz versuchte er zu ignorieren.
Antaronas lange Haare hüllten ihn ein und er spürte ihre Küsse auf seinem Gesicht, ihre zärtlichen Hände, die fast mütterlich seinen Kopf hielten und ihre besorgte Stimme, die flehentlich an sein Ohr drang:
»Bitte, Ba - shtie, sagt doch etwas, was ist mit euch, bitte, verlasst Sonnenherz nicht, ihr Herz trägt ein Leben unter sich, euer Leben, Ba - shtie, Baaa - shtiiie!«
»Ach ja, mein Engelchen, darüber wollte ich auch noch mit dir sprechen«, antwortete Sebastian mit ruhiger Stimme, als sein nichts gewesen, »dafür, dass du ein neues Leben in dir trägst, solltest du in Zukunft auf solche tollkühnen Nummern verzichten, hörst du?«
»Ihr seid gar nicht verletzt?« fragte sie verwundert und ein wenig naiv. Sebastian fasste in ihre Taille und zog sie zu sich herab, bevor er gestand:
»Nein, außer, dass mir der Rücken höllisch weh tut. Ich wollte einfach nur mal wieder deine Nähe spüren, dich ganz nah bei mir haben, verstehst du das?« Skeptisch blickte sie ihm in die Augen, strich sich die Haare hinter die Ohren und bemerkte tadelnd:
»Ba - shtie, es ist nicht der rechte Ort und nicht die Zeit für solche Worte. Sonnenherz ist schmutzig, ihre Haare sind wie altes Stroh im Stall und...«
»Und selbst am dunkelsten Ort der Welt leuchtest du in mein Herz«, unterbrach er sie, »und schöneres Haar, als deines sah ich nie, na ja, und schmutzig sind wir wohl beide! Welches wäre eine bessere Zeit, uns unserer Liebe hinzugeben, als die der Gefahr, denn wer weiß schon, ob wir noch einmal Gelegenheit dazu haben?«
Widerstandslos ließ sie es zu, dass er sie fest in seine Arme schloss. Seine Hände suchten die zerrissenen Stellen ihres Kleides, ihre Haut elektrisierte ihn und atemlose Küsse entführten sie für ein paar Augenblicke aus ihrer finsteren, feuchten und kalten Realität.
Erst einige Zeit später drang ihnen wieder ihre Lage ins Bewusstsein. Antarona rollte sich von ihrem Geliebten herunter, stützte sich auf die Knie und zupfte sich die Reste ihres Kleides und die zerzausten Haare zurecht. Sebastian sah ihr fasziniert zu.
Im Licht der Fackeln, die große Schatten warfen, traten ihre verführerischen Kurven noch deutlicher hervor und er genoss den Anblick. Gerne hätte er sie noch eine Zeit lang angesehen, ihr Gesicht angehimmelt, ihre anmutige Gestalt bewundert, ihre eleganten Bewegungen, dieses Bild wilder, unbändiger Schönheit, in eine goldene Schale der Hingabe gegossen! Es passte ihm ganz und gar nicht, dass sie nun weiter mussten.
In Sebastian kam berechtigte Sorge hoch. Ihre Fackeln würden nicht ewig brennen. Sie mussten endlich einen Ausgang finden, sonst würden sie bald in völliger Finsternis umher tappen und irgendwann für immer in einem grundlosen Schacht verschwinden! Sie besaßen noch die drei brennenden Fackeln und zwei neue. Waren die verbrannt, so wurde es Nacht um sie herum!
Sebastian stand auf und stöhnte unter den Schmerzen, die er eigentlich ignorieren wollte. Wahrscheinlich hatte er sich die Rippe, die auf Högi Balmers Alm noch nicht ganz ausgeheilt war, erneut angebrochen.
»Ihr habt euch doch verletzt, nicht wahr?« fragte Antarona besorgt. Sie tastete ihr vorsichtig ab und Sebastian hätte sich gewünscht, sie wären einige Klafter höher, in seinem gemütlichen Ruhezimmer. Antaronas Hände schienen jeden Schmerz, der ihn plagte in ihre eigenen Sinne zu übertragen.
»Ihr wollt nichts sagen, damit Sonnenherz sich nicht sorgt, ist es so?« Sie besaß eine entwaffnend direkte Art, die im Zusammenspiel mit ihren großen Augen jeden Schwindel erweichen konnte. Sebastian glaubte, Antarona sah und spürte mit ihren Sinnen und ihrem Herzen mehr, als jedes andere Lebewesen mit Nase und Augen.
»Wir sollten sehen, dass wir weiter kommen, du kannst mir später helfen, hier können wir sowieso nicht viel tun«, mahnte er, »unsere Fackeln gehen aus, dann stehen wir ganz im Dunkeln!« Antarona nickte und ließ von ihm ab.
»Aber in welche Richtung wollt ihr gehen, Ba - shtie?« wollte sie wissen. Lauernd sah er sie an. Insgeheim hatte er gehofft, Antarona könnte ihre seherischen Fähigkeiten einsetzen und ihnen den Weg weisen.
»Ich weiß es nicht, wir müssen einfach die Gänge ausprobieren, in denen der stille Wind geht. Einer davon sollte nach draußen führen!« mutmaßte er.
»Aber wenn es wieder nur ein Loch in den Steinen ist?« warf sie zweifelnd ein. Sebastian zuckte mit den Schultern.
»Hast du einen Weg, dann versuchen wir den!« Er wartete keine Antwort ab, löschte zwei der Fackeln, um zu sparen und ging voran in den Tunnel, aus dem er den stärksten Luftzug spürte. Der Gang führte sie mal nach links, mal nach rechts und nur wenige, kleine, massive Türen waren zu beiden Seiten in den Stein eingelassen. Was sich dahinter verbarg, blieb ihnen ein Rätsel.
An manchen Stellen tropfte Wasser von der Decke und sie fragten sich, wie tief sie sich wohl unter der Burg befanden, und wie weit es noch hinunter ging. Nach einigen Metern standen sie wieder am Rand des Schachtes, den sie schon ein Stockwerk höher entdeckt hatten.
Diesmal leuchteten sie ihn genauer aus und stellten fest, dass eine massive, stark angerostete Kette von oben herab hing. Möglicherweise hatten sie einen Brunnen vor sich, dessen Wasser aus der Tiefe herauf gezogen wurde. Doch diese Erkenntnis nützte ihnen wenig.
Zurück an ihrem Ausgangspunkt, wählten sie einen anderen Gang, der in die entgegen gesetzte Richtung wies, aber ebenfalls von einem Luftstrom durchzogen wurde. Wieder tasteten sie sich in der Dunkelheit vorwärts. Ihre Welt beschränkte sich auf den kleinen Bereich, den die Fackel mit ihrem Lichtkegel zum Leben erweckte.
Der Tunnel war niedrig und die Wände glitzerten von der Feuchtigkeit, die sich an ihren Steinen niederschlug. An einer Stelle senkte sich der Gang so weit ab, dass er bis zur Hälfte voll Wasser gelaufen war. Widerstrebend und fröstelnd wateten sie bis zur Hüfte durch das brackige Nass.
Antarona stieß plötzlich mit dem Fuß gegen einen Stein, oder eine Erhebung im Boden, strauchelte und fiel gegen Sebastian, der völlig überrascht mit einer Reflexbewegung reagierte. Die Fackel geriet ins Wasser und von einer Sekunde zur anderen standen sie in totaler Finsternis.
Sebastian spürte, wie Antarona sich an ihn klammerte, um nicht vollends ins Wasser zu fallen. Er tastete nach ihren Armen und hob sie hoch. Dann durchsuchten seine Finger unter Wasser seine Hosentasche nach dem Feuerzeug.
»Warte, gleich brennt die Fackel wieder, nur einen Augenblick«, versuchte er seine Frau zu beruhigen. Doch das Schnippen am Zündrädchen blieb erfolglos. Das Feuerzeug war pitschnass und dachte gar nicht daran, auch nur einen einzigen Funken zu erzeugen.
Fluchend fingerte Basti nach dem zweiten Feuerzeug, das aber ebenfalls in der triefenden Nässe streikte. Sorgsam steckte er die Errungenschaften seiner zivilisierten Welt wieder in die Tasche, ahnte sich blind und mit den Füßen weiter vorwärts und zog Antarona hinter sich her.
»Wir müssen erst einmal aus dem Wasser heraus, dann sehen wir weiter«, versuchte er ihr Mut zu machen. In Wahrheit jedoch wollte er sich selbst beruhigen, um nicht in Panik zu geraten. Antarona indes schien ihren Weg allein mit ihren Sinnen zu ahnen, denn sie schob sich an ihm vorbei und führte nun ihn an der Hand.
»Weißt du eigentlich, wohin du gehst? Nicht, dass wir uns noch die Köpfe einschlagen, oder gegen irgendwelche Wandvorsprünge laufen«, warnte Sebastian.
»Seid ohne Sorge, Ba - shtie, Sonnenherz vermag ihren Weg in der Not auch ohne Augen zu sehen«, gab sie zuversichtlich zurück.
»Na dann frage ich mich, wozu wir all die Fackeln mitgeschleppt haben, wenn es auch ohne geht«, antwortete er sarkastisch. Doch Antarona kannte diese Art schwarzen Humor nicht, der auch ein Produkt Sebastians hochentwickelter Zivilisation war.
»Ba - shtie, redet nicht wirr! Auch Sonnenherz kann nicht im Dunkeln sehen! Sie fühlt nur die Richtung, mehr nicht!«
Die Richtung schien zu stimmen, denn allmählich senkte sich der Wasserspiegel und bald standen sie wieder auf dem Trockenen. Sebastian ging in die Hocke und tastete den Boden ab. Er fühlte sich felsig an, wie glatt gemeißelter Stein. Und am liebsten wäre er auf allen Vieren weiter gekrochen und hätte sich Stück für Stück vorwärts geschoben. Doch sie konnten nicht ewig in diesen stockfinsteren Gängen umher irren.
Also verließ er sich auf die übersinnlichen Kräfte seiner Frau, die ihnen schon einige Male geholfen hatten. Langsam schoben sie sich durch das schwarze Nichts. Sebastian hielt krampfhaft Antaronas Hand, die einzige Sicherheit in dieser Welt, die nur noch aus Gerüchen und leisen Geräuschen bestand.
Sebastian war nun ebenfalls auf seine verbliebenen Sinne, Hören und Riechen, angewiesen. Er wurde auf eindrückliche Weise mit den Beeinträchtigungen konfrontiert, mit denen blinde Menschen zu leben gelernt hatten. Doch er wollte dieses Schicksal nicht akzeptieren, auch nicht für diesen zwangsweisen Moment! Gerade wollte er noch einmal versuchen, sein Feuerzeug zu zünden, als sie ins Leere traten...
Es ging so schnell, dass sie beide zu keiner Reaktion mehr fähig waren. Sie schlugen irgendwo hart auf, wirbelten durcheinander, versuchten sich zu halten und konnten doch nicht gegen die Kraft aufbegehren, die sie unweigerlich nach unten zog. Als rollten sie einen Abhang hinunter, fielen sie übereinander, prellten an unsichtbare Hindernisse, rutschten und überschlugen sich, ohne die Möglichkeit, Halt zu finden.
Waren Sekunden oder Minuten vergangen, so unverhofft sie den Boden unter den Füßen verloren hatte, schlug sie wieder auf ihm auf, gnadenlos und unbarmherzig. Antarona schmeckte Blut und ihre Zähne mahlten auf Sand, als sie auf hartem und rauem Grund liegen blieb.
Stille und absolute Finsternis umgab sie. In ihrem Kopf fegten hundert Winde durcheinander und ihr war so übel, dass sich ihr Magen umdrehen wollte. Kaum wagte sie zu atmen und würgte ihren Schwindel mit Mühe hinunter, um sich nicht übergeben zu müssen.
Vorsichtig begann sie ihren Körper zu befühlen, doch schon bei der ersten Bewegung spürte sie die schmerzhaften Stellen, wo sie sich geprellt hatte. Aber sie vermochte noch alle Gliedmaßen zu bewegen und schien nicht schwer verletzt.
Ihre nächste Sorge galt Ba - shtie. Sie lauschte in die Dunkelheit hinein, versuchte das Schwarz mit ihren Sinnen zu durchdringen, hörte aber nur das pochende Rauschen und Dröhnen in ihrem Kopf. Nein, halt! Dort war etwas! Es klang wie Schnauben und Husten, mehr ein Röcheln. Sie erschrak! Was war ihm geschehen? In ihren geistigen Bildern sah sie ihren Ba - shtie mit dem Tode ringen.
»Ba - shtie?« Antaronas Stimme verhallte dumpf zwischen unsichtbaren Wänden. Schweigen. Die Grabesstille, die sie umgab, machte ihr Angst.
»Ba - shtie - laug - nids, seid ihr noch da? So sagt doch etwas, wenn ihr mich hört!« rief sie in die Dunkelheit. Wieder ein Husten und dann vernahm sie den gebrochenen Klang seiner Stimme:
»Hier, mein Engelchen, ich bin hier, aber ich kann nichts sehen, ich kann dich nur hören!« Erleichtert atmete sie auf. Er lebte! Blind versuchte sie mit den Händen ihre Umgebung zu ertasten und robbte auf Knien in die Richtung, aus der sie ihn sprechen gehört hatte.
»Sagt etwas, Ba - shtie, damit Sonnenherz euch finden kann, wo seid ihr?« Wieder nur ein Husten, doch dann antwortete Sebastian gequält:
»Ich bin hier, ich versuche gerade mein Feuerzeug zu finden, vielleicht geht es ja wieder und ich kann ein kleines Licht machen!«
Tatsächlich fühlte er sich so zerschlagen, als hätte eine Horde schwarzer Reiter ihn niedergeritten. Er konnte seinen linken Arm nicht richtig bewegen. Der Schmerz zog über die Schulter und den Nacken in den Kopf und verursachte eine Übelkeit, die er von seiner Migräne her kannte. Der Geruch nach Staub, Erde und Moder verstärkte das Gefühl noch.
Er lag irgendwo an eine imaginäre Wand gelehnt und versuchte mit einer zerschundenen Hand seine Hosentasche zu finden. Doch seine Finger wollten ihm nicht so recht gehorchen. Außerdem war seine Hose nass und offenbar zerrissen.
Mit der anderen Hand versuchte er es erneut und fühlte die kleine Erhebung unter dem Stoff. Glücklich wie ein Kind stellte er fest, dass der gesuchte Gegenstand noch da war. Unter Schmerzen fingerte er das kleine gerät hervor, drehte es in der Hand und legte den Daumen auf das Rädchen. Ratsch! Nicht einmal ein Funke!
Sebastians Kopf drohte ihm zu platzen, als er auf das Feuerzeug blies, um den Zündmechanismus zu trocknen. Dann versuchte er es noch einmal und wieder und wieder. Da! Ein Funke! Er zwang sich zu konzentrieren und dachte nach. Was, wenn er ein Flämmchen zustande brachte? Wie oft würde das funktionieren, bis das Ding vollends den Geist aufgab?
Instinktiv fuhr seine Hand suchend an seinem Körper herunter. Die Fackel steckte noch in seinem Gürtel! Ein Wunder in der Strähne des Pechs! Vorsichtig legte er sich den langen Stiel auf die Oberschenkel und versuchte es noch einmal. Ratsch! Ratsch! Beim dritten Mal entstand ein schwaches Flämmchen, zuckte auf und ab, nicht wissend, ob es leben, oder sterben sollte.
Seine Hände zitterten vor Aufregung, als er die Fackel über das winzige, fast schon wieder verlöschende Feuerzünglein hielt.
»Jetzt nur nicht wieder ausgehen! Brenne, mein Feuerchen, brenne, um Himmels Willen, geh nicht wieder aus, brenne!«
Sebastian wurde gar nicht bewusst, dass er seinem Feuerzeug laut Mut zusprach, wie einem kleinen Freund, der mit dem Tode rang. Endlich leckte die Flamme an der Fackel hoch, wurde breiter, heller, eroberte sich den geteerten Kopf, je mehr Sebastian den Stiel drehte.
Allmählich verbreitete sich ein gelbliches, zuckendes Licht und erhellte einen unbekannten Raum. Gespannt hielt Basti seinen Arm hoch, verzog schmerzhaft das Gesicht, hielt aber aus, denn die Neugier war stärker. Ein in den Fels getriebener, roh behauener Tunnelgang entstand vor seinen Augen.
Das Licht kroch vorwärts, brach sich in Wassertropfen, die an den Wänden hingen und beleuchteten etwas Helles. Antaronas Kleid! Jedenfalls das, was davon noch übrig war. Und ihre großen Augen, die ihn leuchtend und erwartungsvoll anstarrten. Die Welt bekam wieder Formen, Entfernungen und Richtungen, etwas Greifbares! Sebastian wollte zu seiner Frau hinüber rutschen, zuckte aber vor Schmerz zusammen. Antarona entging das nicht.
»Ba - shtie, seid ihr verletzt? Wartet, bewegt euch nicht!« Auf allen Vieren kam sie über den Schutt am Boden zu ihm herüber gekrochen, die Reste ihres zerfetzten Kleides hinter sich her ziehend. Behutsam tasteten ihre feingliedrigen Finger sein Gesicht ab, ungeachtet der Tatsache, dass ihre eigenen Handknöchel zerschunden und blutig waren. Überhaupt befanden sie sich beide in einem erbarmungswürdigen Zustand.
Sebastians Hose war aufgerissen und an seinem Oberschenkel klaffte ein hässlicher, blutverschmierter Kratzer. Was von seinem Hemd übrig war, versuchte er auszuziehen, da es ihn behinderte und auf der aufgeschrammten Haut spannte. Antarona musste helfen, denn seine lädierte Schulter ließ keine großen Bewegungen zu.
Sein Gesäß fühlte sich an, als hätte ein wild gewordener Bulle mit voller Wucht hinein getreten. Das Taubheitsgefühl zog bis ins linke Bein hinein. Reichlich Schrammen und Kratzer gab es obendrein. Antarona sah nicht viel besser aus. Der zerrissene Rest Stoff, der einmal ihr Kleid war, hing schmutzig auf ihrer Hüfte. Ihr Oberkörper war übersät von tiefen Kratzern, Dreck und rot unterlaufenen Flecken.
Das Blut rann ihr aus einer Wunde am Schienbein und vermischte sich mit Wasser und Schmutz. Sebastians Hemd und Teile von Antaronas Kleid wurden zu Verbandsmaterial. So begannen sie sich gegenseitig zu verarzten, in einem dreckigen, dunklen Loch, kalt, feucht, und scheinbar weit entfernt jeglichen menschlichen Lebens.
Erschöpft saßen sie irgendwann da, nebeneinander an den Fels gelehnt. Antarona hatte sich den Rest ihres Kleides als Rock um die Taille gewickelt und Sebastians Hemd zu einem Oberteil verknotet. Ein paar Stoffstreifen bedeckten ihre ärgsten Wunden, jedoch alles andere als sauber.
»Wo ist eigentlich Nantakis geblieben?« fragte Sebastian kraftlos. »Weißt du noch, wann du das Schwert verloren hast?«
»Wie kann Sonnenherz das sagen, wo sie nicht einmal zu wissen vermag, wohin sie gefallen ist?« antwortete sie beinahe vorwurfsvoll. Sebastian hob die einzig verbliebene Fackel in die Höhe und sah sich um.
»Tja, ich kann auch nicht sagen, wo wir hier sind, schließlich waren wir eine Weile im Dunkeln gegangen, bevor wir hier gelandet sind. Und du wolltest mit deinen Sinnen die Richtung erahnen! Diese Richtung hat jedenfalls nicht gestimmt!« setzte er noch sarkastisch hinzu. Antarona quittierte seine Äußerung mit gereiztem Blick und einem müden Schulterzucken. Zugleich straffte sie sich, erhob sich gegen die Steinwand gestützt und verkündete:
»Sonnenherz muss Nantakis wiederfinden, und vielleicht auch eine der Fackeln.« Sebastian wusste, wie wertvoll ihr Schwert war, dennoch war er der Meinung, dass man Nantakis später noch hätte suchen können. Laut gab er zu bedenken:
»Bei den Göttern, du weißt ja nicht einmal, wo wir sind! Nantakis kann überall sein, wir können doch nicht die ganze Strecke wieder hinauf fallen! Überleg doch mal, Antarona, wir wissen ja nicht einmal...«
»Das Feuer leuchtet wieder«, unterbrach sie ihn mit einer Stimme, die Entschlossenheit verriet, »so werden die Füße nicht noch einmal dorthin treten, wo kein Boden ist! Sonnenherz wird die Dunkelheit unter der Himmelsburg nicht ohne ihr Schwert verlassen«, stellte sie kompromisslos klar und fügte noch hinzu:
»Wenn ihr hier warten wollt?« Natürlich wollte er das nicht. Also hielt er die Fackel hoch und Zwei Augenpaare versuchten festzustellen, woher sie gekommen waren.
Bald entdeckten sie einen Tunnelgang, der über ihren Köpfen als schwarzes Loch zwischen Wand und Decke gähnte. Sebastian hielt die Fackel hinein und sie sahen, dass der Gang mit steiler Neigung hinauf führte. Zweifelsfrei waren sie aus diesem Loch gefallen. Und dorthin mussten sie zurück!
Sebastians Finger griffen ineinander und er hielt sie Antarona hin, die ohne zu zögern in die Räuberleiter stieg und sich von ihm in die Röhre hieven ließ. Auf dem schrägen Boden konnte sie sich nicht halten und Griffe gab es nicht. So spreizte sie die Beine, stemmte links und rechts den Fuß gegen die Steinwand, beugte sich in akrobatischer Manier vor und reichte Sebastian ihre Hand herab.
Der musste springen, um sie zu fassen zu kriegen. Dann schlug er gegen die Wand des Ganges, ruderte mit den Beinen und versuchte sich an Antaronas Arm hoch zu ziehen. Ihrer Biegsamkeit war es wohl zu danken, dass er ihr nicht das Gelenk auskugelte.
Zwei Minuten später standen sie gebückt in dem kleinen Gang, der beinahe dreißig grad steil war und ihren Füßen auf dem rutschigen Boden so gut wie keinen Halt bot. Am besten kamen sie noch vorwärts, wenn sie einen Fuß in die Ecke zwischen Boden und Wand stemmten, um den winzigen Reibungswiederstand zu nutzen.
Meter um Meter hangelten sie sich hinauf. Antarona ging voraus, die Fackel in der Hand und Sebastian sicherte sie von hinten. Irgendwann machte der Gang einen leichten Knick nach links. Dort hatte sich an einem kleinen Vorsprung eine der Fackeln verfangen.
Ein gutes Stück höher fanden sie auch Nantakis. Das Schwert war auf einer kleinen Erhebung im Boden liegen geblieben und hatte offenbar keinen Schaden genommen. Antarona hängte sich ihre Waffe wieder um, dann kehrten sie um. Halb gehend, halb rutschend, schlitterten sie hinab und sprangen zuletzt in den Gang hinunter, von dem sie ebenso wenig wussten, wohin er sie bringen würde, wie von den letzten Tunneln.
Nun aber hatten sie Licht! Sie konnten sehen, wohin sie traten und kamen schneller vorwärts. Immer wieder bog der gang nach rechts ab und bald hatten sie das Gefühl, stets im Kreis herum zu laufen. Türen, die in geheimnisvolle Gänge und Räume führten, sahen sie schon lange nicht mehr.
Als sie glaubten, an einem bestimmten Mauervorsprung mindestens schon zweimal vorbeigekommen zu sein, änderten sie ihre Taktik. Im kargen Licht der Fackel suchten sie nun jeden Zentimeter des Bodens, jede Nische und jeden Absatz ab. Wenn sie keinen Weg aus diesem Gang ohne Ende fanden, mussten sie sich erneut den schrägen Tunnel hinaufquälen, um wieder die obere Ebene zu erreichen.
Dann fand Antarona einen kleinen Durchgang. Er lag verborgen im Schatten eines nur wenige Zentimeter starken Wandabsatzes, den sie nur durch zufälliges Zurückblicken entdeckte. Im einseitigen Licht der Fackel hätten sie hundert Mal daran vorübergehen können, sie hätten das halb Mann große Loch nicht gesehen.
Die Fackel voran, duckten sie sich in den neuen Tunnel, der mit jedem Stück geräumiger wurde und bald ein aufrechtes Stehen ermöglichte. Ein auffallend starker Luftzug durchströmte diesen Gang. Einmal drohte sogar die Fackel im Wind zu verlöschen.
Nachdem sie einige Meter geradeaus gegangen waren, mündete der Gang in einen höhlenartigen Raum von etwa zehn mal zwölf Metern. Die unregelmäßige Decke hing als gebrochener Stein gut drei Meter über ihnen. An einer Seite des Raumes lag ein Berg von Gesteinsschutt, fein säuberlich aufgehäuft, als hätte jemand das Material, das unverkennbar aus diesem Gang stammte, zusammen gekehrt.
Antarona beleuchtete den Schutthaufen mal hier, mal dort, bis sie mit der Fackel an einer Stelle verharrte. Neben der Halde lag ein Skelett! Der Knochenmann lag sitzend an die wand gelehnt und war mit einer dicken Staubschicht bedeckt und seine Kleidung hatte sich in wenige Fetzen zersetzt, die den Leichnam überspannten.
Der Tote sah nicht so aus, als wäre er aufgrund äußerer Einwirkungen verschieden. Eher wahrscheinlich war, dass er schlicht verhungerte. Sebastian sah Antarona an und sie dachten beide das gleiche. Lag hier die bildliche Prophezeihung ihres Schicksals? Wohin führte der einzige Gang aus diesem Raum? Endete er wieder in einer Sackgasse. Skeptisch blickte Antarona in das dunkle Loch, das sich vor ihnen auftat.
»Wir werden es nur feststellen, wenn wir es versuchen«, sagte Sebastian achselzuckend. Dann hob er die Fackel und drang in den Tunnel vor. Ein permanenter, starker Luftzug deutete auf einen tiefen Schacht hin, oder auf eine Öffnung nach draußen.
Wände und Decke waren wohl von Menschenhand behauen worden, die Erbauer hatten sich jedoch nicht die Mühe gemacht, den Tunnel zu begradigen. Er wirkte eher wie eine Höhle, weniger wie ein Stollen. Schon nach ein paar Metern war Schluss.
Unverhofft standen sie an einer Kante, dahinter führte der Gang schräg hinab ins Ungewisse. Der Stollen wurde so steil, dass ihn nur begehen konnte, wer sich krampfhaft an den zerklüfteten Wänden festzuhalten vermochte. Sackgasse, wieder einmal!
»Zurück können wir nun nicht mehr, das steht fest«, bemerkte Sebastian ratlos. Er hielt die Fackel so weit in den Gang, wie es sein Arm erlaubte, als könnte er damit die unbekannte Tiefe ergründen.
»Sonnenherz spürt, dass dies der Weg ist, der uns in die Sonne führt«, antwortete Antarona bestimmt. Sebastian sah seine Frau entgeistert an und erwiderte zweifelnd:
»So, wie schon einmal weiter oben? Wer sagt dir, dass wir diesmal nicht in einen Schacht stürzen und uns endgültig den Hals brechen?« Er deutete mit einem gewichtigen Kopfnicken zu dem Skelett hinüber und fügte hinzu:
»Meinst du nicht, der dort drüben hat alles mögliche versucht, um nicht des Hungertodes zu sterben? Warum hat er wohl aufgegeben, na? Gewiss nicht, weil es ihm hier drinnen gefallen hat!«
»Ba - shtie«, ermahnte sie ihn fast beleidigt, »vertraut den Sinnen eures Engelsen, ja? Antarona spürt, dass wir nicht viele Zentaren vom Licht der wandernden Sonne fort sind!« Sebastian fiel auf, dass sie sich, ob nun zufällig, oder aus einem bestimmten Grund, einmal mehr teilweise der personifizierten Ausdrucksweise bediente. Ahnte sie etwas Endgültiges?
»Nicht weit von der Sonne entfernt, das mag ich schon glauben«, entgegnete er, »aber ob wir sie in einem Stück erreichen, das ist wohl die Frage, nicht wahr? Mein Bedarf an Rutschpartien ins Ungewisse ist eigentlich für die nächsten Zentaren gedeckt!«
Antarona hörte gar nicht weiter auf ihn, nahm ihm die Fackel aus der Hand und ging langsam in den Stollen hinein. Es ging sofort ziemlich steil nach unten und sie musste sich von Felsvorsprung zu Felsspalt, von Absatz zu Riss hangeln, um nicht den Halt zu verlieren.
Sebastian folgte ihr, einerseits wütend, dass sie ihn einfach überging, andererseits froh, dass ihm damit die Entscheidung abgenommen war. Sie spielten sich rasch als funktionierendes Team ein. Hatte Sebastian einen guten Stand und sicheren Halt, dann hielt er Antaronas Handgelenk so lange fest gepackt, bis sie wieder einen Griff, oder einen Vorsprung fand, der ein Abrutschen auf dem schrägen Boden verhinderte.
Das ging so lange gut, bis Sebastian an einer Stelle, die mit Geröll belegt war, ausrutschte. Antarona fühlte jede Unebenheit des Bodens mit ihren nackten Füßen. Ihre Zehen krallten sich in den Boden und behielten sicheren Stand, während Sebastians Stiefel auf den Steinkörnern ausglitten. Einen so heftigen und unvermittelten Sturz konnte nun auch Antarona nicht mehr abfangen.
Wieder purzelten sie abwärts, schlugen gegeneinander, rutschten streckenweise auf dem Hinterteil, Nantakis Klirren dröhnte in ihren Ohren und der Schmerz ihrer Wunden griff sie erneut an. Diesmal verlor Antarona nicht ihr Schwert und Sebastian behielt die Fackel fest in der Hand.
»Jetzt hab’ ich aber bald die Schnauze voll«, schimpfte er wütend, während er seine frisch verbundene Wunde befühlte.
»Zürnt nicht, Ba - shtie, entzündet besser das Licht des Feuers«, hörte er Antaronas Stimme aus der Dunkelheit. Ratsch, Sebastians Daumen fuhr über das Zündrädchen des Feuerzeugs und prompt glimmte das Flämmchen auf, das schnell die erloschene Fackel zurückeroberte.
Der gelbliche Schein breitete sich aus. Bis auf ein paar neue Schrammen und reichlich Dreck hatten sie nichts weiter abbekommen. Dennoch fühlte sich Sebastian kreuzlahm und auch Antarona war der Stürze müde geworden. Sie richteten ihre Verbände und stellten fest, dass sich ihre Kleidung rapide in Einzelteile auflöste.
Außerdem hatten sie nun völlig die Orientierung verloren. Wie sollten sie auch nachvollziehen, wie viele Meter sie weit und tief gefallen waren? Der Stollen, in dem sie sich gerade befanden war nur mehr eine künstlich angelegte Höhle, herausgebrochener Stein aus dem Berg, auf dem die mächtige Himmelsburg thronte.
Die Stelle, an der sie gestrandet waren, glich einem kleinen Höhlenraum ohne Boden, denn der schräge Tunnel endete an einer bis zur Decke reichenden Halde von Bruchsteinen. Große und kleine Felsstücke lagen übereinander getürmt da, als hätte es einmal einen Einsturz gegeben, der den Stollen verschüttet hatte.
Nun saßen sie endgültig in der Falle! Ein lebensfeindliches, kaltes Verlies aus Felsgestein, auf der einen Seite eine unüberwindliche, steile Schräge, die einer Rutsche gleich in die Höhe führte, auf der anderen Seite von einer Mauer aus herabgestürztem Gestein abgeschottet.
Nach irgend einem Ausweg suchend, leuchtete Sebastian die wild durcheinander liegenden Felsbrocken ab. Er hielt die Fackel in jeden Winkel und hoffte sich damit ihre Umgebung einzuprägen. Die Fackeln mochten noch eine Weile Licht spenden, doch schon bald würden sie verbrannt sein. Dann saßen sie hoffnungslos im Finstern!
»Ba - shtie, was tut ihr da? Das ist sinnlos, spart lieber das Licht!« ermahnte ihn seine Frau. Ohne die Fackel zurückzunehmen drehte er sich kurz um:
»Wozu? Um unsere eigene Beerdigung zu feiern? Um mit hellem Schein glorreich in das Reich der Toten einzuziehen?« Energisch schüttelte er den Kopf.
»Nein, solange wir noch etwas sehen können, suche ich nach einem Ausgang! Es gibt immer einen Weg, man muss ihn nur finden«, versuchte er ihr Mut zu machen. Insgeheim aber glaubte er schon selbst nicht mehr recht daran. Doch es offen zuzugeben, sich tatenlos in eine Ecke zu setzen, hieße endgültig jede Hoffnung zu begraben, wie jener Unglückselige, den sie eine Ebene höher gefunden hatten.
Nein! Sie waren so weit gekommen! Sie hatten mit Torbuks Reitern gekämpft, hatten die Hallen von Talris erkundet und den beschwerlichen Weg über die Berge und durch das Meer überstanden, hatten sich gegen den König behaupten können, zum Teil wenigstens, und waren gegen den königlichen Willen wieder ein Paar! Jetzt aufgeben? Das kam für Sebastian nicht mehr in Frage!
Je mehr er darüber nachdachte, mit welcher Beharrlichkeit sich das Schicksal gegen sie gewendet hatte, desto wütender wurde er, desto mehr Kraft und Willensstärke entwickelte er, ihrer Ausweglosigkeit zu entfliehen, dem Schicksal Paroli zu bieten und in den Hintern zu treten.
Er sah nicht ein, die ganzen Mühen und Strapazen umsonst mitgemacht zu haben. Er wollte etwas zurück erhalten, und gab ihm das Schicksal seinen Lohn nicht freiwillig, so wollte er ihn sich holen!
»Irgendwo muss dieses verfluchte Loch doch einen Ausgang haben«, wetterte er vor sich hin, indem er über den Hang Steinklamotten kroch, hier und dort einen Brocken zur Seite warf, und jede Ritze ausleuchtete. Zähneknirschend vor Zorn, der sich allein gegen sein Schicksal richtete, drehte er sich zu Antarona um, die unschlüssig am Felsen saß.
»Du könntest mir ruhig etwas helfen, als nur dazusitzen und dumme Löcher in die Dunkelheit zu starren!« Er wusste selbst nicht genau, was er damit erreichen wollte. Dass Antarona ebenso wütend wurde, wie er selbst, verzweifelt ihre letzten Kräfte mobilisierte und mit ihm nach einem Ausweg suchte? Oder wollte er sich einfach nur abzureagieren, um ruhiger, analytischer nach einer vernünftigen Lösung suchen zu können.
»Was wollt ihr von Sonnenherz«, fauchte sie ihn mit glühendem Blick an, »die Götter haben diesen Weg für sie gewählt, es ist nicht an ihr, ihn zu ändern!«
»Welchen Weg?« schnauzte Sebastian vorwurfsvoll zurück. »Den Weg in den Tod? Die Götter, die Götter, immer wieder die Götter, ich kann es schon nicht mehr hören! Ist es das, was deine Götter wollen, dich sterben sehen? Dann können die mich mal kreuzweise! Ich nämlich will mit dir leben, Antarona, nicht sterben! Es ist mir egal, was deine Götter im Sinn haben, du jedenfalls wirst hier nicht in das Reich der Toten gehen, nicht, solange noch ein Atemzug in mir ist! Und du wirst mir gefälligst dabei helfen, hier heraus zu kommen!«
»Wie sprecht ihr denn mit Sonnenherz?« giftete sie erbost zurück. »Glaubt ihr, eure Wachsoldaten vor euch zu haben? Sonnenherz befiehlt niemand, was sie tut oder nicht tut, auch ihr nicht, Ba - shtie - laug - nids, Mann mit den Zeichen der Götter!«
»Na, dann lasst ihr es eben«, donnerte Sebastian so laut, dass seine Stimme von den Felsen widerhallte, »dann setzt euch eben in eine Ecke und sterbt, wenn ihr zu schwach seid, meinetwegen auch für eure Götter! Na, die freuen sich jetzt schon!«
Das saß! Zunächst stand Antarona wie vom Donner gerührt da, stumm, mit offenem Mund. Anscheinend musste sie erst einmal bereifen, was Sebastian ihr da gerade geboten hatte. Dann bekamen ihre Augen das gefährliche Leuchten, bei dem Basti zu anderer Zeit besser in Deckung gegangen wäre. Doch zu dieser Stunde war er froh, diese Funken in ihren Augen zu sehen. Endlich hatte er sie so weit!
Wie ein Blitz erwachte sie plötzlich zum Leben, schoss wie eine Raubkatze die Felsen hinauf und riss Sebastian am Arm zu sich herum, das er fast die Fackel fallen gelassen hätte.
»Ihr, Herr von den Göttern, was erlaubt ihr euch?« schrie sie ihn an und erstickte fast an ihrer sich überschlagenden Stimme.
»Ihr glaubt, Sonnenherz sei schwach, ja? Ihr meint, sie kann nicht mehr kämpfen, sie hat aufgegeben, ja, glaubt ihr das? Sie wird euch zeigen, wie sie noch kämpfen kann!«
Damit packten ihre zierlichen Hände den nächsten Felsbrocken von der Größe eines Fußballs und schleuderte ihn mit Wucht nach hinten fort, dass es nur so polterte. Ihre Füße krallten sich an den Steinen fest, wie die Klauen eines Adlers, sie riss den nächsten Fels hoch und wieder flog ein Geschoss durch den Stollen. Krachend schlug er irgendwo gegen die Wand und knallte zu Boden.
Wie eine Wahnsinnige begann sie Brocken für Brocken, Stein für Stein von der Halde zu räumen und zur Seite zu schleudern. Nantakis rutschte ihr von der Schulter, schlug gegen ihren Oberschenkel, doch sie ignorierte es. Unbeirrt ergriff sie einen Felsen nach dem anderen und Sebastian fragte sich, woher das Krähenmädchen noch diese Kräfte nahm.
Sebastian trat hinzu und er musste sich ducken, um nicht noch einen der Steinbrocken an den Kopf zu bekommen.
»Jetzt beruhige dich mal wieder, so war es doch gar nicht gemeint«, versuchte er zu beschwichtigen. Antarona hielt innen und starrte ihn an, als wäre er ein Fremder, der gerade erst aufgetaucht war. Er hatte das Gefühl, als blickte sie durch ihn hindurch.
Tatsächlich sah sie an ihm vorbei. Ihre Augen weiteten sich zu einem Staunen und Sebastian wandte sich erschrocken um. Er brauchte einen Augenblick, um zu begreifen. Dann fiel seine Aufmerksamkeit auf die Fackel in seiner Hand, die er immer noch auf die Halde losgebrochener Felsstücke hielt.
Die Flammen gebärdeten sich plötzlich wie wild, tanzten auf und ab, wirbelten herum und leckten nach den grauen Steinen hin, als wollten sie den Berg verbrennen. Die Steine schienen das Feuer regelrecht aufsaugen zu wollen. Ein kräftiger Luftzug, der aus der Höhle hinaus zog, hatte die Flammen erfasst.
Dort war der Ausgang! Antarona hatte in ihrer wilden Reaktion des Trotzes einen Windkanal freigelegt, der ihnen den Weg in die Freiheit wies. Das Problem waren einige Tonnen Felsgestein, ein riesiger Haufen Steinbrocken, der jederzeit in Bewegung geraten und sie beide unter sich begraben konnte.
»Donnerwetter«, brach es aus Sebastian hervor, »du hast wirklich die Gabe, das Schicksal zu bewegen, wenn du willst! Jetzt müssen wir nur noch den halben Berg aus dem Weg räumen, dann können wir zum Abendessen gehen.«
Fragend sah ihn seine Frau an. Seinen Sarkasmus konnte sie nicht verstehen. Die Ival dachten nicht um zwei Ecken herum. So etwas wie Selbstironie kannten sie nicht. Sie waren einfach, gradlinig, eben Naturkinder. Zwar auch mit den schwachen Eigenschaften der Menschlichkeit behaftet, aber eben einfach.
»Wir müssen den ganzen Haufen Steine hier abtragen, ohne Wasser, ohne etwas zu Essen, und bald wohl auch ohne Licht, bevor wir hier heraus kommen«, versuchte er ihr zu erklären. Antarona hob gleichmütig die Schultern an.
»Dann lasst uns nicht mehr reden, Ba - shtie, lasst uns beginnen!« Ohne zu zögern packte sie den nächsten, obenauf liegenden Stein und warf ihn hinter sich. Sebastian schüttelte lächelnd den Kopf.
Wenn sie glaubte, die Götter hätten ihr Schicksal besiegelt, dann gab sie einfach kampflos auf, setzte sich still in eine Ecke und wartete auf das Reich der Toten. Doch wenn sie einen winzigen Hoffnungsschimmer leuchten sah, vermochte sie wahrhaft Berge zu versetzen. Eine erstaunliche Frau!
Gemeinsam begannen sie nun damit, Stein um Stein die Verschüttung abzutragen. Ein lächerliches Unterfangen, musste sich Sebastian eingestehen. Doch immer noch besser, als einfach aufzugeben! Zwei Ameisen die versuchten, einen Kiesberg umzugraben, wobei Ameisen das Vielfache ihres Eigengewichts tragen konnten.
An die Stelle anfänglicher Hoffnung trat bald müde Ernüchterung. Hinter jedem Steinbrocken, den sie unter der Höhlendecke entfernten, tauchte ein neuer auf, und noch einer und wieder neue. Sebastians Körper schmerzte in jeder Bewegung, mit der er die Steine seitlich hinab warf. Und sie mussten weit werfen, denn es nützte wenig, die Steine hinter sich wieder aufzuhäufen.
Stundenlang schufteten sie ohne Erfolg. Immer wieder rutschten einige große Brocken nach und sie mussten schnell ihre Hände wegziehen. Jedes Mal spähten sie voll Hoffnung in das entstandene Loch und jedes Mal sahen sie wieder nur grauen Fels.
Unermüdlich setzten sie ihre Arbeit fort. Antaronas Hände begannen zu bluten und Sebastian verband sie mit den Resten seiner Hemdärmel. Doch sie gab nicht auf. Mit dem Stoff an den Händen grub sie noch verbissener und Sebastian bekam das Gefühl, sie wollte den ganzen Berg herausfordern.
Einmal geriet der ganze Hang ins Rutschen. Sebastian focht einen schmerzhaften Kampf mit rollenden Felsen, während Antarona die Geistesgegenwart besaß, den in Bewegung geratenen Blöcken mit flinken Füßen, fast tänzerisch auszuweichen, Ihre Schnelligkeit und Wendigkeit rettete ihr wahrscheinlich die Beine, die sonst wohl zerquetscht worden wären.
Nachdem der Berg sich wieder beruhigt hatte, erklommen sie erneut den Haufen und hielten die Fackel in die oben entstandene Lücke. Nichts, nur Stein über Stein. Enttäuscht und todmüde setzten sie sich hin und Sebastian nahm den zitternden, fast unbekleideten Leib seiner Krähenfrau in die Arme. Sie fror und war erschöpft. Die Anstrengungen der letzten Stunden zollten ihr Tribut.
Wie gern hätte er ihr ein Hemd, oder eine Jacke um die nackten Schultern gelegt. Doch er trug selbst nicht mehr einen heilen Fetzen am Körper. Beschützend zog er die kleine, schmutzige Frau an sich. Geborgenheitsgefühl und Liebe mussten einmal mehr ausreichen, um warm zu werden!
Antarona kuschelte sich an ihn und nahm die Pause dankbar an. Jeder Zentimeter, den sich ihre Körper berührten, gab ein wenig Wärme, Trost und Zuversicht. Sebastian strich mit der Hand über ihr Haar, drückte behütend ihren Kopf an seine Schulter und sagte aufmunternd:
»Nur ein paar Augenblicke, lass uns träumen von dem, was Schönes vor uns liegt! Ich habe darüber nachgedacht, was für ein Haus ich uns bauen werde. Es wird so sein, wie das Haus deines Vaters, mit Ställen und Gattern dahinter, auf grüner Weide, vielleicht ein kleiner See. Da wird es sich gut leben lassen, du wirst sehen. Wir werden Vieh züchten, jagen und du wirst einen eigenen Kräutergarten bekommen, der im Sommer duftet, wie...«
Antarona atmete ruhig und regelmäßig, hielt seinen Körper umklammert, wie eine Ertrinkende einen Baumstamm, und rührte sich nicht mehr. Sie war eingeschlafen. Wahrscheinlich träumte sie von Kindern, die friedlich auf einer Wiese spielten, ohne Angst haben zu müssen, dass ihre Mutter von schwarzen Soldaten belästigt, oder gar getötet wurde, von Kindern, die in Frieden aufwachsen konnten.
Das und noch Vieles mehr wollte er seiner Frau geben. Aber der Weg dorthin war so unendlich weit, schien so unerreichbar zu sein. Zweifelnd dachte er darüber nach, dass sein Ziel vor Augen mehr ein romantisches, als ein realistisches war.
Jahrelang lebte er in einer sicheren, geordneten Welt, in der dieses Ziel unerreichbar schien, weil er zu bequem und nicht imstande war, aus dem behüteten Rahmen der Zivilisation auszubrechen. Nun war er, wie auch immer, aus diesem Zwang heraus, doch seinem Ziel nicht einen Schritt näher gekommen.
Eine hemmende Zivilisation mit Gesetzen, Vorschriften und überbevölkerten Lebensräumen gab es in Antaronas Welt nicht. Hier konnte man sich ein ganzes Tal nehmen, nach eigener Vorstellung und ohne Beschränkungen arbeiten und leben.
Doch die Sicherheit und Ordnung, die in seiner Zivilisation herrschte, gab es dafür nicht. Sein Recht und seine Familie musste man im Val Mentiér und vielleicht bald auch in Falméra ständig mit der Waffe in der Hand verteidigen und beschützen! Es gab eben keine Freiheit ohne Einschränkungen, in dieser, wie in der anderen Welt!
Dennoch wollte er sein Ziel nicht aufgeben. Den Traum von einem Leben in Antaronas Welt, denn es war ihr Traum! Er wollte sie glücklich machen, doch das war sie nur im Val Mentiér! Dort, in den grünen Tälern, eingerahmt von himmelhohen, schützenden Bergen, wollte er ihr und sich ein Zuhause schenken. Ein Haus, eine Blumenwiese, weite Wälder und ihr kleiner Sohn, der in der Geborgenheit der Natur aufwuchs.
Sebastian löschte die Fackel, schloss die Augen und sah alles ganz deutlich vor sich. Ein liebevoll gezimmertes Holzhaus mit einem Zaun aus Götterfiguren, hinter dem duftende Kräuter und Blumen gediehen. Er sah Antarona in ihrem Lederschurz in den Beeten knien, einen Babykorb an ihrer Seite. Sie sang ein liebliches Lied, das nicht nur den kleinen Ba - shtie beruhigte.
Die ganze Welt schien von ihrem Gesang bezaubert und hielt in einem sonnigen Moment den Atem an. In den Stallungen neben dem Haus grasten friedlich ein paar Pferde und Rona und Reno versuchten im Spiel Tekla und Tonka in der Luft zu erhaschen.
Die hohen Gletscher blinkten in der Sonne vibrierend, sandten glitzernde Bäche durch tiefe, weite Wälder bis zu ihnen hinab, wo das klare, frische Wasser aus einer hölzernen Leitung sprang, die er für sein Heim gezimmert hatte. Große, überdachte Holzpavillons standen am Rande des Waldes. Sie würden ihnen Wärme spenden, in den eisigen Nächten des langen Schnees, wenn sie sich unter dicken Fellen liebten und er ihr ein weiteres, neues Herz unter dem ihren schenkte.
Ein milder Bergsommer, Blütenstaub flog durch die Luft wie betörender Nebel, Düfte schwängerten das grüne Land zwischen den Felswänden und Hunderte von Vogelstimmen versuchten das ruhige Plätschern der Bäche zu übertrumpfen. Scharen von Insekten untermalten das Konzert mit dem Bass ihres Summens. Eine leuchtende, bunte Welt. Eine friedliche, glückliche Welt, sorgenfrei und ruhig.
»Es ist zu ruhig«, verkündete Antarona plötzlich, indem sie aus ihrem Kräuterbeet aufstand und Nantakis zur Hand nahm, das neben dem Kinderkorb lag.
»Antarona sieht eine Stille, welche nicht natürlich ist«, hörte Sebastian sie sagen und gleichzeitig stellte sie sich mit erhobenem Schwert schützend vor das Körbchen, in dem ihr Kind friedlich schlummerte. Im nächsten Augenblick schwirrte ein Pfeil heran und durchschlug Sebastians Wadenbein. Er spürte anfänglich nur ein Stechen, wie das einer Pferdebremse. Dann erblickte er den gefiederten Schaft, der aus seiner Wade ragte. Gleichzeitig kam der Schmerz und er schrie auf.
Erschrocken fuhr Sebastian hoch. Etwas strich an seinem Bein vorbei. Schwarze Nacht umgab ihn. Aus der Finsternis hörte er Antaronas Stimme:
»Ba - shtie, was habt ihr? Zündet die Fackel an!« Langsam sickerte die Erinnerung in sein Gehirn zurück und er wusste wieder, wo er war und dass er nur geträumt hatte. Doch der Schmerz blieb! Hatte sich eine der vielen Verletzungen entzündet, die er sich bei den Stürzen zugezogen hatte?
Umständlich kramte er in seiner Hosentasche nach dem Feuerzeug. Himmel, lass es nicht durch ein Loch in der Tasche gerutscht und verloren gegangen sein, dachte er. Endlich hielt er das begehrte Instrument seiner Zivilisation zwischen den Fingern. Gleichzeitig tastete er nach der Fackel.
Ein Funke, ein Flämmchen, dann fraß sich das Feuer um den Kopf der Fackel. Ein Lichtkegel dehnte sich aus und entsetzt blickten Antarona und er von der Steinhalde herab auf den Stollengrund zu ihren Füßen. Sebastian glaubte seinen Augen nicht zu trauen. Dort unten tummelten sich zehn bis zwanzig Darwicks, die sie nun ebenso überrascht, wie ihre Entdecker anstarrten.
Gleichzeitig gewahrte Sebastian eine kleine, frische Wunde an seiner Wade. Doch es steckte kein Pfeil darin! Entgeistert stierte er auf das kleine Blutrinnsal, dass an seinem Fußgelenk hinunter lief und schrie empört mit überschlagener Stimme:
»Das glaubt man doch nicht! Die Mistviecher haben mich angefressen! Antarona, siehst du das? Die haben mich tatsächlich angenagt, einfach an mir rumgefressen!« Ohne eine Reaktion seiner Frau abzuwarten, sprang er auf, rutschte auf einem Stein aus und landete schmerzhaft wieder auf dem Hintern.
Der Bann stummer Blicke war gebrochen. Wie auf Kommando stoben die Tiere gleichzeitig auseinander, flitzten hierhin und dorthin, versuchten ihre Schlupflöcher wieder zu finden und sprangen quiekend und in heilloser Angst vor dem brüllenden, leuchtenden Ungeheuer durcheinander.
In Sebastians Augen spiegelte sich nicht weniger panische Angst vor den frechen Nagern. Er sprang erneut auf, fand irgendwie Halt und griff nach den ersten Steinen, die er zu fassen bekam.
»Wartet, ihr heimtückischen Drecksviecher«, schnauzte er außer sich vor Zorn, »euch werde ich heimleuchten, da, nehmt das, und das!« Die Steine bombardierten die Stellen, an denen eben noch Darwicks saßen. Doch die kleinen nagenden Ungeheuer waren einfach viel zu schnell für den Mann von den Göttern! Die Geschosse knallten nur gegeneinander und kollerten wirkungslos zwischen umher springenden Darwicks herum.
Sebastian aber schleuderte weiter Hass und Steine, solange sich auf dem Stollenboden noch etwas bewegte.
»Euch mache ich alle platt, ihr linken Bazillen«, schimpfte er, »sich an schlafenden Menschen zu vergreifen, euch will ich helfen, ihr werdet euch noch wundern, euch mache ich...«
»Ba - shtie, Baaa - shtieee, hört auf, so werdet ihr sie niemals erwischen!« Antarona musste schreien, um sich Gehör zu verschaffen, einen solchen Lärm machte er.
»Lasst sie, sie können nichts dafür, sie haben doch mehr Angst vor euch, als ihr vor ihnen!« versuchte sie ihn zu beschwichtigen. Völlig außer Atem hielt Sebastian inne und sah zu, wie sich die Nachzügler der flinken Brut in winzige Löcher zwischen den Steinblöcken flüchteten.
»Nun sieh dir das an«, forderte er Antarona vorwurfsvoll auf, »ein ganzes Stück Fleisch einfach rausgebissen, siehst du das?« Seine Hände klammerten sich um die kleine Wunde und pressten noch ein wenig Blut heraus. In der gleichen Sekunde nahm er aus den Augenwinkeln eine flüchtige Bewegung wahr.
Ein kleiner Darwick huschte über die Steine die Halde hinauf. Geistesgegenwärtig schnappte Sebastian nach der Fackel und schlug mit den Flammen nach dem Nagetier. Doch das einzige, was er damit erreichte, war augenblickliche Finsternis. Er hatte allzu heftig zugeschlagen. Die Fackel war verloschen und sie standen wieder im Dunkeln. Aber nicht ganz! Dort, in der Richtung, in die der Nager flüchtete, war etwas Helles.
Ein winziger Schimmer, ein Hauch von Licht drang durch irgend einen Ritz im Steinhaufen. Solange die Fackel brannte, konnten sie es nicht sehen, doch in absoluter Dunkelheit war es deutlich zu erkennen. Dort war Licht. Tageslicht!
Mit einem hallenden Schnippen ließ Sebastian das Feuerzeug aufleuchten. Das Freiheit verkündende Licht war verschwunden. Er prägte sich die Lage der Felsen ein und ließ den Daumen los. Antaronas flinke Füße huschten über die Steinbrocken und er folgte ihr.
Mit vereinten, etwas ausgeruhten Kräften räumten sie die Steine fort, die das Licht optisch einschlossen. Der Spalt wurde größer und Sonnenlicht flutete herein, erhellte zunächst die benachbarten Felsen. Sie entfernten Stein um Stein und mit jedem Zentimeter Freiraum brach die Sonne durch, wie Wasser durch einen gebrochenen Damm.
Bald hatten sie die Öffnung so weit vergrößert, dass sie ohne Mühe hindurchkriechen konnten. Einige Steine, die noch störten, schubste Sebastian einfach vor sich her, bis sie auf der anderen Seite hinabkollerten. Sechs oder sieben Meter mussten sie auf dem Blockgeröll kriechen, bis sie auf der anderen Seite einen Stollen erreichten, in dem sie aufrecht stehen konnten.
Der Gang endete in einer von Sonnenstrahlen erleuchteten Höhlenöffnung. Ein ohrenbetäubendes Rauschen durchdrang nach den vielen Stunden der Stille ihre Sinne. Vielfach hallte es an den bizarr ausgebrochenen Wänden wider.
Ein paar Meter, dann standen sie im wärmenden Sonnenlicht. Die Morgensonne stand über den Bergen und über ihnen türmten sich mächtige Felsen zu einer wahren Bastion auf. Zu ihren Füßen fiel der kleine Platz vor der Höhle senkrecht ab und fußte in einem wilden, schnell dahinbrausenden Fluss.
»Die Sonne beginnt gerade ihren Lauf«, stellte Sebastian erstaunt fest, »waren wir wirklich so lange da drinnen?« Dann sah er sich neugierig um. Wo waren sie gelandet? Über ihnen, sowie links und rechts eine mächtige, unbezwingbare, glatte Felswand, unter ihnen ein Wildwasser, dass ihre Körper zerschmettern würde, fielen sie hinein.
So weit es möglich war trat Sebastian an den Rand des Abgrunds, um in die Felsen hinauf zu spähen. Weit oben, unerreichbar, erblickte er so etwas, wie eine Mauerkrone und plötzlich fiel es ihm wie Schuppen von den Augen. Sie befanden sich in den steilen Felsen unter der Himmelsburg, jenen Felsen, die Angreifern in jedem Fall zum Verhängnis werden mussten.
Er blickte zurück. Natürlich! Sie waren aus einem Stollenloch heraus gekommen, das man beim Bau der Kerker und Schatzkammern der Burg angelegt hatte, um den Schutt bequem in den Fluss kippen zu können! Sie befanden sich unter der Ostseite der Burganlage, vermutlich dort, wo sich hoch über ihnen ihr Speisesalon befand.
»Na toll«, bemerkte Sebastian sarkastisch, »jetzt haben wir unsere Freiheit wieder und sitzen auf diesem Krähennest fest!« Forschend sah er Antarona an, die ihren verführerischen Körper streckte und sichtlich die Sonne genoss. Um die eigene Achse drehend, ließ sie sich von den wärmenden Strahlen umschmeicheln.
»Kannst du besser Klettern, oder schwimmen?« Es war eine ziemlich dumme Frage, die er ihr stellte, denn sie hatte bereits bewiesen, dass sie beides um Längen besser beherrschte, als er.
»Gehen wir hinab, Ba - shtie«, schlug sie vor. Sebastian beugte sich über den Abgrund und suchte die Felswand nach möglichen Griffen und Tritten ab.
»Nichts! Glatt, wie ein Kinderpopo«, war sein nüchterner Kommentar. Und tatsächlich erinnerte ihn die Felswand, die wohl vom herabgestürzten Schutt begradigt wurde, an die Nordwand des Grandes Jorasses im Mont Blanc Gebiet. Dort hatte er sich in jungen Jahren ebenfalls die Zähne ausgebissen! Sebastian deutete mit beiden Händen in die Tiefe und auf das schäumende Wasser.
»Wie willst du da runterkommen, ohne Seil, ohne Haken und ohne Kletterschuhe?« fragte er vorwurfsvoll und sah seine Frau an, die nur noch zusammengeknotete fetzen auf dem Leib trug.
»Und wenn du unten bist, was dann? Willst du da reinspringen? Spätestens am Zusammenfluss der beiden Burggräben zerschlägt dich die Strömung an den Felsen!«
»Wollt ihr wieder durch den Berg gehen, Ba - shtie?« Ihre Frage klang herausfordernd und er hatte nichts entgegen zu setzen. Sie war nun am Zug und Sebastian wusste, dass allein Antarona in der Lage war, ohne Hilfsmittel ein solches Hindernis zu überwinden. Er hatte ihr den ganzen Weg nach Falméra vertraut, wieso konnte er es jetzt nicht?
Möglicherweise, gestand er sich ein, war es sein Bergsteiger- Stolz, der sich nicht so recht damit abfinden mochte, von einer zierlichen, schwangeren Frau aus einer Felswand geführt zu werden.
Er, der große Bergsteiger Sebastian Lauknitz, der keine Alpenwand und keinen Grat gefürchtet hatte, dem keine Eiswand zu steil und kein Gletscher zu zerrissen gewesen war, musste sich von einem halbnackten Krähenmädchen aus Bergnot befreien lassen! Wenn das in seiner Sektion des Schweizer Alpenclub bekannt wurde, hatte er die Bewunderer gewiss nicht mehr auf seiner Seite!
Antarona zögerte nicht lange. Sie schob sich Nantakis auf den Rücken und sah in die Felswand hinaus. Dann drehte sie sich zu Sebastian um und deutete nach rechts, wo die Wand etwas schroffer wurde.
»Wir gehen dort diesen Riss hinunter und weiter über jene Steine, die wie Finger sind. Dort vermag sich ein Fuß oder eine Hand zu halten. Und dort«, sie wies auf einen kleinen, steilen Geröllhang, der an einer Felskante direkt über dem Fluss endete, »werden wir in das Wasser rutschen...«
»...und schwimmen einfach mal eben so ans andere Ufer, was?« beendete er ihren Satz ironisch. Antarona nickte ernst.
»Ja, Ba - shtie«, bestätigte sie nüchtern, »nur kräftig schwimmen und schnell, das Wasser bringt uns an die Biegung, wo das Ufer nicht mit Steinen ist!«
»Na dann mal los«, unkte Sebastian, der auch keinen anderen Ausweg sah, »wir werden sowieso tot sein, bevor wir am Wasser ankommen, hörst du? Matsch werden wir sein, Futter für deine schwarz gefiederten Freundinnen!«
Aber Antarona hörte gar nicht hin. Statt dessen hangelte sie sich in die Felsen und Sebastian staunte, mit welcher Biegsamkeit sie ihre Zehen in kleine Ritzen und um winzige Vorsprünge krallte. Dabei schmiegte sie sich so eng an den Fels, dass es so aussah, als hafte sie mit ihrem nackten Bauch daran.
Mit entsprechender Kletterausrüstung ginge das freilich nicht so einfach. Seine Frau hatte Free- Climbing sicher nicht erfunden, doch auch die besten in dieser Sportart konnten wohl noch von ihr lernen!
Unschlüssig stand Sebastian am Rande des Höhleneingangs und versuchte sich die Punkte einzuprägen, an denen Antarona halt fand.
»Was ist, Ba - shtie, kommt endlich, zieht eure Beinkleider aus und kommt!« Sebastian hasste es gedrängt zu werden und sah zögernd auf seine Stiefel.
»Ihr müsst sie ausziehen, Ba - shtie, ihr könnt damit nicht klettern!« ermahnte sie ihn, inzwischen deutlich fordernder. Innerlich fluchend schnürte er die Lederbänder auf und fuhr mit den Füßen aus der schützenden Hülle. Ordentlich stellte er seine Beinkleider in eine Nische des Stolleneingangs. Dabei hatte er weniger deren Schutz im Sinn, als mehr die Chance, etwas Zeit zu gewinnen.
Auf solch ein gewagtes Unternehmen musste man sich schließlich vorbereiten! Mit nackten Fußsohlen stakste er zum Einstieg. Schon während dieser paar Meter hatte er das Gefühl, die spitzen Steine durchbohrten seine Füße. Wie sollte das erst im Fels werden?
Antarona beobachtete seine ersten Gehversuche ohne Schuhe und kommentierte etwas belustigt seinen Storchengang:
»Ba - shtie, so werdet ihr nicht weit kommen! Versucht den Stein mit jedem Zeh, mit jedem Glied eures Fußes zu fühlen und passt euch der Form an. Seht, wie Sonnenherz es macht!« Er sah es, und er staunte! Sie hing am glatten Fels, wie ein Spinne. Als hätte sie Saugnäpfe unter den Füßen, so sicher klebte sie am rauen Stein.
Mutig versuchte er es ebenfalls und wagte sich drei Meter in die Wand hinaus. Einen Vorteil vor seiner bisherigen Art zu klettern spürte er sofort. Kein Gepäck, keine Schlosserei und kein Seil behinderte ihn. Kein Gewicht zog ihn nach hinten, solange er versuchte, mit dem ganzen Körper Kontakt zum Stein zu halten.
Was hatte er doch früher für einen Aufwand betrieben und was für ein Gewicht hatten sie mitgeschleppt, um nicht abzustürzen! Gewicht, das eigentlich potentielle Gefahr bedeutete! Seine ketzerischen Gedanken gingen sogar so weit, dass er daran dachte, Antarona könnte in seiner Welt die Bergsteigerei von Grund auf revolutionieren.
Lächelnd stellte er sich vor, wie seine Frau der Männerwelt in den alpinen Vereinen Unterricht erteilte. Sie würde auf ein starrsinniges Ego treffen und schlicht daran verzweifeln! Plötzlich flogen dunkle Schatten an Sebastian vorbei und rissen ihn aus seinen Gedanken. Verflucht, konzentrieren! Steinschlag!
Doch es war kein Steinschlag. Die Schatten sausten an ihm vorüber, flogen dann wieder aufwärts und segelten an der Wand entlang. Steine vermochten das nicht, jedenfalls in Bastis Welt. Antarona jauchzte freudig auf, als sie Tekla und Tonka heransegeln sah.
Einer der Vögel setzte sich auf ein breites Sims weit oberhalb, der andere ließ sich mit einem zufriedenen Kroooh, Kroooh auf Antaronas Schulter nieder. Sebastian betete, dass sie sich davon nicht ablenken ließ und in die Tiefe stürzte. Er hielt den Atem an. Wenn sie nur einen falschen griff tat, würden ihr die beiden Vögel auch nicht mehr helfen können!
Es schien, als würde sie sich mit dem Krähenvogel unterhalten und plötzlich, so unverhofft die beiden schwarz Gefiederten aufgetaucht waren, schwebten sie im Aufwind wieder davon.
»Ba - shtie, geht zurück, dies ist der falsche Weg!« rief Antarona zu ihm herüber und machte sich daran, wieder aus der Wand zu steigen. Das brauchte sie ihm nicht zweimal zu sagen. Erleichtert setzte er seinen Fuß auf festen Boden und war froh, als seine Frau endlich neben ihm stand.
»Dort entlang führt der Weg hinab«, verkündete sie wie beiläufig und zeigte auf die andere Seite des Höhleneingangs. Sebastian warf einen Blick hinüber und schüttelte mit dem Kopf. Er sah nur eine vorspringende Kante, beinahe schon ein kleiner Grat, und dahinter glatten Fels.
»Aber da ist gar nichts, nicht mal ein Griff, oder Tritt, nichts, wo man sich festbeißen könnte!« stellte er augenscheinlich fest. Antarona jedoch stellte sich vor die Kante, als wollte sie auf ihr zum Himmel reiten, schwang ein Bein darum, zog das andere nach und war außer Sicht.
Skeptisch folgte ihr Sebastian und stellte verwundert fest, dass sie auf einem kleinen, Halbmeter breiten Podest stand, von dem aus ein breites Band, schon mehr ein kleiner Pfad schräg hinauf führte. Von unten war dieser Weg nicht zu sehen, er ging optisch im einheitlichen Grau des Felsgesteins unter.
Wie in die graue Flucht gemeißelt wand sich der Steg um jeden Vorsprung, in jede Einbuchtung, durch jede Rinne. Je mehr er anstieg, desto breiter wurde er. Schließlich hatten sie genug Platz, um bequem darauf zu gehen. Wie auf einem Wildpfad ging es hinauf und hinab, mal bequem, dann wieder etwas schmaler, hier und dort war das Band von Steinschlag unterbrochen worden.
Doch stets waren sie der schwindelnden Tiefe ausgesetzt. Ein Stolpern oder Wegrutschen musste unweigerlich den Tod bedeuten. Ob dieser Pfad natürlichen Ursprungs war, oder von jemandem angelegt wurde, konnte Sebastian nicht sagen. Vermutlich beides.
Sebastian Lauknitz war in vielen Alpenwänden unterwegs gewesen. Meist auf den bekannten und dokumentierten Routen der Führerliteratur. Finsteraarhorn, Bietschhorn Südwand, die Schreckhörner, tollkühn sogar einmal die Eigernordwand bis zum ersten Pfeiler. Doch so genarrt, wie an der Himmelsburg Ostwand hatte er sich selten gefühlt!
Aber selbst ein Kind der Wildnis, wie Antarona hatte sich hier in die Irre führen lassen. Offenbar war es nur ihren Krähen zu verdanken, dass sie sich letztlich nicht hoffnungslos verstiegen hatten.
»Und du willst deinen Weg mit den Sinne finden«, unkte Sebastian, als er seine Frau endlich eingeholt hatte.
»Schön hätten wir ausgesehen, so Mutterseelen allein in der glatten Wand, ohne Halt, wenn es nicht mehr vor und zurück gegangen wäre! Kannst deinen Krähen einen schönen Dank von mir sagen, wenn ihr das nächste Mal miteinander plauscht.«
»Ba - shtie, ihr selbst könnt es ihnen sagen«, belehrte sie ihn, »sehr sie mit den Sinnen an und denkt es einfach, sie werden es verstehen. Versucht es einfach! Ihr müsst eure Sinne nur frei machen von dem, was euch Last ist und sie nur spüren, dann geht es von allein! Ihr müsst nur...«
»...den unsichtbaren Draht zu ihnen finden«, nahm er laut ihren Gedanken auf. Antarona sah ihn forschend mit zusammengekniffenen Augen an.
»Sie fühlen, mit anderen Worten, eins werden mit ihnen, ich weiß schon!« Er hatte nicht daran gedacht, dass Antarona mit dem Begriff Draht nicht viel anzufangen wusste. Wenn er sich auch bemühte, sich ihrer Welt und deren Sprache anzupassen, so gab er doch ein ums andere Mal unbewusst der Oberflächlichkeit nach, sich des selbstverständlichen Wortschatzes seiner gebildeten Zivilisation zu bedienen.
Es würde noch sehr lange dauern, bis sie einen gemeinsamen Weg zwischen ihren Welten fanden! Nur in einem Bereich gab es offensichtlich keinen Unterschied. Im Gefühl der Liebe! Sie war überall gegenwärtig und nicht abhängig von Sprache, Kultur oder Glaube. Mochten anerzogene Gebräuche oder Sitten auch Hindernisse darstellen, die oft nicht überwunden werden konnten, das Gefühl jedoch, der unsichtbare Draht des zueinander hingezogen Fühlens war eine eigene, unzerstörbare Kraft! Vielleicht war es eine ähnliche kraft, die Antaronas Sinne mit ihren Krähen verband?
Sebastian versuchte sich wieder auf den Weg zu konzentrieren. Der wurde zur Abwechslung mal wieder schmaler und ausgesetzter. Die Wand wurde irre steil und die Mauer eines Eckpfeilers der Himmelsburg war an dieser Stelle weit nach unten gezogen, ging fast fließend in den grauen Stein über.
Nachdem die Stelle überwunden war, fanden sie sich auf einem zwei Meter breiten, von Menschenhand ausgebauten Pfad wieder, der sie in Kehren und Windungen tiefer führte. Gut hundert Meter vom Stollenloch entfernt, wurde der Weg noch einmal schmaler und rauer und endete abrupt auf einer vom Wildwasser überspülten, kleinen Felsplatte.
Sie standen am Ufer des Flusses, der vom gigantischen Wasserfall gespeist, der Himmelsburg einen natürlichen Schutzgraben bot. Nur, dass sie von diesen schäumend dahinschießenden Fluten ebenfalls eingesperrt wurden!
Weder links noch rechts führte ein Pfad weiter. Sie mussten schwimmen, wenn das bei der kräftigen Flut überhaupt möglich war. Wer aber hatte diesen Pfad angelegt, wenn er doch im tosenden Wasser endete?
Zunächst standen sie auf der Felsplatte und es war eine Wohltat, die zerschundenen Füße vom Wasser umspülen zu lassen. Aber sie standen auch auf dem Präsentierteller. Jeder, der drüben, am anderen Ufer im Wald unterwegs war, musste sie sehen können, wenn er nicht völlig blind war. Aber wahrscheinlich richtete sich ein mögliches Augenmerk eher auf die mächtige Burg über ihnen.
Dennoch mussten sie weiter! Sebastian schätzte die Entfernung zur Biegung des gegenüberliegenden Ufers. Siebzig, vielleicht achtzig Meter. Danach wurde die Uferböschung so steil, dass sie kaum an Land gelangen konnten und an der nächsten Biegung würde sie das Wasser an den vorspringenden Felsen zerschmettern!
Ihre einzige Chance bestand darin, trotz der starken Strömung, in diesen achtzig Metern das andere Ufer zu erreichen. Sie mussten kräftig schräg gegen die wilden Wasser anschwimmen, den Rest würde die Natur besorgen! Wenn sie mit einem großen Satz in den Fluss sprangen, hatten sie schon mal zwei Meter gewonnen, schätzte er.
Antarona schien ähnliche Überlegungen anzustellen, denn sie musterte still die gegenüber liegende Seite. Dann strich sie sich die langen Haare hinter die Ohren, rückte Nantakis auf ihrem Rücken zurecht und sah ihren Mann mit den Zeichen der Götter durchdringend an.
»Springt hinein, so weit ihr könnt, das Wasser wird euch bis nahe ans Ufer tragen. Dort, wo ihr die Wurzeln der Bäume seht, haltet euch fest!« schrie sie gegen das tosende Wasser an. Basti bestätigte mit einem deutlichen Nicken.
Tatsächlich ragten lange Baumwurzeln aus der ausgespülten Uferböschung weit herab, an einigen Stellen bis ins Wasser hinein. Darunter lagen einen Meter breit von der Strömung rund geschliffene Steine bis zu der Größe, die von der Kraft des Wassers nicht mehr bewegt werden konnten. Wenn sie bis da hin gelangten und sich auf dem schmalen Streifen halten konnten, war es überstanden!
Bevor Sebastian noch etwas sagen konnte, ging Antarona etwas in die Knie und stieß sich von der Felsplatte ab. Sofort wurde sie von der Gewalt des Wassers erfasst und davon getrieben. Sie musste nicht einmal große Anstrengungen unternehmen, oder gar schwimmen. Die Strömung beförderte sie von ganz allein bis kurz vor die bezeichnete Stelle.
Drüben krallte sie sich in den Ufergrund und hangelte sich bis zu den Baumwurzeln hin, die guten Halt boten. Sebastian wartete, bis sie auf den Steinen hockte, dann nahm er einen Schritt Anlauf und folgte ihr. Die Strömung riss ihn augenblicklich von den Beinen. Schwimmen war erst gar nicht möglich. Dennoch wurde er zielgenau auf die Biegung des Flusses zugetrieben, seine Hände grabschten nach den Wurzeln und Sekunden später zog er sich neben Antarona ans Ufer.
Klatschnass, aber wieder einigermaßen vom Dreck des Stollens befreit, saßen sie im Schatten der Böschung und sahen auf die andere Seite hinüber, die sie soeben verlassen hatten. Eine regelrechte Bergwand wuchtete aus dem Umflutgraben auf, verlor sich in Rinnen, Pfeilern und Platten, bis weit oben die Mauern der Befestigungsanlagen der Burg aus dem Fels wuchsen.
Die ragten glatt und abweisend noch einmal viele Meter senkrecht in die Höhe. Etwas versetzt dahinter wuchteten die Fassaden, Erker und Türme der Burg auf. Von der Morgensonne festlich beleuchtet, wirkte die ganze Anlage wie ein einziges, kompaktes und monströses Gebilde, das sich mit futuristischer Eleganz in den Himmel schob.
Allein schon der Anblick der steilen Mauern aus dieser Perspektive musste möglichen Angreifern ihre Lust auf Eroberung verleiden. Allmählich kam Sebastian dahinter, wie die Himmelsburg ihren Namen erhielt. Als wollten die Turmspitzen den Zenit selbst erobern, so stachen ihre weißen Zinnen in das stählerne Blau.
So faszinierend der Anblick auch war, im Schatten des Uferhangs begannen sie beide jämmerlich zu frieren. Sie mussten sich bewegen! Auf losem Geröll kletterten sie zwischen den Wurzelsträngen hinauf, bis sie Gras und Sträucher zu fassen kriegten. Kurz darauf verschluckte sie der dichte Bergwald, der die Festung optisch umgab.
Durch unwegsames Gestrüpp gelangten sie irgendwann in einen Bestand mächtiger Laubbäume, deren Äste sich knarrend im leisen Wind bewegten. Ihre nackten Füße gingen auf einem Teppich alter Blätter, die vom Morgentau aufgeweicht und mit kühler Feuchtigkeit bedeckt waren. Eine Wohltat für ihre geschundenen Füße!
Zunächst mussten sie einen Platz finden, an dem sie sich ausruhen konnten. Ihrer Intuition gehorchend folgte Antarona einem kleinen Bachlauf bergauf. Links und rechts des Baches wuchsen allmählich Felsen empor, steinerne Überhänge zogen sich in einer schattigen Schlucht über ihren Köpfen zusammen, es wurde feucht, unangenehm kühl und schließlich standen sie vor einem sprühenden Wasserfall, dessen Nebelfahnen weit in die Klamm hinauswehten.
So einen Platz hatten sie nicht gewollt! Steiler Bergwald wuchs links und rechts auf Felsstufen, die wie Treppen irgendwo zurück in die Sonne führten.
»Wir müssen da hinauf, Ba - shtie«, verkündete Antarona achselzuckend. Sebastian schätzte die Höhe und kam auf rund hundert Meter. Schon wieder klettern! Er beruhigte sich mit dem Gedanken, dass sie dabei wenigstens warm werden konnten.
Ohne noch mehr Zeit zu verlieren, stieg Antarona auf dem nassen Fels empor. Sebastian folgte ihr und zu Beginn hatte er Mühe, mit seinen nackten, untrainierten Füßen auf dem teilweise glitschigen Untergrund Halt zu finden. Er war gewohnt, mit festen Bergschuhen zu klettern. Nun fing er noch einmal von Vorn an, lernte in einer neuen Welt erneut zu laufen.
Nach einer Weile stellte er fest, dass diese Art der Kletterei gar nicht so übel war. Er vermochte plötzlich jede noch so kleine Unebenheit und jeden Riss im Stein zu fühlen, er spürte die Struktur, als tauchte er in die Seele des Steines ein. Diese Empfindung blieb ihm bisher mit dicken Bergstiefeln verwehrt.
Je mehr er sich auf seine Füße konzentrierte, und auf das, was sie fühlten, desto besser klappte die Kletterei. Als sie nach einer dreiviertel Stunde oben ankamen und tief durchatmend in der Sonne standen, war er zufrieden mit seiner neuen Erfahrung und heimlich auch etwas stolz.
Erleichtert gingen sie eine kleine, von lichtem Wald umgebene Hangwiese hinauf. Seine Füße spürten das von der Sonne ausgedörrte, knisternde Gras und er begann immer mehr Antaronas Welt mit dem Gespür seiner Fußsohlen zu entdecken. Unbedacht drehte sich Sebastian um und blieb staunend stehen.
Tief unter ihnen lagen die Häuser der weißen Stadt Falméra im Sonnenlicht. Aus dieser Perspektive, mit der blauen Bucht dahinter und eingerahmt von grünen Hängen und steilen Felsen, erinnerte Falméra an eine Stadt, geboren aus Märchen und Sagen. Wanderte der Blick aber nach links, so erhob sich über allem die in der Sonne weiß leuchtende Himmelsburg, wie ein Götterschloss.
Erst von hier oben wurde Sebastian das Ausmaß dieser Burganlage bewusst. In Gedanken zog er einen Vergleich zum Schloss Neuschwanstein in Bayern, nur dass dieses Bauwerk noch gewaltiger, eleganter und selbst wie eine Stadt wirkte. Wenn er in diesem Moment eine Kamera gehabt hätte!
Auch Antarona schien dieser Ausblick zu faszinieren. Leicht seufzend legte sie sich in das trockene Gras, verschränkte die Arme hinter dem Kopf und blickte völlig entspannt ins Tal, wo das alltägliche Treiben bereits in vollem Gang war. Die Sonne tat gut, nach den vielen Stunden der Kälte und Dunkelheit. Genüsslich räkelte sie sich auf dem warmen Boden, die kleinen Wunden ihres Abenteuers waren schon fast vergessen.
Aus den Augenwinkeln beobachtete sie Sebastian, der scheinbar beeindruckt auf die weiße Stadt hinunter sah. Die aufreizenden Bewegungen seiner Begleiterin zogen ihn plötzlich mehr in den Bann, als die mächtige Kulisse Falméras und der Himmelsburg. Das, was von Antaronas Kleidung übrig war, hielt sich nur noch mit Mühe auf ihrer Haut und schien mehr von ihrem Körper zu präsentieren, als zu verbergen.
Sebastians Gefühle wurden nicht von der Sonne allein aufgeheizt, seine Augen nicht nur von der strahlenden Stadt unter ihnen verführt. Er versuchte sein Verlangen zu verbergen, seinen Drang, ihren Körper zu berühren, sie mit Küssen zu verwöhnen...
Sebastian traute sich nicht, diesen Moment der Stille, des Friedens und des Ausatmens zu zerstören. Doch er hatte bereits die Aufmerksamkeit seiner Frau geweckt. Seine verzehrenden Blicke waren ihr doch nicht ganz entgangen.
»Ba - shtie, was seht ihr mich so an?« Dabei sah sie an sich selbst hinunter, als haftete etwas schmutziges, böses an ihr. Sebastian fiel nur am Rande auf, dass sie sich wahlweise mal seiner Form der Ansprache, mal ihrer eigenen bediente und ein liebenswertes Durcheinander von beiden kreierte.
»Ihr seid so wunderschön, dass Glanzauge nicht wagt, den Blick von euch zu abzuwenden, aus Angst, ihr könntet nicht mehr da sein und nur ein Traum gewesen sein, wenn er wieder hin sieht«, antwortete er in ihrer Form. Ob es das Kompliment, oder die Aussprache war, was sie ein wenig irritierte, war ihm nicht klar. Doch erzielten seine Worte die heimlich gewünschte Wirkung.
»Was sagt ihr da? Findet ihr Sonnenherz wirklich so schön?« wunderte sie sich. War ihr Staunen gespielt, oder zweifelte sie tatsächlich an ihrem Äußeren?
»Sonnenherz ist so verlockend, wie eine bunte, zarte Blüte, welche die Bienen anlockt, die nicht mehr von ihr lassen können!«
»Bienen?« fragte sie nun mit scheinbar echter Verwunderung. Sebastian schüttelte lächelnd den Kopf und erklärte ungeduldig:
»Jene, die den süßen Saft der Blüten sammeln und mit ihm davon fliegen, verstehst du? Kleine Flieger halt, Bienen, in meiner Welt nennt man sie Bienen, sie...« In dieser Sekunde sah er ihr tief in die Augen und bemerkte ein verstecktes, spöttisches Lächeln. Sie spielte mit ihm!
»Ná-chins nennen sie die Ival«, versuchte sie maskiert ernst zu bleiben, und beinahe gleichmütig bemerkte sie:
»Ihr seht Sonnenherz wie ein Ná-chin die duftenden Blüten, ja? Was hält euch davon ab, es ihr zu zeigen? Ná-chins fragen nicht, sie bedienen sich der süßen Blüten!« Plötzlich grinste sie ihn offen an und streckte sich unschuldig aufreizend im Gras, als erwachte sie gerade aus einem tiefen Schlaf.
»Na warte, du kleine Hexe«, rief Sebastian aus, »du lässt mich die ganze Zeit zappeln und genießt das auch noch?« Mit einer schnellen Bewegung kam er über sie und ihre Lippen fanden sich zu einem erlösenden Kuss. Sebastian spürte, dass sie die ganze Zeit nur darauf gewartet haben musste.
All die Strapazen, die sie in den Katakomben unter der Burg erdulden mussten, waren vergessen. Ihre Welt begrenzte sich von einer Sekunde zur anderen nur noch auf eine kleine Wiese, die Sonne und auf sich selbst...
Dann kuschelte sich Antarona an Sebastian, legte ihren Kopf auf seine Brust, so dass sie ihm in die Augen sehen konnte. Er sog ihren betörend süßen Duft ein und ließ sich davon bezaubern. Ihre Finger bewegten sich wie eine kleine Spinne spielerisch auf seiner Haut und gemeinsam träumten sie von einem Zuhause in irgend einem Tal links oder rechts des Val Mentiér. Irgendwann waren sie eng umschlungen eingeschlafen.
Erst als Sebastian Stimmen zu hören glaubte, schlug er die Augen auf. Die Sonne stand mittlerweile weit im Westen, berührte fast die Turmspitzen der Himmelsburg und hatte eine goldene Farbe angenommen. Ein leichter, frischen Wind wehte von der See heran und ließ ihn frösteln.
Sein Empfinden schien sich auch auf Antarona zu übertragen, denn sie wachte nun ebenfalls auf und zog sich Wärme suchend noch enger an ihn heran. Sebastian verspürte Hunger. Er versuchte das bohrende Gefühl im Magen zu verdrängen und konzentrierte sich auf die Umgebung. Hatte er tatsächlich Menschen reden hören, oder hatte ihm sein leerer Magen einen Streich gespielt? Da, wieder! Stimmen, noch weit weg. Aber sie kamen näher.
Nun hörte sie auch Antarona. Sie fuhr auf, ging in die Hocke und lauschte in den Wald hinein. Wie von Zauberhand lag Nantakis in ihrer Hand. Sie schien erstarrt und rührte sich nicht. Doch Sebastian wusste, dass sie in jeder Faser ihres Körpers angespannt war, bereit, jederzeit hoch zu schnellen und einem Angreifer einen fürchterlichen Kampf zu liefern.
Die Stimmen wurden lauter und Zweige knackten unter unbeholfenen Füßen, die nicht gewohnt waren im Wald zu gehen. Jeden Augenblick konnten die unbekannten Personen auf ihrer Lichtung auftauchen.
»Drei oder vier schwere Männer«, stellte Antarona fest, »sie tragen feste Beinkleider und dicke, schwere Kleider.« Sebastian sah seine Frau erstaunt an.
»Das kannst du hören? Oder kannst du durch Bäume sehen? Wie machst du das?« Antarona antwortete nicht, statt dessen sprang sie auf und zog Sebastian mit sich in das dichte Unterholz, aus dem ein bizarr geformter Felsen heraus ragte. Ohne Lärm zu machen schlichen sie um den Steinblock herum und spähten über seine zerklüftete Kante zurück auf die Lichtung.
»Es ist einfach, Ba - shtie«, erklärte sie nun flüsternd, »seht mit den Ohren! Diese dort bewegen sich wie ein müder Robrum, ihr könnt ihre Schritte zählen, so könnt ihr hören, wie viele es sind. Hört genau hin, Ba - shtie, starke Äste brechen unter ihrem Gewicht, sie sind schwer und nicht gewohnt im Wald zu gehen. Hört ihr die Zweige hin und her schlagen? Sie reißen an etwas und schlagen dumpf auf, sie knallen nicht! Also tragen die Unbekannten dicke, schwere Kleidung. Sie bewegen sich schwerfällig, Sonnenherz könnte sie ohne Mühe allein besiegen!«
Plötzlich wurde Antarona auffällig still. Gleichzeitig schoben sich vier Personen durch das Unterholz aus dem Wald und Sebastian musste grinsen. Wie Bulldozer wälzten die unverhofften, wohl beleibten Besucher die letzten Sträucher nieder und traten schwer auf die Lichtung.
Drei dicke, stämmige Männer in prächtigen, viel zu dicken Gewändern standen schnaufend im Gras und wischten sich den Schweiß aus den Gesichtern. Die vierte Person war eine Frau. Aus der Entfernung konnte man sie jedoch leicht für einen Mann halten, denn sie besaß eine stämmige Figur und ein so gar nicht weibliches Gesicht.
Den Männern sah man auf den ersten Blick an, dass sie Ausflüge in den Wald nicht gewohnt waren. Ihre schweren Mäntel aus bunten Stoffen waren mit silbernen und goldenen Applikationen verziert und passten eher auf einen Thron, als in unwegsames Gelände. Alle vier trugen, wie Antarona richtig gehört hatte, derbe Stiefel, die alles niedertraten, was ihnen vor die Füße kam.
Die Gespräche der ungebetenen Gäste waren verstummt. Die Männer rangen sichtlich nach Atem, während die Frau auf die Lichtung trat und ihren Begleitern ungeduldig zuwinkte. Schwerfällig setzten diese sich wieder in Bewegung, der Widerwillen stand ihnen in den schweißigen Gesichtern geschrieben.
Keiner der Männer schien bewaffnet, lediglich im Gürtel der Frau blitzte ein langer Dolch auf. Wankend schoben sich die drei Herren der Frau hinterher über die Lichtung und Sebastian befürchtete, dass sie jeden Augenblick vor Überanstrengung zusammenbrechen konnten. Wozu ließen sich diese ungelenken Kerle von einer Frau kurz vor Sonnenuntergang so weit durch den Wald treiben? Um die schöne Aussicht über die Stadt und die Burg zu genießen?
Sebastian wollte die Frage an Antarona weitergeben. Doch die schien völlig von ihrer Welt entrückt. Mit Funken sprühenden Augen, mit offenem Hass und starr wie ein Stein blickte sie auf die Personen hinab, die sich einen Weg durch das Gras bahnten und schließlich auf einem Felsvorsprung stehen blieben. Sebastian rüttelte an ihrem Arm.
»Antarona, was ist mit dir? Mach jetzt bloß keinen Blödsinn, lass uns einfach hier sitzen und beobachten, hörst du?« Er spürte, dass sich ihre Faust um den Griff Nantakis verkrampft hatte und flüsterte mahnend:
»Bleib ruhig, bei den Göttern, mach jetzt ja keine Dummheiten, wir können im Moment keinen Ärger gebrauchen, hörst du?« Antarona spürte seine Hand auf ihrem Arm und sah ihn an, als hätte sie ihn gar nicht gehört.
»Das ist Medunzia dort unten, ich kenne sie und ich hasse sie!« zischte Antarona zitternd vor Zorn. Sebastian versuchte zu beschwichtigen:
»Vergiss jetzt mal deinen Hass gegen diese dicke Matrone, lass uns einfach sehen, was die dort unten treiben, ja?«
»Erkennt ihr nicht die Männer, die sie begleiten?« fragte Antarona fast vorwurfsvoll und nicht weniger wütend.
»Schaut doch, es sind jene Oranuti, welche Sonnenherz am Tag ihrer Ankunft in Falméra am liebsten aufgeschlitzt hätte, jene, welche uns mit den Soldaten der Burg durch ganz Falméra verfolgten! Ba - shtie, seht ihr sie denn nicht?«
Sebastian sah genauer hin, erkannte aber nur einen der Männer. Es war der schmierige, dicke Kerl, der Antarona am Abend ihrer Ankunft in Falméra ein eindeutiges, anzügliches Angebot gemacht, sie begrabscht hatte und als Antwort sofort ihre Schwertspitze an seiner Kehle spürte. Die anderen beiden mussten jene Männer sein, die anschließend hinzu eilten.
An ihre Gesichter konnte sich Sebastian nicht mehr erinnern, wohl auch, weil sie kurz darauf die Flucht ergreifen mussten. Was tat nun dieses Gesindel an diesem Aussichtspunkt? Die Landschaft genießen wohl eher weniger!
Die Frau, die Antarona als Medunzia identifiziert hatte, streckte ihren Arm aus und zeigte über die Stadt hinab und weiter zur Himmelsburg hinüber. Sie redete dabei auf die drei Männer ein, die anscheinend jedoch mehr damit zu tun hatten, den Schweiß auf ihren Gesichtern im Bann zu halten.
Sebastian spürte die Anspannung Antaronas und ahnte, dass sie sich am liebsten auf die Gruppe gestürzt und einen nach dem anderen in das Reich der Toten geschickt hätte. Doch sie besaß genug Weitblick um zu erkennen, dass ihnen Medunzia und ihre Begleiter tot nichts nützten.
Es hatte einen guten Grund, weshalb die sich hier oben aufhielten, und diesen zu ergründen konnte für Falméra lebenswichtig sein! Spionierte die dickleibige Dienerin zusammen mit den Oranuti bereits strategische Vorteile für eventuelle Angriffspläne aus? So unvorstellbar war das gar nicht!
Taktisch war es klüger, Medunzia und die Oranuti zunächst einmal zu beobachten und nichts weiter zu tun. Möglicherweise erfuhren sie auf diese Weise, ob ein Angriff auf Falméra bevor stand und wer dahinter steckte. War es Torbuk, oder die Oranuti, oder beide? Tote Spione konnten nichts mehr verraten!
Gestenreich diskutierte die Gruppe noch eine Weile, dann traten sie den Rückweg an. Die Dämmerung senkte sich bereits über die Himmelsburg, als die vier im Wald verschwanden. Antarona und Sebastian warteten noch eine halbe Stunde, dann traten sie aus ihrem Versteck.
Neugierig ging Basti zu der Stelle, an der die vermeintlichen Spione gestanden hatten. Von dieser Felskanzel aus hatte man einen vorzüglichen Überblick über die Bucht, die Stadt und die Seitentäler, sowie auf die Himmelsburg. Der ideale ort um einen Schlachtplan zu entwerfen!
Nur, es fehlte ihnen der Beweis für ein solches Ansinnen. Und ohne diesen würde sich Bental kaum von Sebastians Theorie überzeugen lassen. Er hielt es ja nicht einmal für nötig, die Wachsamkeit auf den Zinnen der Burg zu erhöhen, denn er glaubte noch immer an das Bündnis mit den Fürsten von Oranutu.
Für Antarona und Sebastian gleichermaßen stand sofort ohne große Worte fest, dass sie auf der Burg bleiben mussten, um überzeugende Beweise zu sammeln. Konnten sie den König endlich von der bevorstehenden Gefahr überzeugen, galt als wahrscheinlich, dass sie eine Generalautonomie für das Val Mentiér erhalten würden.
Damit konnten sie alle Stände der Täler um sich und die Windreiter vereinen und einen schlagkräftigen Widerstand organisieren. Wenn des Königs Siegel unter Sebastians unkonventioneller Taktik saß, würden auch die noch zögernden Clans der Aufstellung einer Guerillaarmee zustimmen.
Sie mussten herausfinden, wem Medunzia oder die Oranuti berichteten. Spontan fielen Sebastian wieder Tariz und ihre Freunde ein. Ihnen schuldete er noch eine Antwort. War über ihre Familien möglicherweise an Antworten heran zu kommen? Tariz war eine Oranuti, ebenso wie Halem und Simas. Wenn er deren Vertrauen gewann, wie das Farasamis, kam er womöglich an Informationen, die etwas mehr Klarheit in den Nebel brachten.
Im Augenblick jedoch war das Gebot der Stunde, Medunzia und die drei Oranuti zu verfolgen, um zu sehen wohin sie gingen, oder mit wem sie sich trafen. Auch wenn Sebastian glaubte, dass dies zur fortgeschrittenen Stunde nicht viel brachte. Sie würden kaum noch am Tag ihrer Besichtigung Kontakt zu Torbuk aufnehmen.
Dafür war es ein Kinderspiel, sie zu beschatten. Sie polterten durch den Wald, als wollten sie das gesamte Unterholz platt walzen. Äste brachen, Zweige knackten und das trockene Laub rauschte, wenn ihre Füße es durchpflügten. Medunzias Fluchen und das Gejammer der Oranuti über die Zweige, die ihnen immer wieder ins Gesicht schlugen, verrieten stets ihren jeweiligen Standort.
Für Antarona schien es jedes Mal eine Genugtuung zu sein, wenn ein peitschender Zweig eines der feisten, schweinsäugigen Gesichter traf. Sie lächelte dann still in sich hinein, ohne den Blick von der frischen Fährte zu nehmen.
In Anbetracht der Lautstärke, mit der die Vier durch den Wald brachen, kamen Sebastian schon bald Zweifel an ihrer böswilligen Gesinnung. Allerdings glaubte er auch nicht an einen Sonntagnachmittagausflug. Irgend etwas hatten die ganz sicher zu verbergen!
Diese Vermutung unterstrich auch die Tatsache, dass sie nicht den direkten Weg nach Falméra zurück nahmen. Bewusst gingen sie einen Umweg, der sie weiter durch den Wald führte, anstatt bequem über die erhöht liegenden Wiesen und Weiden.
In Rufweite des östlich der Stadt gelegenen Heerlagers verließen sie die deckenden Bäume und schlichen im Schutz der Dämmerung an den Soldatenposten vorbei. Antarona und Sebastian folgten ihnen vorsichtig und wurden dabei eins mit den Schatten der Bäume, Sträucher und Wegsteine.
Durch eine kleine Gasse gelangten sie zwischen den Grundstücken zweier prächtiger Häuser zu den Freitreppen, welche die Burg mit Falméra verband. Ohne große Gesten verabschiedeten sie sich von Medunzia. Sie eilte die Treppen zur Burg hinauf, während ihre drei Mitverschworenen gemütlich nach Falméra abstiegen, als hätten sie sich eben mal nur die Beine vertreten.
Antarona und Sebastian verfolgten die drei Oranuti, immer im Schatten der Mauern, Fassaden und Zäune. Medunzia nachzuschleichen hätte wenig Sinn gehabt. Sie ging gewiss in die Burg hinauf. In den Korridoren und Treppentürmen wären ihr vier verfolgende Füße sicher nicht verborgen geblieben. Die unbekümmerten Oranuti hingegen waren in den belebten Straßen und Gassen Falméras leicht zu beschatten.
Doch das Ergebnis war eher enttäuschend. Die drei gingen bis zu einem laden, vor dessen Fassade ein großzügiger Baldachin aufgespannt war. Darunter lagen Felle und Kissen ausgebreitet, die zum Verweilen einluden. Zwei ärmlich gekleidete Ival- Mädchen bedienten die Gäste, zumeist Oranuti, mit Gebäck und Getränken.
Ächzend und Schnaufend ließen sich die drei Beobachteten auf den Kissen nieder und winkten die Bedienung heran. Sie schienen weder einen der anderen Anwesenden zu kennen, noch stand in Aussicht, dass sie jemanden erwarteten. Aber allein schon die Verbindung zwischen Medunzia und diesen drei Oranuti war eine aufschlussreiche Entdeckung gewesen.
Unschlüssig und mit verschmutzten Fetzen am Leib standen Antarona und Sebastian im Schutz eines Eingangs im Schatten uns beobachteten jene, die sie verfolgt hatten. Auf neue Erkenntnisse brauchten sie nicht mehr zu hoffen.
Sebastian spürte Antaronas leichtes Zittern. Nun, da die ganze Anspannung von ihnen abgefallen war, begannen sie zu frieren. Die Sonne war der Dunkelheit gewichen, auf den Plätzen wurden die ersten Tanzfeuer entzündet und Gerüche begannen sich zu verbreiten, die sie unmissverständlich daran erinnerten, dass sie seit langer Zeit nichts mehr gegessen hatten.
»Lasst uns auf den Markt schleichen, Ba - shtie, dort können wir uns Kleidung besorgen und Essen, bevor wir zur Burg zurück gehen«, schlug Antarona vor. Sebastian überlegte. War es klug, in diesem Aufzug wie Aussätzige über die Märkte zu schleichen?
»Ich habe einen besseren Vorschlag«, verkündete er seiner Frau, »wir gehen in dein Haus, das du mir gezeigt hast, wir reinigen uns und ruhen uns dort bis zur neu erwachenden Sonne aus. Wenn du magst, besorge ich uns etwas zu Essen und zu Trinken.« Antarona sah in spöttisch an und sagte tadelnd:
»Ihr seid töricht, Ba - shtie - laug - nids, wollt ihr mit den Darwicks um ein paar vertrocknete Krumen Brot streiten? Ihr wisst, außer Staub und Schmutz werdet ihr dort nichts finden. Selbst die Darwicks gehen nur in der schlafenden Sonne dorthin.«
Sebastian aber ließ sich nicht beirren. Er tat seltsam geheimnisvoll, so dass er Antarona neugierig machte:
»Lass uns doch erst mal hingehen, vielleicht hat ja ein guter Geist ein wenig Brennholz dort gelassen. Zur Burg hinaufschleichen können wir dann immer noch!«
Dagegen wusste auch Antarona nichts zu sagen. Zumindest konnten sie sich dort bis in die späten Nachtstunden verbergen, um dann ungesehen bis vor das Burgtor zu gelangen. Aber was dann? Sebastian sah ihr in die Augen und er konnte beinahe ihre Gedanken lesen.
»Die werden uns dann schon wieder in die Burg lassen, glaub’ mir. Bental braucht uns, da wir uns inzwischen beim Volk beliebt gemacht haben! Er kann nicht mehr auf uns verzichten, weil er viel zu viel zu erklären hätte, wenn wir plötzlich verschwunden wären.« Er sagte es in einem so zuversichtlichem Ton, der ein leichtes Lächeln auf Antaronas Gesicht zauberte. Ganz so sicher, wie er sich gab, war er allerdings nicht. Das aber verschwieg er. Seine Gedanken flogen indes voraus, zu Antaronas kleinem Anwesen.
Hatten Frethnal und Farasami wirklich die Darwicks vertrieben und alles ein wenig hergerichtet? In Erwartung der kleinen Freude, mit der er seine Frau überraschen wollte, verlor sich auf einem mal seine Müdigkeit. Wie ein aufgeregter Pennäler, der nicht erwarten konnte, seinen Eltern ein gutes Zeugnis zu präsentieren, so fieberte Sebastian dem Augenblick entgegen, in dem Antarona die Tür zu ihrem Haus aufschloss.
Natürlich bemerkte sie seine plötzliche Unruhe und Überschwänglichkeit, konnte aber nicht erahnen, worin diese sich begründete. Bis sie vor ihrem Haus standen. Beiden fiel sofort auf, dass der Eingang frisch getüncht, gesäubert und die Laterne repariert worden war.
Mit skeptischem Blick angelte Antarona nach dem Schlüssel und steckte ihn in das Schloss. Im Gegensatz zu ihrem letzten Besuch ließ er sich sauber und geschmeidig drehen. Kein Knarren, Quietschen, oder Klemmen. Die Tür schwang leichtgängig auf und anstelle von flüchtenden Darwicks und einem verwahrlosten, dreckigen Loch strahlte ihnen ein sauberer Flur entgegen.
Die Dielen waren gescheuert, den schwarzen Schimmel bedeckte neue Farbe und an den Wänden hingen bunte Tücher. Neue Fackeln steckten in den Halterungen und eine kleine Kommode nahm dem Korridor die Leere. Sebastian entzündete die Fackeln und sofort wurde der Raum in warmes Licht getaucht.
Staunend tastete sich Antarona durch den Raum, als müsste sie erst fühlen, was sie erblickte. Im Wohnraum lag genügend Holz vor dem Kamin, der Boden war mit Fellen, Tüchern und Kissen bedeckt, ein neuer Tisch stand zwischen einfachen, sauberen Stühlen und ein paar Anrichten beherbergten diverse Gegenstände, die Frauen im Allgemeinen Freude bereiteten.
An den Wänden hingen neue Wappenschilde, frisch geschmiedete, brauchbare Schwerter und Dolche, sowie jede Menge Fackeln, um den Raum auszuleuchten. Von den tragenden Deckenbalken hingen neben Schinken, Würsten und Kräutern auch leichte, durchscheinende Tücher herab, die den Raum gemütlich unterteilten und ihm eine zauberhafte Atmosphäre verliehen.
Eine fachgerecht ausgebesserte und polierte Treppe führte in das obere Stockwerk hinauf. Hinter einem Vorflur, den eine große Anrichte füllte, die mit mehreren Waschschüsseln ausgestattet war, befand sich offenbar das Schlafzimmer.
Groß und hell zeigte sich der Raum, nachdem Basti weitere Fackeln zum Brennen gebracht hatte. Mit je vier Butzenfenstern an zwei Seiten und vollgestellt mit neu gezimmerten Schränken wirkte das Zimmer gemütlich. An der einen Wand stand ein riesiges, massives Bett, mit reichen Schnitzereien verziert. Der mächtige Baldachin, von dem ganze Wände von Tüchern herabhingen, schützte jene, die dort schlafen sollten vor den summenden Plagegeistern.
Felle und Decken lagen in der Mitte des Raumes, wo auch zwei schwere, hölzerne Lehnensessel vor einem verzierten Tischchen standen. Decke und Wände waren mit weinroten Tüchern bespannt und vermittelten eine räumliche Wärme, die Behaglichkeit ausstrahlte.
Mit Freudentränen in den großen Augen drehte Antarona sich tanzend und mit ausgebreiteten Armen im Kreis herum. Unfassbare Freude lag in ihrer Stimme, als sie ausrief:
»Ba - shtie, ihr habt es herrichten lassen, ihr habt es für Antarona so schön gemacht, für mein misch?« Sie konnte ihre Freude nicht genug zum Ausdruck bringen und fiel ihm stürmisch um den Hals.
»Es war niemals zuvor so schön und so bunt!« rief sie, indem sie ihn fast erwürgte. »Und ihr habt das alles für Sonnenherz gemacht?«
»Na, für wen den sonst«, lachte er sie strahlend an, »es ist doch dein Haus, oder?« Schmunzelnd überhörte Basti ihren linkischen Versuch, sich seiner personifizierten Anrede zu bedienen. Aber es zeigte ihm, wie sehr sie sich über die gelungene Überraschung freute.
Dann wirbelte Antarona herum, schlich erwartungsvoll vor den Schränken auf und ab, als versuchte sie zu erraten, was sich in ihnen verbarg. Die frauliche Neugier siegte prompt. Ungeduldig riss sie in tänzerischem Fluge die Schranktüren auf und sogar Sebastian war beeindruckt von der Vielfalt der Kleider und Gewänder, die fein säuberlich aufgereiht darin hingen.
Dies war eindeutig Farasamis Werk! Dieses Mädchen, das selbst so bescheiden war und trotz reicher Eltern sicher nicht viele Kleider besaß, hatte seiner grenzenlosen Phantasie freien Lauf gelassen und die Schränke mit textilen Kunstwerken geradezu vollgestopft.
Ein ganzer Schrank allein hing voller Elsirenkleider. Die flüchtigen, edlen Stoffe, welche die Frauen und Mädchen bei den Feuertänzen wie ein seidiger Hauch umschmeichelten und mehr von ihren Schönheiten preisgaben, als verbargen, wehten vorwitzig aus der Dunkelheit des Schrankes heraus, als Antarona daran vorbei huschte.
Durchscheinende, luftige Schleier und Tücher in rosa, beige und hellgrün, mit silbernen, goldenen, oder rotsamtenen Bündchen abgesetzt, mit zierlichen Kettchen behangen und feinen Quasten besetzt, mit Stofffähnchen und golddurchwirkten Bändchen an den Oberteilen und winzigen Glitzerplättchen an den seitlichen Rockausschnitten, wogten im Rahmen der Schranktüren wie ein sanftes, buntes Meer.
In einem anderen Schrak hingen Gewänder von Anmut bis Eleganz, die in Sebastians Welt allenfalls als Hochzeitskleider getragen wurden. Mit Gold- und Silberranken besetzte Bordüren in Königsblau, Bordeauxrot und Tannengrün verzierten hellgelbe und weiße Kleiderstoffe aus feinstem Leinen, oder schwere, samtene Roben, die mit aufwendigen Metallschnallen und Knöpfen versehen waren. Kleider, Röcke, kapuzenbesetzte Umhänge sowie Gürtel, Beinkleider und Armstulpen waren die Schätze, die Antaronas Augen übergehen ließen.
Auf einmal hatte sie ihren Ba - shtie vergessen. Sie tauchte ein in eine ganz andere Welt. In ein Märchen, in einen Traum, den sich jede Frau einmal im Leben wünschte. Für Antarona wurde er an diesem Abend wahr.
Wie auf Federn glitt sie fiebernd zwischen den Schränken hin und her, hielt sich mal dieses, mal jenes Kleid an, warf eine Robe darüber, wählte kopfschüttelnd eine andere, und einen goldenen Gürtel dazu, bis sie tatsächlich im Gewand einer Prinzessin vor Sebastian stand, der sie kaum zu berühren wagte, so fasziniert war er von ihrem Anblick.
Die Elsirenkleider anzuprobieren wagte sie nicht, denn immer noch haftete der Schmutz der Burgkatakomben an ihr. Ein Kleid für den Elsirentanz war va-ra-hi, heilig! Seine Reinheit war ebenso unantastbar, wie die der Liebe eines Mädchens, das durch die Elsiren- Flammen sprang und durch diese von den Göttern ihrem Liebsten zum Geschenk gemacht wurde.
Diese Kleider waren gemacht, um die Liebe selbst zu umkleiden, Herzen zu umhüllen, um die Hingabe einer Frau an ihren Geliebten zu schmücken, ein Geschenk, das seit jeher unter dem Schutz der Götter stand. Sie waren wie die Elsiren selbst. Zart, leicht, flüchtig und durchscheinend. Lichte Gewänder aus Stoffen einem Nebel, oder einem Hauch des Windes gleich, wie die Leiber der Elsiren, wenn sie einem Paar im Mondschein begegneten und ihm den Segen der Götter gaben.
Sebastian schüttelte lächelnd den Kopf. Nun wurde ihm klar, wohin seine Quarts gewandert waren, die er Farasami und Frethnal mitgegeben hatte. Das Mädchen hatte genau gewusst, was einer Frau gefällt und hatte all diese schönen Dinge besorgt, für eine Frau, die sie nicht einmal kannte, für die sie aber letztlich noch in das Reich der Toten ging!
Ein paar Tränen konnte Basti nicht ganz unterdrücken, als er darüber nachdachte. Und die blieben Antarona nicht verborgen. Sie ließ sich von all den Kleidern, Elsirenkronen, Gürteln und Beinkleidern vereinnahmen, doch eine Träne in Sebastians Gesicht und ausgerechnet diese musste sie sehen!
»Was habt ihr, Ba - shtie, seid ihr traurig, warum? Sagt, Sonnenherz, was euch auf dem Herzen lastet. Sie wird die Last von euch nehmen!«
»Ach, mein Engelchen«, begann er seufzend. Dann erzählte er ihr, wie er Frethnal und Farasami damit beauftragt hatte, das Haus zu säubern und neu auszustatten.
»Verstehst du, dieses Mädchen, auf das du sogar einen Moment eifersüchtig warst, hat dir dies alles hier besorgt, und sie kannte dich nicht einmal richtig. Und ausgerechnet sie musste in das Reich der Toten gehen, weil irgend jemand uns so sehr hasst, dass er uns aus dem Weg räumen will!«
Antarona sah beschämt zu Boden und dann beinahe verächtlich auf den Schal, den sie gerade in der Hand hielt. Ihre Finger verkrampften sich um den Stoff und sie hielt das Kleidungsstück mit enttäuschtem und traurigem Blick von sich fort.
»Weißt du, ich glaube, es war Farasamis Wunsch, dass dir all diese Sachen gefallen und du dich darüber freust«, beruhigte sie Sebastian, der auf so eine Reaktion Antaronas nicht vorbereitet war.
»Sie war ein bescheidenes, gutes Kind, und wenn wir mehr Zeit gehabt hätten, so wäret ihr sicher gute Freundinnen geworden. Ich denke, wenn sie aus dem Reich der Toten auf uns sehen könnte, wäre sie sehr glücklich, deine Freude über die vielen Kleider zu sehen!« Nur allmählich hellte sich Antaronas Antlitz wieder auf.
»Ich wollte dich nicht kränken«, fuhr Basti fort, »aber du solltest es wissen, ich meine, dass dies alles hier nicht allein mein Werk war, sondern auch Frethnal und...«
Sie ließ ihn nicht ausreden, sondern nahm sein Gesicht in ihre Hände und zog ihn zu sich heran. Er schmeckte ihre von Tränen salzigen Lippen und sah in ihre großen Augen, die ihn mit entwaffnender Ehrlichkeit anstrahlten. Leise, aber bestimmt sagte sie:
»Ba - shtie, es war euer Gedanke! Ihr wart es, der Sonnenherz eine Freude bereiten wollte. Mögen viele gute Hände euch geholfen haben, ihr habt es getan, mit dem Wunsch eures Herzens!«
Damit stand sie auf, ging zu einem Schrank, suchte das eleganteste, prächtigste Kleid heraus, das nur einer wahren Prinzessin zukam und hielt es mit ernster Mine vor ihren Körper, der noch immer in den zerrissenen Lumpen ihres Abenteuers steckte. Demütig stellte sie fest:
»Aber Sonnenherz ist das nicht, Ba - shtie, sie ist nicht so, nicht das, was ihr in ihr seht! All diese Kleider, sie sind für eine ve-nii Ké-han-dra gemacht, für eine schöne Prinzessin. Sonnenherz ist aber keine A-mà-ni nò Tal-ri-né, keine Tochter der Götter!«
Sebastian war mit einem Schritt bei ihr, nahm ihr das Kleid ab und warf es achtlos auf das Bett. Seine Arme schlangen sich um ihre Taille, dass sie nicht mehr ausweichen konnte und sein Blick bohrte sich in ihre Augen.
»Doch, mein Engelchen, für mich bist du genau das!« stellte er entschieden klar. Dann strich er liebevoll über ihre verschmutzte, zerfetzte Kleidung, anschließend über ihre Wange und sagte:
»Egal. Was auch immer dich kleidet, mag es das zerrissene Gewand einer Bäuerin sein, oder das Kleid einer Ké-han-dra, für mich wirst du immer gleich sein, nämlich meine Prinzessin! Und ganz gleich, wo und was mein Königreich sein wird, eine kleine Hütte im Val Mentiér, oder eine mächtige Burg über Falméra, du wirst auf jeden Fall die A-mà-ni nò Tal-ri-né an meiner Seite sein! Und nun will ich nichts mehr darüber hören. Zieh die Kleider an, damit ich sehe, wie sie deine Ve-nii, deine Schönheit umrahmen!«
Verlegen sah sie an sich herab und zupfte mit den Fingerspitzen an den Resten ihrer Kleidung herum, als dachte sie darüber nach, was davon noch zu retten war.
»Nein, Ba - shtie«, sprach sie entschieden, »zuerst wird sich Sonnenherz für euch schön machen, für euch und für die Kleider einer Ké-han-dra!« Damit setzte sie ihre Hände auf seine Brust und schob ihn sanft aber bestimmt rückwärts aus dem Zimmer. Sebastian zuckte mit den Schultern.
»Na schön«, akzeptierte er ihren Wunsch, »dann werde ich dir mal frisches Wasser besorgen und uns etwas zu Essen, was?« Anstelle einer Antwort schloss sich die Tür vor seiner Nase.
Ihr spitzfindiges Lächeln im Türspalt begleitete ihn die Treppe hinab und durch die Hintertür in den ziemlich verwilderten Garten, der zu dem kleinen Anwesen gehörte und von einer mit Blättern umrankten, mannshohen Mauer umgeben war. Hier hatten Farasami und Frethnal nicht Hand angelegt. Wie auch? Es war schon erstaunlich, dass sie das Haus in so kurzer Zeit so weit herrichten konnten.
Ein ebenfalls mit Ranken überwucherter Brunnen stand in der Mitte des Gartens. Im Schein der Laterne nahm Sebastian den Brunnen in Augenschein. Die Vorrichtung zum Wasser ziehen war allerdings hoffnungslos korrodiert. Die Kurbel ließ sich nur schwer mit kreischendem Geräusch bewegen und die stellenweise fast durchgerostete Kette, an der ein löchriger Eimer hing, versprach bei der geringsten Beanspruchung samt Eimer auf nimmer Wiedersehen in der Tiefe zu verschwinden.
Resigniert schüttelte Basti den Kopf und nahm sich vor, die Anlage schnellstens von Frethnal in Ordnung bringen zu lassen. Auch der Garten konnte eine fleißige Hand vertragen! Mit diesem Gedanken ging er ins Haus zurück und suchte nach so etwas, wie einem Eimer.
Neben dem Wohnraum war ein kleinerer Anbau abgeteilt, der mit viel Phantasie eine Küche sein konnte. Hier stapelten sich neue Eimer, Schüsseln, Zuber und hölzerne Schalen. Na also! Die beiden hatten tatsächlich auch Sinn für das praktische!
Nach längerem Suchen fand Sebastian in einer Anrichte sogar ein paar Quarts, die mit Sicherheit aus seinem Beutel stammten. Frethnal hatte sie wohl für Notfälle wie diesen im Haus gelassen. Er entpuppte sich als ein sehr umsichtiger Diener!
Mit dem Eimer und dem Ringgeld bewaffnet, verließ Sebastian das Haus. Es war bereits stockdunkel. Die Laternen vor den Hauseingängen warfen diffuses Licht. Viele Menschen waren unterwegs zu den Marktplätzen, in deren Mitte bereits die Elsirenfeuer brannten.
Gerne hätte er auch an diesem Abend ein Krähenmädchen zum Feuertanz der Elsiren geführt, doch nach den Strapazen in den dunklen Gängen unter der Burg, hatten sie sich etwas Ruhe verdient.
Eilig kaufte er an den erstbesten Ständen einen Laib Brot und etwas Käse, von welchem Tier auch immer. Ein paar Früchte, die er schon bei Högi Balmer gesehen hatte, lachten ihn aus Körben heraus an. Sie hatten Ähnlichkeit mit kleinen Honigmelonen. Diese aber hatten eine dünnere Schale und waren weitaus saftiger.
Für Antarona suchte er ein blumig duftendes Stück Seife aus. Auch für eine Art Rahm und eine Kürbisflasche voll Mestas reichten die Quarts noch. Dann füllte er den Eimer am Brunnen auf dem Platz mit Wasser und machte sich wieder auf den Rückweg.
Stolz, daran gedacht zu haben, wollte er Antarona das Stück Seife bringen. Er klopfte an die Tür, öffnete sie einen Spalt breit und steckte den Kopf hindurch. Aus den Augenwinkeln gewahrte er noch eine schnelle Bewegung und wollte sich rasch zurückziehen. Zu spät! Mit klatschendem Geräusch landete plötzlich etwas in seinem Gesicht.
»Ba - shtie - laug - nids! Untersteht euch, herein zu kommen! Ihr werdet gefälligst warten bis Sonnenherz fertig ist! Wagt ja nicht noch einmal die Tür zu öffnen!«
Das war deutlich. Weiber! Immer das Gleiche mit ihren wandelbaren Launen! Ärgerlich zog er sich den Lumpen ihres alten Kleides aus dem Gesicht und warf ihn rücklings die Treppe hinab. Dann stellte er den Eimer mit Wasser vor die Tür und legte die Seife auf den breiten Holzrand. Anschließend machte er, dass er die Treppe hinunter kam, bevor ihn noch eine unerwartete Attacke ereilte.
Unschlüssig, was er tun sollte, eilte er noch einmal zum Brunnen und holte zwei weitere Eimer Wasser. Nachdem er den Riegel der Haustür von innen vorgeschoben hatte, machte er sich daran, eine kleine Mahlzeit vorzubereiten. Als er den Tisch im Wohnraum mit Tellern und Speisen bedecken wollte, musste er staunen.
Ein neuer Waffenrock lag säuberlich zusammengelegt auf dem Tisch. Daneben lag ein weißes Hemd und eine bequeme weiße Hose, wie sie die Bauern trugen. Also hatten seine Diener auch ihn nicht vergessen!
Antarona musste die Sachen in einem der Schränke gefunden haben. Lachend schlug er sich die flache Hand vor die Stirn. Wie konnte er annehmen, sie machte sich für ihn schön und er blieb verschwitzt und dreckig!
Rasch bereitete er den Tisch, machte Feuer im Kamin und ging dann in den dunklen Garten, um sich ebenfalls den Schmutz von seinem Körper zu waschen. Umständlich kratzte er sich mit einer scharfen Klinge den Bart ab und zog sich den frischen Waffenrock an.
Nachdem nichts weiter zu tun blieb, setzte er sich auf eine Truhe in der Ecke des Wohnraums, von wo aus er die Treppe im Auge hatte. Er war neugierig, welches Gewand Antarona angelegt hatte. Sebastian wartete. Er wartete, bis ihm die Augenlider schwer wurden, denn er beobachtete den Tanz der Flammen im Kamin, um die Zeit tot zu schlagen.
Endlich hielt er es nicht mehr aus. Was bei den Göttern dauerte da so lange? Was machte die Frau dort oben die ganze Zeit? Sie war selbst in Lumpen eine augenfällige Schönheit, warum also brauchte sie so lange, um sich zurecht zu machen?
Von Ungeduld getrieben schlich Sebastian die Treppe hinauf, vorsichtig, immer darauf bedacht, keine der knarrenden Dielen zu belasten, um sich nicht zu verraten. Wie ein Dieb schlich er auf Zehenspitzen vor die Tür und hielt lauschend sein Ohr an das gehobelte Holz.
Überrascht zog Sebastian die Augenbrauen hoch. Er vernahm deutlich leisen Gesang. War das zu fassen? Er wartete auf sie und sie trällerte in aller Gemütsruhe ein Liedchen vor sich hin! Was wirklich in Frauen vorging, würde er wohl nie begreifen!
Kopfschüttelnd ging er wieder hinunter und machte es sich auf der Truhe bequem. Er wartete und wartete, starrte in die Flammen des Kamins, die lustig tanzten, zuckten und zwischendurch kleine Fünkchen ausspieen. Allmählich fiel die Anspannung von ihm ab und er dachte daran, dass sich draußen in diesem Augenblick die Tänzer und Tänzerinnen zu einem neuen Elsirentanz formierten.
Er sah sie direkt vor sich, wie sie um die Feuer tanzten, angefeuert vom Publikum. Antarona sah er durch die Flammen wirbeln, ihren gespielten Kampf tanzend, im verführerischsten Elsirenkleid, das er je sah. Dann wurde sie hoch gehoben. Hochgehoben? Von wem? Sebastian sah nur ein paar Hände, ein paar Arme, ein Gesicht konnte er nicht erkennen.
Wer war das, der sein Krähenmädchen mit seinen Dreckpfoten berührte? Und sie ließ es auch noch geschehen! Antarona wehrte sich nicht gegen den Fremden, der sie durch die Flammen schickte. Sie schien noch Spaß daran zu haben!
»Lass sie los, du Mistkerl«, brüllte er, »sie gehört mir, sie trägt meinen Sohn unter ihrem Herzen, sie ist meine Frau, nimm deine Drecksfinger von ihr!«
Sebastian wollte zu ihr, doch irgend etwas, eine undefinierbare Kraft hielt ihn fest. So sehr er auch seine Beine bewegte, er trat auf der Stelle, konnte sie nicht erreichen. Statt dessen packten sie die fremden Hände, warfen sie hin und her, stellten sie wieder auf den Boden, um sie von neuem von den Füßen zu reißen.
Halb wahnsinnig vor Eifersucht gestikulierte er mit den Armen, schrie ihren Namen, versuchte die Musik und das Gejohle der Menge zu übertönen. Da kamen die Arme des Fremden auf ihn zu. Sie hatten ihn gehört, nicht Antarona. Doch Basti konnte keinen Körper, kein Gesicht erkennen. Nur die Arme und Hände sah er auf sich zukommen.
Sie wollten ihn mundtot machen, ihn zum Schweigen bringen, sie wollten Antarona für sich haben! Mit aller kraft wehrte sich Sebastian gegen die Hände, die seine eigenen Arme zu greifen versuchten, dabei schrie er immer wieder Antaronas Namen. Warum reagierte sie nicht? Sie musste ihn doch hören, die Arme hatten ihn doch auch gehört!
»Ba - shtie, hört auf, euch zu wehren, beruhigt euch, es ist alles gut!« hörte er die Arme rufen. Das könnte denen so passen! Nichts war gut! Sie versuchten ihn nur zum Schweigen zu bringen, damit Antarona ihn nicht hören konnte!
»Nein, nein, nein«, schrie er um so lauter, »Antarona, hörst du mich denn nicht, sie versuchen dich fort zu bringen, sie wollen uns trennen, hörst du nicht?« Wieder musste er sich gegen die Arme wehren, die seine Handgelenke gepackt hielten. Sie lähmten seine Bewegungen, sie verhinderten, dass Antarona ihn sah!
»Antarona, sieh hier her, sieh zu mir, sieh, dass sie uns trennen wollen!« rief er verzweifelt aus tiefster Seele. Plötzlich gab es einen Knall! Sebastian spürte einen brennenden Schmerz auf seinem Gesicht, heiß und flammend. Die Götter schickten Blitze um ihn zu bestrafen! Da, wieder ein Blitz und noch einer, und wieder einer! Nun reichte es aber!
»Jetzt reicht es aber!« schnauzte er die Götter an. »Seid ihr denn verrückt geworden?« Verzerrt sah er ein Gesicht vor seinen Augen auftauchen, wie im Nebel erst, dann nahm es Gestalt an. Antarona? Antarona, sie war es! Sie hatte ihn also doch gehört!
»Beruhigt euch, Ba - shtie, niemand nimmt Sonnenherz von euch fort, hört ihr, niemand! Sonnenherz würde es niemals zulassen!« Ihre ruhige Stimme sagte ihm, dass alles in Ordnung war. Sein Bild wurde klarer. Antarona hielt verkrampft seine Handgelenke fest, sie hatte sich halb über ihn gebeugt.
Wie schön sie war! Wie in einem Traum! Ihre langen Haare hatte sie zu winzig kleinen Zöpfen geflochten, die wie Schlangen das restliche Haar durchwanden und ihr als Stirnband dienten. Wie die Göttin der Liebe selbst, so wunderschön sah sie aus.
Es war kein Traum. Das Bild blieb, wurde klarer, farbiger, lebendiger. Antarona stand leibhaftig vor ihm! Ihr Federn hingen ihr von den Zöpfen herab und kitzelten seine Nase.
»Du kannst mich loslassen, es ist schon gut«, versicherte er ihr und rappelte sich hoch. Er war hinter die Truhe mit dem Rücken an der Wand herunter gerutscht.
Diese blöde Truhe hatte ihn festgehalten! Mit beiden Händen rieb er sich die Augen und das Gesicht, als befürchtete er immer noch in einem Traum gefangen zu sein. Dann sah er Antarona an. Basti verschlang sie regelrecht mit seinen Augen und schüttelte staunend den Kopf. Was er sah, verschlug ihm die Sprache.
»Bei den Göttern«, brachte er nur stockend heraus, »du siehst so phantastisch, so schön, du bist eine Prinzessin!« All seine Worte konnten aber nicht ausdrücken, was er bei ihrem Anblick wirklich empfand.
»Ba - shtie, ihr wart Gefangener der Mutter der Nacht, wacht auf, es ist vorbei!« Antarona schüttelte ihn leicht.
»Nein, ich bin wach und was ich sehe ist eine wahre Prinzessin«, schwärmte er. Dabei betrachtete er sie ungeniert und seine Augen mochten von ihrem Anblick nicht genug bekommen.
Antarona trug einen Rock aus rotem Stoff, der nicht weniger durchscheinend war, als ein Elsirenkleid. Eine türkisfarbene Bordüre mit glitzernden Goldrändern, die den dünnen, hoch geschlitzten Stoff hielt, saß tief auf ihrer Taille.
Eine purpurfarbene Blume zierte ihren Bauch und ein roter Edelstein saß als Zentrum der Blüte in ihrem Bauchnabel. Ebenso luftig war das dazu passende, knappe Oberteil, das sich erst gar nicht die Mühe machte, ihre weiblichen Formen zu verstecken. Gold glitzernder Arm und Beinschmuck blinkte bei jeder ihrer Bewegungen im Licht der Fackeln.
Sebastian taumelte an den Tisch, mehr benommen von der Schönheit seiner Frau, als vom Traum, dem er ganz offensichtlich noch nicht wirklich entflohen war. Diese Art von Traum aber gefiel ihm! Wie in einem anmutigen Tanz fischte Antarona eine Scheibe getrockneten Fleisches vom Tisch und steckte es Sebastian in den Mund.
»Damit der Krieger an Sonnenherz Seite nicht verhungert«, verkündete sie beinahe mütterlich und ihr Duft, der Sebastian bei jeder ihrer Regungen in die Nase stieg, vernebelte ihm die Sinne. Aber er hatte auch einen Bärenhunger. Schließlich hatten sie seit beinahe zwei Tagen nichts gegessen.
Also ließen sie sich beide von den Köstlichkeiten verführen, die Sebastian entweder im Haus gefunden, oder vom Markt geholt hatte. Sebastian verschlang das frische Brot, als hätte er ein halbes Jahr lang gehungert. Das ging so weit gut, bis Antarona begann eine der melonenartigen Früchte zu essen.
Der Saft lief ihr aus den Mundwinkeln, tropfte auf ihren Bauch. Kleine Rinnsale des Fruchtnektars zogen als glitzernde Spuren süße Bahnen auf ihrer Haut, die hinter dem Saum ihres Rockes verschwanden und es Sebastians Phantasie überließen, nach welchem Ziel ihnen der Sinn stand.
Verwirrt und fasziniert gleichzeitig starrte Sebastian auf die Tröpfchen, von denen er selbst gern eines gewesen wäre. Antarona tat, als merkte sie von all dem nichts, biss herzhaft weiter in die Frucht und provozierte neue Gelüste bei ihrem Gefährten, indem sie es zuließ, dass ihr der Saft in ihren gewagten Ausschnitt lief.
In gespielter Verwunderung folgte sie alsbald Bastis Blick und tat erstaunt, dass ihr der Saft über den Körper rann. Mit unschuldigem Blick und eindeutig lasziver Bewegung versuchte sie das Zeug mit der Hand fort zu wischen, verteilte es aber um so mehr. Ihre neckischen Augen erhaschten Sebastians Blick, der sich inzwischen nach ihr verzehrte.
So ein raffiniertes, kleines Luder, dachte er und nahm sich vor, das Spiel eine Weile mitzumachen, ohne jedoch schwach zu werden. Gespielt höflich nahm er ein Tuch und reichte es ihr. Den Bauch etwas eingezogen, ließ sie das Tuch wie einen willkommenen Besucher ihre bronzene Haut erkunden und schürte aber so noch mehr Sebastians Verlangen. Sie versuchte erst gar nicht, den Saft wirklich fort zu wischen.
»Es geht nicht ab«, sagte sie gespielt naiv mit geheimnisvoller Stimme und hintergründigem Lächeln, »Ba - shtie, vermögt ihr nicht, es vorsichtig fort zu nehmen?« Herausfordernd steckte sie sich das Tuch in den Bund ihres Rockes und wartete lauernd.
Diese Aufforderung ließ sich Sebastian nicht zweimal sagen. Dicht trat er an sie heran, nahm ihren Duft wahr, den sie, wie auch immer, in einen unsichtbaren, unwiderstehlichen Nebel verwandelt hatte, den ihre Haut verströmte, wie die Sonne das Licht.
»Natürlich vermag ich das, mein Engelchen«, hauchte er ihr ins Ohr, »aber gewiss nicht hier!« Damit hob er sie sanft in seine Arme und trug sie die Stiege hinauf. Die Stufen knarrten und ächzten unter seinen Füßen und er schickte ein Stoßgebet zum Himmel, die Götter mochten ihm diesen süßen Moment nicht damit vergällen, indem sie die alte Holztreppe zusammenbrechen ließen.
Antarona schlang ihre Arme um seinen Hals und schmiegte sich an ihn, wie ein verängstigtes Kätzchen, das Geborgenheit suchte. Mit einem gezielten Tritt öffnete Sebastian schwungvoll die Tür und mit umgekehrter Akrobatik ließ er sie wieder ins Schloss fallen. Behutsam legte er seine Geliebte auf das riesige Bett und versprach:
»Ich werde gleich bei dir sein, dann zeige ich dir, wie das wieder ab geht. Aber es kann etwas länger dauern!«
Damit ging er einmal durch den Raum, zündete jede Fackel und jede Kerze an, die er fand. Anschließend zog er sich das Hemd über den Kopf, tat, als nahm er es anstelle eines Tuches.
»Meinst du, damit wird es gehen«, fragte er seine Frau scheinheilig. Antarona schloss in himmlischer Erwartung die Augen und wusste, dass sie wieder einmal nicht viel schlafen würden...

Antarona und Sebastian schliefen bis tief in den Tag hinein. Falméra war längst zum Leben erwacht, als Sebastian die Fenster des Schlafgemachs aufstieß und ein Schwall frischer Luft, gewürzt mit den Gerüchen der Stadt und des Hafens herein strömte.
Unter den Fellen auf dem Bett blickte ein tadelndes Augenpaar hervor und eine verschlafene Stimme lockte ihn:
»Was tut ihr dort zu früher Zentare, Ba - shtie, kommt zu Sonnenherz unter das Fell zurück, und gebt ihr von eurer Wärme!«
»Früh?« entgegnete Basti verwundert, »das nennst du früh, ausgerechnet Antarona Holzer?« Er blickte eine Weile unschlüssig auf den Fellberg und malte sich die süße Verlockung aus, die darunter lauerte. Es war wie Schokolade. Man konnte nie genug davon bekommen!
Sebastian erlag der Versuchung. Antarona zog ihn an, wie der Honig die Bienen. Schnell, bevor sie es sich noch einmal anders überlegte, kroch er zu ihr zurück unter die Felle. Sofort kuschelte sie sich an ihn, wie ein Kätzchen. Ja, sie war wie eine Katze, eine Wildkatze zwar, aber eben doch eine Katze!
Eng umschlungen lugten nun zwei Augenpaare unter der warmen Hülle hervor, lauschten auf die Geräusche auf der Straße und auf den Lärm, der vom Hafen herauf drang. Ständig wurden dort Schiffe beladen und geleichtert. Falméra war für Sebastian wie ein blühender, mittelalterlicher Warenumschlagplatz, eine Metropole, die ihre Blütezeit weit vor der Ära seiner Zeit in seiner Welt erfuhr.
Wie spät es genau war, vermochte Sebastian nicht zu erfassen, doch schon drangen wieder die Düfte des Marktes in ihr Schlafgemach. Es roch nach Seifen, nach frischem Brot, geröstetem Fleisch und nach allerlei Gewürzen. Er hatte das Gefühl, auf einem orientalischen Basar zu wohnen, und so falsch war das wohl auch gar nicht.
Denn Falméra besaß das ganze Jahr über ein Klima, das in seiner Welt dem Mediterranen gleich kam. Kaum vorstellbar, dass gerade mal fünfzig Kilometer weiter, über den Meeresstreifen hinweg, tiefster Winter herrschte. Diese Welt, Antaronas Welt, besaß einige Phänomene und Eigenschaften, die dem früheren Wunschdenken eines Sebastian Lauknitz entsprungen sein konnten.
Aber gerade in Situationen wie dieser, in solchen Momenten, in denen er das Gefühl von Geborgenheit und Zuhause verspürte, schob er solche Gedanken weit von sich, verblasste seine eigene Welt immer mehr. Angestrengt versuchte er sich an sie zu erinnern, an seine kleine Wohnung, die so gar nichts gemein hatte, mit Antaronas Haus.
Er gab sich Mühe, sich an seine Arbeit als Stuckateur zu erinnern, an seine Kollegen, seinen Vater, seine Mutter und an seine Geschwister, die ebenfalls dem elterlichen Betrieb verbunden waren. Wie sah seine Stadt aus? Wie das Dorf, in dem er aufgewachsen war? Inzwischen kam ihm das alles so fremd vor, wie die Welt in einem Film.
Real war für ihn nun diese Welt, Antaronas Land, ihre Stadt, ihre Berge. Ihre glatte Haut, die sich unter den Fellen genüsslich an ihn schmiegte, war sehr real. Sein bisheriges Leben schien einem Alptraum entsprungen zu sein. Nichts mehr davon war gegenwärtig.
Ein Poltern schreckte Sebastian hoch. Antarona und er fuhren gleichzeitig aus ihren Kuschelfellen auf und sahen sich erschrocken um. Sie sah ihn zuerst. Einen dicken Stein, der auf den Dielen ihres Schlafgemachs lag. Nackt, wie sie war, wollte Antarona aus dem Bett springen und aus dem Fenster nach dem Störenfried Ausschau halten.
»Spinnst du«, hielt Sebastian sie zurück, »du weißt doch gar nicht, wer dort draußen lauert! Was, wenn als nächstes ein Pfeil herein geflogen kommt?« Ärgerlich sah sie ihn an. Ihre weibliche Ungeduld und Neugier war stärker. Wieso war Ba - shtie immer nur auf Sicherheit bedacht?
»Wer sollte schon wissen, dass Sonnenherz und Areos es sind, die dieses Haus bewohnen?« sprach sie und sprang auf die Dielen. Ihre Müdigkeit und Anhänglichkeit war mit einem Schlag verflogen. Im Vorbeigehen schnappte sie sich einen Umhang und warf ihn sich über die Schultern, bevor sie ans Fenster trat.
Sebastian hopste inzwischen von einem Bein auf das andere und bemühte sich, mit seinen Füßen einen Weg in seine Hosenbeine zu finden.
»Es ist Frethnal, Ba - shtie, er begehrt euch zu sprechen«, verkündete sie mit einiger Enttäuschung in der Stimme. Sebastian humpelte ans Fenster, während er noch seinen Gürtel festzog, und spähte hinaus. Unten auf der Straße stand Frethnal mit hektischen, roten Flecken im Gesicht. Er musste sich sehr beeilt haben, sie zu finden. Wobei er nur vermutet haben konnte, wo sie sich aufhielten.
»Frethnal, Gnade euch der Götter, wenn es nicht wirklich wichtig ist«, rief Sebastian hinab, »wartet, ich komme hinunter!« Noch auf der Treppe zog er sich das Hemd und den Waffenrock über, Im Flur schlüpfte er noch rasch in die Stiefel. Es war nur Frethnal, doch auch sein Diener musste ihn nicht unbedingt in zweifelhafter Pose erblicken.
Sebastian schob den Riegel zurück und öffnete die Tür zur Hälfte. Er packte Frethnals Arm, als dieser herantrat, zog den überraschten Diener schnell ihn in den Flur und warf die Tür wieder ins Schloss. Bevor der Ärmste etwas sagen konnte, fragte ihn Sebastian in rüdem Ton:
»Frethnal, was zum Henker tut ihr hier? Seid ihr sicher, dass euch niemand verfolgt hat? Und woher wusstet ihr, dass wir hier sind?«
»Ba - shtie, lasst ihn doch erst mal Luft holen!« Antarona war in der Tür zum Wohnraum aufgetaucht. Sie hatte sich ein einfaches, schlichtes Arbeitskleid übergeworfen, das ihrer Schönheit aber keinen Abbruch tat. Frethnal starrte sie mit offenem Mund an. Vermutlich malte er sich gerade bildlich aus, womit sich seine beiden Herrschaften in der warmen Nacht die zeit vertrieben hatten. Sebastian knuffte seinem Diener freundschaftlich in die Seite, zwinkerte mit einem Auge und sprach:
»Los, nun redet schon, was führt euch zu so früher Zentare hierher?« Frethnal schien sich etwas über Sebastians Aussage in Bezug auf früh zu wundern, antwortete aber pflichtbewusst:
»König Bental vermisst euch. Beide!« Verlegen trat der Diener von einem Fuß auf den anderen, bevor er fort fuhr.
»Er tobt in seinen Gemächern herum und brüllt alles Gesinde zusammen, seitdem er erfahren hat, dass ihr verschwunden seid. Und mit Verlaub, Herr, wir, also Vesgarina und euer ergebener Frethnal, hatten uns auch schon um euch gesorgt.« Sebastian sah ihn erschrocken an und wies zur Eingangstür.
»Ist Vesgarina etwa auch noch dort draußen?« Frethnal schüttelte den Kopf und hob beschwichtigend die Hände.
»Nein, Herr, ist sie nicht. Seine gütige Hoheit hat eurem Diener allein aufgetragen, euch zu finden. Hätte ich euch nicht gefunden, so rollte mein Kopf am Abend im Staub des Burghofes, zur Ermahnung an alle, welche euch, Herr, und Antarona allzu gut zugetan sind.«
»Ach, nichts dergleichen wird er tun«, beruhigte ihn Sebastian und klopfte ihm vertraulich auf die Schulter, »ich werde euch sagen, was ihr tut, Frethnal. Ihr werdet nun zu eurem König gehen und ihm verkünden, dass ihr uns im Hafen von Falméra herumtreibend gefunden habt und wir uns in drei Zentaren wieder auf der Burg einfinden. Ihr werdet sehen, euer Kopf wird auch morgen noch eure Schultern zieren!« Sebastian machte eine einladende Geste in den Wohnraum hinein und fügte hinzu:
»Aber zunächst einmal werdet ihr mit uns essen und trinken, treuer Frethnal, sonst fällt euch das Fleisch noch von den Knochen!« Mit sanfter Gewalt schob er seinen Diener in den Wohnraum, wo Antarona bereits frisches Wasser in Becher goss.
»Schließlich«, so fuhr Sebastian fort, »haben wir es euch und Farasami zu danken, dass wir nun einen so vortrefflichen Schlupfwinkel haben. Und ich möchte, dass es so bleibt, versteht ihr mich?« Bastis Augen sahen Frethnal bohrend an. Als dieser nicht gleich antwortete, erklärte er:
»Mit anderen Worten, ich wünsche, dass ihr über unseren geheimen Zufluchtsort schweigt! Nebenbei bemerkt, ihr habt mit diesem Haus ein wahres Wunder vollbracht, ihr habt an jeden Winkel Hand angelegt, das rechne ich euch hoch an!«
Nachdem Antarona noch einmal eine einladende Geste gemacht hatte, verlor Frethnal seine Scheu und langte kräftig zu, als hätte er die letzten drei Tage nichts zu Essen bekommen.
»Frethnal«, fragte nun Antarona, »was ist mit Vesgarina, geht es ihr gut?« Echte Sorge klang in ihrer Stimme mit. Doch Frethnal vermochte sie zu beruhigen.
»Habt keine Furcht, Herrin, Frethnal hat sie nicht allein zurück gelassen. Er hat sie so lange zum Gesinde der Waschweiber gebracht. Sie ist dort gut aufgehoben.«
»Da wir gerade von aufheben sprechen«, fiel ihnen Sebastian ins Wort, »wo habt ihr eigentlich den Stein aufgehoben, den ihr durch unser Fenster warft, Herr Frethnal? Und überhaupt, was sollte das eigentlich? So einen dicken Brocken durch unser Fenster zu werfen! Hattet ihr gar keine Furcht, ihr könntet jemanden damit den Schädel einschlagen?«
»Nein, Herr«, antwortete der Diener grinsend, »habt ihr schon vergessen? Wir hatten an jeden Winkel diese Hauses Hand angelegt! Ich wusste, wo der Stein landen würde!« Sebastian sah Antarona mit ernstem Blick, aber mehr zum Spaß fragend an.
»Antarona, sag mir, was soll ich mit diesem Kerl anstellen? Der gibt mir mehr freche Antworten, als sonst irgend jemand hier!« Sie zuckte gleichmütig mit den Schultern und gab wie ganz nebenbei zurück, als wäre Frethnal gar nicht anwesend:
»Ba - shtie, vielleicht solltet ihr ihm erlauben, sein Herz mit dem Vesgarinas zu verbinden. Sie würde ihm schon das Haupt gerade rücken, auch ohne viele Worte!« Sebastian hieb mit der Faust auf den robusten Tisch und spielte den Überraschten.
»Donnerwetter! Warum bin ich eigentlich noch nicht selbst darauf gekommen?« tat er naiv. Seinen Diener scheinbar ignorierend, schob er den Oberkörper über den Tisch zu Antarona hin und fragte leise, aber doch so laut, dass ihn Frethnal sehr wohl verstehen konnte:
»Was meinst du, Antarona, ob die beiden sich überhaupt lieben? Glaubst du, Frethnal wäre ihr ein guter Mann, der sie beschützt, sie ehrt und gut für sie sorgt?« Aus den Augenwinkeln beobachtete er seinen Diener, der sich vor Verlegenheit mit dem Messer beinahe den Finger, anstelle eines Stückes Wurst abschnitt.
Dann sah Sebastian Frethnal direkt an, dass dieser fast seinen Wasserbecher umgestoßen hatte und sagte versöhnlich:
»Ich hoffe, ein jeder im Gesinde weiß, dass er, trägt er sich mit solchen Absichten, damit nicht vor den König zu treten braucht, wenn er befürchten muss, dass ihm dieser Wunsch verwehrt wird. Jeder kann damit zu jeder Zentare zu mir kommen. Lieben sich zwei, so werde ich ihnen nicht im Wege stehen!«
Frethnal würgte verzweifelt an seinem Stück Wurst starrte die Tischplatte an und sagte keinen Ton. Sebastian wandte sich wieder Antarona zu.
»Ist jedoch einer so kühn, Hoffnungen und Gefühle in einem unschuldigen Mädchen zu wecken, ohne dazu zu stehen, so werde ich ihm persönlich in seinen dummen Hintern treten, bis er aufwacht!«
Antarona, die gewöhnlich immer ihre Selbstbeherrschung behielt, lächelte offen. Sie wusste, dass zumindest Vesgarina innige Gefühle für Frethnal hegte. Ob diese ehrlich erwidert wurden, entzog sich sogar ihrer geheimnisvollen Sinne.
Nun, was Frethnal und Vesgarina betraf, war gesagt worden, was Antarona und Sebastian darüber dachten. Alles weitere lag bei den beiden selbst.
Sebastian führte Frethnal noch in den Garten hinaus. Er zeigte ihm den Zustand der Anlage und des Brunnens und erklärte ihm, wie er sich vorstellte, etwas daran zu ändern.
»Ich werde euch wiederum großzügig mit Quarts ausstatten und ihr werdet mir das in Ordnung bringen. Nehmt euch dafür so viel Leute, wie ihr braucht«, wies er ihn an, »die dürfen aber keine Fragen stellen und müssen schweigen können!«
Sebastian sah seinen Diener an und stellte fest, dass der nicht so recht bei der Sache war. Vermutlich kreisten seine Gedanken um Vesgarina, die ihm allem Anschein nach gehörig den Kopf verdreht hatte.
»Frethnal, hört ihr mir zu? Das ist wichtig«, schärfte Sebastian ihm ein, »ich muss mich auf eure Verschwiegenheit und der jener Leute, die ihr für mich arbeiten lasst, unbedingt verlassen können!« Etwas irritiert blickte Frethnal ihn an und versicherte:
»Ja, Herr, sorgt euch nicht, es wird so geschehen, wie ihr es wünscht!« Basti geleitete ihn zur Tür und sagte ihm, indem er forschend durch einen Spalt nach draußen spähte:
»Und überlegt euch das mit Vesgarina! Wenn ihr sie von Herzen liebt, was freilich nur ihr selbst zu wissen vermögt, so werden wir dies beim König für euch einstehen. Ich gehe sogar so weit zu versprechen, dass ich euch ein bescheidenes Heim einrichten lasse, denn ich sorge für jene, die mir treu ergeben sind! Merkt euch das! So, und nun hinaus mit euch, ihr habt ja wohl noch eine Botschaft zu überbringen nicht wahr?«
Damit entließ Sebastian seinen offenbar etwas überrumpelten Diener. Lächelnd blickte er ihm durch den Türspalt nach. Sie brauchten Verbündete, wie Frethnal und Vesgarina. Und je mehr die beiden sie ohne Zwang achteten, um so eher konnten ihnen Antarona und Sebastian in der Not ohne Einschränkungen vertrauen.
Eine Stunde später verließen auch sie ihr neues Versteck, Antaronas Haus, jedoch durch die Hintertür. Sie mussten die Anonymität ihres heimlichen Asyls schützen, wollten sie es künftig unerkannt nutzen. Den Schlüssel nahmen sie mit.
Durch den Abwassergraben, der hinter dem Garten verlief, gelangten sie außer Sichtweite und später auf eine Straße. Auf dem Weg zur Burg wurden sie natürlich erkannt. Viel zu sehr hatte sich das beliebte Paar der Elsirentänze in den Köpfen der Ival eingebrannt.
Sie wurden freundlich begrüßt, nach ihrem Wohlbefinden gefragt und danach, wann sie denn das nächste Mal die Tanzplätze mit ihrer Choreografie bereicherten. Es fiel kein Wort über den König, oder die Burg, kein Wort von der Politik Bentals, kein Wort, was das offizielle Amt des Areos betraf. Nur einmal bat eine Mutter um die Aufnahme ihres Sohnes in die Heerlager.
Antarona und Areos genossen den Status von Volkshelden, nicht den von Herrschenden, die sie ohnehin nicht wirklich waren. Es kam zwar vor, dass Antarona wegen ihres Aussehens mit Asgarinia, ihrer Mutter, der verstorbenen Königin in Verbindung gebracht wurde, doch nicht in solchem Maße, wie von Bental befürchtet.
Wem die Ähnlichkeit auffiel, der betrachtete sie eher als zufällig und behandelte sie entsprechend oberflächlich. Antaronas Äußeres war kein Gesprächsthema. Ihre Gabe zu tanzen schon. Den Ival stand mehr der Sinn nach Zerstreuung, als nach fehlgeleiteter Politik und den Geboten der Götter. Das Volk, unzufrieden und enttäuscht von seiner Regierung, suchte nach Ablenkung. Die Ival ignorierten die lauernde Gefahr von Invasion und Infiltration.
Doch je mehr Antarona und Sebastian Präsenz beim Volk zeigten, welche von ihnen wurden, Beliebtheit und Berühmtheit gleichermaßen erlangten, desto eher war es im Bedarfsfall möglich, die Ival zu lenken, sie zum Widerstand zu formen. Dies zumindest glaubte Sebastian und zog seine Einschätzung aus der geschichtlichen Erfahrung seines eigenen Volkes, seiner eigenen Welt.
Antarona und Sebastian erreichten die Himmelsburg am Nachmittag. Ein paar Gewitterwolken waren aufgezogen und in Erwartung eines heftigen Regenschauers hatten sich die Wachen in ihr Torhaus zurückgezogen. Offenbar rechneten sie zu dieser Tageszeit nicht mit einer Kontrolle durch Vorgesetzte. Um so erstaunter und aufgeschreckter reagierten sie beim Anblick ihres Heerführers, der plötzlich in der Tür stand, den sie aber gar nicht hatten hinausgehen sehen.
Völlig überrumpelt fuhren sie hoch, dass die Stühle auf denen sie saßen, polternd umkippten. Sie versuchten rasch Haltung anzunehmen, um wenigstens ein wenig wie Wachsoldaten auszusehen. Ihr Bemühen endete jedoch in einem heillosen Durcheinander, denn sie hatten ihre Schwerter lässig über die Stuhllehnen gehängt, die nun auf dem Boden lagen.
Sebastian musste sich mühevoll ein Grinsen verkneifen und zitierte den Wachführer nach draußen. Der folgte ihm mit hektischem Gehabe, das offensichtlich Diensteifrigkeit bezeugen sollte. Sebastian musterte den Mann von oben bis unten, der sich gerade noch den Waffenrock zurecht rückte.
»Wie ist euer Name?« fragte Sebastian mit eiskalter, autoritärer Stimme, die den Delinquenten noch mehr einschüchterte.
»Aranem, aus dem Hause Elanti, Herr«, kam es stotternd aus seinem Mund. Elanti. Irgendwo hatte Sebastian diesen Namen schon einmal gehört. Er konnte sich aber nicht mehr erinnern, in welcher Verbindung.
»Gütiger Herr«, begann Aranem den einfältigen Versuch, sich für das grob fahrlässige Wachvergehen zu entschuldigen.
»Es ist nicht so, dass die Wache stets unaufmerksam ist, Herr, es war nur...« Anscheinend suchte Aranem nach einer verzweifelten Ausrede, um sich zu rechtfertigen. Sebastian schnitt ihm das Wort ab:
»Herr von Elanti, wenn ihr schon euren Wachgang nicht so ernst nehmt, wie von euch gefordert, so gebt es wenigstens zu! Mit einem Geständnis und etwas Einsicht ist mir noch halbwegs gedient, nicht jedoch mit Wachführern, die mich belügen! Wie soll ich zum Beispiel einen Angriff einschätzen, wenn ich nicht sicher bin, ob meine Wachführer ehrlich zu mir sind?«
Aranem trat verlegen von einem Bein auf das andere und suchte wohl immer noch nach einer Entschuldigung.
»Nun«, hakte Sebastian nach, »was habt ihr dazu zu sagen?« Der Wachführer blickte sich unentschlossen zum Wachraum um, als erhoffte er nun Hilfe von seinen Soldaten.
»Ich will euch etwas sagen und hört mir gut zu!« ermahnte ihn Sebastian eindringlich. »Es mag euch vielleicht entgangen sein, aber es gibt eine lauernde Bedrohung, die im Augenblick erst mal von Torbuk, also von Quaronas ausgeht. Zugegeben, wir werden im Moment nicht angegriffen. Das aber kann sich zu jeder Zentare ändern. Und wenn es so weit ist, wird sich der Feind nicht etwa laut ankündigen, sondern er steht plötzlich und unerwartet vor euch! Versteht ihr das?«
Eingeschüchtert und schuldbewusst nickte Aranem. Sebastian legte ihm freundschaftlich die Hand auf die Schulter und nahm ihn etwas zur Seite, um seine Autorität nicht völlig zu untergraben.
»Solange ihr mir nicht versichern könnt, dass Torbuks Schiffe bei gutem Wetter und strahlendem Sonnenschein in der Bucht auftauchen, muss ich von euch höchste Wachsamkeit verlangen. Auch wenn von Torbuks Armee nichts zu sehen ist, sind seine Spione bereits hier. Darum muss ich mich auf euch verlassen können! An euch ist es, ob Falméra sicher ist, oder nicht.«
Sebastian musste daran denken, wie schwer es war, Antarona aus ihren Gemächern heraus zu bringen. Und nun animierte er die Wachen zu noch mehr Aufmerksamkeit. Paradox!
»Aranem, die Himmelsburg ist der sicherste Ort in Falméra und vielleicht einmal der letzte Zufluchtsort für die Ival auf dieser Insel«, versuchte Sebastian ihm zu erklären.
»Die Burg ist aber nur so sicher, wie eure Aufmerksamkeit! Wenn ich den Feind in der Burg fürchten muss, weil ihr eure Augen wegen des drohenden Regens vom Tor abwendet, dann setzt ihr eure Freiheit und die eurer Familie aufs Spiel. Wollt ihr das? Ihr habt doch eine Familie, oder?« fragte Sebastian lauernd.
»Ja Herr«, antwortete Aranem und plötzlich begann sein Gesicht zu strahlen. »Ich habe eine gute Frau und drei Kinder, Herr. Miranor, mein Ältester, er ist mein ganzer Stolz, ein guter Sohn. Er träumt davon, einmal in einem eurer Heerlager dienen zu dürfen, Herr.«
Miranor, Miranor von Elanti. Sebastian wusste, dass er den Namen schon einmal gehört hatte, aber wo? In welchem Zusammenhang? Antarona, die nicht von seiner Seite gewichen war, unterbrach seine Gedanken:
»Ba - shtie, solltet ihr nicht längst beim König sein?« Antarona hatte Recht. Wenn er Bental zu lange warten ließ, würde dieser ihn um so übel gelaunter empfangen. Das würde möglicherweise auch die Frau zu spüren bekommen, die er liebte, die er entgegen Bentals Willen...
Das war es! Plötzlich fiel ihm ein, woher er den Namen Miranor kannte. Miranor war einer der Freunde von Tariz, er war jener, der sein Herz heimlich mit dem von Tariz verbunden hatte! Und der Name Elanti stand in der Liste, die er von Bental als Information über die Jugendlichen erbeten hatte.
»Sagt, Aranem«, fühlte Sebastian mit einiger List vor, »ist euer Sohn möglicherweise jener, der mit Tariz verbunden ist, jener Oranuti, welche in der hohen Gunst der Himmelsburg steht?« Sebastian sah, wie dem Wachführer vor Schreck die Gesichtszüge entglitten.
»Sie ist eine Oranuti, Herr! Mein Sohn hat nicht meine Erlaubnis, sein Herz mit einer Oranuti zu verbinden, Herr, tut er es dennoch, so...« Sebastian unterbrach ihn und tat, als hätte er seinen Einwand gegen Tariz gar nicht gehört:
»Nun, Tariz Familie genießt sehr hohes Ansehen beim König«, schwindelte er, »sollte sich euer Sohn mit ihr verbinden, so wird ihm der Weg als Krieger in euer Hoheit Heerlager gewiss nicht verwehrt werden, denke ich.«
Aranem biss sich fast auf die Lippe. Dann antwortete er: »Wie ihr meint, Herr, so soll es sein.« Sebastian nickte zufrieden.
Er wusste, dass dies nicht der richtige Weg war, die Liebe Miranors und Tariz zu unterstützen, und schon gar nicht, sich auf diesem Wege Tariz Vertrauen zu erschleichen, um Indizien für eine Invasion Torbuks durch eine Oranuti Flottille und eine Infiltration der Oranuti zu bekommen.
Aber der Zweck heiligte die Mittel! So versuchte Sebastian sein Gewissen zu entlasten. Wieder einmal galt das Schicksal eines Einzelnen nicht so viel, wie das Wohl eines ganzen Volkes. Doch wie weit durfte man diese Regel biegen, beugen und ausnutzen, bis man sich moralisch schuldig machte?
Bental schien da weniger Skrupel zu haben. War es genau das, was ihn zum Herrscher machte, zum König, zum Hüter über das Wohl des Volkes? Musste die Moral wieder und wieder der Vernunft weichen, um dem Wohl und der Sicherheit des Volkes Rechnung zu tragen, um ein guter Landesvater zu sein?
Politik, das erkannte Sebastian immer deutlicher, war der Spagat zwischen Wahrheit und Ehrlichkeit auf der einen, und der notwendigen Bereitschaft zur Lüge für die Sicherheit des Volkes auf der anderen Seite. Was als Ergebnis und als Vorteil für das Wohl des Volkes dabei heraus kam, entschied dann darüber, ob eine Entscheidung, mit oder ohne Lüge, richtig oder falsch war. Sebastian lernte, dass Moral in der Politik ein ziemlich dehnbarer Begriff sein konnte.
Nun akzeptierte er etwas, das er in seiner Welt verurteilt hätte. Er belog und betrog Menschen. Scheinbar, objektiv betrachtet, zum Wohl des Volkes. Doch welchen Volkes? Nicht seines, sondern Antaronas! So oder so, er musste sich eingestehen, es war eine subjektive Entscheidung.
Mit Zweifeln, die Bental ganz sicher nicht gehabt hätte, ließ er Aranem seine Wache fortführen und betrat mit Antarona die Höhle des Löwen. Frethnal begrüßte sie zunächst in den Gemächern Areos, mit der Botschaft, dass Bental gerade einer Abordnung der Oranuti Audienz gewährte.
»Frethnal«, ordnete er an, »ihr tragt mir Sorge dafür, dass meine Frau sicher in ihre Gemächer gelangt. Und überzeugt euch davon, dass Vesgarina anwesend ist. Ich gehe inzwischen zum König!« Damit nahm er Antarona in den Arm und flüsterte ihr ins Ohr:
»Wir werden nun oft zusammen sein können, mein Engelchen. Wir kennen nun den Weg aus der Burg!« Antarona nickte lächelnd und ließ ihn gehen.
Auf dem Weg zum Treppenturm fiel ihm auf, dass er wohl einen Waffenrock, nicht aber den Standesgemäßen des Heerführers trug. Das Kleidungsstück aus Antaronas Haus hatte Farasami sicher irgendwo auf dem Markt erstanden. Rasch bog Sebastian in sein Ankleidezimmer ab, und zog sich um.
In sauberem und angemessenem Rock stand er wenig später vor dem kleinen Sitzungssaal und vor einem skeptisch drein blickenden Hekthur.
»Seine gütige Hoheit ist noch in einer Audienz mit den Abgesandten der Oranuti, Herr«, verkündete dieser steif, »wenn ihr bitte hier warten wollt, ich kann euch...«
»Nein, ich will nicht warten«, unterbrach ihn Sebastian kühl, »der König hat nach mir verlangt, also gehe ich zu ihm!« Hekthurs Protest ignorierend drückte er den Riegel hoch und trat in den Audienzsaal. Noch bevor der Diener hinter ihm eintreten konnte, warf Sebastian die schwere Holztür wieder ins Schloss.
Laute, erregte Stimmen klangen vom anderen Ende des Saals zu Sebastian herüber. Offenbar hatte niemand sein Eintreten bemerkt. Wie unvorsichtig! Langsam bewegte er sich aus dem Schatten des Türrahmens heraus, wurde aber noch von einer der mächtigen Säulen verdeckt. Er blieb stehen und lauschte dem angeregten Gespräch.
Offenbar ging es den Oranuti um eine Abgabenminderung. Soviel Sebastian verstehen konnte, baten die Abgesandten um eine Steuererleichterung, um mehr Quarts für den Handel in Falméra investieren zu können. Der König, oder seine Berater, vielleicht auch beide, wollten der Bitte wohl nicht entsprechen. Sebastian hörte einen Abgesandten sagen:
»Eure gütige Hoheit sollte nicht vergessen, dass jener Bündnisvertrag aus den Zentaren der Asgarinia zwischen den Ival und den Oranuti ein Handelsabkommen in seinen Rollen weiß, welches bei gut gedeihendem und stets steigendem Handel zwischen beiden Völkern nachzubessernde Bedingungen für den Oranuti Handel vorsieht!«
»Dieser Forderung«, konnte man nun Elwhas Stimme vernehmen, »ist seine gütige Hoheit bereits nachgekommen, als er die Kontrollen der Oranuti Wasserwagen zwischen dem großen Strom und dem südlichen großen Wasser aufgehoben hatte. Der König der Ival war also bereits geneigt, eine großmütige Entscheidung des Vertrauens zwischen unseren Völkern als Erfüllung des Vertrages zu gewähren.«
»Das wissen wir wohl, weiser Elwha, und die Handelsvertreter der Oranuti hatten dies mit mehr Wasserwagen je Mond verdingt, welche den Hafen Falméras ansteuerten«, argumentierte der Oranuti. Er räusperte sich und fuhr dann erklärend fort:
»Doch hier geht es nicht um Vertrauen, Hoheit, sondern um einen gesunden, wachsenden Handel zwischen unseren Völkern. Es geht allein um Quarts, die wir gedachten einzusparen, um sie für neue und größere Handelsniederlassungen auf Falméra einzusetzen, was euch ebenfalls zugute käme!«
»Verehrter Abgesandter, lasst es mich so sagen«, drang nun Bentals feste Stimme durch den Raum, »Tatsache ist, es kommt keiner umhin zu erkennen, dass ihr, sowohl die Handelnden, als auch die Stammesführer der Oranuti von einer erhöhten Handelsmenge Vorteil zieht. Mehr noch, als die Ival, denn der Oranuti Handel stellt für viele bei den Ival begehrten und mittlerweile unverzichtbaren Waren den einzigen Anbieter.«
Es folgte eine kurze Pause und noch bevor einer der Oranuti Vertreter das Wort ergreifen konnte, setzte der König nach:
»Ihr habt daher keinen wirtschaftlichen Rivalen und nutzt die von mir nicht gut zu heißende Macht, eure Preise nach Gutdünken zu erhöhen. Folglich verdient ihr bereits über die Maßen an meinem Volk. Darum muss ich eure Bitte um weniger Abgaben ablehnen!«
Sebastian frohlockte bereits, dass der König die Forderung der Oranuti, welche einer offenen Frechheit gleichkam, im Keim erstickte. Doch die Oranuti waren gewitzte Händler. Der Forderer ergriff wieder das Wort:
»Gütige Majestät, ihr lasst jedoch außer Acht, dass wir für mehr Handel auch mehr Aufwand für den Transport benötigen. Und da der Landweg bis zum Kap durch Torbuk, euren feindlich gesinnten Bruder, blockiert ist, müssen wir alle Güter auf dem großen Strom zu euch bringen. Wir müssen mehr Wasserwagen bauen und das kostet nun einmal viele Quarts!« Ein anderer erhob nun die Stimme, der zweifellos ebenfalls die Oranuti vertrat.
»Es gäbe da allerdings noch eine Möglichkeit, auf den Erlass von Abgaben verzichten zu können, euer Hoheit. Mehr Wasserwagen bedeutet mehr Holz, denn sie müssen ja gebaut, repariert und ausgebessert werden. Falméra, wie mir scheint, besitzt Holz in Fülle. Gutes, festes Holz, gerade im Wuchs und nicht so hart und schwer, wie das der Oranuti, also bestens geeignet für Wasserwagen, die große Lasten tragen müssen.«
Anscheinend wollten sie dem König Sand in die Augen streuen und ihm einen für die Ival unvorteilhaften Kuhhandel aufschwatzen. Wieder übernahm der erste Abgesandte die Argumente für die Oranuti:
»Hoheit, ihr habt über viele Zentaren hinweg eure Wälder unangetastet gelassen, um, wie wir hörten, das Gleichgewicht des Vermächtnisses der Götter zu schützen. Nun, ist es nicht an der Zeit, auch an jene zu denken, die leben, welche des Fortschritts bedürfen, nämlich euer Volk? Gebt uns eine Rolle, welche uns das Recht zuspricht, auf Falméra Holz für den Bau neuer Wasserwagen zu schlagen und eine Bitte um Steuererlass ist mit einem Schlage überflüssig!«
»Wir verstehen eure Sorge um das Wohl des Landes, das euch einst eure Götter anvertraut haben, Hoheit«, vernahm man nun wieder den anderen Sprecher, »doch seid versichert, dass wir stets nur so viel Bäume schlagen, dass der Fortbestand der Wälder auf immer gegeben ist. Wir versprechen, nur die alten, mächtigen Stämme zu holzen, die der Wind sowieso zu Fall bringt und die jungen, wachsenden Bäume stehen zu lassen!«
»Bedenkt, dass der Reichtum des Erbes eurer Götter am Ende euch selbst zugute kommt. Die Oranuti bauen mehr Wasserwagen, bringen mehr Waren nach Falméra und können diese bei größerem Angebot auch noch für weniger Quarts anbieten. Das Volk der Ival wird bei diesem Handel Gewinner sein!«
Sebastian stand hinter der Säule und platzte beinahe vor Aufregung und Zorn. Das war es also! Sie wollten Holz. Diese Mistkerle wollten das gute Holz Falméras! Natürlich! Wenn sie das Holz Falméras in den Norden Zarollons verschiffen konnten, sparten sie ein Dreiviertel des Wasserweges. Bentals Kontrolle des großen Stroms war ja aufgehoben, dadurch bliebe dieser Schachzug unentdeckt!
Zweifelsohne war es für die Oranuti von unschätzbarem Vorteil, das Holz für den Bau einer Invasionsflotte Quaronas aus dem Bestand jenes Volkes zu ziehen, welches damit erobert werden sollte.
Nun wurde ihm mit einem Schlag nicht nur die Taktik klar, welche dahinter steckte, sondern auch, was Medunzia und die Oranuti auf dem Felsvorsprung oberhalb der Stadt zu suchen hatten. Wahrscheinlich diente diese Besichtigung zweierlei Ansinnen.
Erstens verschafften sie sich einen Überblick über die strategische Position der Burg über der Stadt und dem Hafen. Zum anderen konnten sie von dort oben, aus erhöhter Warte, gut Falméras Kapazitäten an Bauholz einschätzen.
Demnach war es gut möglich, dass Medunzia eine Spionin der Oranuti, möglicherweise sogar Torbuks war. Das sie für die Anschläge auf Antarona und für den Tod Farasamis verantwortlich war, schloss Sebastian nun ebenfalls nicht mehr aus.
Sebastian blieb in der Deckung der Säule und lauschte weiter. Er hoffte, Bental würde sich daran erinnern, was er ihm über seine und Antaronas Theorie verraten hatte und richtig reagieren. Tatsächlich war es nun wieder die Stimme des Königs, die den Raum beherrschte:
»Und was gibt uns die Garantie, geschätzte Gesandte der Fürsten von Oranutu, dass dieses Holz nicht in den Norden Zarollons gebracht wird, um beispielsweise eine Armada für Torbuk, meinen feindlich gesinnten Bruder zu bauen, die eines schönen Morgens vor der Bucht Falméras aufkreuzt?« Bental benutzte absichtlich die eigenen Worte der Oranuti.
Die plötzliche Stille im Saal wurde nur durch verhaltenes Fußscharren unterbrochen. Offenbar waren die Oranuti von der offen dargelegten Theorie des Königs völlig überrascht und unangenehm berührt. Anscheinend hatte Bental aber auch seine eigenen Berater in Staunen versetzt.
Der König hatte seine Vermutungen also noch nicht mit dem weisen Rat besprochen, wie er es Sebastian angekündigt hatte. Möglicherweise war dies aber auch eine gezielte Taktik. Zeigten seine eigenen Berater echte Überraschung, so konnten die Oranuti davon ausgehen, lediglich eine spontane, persönliche Vermutung des Königs zu hören.
Hätten jedoch Elwha und die anderen Berater von dieser Theorie gewusst und die mutige Frage unterstützt, so wäre es als ein offizielles Misstrauen Falméras gegen die Oranutis zu werten gewesen. Die Abgesandten hätten daraufhin wohl unter drohenden Protesten den Sitzungssaal verlassen. So gaben sie sich erstaunt und versuchten Bentals Gedanken ins Lächerliche zu ziehen.
»Eure gütige Hoheit belieben zu scherzen«, vernahm Basti nun wieder einen der Gesandten, »welcher Narr würde wohl so viel Holz mit noch mehr Aufwand den Strom hinauf bringen, um dann die Wasserwagen wieder gegen den Strom der Sonne entgegen fahren zu lassen?«
»Jener Narr«, entgegnete Bental kühl, »welcher fürchten muss, dass sein Tun nicht unentdeckt bleibt. Verzeiht mir meinen kühnen Gedanken, verehrte Abgesandte, doch welche Garantie gebt ihr uns? Oder wäre es angebracht, als Gegenleistung für eure Forderungen wieder die Kontrollen der Wasserwagen zu befehlen, welche nach der schlafenden Sonne hin ziehen?«
Inzwischen schien es so, dass es Bental gelang, die Oranuti seinerseits mit seiner Verhandlungstaktik in die Zange zu nehmen. Die Oranuti ließen sich tatsächlich verunsichern. Möglicherweise ahnten sie, dass Bental sie durchschaut hatte. Allerdings konnten sie nicht wissen, ob und mit welchen Beweisen Bental seine Scherze untermauern konnte.
Der König spürte ihre plötzlich verunsicherte Stimmung und nutzte diese kleine Schwäche schamlos aus.
»Hirten, die auf den Bergen des Cap Argón zufällig ihre Tiere weideten und zur Kurzweil eure vorüber ziehenden Wasserwagen zählten, berichteten von einer deutlichen Zunahme eurer Transporte seit Aufhebung meiner Kontrollen. Die Zahlen«, dabei blickte Bental gewichtig auf einige Rollen, die über den Tisch verstreut lagen, »erzählen mir das Gleiche, obwohl mir mein Hafenmeister versicherte, nicht mehr Wasserwagen, als in den Bündnisverträgen vereinbart gezählt zu haben.«
Bental schwieg einen Moment und sah die Abgesandten forschend an. Er passte den Augenblick ab, da einer der Oranuti sich rechtfertigen wollte und ergriff wieder das Wort.
»Oder wollt ihr mir etwa erklären, dass diese Wasserwagen wegen des Unvermögens eurer Steuerleute vom großen Strom erfasst und am Cap Argón vorbei getrieben wurden? Aber wo sind sie dann hin? Mit meinem feindlich gesinnten Bruder treibt ihr ja laut Bündnis keinen regen Handel. Also, wo sind die vielen Wasserwagen geblieben? Hat sie alle die See verschlungen?«
Einer der Gesandten wollte schon protestieren, doch Bental war noch nicht fertig. Und angesichts seiner zielstrebigen Argumentationen trauten sich auch Elwha, Omanistu und Gillenhardt, sowie Tieton, Fregenal und Plavemont, des Königs Berater, nicht, in die Kontroverse einzugreifen.
»Wie kommt es dann, dass meine treuen Hirten aber die gleiche Anzahl Wasserwagen wieder zurück, also der wandernden Sonne zufahren sahen, obwohl mein Hafenmeister sie wiederum nicht zählen konnte? Sind sie wieder aus den Tiefen der See emporgestiegen? Treibt ihr am Ende etwa Handel mit den Plontas?«
Bental log, dass Sebastian schon fürchtete, die Deckenbalken könnten sich vor Scham bis auf den Saalboden biegen. Wahllos griff er in den Haufen Schriften, entrollte eine und sah mit gewichtiger Miene auf den Inhalt.
»Die Zahlen belegen es eindeutig, könnt ihr mir das wohl erklären?« Damit warf er die Rolle wieder auf den Tisch, wie zur Aufforderung an die Oranuti, sich von seiner Behauptung zu überzeugen.
Das taten sie natürlich nicht und Bental hatte offenbar genau darauf gesetzt. Wahrscheinlich stand etwas ganz anderes in der Rolle, das mit dem Vorwurf nicht das geringste zu tun hatte. Aber seine geschickte Täuschung blieb nicht ohne Wirkung. Nervös erklärte einer der Oranuti plötzlich:
»Es mag eurer gütigen Hoheit ein fälschlicher Eindruck entstehen, der einfach erklärt werden kann. Die Oranuti dürfen laut Bündnis den Kleinhandel mit Zarollon betreiben, der auf zehn Wasserwagen jeden Mond begrenzt ist. Nun, da wir vermehrt die großen Wasserwagen für Falméra, also für euer gütigen Hoheit Volk einsetzen, müssen wir dreimal so viele kleine Wasserwagen für den Handel mit Zarollon einsetzen, um die dortigen Verträge zu erfüllen!« Ein anderer Oranuti, der den Gedanken seines Landsmanns rasch aufgegriffen hatte, fiel beschwichtigend mit ein:
»Eure gütige Hoheit kennen doch die Hirten, diese einfältigen Bauern, die jedem Hirngespinst nachjagen. Seit wann wissen diese zwischen schweren Transportern und leichten, kleinen Wasserfahrern zu unterscheiden? Sicher haben die nur die Schatten im Nebel gezählt, ohne die Wagen wirklich...« Eiskalt unterbrach ihn der König:
»Nennt ihr mein Volk einfältig, Herr von Oranutu, haben sich meine Ohren tatsächlich nicht getäuscht, habe ich das richtig verstanden? Ihr glaubt wirklich, wir sind einfältig, ja?« Sein Blick bohrte sich lauernd in die Augen seines Gegenüber.
»Nein, eure gütige Hoheit«, entschuldigte sich nun wieder die andere Stimme, »Musatar wollte damit sagen, dass gelegentliche Beobachtungen eurer Hirten vielleicht eine verzerrte Darstellung zulassen, welche der Wahrheit Abbruch tun.« Der Mann sprach gleich weiter, ohne Bental Gelegenheit zu geben, wieder das Wort zu ergreifen.
»Tatsache ist jedenfalls, dass wir durch gute Fügungen mehr Waren haben, als jemals zuvor. Waren, die von den Ival begehrt sind, wie die bunten Schmucksteine, Kleider- und Bodenstoffe, Rauchzeug, süße Waren und vieles mehr. Wir können sie nicht verderben lassen, doch mehr Transport kostet mehr Quarts. Quarts, die ihr nicht für eine eigene Herstellung aufwenden müsst.« Erneut führte der erste Redner die Argumente der Oranuti fort:
»Könnten wir die Waren wegen des teuren Transports nicht nach Falméra bringen, so müssten sich die Oranuti nach weiteren Abnehmern umsehen; Abnehmer, die bereit sind, den Handel mit weniger Steuern zu belegen, oder mit Bauholz vergüten, das sie im Überfluss besitzen. Das Abkommen sieht eine jeweils angepasste Unterstützung des Handels bei veränderter Lage durch die Ival vor. Nun, wir haben eine veränderte Lage. Versagt ihr uns die Unterstützung, so sehen sich die Oranuti gezwungen, auch andere Angebote zu prüfen.«
Sebastian musste sich sehr im Zaum halten, um nicht hinter seiner Säule vorzuspringen und den Oranuti offen hinterlistige Erpressung vorzuwerfen. Denn sie drohten zwischen den Zeilen damit, den Handel mit Zarollon, möglicherweise sogar mit Quaronas auszubauen, sollte ihren Forderungen nicht entsprochen werden.
Ihr Ziel lag für Sebastian offen auf der Hand. Sie wollten das Holz Falméras! Sicher gab es auf dem Festland Holz in Fülle. Doch das müssten sie durch die unwegsamen Elsirensümpfe, auf den Flüssen und aus den hoch gelegenen Tälern herausholen und mühevoll zu den Schiffen rudern.
Auf Falméra hingegen waren die Wege von den Wäldern zur Küste um ein Vielfaches kürzer. Außerdem konnten sie einen gut ausgebauten Hafen zur Verladung nutzen. Dann gab es für sie noch die taktische Überlegung, das Holz, mit dem der Feind bezwungen werden sollte, von ihm selbst zu holen, Holz, das diesem dann selbst nicht mehr zum Bau von Verteidigungsanlagen zur Verfügung stand.
Und letztlich war es wohl auch das Holz selbst, das ihnen besonders begehrt erschien. Wie der Oranuti offen aussprach, war es von geradem Wuchs, leicht, und für den Bau geeignet. Sebastian war ebenfalls aufgefallen, dass er die Bäume, welche auf dieser Insel wuchsen, auf dem Festland nicht gesehen hatte. Links und rechts des Val Mentiérs gab es Arven und andere Nadelbäume, die den amerikanischen Douglasfichten nicht unähnlich waren. Es gab schweres Laubholz und die Riesenbäume in den Bergen.
Doch für eine Invasionsflotte brauchten die Oranuti ein Holz, das leicht war. Ein Holz, das in verbautem Zustand auch leicht zu manövrieren war. Transporter aus Laubholz waren zu schwerfällig und hatten zu viel Tiefgang, kamen also nicht nahe genug an die Küste heran, um Truppen abzusetzen.
Sebastian kam immer mehr der Verdacht, dass hinter all dieser Taktik Torbuk selbst steckte. Die Oranuti mochten ausgezeichnete Geschäftsleute sein, wohl auch raffinierte Verhandlungspartner, doch sie waren keine militärischen Taktiker. Immer deutlicher zeichnete sich das Bild ab, dass Oranutu und Quaronas unter schamloser Ausnutzung Zarollons ein gemeinsames Ziel verfolgten: Die Insel!
Beide brauchten einander, um Falméra zu Fall zu bringen. Was danach kam, stand noch offen. Aber es galt als sicher, dass die Ival, egal, ob in Falméra oder im Val Mentiér nach einem Machtumsturz nie wieder würden in Freiheit leben können. Mehr noch, sie würden wahrscheinlich ein versklavtes Volk werden, dass sich für Torbuk im Innern der Bergen zu Tode schuften musste.
Angesichts dieser düsteren Aussichten keimte in Sebastian der Wunsch, all diesem Übel den Rücken zu kehren und schnellstens einen Weg nach Hause zu suchen. Er dachte kurz an seine kleine Zweizimmerwohnung in der Norddeutschen Großstadt, an sein monotones, friedliches und sicheres Leben, dessen einzige Aufregung darin bestand, die nervige Wohnungsnachbarin zu ertragen.
Etwas aber hielt ihn davon ab, diese neue Welt einfach hinter sich zu lassen. Freilich zunächst einmal, dass er gar nicht wusste, wie er es hätte anstellen sollen. Aber etwas wog noch schwerer. Antarona! Er liebte diese Frau, die bereits ein Kind von ihm in sich trug. Er würde nicht mehr ohne sie leben können! Und sie würde nicht ohne die Wiesen und Wälder, ohne die Bäche und Berge, ohne ihr Volk und seine Freiheit leben können!
Ein Leben mit Antarona, eine Familie, bekam er nur über die Freiheit des Volkes! Wollte er mit ihr und ihrem gemeinsamen Kind glücklich sein, so mussten die Ival glücklich sein.
Aber noch etwas keimte in Sebastians Herzen. Dieses Land! Seine Faszination hatte ihn längst in seinen Bann gezogen und die lärmende stinkende Großstadt seiner Welt weit entrückt. Die Menschen des Volkes liebten ihn, er bekam Anerkennung und hatte bereits Freunde gefunden. Auch dieser überwältigenden, großartigen Natur Antaronas Welt mochte er sich nicht mehr wirklich entziehen.
Im Augenblick mochte es ihm vielleicht schwer fallen, es zuzugeben, doch er war bereits ein Teil von ihr geworden. Antaronas Welt ging ihn nun auch etwas an, schon wegen des kleinen Herzens, dass sie unter ihrem Herzen trug! Irgendwie empfand er das Val Mentiér und Falméra schon als Zuhause.
Und jeder Tag, den er an der Seite Antaronas für das Volk kämpfte, verband ihn mehr mit den hohen Bergen, mit den wilden Schluchten, sanften, grünen Wiesen und mit den weiten, tiefen Wäldern in abgelegenen Tälern, die so viele freie Möglichkeiten einer Existenzgründung boten.
Möglicherweise war es auch die Aufregung, das Abenteuer, das lebendige Leben, das ihn reizte, das ihm gefiel. Was er bisher mit Antarona erlebt hatte, war mehr, als er in seiner stillen Wohnung im Fernsehen mittelbar erleben durfte. Hier konnte er es leben! Hier war es kein Traum mehr, hier musste er nicht an Wochenenden in eine heile Abenteuerwelt der Berge flüchten. Hier lebte er sie! Zugegeben, heile war Antaronas Welt nicht!
Aber war denn sein bisheriges Leben so viel sorgloser gewesen? Es war ihm nie wirklich bewusst geworden, doch auch in seiner überschaubaren Welt gab es Ängste. Die Angst vor dem kalten Krieg und einem möglichen atomaren Holocaust, die Furcht, im nächsten Monat die Miete nicht mehr zahlen zu können, die Angst, seinen Platz in der Gesellschaft zu verlieren.
Eine Welt ohne Ängste gab es nicht! Also konnte er auch getrost bei den Ival bleiben, denn hier war ihm zumindest bewusst, wofür er Ängste bewältigte, wofür er kämpfte. Hier war der Lohn eine wunderbare Frau, ihre Liebe, ihr Kind. Ein wirkliches Zuhause!
Ein Knall ließ Sebastian erschreckt zusammenfahren. Offenbar hatte Bental mit der flachen Hand auf den Tisch geschlagen.
»Es ist schwerlich anzunehmen, dass heute unter uns eine Einigung erzielt wird«, hörte Sebastian den König wie in einem Plädoyer sagen, »daher werden wir die Verhandlung zu anderer Zeit fortsetzen, denn ich habe noch andere Ansinnen zu hören. Inzwischen werde ich mich mit meinen Vertrauten beraten, was euch, werte Gesandte, ebenfalls Gelegenheit gibt, die Einzelheiten eurer Forderungen zu überdenken. Ich lasse euch von meinem Büttel rechtzeitig den Tag und die Zentare nennen, an der wir uns an gleicher Stelle wieder zusammen finden. Ich wünsche euch einen guten Weg in Frieden!«
Damit waren die Oranuti offiziell entlassen. Mit einem Wir wünschen eurer gütigen Hoheit ebenso Wohl und Frieden verbeugten sich die drei Vertreter der Unbekleideten, wie die Oranuti im Volksmund genannt wurden und gingen zur Tür.
Gleichzeitig trat Sebastian um die Säule herum, und zwar so, dass die Oranuti ihn nicht sehen konnten. Zügig, als hätte er den Raum gerade erst betreten, stellte sich Sebastian vor den König und den Rat von Falméra. Er nahm sich vor, zunächst nichts davon zu verraten, dass er die Debatte mit angehört hatte.
»Ihr habt nach mir rufen lassen, eure gütige Hoheit«, erinnerte Sebastian den König, ließ den Satz aber eher wie eine Frage klingen.
»Allerdings hatte ich das«, verkündete Bental ärgerlich, »aber schon vor einer Sonnenwanderung!« Sebastian spürte die Gereiztheit, die von seinem König ausging. Anscheinend setzten ihn die Oranuti mehr unter Druck, als er zugeben wollte. Mürrisch und fordernd zugleich taxierten seine Augen den neu eingesetzten Heerführer, seinen angeblichen Sohn.
Da der gesamte Rat noch anwesend war, mussten sie ihr verstecktes Vater und Sohn Spiel so echt wie möglich zur Schau tragen. Für Sebastian barg dies einen Vorteil, denn er konnte in der Rolle des Areos eher und offener seine Meinung sagen, als in der des Fremden Sebastian Lauknitz, der für Bental nur ein gezwungenermaßen geduldeter Hochstapler war.
Andererseits hatte auch ein Sebastian Lauknitz dem König schon gezeigt, dass er loyal war und nicht wenig taktischen Einfallsreichtum besaß, wenn auch noch nicht die nötige Diplomatie und Beugebereitschaft des Gewissens.
»Ich hatte mich unerkannt von den Zuständen und von der Einsatzbereitschaft der Heerlager überzeugt, mein König«, begann Sebastian mit einer faustdicken Lüge. Soviel zur Unwahrheit zum Wohle des Volkes!
»An eine wirklich echte Einschätzung vermochte ich nur zu gelangen, indem ich mich unerkannt unter die Soldaten mischte«, schwindelte er weiter, »daher konnte mich euer Bote wohl nicht finden.«
Bental trommelte mit den Fingern gereizt auf der massiven Tischplatte und sah seinen vermeintlichen Sohn scharf an.
»So, so, und mein unschuldiges Töchterchen hatte sich inzwischen in Luft aufgelöst, ja?« Sebastian ließ sich jedoch nicht einschüchtern.
»Verzeiht mir die Kühnheit, eure gütige Hoheit, aber ich denke, ihr habt dringendere Sorgen, als euer Töchterchen, das, wie ihr vielleicht schon bemerkt habt, euch stets treu ergeben ist.« Bental zog wie erstaunt die Augenbrauen hoch.
»Dringendere Sorgen?« fragte er mit gespielter Verwunderung. »Dann wollt ihr mich nun sicher darüber aufklären, welcher Umstände ich mich sorgen sollte«, sagte der König mit lauernder Erwartung.
»Nun, mein König, zunächst konnte ich wiederum feststellen, dass eure Soldaten und Wachtposten ihren Aufgaben nur nachlässig nachkommen. Nachdem, was ich sehen und hören konnte, wird eine mögliche Bedrohung der Burg von außen und die Sicherheit eurer gütigen Hoheit von den Wachführern nicht besonders ernst genommen.«
»Das mag allenthalben daran liegen«, warf Bental ein, »dass dem Volk der Ival und seinem König keine wirkliche Gefahr droht, nicht wahr?«
Durch diesen Einwand ließ sich Basti aber nicht beirren. Statt dessen wollte er dem König die Augen öffnen und ihm die Bedrohung noch einmal nachdrücklich ins Gedächtnis rufen.
»Mein König«, begann er mit beinahe vorwurfsvollem Ton, »die Gefahr, welche ihr nicht seht, ist die größte Gefahr, denn sie steht plötzlich und unerwartet vor euch! Wenn ihr zu garantieren vermögt, dass sich euer feindlich gesinnter Bruder einen Mond vorher ankündigt, bevor er auf Falméra landet, so wäre ich geneigt, den Wachen ihre Nachlässigkeiten zu verzeihen. Denn dann wissen wir ja, wann Gefahr droht.«
Sebastian benutzte bewusst die Formulierung der Oranutis, um dem König schonend beizubringen, dass er die Verhandlungen belauscht hatte. Doch Bental schwieg. Im Grunde wusste er, dass er von seinem Bruder keine Kriegserklärung zu erwarten hatte. Wenn dieser bereit dazu war, würde er ganz einfach mit dem aufziehenden Morgendunst in den natürlichen Hafen Falméras einsegeln und auf der Insel landen.
Aber Bental wusste auch, dass Torbuk und Karek weder über genügend Wasserwagen verfügten, um eine Invasion der Insel durchzuführen, noch über genügend Kenntnisse, diese in nächster Zeit bauen zu können. Quaronas war ein unorganisierter Haufen brutaler Krieger und keine Geburtsstätte von begnadeten Baumeistern, Denkern und Lenkern.
Fast konnte Sebastian in den Augen des Königs lesen, was in ihm vorging. Das war auch nicht schwer, denn er konnte den Informationsstand des Landesherren, seine eigenen Beobachtungen und Theorien, sowie Bentals Verhalten miteinander kombinieren. Was dabei herauskam, war ein König, der gerade damit konfrontiert war, in den ersten Zügen aus seinem Dornröschenschlaf geweckt zu werden. In diese Schwäche schlugen Sebastians Worte wie ein Schwert in eine bereits klaffende Wunde:
»Ich meinte auch nicht nur die Bedrohung durch euren Bruder, mein König, der allerdings, wie ihr sehr wohl wisst und, verzeiht mir die Offenheit, anscheinend ignoriert, inzwischen weite Teile des Festlandes eures Reiches bedroht und kontrolliert. Ich meinte ebenso die Gefahr für euer eigen Leib und Leben und die Gefahr für Falméra, die sich in Gestalt von Menschenwesen bereits unter uns befindet!« Ungeduldig sah ihn der König an und forderte ihn mürrisch auf:
»Ihr sprecht in Rätseln! Wollt ihr wohl die Güte haben, mir und dem Rat zu erklären, was oder wen ihr damit meint?« Bevor Sebastian deutlicher werden konnte, wagte Elwha eine vorsichtige Vermutung.
»Euer gütigen Hoheit ehrenhafter Sohn meint sicher den Giftanschlag auf die Magd, welche den Schutz der Burg genoss.«
»Ja, mein König, Elwha hat meine Worte zum Teil richtig gedeutet«, gab Sebastian offen zu, »doch vermochte euer weiser Berater nicht meine gänzlichen Gedanken zu erraten. Doch der Anschlag auf Farasami, der, wie ich glaube, Antarona, oder euch selbst galt, sollte euch deutlich machen, welcher Bedrohung ihr ausgesetzt seid.« Basti blickte immer noch in die fragenden Augen des Königs.
»Mein König, wenn ein Attentäter freien Zugang zur Burg hat«, fuhr er fort, »so sollte dies auch für euch Anlass zur Besorgnis sein und euch zum Handeln bewegen. Aber das ist noch nicht alles.«
Sebastian ließ die Ankündigung weiterer Gründe im Raum stehen und sah zu des Königs Beratern hinüber. Er wählte die Worte, die er an Elwha, Tieton und die anderen richtete sorgsam aus:
»Seine gütige Hoheit schätzt euren Rat sehr und auch ich erkenne seinen unschätzbaren Wert, der unverzichtbar ist für den König, für das Land und das Volk der Ival. Doch manch Gedanke will zuweilen erst reifen, bevor er den großen Geist des Rates befragt. Daher möchte ich euch um das Gewähren bitten, meinen Vorschlag zunächst mit seiner gütigen Hoheit allein zu besprechen.«
Wie auf Kommando sahen die Berater den König fragend an. Bental nickte ihnen nur auffordernd zu und sagte müde:
»Es ist gut, ihr dürft mich nun mit meinem Sohn Areos allein lassen. Wir werden euch rufen lassen, wenn wir eine Einschätzung von euch wünschen. Inzwischen erwarte ich von jedem von euch einen eigenständigen Vorschlag zur Frage des Oranuti- Handels. Ihr dürft nun gehen!«
Mit erkennbarem Widerwillen, doch fügsam und kommentarlos verließen die Berater Bentals den Audienzsaal. Der König erhob sich von seinem Platz, ging schweigend auf Sebastian zu und blieb dicht vor ihm stehen. Sein stechender Blick schien sich in Bastis Seele zu bohren. Die Hände auf dem Rücken verschränkt nickte Bental, als hätte er eine wichtige Botschaft vernommen und wiederholte mit Misstrauen in der Stimme Sebastians Worte:
»Unerkannt von den Zuständen und von der Einsatzbereitschaft der Heerlager überzeugt, was?« Er wandte sich abrupt ab, als wollte er Abstand zu jenem gewinnen, der ihn belog und blieb vor dem Fenster stehen. Der Blick nach draußen half ihm offenbar, seine Gedanken zu sammeln und die nächsten Worte zu finden.
»Geheimnisvoll nur«, ergriff er wieder das Wort, »dass keiner, nicht einer der Wachen sah, wie ihr die Burg verließet, wohl aber wart ihr, ebenso meine Tochter aus euren Gemächern verschwunden. Ich mag gar nicht wissen, wie ihr das anstellt. Auch bin ich müßig, das herauszufinden. Die Götter mögen es euch mit eurer Jugend verzeihen. Dennoch will ich euch ermahnen.« Bental kam wieder auf Sebastian zu und sah ihm offen in die Augen.
»Ich werde nicht verhindern können, dass eure Herzen einander zugetan sind, und im Grunde ist das auch gar nicht meine Absicht. Doch seid gewarnt! Es wird keine vor dem Volk der Ival bekundete Verbindung zwischen euch geben. Ihr lebt eure Liebe im Verborgenen! Und das wird so lange so bleiben, wie mein Bruder noch in der Lage ist, seinen Anspruch auf den Thron geltend zu machen.«
Damit war eigentlich alles gesagt. Solange Torbuk über die Gesetze der Götter und das Volk seinen Arm nach Falméra auszustrecken vermochte, musste Sebastian Lauknitz Areos, Bentals Sohn sein und durfte Antarona nicht als Bentals Tochter auftreten. Die Interpretation Bentals Aussage war über keinen Zweifel erhaben:
Antarona als Prinzessin der Ival konnte den Heerführer Sebastian Lauknitz erst offiziell ehelichen, wenn Torbuk besiegt war. Soviel Macht besaß nicht einmal der Zauber der Elsiren, das zu ändern.
Der König klärte Sebastian mit wenigen Worten über seinen Beschluss hinsichtlich ihrer Verbindung auf. Er machte aber keinen Hehl daraus, dass er von ihren heimlichen Ausflügen an die nächtlichen Elsirenfeuer wusste und letztendlich die Beliebtheit Antaronas und Sebastians beim Volk gewichtig seine Entscheidung beeinflusst hatte.
Bis zum Sieg über Quaronas und möglicherweise auch über Oranutu musste das Volk Areos, seinen Sohn sehen, der sich mit der bürgerlichen Antarona Holzer verband, ein ohnehin schon eklatanter Bruch der Gebote der Götter! Doch mit dem bereits ergangenen Segen der Elsiren unter Umständen vertretbar.
Erst, wenn Torbuk und Karek als Anfechter des Thronerbes keine Bedrohung mehr darstellten, konnte Antarona dem Volk als Thronerbin präsentiert werden, die sich mit einem Heerführer der Ival verband. Ihrer Beliebtheit wegen würde das Volk dann wohl über die kleine Verletzung der traditionellen Gebote hinweg sehen.
Sebastian nahm die Entwicklung seiner und Antaronas Angelegenheit mit Erleichterung auf. Sie lebten für ihre Liebe und letztlich war es ihm und wohl auch Antarona egal, wer von ihnen beiden offizieller Thronerbe war. Sie wollten leben! Und sie wollten in Freiheit und Frieden leben! Und wenn der Sinn nach dem Wohl des Volkes gewahrt blieb, war es letztlich gleich, wer einen Titel besaß!
Im übrigen war Sebastian sicher, Antarona davon überzeugen zu können, irgendwann die Macht über das Land in Form von frei gewählter Selbstbestimmung dem Volk zu übereignen. Demokratie war das Ziel, und von ihm aus auch durch die göttliche Botschaft, die er als vermeintlicher Gesandter der Götter den Ival bringen wollte. Dieses Ziel war der Weg zu einem friedlichen und freiheitlichen Leben mit Antarona, ein freies Land, in dem sie ihren Sohn gedeihen und aufwachsen sehen konnten!
Wie viele Entbehrungen, Kämpfe und Opfer sie noch ertragen mussten, bevor sie dieses hohe Ziel erreichten, darüber konnte Sebastian nur vorsichtig spekulieren. Der Weg, der vor ihnen lag, würde ein harter, langer und dorniger werden.
Beginnen musste er seinen Weg damit, König Bental die Augen zu öffnen, ihn die wahre, allgegenwärtige Gefahr erkennen zu lassen, in der das Reich und die Inselhauptstadt schwebten. Er verkniff sich deshalb einen Kommentar zu seiner halbwegs gebilligten Herzensverbindung.
Statt dessen musste er dem König von seinen neusten Beobachtungen und Vermutungen berichten, in der Hoffnung, Bental würde nun selbst endlich die verschwörerischen Zusammenhänge erkennen, die das Volk Falméras bedrohten.
»Mein König«, begann er umständlich, »ihr wisst es, aber lasst es mich noch einmal sagen, denn es ist der Schlüssel zum Leben, zu unserem Leben: Fällt Falméra, so stirbt das Volk der Ival! Damit will ich euch in Erinnerung rufen, was es freilich nicht bedarf, welch lebenswichtigen Stellenwert Falméra und letztlich auch die Himmelsburg für das Volk der Ival hat.«
»Ich denke, als ihr König weiß ich das besser als ihr, meint ihr nicht auch?« unterbrach ihn Bental ungeduldig.
»Kommt also zu eurem Anliegen, wenn ich bitten darf. Warum habe ich meine treuen Berater hinaus geschickt, Herr Areos, wollt ihr mir das wohl verraten?« Sebastian bemerkte sofort den wachsenden Sarkasmus, der in Bentals Sprache mitschwang.
Die Laune des Königs ignorierend, erzählte ihm Sebastian von seiner Beobachtung, von Medunzia, die sich mit den Oranuti im Wald über der Burg getroffen hatte, sowie von seiner Ansicht, dass dies ein weiterer Beweis für seine Vermutungen war. Dass Antarona zu diesem Zeitpunkt bei ihm war, verschwieg er. Es war nicht nötig, Bental auch noch mit der Sorge zu belasten, jemand könnte ihre wahre Identität herausfinden.
Endlich verriet er dem König auch den Messerangriff auf Antarona und die Aussage Frethnals, der die Tatwaffe identifizieren konnte.
»Ohne einen endgültigen Beweis zu haben«, schloss Sebastian, »halte ich Medunzia für eine Spionin, die vermutlich nur deshalb noch nicht versucht hat, auch zu töten, weil ihr Auftraggeber befürchten müsste, dass ich umgehend an eure Stelle treten würde. Denn vor den Augen des Volkes bin ich schließlich Areos, euer Sohn. Und das Gegenteil zu beweisen, fiele ohne euch ziemlich schwer.«
Bental war während Sebastians Ausführungen immer stiller geworden. Anscheinend begann er zu begreifen, wie ernst die Lage tatsächlich war. Nachdenklich wanderte er auf und ab, die Hände wie gewohnt hinter dem Rücken verschränkt. Er vermochte vor Bastis Augen nicht zu verbergen, dass sich seine Finger in nervösem Spiel bewegten, leicht zitterten und zuweilen verkrampften.
»Für mich, mein König, ist es klar, was Medunzia und die Oranuti im Schilde führen«, versuchte Sebastian den Herrscher zu einer Stellungnahme zu bewegen.
»Wenn es auch sehr abenteuerlich klingen mag, so glaube ich, dass die Oranuti gar kein Interesse daran haben, den Handel mit den Ival auszubauen. Ich denke, sie wollen vielmehr nur das Holz Falméras, um so rasch wie möglich eine Flotte zu bauen, die in der Lage ist, Truppen an der Küste Falméras zu landen.«
»Überlegt einmal«, knüpfte Basti an, nachdem Bental weiter schwieg, »das Holz der Bäume Falméras ist gerade, fest und dazu leicht. Ideal also, um Wasserwagen mit nur geringem Tiefgang zu bauen, die dicht an die Küste, vielleicht sogar bis an den Strand fahren können. Torbuk könnte damit eine ganze Armee trockenen Fußes nach Falméra bringen, in den Sümpfen in der untergehenden Sonne sogar bis in das Land hinein.«
»Und während wir versuchen, sie in den Tälern der wandernden Sonne aufzuhalten, segeln seine schweren Wassertransporter in aller Ruhe in die Bucht und erobern den Hafen. Falméra und die Himmelsburg befänden sich dann bereits im Belagerungszustand. Und wenn Torbuk durch die Oranuti noch weitere Wasserwagen zur Verfügung hätte, um Truppen an der Küste nachzuschieben…«
»Eure Befürchtungen sind zweifellos berechtigt, Areos, doch sind es nur eure Vermutungen, auch wenn ich geneigt bin, sie zu teilen«, unterbrach ihn der König.
Sebastian horchte auf. Hatte Bental ihn soeben Areos genannt? Er hatte sich nicht getäuscht, der König nannte ihn beim Namen seines Sohnes?
»Ich brauche Beweise, Areos, Beweise, die auch dem Rat begreiflich sind, Beweise, die das Volk überzeugen! Außerdem kann ich den Oranuti nur mit offenen Tatsachen begegnen. Bringt mir etwas, das jeden Haderer überzeugt, zerrt mir eine geständige Medunzia vor die Füße, oder einen Wasserwagenfahrer, der eure Vorwürfe bestätigt, und ich will handeln!«
Bentals Faust donnerte zur Bestätigung auf die massive Tischplatte, dass die Papierrollen zu hüpfen begannen.
»Was ist eigentlich mit diesem Arnak, oder Arrak, den ihr in das Land der schlafenden Sonne sandtet? Habt ihr schon etwas von ihm gehört? Wenn dieser bestätigen kann, dass die Oranuti mehr als gewöhnlich Bauholz dorthin bringen, oder sogar Wasserwagen bauen lassen, so habe ich etwas, um den Oranuti Einhalt gebieten zu können. Wenn wir ihnen das sicher vorwerfen können, so haben sie in der Tat die Verträge gebrochen, womit ich jede ihrer Forderungen mit dem Einverständnis des Rates ablehnen kann.
Überzeugt das den Rat von den hinterhältigen Absichten der Oranuti, so wird dieser selbst die Forderung um Aufhebung des Bündnisses mit Oranutu an mich richten.«
Die Müdigkeit Bentals war nun endgültig verflogen. Selbstsicher wie immer ging er um den großen Tisch herum, nahm eine Glocke und schellte energisch nach seinem Diener.
»Der vollständige Rat soll unverzüglich wieder erscheinen«, wies er Hekthur an. Dann wandte er sich wieder Sebastian zu.
»Was vermögt ihr als mein Heerführer vorzuschlagen, inzwischen zu tun?« fragte er mit offensichtlich hintergründigem Gedanken.
»Nun, mein König, ich könnte ein groß angelegtes Kampfturnier als Übung durchführen lassen«, versuchte Basti ihm anzubieten.
»Ein neuer Heerführer muss sich schließlich mit seinen Truppen vertraut machen, muss ausprobieren, wie er sie einsetzen kann, und muss ihre Möglichkeiten und ihre Kampfkraft einschätzen und ausschöpfen lernen. Eine Übung muss den Rat nicht nervös machen, zeigt Torbuk und den Oranuti aber gleichzeitig, dass sie sich blutige Nasen holen werden, sollten sie einen Angriff wagen.«
Mit einem bedächtigen Nicken erwies ihm der König Anerkennung für diesen Einfall. Sebastians Ideenreichtum war damit jedoch keineswegs erschöpft. Er war ein Heerführer, wie ihn Falméra noch nie hatte. Er besaß so etwas, wie eine pragmatische Phantasie.
Er hatte Bücher über mehrere Entwicklungsepochen der Menschen gelesen, er hatte Filme gesehen, und strategische Computerspiele waren ihm ebenfalls nicht fremd. Sebastian Lauknitz punktete zumindest in geistiger Hinsicht als Heerführer. Das war die Theorie.
In der Praxis würde sich erst erweisen, wie weit er in der Lage war, etwas umzusetzen, das so viel Führungspersönlichkeit und Autorität erforderte. Eine totalitäre Monarchie, so stellte er fest, war in diesem Punkt hilfreich. Er konnte befehlen und aus Angst vor dem Kerker strebte jeder danach, seinen Wünschen gerecht zu werden, ob diese nun sinnvoll waren, oder nicht.
Anders als in einer Demokratie, wo eine Opposition stets jede Entscheidung hinterfragte, gehorchte man ihm blind, weil er Areos, der Sohn des Königs war. Sebastian hielt die ganze Angelegenheit für einfach und glaubte, jede Schwierigkeit mit dem Wissen aus der Trickkiste der Zivilisation bewältigen zu können. Er sprudelte geradezu über vor taktischer Erfindungsgabe.
»Im Schatten dieser Übung lasse ich Posten auf den Hügeln entlang der Küste einrichten, die ständig rund um die Sonnenwanderung besetzt bleiben«, verkündete er dem König. »Hat sich ein jegliches Auge erst einmal daran gewöhnt, wird kaum mehr auffallen, wenn diese Ausgucke nach den Manövern bestehen bleiben. So errichten wir eine Überwachung der Küste, ohne dem Rat, oder den Oranuti ein offensichtliches Misstrauen erklären zu müssen.«
Bental, inzwischen wieder auf seiner Kreiswanderung durch den Raum, nickte nur zustimmend. Wohl gefiel ihm die unsichere Situation nicht, seine eigene Tochter leugnen und vor dem Volk verbergen zu müssen, während er einen falschen Sohn mit beinahe uneingeschränkter Macht ausstattete, doch dieser Areos zeigte sich bislang loyal.
Mehr noch, sein neuer Adoptivsohn erwies sich als sehr fähig und zuverlässig, war beliebt beim Volk und schien seine Tochter zu vergöttern, die wiederum ihn liebte. Hätte ihn ein Spion seines Bruders auf die Gefahren vor eben diesem hingewiesen, die nicht einmal sein Stab von engsten Vertrauten und Beratern erkannten? Sebastian holte den König aus seinen Gedanken zurück.
»Und wenn ihr erlaubt, mein König, so werde ich im Laufe dieser Truppenübung mehrere Pläne zur Verteidigung Falméras und der Himmelsburg ausarbeiten. So sind wir im Falle eines Angriffs in der Lage, schnell und geordnet eine Verteidigungsstellung aufzubauen. Das würde den Feind, wenn er denn einmal kommen sollte, überraschen und uns zum Vorteil gereichen.« Zustimmend nickte Bental und sagte, noch während er überlegte:
»Tut es so, Areos. Und solltet ihr mit euren Anschuldigungen gegen Medunzia und die Oranuti recht haben, so tragt ihr in meinem Namen das Schwert Tálinos und die Siegel der Städte und Länder Volossodas und Falméras und bekommt die Handlungsfreiheit für das Val Mentiér«. Verzweifelt hob der König die Hände, bevor er anfügte:
»Doch wenn ihr recht habt, so würde ich mir wünschen und es wäre mir mehr gedient, euch als meinen Sohn an meiner Seite zu haben, der mit mir, für mich und für das Volk kämpft.«
»Für euch und das Volk kämpfen wir bereits, eure gütige Hoheit«, erinnerte ihn Sebastian, »Arrak, Sonnenherz und ich, wir streiten für euch, seit wir Fallwasser im Val Mentiér verlassen haben und nicht wenige eurer Feinde sind bereits in das Reich der Toten eingezogen.«
König Bental blickte seufzend und in Gedanken versunken aus dem Fenster, als suchte er etwas, das er vor sehr langer Zeit verloren hatte.
»Wenn wir noch die Gorreiter in unserer Mitte wüssten«, hörte Basti ihn leise sagen, »sie hätten uns sagen können, was wahr ist, und was nicht.« Sebastian wurde neugierig. Was der König sagte, klang geheimnisvoll und nicht minder voll verborgener Hoffnung.
»Wer oder was sind die Gorreiter, mein König«, wollte er wissen. Doch in diesem Augenblick kündigte Hekthur den Rat an und Bental überhörte seine Frage. Statt dessen entließ er den Fremden, dem er ganz langsam begann zu vertrauen.
Der Rat, Elwha ausgenommen, verbeugte sich tief vor Sebastian, als sie aneinander vorbeischritten. Sebastian grüßte sie ebenso ehrfürchtig und besonders Elwha. Von nicht weniger, als dem Wohlwollen der Ratsmitgliedern würde es eines Tages abhängen, ob er mit Arrak und Antarona eine kleine Schutzarmee für das Val Mentiér aufstellen konnte.
Nachdem Sebastian den Ratssaal verlassen hatte, eilte er durch die geheimen Gänge in Antaronas Gemächer, wo diese schon sehnsüchtig auf ihn wartete. Erleichtert stürmte sie ihm entgegen und warf ihre Arme um seinen Hals.
»O Ba - shtie, Antaronas Herz mag jedes Mal sterben, wenn ihr beim König weilt. Es trägt stets die Frucht in sich, ihr könntet nicht wiederkehren.« Sebastian schloss sie in seine Arme und hielt sie fest. Leise flüsterte er ihr ins Ohr:
»Wenn ich einmal befürchten muss, nicht zu dir zurückzukehren, mein Sternchen, dann werden wir sofort aufbrechen und in das Val Mentiér zurück gehen, mit oder ohne den Willen Bentals, das verspreche ich dir!«
Er spürte ihren warmen, bebenden Körper durch den dünnen Stoff ihres Kleides und eine verlangende Hitze stieg in ihm hoch. Schon dachte er daran, ihr das Kleid aufzubinden, als er eine flüchtige Bewegung im Hintergrund gewahrte. Erschrocken drehte er Antarona mit einem Ruck zur Seite, um sich dem unbekannten Angreifer entgegen zu stellen.
»Ba - shtie, was habt ihr? Es ist nur Vesgarina!« versuchte Antarona ihn zu beruhigen. Basti entspannte sich wieder und peinlich berührt huschte Antaronas Kammerzofe aus dem Raum.
»Soweit sind wir schon«, sagte Sebastian kopfschüttelnd, »in jedem Schatten sehen wir eine Bedrohung. Wenn wir hier nicht bald herauskommen...« Antarona sah ihn besorgt an.
»Ba - shtie, so schlimm ist es? Sonnenherz will mit euch nach Mehi-o-ratea gehen, einige Zentaren nur, bis Ba - shties Sinne wieder geschärft sind und sein Herz wieder frei.«
»Mehi-o-ratea?« fragte Sebastian forschend. Diesen Begriff hatte er schon irgendwo gehört. Doch war ihm entfallen, in welchem Zusammenhang.
»Es ist das Dorf der Verliebten, Ba - shtie«, klärte sie ihn auf, »dort, wo nur Liebe in den Herzen der Menschenwesen ist. Es ist der Ort, wohin jene gehen, deren Herzen verbunden sind, ohne den Willen der Götter. Dort hoffen sie auf den Segen der Elsiren. Niemand ist dort, der ihnen die Verbindung der Herzen versagt, solange sie dort sind.«
Sebastian glaubte sich daran zu erinnern, dass Tariz von einem solchen Ort gesprochen hatte, doch er war sich nicht mehr sicher. Er zog Antarona fest an sich und sprach leise:
»Es klingt, als sprichst du vom Paradies selbst. Wenn es diesen Ort gibt, so will ich mit dir dort hin gehen und nie mehr zurückkehren!«
»Niemand bleibt für immer dort, Ba - shtie«, erklärte ihm seine Frau mit raunender Stimme, »dorthin gehen auch jene, deren Feuer in ihrem Herzen und ihrem Schoß gleichsam erloschen ist. An diesem Ort wird das Feuer der Herzen erneut entfacht. Mehi-o-ratea ist, um die Herzen und Geister der Menschenwesen wieder mutig und fruchtbar machen.«
»Dann ist es so etwas, was wir in meiner Welt Urlaub nennen«, überlegte Sebastian laut. Antarona hatte dieses Wort noch nie gehört und fragte neugierig:
»Urr-laub?« Sebastian lächelte sie süß an und vergrub sein Gesicht in ihren langen schwarzen Haaren, bevor er antwortete:
»Ja, mein Engelchen, wenn wir im Herzen und im Geist krank werden, weil zu viel Böses und Schweres uns bedrängt, dann gehen wir an einen Ort der Urlaub genannt wird. Dort hören und sehen wir nichts von dem, was uns das herz schwer werden lässt. Es ist ein Ort der Ruhe, des Friedens und der Liebe, an dem aber nur selten jemand für immer verweilen kann.«
»Mehi-o-ratea, Ba - shtie«, sagte Antarona bestätigend, »ihr sprecht von Mehi-o-ratea! Sonnenherz wird euch zum Strand der Verliebten bringen und Ba - shties Herz wird wieder stark sein!« Es schien für sie festzustehen, und Sebastian beneidete sie um ihre zeitweilige Unbekümmertheit, die fast schon an kindliche Naivität grenzte. Aber er wusste, dass sie jederzeit die überlegene Kriegerin sein konnte, wenn es darauf ankam.
»Wo ist dieses Mehi-o-ratea eigentlich«, wollte Basti schließlich wissen. Verheißungsvoll lächelte sie und versuchte zu erklären:
»Dort wo Falrock, der schwarze Finger der Götter aus der Elsirensee ragt, liegen die Sümpfe und Strände von Mehi-o-ratea, Ba - shtie. Hinter den Bergen der wandernden Sonne Falméras und noch hinter dem See des kalten Wassers gelangt man auf verborgenen Pfaden dorthin.«
Sebastian nahm sich vor, die fremden Begriffe auf seinen Karten zu suchen, die er zwischen den Rollen in seinen Gemächern gefunden hatte. Antaronas Erläuterungen zu deuten, bedurfte ein zuviel an Phantasie, um sie ohne Ortskenntnis sofort zu verstehen. Aber der Gedanke, mit Antarona ein paar Tage in tabuloser, entspannter Atmosphäre zu verbringen, ließ ihn nicht mehr los. Zu groß war die Verlockung, sich nur auf ihre Liebe zu konzentrieren und alle Sorgen und Ängste hinter sich zu lassen.
Im Moment jedoch kreisten sie noch durch seinen Kopf, die belastenden Einflüsse dieser Stadt und dieser Burg. Vor allem galt es herauszufinden, in wie weit Medunzia hinter den Bedrohungen innerhalb dieses Gemäuers steckte.
Zusätzlich ging Sebastian der Gedanke nicht mehr aus dem Kopf, den Weg über die tiefen Kerker aus der Burg hinaus so zu sichern, dass sie ihn jederzeit benutzen konnten, wenn sie einer nicht greifbaren Gefahr, oder der Willkür des Königs ausgesetzt waren. Ihren neuen Zufluchtsort, Antaronas Haus in Falméra, konnten sie ungesehen einzig durch den Berg erreichen, auf dem die Burg thronte.
Nebenher musste Sebastian aber auch noch die Versprechen umsetzen, die er Bental machte. Er musste so etwas, wie ein großes Truppenmanöver in Gang setzen. Das erforderte eine genaue Planung und die Auseinandersetzung mit den einzelnen Truppen- und Heerführern, sowie mit den Wacheinheiten der Burg und des Hafens. Allmählich beschlich ihn die Vermutung, dass er sich mit all diesen Aufgaben überfordert war.
Bei vielen Vorhaben musste er sich zudem auf Frethnals Loyalität und Kenntnisse verlassen, was ihm absolut nicht behagte. Sebastian Lauknitz war gewohnt, stets für sich allein zu denken und zu entscheiden. Nun war er angehalten, sein Denken und Handeln im Sinne eines ganzen Volkes auszurichten und dazu noch auf dritte angewiesen zu sein. Aber dies war nun einmal der dornige Weg zum Glück mit Antarona!
»Einige Dinge müssen noch getan werden, dann gehen wir nach Mehi-o-ratea«, versprach er Antarona und blickte ihr hoffnungsvoll in die Augen.
»Ihr seht müde aus, Glanzauge«, bemerkte sie kritisch, »so wollen wir nicht allzu viel Zeit verstreichen lassen. Sonnenherz wird nicht zulassen, dass euch ein Meuchelschwert heimsucht, weil ihr nicht frei im Geiste seid!« Das klang wie eine getroffene Entscheidung und Sebastian wagte nicht, ihre Worte in Frage zu stellen. Statt dessen wechselte er das Thema:
»Wolltest du mir nicht das Bild zeigen, auf welchem der Dolch zu sehen ist, der dir das Leben nehmen sollte? Vielleicht bringt uns das einen Schritt weiter hinter das Geheimnis, wer dir aus welchem Grund nach dem Leben trachtet.« Antarona blickte ihn einen Augenblick nachdenklich an, dann ergriff sie seine Hand und zog ihn hinter sich her.
»Sonnenherz wird euch zeigen, wo die Bilder sind, welche jene Meuchelwaffe zeigen!« Sebastian aber hielt sie zurück.
»Halt, mein Engelchen, lasst uns zunächst Frethnal dazu holen. Er scheint einiges zu wissen, das uns verborgen ist. Du musst wissen, er war in jungen Jahren eine lange Zentare unfreiwilliger Gast in Torbuks Kerkern. Es mag gut sein, er kennt die Frau auf dem Bild, welche diesen Dolch trägt, der nun in deinem Gürtel steckt.«
Antarona nickte zustimmend und rief nach Vesgarina. Schüchtern erschien das Mädchen in der Tür, stand wie ein Geist im Halbdunkel und traute sich nicht, die beiden mehr als nötig zu stören.
»Geht durch die verborgenen Wege und sucht Frethnal«, trug Antarona ihr auf, »lasst euch nicht aufhalten und bringt ihn durch die geheimen Gänge her!«
Die kleine Zofe stand zögernd im Türrahmen und sah ihre Herrin mit verstörtem Blick an. Hatte die Gnädige vergessen, wie sehr sie sich vor den dunklen Gängen fürchtete? Es war ihr schon ein Grausen, mit ihrer Herrin durch das Labyrinth der engen Wege zu schleichen, doch allein?
»Was ist?« fragte Antarona, als Vesgarina noch immer unschlüssig in der Tür stand. »Ihr müsst euch nicht fürchten, ihr kennt doch die verborgenen Wege. Und vor Medunzia seid ihr dort sicherer, als auf den Treppen und Fluren! Geht schon, findet Frethnal und bringt ihn her!«
Mit ängstlichem Gesicht verschwand das Mädchen im Dunkel des Türrahmens. Sebastian sah seine Frau tadelnd an.
»Meinst du, das war richtig? Sie zittert ja schon vor Angst, wenn sie nur an die dunklen Geheimgänge denkt!«
»Vesgarina wird lernen müssen, ihre Angst zu beherrschen, Ba - shtie, sie hat ein gutes, starkes Herz, jedoch sie weiß es nicht. Sie wird ihr Herz und ihren Mut erkennen, wenn sie dem begegnet, das sie ängstigt!«
Nachdenklich wiegte Sebastian den Kopf. »Nimm sie nur nicht zu hart in deine Lehre, wir brauchen sie noch, das fühle ich irgendwie.«
»Darum wird sie ihre Furcht besiegen müssen«, entgegnete das Krähenmädchen schnippisch, »wenn sie fürchtet, zögert sie und wenn sie hadert, ist sie einmal nicht schnell genug, um dem Reich der Toten zu entrinnen!«
»Ich meine nur, du solltest sie nicht zu sehr verschrecken«, gab Basti zu bedenken, »sie vertraut dir und sie würde ohne zu zögern für dich in das Reich der Toten gehen!«
Ihre gewohnte Selbstsicherheit spiegelte sich Antaronas Augen. Sebastian spürte die überlegene Kriegerin und es reizte ihn, ihre Selbstkontrolle aufzuweichen und ihr Begehren zu wecken. Wie beiläufig nahm er ihren Arm und küsste sie in die Armbeuge. Dabei sog er fordernd ihren Duft ein. Antarona tat zunächst, als könnte sie seine Nähe ignorieren.
»Vesgarina sollte nicht für uns in das reich der Götter gehen, sie sollte leben und mit uns sein! Darum wird sie lernen müssen...«
Überrascht unterbrach sie ihre Worte, als sie bemerkte, dass sich Sebastians Hände plötzlich an den Schnüren ihres Oberteils zu schaffen machten. Ohne ihn abzuwehren, fragte sie mit teils echter und zum Teil gespielter Entrüstung:
»Ba – shtie, was tut ihr da? Ihr wolltet nach den Bildern schauen, die...« Mitten im Satz hielt sie den Atem an. Sebastian zupfte an dem Schnürchen, das ihre Oberweite im Zaum hielt, das knappe Oberteil sprang auf und ihre Brüste drängten befreit hervor.
»Sei braucht eine Weile durch die Gänge und bis sie mit Frethnal hier ist...« Sebastian unterbrach den Satz und fuhr mit den Händen unter den Stoff und schob ihn ihr über die Schultern.
»Ich sehne mich nach deiner Wärme«, raunte er, legte seine Hände auf ihre Wölbungen und spürte, wie ihre Knospen hart in seine Handflächen wuchsen. Ihr Atem ging schwerer und sie ließ es zu, dass er sie an die Wand drängte. Aufkochende Hitze entströmte ihrem Herzen, schoss durch ihren Leib und staute sich pochend in ihrem Schoß, der jeden Moment zu explodieren drohte.
Ihre Lippen verschmolzen zu Glückseeligkeit und verzehrender Sehnsucht, während Antarona ein Bein anwinkelte, ihren Schoß an Bastis Oberschenkel presste, um so das pochende Verlangen zu bändigen. Sie spürte Sebastians heißen Atem auf ihren Brüsten und seine Hände den Weg unter den Stoff ihres Kleides suchen. Ihre Arme zogen sich wie Klammern um seinen Hals.
Mit jeder Faser ihres Körpers wollte sie seiner Forderung entgegen kommen. Im Rausch gegenseitigen Begehrens hörten sie erst spät die Schritte, die sich näherten. Erschrocken fuhren sie auseinander und Antarona, die sich völlig Sebastians starken Armen hingegeben hatte, knickte in den Knien ein. Geistesgegenwärtig hielt Basti sie fest und zog sie hoch. Rasch hängte er ihr das Oberteil über ihre Blöße.
Keinen Augenblick zu früh, denn schon traten Vesgarina und Frethnal durch die Tür, sichtlich abgehetzt. Sebastian ging ihnen rasch entgegen und gab Antarona damit genügend Zeit, die Spuren ihrer unbändigen Leidenschaft zu verbergen. Der unterdrückte Liebesrausch zog schmerzhaft durch seinen Schritt und ließ ihn gehen, wie einen steifgefrorenen Wachsoldaten in vollem Kriegsrock.
Den beiden fiel das zum Glück nicht auf. Frethnal hatte nur Augen für Vesgarina und diese nahm mit ihrem Blick Frethnal gefangen. Und hätten sie Gelegenheit dazu gehabt, so hätten sie sich wohl von der gleichen Sehnsucht hinreißen lassen, wie Sebastian und Antarona.
»Ah, da seid ihr ja, ich hoffe, nicht zu eingestaubt von den verborgenen Gängen«, versuchte er von seiner und Antaronas peinlichen Situation abzulenken.
Aber das war gar nicht nötig. Kammerdiener und Zofe hatten mehr damit zu tun, befleißigt zu sein, den Wünschen ihrer Herrschaften zu entsprechen und standen erwartungsvoll vor Areos, dem Sohn ihres Königs, dem sie mit Leib und Leben verpflichtet waren.
Nachdem Antarona ihr Kleid geordnet hatte, schlichen die Vier mit wachsamen Augen und Ohren den langen Flur entlang in den Westflügel, wo die alte, eisenbeschlagene Holztür das rätselhafte Geheimnis hütete. Zielstrebig nahm Antarona die alten Schwerter von der Wand und zog den Haken heraus, mit dem sie die alte Tür schon einmal geöffnet hatte.
Knarrend und quietschend schwang die Tür auf und kleine Schatten huschten in panischer Eile in irgendwelche Löcher. Darwicks! Sebastian hatte schon eine fürchterliche Abneigung gegen die Ratten seiner eigenen Welt. Und nun lebte er mit diesem Viehzeug unter einem Dach!
Antarona hingegen schienen die beängstigend groß geratenen Nager nicht zu beunruhigen. Sie ging gezielt zu dem Raum, in dem sie die Bilder wusste. Neugierig auf die Reaktion der anderen, präsentierte sie die Gemälde, die sie bereits zur Seite gestellt hatte. Frethnal sah kurz auf das Bild der Dame mit dem Dolch und verkündete spontan:
»Da ist jedes Irren ausgeschlossen, Herr, dieses Bildnis zeigt Krenja, die Frau Torbuks, Mutter Kareks und die Fürstin zu Quaronas, welche inzwischen in das Reich der Toten eingezogen ist.«
Den letzten Teil sagte er mit einer solchen Genugtuung, dass kein Zweifel daran blieb, wie sehr er die Fürstin gehasst haben musste. Mit tiefer Abscheu und Verachtung im Blick wandte er sich ab, unterstützt von Vesgarina, die seinen Arm hielt und offenbar stolz auf ihn war, dass er den Herrschaften mit seiner Aussage zu helfen vermochte.
»Dann ist das schon mal klar«, stellte Sebastian zufrieden über das Ergebnis fest, »das Meuchelwerkzeug gehörte also Krenja. Dann bleibt nur die Frage, wie kommt der Dolch hierher, und vor allem in Antaronas Gemächer?«
Alle blickten sich achselzuckend und an. Antarona brach das ratlose Schweigen und förderte ein weiteres Gemälde zu Tage:
»Auf diesem Abbild ist ein junges Mädchen zu sehen. Sonnenherz hat diese Augen schon einmal gesehen, doch wo...«
»Das ist Medunzia, Herrin«, unterbrach sie Frethnal, der wieder hingesehen hatte. Von allen wurde der Kammerdiener nun teils skeptisch, teils verblüfft angesehen. Langsam begann Antarona mit dem Kopf zu nicken.
»Ja, ihre Augen waren es, die Sonnenherz in diesem Bilde sah. Doch hat diese Magd wenig mit Medunzia gemein. Seid ihr sicher, Frethnal, dass ihr euch nicht irrt, dieses Bildnis vielleicht Medunzias Mutter oder Tochter zeigt?« Frethnal sah noch einmal genauer hin und verkündete unter Vesgarinas bestätigendem Nicken:
»Das glaube ich nicht, Herrin, seht her!« Damit deutete er auf ein kleines Mal am Oberarm des Mädchens.
»Dieses Mal hat auch Medunzia zu eigen, an der gleichen Stelle! Ich sah es einmal, als sie mit den anderen Mägden am Brunnen Kleider wusch. Und lenkt euer Augenmerk auf den Anhänger, den sie um den Hals trägt. Es ist das Zeichen der Gorreiter. Auch dieses Zeichen trägt Medunzia verborgen unter ihrem Kleide.«
Augenblicklich wich Vesgarina empört ein Stück von seiner Seite. Woher wollte ihr Frethnal wissen, was dieses böse Weib unter ihrem Kleide trägt? Entsetzt musterte sie ihn und Frethnal, dem ihre Reaktion nicht entgangen war, erklärte rasch:
»Das Zeichen der Gorreiter, welches aus dem Metall des Mondes ist, fiel ihr einmal aus dem Kleide, als sie ein Bündel Reisig aufhob. Schnell verbarg sie es wieder, doch Frethnal erkannte den Anhänger, denn auch Krenja, Torbuk und einige Heerführer von Quaronas trugen ihn.«
»Was bedeutet dieses Zeichen denn? Möglicherweise gibt es viele davon, denn es gibt ja auch viele Gore.«
»Dieses Zeichen, Ba - shtie, es ist eine alte Mär und wird in den Geschichten der Alten nur von Gorreitern getragen. Es sind Krieger, die es freilich nur in den Mären gibt, die auserwählt sind und gelernt haben, auf dem Rücken der Gore zu streiten. König Trámon der Dritte versagte seinen Heerführern jegliche Ansinnen, Gorreiter zu machen, denn er sah in ihnen böse Krieger. Trámon wollte ein Land in Frieden. Doch Torbuk dachte weiterhin im Verborgenen daran, Gorkrieger ausbilden, das weiß jedes Kind. Es ging aber die Rede, dass die Gore sich nicht in Knechtschaft unter den Reitern hingaben. Seither sind die Geschichten von Gorreitern nur Gedanken an den Feuern der Alten.«
»Und eure Beobachtung hatte kein Misstrauen in euch gesät?« wandte sich Sebastian verwundert an Frethnal. Dieser machte eine gleichgültige Geste und gestand beschämt:
»Manch einer mag auf den Märkten Falméras Manches zu finden. Warum nicht auch einen alten Anhänger der Gorreiter, wo es diese doch gar nicht gibt?« Sebastian sah skeptisch in die Runde und fragte mit zweifelndem Blick:
»Und ihr seid sicher, dass es keine Gorreiter gibt? Warum aber gibt es dann um den Hals zu tragende Zeichen von ihnen?« Antarona nahm als einzige seine Frage mit dem nötigen Ernst auf.
Sie kannte Sebastian inzwischen gut genug, um zu spüren, wann er berechtigte Zweifel anführte, die nicht einer laxen Laune entsprangen. Sie fühlte, dass er etwas wusste, das sein Misstrauen rechtfertigte. Mit lauernden Augen fragte sie forschend:
»Denkt ihr, dass es sie dennoch gibt, Ba - shtie?« Sebastian kniff die Augen zusammen und kratzte sich unsicher am Kopf, während er überlegte.
»Na ja, ich weiß nicht so recht, möglicherweise... Antarona, erinnerst du dich an unsere Wanderung über die Berge, an unseren Weg nach Falméra? Als wir weit über Quaronas waren und ich mit Rona und Reno jagen ging, ich erzählte dir davon, da sah ich zwei Gore. Du glaubtest mir nicht, denn sie waren ja bereits in das Land der wandernden Sonne gezogen.« Sebastian unterbrach seinen Bericht mit einer entschuldigenden Geste und fuhr dann bestimmt fort:
»Also die beiden Gore, sie waren da! Und sie flogen, als wären sie von jemandem gelenkt worden. Ja, genau so hat es ausgesehen, wenn ich es recht überlege.«
Antarona musterte ihren Mann von den Göttern, als wollte sie seinen Geisteszustand überprüfen. Offenbar kam sie zu dem Schluss, dass Sebastian doch noch alle sieben Sinne beisammen hatte, denn sie fragte mit leichter Besorgnis in der Stimme:
»Ba - shtie, denkt nach! Sahen eure Augen Reiter auf den Rücken der Gore? Erblicktet ihr etwas, das euch Beweis genug ist, jene Gore flogen nicht nach eigenem Gutdünken?« Sebastian seufzte angesichts dieser spezifischen Forderung.
»Nein, ich habe keinen Beweis. Wie auch? Es ging alles so schnell, ich pfiff gerade noch Reno und Rona zurück, dann sausten die Tiere an uns vorbei und wendeten sich wieder dem Tal zu. Und doch... Irgendetwas war da, das mir sagte, sie wurden geführt. Irgend etwas an ihrem Flug war unnatürlich, kontrolliert, gelenkt. Und es wird deutlicher, je mehr ich darüber nachdenke!«
Antarona war still geworden. Sie dachte mit Schrecken über Sebastians Beobachtung nach. Sie glaubte ihm! Hatte es Torbuk tatsächlich geschafft, Gore zu knechten und Reiter auszubilden, die sie lenkten? War das, was die Alten als phantastische Geschichten erzählten am Ende doch wahr geworden? Konnte Torbuk Gore gegen Falméra und Val Mentiér fliegen lassen? Aber warum hatte er es dann noch nicht getan?
Auf keine dieser Fragen würde sie eine Antwort bekommen, denn es gab keine Gewissheit, ob tatsächlich Gore in die Knechtschaft Torbuks geraten waren. Eines aber schien wohl gewiss. Medunzia hatte zumindest einiges zu verbergen.
»So wie ich das sehe«, brach Sebastian die Stille, »liegt die Antwort auf unsere Fragen bei Medunzia. Sie scheint der Schlüssel zur Truhe des Geheimnisses zu sein.«
»Ihr mögt den rechten Gedanken führen, Ba - shtie«, stimmte Antarona ihm zu, »doch wie wollt ihr darüber Gewissheit erlangen? Medunzia wird wahrlich kaum zugeben, was ihr vermutet! Würdet ihr oder König Bental sie dennoch in den Kerker werfen lassen, so wäret ihr nicht besser und edler, als Torbuk und Karek!«
»Dann müssen wir es eben herausfinden«, forderte Basti mit eindringlicher Geste seiner Hand. »So, oder so«, fuhr er fort, »müssen wir etwas unternehmen! Wir können nicht warten, bis ein neuer Anschlag versucht wird, der dann womöglich gelingt.«
»Aber wie wollt ihr es herausfinden, Herr«, warf nun Frethnal vorsichtig ein und erntete einen missbilligenden Blick Vesgarinas, die wohl der Meinung war, er sollte sich im Beisein ihrer Herrschaften etwas mehr zurückhalten.
»Das, mein lieber Frethnal, das ist hier die Frage«, ging Sebastian nachdenklich darauf ein. Dann blickte er triumphierend in die verschworene Runde.
»Wir werden es herausfinden, denn wir werden dem Meuchelmörder eine Falle stellen! Und egal, ob es Medunzia ist, oder ein anderer, er wird hineintappen und wir werden ihn vor den König und vor den Rat zerren. Ich weiß noch nicht genau wie wir ihn in die irre führen können, aber das wird sich finden.«
Alle schwiegen und blickten erwartungsvoll auf Sebastian, als erhofften sie sich augenblicklich einen fertigen Plan aus seinem Kopf. Er aber legte seine Hand auf die Stapel von Gemälden und sagte mit Augenmerk auf Antarona:
»Zunächst sollten wir alles wieder so verlassen, wie Antarona es aufgefunden hat, damit niemand Verdacht schöpft und bemerkt, dass hier herumgeschnüffelt wurde.«
Sofort machte sich Antarona daran, die Bilder wieder so zu drapieren, wie sie bei ihrer Entdeckung gelegen hatten. Dann nahm sie einen getrockneten Hühnerflügel, derer einige an den Balken des Daches hingen, und fächerte Staub auf, der sich über die Bilder legte. Im Spuren auffinden und wieder verwischen, so musste Sebastian gestehen, war sie eine wahre Meisterin!
Zum Schluss achteten sie genau darauf, die Tür zum Dachboden wieder so zu verschließen, dass niemand einen Verdacht hegen konnte. Antarona und Sebastian entließen ihre Dienerschaft und zogen sich für den Rest des Tages in Antaronas Gemächer zurück.
Kaum waren sie allein, zog Sebastian sein Krähenmädchen an sich und drängte sie in eine Nische des dunklen Korridors.
»Wartet eine Zentare«, flüsterte sie ihm zu und entwand sich seinem Griff, »wartet im Schlafgemach der Zimmer der vergehenden Sonne, es wird nie benutzt, dort wird Sonnenherz und ihren Krieger niemand stören!« Damit schwebte sie wie ein Geist davon.
Sebastian begab sich in den Westflügel und wunderte sich nicht darüber, dass dort alles ziemlich unbenutzt und unbewohnt wirkte. So viele Räume, wie ihr zur Verfügung standen, konnte Antarona unmöglich nutzen. Dafür weckte ihre Ankündigung, sie würden dort ungestört sein, phantasievolle Hoffnungen in ihm und er konnte es kaum erwarten, ihren verführerischen Körper in seine Arme zu schließen.
Eilig und in gespannter Erwartung öffnete er die Fenster und ließ die warme Sommerluft in das nach geöltem Holz riechende Schlafgemach. Dann zündete er alle Kerzen und Leuchter an, die er finden konnte. Zuletzt blieb ihm nichts weiter übrig, als ungeduldig von einer Zimmerecke in die nächste zu wandern.
Er musste nicht lange warten. In anmutigen, aufreizenden Bewegungen schritt Antarona ins Zimmer. Sie schien zu schweben. Zumindest sah es für Sebastian so aus, als berührten ihre Füße den Boden gar nicht, sondern gingen auf einem Luftpolster darüber hin.
Der Hauch eines dünnen, rot schimmernden und durchscheinenden Stoffes umwehte ihre Taille und Beine bei jedem ihrer Schritte. Wie ein Nebel umgab sie das tief auf ihrer Hüfte sitzende Kleidungsstück, das nichts von ihrer Schönheit verhüllte. Im Gegenteil. Das leichte Gewebe ließ verlockend durchblicken, welche Verführungen auf Sebastian warteten.
Und wäre der Stoff nicht an einer Gold schimmernden, mit glitzernden Plättchen behängten Leiste gebunden gewesen, so hätte Sebastian nicht einmal erahnen können, wo Antaronas Haut endete und das filigrane Gewebe begann.
Etwas wie eine Blume, oder ein Schmetterling, etwas hauchzartes, weißes, wie ein zerbrechliches Spitzentüchlein, das mit glitzernden Perlen behängt war, schimmerte darunter hervor und versteckte kaum das letzte Geheimnis ihrer Reize. Aus demselben zierreichen Stoff, der an zerbrechliches Porzellan erinnerte, war auch das winzige Gebilde, das verzweifelt versuchte, ihre Brüste zu verdecken.
Ihre Erscheinung im Licht der kleinen Fackeln und Kerzen verschlug ihm wieder einmal die Sprache. Ebenso, wie ihre ganze Gestalt, war es auch ihre Weise sich zu bewegen, die ihn faszinierte. So wendig und biegsam sie sich im Kampf zu bewegen vermochte, so war auch ihr Gang von einer grazilen Eleganz geprägt, die ihr etwas feenhaftes verlieh.
Der unschuldige, beinahe schüchterne Blick stand im Gegensatz zu ihrer verführerischen, lasziven Körpersprache. Aber gerade das, und ihre oft schnippische, herausfordernde Art, sowie ihr temperamentvoller Charakter waren es, die Sebastian reizten. Sie wusste es und sie verstand es exzellent, ihn damit um den Verstand zu bringen!
Die Erfüllung seiner Sehnsüchte auf dem Präsentierteller, wollte Sebastian sein Krähenmädchen fest an sich ziehen. Doch Antarona war schneller. Einem sich windenden Aal gleich drehte sie sich seitwärts weg, ließ ihn ins Leere greifen und zog sich tänzerisch hinter den großen Tisch zurück, wo sie ihn aufreizend anlächelte.
Sie wollte mit ihm spielen. Sie würde dieses Mal nicht so einfach in seine Arme sinken und unter seinen Berührungen dahinschmelzen. Dieser Abend sollte ein aufregendes Abenteuer der Liebe werden, ein Katz und Maus Spiel, in dem Antarona die Regeln bestimmte.
Wie ein verdurstendes Tier wollte sie ihn in ihren Fängen der Verführung zappeln lassen, ihm die Sinne rauben, ihn um Erlösung flehen lassen, bis seine Sinne nur noch ihrem Willen folgten, bis seine kräftigen Muskeln darum bettelten, ihren Körper auf das Bett zu heben.
Es sollte eine lange Nacht werden, in der er jede Faser dieser eigensinnigen Frau Stück für Stück erobern musste, das spürte Sebastian, als er wie ein Raubtier in angespannter Haltung um den Tisch herumschlich und wachsam die Augen Antaronas fixierte, die nur darauf wartete, ihm im letzten Augenblick wieder zu entwischen.
Eine lange Nacht...

Der nächste Morgen weckte Sebastian mit kühler Frische. Sie hatten am Abend Fenster und Tür zum Söller aufgelassen und während Antarona sich in die Felle und decken gewickelt hatte, war er verschwitzt und ohne Wärmeschutz eingeschlafen. Sebastian sandte ein Stoßgebet zu den Göttern, dass er sich keine Lungenentzündung geholt hatte.
Irgendwo in den Bergen, oder über dem Meer musste ein Gewitter niedergegangen sein. Die Luft war klar und frisch, nicht mehr so feucht und Wärme geladen, wie am Abend zuvor. Sebastian dachte mit Sehnsucht an ihre kleinen Ringkämpfe, bevor Antarona sich hatte erobern lassen. Allein schon der Gedanke löste in seinen Lenden erneut ein verlangendes Ziehen aus.
Liebevoll wanderte sein Blick auf das große Fellbündel, das sich in ruhigem Rhythmus hob und senkte. Als hätte Antarona seine Blicke spüren können, wälzte sie sich im Schlaf herum. Einige Felle verrutschten und entblößten ihren Rücken und Oberschenkel. Behutsam zog er die Felle wieder über ihren Leib und hauchte ihr einen Kuss auf die Schulter.
Gern hätte er gewartet, bis sie aufwachte und noch viel lieber hätte er das neckische und lustvolle Spiel von gestern Abend wiederholt. Doch seine Verpflichtungen dem König gegenüber warteten. Seine Aufgaben wurden mehr und komplexer. Kam er ihnen nicht wenigstens zum Schein nach, mussten sie auf das hoheitliche Wohlwollen verzichten, was wiederum dem Volk der Ival im Val Mentiér zur Last kam.
Die Kartografie der Burg und Falméras wartete ebenso, wie die riesigen Heerlager mit ihren teils alten und störrischen Kommandanten, die es von der Notwendigkeit einer Vorbereitung auf einen Angriff zu überzeugen galt. Nebenbei musste er auch noch Jagd auf einen verkappten Meuchelmörder machen, dessen Gesicht er noch nicht einmal kannte.
Im Grunde hatte er sich hier mehr aufgebürdet, als er sich noch vor einem halben Jahr in seiner kleinen Zweizimmerwohnung in der norddeutschen Stadt hätte träumen lassen. Ein erneuter sehnsüchtiger Blick auf Antarona, die mit wild durcheinander liegenden Haaren friedlich schlummerte, erzählte ihm, wofür er es tat. Für ein Leben mit ihr lohnte es sich!
Sebastian Lauknitz gab sich einen Ruck, sammelte seine Kleider zusammen und schlich sich zum geheimen Gang. In seinen Gemächern angekommen, stellte er fest, dass auch Frethnal noch in tiefen Träumen lag. Rasch besorgte er sich einen frischen Waffenrock, legte sich sein Schwert um und begrüßte den Tag auf dem Burghof mit revolutionären Gedanken.
Wenn in der Burg auch noch Stille herrschte, außerhalb der dicken Mauern war längst das Leben erwacht. Mägde und Knechte, Wachmänner und Soldaten, Pferdemänner und Verwalter liefen scheinbar ziellos umher. Sebastian wusste aber, dass ein jeder seine Aufgabe hatte, der sich, wenn er sie denn nicht zur Zufriedenheit der Aufseher verrichtete, unversehens im Kerker wiederfinden konnte.
Mit diesem Bewusstsein waren Emsigkeit und Fleiß kein Thema, zumindest nicht, wenn Späher oder Aufseher des Hofes in der Nähe waren. Sebastian war Areos. Und Areos war der direkte Vertreter des Königs. Ihn wunderte daher nicht mehr, mit welcher Eile, mit welch wichtigen Mienen und demütig gesenkten Blicken alle ihre Arbeit taten.
Sebastian begann damit, die Führer der Heerlager aufzusuchen. Er notierte sich Truppenstärke, Zustand der Kampfeinheiten, Bewaffnung, Beritt, sowie den Stand der taktischen und körperlichen Einsatzbereitschaft. Er hörte sich beklagte Mängel an, sprach mit den einfachen Kriegern, die oft nur mittellose Bauernsöhne waren, welche sich in den Diensten des Königs zumindest einer warmen Mahlzeit am Tag und ein Dach über dem Kopf sicher waren.
Bereits am Mittag hatte Sebastian eine brauchbare Bestands- und Einsatzliste der Wacheinheiten, sowie eines Drittels der vor der Stadt liegenden Heerlager zusammen. Den Job als neuer Führer aller Truppen machte er recht gut, befand Sebastian über sich selbst.
In zwei Tagen würde er genügend praxisbezogene Informationen über die Truppen des Königs gesammelt haben, um daraus einen effizienten Verteidigungsplan für Falméra zu entwickeln. Verbesserungen, die freilich einige Quarts kosten würden, musste er dem Rat und dem König vortragen und um Genehmigung ersuchen. Da ihm bei den Truppenbesuchen zu viel Zeit verloren ging, kam ihm der Einfall, Frethnal für die weitere Vermessungsarbeit der Burg einzusetzen. Sein Diener wusste inzwischen, wie es zu bewerkstelligen war und mit ein, oder zwei Helfern sollte er in der Lage sein, Maße in eine grobe Skizze einzutragen.
Solange Sebastian in Aufgaben für den König unterwegs war, brauchte er seine Dienste ohnehin nicht. Und so mochte die Landesaufnahme weiter gedeihen, während Sebastian die Außenposten der Heerlager inspizierte. Bei dieser Überlegung kam ihm der Gedanke, den Besuch der über die Insel verstreuten kleinen Lager, mit einem Aufenthalt im geheimnisvollen Mehi-o-ratea, dem Dorf der Liebenden zu verbinden.
Davon musste er nur noch Antarona überzeugen. Er nahm sich vor, sie sofort aufzusuchen und hatte es plötzlich sehr eilig, ihr seine glorreiche Idee mitzuteilen. Wie im Fluge entledigte er sich seiner Aufzeichnungen und Waffen. Anschließend begab er sich ohne weitere Verzögerung in die Bibliothek und verschwand im Labyrinth der verborgenen Wege.
Als er ein Stockwerk höher vorsichtig aus dem geheimen Ausgang lugte, fand er alles still und verlassen vor. Auf leisen Sohlen schlich er durch die Räume des Westflügels und spähte durch die Tür zu jenem Schlafgemach, in dem er und Antarona in der letzten Nacht ihrer erotischen Phantasien freien Lauf ließen.
Auf dem Bett lag ein zerwühlter Haufen Felle und auf dem Boden konnte Sebastian den luftigen Stoff ihres Elsirenkleides erkennen. Aber das Zimmer war leer, von allem Leben verlassen. Die Deckung eines jeden Möbelstücks ausnutzend, schlich er zurück, durch die Salons, Richtung Ostflügel.
Da! Plötzlich Schritte! Kleine, leise, trippelnde Schrittchen. Antarona? Sebastian hielt den Atem an und wartete hinter eine Kommode geduckt. Ein Schatten wanderte voraus. Ein Schatten so mächtig, wie der eines Robrums. Sebastian sah sich bereits verzweifelt nach einer geeigneten Waffe um, mit der er einem solch mächtigen Wesen begegnen konnte, als die Gestalt aus ihrem Schatten trat.
Vesgarina! Der unbekannte Riese war niemand anderes, als Antaronas zierliche Kammerzofe. Mit einem deutlichen Räuspern erhob sich Basti hinter seiner Deckung, um das Mädchen nicht zu erschrecken. Vesgarina erklärte ihm, ihre Herrin sein im Bade und sie wollte ihn ihr ankündigen.
»Nicht nötig«, wehrte Sebastian ab, »ich weiß den Weg. Wenn ihr nichts dagegen habt, so werde ich meine Frau allein begrüßen.«
Die kleine Dienerin verbeugte sich höflich und entfernte sich diskret. Sebastian öffnete langsam die Tür zum Bade und spähte durch den Spalt. Ein riesiger Badezuber, fast eineinhalb Mannlängen im Durchmesser war angerichtet mit dampfendem, nach allerlei Blüten duftendem Wasser, Tücher lagen bereit und verschiedene Kräuteröle warteten darauf die Haut ihrer Eigentümerin glänzend zu machen.
Doch von Antarona keine Spur. Sebastian trat vollends ein und wunderte sich, dass sich seine Frau trotz des verlockenden Bades in anderen Räumen herumtrieb. Aber wo? Im Ankleidezimmer? Aufmerksam sah er sich um. Ein frisches Kleid lag über einer Kommode ausgebreitet. Es war hellblau mit einem weißen Einsatz und einer schwarzgoldenen Borte besetzt. Das Kleid einer Prinzessin!
In der Ecke stand Antaronas Schwert Nantakis. Wie unvorsichtig! Ein heimlicher Meuchelmörder schlich durch die Burg, niemand konnte genau vorhersagen, wann er wieder zuschlagen würde, und seine Frau, auf die er es abgesehen hatte, ließ ihr Schwert mit den geheimnisvollen Kräften unbewacht in einer Ecke stehen!
Antarona schien ihr Bad noch nicht angerührt zu haben, denn im Gegensatz zu seinem letzten heimlichen Besuch, fand er keine nassen Fußabdrücke auf dem Steinboden des Bades. Wieso ließ sie ein so wunderbar duftendes Bad einfach abkühlen? Neugierig fuhr er mit einer Hand durch das Wasser, dessen Oberfläche dicht mit duftenden Blüten bestreut war.
In diesem Augenblick teilte sich das Wasser. Es spritzte, schlug ihm entgegen und etwas fuhr wie ein Geist aus der Tiefe des Zubers auf. Vor Schreck blieb Basti das Herz stehen, er taumelte zwei, drei Schritte zurück, bis er mit dem Rücken gegen die Kommode schlug. Ein Krug, der darauf stand, geriet ins Schwanken, kippte und zerschellte mit einem Knall am Boden.
Ein triefend nasser, glitschiger und unwirklich scheinender Körper schoss aus dem Zuber wie ein neu Geborener in der Größe eines Erwachsenen. Erst als das Wasser abtropfte kam Antaronas neckisches Grinsen zum Vorschein. Ihre langen, nassen Haare hatten sich um ihre Brüste gelegt und entließen Bäche, die an ihrem Körper herab liefen. Verlockend glänzten ihre Brüste und ihr dampfender Körper stand tropfend, verführerisch im Wasser.
»Ba - shtie, was fällt euch ein, hier einfach hereinzuschleichen, als seid ihr auf Raub aus?« tadelte sie ihn mit gespielter Empörung. Sebastian wusste sofort, dass es nicht ernst gemeint war, denn das verräterische, stechende Blitzen in den Augen, das gewöhnlich ihren aufflammenden Zorn ankündigte, blieb aus.
»Mein Herz schreit nach dir«, offenbarte er ihr, »ohne dich ist es so leer, wie ein vertrockneter Wasserbeutel!«
Antarona zog ihren Schmollmund hoch und blies sich die nassen Haare samt Wassertropfen aus dem Gesicht. Ihre Hände legten sich schützend auf ihre Brüste und ihre Augen sahen ihn einladend und leuchtend an.
»Warum steht ihr dann noch da herum und lasst Sonnenherz frieren? Kommt ins Wasser und eure Frau wird euer Herz mit Liebe füllen! Oder redet ihr nur?«
Demonstrativ ging sie in die Hocke, tauchte halb in den Blütensee ein und schöpfte mit den Händen dampfendes Wasser über ihren Körper. Genüsslich schloss sie die Augen, strich mit den Händen sinnlich über ihren Leib und wischte die haftenden Blütenblätter nach unten, die an ihren Schenkeln haften blieben.
Sebastian ließ sich die Aufforderung nicht zwei Mal sagen. Er riss sich förmlich den Waffenrock herunter. Das Hemd und die Hose blieben liegen, wo er sie abstreifte und als er nichts mehr trug, als sein unrasiertes Gesicht, stieg er zu ihr in den Zuber, in dem auch vier Personen Platz gehabt hätten.
Er spürte nasse, erhitzte Haut, Arme, die sich wie Tentakel um seinen Hals legten und das leichte Zittern des schlanken Körpers, den er nun fest an sich presste...
Eine Ewigkeit später schlugen ihre beiden Herzen wieder ruhiger. Ihre Körper wurden immer noch vom warmen Bad angenehm umhüllt. Sie trauten sich nicht, die wohlige Umgebung zu verlassen. Erst, als das Wasser allmählich abkühlte und Antarona zu frieren begann, stiegen sie aus dem mächtigen Zuber.
Sebastian nahm die Tücher von der Kommode und hüllte seine Frau darin ein. Anschließend, ohne sich weiter um das Bad zu kümmern, trug er ihren warmen, duftenden Körper ins Schlafgemach, verkroch er sich mit ihr auf dem Bett unter Fellen und Decken, und obwohl erst Nachmittag war, schliefen sie eng umschlungen, friedlich ein.
Dafür war es stockfinstere Nacht, als Sebastian die Augen aufschlug. War da nicht ein Geräusch? Ohne sich zu rühren lauschte er angestrengt in die Dunkelheit. Antaronas ruhiger Atem ging neben ihm auf und ab. Er hatte etwas Beruhigendes. Ansonsten war es still.
Dennoch versuchte Sebastian seine Sinne zu schärfen, denn er wusste, dass irgendwo ein Attentäter auf Antarona lauerte, der sich schon einmal Zugang zu ihren Gemächern verschafft hatte. Doch so sehr er auch horchte, es blieb still.
Trotzdem gelang es ihm nicht mehr, wieder einzuschlafen. Bemüht, Antarona nicht zu wecken, kroch er unter den Fellen hervor und stand auf. Er wusste, dass sie einen leichten Schlaf besaß. Durch ihr kriegerisches, wildes Leben in allen Sinnen geschärft und jederzeit bereit, sich einem feind entgegen zu stellen, spürte sie auch im Schlaf jede Unruhe, auch wenn sie so gut wie gar keine Geräusche verursachte.
Allein die Anwesenheit einer fremden Person hätte sie geweckt. Gemessen an ihren Fähigkeiten, ihre Sinne selbst im Schlaf fortwährend in Alarmbereitschaft zu halten, war sie eine Raubkatze. Sie war eine Kriegerin, die niemals ruhte, die sich aber ebenso leidenschaftlich dem leichten Leben, der Liebe und dem Vergnügen hingeben konnte.
Was für eine Frau! So jung, so zierlich, so feinsinnig. Und doch war sie in der Lage, es mit ausgewachsenen, kampferprobten Männern aufzunehmen, wagte man es, ihren Zorn zu wecken. Sebastian war stolz, gleichermaßen aber auch besorgt, mit ihr verbunden zu sein.
Sein Stolz fußte in der Bewunderung, die er für sie empfand, seit er ihr am Mentiér- See zum ersten Mal begegnete. Aber da war noch diese Angst, diese ständig ihn begleitende Sorge um sie. Wohl wusste sie auf sich acht zu geben, doch sie lebte gefährlich. Die Wurzeln Sebastians Besorgnis aber, lagen in seiner tiefen Liebe zu ihr.
Etwas, das man über alles liebte, beschützte, hütete und umsorgte man. Auch Sebastian war bemüht, jede Gefahr von Antarona fern zu halten, sie bereits in der Möglichkeit auszuschließen. Er wusste, dass dies nur bedingt praktisch umsetzbar war.
Trotzdem nahm er sich vor, sollte es zu Kämpfen mit Torbuks Truppen kommen, Antarona zuvor, notfalls gegen ihren Willen, zu Högi Balmer auf die Hochalpe zu bringen, wo sie halbwegs sicher war. Schon im Hinblick auf das kleine Herz, das sie bereits unter ihrem Herzen trug, war es ihm ein Bedürfnis, sie behütet zu wissen.
Was aber würde die Zukunft wirklich bringen? War es ihm möglich, seine zukünftige Familie zu schützen, so, wie er es sich vorstellte? Oder würden er und Antarona einfach von den Ereignissen überrollt werden? Nachdenklich blickte Sebastian durch das Fenster auf den Wasserfall im Süden der Burg, der stumm seine Kaskaden nährte.
Da! Eine Bewegung! Nur flüchtig gewahrte Sebastian sie im Spiegelbild des Fensters. Blitzartig drehte er sich um, seine Augen suchten im Bruchteil einer Sekunde nach Antaronas Schwert.
»Ba - shtie, was ist mit euch? Warum seht ihr in die Nacht?« Antarona war hinter ihm aufgetaucht. Anscheinend hatte sie sein Aufstehen trotz aller Vorsicht dennoch bemerkt.
Unbekleidet stand sie vor ihm und ihr sinnlicher Duft stieg ihm sofort in die Nase. Die Haare hingen ihr wirr um den Kopf und ihre leicht gebräunte Haut glänzte bronzen im Restlicht der Gestirne. Sie war auch nach ihrem intensiven und stürmischen Erlebnis der Gefühle noch pure Verführung. Offensichtlich aber nicht mehr in der Stimmung.
»Kommt wieder unter die Felle, Ba - shtie«, bettelte sie fröstelnd, »Sonnenherz mag noch etwas schlafen. Talris ist noch fern und die Augen schwer.« Sebastian nahm ihren zitternden, verletzlichen Körper in die Arme und flüsterte:
»Geh du nur wieder unter die Decken, mein Engelchen, ich aber kann nicht mehr schlafen. Wer des Tages schläft, der wachet in der Nacht«, gab er prophetisch von sich. Antarona sah ihn ein wenig ungläubig an, schien sich aber sehr schnell mit seiner unterbrochenen Nachtruhe anzufreunden.
»Was wollt ihr nun tun, Ba - shtie?« fragte sie neugierig und ihre Müdigkeit war auf einem Mal wie fortgewischt. Sebastian, der zärtlich ihre Rundungen streichelte, zuckte unschlüssig mit den Schultern und überlegte, wann wohl die Sonne aufgehen würde. Eine Uhr hatte er schon lange nicht mehr und sein Zeitgefühl hatte sich verschoben, nachdem sie am Nachmittag schlafen gegangen waren.
»Ich weiß nicht«, kommentierte er ihre Frage, »vielleicht... Vielleicht könnte ich den geheimen Weg aus der Burg, welcher durch den Berg führt, mit Seilen und Leitern versehen, damit wir ihn besser nutzen können«, schlug er spontan vor. Aber so urplötzlich kam ihm der Gedanke gar nicht. Denn bereits, als er am Nachmittag auf dem weg zu ihren Gemächern war, dachte er daran.
»Jetzt schlafen alle, niemand ist in den Gängen unterwegs und vermissen würde uns auch niemand«, überlegte er. Im letzteren Fall dachte Sebastian freilich an König Bental.
»Wir brauchten nichts weiter, als eine Hand voll Fackeln, jede Menge Seile, mindestens drei Strickleitern und Wandhaken. Letzte sind sicher am schwersten zu beschaffen.« Antarona hatte ihm geduldig zugehört und schüttelte nun zweifelnd den Kopf.
»Wo wollt ihr all das inmitten der schlafenden Sonne her bekommen, Ba - shtie?« fragte sie beinahe vorwurfsvoll.
»Niemand wird euch zu dieser Zentare diese Dinge geben! Lasst uns auf den Markt gehen, wenn Talris wieder das Land erhellt, dann werdet ihr alles nach eurem Wunsch bekommen!« schlug sie vor. Und mit versöhnlicher Stimme fügte sie hinzu:
»Sonnenherz wird euch dann in einer anderen Nacht begleiten, um den Weg durch die Finsternis im Berg zu bereiten.« Ungeduldig zog sie Sebastian am Arm.
Nur schwer ließ er sich aus seinen Gedanken reißen. Wenn er sich einmal etwas in den Kopf gesetzt hatte, war es nicht so einfach, ihn davon abzubringen. Als Handwerker war er gewohnt, eine Sache beharrlich bis zum Ende zu bringen.
»Ba - shtie!« Er hatte seiner Frau gar nicht zugehört. Viel zu verlockend war seine Vorstellung, einen Weg in die Burg, und aus ihr heraus nutzen zu können, den nur er und Antarona kannten. Welche Möglichkeiten sich da eröffneten! Egal, wer die Festung bedrohen, oder belagern sollte, es gab für Einen, oder Zwei, die sich unauffällig bewegen konnten, immer einen Fluchtweg!
»Baaa - shtieee!« Antaronas Stimme drang nun direkt in sein Ohr. Er zuckte zusammen und sein Blick fokussierte sich wieder auf das Gesicht mit dem süßen Schmollmund und den großen Augen.
»Kommt wieder unter die Felle, es wird langsam kalt. Wir mögen noch etwas schlafen, bis das Tagwerk euch wieder von Sonnenherz fort nimmt!« versuchte sie ihn erneut ins Bett zu locken.
Nur zögerlich ließ sich Sebastian von seinem nackten Krähenmädchen zurück auf die Schlafstatt ziehen. Je mehr er die neue Idee in seinem Kopf gesichert wusste, desto schneller konnte er sich wieder voll auf Antarona einlassen. Schließlich überzeugte sie ihn mit samtweicher Haut, die sich an seinen Leib schmiegte, sowie mit der angenehm warmen Hülle der Felle und Decken, vom Vorteil, noch etwas schlafen zu können.
Zwei Körper, die sich wie Magneten anzogen, sich gegenseitig wärmten, sich aneinander gekuschelt zufrieden und erfüllt fühlten, streichelten sich glücklich in den Schlaf.
     
  Wichtiger Hinweis: Die Texte des Autors Frank Adlung, insbesondere die des Romans "Das Geheimnis von Val Mentiér", sind durch notarielle Hinterlegung urheberrechtlich geschützt. Ein Herunterladen und Ausdrucken ist nur für den privaten Zweck des Lesens gestattet. Kommerzielle Nutzung, öffentlicher Vortrag, oder Vervielfältigung und Verfälschung des Inhalts, sowie öffentliche Verbreitung ohne Genehmigung des Autors sind untersagt und werden zur Anzeige gebracht.
 
 
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