Das Geheimnis von Val Mentiér
 
31. Kapitel
 
Heimliche Flucht
 
ie gingen noch eine Stunde, dann hatten sie die Brücke über den Fluss erreicht, der die Burg als natürliches Hindernis umspülte. Die mächtigen Zinnen lugten erst hier und da durch den Wald, zuletzt wurden die Bäume von ihren hohen Mauern überragt.
Ziemlich abgerissen erreichten sie das äußere Tor. Antarona trug wie immer ihren Hüftschurz, an dessen Band kaum noch so viel abgetragenes, zerschlissenes Leder hing, dass es ihre intimsten Stellen verbarg. Wenigstens hatte sie sich das Fell besetzte Oberteil angelegt.
Sebastian sah nicht besser aus. Seine zerfetzte Hose hing schmutzig unter seinem Waffenrock hervor, und hielt kaum noch um seine Beine. Doch er trug ein sauberes, unversehrtes Hemd, das er sich bis zum Schluss aufgespart hatte.
Alles in allem vermittelten sie den Eindruck, die erste Schlacht gegen Torbuk bereits geschlagen zu haben. Ungläubig wurden sie von den Wachen angestarrt. Erst auf den zweiten Blick erkannten sie ihren Feldherrn und nahmen eine straffere Haltung an.
Beim Anblick Antaronas reagierten die Männer weniger respektvoll, eben nur soviel, dass Areos keinen Anlass fand, sie zu rügen. Sebastian hatte das unbestimmte Gefühl, dass ihr Verhalten nicht allein Antaronas abgerissenem Äußeren galt.
Unbehelligt schritten sie durch das große Portal, und weiter unter der Mauer entlang, bis zur Zugbrücke. Wie Sebastian selbst angewiesen hatte, standen nun auch hier Wachsoldaten. Sie grüßten Areos unterwürfig, doch Antarona würdigten sie keines Blickes, und sahen statt dessen beschämt zu Boden.
Einerseits mochte die Zurückhaltung ihr gegenüber aus Scham erfolgt sein, die Frau an der Seite des Thronfolgers in so spärlicher Bekleidung zu erblicken. Andererseits ahnte Sebastian, dass es noch einen anderen Grund geben musste.
Erst am inneren Tor, wo sie auf Genrath trafen, der Antarona ebenso wie Sebastian ergeben war, erfuhren sie mehr.
»Seine gütige Hoheit beliebte uns anzuweisen, dass Sonnenherz, alsbald sie in die Burg zurückgekehrt ist, zu bewachen und nicht aus ihren Gemächern zu entlassen ist«, berichtete er in vertraulich leisem Ton.
Während Antaronas Miene sich verfinsterte, verdrehte Sebastian entnervt die Augen und stieß resigniert aus:
»Nein, bitte nicht schon wieder, das darf doch wohl nicht wahr sein!« Mit schief verzogenem Gesicht fragte Basti den Wachhabenden mit sarkastischem Unterton:
»Hat seine gütige Hoheit einen Grund für diese Maßnahme genannt, oder beliebte er euch anzuweisen, auch mir gegenüber darüber zu schweigen?« Genrath zuckte entschuldigend mit den Achseln und antwortete offen:
»Es tut mir leid, Herr, aber auch ich weiß nicht, was den König zu solcher Maßnahme veranlasst hat. Verzeiht, aber ich habe nur den Befehl, euch wohl in die Burg hinein, aber nicht wieder hinaus zu lassen.«
Sebastian sah zu Antarona, die sehnsuchtsvoll auf ihrem Weg zurück blickte, und innerlich mit dem Gedanken rang, die Burg sofort wieder zu verlassen und sich notfalls den Weg freizukämpfen. Was sie davon abhielt, konnte er nur vermuten. Wahrscheinlich war es ihre ureigenste Überzeugung, das Volk der Îval retten , und dafür jedes Opfer bereitwillig in Kauf nehmen zu müssen.
»Es hat wohl keinen Sinn, euch bitten zu wollen, uns wieder gehen zu lassen, oder?« fragte er Genrath mit eindringlichem Blick.
Dieser hob verzweifelt die Arme und man sah ihm an, in welchem Gewissenskonflikt er sich befand.
»Was soll ich tun, Herr? Ihr mögt gehen, wohin ihr wollt, euch gilt dies nicht, doch Sonnenherz...« Er sprach nicht weiter und sah Antarona mit offenem Blick und verzweifelter Miene an. Beinahe bettelnd erklärte er:
»Wenn es nach mir ginge, gütige Herrin, so ließe ich euch unter dem Schutz meiner Männer sogar hinaus geleiten. Doch die äußeren Wachen würden euch nicht passieren lassen. Außerdem würde Tieton mich mit Schimpf und Schande aus dem Dienst und aus der Burg werfen lassen!«
»Es ist gut, ihr könnt ja nichts dafür«, beruhigte ihn Antarona und gab zumindest äußerlich ihren Widerstand auf. Sebastian aber wusste, dass es nur eines winzigen Funken bedurfte, um das wilde Feuer in ihr zu wecken, und eine wahre Furie zu entfesseln, mit der die Wachen kaum fertig werden würden.
Basti wollte die angespannte Situation entschärfen, und versuchte das Krähenmädchen mit einem sicheren Ausweg zu beruhigen. Freilich konnte er im Beisein der Wachen nur vage Andeutungen machen, die nur sie verstand.
»Antarona, lass es erst mal gut sein. Wir werden mit Bental selbst darüber sprechen. Und sollte der sich allzu starrsinnig geben, so werden wir wohl unter der Burg hindurch tauchen müssen, wenn wir sie wieder verlassen wollen, nicht wahr?«
Basti sagte es mit witziger Stimme, so dass Genrath froh war, zu nichts gezwungen zu werden, was er nicht wollte. Er fasste Bastis Äußerung als Spaß auf und lachte erleichtert mit. Aber versteckt gab er Antarona damit zu verstehen, dass sie die Burg jederzeit über die verborgenen Gänge und die unterirdischen Schächte heimlich wieder verlassen konnten, egal wie stark Bental sie bewachen ließ.
Vermutlich hatte seine Frau selbst schon daran gedacht, denn sie entspannte sich gleich wieder und antwortete lächelnd:
»Sonnenherz wird sich dem Willen ihres Königs beugen, Ba - shtie. Seine gütige Hoheit wird wissen, was das Richtige ist.« Genrath sah man an, dass ihm ein Stein vom Herzen fiel. Er kannte den Ruf Antaronas und war keinesfalls scharf darauf, seine Wachen gegen sie antreten zu lassen.
Sie passierten das innere Tor und als sie über den Burghof schritten, sahen sie bereits die Wache am Eingang zum großen Treppenturm. Das hatten wir doch alles schon einmal, dachte Sebastian bei sich. Und tatsächlich war auch vor Antaronas Gemächern ein Wachsoldat abgestellt, der zwar freundlich grüßte, aber kaum einen Zweifel daran aufkommen ließ, dass er seinem Befehl nachkommen würde.
Sebastians Stimmung kippte indes zu innerem Zorn. Diese widersinnige Bewachung Antaronas hatte beinahe schon einmal ihr Leben gekostet. Und nun ging das Theater wieder los! In diesem Augenblick war er sich so sicher wie nie zuvor, dass er so schnell als möglich mit seiner Frau wieder aus der Burg verschwinden wollte.
In Mehi-o-ratea, so versicherte sie ihm, waren sie vor jeglichem Einfluss der Himmelsburg sicher. Kaum wagte sich ein Trupp Soldaten, oder Krieger in das Lager der freien Liebe, was verschiedene Gründe hatte.
Zum einen fürchteten sie die Elsiren und den Zorn der Götter. Mehi-o-ratea war ein von Gewalt freies Land. Niemand durfte aus dem Ort ohne seinen Willen fortgebracht werden. Das war das ungeschriebene Gesetz! Zumindest die Elsiren wachten darüber, dass die Menschenwesen nicht dagegen verstießen.
Aber auch Hohn und Spott, den die Siedler auf Zeit in Mehi-o-ratea den Soldaten entgegenbringen würden, waren gefürchtet. Wer wollte sich schon vor einer Schar junger, halb nackter, ausgelassen feiernder Menschen lächerlich machen?
König Bental gewiss nicht, denn er wusste, das jeder Mann und jede Frau des Volkes einmal an diesen Ort pilgerte, um eine Zeit lang den Zwängen der eigenen Gebräuche und Gesetze zu entgehen. Hauptsächlich jedoch waren es junge Menschen, die sich in Mehi-o-ratea für eine Weile aus der Gesellschaft des Volkes stahlen, um sich ihrer oftmals verbotenen Liebe hinzugeben.
Vorsorglich brachte Basti das Krähenmädchen selbst in ihre Gemächer. Der Wachsoldat vor der Turmtür schien die beiden zu ignorieren. Dennoch spürte Sebastian die verstohlenen Blicke. Aber die mochten auch Antaronas Anblick gegolten haben.
Im Ankleidezimmer begrüßte sie Vesgarina. Das Mädchen hatte offenbar schon mit Ungeduld auf ihre Herrin gewartet. Sie schrieb sogleich ein par Zeilen auf einen Zettel und teilte ihnen mit, dass Medunzia damit beauftragt worden war, Antarona innerhalb der Gemächer, allerdings beschränkt auf die Korridore, zu überwachen.
Voller Sorge, weil Medunzia nun nicht mehr über den Weg zu trauen war, sagte Basti den beiden, dass sie so rasch wie möglich über die verborgenen Gänge in seine eigenen Gemächer kommen, und sich dort verbergen sollten, bis er von Bental den Grund für die erneute Überwachung erfahren hatte.
Anschließend begab er sich selbst über den Geheimgang in seine Räume und wurde von Frethnal empfangen, sobald er den Flur betrat.
»Ihr seid zurück, Herr!« rief der Diener erleichtert aus. Sebastian packte ihn an den Schultern und zog ihn in das Vorzimmer seiner persönlichen Gemächer. Er wollte sicher gehen, von niemandem belauscht zu werden.
»Frethnal, was ist hier eigentlich los?« zischte er ihn an. Bevor der Kammerdiener antworten konnte, fragte Basti ungeduldig weiter:
»Wieso werden wir mit Argusaugen beobachtet, seit wir zurück sind, warum wird Sonnenherz schon wieder gefangen gehalten, und wieso muss ich vor meinen eigenen Wachsoldaten Angst haben?«
Frethnal hob unsicher die Schultern, wies aber mit dem Kopf nach unten, was soviel bedeuten sollte, wie fragt den König.
»Irgendwann kam Tieton in die Audienzräume gestürmt, Herr«, berichtete er, »kurz darauf berief der König den Rat ein...«
»Erinnert euch, Frethnal, wann genau war das?« unterbrach Basti ihn mit eindringlicher Stimme. Eine perfide Ahnung, ein ungeheurer Verdacht stieg in ihm hoch.
»Es war genau ein Sonnenlauf, nachdem ihr aufgebrochen seid, Herr« erinnerte sich der Diener.
»Der Rat beriet sich einen Tag und eine Nacht lang, Herr. Und es hatte irgendetwas mit einem neuen Angriff auf Sonnenherz Leben zu tun und mit der Verlegung von ein, oder zwei Heerlagern an die Küste, und mit zwei Karawanen, die zur Unterhaltung dieser Heerlager bereitgestellt werden mussten«, verriet Frethnal seinem Herrn.
Sebastian überlegte kurz. Immer deutlicher wurde ihm, dass er außer Bental und vielleicht Elwha und Hekthur niemandem in der Burg trauen konnte. Wieso wusste Tieton bereits einen Tag nach ihrem Aufbruch von dem Überfall auf Antarona?
Nach dem Angriff hatten sie ihren Weg fortgesetzt, und erst mit dem Eintreffen der Heerlager hatte er einen Boten mit dem Bericht darüber zur Burg geschickt. War Tieton der Kunst des Hellsehens mächtig? Oder steckte er am Ende mit Fürst Jamálin, den Verrätern und den Meuchelmördern unter einer Decke?
Und wieso trat Medunzia wieder in Erscheinung? Nachdem Sebastian sie verdächtigt hatte, wäre es doch naheliegend gewesen, wenn sie sich fortan im Hintergrund hielt. War sich der Feind so sicher, dass er es wagte, so offensichtlich aufzutreten?
Unmerklich schüttelte Basti den Kopf. Er konnte sich noch keinen vollständigen Reim auf all das machen. Geistesgegenwärtig holte er den kleinen Lederbeutel hervor, den er einem Attentäter Antaronas abgenommen hatte, und zeigte Frethnal die goldenen Quarts.
»Schaut einmal her, Frethnal«, forderte er den Diener auf, »Habt ihr so etwas schon einmal gesehen?« Sein Kammerdiener blickte mit Erstaunen auf den Goldquarts und zog überrascht die Augenbrauen hoch.
»Nicht in dieser Burg, und nicht mehr seit ich in der Burg Quaronas als Gefangener war«, erklärte er bereitwillig. Basti nickte, er hatte nichts anderes erwartet. So, wie die Dinge lagen, stand für ihn die Sache fest.
Jamálin, Medunzia, und möglicherweise auch Tieton konspirierten gegen König Bental, um Torbuk und den Oranuti Falméra in die Hände zu spielen! Wahrscheinlich rechneten sie damit, dass es Tieton auf irgendeine Weise gelingen würde, die Truppen Falméras zu lähmen.
Frethnal half Sebastian in ein neues Gewand und ging dann zu Hekthur, um für seinen Herrn um eine Audienz beim König nachzusuchen. Der Kammerdiener blieb nicht lange fort. Er kam mit der Nachricht zurück, dass Basti sich unverzüglich zu Bental begeben sollte, der in seinem Arbeitszimmer bereits auf ihn wartete.
Dies war so ungewöhnlich, wie auch beruhigend. Bental empfing gewöhnlich stets in einem der Säle, um jederzeit den Rat hinzurufen zu können. Sollte er Sebastian in seinem Arbeitszimmer empfangen, so mochte das bedeuten, dass er sich zunächst selbst ein Bild machen wollte.
Vielleicht war auch Bastis geheime Botschaft Anlass für eine Unterredung unter vier Augen. Frethnal hatte zwar gehört, wie der Angriff auf Antarona beim Rat zur Sprache kam, möglicherweise jedoch hatte Bental dem Rat nicht alle Einzelheiten verraten.
Noch während Sebastian darüber nachdachte, machte er sich auf den Weg zu Bentals Räumen. Frethnal begleitete ihn, zupfte hier noch seinen Hemdkragen frei, und rückte ihm den Gürtel mit dem Schwert zurecht.
Selbst, als sie bereits vor der großen, schweren Holztür zu Bentals Arbeitszimmer standen, meinte Frethnal, noch rasch Bastis Beinkleider richten zu müssen. Sebastian ließ es zu und fing sich den tadelnden Blick Hekthurs ein.
Der Diener und Vertraute des Königs schien in der Zeit, da er und Antarona fort gewesen waren, noch mürrischer und emotionsloser geworden zu sein. Mochte das an der schlechten Laune Bentals gelegen haben, oder daran, dass ihn der fortwährend gleiche Alltag auf der Burg anödete, Basti vermochte es nicht zu ergründen.
Hekthur gab sich jedenfalls keine Mühe, seine momentane Geringschätzung Sebastian gegenüber zu verbergen. Wortlos verschwand er hinter der Tür, hinter welcher der König mit unbekannter Stimmung lauerte.
Frethnal nestelte unterdessen immer noch an Bastis Kleidung herum. Er hatte wohl Angst, dass Bental wieder einmal ein Protokollfehler auffallen konnte.
»Frethnal, es reicht jetzt, ihr habt genug an mir herumgefummelt!« unterbrach Basti nervös und ungeduldig die gut gemeinte Fürsorge des Dieners. In etwas versöhnlicherem Ton fuhr er fort:
»Antarona und Vesgarina werden in meine Gemächer kommen, wo sie etwas sicherer vor unerwarteten Ereignissen sind«, verkündete er Frethnal, »geht jetzt zurück, und kümmert euch um die beiden! Ich werde hier schon allein zurecht kommen.«
»Sehr wohl Herr«, antwortete der Diener und entfernte sich zögernd. Sebastian konzentrierte sich auf die Tür, vor der er stand, rief seinem Diener aber noch nach:
»Und lasst endlich dieses bescheuerte sehr wohl Herr, das macht mich allmählich rasend!« Er bezweifelte, dass Frethnal es gehört hatte, oder sich in Zukunft daran erinnerte. Aber es gab ihm Gelegenheit, Unsicherheit und Ungewissheit zu überspielen.
Endlich öffneten sich die beiden schweren Flügel der drei Meter hohen Tür. Hekthur bat ihn mit starrer, gefühlsloser Miene herein, drehte sich selbst aus der Tür, und verschloss sie von außen. König Bental besaß mehrere Arbeitszimmer, davon mindestens zwei, in denen er Gäste, oder Berater empfing.
Diesen Raum, den er anscheinend als persönliches Arbeitszimmer nutzte, kannte Sebastian noch nicht. Die Wände waren in hellem Kassettenholz ausgekleidet, ebenso die Decke. Das gab dem Zimmer etwas Freundliches. Die Sonne strahlte durch die großen Fenster herein, und man konnte annehmen, sich auf dem Burghof zu befinden.
Vor dem Fenster, mit Blickrichtung in den Raum stand ein mächtiger, schwerer Schreibtisch, fast schwarz bebeizt. Ein farblich dazugehöriger, mit Schnitzwerk versehener Armstuhl, der eher einem Sessel glich, war mit purpurnem Stoff bezogen. Sebastian fragte sich, wie Bental den großen massiven Stuhl bewegte.
In offenen Schränken, auf Anrichten und in Regalen stapelten sich Pergamentrollen, geheftete Schriften und sogar schwere, gebundene Bücher von so großen Formaten, dass ein Mann Mühe hatte, eines der Werke zu tragen.
Der dunkle Parkettboden war mit einer Art Schiffstuch bespannt, und lugte nur an den Rändern und vor den Regalen hervor. Goldene Schwerter standen in einem extra dafür gefertigten Ständer, und verschiedene goldene Figuren thronten auf dicken, Brust hohen, reich verzierten Säulen.
Auf einer dicken Webmatte lagen in einer Ecke zwei Hunde, die Sebastian im ersten Augenblick für Kühe gehalten hatte. Die Biester waren wesentlich größer, als die Sebastian bekannte Deutsche Dogge. Das mussten die Hunde sein, die Antarona außer Gefecht gesetzt hatte, und die sie verletzt hatten.
Beim Anblick dieser Riesenköter lief Sebastian ein Schauer des Entsetzens über den Rücken. Wenn diese Kreaturen das zierliche Krähenmädchen richtig erwischt hätten... Von ihr wäre wohl nichts übrig geblieben, anhand dessen man sie hätte identifizieren können. Allein der Kopf dieser Hunderasse hatte die Ausmaße dem eines ausgewachsenen Bullen.
König Bental stand zwischen Schreibtisch und Fenster. Wie gewöhnlich hatte er sich so platziert, dass nur seine Silhouette im Gegenlicht zu erkennen war. Wie immer hielt er seine Hände hinter dem Rücken verschränkt, und spähte aus dem Fenster, scheinbar nachdenklich.
Sebastian wusste aber inzwischen aus Erfahrung, dass Bental höchst konzentriert war, und selbst das Husten einer Mücke hören würde. Er gab sich zunächst gern unbeteiligt, wie abwesend, um seinen gegenüber in Sicherheit zu wiegen. Doch Basti kannte diese Taktik bereits.
Plötzlich und überraschend konfrontierte der König dann seinen Gesprächspartner mit einer unerwarteten Frage und meist gelang es ihm, den Überrumpelten völlig zu verunsichern. Basti glaubte diesmal aber dagegen gewappnet zu sein, und hielt es für eine gute Idee, selbst das Wort zu ergreifen, um Bental die Überlegenheit zu nehmen.
»Eure gütige Hoheit, lasst mich von den letzten Ereignissen berichten, welche euch beweisen werden, dass meine Annahme richtig ist, was die Absichten Torbuks und der Oranuti belangt...«
Sebastian erzählte vom Überfall auf dem Plateau, von dem Gefangenen, der im großen Tal auf so spektakuläre Weise ums Leben gekommen war, und er hielt sich auch mit seinem Verdacht nicht zurück, dass Tieton selbst mit den Verschwörern unter einer Decke stecken könnte.
Anschließend berichtete er dem König vom Erfolg der Ausbildung seiner Heerlager in der neuen Kampftechnik, und erklärte ihm die Taktik, mit welcher er die neuen Fähigkeiten der Krieger in einer Schlacht einzusetzen gedachte.
Bental hörte ihm geduldig bis zum Ende zu, ohne ihn zu unterbrechen. Das war neu. Gewöhnlich fiel Bental ihm ins Wort, wenn er mit etwas unzufrieden war. Und dass er unzufrieden war, bewies die Tatsache, dass er Antarona von neuem bewachen ließ.
Ermutigt von des Königs Bereitschaft, ihn bis zum Schluss anzuhören, fügte er am Ende tollkühn hinzu:
»Und darum vermag ich nicht zu verstehen, warum ihr Antarona wieder unter Bewachung stellt, Herr. Ihr habt es eurer Tochter zu verdanken, dass eure Krieger so geübt werden, dass sie bei einem Angriff in der Lage sind, ihrerseits den Feind zu überraschen. Anstatt ihr euren Dank zu bekunden, habt ihr nichts besseres zu tun, als...«
»Ihr habt recht«, ergriff Bental zum ersten Mal das Wort, »sie ist meine Tochter! Und genau deshalb muss ich sie vor euch schützen. Mag sein, ich bin ihr nicht der Vater, den sie sich wünscht, doch ich bin es nun einmal. Und als solcher ist es meine Pflicht, sie vor euren Torheiten zu bewahren, ob ihr das nun gefällt, oder nicht! Nachdem, was mir berichtet wurde, ist es nur den Göttern zu danken, dass sie noch lebt.«
Sebastian brauchte eine Weile, um zu begreifen, worauf der König hinaus wollte. Hatte der tatsächlich vor, was er eigentlich aufgeben wollte, sie beide zu trennen? Fing nun alles wieder von vorn an? Die Kurzsichtigkeit, mit der Bental seine Entscheidungen fällte, machte Basti wütend. Noch dazu, weil gerade Medunzia die Bewacherrolle zuviel, gerade jener Person, die er dringend verdächtigte, zumindest an den Angriffen auf Antarona beteiligt gewesen zu sein.
»Das begreife ich nicht, Herr«, versuchte Basti vorsichtig die Entscheidung Bentals anzufechten, »denn hier in der Burg war Antarona noch weniger sicher, als sie es in den Wäldern gewesen war. Das Zusammentreffen mit Torbuks Spionen war rein zufällig, wohingegen in diesen Mauern...«
»Wohingegen in diesen Mauern ebenfalls ihr die Angriffe auf meine Tochter erst ermöglicht habt!« fiel der König ihm ins Wort.
»Ihr schleicht in der schlafenden Sonne in den Gemächern umher, stehlt euch aus der Burg, gebt euch den hemmungslosen Freuden der Elsirenfeuer hin, und tut, was euch gefällt. Es war vorauszusehen, dass solch ein Verhalten gedungene Meuchelmörder auf den Plan ruft!«
Sebastian glaubte nicht recht zu hören. Bental begann sämtliche Tatsachen zu verdrehen, als hätte ihn jemand einer Gehirnwäsche unterzogen. Sebastian hatte Mühe, seinen Ärger in der Stimme zu verbergen, als er konterte:
»So weit ich mich erinnere, eure gütige Hoheit, war Antarona stets in der Obhut ihrer Gemächer attackiert worden, das habt ihr anscheinend vergessen! An den Elsirenfeuern hingegen genoss sie den Respekt und die Achtung des Volkes, die sie zweifelsohne mehr zu schützen vermochten, als eure Bewachung durch unzählige Wachsoldaten.«
Sebastian redete sich geradezu in Rage. Es blieb ihm ein Rätsel, warum Bental nicht begreifen wollte, dass seine Tochter nicht für das Leben hinter dicken Mauern geschaffen war.
»Antarona ist in den Wäldern des Val Mentiér aufgewachsen, Herr«, versuchte er dem König zu erklären, »sie vermag mit ihren Sinnen selbst in der schlafenden Sonne besser im Wald zu sehen, als ein Robrum. Hier in der Burg jedoch ist sie blind, hilflos ihren Feinden ausgeliefert. Und ihr selbst tragt dafür die Verantwortung! Ihr selbst habt es so bestimmt, als ihr sie in Kindestagen fortgabt!«
Dass er damit einen wunden Punkt in Bentals Seele getroffen hatte, war Basti bewusst, und er wunderte sich, dass sich der mächtigste Mann dieser Welt seine Anklage gefallen ließ. Es war nicht ungefährlich, einen solchen Ton anzuschlagen. Basti hatte bereits von mehr als einem Fall gehört, in dem König Bental jemanden hatte im Kerker verschwinden lassen, der ihm allzu mutig seine Meinung gesagt hatte.
»Ich kann schließlich die Gemächer dieser Burg nicht in den Wald bauen lassen«, warf Bental nach einer Weile des Nachdenkens in den Raum, »wie stellt ihr euch das vor? Unser Stand erwartet nun einmal auch von meiner Tochter ein hohes Maß an Stärke und Anpassung. Sie ist die Tochter des Königs und da sie nun einmal hier ist, wird sie lernen müssen, für ihr Volk auch Opfer zu bringen!«
Basti lief vor Entrüstung rot an. Er wusste, dass es einer Selbstvernichtung gleich kam, doch wenn er jetzt schwieg, waren nicht nur er, sondern auch Antarona, und ihre Liebe zueinander verloren. Er trat einen Schritt vor, bis sein Bauch den mächtigen Schreibtisch des Monarchen berührte, und sprach mit Nachdruck:
»Mit Verlaub, Herr, aber ihr irrt euch gewaltig!« begann er kühn. »Antarona hat bisher in ihrem ganzen Leben nicht nur mehr Stärke bewiesen, als jeder eurer Heerlagerführer, sie hat sogar ein um vieles größeres Opfer gebracht, als ihr es jemals vermögt! Sie hatte eurem Bruder im Val Mentiér als einzige die Stirn geboten, und ihn offen bekämpft, ohne Scheu davor, selbst Schaden an Leib und Leben zu nehmen!« Sebastian hatte Mühe, bei seiner Kaskade der anklagenden Worte, noch genug Luft zu bekommen. Doch ohne Unterbrechung fuhr er fort:
»Und außerdem, ja, sie ist nun einmal hier! Aber gewiss nicht, um die Vorzüge ihres Standes in Anspruch zu nehmen, denn den kannte sie ja gar nicht! Nein, sie kam, um von euch die Autonomie ihrer Heimat zu erbitten, um mit ihren Freunden und Verbündeten ihr Volk vor jenem schützen zu können, welchen ihr nicht in der Lage seid, ihn in die Verbannung zu weisen!«
»Die Heimat meiner Tochter ist hier, in Falméra, auf der Himmelsburg, auf der sie geboren wurde!« entgegnete Bental trotzig.
»Ach, und darum habt ihr sie nach ihrer Geburt fortschaffen lassen, wie eine lästige Bürde?« fragte Basti provokant und mit dem Mut der Verzweiflung.
»Wenn euch die Heimat eures Kindes so wichtig gewesen wäre, wie ihr jetzt verlauten lasst, warum habt ihr eurem Bruder nicht damals bereits die Stirn geboten? Und führt nun nicht die Gesetze und Gebote der Götter ins Felde, denn diese beugt ihr ja sowieso nach eurem Gutdünken!«
Die Miene des Königs verfinsterte sich zusehens, und er war beinahe so weit, sich diese freche Weise der Vorwürfe nicht länger bieten zu lassen. Doch Sebastian war inzwischen ohnehin zu weit gegangen und ließ sich nun nicht mehr Mundtot machen.
»Habt ihr euch je um Antarona gekümmert, all die vielen Jahre, in denen sie herangewachsen war? Habt ihr euch je darum geschert, wie es ihr geht, ob sie wohlauf ist, ob sie überhaupt noch lebt? Nein, habt ihr nicht! Ihr wart nur einer von Vielen, welche nur die legenden um Sonnenherz kannten, ohne zu wissen, dass sie eure Tochter ist!« Fast verschluckte sich Basti und musste seine Rede mit Husten unterbrechen, bevor er weiter sprach.
»Nein, eure gütige Hoheit, ihr mögt wohl der mächtigste Mann in diesem Reich sein, und ihr könnt mich nun in den tiefsten eurer Kerker werfen lassen, weil das, was ich euch sage, euch nicht gefällt. Doch es wird nichts daran ändern, dass ihr das Recht verwirkt habt, euch Antaronas Vater zu nennen, oder die Himmelsburg ihre Heimat zu heißen!«
»Wo wart ihr denn, Herr Vater, als Antarona euch brauchte?« fragte Basti vorwurfsvoll und mit bitterer Stimme.
»Wo wart ihr, als Torbuks Männer jene Frau vor ihren Augen in Stücke rissen, die ihr wahre Mutter gewesen war? Wo wart ihr, als jenes Dorf, das ihr wahre Heimat war, von den Schergen eures Bruders geschändet wurde? Wo wart ihr, als sie sich nächtelang in Einsamkeit verging? Nein, der einzige, der das Recht hat, sich ihr Vater zu nennen, ist Hedaron, der Holzer von Fallwasser. Ein Mann von niederem Stand, der sich aber trotz seines Schmerzes nicht scheute, ihr ein guter Vater zu sein!«
Sebastian war schon ganz außer Atem, dennoch ließ er sich nicht davon abbringen, Bental die Wahrheit zu sagen, auch wenn ihn das Kopf und Kragen kosten sollte. Viel zu lange hatte er schon geschwiegen!
»Ihr mögt das Beste für Antarona ansinnen, das mag euch niemand absprechen. Und sie mag auch Prinzessin von Falméra sein. Aber ob sie innerhalb dieser Mauern darauf warten will, einmal auf dem Thron der Himmelsburg zu sitzen, oder ihren Kampf für das Volk der Îval in den Wäldern führt, das habt ihr nicht mehr zu entscheiden. Dieses Recht habt ihr vergeben!«
»Ihr aber, der sich als Fremder in ihr Leben gestohlen hat, ihr wollt dies entscheiden ja?« gab Bental entrüstet zurück. Sebastian schüttelte fast mitleidig den Kopf.
»Ihr wisst dass es nicht so ist! Antarona hatte sich bereits für ein Leben entschieden, bevor ich sie traf. Und sie hatte mir gegenüber niemals ein Geheimnis daraus gemacht, dass das Volk der Îval in ihrem Herzen die erste Stelle einnimmt«, machte Basti deutlich. Bental, der während Bastis Vorwürfe nachdenklich und schweigsam geworden war, gewann seine alte Sicherheit zurück.
»Aber dennoch trägt sie nun euer Kind in ihrem Bauch.« Er sagte das tonlos, wie eine nüchterne Feststellung, ohne Zorn, ohne Freude, ohne Emotionen.
Sebastian nickte bedächtig. Plötzlich wurde ihm klar, dass diese Tatsache so etwas wie eine Lebensversicherung für ihn war. Möglicherweise hatte Bental ihn nur deshalb noch nicht sang- und klanglos verschwinden lassen, weil seine Tochter ein Kind von ihm erwartete.
Kein Großvater möchte seiner Enkelin irgendwann eingestehen müssen, ihren Vater auf dem Gewissen zu haben. Das gab Sebastian neuen Mut, und er wagte es, Bental wie ein Schulmeister zu belehren.
»Das, eure gütige Hoheit, das ist Liebe! Und nur mit ihr lässt sich Antaronas Herz erobern, das gilt auch für euch. Wollt ihr neben Hedaron Antaronas Vater sein, so findet ihr den Weg zu ihr allein mit Liebe. Zeigt ihr euer Verständnis, zeigt ihr, dass ihr eure Tochter liebt, so wird sie vielleicht sogar an eurer Seite bleiben!«
Sebastian packte die Gelegenheit beim Schopfe und ging in fließendem Übergang zum nächsten Thema über, das er mit Bental besprechen wollte.
»Dazu allerdings müsste sie auf der Himmelsburg sicher sein. Doch im Augenblick scheint ihr für ihre Sicherheit nicht sogen zu können«, warf er dem König vor.
»Daher werde ich sie zu überreden versuchen, mich auf die Reise entlang der Küste zu begleiten, um die Standorte für eine Winkeranlage auszuwählen.« Darüber, dass Sebastian und Antarona in erster Linie den Aufenthalt in Mehi-o-ratea genießen wollten, schwieg er tunlichst.
Bental drehte sich zu ihm um, kam langsam um seinen Schreibtisch herum, der wie eine Festung im Raum stand. Er blieb so nahe vor Sebastian stehen, dass dieser seinen Atem auf seinem Gesicht spürte.
»Ihr aber wollt in der Lage sein, meine Tochter dort draußen, in den Wäldern und Dörfern zu schützen?« Seine Worte klangen provozierend, von Zweifeln durchzogen, ja fast drohend. Dabei sah er Basti scharf in die Augen.
Aber von diesem letzten Aufbegehren Bentals Macht über den Mann seiner Tochter ließ sich Sebastian nicht mehr beeindrucken. Wahrheitsgemäß erklärte er dem Herrscher:
»Ja, dazu bin ich in der Lage, denn es ist die Pflicht eines jeden Mannes, seine Frau und seine Tochter zu beschützen. Aber darüber hinaus bedarf Antarona keines Schutzes. Sie weiß sich durchaus selbst zu verteidigen und sie tat es bereits viele Zentaren lang, bevor sie mir begegnete.« Sebastian sah Bental herausfordernd an und fügte hinzu:
»Wenn ihr alles wisst, wie ihr zu glauben pflegt, so müsstet ihr ebenfalls wissen, dass drei eurer besten Krieger gegen sie angetreten waren. Nun, eure Tochter hat diese drei gestandenen Männer ziemlich lächerlich aussehen lassen. Und bei dem Überfall auf dem Plateau hatte sie bereits drei Angreifer in das Reich der Toten geschickt, bevor die letzten zwei sie überwältigen konnten.«
So ganz schien der König jedoch noch nicht überzeugt. Er blickte zweifelnd an Sebastian herunter, als hätte der ihm ein Märchen aufgetischt. Bevor Bental etwas erwidern konnte, sagte Basti:
»Und wenn eure Hoheit geruht wären, meinem Rat zu folgen, und Falméra sowie seine Küsten besser sichern zu lassen, und den Oranuti nicht mehr blind zu vertrauen, so müsste ich mir um Antarona und mein Kind erst gar keine Sorgen machen. Denn wenn Torbuks Wasserwagen eines Tages in der Bucht aus dem Nebel auftauchen, dann werdet auch ihr mit eurer Burg nicht mehr in der Lage sein, die Töchter dieses Landes zu schützen!«
Der König wanderte einmal nachdenklich um den Tisch herum, dann blieb er davor stehen und wühlte in einigen Pergamenten und Schriftrollen herum.
»Hier, eure Nachricht, die mir der Bote des vierten Heerlagers gebracht hatte, persönlich, wie ihr darauf bemerkt habt. Nur gut, dass ihr diesen Zusatz darauf geschrieben habt. Ich mag nicht darüber nachdenken, welche Handlungen euer Bericht ausgelöst hätte, wäre er dem Rat zugekommen!«
Sebastian stand wie von Blitz und Donner berührt. Er konnte nicht glauben, dass Bental rein gar nichts unternommen hatte.
»Ihr habt das nicht einmal dem Rat kund getan?« fragte er entsetzt. Bental drehte sich kurz um, sah ihn vorwurfsvoll an und fingerte wieder in den Pergamenten herum.
»Natürlich nicht«, gab er wie ganz selbstverständlich zu, »was hattet ihr denn erwartet? Dass ich aufgrund einer bloßen Botschaft den gesamten Rat einberufe? Vermögt ihr zu beweisen, was ihr berichtet, so mag es ein Leichtes sein, den Rat davon zu überzeugen, dass es gerechtfertigt ist, die Heerlager zu alarmieren.« Er drehte sich wieder zu Basti um.
»Doch was bringt ihr mir? Nur die Nachricht, dass der einzige, der euren Bericht stützen könnte, in das Reich der Toten eingezogen ist! Und ihr verlangt von mir, nur auf euer Wort hin, den Rat dazu zu bringen, die Allianz mit den Oranuti zu brechen. Was, wenn ihr euch irrt? Was, wenn euer vermeintlicher Spion nur ein vom Irrsinn Heimgesuchter war?« Bental hob ratlos die Hände.
»Dann hätten wir unsere einzigen Verbündeten mit einer falschen Annahme dazu gebracht, sämtliche Verträge aufzuheben. Ich mag gar nicht darüber nachdenken, wie viele erzürnte Bürger Falméras mit Oranuti- Abstammung mir den Audienzsaal belagert hätten! Nein, allein aufgrund eurer Behauptung, ohne einen Gefangenen, der noch reden kann, vermag ich den Rat nicht zu einer außerordentlichen Sitzung einzuberufen!« Der König griff in die Pergamente und hielt Sebastian einen wirren Haufen davon entgegen.
»Statt dessen muss ich dem Rat das hier vorlegen!« Anklagend und ärgerlich zählte Bental einige einzelne Positionen auf, die Sebastian selbst erst einmal zuordnen musste:
»Standartenstangen und Standarten, fünfundvierzig Quarts; Verlegung von zwei Heerlagern, zweitausenddreihundert Quarts; Material- und Verpflegungstransporte, viertausend Quarts; der Verlust von drei Pla-kas, tausendachthundert Quarts! Dazu liegt mir eine Beschwerdeschrift von Fürst Jamálin vor, worin er beklagt, dass jenes Land, welches ihm zugesichert war, von Heerlagern meiner Truppen besetzt ist.« Bental sah Sebastian wütend an, schlug mit der freien Hand auf die Pergamente, dass es nur so knallte.
»Habt ihr die Güte, mir das wohl erklären zu wollen?« forderte er Basti ziemlich lautstark auf, so dass seine Hunde, die bisher in der Ecke gedöst hatten, erschrocken die Köpfe hoben.
»Fürst Jamálin verzichtet mittlerweile auf das Land und ist so sehr über die Maßen verärgert, dass er die Verhandlungen über das neue Handelsabkommen zwischen den Îval und den Oranuti mit seiner Abwesenheit straft! Ohne ihn wird das Abkommen vielleicht nie zustande kommen! Sind euch die Folgen eigentlich klar?« blaffte er Sebastian an.
Sein Zorn über diesen Punkt gab ihm die Sicherheit und Überlegenheit zurück, die er in der Diskussion um seine Tochter eingebüßt hatte. Sebastian war überrascht, mit welchen Summen die Verlegung und Vorhaltung der beiden Heerlager zu Buche schlugen. Doch der Rückzug und die Verärgerung Fürst Jamálins ließ ihn innerlich frohlocken.
Sein Ziel hinsichtlich des Tals der roten Flühen hatte er erreicht. Nun musste er Bental nur noch von der Notwendigkeit und vom Erfolg der eigenmächtig inszenierten Aktion überzeugen. Er wartete, bis der erste Zornesausbruch des Königs verraucht war, bis er einen Sinn darin sah, sich zu rechtfertigen.
»Eure Hoheit mögen mir verzeihen, oder nicht, doch vorher den Rat um Genehmigung zu ersuchen, hätte den Verlust der Geheimhaltung bedeutet. Und dieses Tal hatte ich aus eben diesem Grunde ausgewählt, denn es liegt nur zwei Tagesreisen von Falméra entfernt, aber so unzugänglich, dass sich kaum jemand dorthin verirrt. Auch kein heimliches Auge Torbuks!«
Sebastian breitete eine Karte auf dem Tisch des Königs aus, die er während des Aufenthalts im Tal der roten Flühen angefertigt hatte. Er erklärte Bental die Lage der Heerlager und der Ausbildungsstätte, verschwieg ihm aber seine Absicht, irgendwann dort Pla-ka züchten zu wollen. Dabei wunderte er sich, dass der König keinen Verdacht darüber schöpfte, dass ihn Sebastian bereits um dieses Tal ersucht hatte.
»Wenn euer Hoheit wünschen, führe ich euch den Erfolg dieser heimlichen Maßnahme vor, welche ihr nicht unerheblich eurer Tochter zu verdanken habt. Lasst die doppelte Anzahl Kämpfer eurer Wahl gegen die Krieger mit der neuen Kampftechnik antreten, und ihr werdet überzeugt sein«, argumentierte er sachlich.
Dann erläuterte er Bental in allen Einzelheiten, wie er die neuen Einheiten einzusetzen gedachte, sollte Falméra jemals angegriffen werden. Dass dieser Tag kommen würde, an dieser Überzeugung ließ er gegenüber Bental keine Zweifel mehr aufkommen.
»Auch wenn ich es vor dem Rat nicht beweisen kann, so steht dennoch fest, dass Torbuk zusammen mit einigen Oranuti- Fürsten in nicht ferner Zentare einen Angriff auf Falméra beabsichtigt. Eine genaue Einschätzung, wo er wahrscheinlich landen wird, erhaltet ihr nach meiner Reise, die Küste entlang.« Einen Moment lang ließ Sebastian seine Darlegungen auf den Monarchen wirken.
Kurz kam ihm der Gedanke, dem König die goldenen Quarts zu zeigen, die der Gefangene bei sich gehabt hatte. Zwar war auch das kein absoluter Beweis, doch es hätte seine Behauptung deutlich untermauert. Doch Sebastian schwieg. Die Goldquarts erschienen ihm letztlich nützlicher, als die Tatsache, dass der Rat davon wusste. In diesem Fall währen die außergewöhnlichen Ringe vom König und dem Rat beschlagnahmt worden. Also fuhr Sebastian fort.
»Und Fürst Jamálin wird sich schon wieder beruhigen«, beschwichtigte er den König in dieser Sache, »schließlich will er etwas erreichen, das für seine Sache wichtig ist, und wird nicht einfach so aufgeben. Wahrscheinlich wird er schon bald mit einer neuen Forderung um eine Audienz bitten«, vermutete Basti. Er machte eine wegwerfende Handbewegung und fügte hinzu:
»Jamálin hegt ja immer noch die Hoffnung, dass seine Tochter Raspina einmal Königin von Falméra wird, nicht wahr?«
»Nun, ihr wart eine lange Zentare mit ihr verschwunden, wie ich mich erinnern kann«, bemerkte Bental bissig, »wieso also sollte der Fürst nicht dieser Hoffnung sein?« Sebastian ließ diese Frage unbeantwortet.
Suchte der König etwa schon wieder nach Gründen, Antarona und ihn auseinander zu bringen? Er schüttelte über die Wankelmütigkeit Bentals genervt den Kopf. Die einzige Hoffnung, diesen Querelen aus dem Weg zu gehen, war, mit Antarona die Burg zu verlassen, bis sie nach Val Mentiér zurückkehren konnten. Sebastian war müde, darüber zu diskutieren, und sagte mit matter Stimme:
»Hört, eure gütige Hoheit, mit eurer Erlaubnis werden wir so rasch als möglich aufbrechen, um die Küste Falméras zu erkunden, dabei will ich...«
»Tut das, und sendet mir laufend Bericht, was ihr herausgefunden habt«, unterbrach ihn Bental kompromisslos, »der Rat hat eurer Reise zur Suche nach möglichen Landungszielen Torbuks zugestimmt. Doch meine Tochter Antarona bleibt hier! Darüber wird es keine Fragen mehr geben. Wenn mein Bruder herausfindet, dass ich eine Tochter habe, dann soll er eine Prinzessin sehen, und keine verwilderte Braut eines Raubritters!«
Sebastian wollte erneut aufbegehren, denn er hatte nicht das geringste Interesse daran, die Burg ohne Antarona zu verlassen. Doch König Bental erstickte jeden Versuch im Keim. Offenbar hatte er aufgegeben, Sebastian mit Argumenten zu überzeugen. Statt dessen spielte er seine Macht als Landesherr aus.
»Ich will darüber nichts mehr hören«, kündigte er barsch an, »ihr seid entlassen und dürft nun gehen. Erkundet die Küste, plant eine wirkungsvolle Verteidigung, setzt neue Heerlager ein, wo ihr es für nötig befindet, doch ohne meine Tochter! Sie bleibt unter meinem Schutz auf der Burg! Ich wünsche euch eine erfolgreiche Reise!«
Damit drehte sich Bental wieder seinem geliebten Fenster zu und starrte stumm hinaus. Ein unbeweglicher, unpersönlicher Schatten, eine abweisende, kalte Silhouette, eine schwarze, farblos Figur, drohend, endgültig!
Niedergeschlagen ging Sebastian. Jegliche Euphorie war verflogen und machte grauer Ernüchterung platz. Warum bemühte er sich eigentlich? Was ging ihn Falméra an, was diese Burg? Antarona fühlte sich sowieso mehr zum Val Mentiér hingezogen!
Warum nahm er nicht einfach seine Frau und ging mit ihr zurück auf den Hof ihres Vaters? Autonomie für Val Mentiér hin und her, letztlich kämpften sie ja doch ohne wirkliche Unterstützung Bentals und Falméras. Der König dachte ja gar nicht daran, ihnen Truppen zu überlassen!
Sebastian achtete die Liebe seiner Frau zu ihrem Volk, und er wollte ihr auch mit aller Kraft helfen, doch das alles um den Preis, sie an die Himmelsburg zu verlieren, in der sie eingehen würde, wie ein Adler in einem engen Käfig? Nein!
Zorn kochte in ihm hoch und gleichzeitig entstand in seinem Kopf ein nüchterner Plan, der einfacher nicht sein konnte. Antarona kam mit! Er würde nicht mehr danach fragen und auch nicht darum betteln! Was wollte Bental dagegen tun? Sie suchen lassen, seine eigene Tochter verhaften und in Ketten legen lassen? Paradox!
Entschlossen und festen Schrittes ging er in seine Gemächer zurück. Hekthur, der ihm auf halbem Weg entgegen kam, beachtete er gar nicht. Und als Frethnal ihn an der Turmtür empfing, fragte er nur knapp, ohne stehen zu bleiben:
»Wo sind Sonnenherz und Vesgarina? Sind sie schon hier?« Der Kammerdiener trippelte hinter den großen, eiligen Schritten Bastis her und stammelte:
»Nein, Herr, bis jetzt sind sie hier nicht aufgetaucht. Soll ich hinaufgehen, und nachsehen, wo sie bleiben, Herr?« Abrupt war Sebastian stehen geblieben. Halb entsetzt und halb nachdenklich sah er den Diener an.
»Ja, tut das, aber beeilt euch, wir wollen...« Er unterbrach sich selbst und schüttelte den Kopf, als wollte er seine eigenen Gedanken abschütteln.
»Nein, lasst sein, Frethnal, ich werde selbst gehen! Ihr nehmt ein par Quarts und besorgt mir lange und kurze Stangen für den Bau einer Leiter, dünne Stricke, und jede Menge Seile, sowie Fenster- und Türhaken!« Im letzten Atemzug wandte er sich zum Gehen, hielt aber noch einmal kurz an.
»Und Frethnal, nach Möglichkeit heute noch! Habt ihr verstanden? Ich brauche das Zeug sofort! Also kümmert euch darum!« Schnell hängte Basti sich sein kurzes Kampfschwert um, steckte sich das Bowiemesser in den Gürtel, dann eilte er in den Vorraum der Bibliothek und verschwand in der Luke zu den verborgenen Wegen.
Hastig stieg er die Leiter hinauf. Ein Stockwerk höher schlich er mit einer Fackel in der Hand den Geheimgang entlang, bemüht, mit dem Schwert an der Mauer keinen Lärm zu machen. Vorsichtig öffnete er die Luke und spähte hinaus.
Das irgendetwas nicht stimmte, ahnte Sebastian. Die Tatsache, dass Antarona und Vesgarina noch nicht in seinen Gemächern erschienen waren, hatte ihn misstrauisch gemacht. Nachdem er sich vergewissert hatte, dass sich niemand im Raum befand, schloss er den Zugang zu den Geheimgängen und richtete sich auf.
Das Zimmer war abgedunkelt, die Tür zum nächsten Raum verschlossen. Basti schlich auf Zehenspitzen zur Tür, drückte behutsam den Riegel herunter, hielt bei jedem Geräusch inne, wagte kaum zu atmen.
Die Tür knarrte und er bemühte sich, sie so langsam zu öffnen, dass nur ein leises Knacken nach dem anderen zu hören war. Er schlüpfte hindurch, sobald der Spalt groß genug war und ging sofort in die Hocke. Als er sicher war, dass sich niemand in diesem Raum befand, huschte er zur nächsten Tür, und wieder zu einer weiteren.
Jedes Mal ging er sehr vorsichtig vor, was viel Zeit kostete. Dann stand er in Antaronas Bad. Die Bodensteine waren trocken. Sie hatte also noch nicht gebadet! Eilig schlich er weiter bis zu ihrem Ankleidezimmer. Noch bevor er es erreichte, gewahrte er vor der großen Tür eine Bewegung.
Sebastian erstarrte, seine Blicke versuchten in dem Licht, dass die schweren Fenstervorhänge nur spärlich herein ließen, etwas zu sehen. Inzwischen hatten sich seine Augen an das Dämmerlicht gewöhnt, dennoch vermochte er die Person nicht zu erkennen, die offensichtlich vor der Tür Wache hielt, und sich in einem bequemen, großen, Armstuhl räkelte.
Ob er wollte, oder nicht, er musste an dieser Bewachung vorbei, wollte er zu seiner geliebten Frau, die er hinter der Tür vermutete. Ganz langsam ging er in die Knie, und wunderte sich, dass ihn die Person im Sessel nicht bemerkte. Wahrscheinlich war sie so mit sich selbst beschäftigt, dass sie um sich herum nichts mehr wahrnahm.
Aufmerksam sah Basti sich um. Er wollte den uralten Trick der Ablenkung anwenden, um sich auf die Wache zu stürzen, und sie zu überwältigen. Er entdeckte am Boden einen kleinen, geschnitzten Holzkopf, der an einem Ende spitz zulief, wohl eine Art Türstopper. Er hob ihn auf, zielte kurz und warf.
Scheppernd viel eine kleine Karaffe von der Anrichte am Fenster. Keine große Sache, doch der Krug machte in der Stille einen solchen Heidenlärm, dass der Wachmann wie von einer Schlange gebissen aufsprang. Augenblicklich hielt er einen Dolch in der hand und lauerte zum Fenster hin.
Diese zwei Sekunden nutzte Basti, um sein Schwert aus der Scheide zu reißen, über den Tisch zu hechten und dem Mann die Klinge an den Hals zu halten. Er musste sich sehr konzentrieren, um dem Überraschten nicht aus Versehen die Kehle zu durchtrennen.
»Macht eine einzige Bewegung, und ihr seid des Todes«, flüsterte er und verlieh seiner Drohung Nachdruck, indem er den kalten Stahl auf weiche Haut drückte.
»Lasst auf der Stelle den Dolch fallen, oder ihr bereut es!« befahl er in leisem, scharfen Ton. Gedämpft polterte die kleine, aber tödliche Waffe zu Boden. Sofort meldete sich hinter der Tür zum Korridor eine besorgte Stimme.
»Ist alles in Ordnung, Herrin? Ich habe etwas zu Boden fallen hören...« Sebastian drückte das Schwert warnend noch fester gegen die Kehle, die offenbar einer Frau gehörte. Die begriff sehr schnell, dass ihr Leben verwirkt war, sollte sie falsch antworten.
»Sorgt euch nicht, Tirbur, es ist nur ein Wasserkrug umgefallen«, rief sie zurück. Basti drängte die Frau zum Fenster, die von ihrer Statur her gut ein Mann hätte sein können, und riss den Vorhang einen Spalt weit auf, um besser sehen zu können. Er staunte nicht schlecht!
Die Frau, die Antaronas Schlafgemach bewachte, war keine andere, als Medunzia! Sofort verdüsterte sich Sebastians Miene und er sagte mitleidlos:
»Ihr habt Antarona und Vesgarina genug zugesetzt, das wird jetzt ein Ende haben! Ich frage mich, was dem König an euch liegt, dass er euch immer noch in der Burg duldet. Aber nun ist Schluss!«
Medunzias Gesichtsfarbe veränderte sich zusehens, trotz des ungünstigen Lichts. Sie meinte wohl, nun in das Reich der Toten einfahren zu müssen, ließ alle Vorsicht fahren, und rief nach draußen:
»Tirbur, herein, und gebt acht, jemand ist...« Weiter kam sie nicht. Sebastian hieb ihr mit aller Kraft den Schwertknauf gegen den Kopf. Wie ein nasser Sack sank sie zu Boden und rührte sich nicht mehr. Dafür drehte sich schwer knirschend ein Schlüssel und ein Riegel wurde knallend zurückgeschoben.
Mit einem Satz war Sebastian an der Tür, die augenblicklich aufschwang. Der Mann, der gerade hereinstürmen wollte, blieb abrupt stehen, als er Bastis Klinge an seiner Kehle spürte. Er besaß so viel Erfahrung, dass er wusste, was ihn an dieser empfindlichen Stelle seines Körpers berührte.
»Für euch gilt das Gleiche, was ich bereits Medunzia sagte«, raunte Basti ihm zu, »macht keinen Muckser und ihr erfreut euch weiter bester Gesundheit. Glaubt ihr aber einen wilden Mann spielen zu müssen, dann...« Sebastian ließ den Satz offen. Er setzte einfach darauf, dass der Mann nicht tot sein wollte.
Der Wachsoldat im typischen Waffenrock der inneren Wache sah entsetzt auf Medunzias reglosen Körper und fragte ängstlich:
»Ist sie.., ich meine habt ihr sie..?« Sebastian lachte leise und gemein, und hoffte, dass er den Mann damit noch mehr einschüchterte. Dann erinnerte er sich aber an die Kurzschlussreaktion Medunzias. Selbst er vermochte nicht die gesamte Palastwache auszuschalten. Beschwichtigend, allerdings mit verächtlicher Stimme sagte er:
»Ach, die schläft nur! Vermutlich hat sie ein par Tage lang Kopfschmerzen, wenn sie wieder aufwacht. Geschieht ihr recht! Und sollte euch einfallen, ebenso unvernünftig zu sein, wie die da, dann werde ich bei euch möglicherweise nicht ganz so zimperlich sein. Also überlegt euch gut, was ihr tut, ja?«
Besänftigend wedelte der Mann mit den flachen Händen und stieg über Medunzias massigen Körper hinweg, der vor seinen Füßen lag.
»Keine Sorge, Herr, gegen euch werde ich nicht meine Hand erheben. Genrath würde mich dafür vierteilen lassen!«
In diesem Moment beobachtete Basti aus den Augenwinkeln, wie sich die Tür zu Antaronas Schlafgemach ein winziges Stück weit öffnete. Er reagierte sofort, hob sein Schwert in Brusthöhe und hielt den Wachmann mit seinem Bowiemesser in Schach. Doch der machte keinerlei Anstalten, etwas gegen den Sohn des Königs zu unternehmen und hielt sich im Hintergrund.
»Ba - shtie? Seid ihr es?« klang es vorsichtig aus dem Türspalt. Sebastian kannte diese Stimme, und er war froh, sie zu hören.
Freudig riss er die Tür auf und im nächsten Augenblick hielt er Antaronas warmen Körper in seinen Armen. Er spürte ihre Lippen und das Gefühl überrollte ihn wie eine Droge, die er lange entbehren musste. Dann stellte er seine Frau auf den Boden, die sich mit Armen und Beinen an ihn geklammert hatte.
»Los, schnell, packt das Nötigste zusammen, wir verschwinden aus der Burg« kündigte er hastig an und nickte Antaronas stummer Dienerin zu, die hinter ihrer Herrin aufgetaucht war.
»Frethnal wir auch mitkommen, Vesgarina, es wäre also von Vorteil, wenn ihr euch ebenso unhinderlich kleidet, wie Sonnenherz!« Er blickte auf das weite Kleid des Mädchens und sagte erklärend:
»Das Zeug wird euch nur behindern, also seht zu, dass ihr es auszieht, und euch mit etwas Einfacherem kleidet!« Dann wandte er sich an den Wachmann, der unbeteiligt dastand.
»Es tut mir leid, aber euch werde ich wohl fesseln müssen. Wenn ihr mir allerdings euer Wort gebt, so rasch keinen Alarm zu schlagen, bin ich gewillt, darauf zu verzichten, euch zu knebeln. Wie steht ihr dazu?«
Inzwischen hatte Antarona ihre Erzfeindin Medunzia entdeckt und hielt wie durch Zauberei ihren Dolch in der Hand. Anstatt zu antworten, blickte der Wachsoldat fassungslos auf die beiden Frauen, die ungleicher nicht sein konnten. Sebastian folgte seinen Blicken und rief Antarona zu:
»Halt, was hast du vor?« Mit Verachtung in Blick und Stimme winkte das Krähenmädchen beruhigend ab.
»Keine Angst, Ba - shtie, Sonnenherz will ihr schon nicht ihn nutzlose Leben nehmen! Sie ist es gar nicht wert, dass ein Dolch mit ihrem Blut beschmutzt wird!« Damit riss sie einen Vorhang vom Fenster und schnitt ihn mit dem Dolch in Streifen. Eifrig umwickelte sie Medunzias Leib mit dem Stoff, so dass die Besinnungslose bald einer Mumie glich. Nur die Nase und die Augen ließ Antarona aus dem kunstvollen Gewickel herausschauen.
Sebastian sah indes Tirbur, den Mann der Wache an, der ihm noch eine Antwort schuldig war. Gehässig grinsend fragte er:
»Nun, habt ihr euch entschieden? Haltet ihr eine Weile Ruhe, oder soll Sonnenherz euch ebenso warm einkleiden, wie die da?«
»Nein Herr, das wird nicht nötig sein«, beteuerte der Mann, »ich werde Genrath versichern, dass ich hinterrücks niedergeschlagen wurde. Das dürfte euch genug Zeit geben, zu tun, was ihr zu tun habt.«
Sebastian nickte zufrieden. Immer wieder traf er auf Männer, die dem Areos von Falméra treu ergeben waren. Und viele von ihnen brannten darauf, in die Heerlager aufgenommen zu werden, um dabei zu sein, wenn es gegen Torbuk zum Kampf kam. Als hätte der Wachmann Gedanken lesen können, fragte er fast bettelnd:
»Herr, ich will gern mit euch kämpfen, wenn es gegen Quaronas und Torbuk geht. Vermögt ihr es wohl einzurichten, mich in eines eurer Heerlager aufzunehmen?« Basti hatte damit gerechnet und sagte beschwichtigend:
»Tirbur, ihr scheint mir ein treuer Recke. Ich brauche auch gute Leute, welche bei einem Angriff diese Burg verteidigen, von innen und von außen. Leute, auf die ich mich verlassen kann, Männer mit Mut zur Entscheidung! Wollt ihr euch das nicht noch einmal überlegen?«
»Herr, wenn ihr erlaubt, möchte ich Seite an Seite mit euch das Schlachtfeld teilen. Ihr werdet mit mir stets einen Getreuen finden, der euch den Rücken frei hält, das verspreche ich bei den Göttern!«
Sebastian lächelte, angesichts all dieser Loyalitätsbekundungen. Er spürte, wie dankbar ihm dieser Mann war, dass er ihn nicht auf der Stelle erschlagen hatte, was offenbar nicht ganz unüblich war.
»Nun, da ihr es so sehr wünscht, will ich sehen, was ich für euch tun kann«, und an Vesgarina gewand, bat er:
»Bringt mir Feder, Tinte und zwei Bogen Pergament!« Während das Dienstmädchen Antaronas flüchtig davonhuschte, wie ein Windhauch, ließ sich der Wachsoldat freiwillig fesseln, und neben Medunzia auf den Boden legen.
Vesgarina kam mit dem geforderten Schreibzeug zurück. Rasch kritzelte Sebastian etwas auf die beiden leeren Bögen, setzte das Zeichen des Areos darunter, das er in vielen Rollen in der Bibliothek gefunden hatte, faltete sie zusammen und steckte sie Tirbur unter das Hemd.
»Den einen gebt Genrath, den anderen gebt dem Führer des Heerlagers mit dem Zeichen des Pferdekopfes auf den Schilden. Ich denke, es öffnet euch Tür und Tor zum Heerlager der Himmelsburg! Und nun lasst euch einen Schlag auf euer Haupt versetzen, sonst glaubt euch niemand, dass ihr überwältigt wurdet«, empfahl er grinsend.
Mit dankbarem Lächeln erwartete Tirbur den sichtbaren Beweis einer Attacke. Basti kniff die Lippen zusammen, holte kurz aus und drosch dem armen Gefolgsmann seinen Messergriff an die Stirn. Der stöhnte verbissen auf und verdrehte die Augen, als er spürte, wie ihm das Blut über das Gesicht rann.
»Wischt euch nicht das Blut aus dem Gesicht«, warnte ihn Sebastian, »sonst glaubt euch womöglich niemand!« Dann verschloss er die Türen zu dem Zimmer, in dem die beiden Kammerwachen lagen und wartete im Korridor auf Antarona und Vesgarina.
Er sah hinunter auf den Burghof und in die Fenster Bentals Gemächer. Alles lag friedlich und still da. Zu still, wie Antarona in solchen Situationen zu bemerken pflegte. Dabei ging ihm durch den Kopf, dass er an eine Sache nicht gedacht hatte. Er hatte keine Ahnung, wann die Wachen abgelöst werden sollten!
Insgeheim betete er zu den Göttern, die beiden Frauen mochten sich etwas beeilen. Niemand konnte sagen, wann eine weitere Wache, oder Hekthur, oder sonst jemand auftauchte, die Gefesselten fand und Alarm schlug.
Doch Antarona schien sich der gebotenen Eile bewusst zu sein, denn sie erschien schon kurz darauf mit ihrer stummen Dienerin im dunklen Flur.
Vesgarina hatte sich, ähnlich ihrer Herrin, mit einem Hüftschurz und einem knappen Oberteil bekleidet, und Sebastian stellte fest, dass sie darin ebenso verführerisch aussah, wie Antarona.
Ob sie bei der Kleiderwahl Antaronas Anweisung gefolgt war, oder die knappe Bedeckung ihres Körpers aus Bewunderung für ihre Herrin gewählt hatte, war ihm dabei nicht ganz schlüssig. Auf jeden Fall bewegte sie sich nun geschmeidig, wie eine Katze und lief nicht Gefahr, in den verborgenen Gängen irgendwo hängen zu bleiben.
Wie flüchtige Mordgestalten schlüpften sie gehetzt durch die Luke in den Geheimgang. Antarona zündete zwei Fackeln an, und begann den Abstieg zu Sebastians Gemächern. Er folgte, und ließ Vesgarina als letzte auf die Tritte steigen, um sie notfalls auffangen zu können.
Doch das Mädchen kletterte wie ein nacktes Äffchen. Vorsichtig, aber mit der Gewandtheit einer Tänzerin fanden ihre nackten Füße die Eisensprossen im Schacht und ihr schlanker Körper bewegte sich, als hätte sie nie etwas anderes getan.
In Sebastians Räumen traten sie wieder aus dem geheimen Gang. Er brachte die beiden Frauen in sein Schlafgemach im Westflügel und begab sich selbst in den Nordteil, um nach Frethnal zu sehen. Doch von seinem Diener war nicht auch nur ein Haar zu erblicken.
Erst als Basti sämtliche Räume absuchte, traf er ihn in der Waffenkammer. Frethnal hatte wie immer alles zuverlässig erledigt. Auf dem Boden vor dem Tisch stapelten sich Seile und Stricke in verschiedenen Stärken.
»Mehr war in der kurzen Zentare nicht aufzutreiben, Herr«, entschuldigte sich der treue Freund. Dabei reichte er Sebastian ein kleines Lederbeutelchen mit den restlichen Quarts.
»Behaltet die Quarts, Frethnal«, entschied Basti, »vielleicht braucht ihr sie noch einmal. Die Seile sollten reichen, denke ich«, überlegte er und sah zu, wie Frethnal den Beutel mit dem Ringgeld an seinen Gürtel band.
»Ihr geht jetzt ins hintere Schlafgemach, dort warten Vesgarina und Antarona. Ihr holt sie ohne zu zögern und ohne Lärm zu machen, hierher! Aber lasst euch nicht von Hekthur, oder sonst irgend jemandem sehen, habt ihr verstanden?«
Mit dem an dieser Stelle üblichen Ja Herr verschwand Frethnal in der Tür. Sebastian schnürte sich inzwischen sein Bündel. Er suchte die wertvollsten Quarts aus seiner Kassette und warf sie zu dem erbeuteten, goldenen Ringgeld in sein Beutelchen.
Rasch steckte er sich einige Karten aus der Bibliothek ein, sowie seine Aufzeichnungen und die Verse der Mythologie der Ival. Irgendwie ahnte er, dass ihm diese Pergamente noch einmal weiterhelfen konnten. Er schlug alles mehrmals in Ölpapier ein und steckte das Wissen um die Ivalsche Geschichte in eine Ledertasche.
Während er sich noch die Waffen umhängte, kam Frethnal mit den Frauen zurück. Dabei viel Sebastian auf, dass sein Diener Vesgarina schier mit den Augen verschlang. So aufreizend und spärlich bekleidet hatte er seine Liebste noch nicht zu Gesicht bekommen. Er konnte seine Blicke nicht mehr von ihr abwenden und jegliche Konzentration war aus seinem Geist gewichen.
Basti musste lächeln. Er kannte das. Antarona hatte auf ihn die gleiche Wirkung, wenn sie in ihrer dürftigen Bedeckung vor ihm herumsprang. Aber nun galt es, die Sinne beisammen zu halten, denn sie mussten durch die unterirdischen, teilweise gefährlichen Gänge aus der Burg gelangen.
Möglicherweise drangen sie in längst vergessene, dunkle Schächte vor, die sich in endloser Tiefe verloren. Einen entsprechenden Vorgeschmack hatten Antarona und er bereits bekommen, als sie sich das erste Mal auf diese Weise aus der Burg gestohlen hatten.
Ordentlich und sauber legte er die Seile zu metergroßen Seilringen zusammen, so dass sie gut und ohne Behinderung über der Schulter zu tragen waren. Als geübtem Alpinisten ging Basti diese Arbeit sicher und schnell von der Hand. Kurze Zeit später waren sie zum Aufbruch bereit.
Jeder hängte sich über Kreuz zwei der Seile um, und zog sich ein par Stricke durch den Leibgürtel. Sebastian selbst und Antarona behängten sich jeweils noch mit eine Strickleiter. In der Voraussicht, auf die gleiche Weise wieder in die Burg zurück zu gelangen, würde das schwere Hanfmaterial weniger werden.
Sebastian hatte vor, das eine oder andere Seil als fixe Sicherung in den Gängen zu lassen, um sich so den Rückweg zu erleichtern.
Schwierig wurde es für die vier Freunde, mit der ganzen Ausrüstung schnell und ungesehen wieder in der Luke zum Geheimgang zu verschwinden. Vesgarina voran, zwängten sie sich einer nach dem anderen durch die Öffnung. Sebastian ging am Schluss und reichte die Bündel und Waffen hindurch.
Nachdem die Luke geschlossen war, wurde es auf dem dunklen Podest beängstigend eng, da direkt neben dem Standplatz der Schacht hinauf und in die Tiefe führte. Jeder musste sich festhalten, denn ein unbedachter Schritt mochte dem Unachtsamen zum Verhängnis werden.
Da sie nicht unbemerkt über den inneren Südturm in die Katakomben gelangen konnten, mussten sie sich den Weg über den geheimen Schacht suchen. Sebastian vermochte aber nur vage vermuten, wie tief sie absteigen, und in welcher Richtung sie den überall gleich aussehenden Gängen folgen sollten.
Er ging mit einer Fackel voran, von Frethnal gefolgt, dem er extra eingeschärft hatte, seine Fackel seitlich von den Steigsprossen wegzuhalten. Mit all der Ausrüstung war es nicht ausgeschlossen, dem Folgenden unbedacht das Hinterteil zu versengen.
Vesgarina stieg hinter Frethnal und Antarona sicherte den Schluss. Auf den Podesten der jeweiligen Geschossen machte Sebastian jeweils halt und erkundigte sich nach oben, ob alles in Ordnung war.
Im Geiste zählte er die Etagen mit. Sie passierten die beiden Geschosse, in denen Bental seine Gemächer hatte, dann das Erdgeschoss, endlich das Untergeschoss, wo er und Antarona vor einiger Zeit durch eine kleine Lüftungsluke in die Gewölbe abgestiegen waren.
Der Schacht jedoch führte weiter in die Tiefe, wie weit, das blieb Basti verborgen. Auf dem Podest, das er dem zweiten Untergeschoss zuschrieb, machte er Halt. Zu beiden Seiten führten Gänge in die Finsternis. Allerdings vermutete er, dass er mit Antarona noch tiefer in die Gewölbe abgestiegen war.
Bevor er die Gruppe aber in eine ausweglose, unbestimmte Ebene führte, wollte er wissen, wo sie sich befanden. Deshalb wartete er, bis auch Antarona auf festem Boden stand, bevor er vorschlug:
»Wir sollten zunächst überprüfen, wohin dieser Gang führt, bevor wir weiter hinunter steigen. So können wir uns besser orientieren, und müssen nicht sinnlos auf und ab klettern.«
Da niemand einen anderen Vorschlag machen konnte, erntete er nur stille Zustimmung. Er nickte zufrieden und wies auf die brennende Fackel in Frethnals Hand.
»So lange es durch ebene Gänge geht, sollten wir nur zwei Fackeln brennen lassen. Wer weiß, wie lange wir hier unten herumkriechen müssen, bis wir unseren Ausgang wiederfinden. Der erste und der letzte in der Gruppe lässt seine Fackel an, Vesgarina und Frethnal, ihr macht eure einstweilen aus!« ordnete er an. Sicherheitshalber fügte er noch hinzu:
»Und ihr bewegt euch nur zwischen den beiden Lichtern, habt ihr verstanden? Wir haben weder Zeit noch Kraft, hier unten nach einer verlorenen Seele zu suchen. Wir bleiben auf jeden Fall immer zusammen!«
Damit streckte Basti seine Fackel voraus und tastete sich im flackernden Feuerschein nach vorn. Zunächst führte der enge Gang gerade vom Schacht fort. Bald aber machte er einen leichten Knick nach rechts, kurz darauf in die Gegenrichtung.
Vor Sebastians Lichtkegel tauchte ein grob gemauerter Türbogen auf, der sie in einen geräumigeren Gang entließ. Über die neu gewonnene Bewegungsfreiheit konnten sie sich aber nur kurz freuen. Unverhofft standen sie vor einer massiven Mauer. Der Gang führte nicht weiter, er war schlichtweg zugemauert worden. Endstation!
Achselzuckend suchte Sebastian die Mauer ab. Schwere, Staub behangene Spinnweben erzählten ihm, dass seit Jahrzehnten, vielleicht seit Jahrhunderten niemand mehr an dieser Stelle gewesen war.
»Also zurück, versuchen wir die andere Richtung des Ganges«, entschied er kurzerhand. Diesmal ging Antarona voran, was Basti nicht ungelegen kam. Er wusste um ihre Gabe, ihren Weg notfalls zu denken. Insgeheim hoffte er, dass sie auf diese Weise von unliebsamen Überraschungen verschont blieben.
Als sie das Podest zum Schacht kreuzten, wartete Antarona, bis Sebastian mit seiner Fackel heran war, um Vesgarina und Frethnal zu sichern. Dann folgte sie dem Gang in die andere Richtung. Nicht lange, da standen sie wiederum vor einer Wand, diesmal eine massive Felswand, die in der unteren, linken Ecke nur eine Öffnung zu einem winzigen Kriechgang aufwies.
Vor dem engen Durchgang spielte die Flamme der Fackel plötzlich total verrückt. Das zeigte, dass ein steter Luftstrom durch den engen Stollen zog. Antarona legte Waffen, ihr Bündel und die Seile ab, um den schmalen Gang auszukundschaften.
Mit der Fackel voran kroch sie in das Loch. Sebastian war nicht wohl, als er ihre nackten Füße darin verschwinden sah, und ermahnte sie zu besonderer Vorsicht. Es dauerte nicht lange, da kam sie rückwärts zurückgeschlängelt, von oben bis unten mit Dreck und Staub bedeckt.
»Dort geht es nicht weiter, Ba - shtie, es wird immer enger. Mit unseren Sachen kommen wir da nicht durch!« erklärte sie hoffnungslos. Basti hatte es fast vermutet. Sie nahmen ihre Bündel auf und gingen zum Podest zurück. Sie mussten noch eine Ebene absteigen.
Die Strecke, die sie auf den Trittbügeln im Schacht zurücklegten, war kürzer. Offenbar lagen die Ebenen so weit unten im Berg dichter übereinander. Nach kurzer Zeit standen sie wiederum auf einem Podest. Nach unten eröffnete sich nach wie vor gähnende Leere.
Frethnal fand in einer Ecke alte Fackeln, deren Holzstiele sich in Staub aufgelöst hatten. Die noch schmaleren und niedrigeren Gänge nach links und rechts waren nicht mehr gemauert, sondern in den rohen Fels gehauen. Sie folgten erneut dem Gang, der ihnen suggerierte, unter den Ostflügel zu führen.
Ab und zu kamen sie an einer in den Fels eingefügten Mauer vorbei. Wahrscheinlich wurden nicht mehr gebrauchte Stollen und Gänge einfach zugemauert. Möglicherweise sollte aber auch ein Zugang aus anderen Gründen verhindert werden.
Der Stollen neigte sich leicht bergab, machte mal einen Knick nach rechts, mal nach links. Die Fackeln ließen regelmäßig mächtige Spinnennetzen in Flammen aufgehen, was den Gang jedes Mal für einen Augenblick in helles Licht tauchte. Antarona und Sebastian gewöhnten sich daran, ständig die Köpfe vor den mit Staub behangenen, plötzlich aufflammenden Hinterlassenschaften der Spinnentiere einzuziehen.
Als wieder einmal ein Netz über ihren Häuptern abfackelte, sah Sebastian ein schwarzes Loch vor sich, das er ohne den unverhofften Lichtschein vielleicht übersehen hätte. Er wich abrupt zurück und konnte nicht mehr verhindern, dass Frethnal in seinen Rücken prallte.
Vorsichtig traten er und Antarona an die schwarze Leere heran und leuchteten mit den Fackeln hinab. Doch zu sehen vermochten sie nichts. Es schien, als verschluckte ein unendliches Nachts jegliches Licht. Nur ein leiser Windzug fuhr aus dem bodenlosen Loch.
Sebastian band eine Fackel an seinen Bogen und führte sie langsam über die tückische Fallgrube. Auf der anderen Seite konnten sie eine alte, verfallene Holzkonstruktion ausmachen, die auf eine Brücke schließen ließ, die einmal sicher über den Abgrund geführt haben mochte. Aber allein die Erinnerung daran nützte ihnen nicht viel.
Also wieder zurück! Enttäuscht nahmen sie wieder ihre Formation ein und tasteten sich erneut durch den in zuckendes Licht getauchten Tunnel. Antarona, die nun voraus ging hielt ihre Fackel fast bis an die Decke erhoben, um besser sehen zu können.
»Da! Antarona, halt mal an!« rief Basti plötzlich. Irgendetwas war in der Decke, an der Stelle, die sie gerade passiert hatte, Sebastian hatte es ganz deutlich gesehen! Antarona freilich hatte nur auf den Boden gesehen, wohl auch, um solchen Überraschungen, wie verborgenen Löchern vorzubeugen.
Sie hielt inne und sah erstaunt zurück. Sebastian ging zu der Stelle und hob seine Fackel an. In die gewölbte Decke war ein hoffnungslos verrosteter Eisenrahmen eingelassen, der eine massive Holztür hielt. Das Holz war nicht gerade neu, jedoch auch noch nicht so verrottet, wie die Reste der Brück von vorhin.
Ein mächtiger Eisenring hing an einer Art Schlosskasten herab und war von den Netzen der Spinnen eingewoben worden. Basti hielt die Fackel höher und die Spinnenseide fiel aufflammend zu Boden. Der Ring allerdings bewegte sich nicht. Wahrscheinlich festgerostet!
Sebastian bedeutete den anderen mit einem Handzeichen Platz zu machen, nahm ein Seilende, schlang es durch den Ring und zog. Nichts! Er zog fester, schließlich riss er mit aller Gewalt an der massiven Öse. Die jedoch dachte gar nicht daran, sich zu rühren.
Resigniert zuckte er mit den Achseln. Antarona ließ es sich nicht nehmen, ebenfalls ihr Glück zu versuchen. Sie steckte ihren Dolch durch den Ring und hängte sich buchstäblich mit ganzem Körpereinsatz daran. Amüsiert sah Basti ihr zu.
»Meinst du mit deinem Federgewicht schaffst du, was mir nicht gelungen ist?« fragte er mit einem spöttischen Unterton. Ihre Augen blitzten ihn gefährlich an, als sie sich wieder auf die Füße fallen ließ. Unentschlossen blickten sie hinauf. Der dicke Ring glotzte sie höhnisch an und gedachte, sein Geheimnis für sich zu behalten.
»Na, will noch jemand sein Glück versuchen?« unkte Sebastian in die ratlose Runde und sah sich um, ob der Erbauer dieser Luke eine andere Öffnungsmethode vorgesehen hatte, durch einen Riegel in der Wand etwa, oder durch einen verborgenen Griff.
Da drängte sich Vesgarina an Frethnal und Antarona vorbei, schob ihrerseits die Klinge ihres Dolches durch die rostbraune Öse, und versuchte das Ding zu drehen. Schon wollte Basti ihr die Sinnlosigkeit ihres Tun vor Augen halten, als sich der Ring einen Millimeter weit bewegte und Staub und Rostspäne auf sie herabrieseln ließ.
Verwundert sahen sich alle an. Dass sie nicht gleich darauf gekommen waren! Wenn es mit Ziehen gegangen wäre, so hätte sich das schwere Holz kaum über die Jahre in dieser Position halten können.
Basti schob Antaronas Dienerin sanft zur Seite und zog sein Kurzschwert, dessen Klinge gerade eben so durch die Ringöffnung passte. Vorsichtig ruckelte er am Ring, mal in die eine Richtung, mal in die andere. Bei jeder Anstrengung gewährte das widerspenstige Ding mehr Bewegungsfreiheit.
Das Bemühen ging allerdings auf die Arme, so dass zwischendurch Frethnal die Versuche übernehmen musste, das Ringschloss zu lösen. Doch der hielt kaum zwei Minuten durch. Sebastian hängte sich wieder an sein Schwert drehte mit seinem ganzen Körpergewicht hin und her.
Aus der ganzen Lukentür rieselte Staub und Dreck, und das knirschende Schloss übergoss ihn mit braunem Rostpulver. Das Schloss knackte, knirschte und machte einen solchen Lärm, dass Sebastian glaubte, die ganze Burg müsste davon alarmiert werden.
Stück für Stück drehte sich der Ring, hatte beinahe einen Neunziggradwinkel erreicht, als die schwere Holzklappe unverhofft nachgab. Sie schwang herab, sein Schwert fiel klirrend zu Boden. Augenblicklich stand er in eine Staubwolke gehüllt, gerade, dass er noch geistesgegenwärtig zur Seite springen konnte.
Basti verlor das Gleichgewicht, rempelte Vesgarina an, die wie eine schweigende Säule der Länge nach hinschlug. Die Luke war auf und sie stellten fest, dass niemand bei der Aktion ernsthaft verletzt wurde. Lediglich Vesgarina hatte sich den Arm geprellt.
Erwartungsvoll blickten alle nach oben in ein dunkles, viereckiges Loch in der Decke. Was mochte sich dort verbergen? Ein Raum, eine Kammer?
Vorsichtig, auf neue Überraschungen gefasst, hielt Sebastian die Fackel in die Höhe. Doch im zuckenden Licht war nicht viel zu erkennen.
»Wenn ihr Sonnenherz hoch hebt, so wird sie sich umsehen«, bot Antarona an. Sebastian war von ihrem Forscherdrang wenig begeistert, denn ständig hatte er Angst, dass sie ihren Mut eines Tages mit dem Leben bezahlen würde. Eine Alternative gab es aber nicht.
Er selbst war zu schwer, als dass ihn Antarona, oder Frethnal hätten hinaufhieven können. Vesgarina konnten sie nicht durch das Loch bugsieren, denn sie hätte kaum kundtun können, was sich dort oben befand. Frethnal machte erst gar keine Anstalten, freiwillig nachzusehen.
Kurz entschlossen umklammerte Basti die Oberschenkel seiner Frau und hob sie hoch. Antarona krallte sich mit einer Hand an der Eiseneinfassung fest, mit dem anderen Arm streckte sie die Fackel vor.
»Es reicht nicht, Ba - shtie, ihr müsst Sonnenherz höher machen«, tönte ihre Stimme gedämpft von oben. Umständlich stützte er ihren Po mit seinem Kopf, fasste nach, bekam ihre Waden in den Griff und schob kräftig nach.
Antarona nutzte den Schub, stemmte sich auf die Kante und schwang sich hinauf. Einen Moment lang war es still. Aus der Deckenöffnung schimmerte zuckendes Licht. Dann vernahmen sie ihre erstaunte Stimme:
»Ba - shtie, das werdet ihr nicht glauben, kommt herauf und seht selbst! Sonnenherz hat so etwas nur einmal gesehen, in den Hallen von...«
Sebastian konnte gedanklich sehen, wie sie sich auf die Lippe biss. Beinahe hätte sie die Existenz der Hallen von Talris verraten, so überwältigt schien sie zu sein. Was mochte sie dort oben gefunden haben?
»Los, Frethnal, ihr geht als nächster«, bestimmte Basti, »und zusammen könnt ihr dann Vesgarina und mich hinaufziehen!«
Inzwischen mochte auch Frethnal nicht mehr zurückstehen. Die Neugier hatte nun auch ihn erfasst, vielleicht auch deshalb, weil Vesgarinas Blicke auf ihm lagen.
Sebastian hielt ihm die zusammengefalteten Handflächen hin, er stellte seinen Fuß hinein und Basti hob ihn mit Schwung fast durch die Luke. Oben reichte ihm Antarona die Hand und zog ihn vollends hinauf.
Kurz darauf hörte Sebastian einen Pfiff des Erstaunens, was für Frethnal ziemlich ungewöhnlich war. Es musste schon etwas Sensationelles sein, das ihn dazu bewegte!
»Na hoffentlich guckt ihr uns da oben nicht schon das Beste weg!« frotzelte Basti ungeduldig, bezweifelte aber, dass Antarona die Bemerkung verstand. Er winkte Vesgarina heran und schon langten zwei Hände durch die Deckenluke, um nach dem stummen Dienstmädchen zu greifen. Augenblicke später war sie ebenfalls in der Decke verschwunden.
Diesmal griffen drei Hände herab, und Basti gab ihnen zunächst die Ausrüstung, bevor er sich selbst hinaufziehen ließ. Oben angekommen, musste er sich die Augen reiben, denn er glaubte kaum, was er sah.
Sie standen in einem Raum, der beinahe so eingerichtet war, wie die Zimmer in den Wohnetagen, genauer, wie in den Bibliotheken. Regale füllten ringsum die Wände aus, und in der Mitte standen ein Tisch und einige Stühle.
In den Fächern der Regale aber lagen keine Pergamentrollen, Schriften und Bücher. Statt dessen bogen sie sich unter der Last von glänzenden Platten, die das Licht der Fackeln wild reflektierten. Sebastian nahm eine in die Hand und ließ sie vor Überraschung fast fallen. Sie war aus Gold!
Überall, wohin sie auch sahen, blendete ihnen pures Gold entgegen, meist in flache, zwanzig mal dreißig Zentimeter große Reliefplatten gegossen. Es fanden sich aber auch kleine fünf bis sechs Zentimeter große Platten, die das reliefartige Bildnis irgendeines Gottes trugen.
Offenbar waren sie unfreiwillig in die Schatzkammer der Burg gelangt. Sebastian sah sich weiter um. Es gab keine Fenster, und als Zugang nur eine kleine, massive, Eisen beschlagene Tür mit mächtigen Riegeln. Die Falltür, durch die sie eingedrungen waren, schien als ein verborgener Fluchtweg gedacht gewesen.
Wenn es noch mehr solcher Kammern in der Himmelsburg, vielleicht sogar auch auf Burg Quaronas gab, so wunderte Sebastian nicht mehr, wohin all das Gold aus den Hallen von Talris gelangt war.
Ehrfürchtig wanderten sie die Regale ab. Frethnal berührte die eine oder andere Platte aus den Tränen der Götter, wagte aber nicht, eine an sich zu nehmen. Antarona scheute sich sogar davor, das Gold zu berühren. Möglicherweise fürchtete sie als Folge davon den gleichen Zorn der Götter, wie in den Hallen von Talris, wo sie nur mit letzter Not den blauen Blitzen entkommen waren.
In der Mitte des Raumes standen schwere Kisten aus Holz, die mit verzierten Eisenbeschlägen versehen waren. Man hatte sich nicht die Mühe gemacht, sie zu verschließen. Offenbar hielt man die Kammer für genügend gesichert.
Sebastian hob einen der Deckel an und leuchtete mit der Fackel hinein. Schmuck, goldenes Besteck, Teller und Krüge aus Gold, sowie eine Unmenge Quarts aus dem edlen Metall strahlten ihm entgegen. Sie hatten zweifellos den Staatsschatz von Falméra entdeckt.
In einer weiteren, sehr viel kleineren Kiste mit rundem Deckel fand Sebastian einige Gegenstände, die er noch nie gesehen hatte. Wie Stempel aus Metall sahen sie aus, doch anstatt der Stempelfläche waren direkt in das Metall verschiedene Wappen eingefräst worden. Einige dieser Wappen hatte er hier und dort schon gesehen.
Jeder Stempel war auf eine eigene Art geschmückt. Einen zierte als Griff ein Kristall, ein anderer wies eine Kugel aus blauem Gestein auf, wieder ein anderer besaß an dieser Stelle ein Wappenschild.
»Dies sind die Siegel der Provinzen Volossodas, Ba - shtie. Sonnenherz sah das Siegel Val Mentiérs bei ihrem Vater. Wer die Siegel besitzt, dem wird das Volk folgen. So war es immer gewesen!«
Antarona war unbemerkt hinter ihn getreten. Basti sah sie nachdenklich an, lenkte seinen Blick dann wieder auf die Siegelstempel in der mit mittelalterlichen Wappenlilien bemalten Kiste.
»Wie kann es sein, dass du das Siegel bei deinem Vater gesehen hast, wenn es sich doch in dieser Kammer befindet?« rätselte er. Antarona sah ehrfürchtig in die Kiste und erklärte:
»Als die Überfälle Torbuks häufiger und brutaler wurden, sandte der Achterrat einen Boten mit den Siegeln aller Dörfer nach Falméra, um sie in die sichere Verwahrung des Königs zu geben. Der Rat befürchtete, dass sie in die Hände der schwarzen Reiter fallen könnten.« Sebastian sah seine Frau forschend an und fragte mit lauerndem Gedanken:
»Du erklärst mir also, dass dies die Siegel der Dörfer des Val Mentiér sind, welche jenem, welcher sie besitzt, die Regierungsvollmacht gibt?«
»Wenn er glaubhaft machen kann, dass er sie zu recht besitzt, Ba - shtie... Ja, dann ist das so!« antwortete sie. Gleichzeitig aber keimte in Antarona ein Verdacht auf, der sie erschreckte, mit dem sie jedoch nicht ganz falsch lag.
»Ba - shtie, ihr werdet doch nicht etwa...« Sebastian wusste, was sie entrüstete und kam ihrer Frage zuvor:
»Warum nicht? Wir sitzen hier tatenlos herum, warten auf eine Entscheidung Bentals, dem Tal die Autonomie zu geben, während im Val Mentiér weiter unsere Brüder und Schwestern verschleppt, geschändet und getötet werden. Und das, was uns diese Autonomie geben könnte, steht hier vor uns, fein säuberlich in eine Kiste gepackt, und wartet nur darauf, seinen Zweck zu erfüllen!«
»Aber wenn ihr sie nehmt, so besitzt ihr sie nicht zu Recht!« ermahnte ihn Antarona vorwurfsvoll. Doch sie machte auch keine Anstalten, ihn notfalls daran zu hindern, sich der Siegel zu bemächtigen. Das gab Sebastian den nötigen Mut. Vielleicht hoffte sie sogar heimlich, dass er ihr diese Entscheidung abnahm.
»Na und?« konterte er. »Wer merkt es denn? Nur Bental, wenn ihm jemand berichtet, dass die Dinger verschwunden sind! Der Achterrat wird glauben, dass uns der König die Siegel, und somit die Autonomie für das Val Mentiér gegeben hat!« Er machte eine kleine Pause, dachte nach und setzte dann hinzu:
»Und außerdem... Bin ich nicht Areos, der Sohn des Königs? Wer will denn schon in Frage stellen, dass ich berechtigt bin, die Siegel zu tragen? Wer wird an meinem Recht zweifeln, wenn ich die Siegel zum Zeichen der Autonomie und der Handlungsfreiheit an den Achterrat übergebe?«
Antarona zuckte unentschlossen mit den Achseln. Ihr Blick verriet eine Angst, eine Unterwürfigkeit, die Sebastian schon einmal bei ihr gesehen hatte, als sie in die Hallen von Talris eingedrungen waren. Um sie vollends zu beruhigen, sprach er:
»Wir tun doch nichts Böses, im Gegenteil! Das, mein Engelchen, das ist Demokratie, wenn wir diese Kiste mit den Siegeln und die symbolische Macht, welche sie verkörpern, dem Rat der Dörfer im Val Mentiér geben! Die wirkliche Macht freilich, müssen wir uns gegen Torbuk und Karek erkämpfen. Und sollten die Siegel in Gefahr geraten, so bringen wir sie einfach an den Ort, in den du mich vor einigen Zentaren eingeweiht hast.«
Mit dem Ort meinte Sebastian Antaronas Höhle am See. Im Beisein von Vesgarina und Frethnal wagte er nicht, offen darüber zu sprechen. Nicht, dass er den beiden nicht getraut hätte, doch warum sollte er unnötig ein Risiko eingehen? Antarona verstand ihn aber auch so.
Nachdenklich betrachtete das Krähenmädchen die geheimnisvoll verzierte Kiste. Sie schien schwer mit ihrem Gewissen zu hadern. Schließlich versuchte sie offenbar auch die letzten Zweifel ausschließen zu wollen.
»Was aber ist, wenn wir überfallen werden, Ba - shtie? Was, wenn einem Spion Torbuks die Kiste in die Hände fällt?« Sebastian wusste, dass es Antarona nicht an Mut fehlte. Doch Dinge, welche ihr als heilig erschienen, behandelte sie mit deutlich übertriebenem Respekt.
»Dann ist die Aufgabe an uns, genau dies zu verhindern!« gab er knapp zurück. Antarona nickte und es war für sie klar, dass sie diese Kiste notfalls mit ihrem Leben zu verteidigen hatte.
Sebastian aber hoffte, dass sie dies nicht allzu wörtlich nehmen würde. Er stopfte ein kleines Fell in die Kiste, damit die Siegel darin nicht durcheinander purzelten, und verschloss das Behältnis. Anschließend band er es so in sein Bündel ein, dass es geschützt und nicht zu erkennen war.
In einem unbeobachteten Augenblick konnte er nicht mehr widerstehen und tat noch einen beherzten Griff in eine Kiste mit goldenen Quarts, die er rasch in seinem Lederbeutel verschwinden ließ. Antarona hätte das nicht gut geheißen, doch er glaubte, dass ihnen das begehrte Ringgeld noch einmal wertvolle Dienste erweisen würde.
Als sie sich alles angesehen und bestaunt hatten, suchten sie nach einem Ausgang aus der Schatzkammer. Doch außer der fest verriegelten Tür, und der Klappe, durch die sie eingestiegen waren, fand sich keine andere Möglichkeit, das geheime Verlies wieder zu verlassen.
So stiegen sie wieder in den verborgenen Gang hinab. Damit ihre Anwesenheit nicht so rasch auffiel, häufte Sebastian, der als letzter ging, Staub und Dreck neben der Luke auf. Durch einen Spalt verteilter er das Zeug mit der Hand so gut es ging auf der Holzklappe, um so ihre Spuren zu verwischen.
Nun mussten sie bis zum Podest des Schachtes zurückgehen, um die andere Richtung zu erforschen. Doch auch hier standen sie bald in einer Sackgasse. Massiver Fels versperrte ihnen den Weg. Offensichtlich war der Stollen nicht weiter vorgetrieben worden.
Zurück am Schacht einigten sie sich darauf, noch eine weitere Ebene abzusteigen. Sebastian stellte sich die Burg von außen vor und dachte darüber nach, wie weit sie im Berg schon nach unten vorgedrungen waren. Ebenso versuchte er sich vorzustellen, wo genau die Kammer mit den Schätzen lag.
Seine eigene Erhebungskarte im Kopf, meinte er, den Raum knapp westlich des Südturms anordnen zu können, unweit der Stelle, die er schon einmal mit Antarona passiert hatte. Doch anscheinend gab es auf dieser Ebene keinen Durchgang zu dieser Seite. Andererseits mussten sie allmählich so weit abgestiegen sein, um einen Durchgang zur Öffnung über dem Flutgraben zu finden.
Auf der nächsten Ebene, die wesentlich tiefer von den vorherigen lag, mussten sie sich allesamt ducken, um nicht mit den Köpfen an die roh behauene Decke zu stoßen. Sie schlugen wieder die Richtung ein, in der Sebastian meinte, den Ausgang zu finden. Ein steter Luftzug bestätigte ihnen, dass zumindest die Richtung stimmte.
Je weiter sie im Stollen vordrangen, desto breiter und höher wurde er. Trotzdem war Vorsicht geboten, denn der Gang führte stets leicht bergab und war übersät mit Schutt, kleinen Felsen und alten, umgestürzten Holzstützen, die sich bereits im Verrottungsprozess befanden.
Spinnennetze verrieten ihnen, dass seit vielen Zentaren niemand mehr diese Gänge betreten hatte. Sebastian tastete sich in die Finsternis vor, hielt dabei die Fackel am gestreckten Arm voraus, was aber nicht viel brachte. Die stille Dunkelheit verschluckte das Licht schon nach zwei bis drei Metern.
Trotz aller Vorsicht bemerkte er es zunächst nicht, dass er den kleinen Trupp in eine riesige, unterirdische Halle geführt hatte. Unbemerkt hatte sich der Stollen immer mehr geweitet, und war dann in die riesige Kammer gemündet, welche die Fackeln nicht mehr auszuleuchten vermochten.
Nachdem Basti die Veränderung bemerkt hatte, war der Gang, durch den sie gekommen waren nicht mehr zu sehen. Ohne sich selbst zu orientieren, waren ihm alle gefolgt, die Augen nur auf seine Fackel gerichtet. Solange sie brannte, hegte niemand Argwohn. Allein Antarona war in der Lage, sie mit Hilfe ihrer Sinne nun noch zurückzuführen.
Vorbei an mächtigen Tropfsteinsäulen, die aus dem Boden wuchsen, oder von der nur zu erahnenden Decke hingen, wanderten sie durch den Raum. Jedes Geräusch wurde vielfach zurückgeworfen und klang unnatürlich, wie aus einer anderen Welt. Dabei hatte Basti das Gefühl, dass sich jeder Klang noch verstärkte.
Ein par Meter weiter endete die bizarre Halle abrupt. Die Wände verjüngten sich wieder und sie standen vor einem schwarzen Abgrund. Sie zündeten zwei weitere Fackeln an und leuchteten um sich. Plötzlich fiel es Sebastian wie Schuppen von den Augen und er wusste, wo sie sich befanden.
»Antarona, versuche dich zu erinnern, schau zurück in die Höhle! Na, erkennst du das?« fragte er sie erwartungsvoll. Sie hielt die Fackel nach links, dann nach rechts, bis sie zustimmend nickte.
»Sonnenherz vermutet, dass sie mit Glanzauge dort drüben, jenseits des Abgrunds gestanden hat, und ebenso in diese Kammer blickte!«
»Ja, das vermute ich auch«, stellte Basti fest. »Es sieht jedenfalls so aus!« Noch während er sprach, nahm er ein Seil von der Schulter und band eine Fackel an das eine Ende. Das andere band er sich um den Bauch.
Die fragenden Blicke der anderen ignorierend, zündete er die Fackel an, wartete einen Moment, bis sie richtig brannte, und warf sie mit aller Kraft über den Abgrund in die Dunkelheit. Sie flog weit. Doch als sie irgendwo drüben in der Dunkelheit aufschlug, erlosch sie.
Fluchend zog er sie am Seil zurück. Hallendes Klappern verriet, dass sie in den Abgrund fiel und gegen die unebenen Wände schlug, bis er sie über die Kante heraufzog. Erneut steckte er sie in Brand und versuchte nun höher und weiter zu werfen.
Fast ging das Feuer schon während des Fluges aus, aber es flammte wieder auf und als die Fackel drüben mit dem Stiel zuerst aufschlug, flammte sie wieder auf. Undeutlich war zu sehen, dass sich jenseits ihres Standplatzes eine ähnlich große Halle befand.
Sebastian erkannte einen mächtige, abgebrochene Tropfsteinsäule wieder, die das Wasser in der Mitte ausgehöhlt hatte, und die nun wie ein großes, natürliches Waschbecken im Raum stand. Ja, dort drüben hatte er mit Antarona gestanden, und sie waren nicht mehr weiter gekommen und mussten umdrehen.
Doch dort drüben, auf der anderen Seite, befand sich der Ausgang, den sie vor ein par Wochen gefunden hatten! Es war der einzig ihnen bekannte Weg nach draußen! Antarona trat zu Sebastian und sagte beschwörerisch:
»Wir müssen dort hinüber, Ba - shtie! Zurück in die Burg können wir nicht mehr. Sie werden Medunzia und den Krieger bereits gefunden haben!« Basti nickte zustimmend.
»Lass uns alles absuchen, vielleicht gibt es etwas, das wir damals übersehen haben, möglicherweise gibt es doch einen Weg hinüber!«
Er sah sich mit der Fackel um, bis er eine Stelle gefunden hatte, wo sich Wasser in einer Pfütze sammelte. Mit hohlen Händen schöpfte er etwas davon in den Staub des Bodens und verrührte das ganze zu einer grauen Paste, während ihn die anderen ansahen, als hätte er den Verstand verloren.
Nun band er eine neue Fackel an das Seilende und modellierte eine dicke Schicht des Schlamms um den Stil samt Seilende, sowie um die untere Fackel. Vorsichtig trug er das Gebilde zum Abgrund, zündete die Fackel an und ließ sie über Kopf langsam in die schwarze Tiefe pendeln.
Vier Augenpaare verfolgten das zuckende Licht, das sich allmählich tiefer bewegte, mal hierhin leuchtete, mal dorthin. Überall jedoch schien der Fels glatt und ohne jede Unterbrechung ins Bodenlose zu führen. Es gab keine Tritte, keinen Pfad, ja nicht einmal Absätze.
Sie starrten hinab, bis ihnen die Augen tränten, und sie kaum noch etwas erkennen konnten. Enttäuscht holte Basti die Fackel wieder ein. Die Idee mit dem Schlamm erwies sich aber als genial. Nur die Spitze der Fackel war angebrannt, obwohl der ganze Stock nebst Seil den Flammen ausgesetzt gewesen war.
Das ermutigte Sebastian zu einem neuen Versuch. Er suchte sich dafür die linke Begrenzung der Halle aus, wo der Abgrund praktisch in der Raumecke begann. Sie mussten in die Knie gehen, um über den Rand in die schauerliche Tiefe sehen zu können.
Ganz langsam ließ Basti das Seil durch seine Finger gleiten. Zentimeter für Zentimeter wanderte das Licht nach unten.
»Da! Ba - shtie, schwenkt das Licht weiter hinüber, und etwas höher!« rief Antarona plötzlich und wies mit der Hand in die Dunkelheit links von ihnen.
»Sebastian gehorchte, holte das Seil ein Stück weit wieder ein und begann die Fackel leicht hin und her zu schwenken, was aber nur den zweifelhaften Erfolg hatte, dass das Licht um so wilder zuckte, und sie noch weniger zu erkennen vermochten.
»So wird das erst mal gar nichts!« schimpfte er vor sich hin und holte die Fackel wieder nach oben. Eine der Stangen, die Frethnal besorgt hatte, musste her! Kurzerhand schlug er mit dem Bowiemesser am Ende der Stange eine Kerbe ins Holz, wo er eine Schnur mit einer Schlaufe befestigte. Durch die zog der das Seil mit der Fackel und bekam so eine erweiterte Reichweite.
Wieder wurde das Licht in die Tiefe gelassen. Diesmal jedoch dirigierte Sebastian die Fackel zwei Meter weiter nach links. Und tatsächlich wurde nun ein schmaler, dreißig bis vierzig Zentimeter breiter Absatz sichtbar, der sich als in den Fels gehauener Pfad in die Felsen hineinwand und sich schließlich im Dunkel verlor.
Entsetzt und mit aufgerissenen Augen schüttelte Vesgarina ihren blonden Schopf. Sie gab damit eindeutig zu verstehen, dass sie unter gar keinen Umständen da hinunter steigen wollte! Auch Frethnals Blick verriet panische Angst.
Antarona zumindest sah Sebastian fragend an. Der kramte die Fenster- und Türhaken heraus, die Frethnal neben allem anderen irgendwo aufgetrieben hatte und hielt sie dem Krähenmädchen hin.
»Damit wird es gehen«, versprach er mit zuversichtlicher Stimme. Tatsächlich aber war er keineswegs so überzeugt davon, wie er vorgab. Freilich konnte man die Fenster- und Türhaken auch als Kletterhaken für eine Sicherung verwenden. Schließlich hatten die Anfänge des Alpinismus auch nicht viel Besseres hervorgebracht.
Natürlich hätte er vor gar nicht allzu langer Zeit mit solchem Material jede Klettertour kompromisslos abgebrochen. Aber in dieser Welt war eben alles anders, als er es bisher gekannt hatte. Und wenn er jeden der einfachen Haken gewissenhaft in einen stabilen Spalt, oder Riss schlug, und solange er nicht auf das Äußerste belastet wurde, mochte es gehen.
Dabei erinnerte er sich grinsend an seinen Bergkameraden, der nur zu oft Felshaken und Eisschrauben an unsicheren Stellen anbrachte, und darauf vertraute, dass sie ein eingebildetes Sicherheitsgefühl schon unbeschadet an der Schlüsselstelle vorbeiführte. Erstaunlicherweise hatte es jedes Mal funktioniert!
Wenn möglich wollte Sebastian diesen Trick auch hier anwenden, soweit das Risiko überschaubar blieb.
»Ihr werdet mir leuchten und ich werde erst einmal selbst den Weg erkunden!« legte er fest. »Vielleicht endet der Absatz ja schon nach ein par Längen, dann müssen wir uns sowieso etwas anderes einfallen lassen!«
Damit gab er Antarona die verlängerte Fackel mit dem Seil in die Hand, wartete, bis die Felswand halbwegs erleuchtet war, und schwang sich schließlich mit einem Seil, den Haken und einem unhandlichen Stein bewaffnet um die Ecke in die Felsen, die wer weiß wo enden mochten.
Er versuchte sich einzubilden, in einer nächtlichen Felswand irgendwo im Berner Oberland, oder im Wallis zu stehen, doch es blieb ein bedrückendes, unheilvolles Gefühl. Auf seinen Klettertouren begleiteten ihn stets der Mond, oder zumindest die Gestirne.
An diesem Ort jedoch herrschte völlige Finsternis und Abgeschiedenheit. Auch das Wissen, sich tief unter der Erde zu befinden, ließ sich selbst mit den besten Gedanken nicht abschütteln. Sebastian schüttelte energisch den Kopf und konzentrierte sich auf das, was er sah.
Das schmale Band wurde etwas breiter, je weiter er in die Felsen stieg. Dennoch brachte er alle fünfzehn Meter eine Sicherung an, und fixierte das Seil an den Haken, schon allein aus Rücksicht auf Vesgarina und Frethnal.
So kam er bis auf die Seite des riesigen Schlotes. Zwischendurch musste er die Fackel von Antarona übernehmen und sie ständig so halten, dass er sich weder die Haare, seine Kleidung, noch seinen Hintern versengte. Wenn er diese Route gesichert hatte, so meinte er, könnte er ohne weiteres als Jongleur im Zirkus auftreten.
Die schätzungsweise halbe Seite hatte er bereits gesichert. Von der Halle aus beobachteten ihn Frethnal, Vesgarina und Antarona. Letztere klammerte ihre Hand so fest um den Griff ihrer Fackel, dass die Knöchel weiß hervortraten.
Gebannt starrte sie auf den kleinen, erleuchteten Fleck im schwarzen Nichts, in dem sich eine silhouettenhafte Figur wie eine behinderte Spinne quälend langsam fortbewegte. Antaronas Herz schlug ihr bis zum Hals. Sie vertraute Ba - shtie. Doch vor ihrem geistigen Auge sah sie ihn nicht nur einmal mitsamt dem Licht in der Tiefe verschwinden.
Je mehr sich ihre Augen auf Sebastian fokussierten, desto weniger hatte sie das Gefühl, dass er vorwärts kam. Erst als sie ihren Blick zurück in die Halle und erneut auf Basti schweifen ließ, stellte sie fest, dass er über zwei Drittel des Wegs bis zum gegenüberliegenden Raum hinter sich gebracht hatte.
Um ihm bei der Orientierung zu helfen, umwickelte sie einen Pfeil hinter der Spitze mit Stoff und tränkte diesen mit dem Pech der Fackel. Dazu brachte sie noch eine runde Holzscheibe hinter dem Wickel an. Dieser sollte verhindern, dass die Flamme während des Fluges erlosch, eine von Antarona selbst entwickelte, gut funktionierende Technik.
Von der Sehne geschnellt, flog die kleine Flamme in hohem Bogen über den Abgrund und landete drüben vor einem hellen Felsen, wo sie ein bescheidenes Leuchten verbreitete. Anhand dieses neuen Lichtpunktes war Sebastians Position auch besser zu bestimmen.
Zufrieden stellte Antarona fest, dass er nur noch wenige Längen zu bewältigen hatte. Sie meinte, er müsste das Licht bereits sehen können und rief ihm aufmunternd zu.
Für Sebastian aber stellte sich die Situation weniger entspannt dar. Er vermochte nicht abzuschätzen, wie weit er inzwischen gekommen war. Das Band auf dem er sich bewegte, bot für einen Alpinisten reichlich und komfortablen Halt. Doch es galt, dieses für zwei völlig ungeübte und verängstigte Personen zu sichern!
Außerdem zehrte die erdrückende Dunkelheit an den Nerven. Es war, als bewegte er sich, umgeben von einer dünnen Lichtblase, im Nichts. So musste es sein, wenn man in einem Mini-Uboot in den Marianengraben hinabtaucht, fuhr es ihm zeitweilig durch den Kopf.
Ab und zu blickte Sebastian sich um. Die Lichter seiner Gefährten wurden kleiner, verrieten ihm aber kaum etwas, über seine veränderte Position. Es gab keine weiteren Bezugspunkte in der leblosen Finsternis, die ihm hätten Mut machen können.
Antarona rief etwas zu ihm herüber, doch es kam nicht an. Ihre Stimme wurde vom riesigen Schacht und von den Hallen hundertfach hin und her geworfen, sie zerschellte an den bizarren Wänden und gelangte nur noch als schallendes Bruchwerk an seine Ohren. Diese Stimmenfetzen drangen ihm mehr auf das Gemüt, als sie ihn beruhigten.
Einmal gingen die Lichtpunkte von den Fackeln seiner Freunde etwas auseinander. Wahrscheinlich untersuchten sie die Umgebung der Halle. Aber es half Basti bei der Orientierung und er stellte überrascht fest, dass er die Lichter beinahe in seinem Rücken sah. Demnach musste er sich bereits kurz vor der anderen Halle befinden!
Das gab ihm innerlichen Auftrieb. Mit neuer Kraft drosch er einen Türhaken in einen Felsspalt. Mit zuviel Kraft! Der Stein, welcher ihm als Hammer diente, zersprang knirschend, erwischte den Haken nur an der Seite und ließ ihn aus der Fuge springen.
In der Hand die restlichen Bröckchen und Krümel lauschte Sebastian hinter dem Haken her, der in der unsichtbaren Tiefe noch ein par Mal irgendwo anschlug, und dann leise verklang.
Das war nicht gut, stellte er nüchtern fest. Es war der letzte große Haken gewesen. Ihm blieben nur noch die vier kleineren Fensterhaken. Die mussten nun bis zum Ziel reichen! Doch womit sollte er die nun in den Fels treiben? Mit der bloßen Hand?
Basti hielt kurz inne und überlegte. Wegen eines erbärmlichen Steins den ganzen Weg noch einmal zurückgehen? Wie weit mochte es noch sein, bis zur Kante der anderen Halle? Er verklemmte seine flache Hand in dem Felsspalt, lehnte sich etwas in den Abgrund hinaus und versuchte mit der ausgestreckten Fackel weiter zu sehen.
Gerade mal zwei bis drei Meter weit reichte der Feuerschein, dann verschlang die Dunkelheit jede zu erkennende Struktur. Ermattet ließ er seinen Arm zurückpendeln. Aber was war das? Blieb da nicht ein winziger Schimmer zurück? Das war nicht möglich!
Angestrengt starrte Basti in die Finsternis. Doch! Irgendwo voraus flackerte ein schwacher Lichtschein! Da muss die Halle sein! Ein Blick nach hinten bestätigte ihm, dass er sich kurz davor befinden musste. Die Fackeln seiner Freunde züngelten genau von gegenüber!
Also los! Den Rest schaffst du auch so noch, ermutigte er sich selbst, leuchtete, und tastete sich Schritt um Schritt ungesichert vorwärts. Plötzlich war das Band, auf dem er sich bewegte, verschwunden, hörte einfach auf, wie ein fehlendes Stück Sims. Gerade noch rechtzeitig hatte er die gähnende, schwarze Leere erkannt, die den grauen, steinigen Boden im Fackelschein unterbrochen hatte.
»Das gibt es doch wohl nicht!« fluchte Basti laut vor sich hin. »Fast da, und nun noch so etwas! Kannst nicht ertragen, dass ich dich bezwungen habe, du dreckiges Loch, was?« brüllte er in den Schacht hinaus, um seinem Zorn Luft zu machen. »Willst mich im letzten Moment noch umbringen, in deinen lausigen Abgrund stoßen, ja? So nicht! Dir werd' ich einen Strich durch die Rechnung machen!«
So schnell warf ein Sebastian Lauknitz seine Flinte nicht ins Korn! Nur die par Meter noch! Die werden doch wohl noch zu schaffen sein! Sebastian band die Fackel an das Seilende und schwenkte sie hin und her, versuchte intervallmäßig vorauszuleuchten.
Da! Ein gutes Stück weiter, vielleicht drei, vier Meter... Da ging das Band weiter, da war wieder guter Stand! Nur bis da rüber! Aber wie? Springen? Im Dunkeln? Und wenn der Fuß dabei seitlich abrutscht? Nein. Zu riskant! Basti dachte nach...
Antarona sah in dem Augenblick hinüber, als Sebastian die Fackel schwang. Sofort ahnte sie, dass etwas nicht stimmen konnte. Brauchte er Hilfe? War er verletzt, und konnte nicht vor und nicht zurück? Warum sonst sollte er mit der Fackel Zeichen geben?
Unschlüssig stand sie da und stierte auf das kleine, dünne Licht auf der anderen Seite. Wie weit mochte er noch vom Zustieg in die Halle entfernt sein? Eine Länge, zwei? Von der schwingenden Fackel bis zu ihrem brennenden Pfeil war es nur noch eine winzige Entfernung! Gab es etwa keinen Zugang?
Völlig zerfetzte, verstümmelte Klänge Bastis Stimme drangen an ihr Ohr. Rief er um Hilfe? Die Laute waren so hoffnungslos zerrissen, dass sie nichts verstehen konnte. Zu antworten konnte sie sich sparen. Ihre Rufe würden drüben ebenso unverständlich und bruchstückhaft ankommen.
»Frethnal, Vesgarina, los helft Sonnenherz mal, sie wird Ba - shtie nachgehen, er wird Hilfe brauchen!« befahl sie den beiden Freunden. Sie wollte gerade ihre Waffen ablegen, als Vesgarina stumm mit dem Arm auf die andere Seite der Kluft deutete.
Sebastians Licht hatte sich wieder beruhigt. Es tanzte auf der Stelle hin und her, auf und nieder. Sein Schatten auf der Felswand bewegte sich ruhig, anders, als es in Todesangst der Fall gewesen wäre. Antarona entspannte ihren Körper und beobachtete mit großen Augen, und mit in die Dunkelheit bohrenden Blicken.
Ja, kein Zweifel. Das kleine Licht bewegte sich wieder weiter, rückte quälend langsam dem brennenden Pfeil näher! Sie schloss kurz die Augen und schickte ein rasches, inniges Danke zu ihren Göttern. Geistesgegenwärtig legte sie sich die flache Hand auf den Bauch, der nach außen hin noch nichts von ihrer Schwangerschaft verriet.
Was, wenn ihre Tochter ihren Vater nie sehen würde, weil sie, Sonnenherz, es zugelassen hatte, dass er sich in solche Gefahr gebracht hatte? Was würde sie von ihr als Mutter halten, wenn sie eines Sonnenlaufs erfuhr, dass sie Ba - shtie im Stich gelassen hatte? Was sollte sie ihrem Kind sagen?
Kurz entschlossen warf Antarona ihre Waffen auf den Boden, nahm ein Seil, zwei Fackeln und wollte schon zum Einstieg gehen, als Frethnal sie zurückhielt.
»Tut nichts unüberlegtes, Herrin«, flehte er sie an und hatte sicher auch im Sinn, dass er und Vesgarina ohne ihre Herrschaften verloren waren.
»Wartet noch einen Moment, Areos würde nicht wollen, dass ihr euch zusätzlich in Gefahr bringt!« versuchte er Antarona von ihrem Vorhaben abzubringen.
Vesgarina sah dem Bemühen ihres Geliebten nur mit vor Entsetzen geweiteten Augen zu. Die Angst, allein gelassen zu werden, stand ihr deutlich ins Gesicht geschrieben. Hätte sie sprechen können, so hätte sie Antarona sicher ebenso umzustimmen versucht, wie Frethnal.
Sebastian bekam von alledem nichts mit. Er konzentrierte sich auf seine Aufgabe, einen sicheren Weg in die andere Halle zu finden. Ein par Meter noch, nur über dieses Hindernis, und er war sicher, es dann geschafft zu haben. Er musste hinüber! Gelang es ihm, dann war die Sicherung des Weges nur noch eine Frage seiner Phantasie.
Er ließ den Rest des Seils einfach in den Abgrund hängen, und hoffte, dass es sich nicht an irgendeiner Felsnase, oder einem Vorsprung verfing. Das Ende band er sich gewissenhaft um die Hüfte. Dann begann er frei über die ausgebrochene Stelle zu klettern. Nur vier Meter. Aber doch so unerreichbar, wenn er nicht sein ganze Können aufbot!
Aus Erfahrung wusste er, dass dieses Seil um seine Taille reine Dekoration war. Entließ ihn ein Fehltritt in die Leere, so würde der letzte Haken wahrscheinlich durch den plötzlich auftretenden, starken Zug einfach aus der Wand fliegen, und danach der nächste und so fort.
Doch selbst, wenn das Eisending hielt, mochte es keinen großen Unterschied bedeuten. Die abrupte Auffangkraft am Punkt seiner Hüfte würde ihm die Wirbelsäule knapp über dem Becken brechen. Die Schwungkraft des Sturzes musste ihn zudem unweigerlich an der Felswand zerschmettern. Besser, es ging alles gut!
Er versuchte nicht daran zu denken, dass er sein Töchterchen nie sehen würde und sie ohne seine behütenden Blick aufwachsen müsste. Also konzentrieren! Los! Tasten, fühlen, Griffe und Tritte spüren, testen, und vorsichtig benutzen! Zentimeter für Zentimeter vorwärts schieben, anklammern, anschmiegen an den kalten, feuchten, gnadenlosen Stein!
Die Augen richtete Sebastian nur auf seine Gliedmaßen. Pendelte die Fackel an sein Bein, oder unter seinen Arm, so biss er die Zähne zusammen, ließ es geschehen und ertrug den Schmerz. Er sah nicht zum Fortsatz des Bandes hinüber, das lenkte nur ab. Er konzentrierte sich nur von einem Griff zum nächsten Tritt, und wieder zum nächsten Griff.
Er hatte das Gefühl, sein Leben Zentimeter für Zentimeter zurückerobern zu müssen. Und er tat es bewusst, denn er wollte leben! Selbst, als sein rechter Fuß endlich das Band ertastete, gestattete er sich noch keine verfrühte Freude. In solchen Augenblicken machten man Fehler!
Er schob seinen Fuß über die Bruchkante des Bandes, noch ein Stück, und noch ein Stück. Links noch im Fels verkrallt, rechts mit dem Fuß den Beginn des Bandes belastend. Hielt es? Noch ein Stück weiter, mit dem ganzen Fuß drauf! Das Gefühl sagt, es ist fest. Etwas mehr belasten! Links noch halten!
Sebastian schwitzte; er ignorierte es. Die Fackel berührte in der gespreizten Stellung sein Bein, sengte es an; er verdrängte es. Rechte Hand, der Griff war zu schmal, die Finger hielten ihn nicht daran, wenn es schief ging! Nur die Hand loslassen, Fackel mehr zum Handgelenk rutschen lassen, wieder hinfassen, noch eine Winzigkeit weiter, noch eine Idee...
Da! Ein Riss, ein Spalt? Er sah es nicht, spürte es nur, die Wange hart an den rauen Stein gepresst. Das linke Bein begann zu krampfen. Herrgottsakrament, nicht jetzt, verflucht! Zähne zusammen, fühlen, was mit dem Riss ist! Die Fingerspitzen erzählen, dass er gut ist, stabil!
Aber das Bein krampfte, er kam nicht weiter hin! Verfluchte Knochen, nur ein Stückchen noch! Nur noch dreiviertel die Hand hineinstecken! Nur noch diese beschissenen acht Zentimeter! Aber die Konzentration bleibt bei der linken Hand und dem Standbein. Unbedingt!
Kurz schloss Sebastian die Augen, verbannte die Wortfetzen von gegenüber aus seinen Sinnen, und sah im Geiste die Struktur des Felsens, all das, was er in den letzten Minuten erspürt und erfühlt hatte. Es wurde bildlich. Gedanken fokussierten sich auf wenige Zentimeter.
Linke Hand nur noch mit den Fingerkuppen halten, muss reichen! Das Standbein zieht sich zusammen, muss halten nur noch eine Sekunde! Das Gesicht drückt sich hart gegen den Stein, der Mund steht offen, wagt nicht mehr zu atmen. Jetzt!
Eine hundertstel Sekunde brauchte er, um seine Konzentration vom Standbein auf die rechte Hand, auf den rechten Fuß zu verlagern. Es geschah einfach, fließend, übergangslos. Die Hand in den Riss, anspannen, sie hielt! Die linken Finger mussten nun viel ertragen. Sie konnten es!
Sebastian ließ das linke Bein baumeln, ließ es frei hängen. Aber es war angespannt, verkrampft. Die schlimmsten Flüche seines Lebens entfuhren seiner Kehle, hallten als Klangschott davon. Er schrie sich an, sein Bein loszulassen! Die Schmerzen und das Singen in den Knochen wurden weniger.
Die rechte Hand hielt, verklemmt im Riss. Die linke hielt wie eine Kralle, im Fels vergraben. Das rechte Bein stand. Aber sicher? Wer weiß? Risiko! Nein, Antaronas und sein Töchterchen! Er verdrängte den abklingenden Krampf im linken Bein suchte Halt.
Zentimeterweise tasten, nach System, hoch und runter, ein Stück weiter, wieder hoch, wieder runter, weiter... Ein Absatz. Den mussten die Götter in die Felswand geklebt haben! Nicht groß, vielleicht drei Zentimeter, aber reicht!
Flach atmend stützte sich Sebastian darauf, bog zunächst die Ferse durch, um den Krampf endgültig zu entlasten. Die Zehen mussten übernehmen! Nun rechter Fuß weiter raus. Das Felsband hielt. Als nächstes mit der linken Hand nachgreifen. Die Finger sind steif, überdehnt und blutleer vom langen halten.
Erst musste er die Finger bewegen, wie ein Krake es tut. Aha, ein Kribbeln bis in die Kuppen. Das Blut kehrt zurück! Die Hand spürte wieder. Die Hand tastete weiter. Ein kleines Loch, gerade mal für drei Finger. Wahrscheinlich Erosion! Reicht aber!
Erleichtert steckte Basti die Finger hinein. Noch ein Schritt. Er stand sicher auf dem Band und über ihm war wie durch Zauberei ein Licht aufgetaucht! Erst einmal die Glieder entspannen, kam als letzte Anweisung seines Gehirns. Pause. Ausatmen.
Bevor er das Seil vom Körper löste, setzte er zwei der verbliebenen Haken, einen in den Spalt, der seiner Hand rettenden Halt geboten hatte, den anderen in den Riss. Nachdem das Seil hineingebunden war, kletterte er mit einem neuen Stein, den er auf dem Sims gefunden hatte, zurück, und setzte noch einen Haken am Beginn der ausgesetzten Stelle.
Dann erst folgte er dem Licht über das nun stetig ansteigende, und breiter werdende Band bis hinauf zur Kante der Halle. Antaronas Pfeil war fast verbrannt, als er ihn aufhob und demonstrativ schwenkte. Mit dem letzten Haken sicherte er das Seil in der Halle an einem Stalagmiten.
Nach einer kurzen Pause suchte er die Halle ab. Er fand einen noch besseren Stein zum Einschlagen von Haken, sowie einige längere Hölzer, die dicken Bohlen gleichkamen. Sebastian dachte daran, mit diesem Holz die weggebrochene Stelle des Felsbandes zu überbrücken. Doch nur ein Brett passte über die Fehlstelle.
Es musste eben reichen. Wenn immer nur einer vorsichtig darüber ging, und sich zusätzlich mit den Händen an den Haken festhielt, konnte es ganz gut gehen.
Schließlich trat er den Rückweg an. Dabei überprüfte er noch einmal jeden Haken auf seine Festigkeit, schlug diesen und jenen mit dem neuen, festeren Stein noch etwas tiefer in den Fels. Sein Zeitgefühl war ihm völlig abhanden gekommen.
Nach gefühlten drei Stunden stand er wieder vor seinen Gefährten. Tatsächlich war es nicht einmal eine Stunde gewesen, was am verbrannten Teil der Fackeln abzulesen war.
Antarona machte kein Geheimnis daraus, wie sehr sie sich um ihn gesorgt hatte, und berichtete, wie sie den Pfeil nach drüben geschossen, und ihm zugerufen hatte. Sie verschwieg auch nicht, dass Frethnal sie zurückhalten musste, als sie ihm nachklettern wollte.
Sebastian berichtete den anderen, wie er die Führe gesichert hatte, und dass kein Anlass zur Sorge bestand.
»An einer Stelle müsst ihr über ein altes Brett steigen, und euch an den Haken festhalten«, kündigte er an.
»Aber wenn wir die Bündel vorher rüberholen, und wenn ihr nicht auf der Bohle herumwippt, dann wird das alles ganz entspannt gehen«, versicherte er, »konzentriert euch nur auf jeden eurer Schritte, dann kommen wir alle heil drüben an!«
Nun wollte er keine Zeit mehr verlieren, und begann das Gepäck eines jeden so zusammenzubinden, dass es in der ausgesetzten Position noch gut zu tragen war. Er machte die Bündel schmaler, länger, und weniger ausladend, so dass sie sich mehr an den Körper des Trägers schmiegten.
Bevor sie in das Felsband einstiegen, erklärte Sebastian besonders Vesgarina und Frethnal, worauf es ankam, wie sie sich in schwieriger Situation verhalten sollten, und wie sie gehen sollten.
»Am Anfang ist das Band ziemlich schmal«, erklärte er. »Tastet euch also mit den Händen am Fels entlang, das geht ganz gut! Schiebt die Füße immer abwechselnd seitlich weiter, auch wenn es etwas länger dauert. Dadurch bleibt ihr aber immer mit dem Fels verbunden und habt zur Not das Seil in das ihr greifen könnt!« beruhigte seine zuversichtliche Stimme.
»Später wird das Felsband breiter, dort können wir auch öfter eine Pause einlegen. Nur zum Schluss wird es etwas schwierig, dort, wo das Brett liegt«. Basti ließ seine Worte kurz wirken, bevor er weitersprach:
»Aber wenn ihr alle genau das tut, was ich euch sage, dann werden wir keine Schwierigkeiten bekommen.« Zuletzt teilte Sebastian die Seilschaften ein.
Antarona sollte mit Frethnal am Seil zuerst gehen. Er selbst wollte Vesgarina ans Seil nehmen, den Schluss machen und nach Möglichkeit haken und Seil wieder einsammeln. Natürlich behagte ihm diese Aufteilung ganz und gar nicht. Es störte ihn einfach, dass er Antarona nicht selbst sichern konnte.
Er misstraute Frethnal nicht, doch sollte der durchdrehen, so war Antarona unter Umständen ebenfalls verloren. Vesgarina schätzte er durchaus sicherer ein. Die scheinbare Unsicherheit und Ungeschicklichkeit, die sie nach außen trug, hatte sie mehr als einmal widerlegt.
Sebastian schärfte seinem Krähenmädchen noch einmal eindrücklich ein, kein Risiko einzugehen. Sollte Frethnal Schwierigkeiten machen, so ermahnte er sie, sollte sie ihn von ihrem Seil lösen und ihn an jedem Haken extra anbinden, bis die Passage geschafft war. Die zusätzliche Sicherung würde zwar wesentlich länger dauern, und das Unternehmen unnötig in die Länge ziehen, doch dagegen stand die Sicherheit ihrer aller Leben.
Antarona stieg als erste ein, und hielt Frethnal am kurzen Seil, wie einen unerzogenen Hund. Sie bewegten sich zügig und mit mehr Professionalität, als er es ihnen zugetraut hatte. Vielleicht gab sich Frethnal weniger unsicher, als Basti geglaubt hatte?
Vesgarina dagegen merkte er sofort an, dass sie sich nie zuvor in so ausgesetzter Position bewegt hatte. Doch sie war eine gelehrige Schülerin, sah sich jeden Handgriff und Tritt bei Sebastian ab, und lernte schnell. Nachdem sie begriffen hatte, worum es ging, erlangte das Mädchen rasch Antaronas Trittsicherheit und Gewandtheit.
Bereits nach dem fünften Haken band sie sich selbst in die Sicherung ein, und nahm das Seil auf, das Sebastian ihr nach dem Ausbinden reichte. Gleichzeitig achtete sie darauf, die Sicherung zu ihrem Seilpartner straff zu halten. Mehr konnte er nicht erwarten!
So kamen sie schnell voran, und selbst das Einnehmen der Haken und des fixen Sicherungsseils ging bald routiniert vonstatten. Ihre Augen hatten sich inzwischen an das spärliche Licht von nur zwei Fackeln gewöhnt, von denen sich Antarona eine so kunstvoll in ihr Schurzband gesteckt hatte, dass diese wie ein brennender Stachel von ihr abstand.
Die andere Fackel wanderte zwischen Vesgarina und Sebastian hin und her, so dass Sebastian die Hände für die Demontage der Sicherung stets frei hatte. Das klappte so gut, dass sich ihre Handgriffe wie von selbst in einen eigenen Rhythmus fügten.
Meter um Meter wanderte die Felswand an ihnen vorbei. Die für Anfänger im Bergsteigen oft und gern verwendete Warnung, nicht in die Tiefe zu schauen, konnte sich Basti schenken. Wer immer einen Blick nach unten riskierte, vermochte rein gar nichts zu erkennen. Emotionsloses Schwarz gähnte von unten herauf, nichts, wo das Auge hätte einen Bezugspunkt erfassen können.
Bald hatten sie die Stelle erreicht, wo Sebastian die schwere Bohle über das ausgebrochene Stück Felsband geschoben hatte. Da er nicht wusste, wie lange das Holz schon in der feuchten Dunkelheit herumgelegen hatte, und wie stabil es war, hielt er es für sicherer, Gepäck und Personen getrennt über die Gefahr zu bringen.
Antarona band Frethnal an den letzten Haken und ging mit traumwandlerischer Sicherheit über das Holz. Ihr Gewicht bog das Brett nicht einmal durch. Drüben sicherte sie sich selbst am Haken. Sebastian hangelte sich an Vesgarina vorbei und ermahnte sie, sich nicht zu rühren.
Dann nahm er ihr Bündel und schleuste es an Frethnal vorbei. Dessen Bündel stellte er daneben. Anschließend sicherte er die beiden am vorletzten Haken. Nun knotete er eine feste Schlaufe, hängte das erste Bündel hinein, und warf Antarona eine Leine zu, die er an der Schlaufe befestigte.
Mühelos zog sie so ein Bündel nach dem anderen auf ihre Seite. Er sah zu, wie das Bündel am Seil auf und ab tanzte. Wenn sich jetzt der Knoten löste, würden sie die Sachen nie wiedersehen. In diesem Augenblick erschien ihm seine Entscheidung, die Siegel der Dörfer an sich zu nehmen, nicht mehr ganz so sinnvoll.
Tatsächlich waren diese wichtigen Autoritätszeichen in der Schatzkammer besser aufgehoben, als an einem Seil über einem grundlosen, schwarzen Loch. Er atmete erleichtert aus, als er Antarona beobachtete, wie sie das Gepäck sicher entgegen nahm.
Bevor er Vesgarina und Frethnal an die gefährliche Stelle brachte, ließ er Antarona genügend Zeit, zunächst alle Bündel in die Halle zu tragen. Das Krähenmädchen steckte eine brennende Fackel zwischen die Felsen in der Halle und stellte alle vier Bündel daneben. Endlich kam sie zurück, und positionierte sich am anderen Ende der Bohle.
Sebastian sicherte Frethnal extra am Seil, band ihm die Leine um, die er Antarona zuwarf, und schob ihn sanft auf die Bohle hinaus. Das Holz ächzte verdächtig unter seinem Gewicht, bog sich, und Basti spielte mit dem Gedanken, ihn wieder zurückzuholen. Aber sie mussten hinüber, und eine bessere Möglichkeit, als einzeln über die Bohle zu gehen hatten sie nicht.
»Frethnal, versucht eure Füße über das Holz zu schieben, und verlagert euer Körpergewicht nur ganz langsam«, riet er dem Kammerdiener, der festen Boden unter den Sohlen gewohnt war.
»Und macht ja keine plötzliche Bewegung, es kann euch nichts passieren, wir haben euch fest am Seil und an der Leine!« Diesen letzten Rat gab Sebastian mit gemischten Gefühlen.
Natürlich belastete eine unbedachte Bewegung das Holz mehr, als ruhiges Hinüberschieben. Doch wenn Frethnal ins Bodenlose fiel, würde es schwer sein, ihn ohne Verletzung abzufangen. Schließlich war die ganze Sicherung, gemessen an den Standards, die er gewohnt war, nur eine unprofessionelle Improvisation. Sie diente mehr einer psychologischen Beruhigung, als tatsächlicher Sicherheit.
Einmal begannen Frethnals Beine zu zittern. Das Beben übertrug sich auf die Bohle und versetzte sie in schnelle Schwingung.
»Schiebt euren Fuß weiter, los, bewegt euch, nicht anhalten!« rief ihm Sebastian zu, und bemühte sich um einen ruhigen, besänftigenden Ton in der Stimme. Frethnal gehorchte, schob seinen rechten Fuß weiter, und das Brett hörte wieder auf zu tanzen. Da packte Antarona schon seinen Arm und zog ihn sicher auf die andere Seite des Felsbandes.
Es forderte noch etwas an Geduld, zu warten, bis sie Frethnal zu dem Gepäck in die Halle gebracht hatte, dann schickte Sebastian Vesgarina auf die Reise. Das Mädchen hatte genau aufgepasst, und wusste sich vom ersten Augenblick an richtig auf dem Holz zu bewegen. Dennoch machte die Bohle Geräusche, als wollte sie ihre Belastung gnadenlos der Erdanziehungskraft überlassen.
Beinahe ebenso leichtfüßig, wie Antarona glitt sie hinüber und wurde von ihrer Herrin zu Frethnal in Sicherheit gebracht. Souverän und beherrscht war Vesgarina über das Hindernis gegangen. Sie mochte stumm sein, doch Basti erkannte, dass in ihr mehr Mut und Courage steckte, als ihr allgemein zugetraut wurde. Eine wertvolle und zuverlässige Gefährtin, die er froh war, mitgenommen zu haben.
Als Antarona zurück war, entfernte Sebastian die Sicherungen, nahm das Seil ein, und betrat, nur noch durch den Haken am anderen Ende gesichert, das knarrend protestierende Holz. Er schob seinen Fuß so weit wie möglich vorwärts, spreizte die Beine und hielt sich mit der Hand am Fels.
Behutsam zog der den linken Fuß nach, als sich die Bohle bedrohlich unter seinem Gewicht bog, und ein eindeutiges Knacken das Bersten des Holzes ankündigte. Basti hielt den Atem an, seine Finger suchten den Haken im Wandriss, er spürte Antaronas Hand, die sich in sein Handgelenk krallte, und schob den rechten Fuß fast bis an das Ende der Bohle heran.
Im gleichen Augenblick bog sich das Holz mit einem hässlichen Krachen durch, gab nach und rutschte von der Kante des Felsbandes. Sebastian hatte es bereits gespürt, hatte den Fuß vorschnellen lassen, schlug mit dem Wadenbein gegen die Felskante, ruderte mit dem anderen Bein über dem Abgrund und grabschte mit den Hand auf das Felsband, das auf ihn zuraste.
Woher er die Kraft genommen hatte, wusste er später nicht mehr zu sagen. Aber sein Arm stemmte sich gegen den Fall, gab dem Knie Gelegenheit, auf das Felsband zu rutschen und umklammerte Antaronas rettende Hand, die ihn kaum zu halten vermochte.
Ihre Hand hing am Haken, er hing an ihrer anderen Hand, sein Körper halb über dem schwarzen Nichts. Ein bestialischer Schmerz raste durch sein Schienbein, als er sich an der Kante hochschob, Antarona entlastete, und sich schließlich auf das Felsband zog.
Mit dumpfem Knallen und hallendem Echo verabschiedete sich die Holzbohle in die grundlose Tiefe. Am ganzen Körper zitternd hielt Sebastian still, versuchte sich auf seine nächste Bewegung zu konzentrieren, und lauschte eine ganze Weile, bis das Holz nach einer Ewigkeit irgendwo auf eine Wasserfläche aufschlug.
Mit Grauen dachte er daran, was geschehen wäre, wenn sich das zusammengenommene Seil in der geborstenen Bohle verfangen hätte. Laut sagte er nur:
»Das war grad noch mal gut gegangen, danke, meine kleine Elsire!« Antarona sah ihn halb skeptisch, halb verwundert an. Hatte er sie gemeint? Nie hatte ein Mann eine Frau Elsire genannt. Das war eine Ehrenbezeugung, wie sie höher niemand auszudrücken vermochte. Aber es tat auch niemand, da die Elsiren heilig waren, und als die gütigsten und liebevollsten Geschöpfe überhaupt galten.
»Hast schon recht verstanden«, bestätigte Sebastian sein Kompliment, als er ihren fragenden Blick sah.
»Du bist mir die Elsire, die mir ein ums andere Mal das Leben bewahrte!« erklärte er wie beiläufig. Aus den Augenwinkeln meinte er im Schein der Fackel gesehen zu haben, wie ihr Gesicht für einen Moment errötete.
Heimlich grinsend holte er die letzten Sicherungen aus der Wand, nahm den Rest des Seils ein und band es mit einer Leine sauber zusammen.
»Was ist geschehen, Herr?« wollte Frethnal wissen, als Basti und Antarona zu ihm und Vesgarina kamen. Der Lärm des abstürzenden Holzbrettes musste ihn mit seinem Widerhall aufgeschreckt haben.
»Ach, nichts weiter«, winkte Sebastian ab, »nur, dass wir auf diesem Weg nicht wieder zurück können.« Er löste mit dieser Äußerung auf Frethnals Gesicht mittleres Entsetzen aus. Vesgarina hingegen schien diese Aussicht ziemlich einmütig hinzunehmen.
Sie machte eine Geste, die mit ihrem fragenden Blick zweifellos wissen wollte, welchen Weg sie nun einschlagen wollten. Sebastian wies an ihr vorbei ins Dunkel der Halle und sagte zuversichtlich:
»In dieser Richtung haben Sonnenherz und ich vor ein par Zentaren einen Weg gefunden. An einigen Stellen geht es ganz schön hinunter, aber das ist harmlos zu dem, was wir hinter uns haben!«
Das genügte dem Mädchen. Sie begann ihr Bündel zu ordnen, und kümmerte sich auch um Frethnals Sachen. Sie gab sich, als wäre sie mit Frethnal bereits mit dem Segen der Götter verbunden. Sebastian beobachtete es und es gefiel ihm. Er war froh, dass das stumme Mädchen, die er beinahe wie eine Tochter empfand, jemanden hatte, der auf sie achtete und für sie sorgte.
Nach einer Pause, während der sie nur eine Fackel brennen ließen, ging es weiter. Antarona und Sebastian leuchteten die Wände ab. Doch sie vermochten sich nicht genau zu erinnern, in welchen Stollen sie damals gegangen waren.
Die Orientierung im Dunkeln, wenn die Umgebung überall gleich aussah, war schwieriger, als sie eingeschätzt hatten. Sebastian erinnerte sich, dass sie ihre Fackeln in die gleich aussehenden Stollen gehalten. Den linken von jenen, die einen Luftzug aufwiesen, hatten sie genommen.
Sie nahmen ihre Bündel auf und wollten gerade in den Gang vordringen, als sich aus dem Abgrund ein Heulen und Brüllen erhob, dass ihnen das Blut in den Adern gefrieren ließ. Selbst die furchtlose Kriegerin Sonnenherz fuhr vor Schreck zusammen.
»Seid still, es sind die Dämonen der dunklen Tiefe, die ausgestoßenen der alten Götter! Sie wissen, dass wir hier sind, wir haben sie geweckt!« warnte Antarona und schien es ernst zu meinen.
Sebastian kannte das bereits. In den Hallen von Talris hatte sie bei diesen Geräuschen bereits mit ihrem Leben abgeschlossen, so tief hatte sich die alte Mythologie der Ival in ihrem Geist verinnerlicht. Ihre Angst vor den Göttern und jenen mächtigen Kräften, die angeblich tief in der Erde wohnten, war ungebrochen, war größer als die Furcht vor Torbuk und seinen Schergen.
Sebastian hingegen suchte zunächst nach einer natürlichen Erklärung für die schauerlichen Stimmen, die aus der Tiefe zu ihnen heraufdrangen. Solche Klänge mochte auch der Wind verursachen, der durch irgendwelche Stollen, Löcher, oder Risse in die Höhlenlabyrinthe eindrang, durch enge Schächte gepresst wurde, oder durch schmale Öffnungen pfiff.
Für die Ival jedoch, waren es Menschen fressende Dämonen. Das Volk wusste nichts von geologischen Erosionsprozessen, die ganze Höhlensysteme, halb mit Luft, halb mit Wasser gefüllt, hinterließen. Selbst die blauen Blitze, die Sebastian in den Hallen von Talris am eigenen Leib zu spüren bekam, suchte er natürliche Ursachen.
Auch er hatte keine genaue, all umfassende Erklärung für die vielen, unbekannten Gegebenheiten. Doch seine Überlegungen orientierten sich deutlich näher an den Erkenntnissen der modernen Wissenschaft. Mit der allerdings war er trotzdem nicht in der Lage, seinen Aufenthalt in dieser wundersamen Welt zwischen Steinzeit, Mittelalter und Moderne zu erklären.
Lediglich einige Phänomene, wie die blauen Blitze glaubte er mit seinem Wissen aus der Naturwissenschaft erklären zu können. Möglicherweise gab es Vorkommen von Substanzen im Fels, die sich bei Erreichen einer kritischen Masse selbst entzündeten.
Eher wahrscheinlich war jedoch, dass freigesetzte Gase aus dem Erdinnern durch Risse und Spalten im Fels nach oben drangen, sich bei einer bestimmten Konzentration entzündeten, oder die Luft statisch aufluden. Ein eindringendes Wesen, dass zu neunzig Prozent aus Wasser bestand, mochte durchaus als Masse, also als Blitzableiter dienen.
Freilich wusste Antarona nichts von physikalischen Grundsätzen und deren Möglichkeiten. Für sie waren es Dämonen, die seit Alters her über den größten Mythos der Ival, über das Geheimnis von Val Mentiér wachten.
Aber ganz sicher war sich Sebastian seiner forensischen Erklärungen für all diese Geheimnisse nicht. Immerhin hatte er auch nicht an die Existenz von Drachen, zotteligen Waldmenschen, und kleinen, brennenden und transparenten Elfen geglaubt. Aber es gab sie! Er hatte all das mit eigenen Augen gesehen!
Seine Gedanken wurden von erneutem Geheul und Gebrüll unterbrochen. Eigenartigerweise klang es nun näher, als zuvor, zumindest lauter. Es hörte sich an, als wälzte sich ein riesiger, wütender Lindwurm aus der Tiefe herauf, und Basti musste zugeben, dass nun auch ihm der Schreck in die Glieder fuhr.
Eindeutig kam die akustische Bedrohung aus der Tiefe des riesigen Schachtes, an dessen Wand sie sich noch vor ein par Minuten entlanggetastet hatten. War tatsächlich irgendetwas Unbekanntes durch ihr Eindringen geweckt worden? Etwas, das sich selbst Sebastian Lauknitz mit seinem Wissen des zwanzigsten Jahrhunderts nicht erklären konnte?
Wieder erklang das markerschütternde Geräusch, und es schien tatsächlich näher zu kommen. Es war, als brüllte sie die ganze Wut einer mächtigen, bösen Kreatur an. Gleichzeitig fuhr ein kräftiger Luftstrom aus dem Schacht herauf, der einen üblen, schwefeligen Gestank mitbrachte.
Während seine Gefährten sich demütig in den Dreck der Höhle warfen und die Götter um ihr Leben anflehten, kam Sebastian auf den Gedanken, dass die Ursachen für dieses Phänomen vielleicht vulkanischen Ursprungs sein mochten.
Der riesige Schacht konnte durchaus ein erkalteter Lavaschlot sein, über Jahrhunderte hindurch von der Erosion des durchsickernden Wassers begradigt und ausgewaschen. Thronte die Himmelsburg etwa auf einem erloschenen Vulkankegel, unter dem in der Tiefe dennoch eine mächtige Magmakammer ruhte? War die nun nach Ewigkeiten wieder erwacht?
Wie auch immer, sie mussten von diesem Ort verschwinden. Die fauligen Gase, die aus der Tiefe heraufkamen, waren sie nun vulkanischen Ursprungs, oder der üble Atem eines Dämons, konnten sie vergiften, oder ihre Atemwege verätzen.
Sebastian zog seine Frau an den Armen aus dem Dreck und schüttelte sie so energisch, dass er befürchtete, ihr eine Gehirnerschütterung zuzufügen. Wie schon einmal an dieser Stelle und auch in den Hallen von Talris, war sie in eine Art Trance verfallen, und kaum noch ansprechbar.
Ähnlich schien es Frethnal und Vesgarina zu gehen, die am Boden hockten und ihren Körper teilnahmslos hin und her wiegten, als warteten sie auf das jüngste Gericht.
»Antarona! Komm wieder zu dir, es ist nur der Wind!« versuchte er sie wach zu rütteln. Er musste eine ganze Weile ohne Rücksicht auf sie einwirken, bis ihr Blick endlich wieder klar wurde. Sie taumelte kurz zur Seite, Sebastian wollte sie schon auffangen, doch dann fand sie ihre Standfestigkeit wieder und sah ihn mit großen Augen an.
»Ba - shtie, die Dämonen der Finsternis sind erwacht! Sie kommen aus der Tiefe, jene zu holen, die ihre Ruhe gestört haben!« Anscheinend glaubte sie tatsächlich daran, dass irgendein gehörntes Urmonster den Schlot heraufgestürmt kam, um sie alle zu verschlingen.
»Darum sollten wir hier schleunigst verschwinden!« kommentierte Basti ihre Befürchtungen. Doch welchen Gang sollten sie nehmen? Sie alle sahen gleich aus! Sebastian ging mit seiner Fackel von Stollenloch zu Stollenloch und versuchte festzustellen, welches den größten Luftzug aufwies.
Ein gemauerter Tunnel schien der richtige Gang zu sein und Sebastian glaubte sich an ihn zu erinnern. Gnadenlos riss er Vesgarina und Frethnal hoch und stieß sie unsanft in den Stollen hinein.
»Los hoch mit euch, beten und schlafen könnt ihr, wenn wir aus diesem Loch heraus sind, verstanden?« Beide glotzten ihn nur verständnislos und verunsichert an, stolperten vorwärts und erwachten allmählich aus ihrem Dämmerzustand.
Antarona hatte inzwischen ihre Sicherheit zurückgewonnen und unterstützte Vesgarina, die sich noch ziemlich wackelig auf den Beinen hielt. Frethnal stützte sich an der gemauerten Stollenwand ab und schlich wie ein alter Greis vorwärts, der all seine Sinne eingebüßt hatte.
Der Stollen, dem sie folgten, kam Sebastian allerdings so wenig bekannt vor, dass er mittlerweile daran zweifelte, je in ihm unterwegs gewesen zu sein. Es blieb ihnen jedoch keine Alternative. Noch einmal zurück in die Halle gehen, und seine Freunde der Gefahr einer erneuten Trance auszusetzen, kam für ihn nicht in Frage.
Ein oder zwei Türen waren weit voneinander entfernt in die Stollenwand eingelassen, doch irgendwann zugemauert worden. Sie hatten nicht die Zeit, und auch nicht das Werkzeug, nachzuforschen, was sich dahinter verbarg.
Stetig fiel der Gang mit einem leichten Gefälle ab. Sie gelangten immer tiefer in den Berg. Basti fürchtete schon, dass sie zu weit hinein gerieten, und sich irgendwann unter dem Ausgangsstollen befanden. Würden sie dann jemals wieder aus diesem Höhlensystem herausfinden?
Zweimal machte der Gang einen Knick, dann standen sie in einem größeren Raum, der teilweise mit Schutt angefüllt war, der aus Teilen eingestürzter decke Stammte. Diesen Raum meinte er wiederzuerkennen.
Suchend schwenkte Basti die Fackel herum, und tatsächlich fand er in einiger Höhe das Loch in der Wand, aus dem er und Antarona schon einmal gefallen waren. Offenbar waren alle Ebenen irgendwie mit Stollen, Schächten und Durchgängen miteinander verbunden.
Wiederum gingen von dem Raum, in den sie geraten waren, einige Tunnel ab. Sebastian wusste noch, dass sie in einen halb mit Wasser gefüllten Gang mit starker Neigung abgestiegen waren. Er leuchtete die Stollen aus und wählte jenen, dessen Wände am meisten von der Feuchtigkeit glitzerten.
Von der niedrigen Decke tropfte permanent Wasser und bereits nach wenigen Minuten waren sie durchnässt. Aber es war nicht kalt. Erstaunlicherweise war die Luft, trotz des leichten Zuges, muffig, warm und stickig.
Antaronas und Vesgarinas halb nackte Körper glänzten nass, und Frethnal hingen seine Haare feucht ins Gesicht, die er mit stoischen Handbewegungen zu bändigen versuchte. Die langen haare der Mädchen hingen ihnen wie schwere Bänder von den Köpfen und klebten ihnen an den Schultern und auf dem Rücken.
Ihre winzigen Lederschürze hafteten ihnen wie angeklebt auf der Haut. Sie verliehen ihnen das Aussehen zweier Seenixen, die gerade aus dem Wasser gestiegen waren. Ein Stück weiter gelangten sie zu der Stelle, an welcher der Stollen bis zur halben Höhe überflutet war.
Sebastian ermahnte seine Gefährten, die Fackeln und die Bündel hoch zu halten, und sich vorsichtig mit den Füßen vorwärts zu tasten. Das abgestandene Wasser roch nach Moder und allerlei anderen unappetitlichen Dingen. Mochten die Götter wissen, woher es in diesen Gang sickerte!
Die Frauen entledigten sich ihrer Oberteile, Frethnal und Sebastian mussten ihre Hosen und Waffenröcke, sowie die Stiefel ausziehen. Zähneklappernd wateten sie durch das brackige Wasser. Es war wesentlich kälter, als die stockende Luft. Sebastian vermutete, dass es aus dem Fels sickerte, und wohl mit abtauendem Permafrost in Verbindung zu bringen war.
Das Heulen und Poltern des Dämonen war leiser geworden, hallte aber immer noch durch die Stollen. Doch es schüchterte niemanden mehr ein. Das eisige Wasser, das ihnen bis über die Hüfte stieg, forderte ihre volle Konzentration, wollten sie mit nackten Füßen nicht an einem versunkenen Felsen anstoßen.
Endlich erreichten sie wieder trockenen Boden unter den Füßen. Basti begann die Abzweigung zu suchen, die sie bei ihrer ersten Irrfahrt durch dieses Labyrinth genommen hatten, und in dessen steiler Röhre er bei der Suche nach Antarona mit Frethnal und Genrath bereits fixe Seile angebracht hatte.
Während er jeden abgehenden Stollen ausleuchtete, zogen sich Vesgarina und Antarona wieder an. Da ihnen das dünne Leder ihrer Hüftschürze nass an den Schenkeln klebten, banden sie sich kleine Felle um die Taillen, die wohl etwas wärmten, aber nicht mehr bedeckten, als zuvor die spärlichen Lederstücke.
Als sie auch ihre Oberteile wieder umgebunden hatten, war es Sebastian gelungen, den gesuchten Gang zu finden. Die Seile hingen noch in den Halterungen, waren jedoch hier und dort von Darwicks angenagt worden.
Der Gang durch diesen Stollen, der ziemlich steiles Gefälle aufwies, gestaltete sich zum Eiertanz. Sie waren beladen mit ihren Bündeln, den Waffen und den Seilen. Gleichzeitig mussten sie sich an den installierten Seilen festhalten, um nicht wie Kegel die Schräge hinab zu purzeln.
Noch dazu die Fackeln festzuhalten, hätte an zirkusreife Akrobatik gegrenzt. So ließen sie das Licht aus und hangelten sich in totaler Finsternis abwärts. Unten angekommen, mochten sie das Feuer wieder entfachen.
Selbst Antarona, von der Basti nie emotionsgeladene Worte gehört hatte, fluchte erschrocken, als sie mit den Füßen gegen hin und her trippelnde Darwicks stießen, die ihrerseits erschrocken, zubissen. Abwehrende Tritte Sebastians und seiner Gefährten gingen meist ins Leere.
Erst als Vesgarina laut aufschrie, weil sich einer der lichtscheuen Nager in ihrer Wade festgebissen hatte, hielt Sebastian an und zündete umständlich eine Fackel an. Sofort huschten die Ratten ähnlichen Geschöpfe in die dunklen Ecken und Nischen, und waren wie vom Erdboden verschwunden.
Sebastian legte die Fackel schräg auf einen Stein, hängte sein Bündel mit einer Leine in das Seil, damit es nicht davon rollte, und besah sich Vesgarinas Bein. Eine kleine, stark blutende Bisswunde zierte ihre Wade über der Ferse. Antaronas heilkundige Kenntnisse waren gefordert.
Basti hielt nun ihr Bündel sowie ihre Waffen und sie legte Vesgarina mit geschulten Handgriffen einen festen Kräuterverband an, damit bei ihrer Odyssee durch die Unterwelt nicht noch Schmutz in die Wunde gelangte.
Danach traute sich Sebastian nicht mehr, die Fackel wieder zu löschen. Er ließ sie brennen und schleifte sie vorsichtig an einer Leine hinter sich her. Wie kleine, ängstliche Kobolde flüchteten die Darwicks vor dem Licht, kauerten in Felsspalten, Löchern, und hinter größeren Steinen.
Erst, als die Eindringlinge vorüber waren, und das Licht der Dunkelheit wich, trauten sie sich wieder hervor. Die vier Gefährten sahen die kleinen, rot leuchtenden Punkte aus dem Dämmerlicht hervorleuchten. Unzählige Augen beobachteten und belauerten sie. Doch die schmerzhaften Übergriffe auf ihre nackten Füße blieben fortan aus.
Sie hangelten sich weiter den Stollen hinab, über Schutt und Bruchsteine hinweg. Wie lange das so ging, vermochte später niemand zu sagen. In der abgeschlossenen Finsternis tief unter der Erde ging jegliches Zeitgefühl verloren.
Endlich, sie glaubten schon nicht mehr daran, dass der Tunnel irgendwann enden würde, gelangten sie in einen halb verschütteten Raum, der aber keine Neigung mehr aufwies. Auch in dieser Gruft wimmelte es von Darwicks.
Sebastian zündete noch zwei Fackeln an. Es war klug, den aggressiven Nagern zeit zu geben, sich zurückzuziehen. Fühlten sie sich überrascht und in die Enge getrieben, so reagierten sie, wie die meisten Tiere, mit angriffslustigem Verhalten.
Die Wenderin, wie Vesgarina von Fremden genannt wurde, begegnete den kleinen, bissfreudigen Schattengestalten nun mit großer Vorsicht und übertriebener Scheu. Die schmerzhafte Erfahrung mit dieser Spezies würde sie wohl für den Rest ihres Lebens prägen.
An einem anderen Ort hätte Antarona sicherlich einen Weg gefunden, die Darwicks dazu zu bewegen, ihnen aus dem Weg zu gehen. Doch in diesem engen Stollensystem hatten selbst diese Tiere nicht genug Rückzugsmöglichkeiten. Sie lebten in diesen Gängen, und die Menschenwesen waren die Eindringlinge.
Die Fackel wedelnd vor sich her bewegend, führte Sebastian die kleine Gruppe in einen weiteren Gang. Dass dieser Stollen zum Ausgang führte, erkannte er an einigen Holzstützen, an die er sich erinnerte. Die waren am Ende des Gangs in sich zusammengestürzt, und hatten ihnen damals den Ausgang versperrt.
Er hoffte, dass die Öffnung, die sie seinerzeit freigelegt hatten, nicht wieder eingefallen war, und sie ungehindert in die Freiheit entließ. Die Götter mussten ihn erhört haben. Ein starker Luftzug und der Duft nach Wald schlug ihnen plötzlich entgegen.
Eigentlich mussten sie bereits den Lichtschimmer von draußen sehen. Doch die Finsternis hielt sie immer noch gefangen, wie eine düstere Klaue, die nicht gewillt war, sie wieder ins Tageslicht zu lassen. Da stolperte Sebastian über einen Steinblock und fiel hin.
Die Fackel war erloschen, doch Antarona zündete geistesgegenwärtig sofort eine neue an. Sie leuchteten die Umgebung aus, und stellten fest, dass sie sich vor der trümmerartigen Steinhalde befanden, durch die sie sich vor Wochen ihren Ausgang freigraben mussten.
War der wieder verschüttet worden? Sie mussten doch schon die Sonne durch das Loch scheinen sehen! Alles ringsum war dunkel, doch irgendwo wehte frischer Wind herein. Antarona hielt die Fackel höher. Der Luftstrom ließ die Flamme wild tanzen. Sie streckte ihren Arm weit über den Trümmerhaufen aus, beleuchtete das Loch, aus dem der Wind kam, und rief den anderen freudig zu:
»Sonnenherz hat den Ausgang gefunden! Draußen ist schlafende Sonne, darum ist es noch dunkel«, verkündete sie beruhigend. Die blackende Fackel vor sich herschiebend, kroch sie den Trümmerhang empor, schob ihr Bündel voran und zwängte sich durch die Öffnung ins Freie.
Sie hatten es geschafft! Sebastian ging als letzter. Er krabbelte aus der Höhle, richtete sich auf und sog die kühle Nachtluft ein, die von der anderen Seite des Flutgrabens herüberwehte. Das tiefe, gleichmäßige Rauschen des Baches unter ihnen empfing ihn wie eine Ouvertüre zu einer neuen Lebenszeit. Über ihm funkelten die Gestirne.
Düster und drohend ragten die felsigen Fluchten über ihnen in den Nachthimmel, auf denen die Himmelsburg thronte. In der Dunkelheit empfand Sebastian das Gemäuer wie einen finsteren Schatten, wie eine Grenze zwischen Freiheit und Gefangenschaft.
Irgendein Nachtvogel ließ über ihren Köpfen seinen schauerlichen Ruf erklingen. Wahrscheinlich saß er im Gestrüpp der Felsen, denn das Wasser unter ihnen vermochte nicht, ihn zu übertönen.
Erleichtert ließen sie sich in der Nische des Höhleneingangs nieder, als wären sie nach langer Abwesenheit zu Hause angekommen. Doch Sebastian spürte eine innere Ungeduld, die ihn weiter trieb, ihn nicht rasten lassen wollte.
»Wir sollten hier nicht den Tag abwarten«, mahnte er und stellte sich wie ein Lehrer vor seinen Gefährten auf.
»Es wäre vorteilhaft, die Dunkelheit auszunutzen, um über das Wildwasser zu kommen. Sicher wird man Medunzia und den Wachmann bald finden. Dann werden sie unser Verschwinden bemerken und um da einen Zusammenhang zu erkennen, muss man kein Seher sein«, stellte er fest.
Basti wies mit der Hand nach unten zum wild dahinströmenden Wasser und sagte nachdenklich:
»Ich möchte keine Überraschung erleben, wenn wir in der erwachenden Sonne drüben in den Wald gehen. Bental wird sich von Tieton beeinflussen lassen, und die Burg in weitem Rund umstellen lassen, wenn er vermutet, dass wir die Mauern verlassen haben. Ich möchte dann gerne schon ein Tal weiter sein!« Antarona nickte zustimmend, indem sie sich ein Fell über die Schultern hängte.
»Das mag sein Ba - shtie, und ihr mögt recht haben«, gab sie zu, »doch bedenkt, dass es bereits in der wachen Sonne schwer ist, durch das reißende Wasser zu gelangen.« Sie sah bedeutsam von Basti zu Vesgarina und Frethnal, bevor sie weiter sprach.
»In der schlafenden Sonne kann es für Frethnal und Vesgarina gefährlich sein, sich in das wilde Wasser zu begeben. Sie haben keine Übung darin, sich gegen mit dem schnellen Strom hinübertreiben zu lassen!«
Ihre bedenken waren zweifellos berechtigt, gab Basti zu. Doch wenn sie auf das Tageslicht warteten, blieb das Risiko kaum vermindert. Dazu kam aber die Gefahr, entdeckt zu werden. Waren sie jedoch erst einmal in den Wäldern verschwunden, war es kaum möglich, von irgend jemandem gefunden zu werden, wenn sie es nicht wollten.
Das Argument überzeugte sogar Vesgarina und Frethnal, die bis dahin besorgt und mit verstohlenen, ängstlichen Blicken in die Tiefe gespäht hatten, wo der wilde Strom die Felsen der Burg umspülte.
»Ich werde mich zuerst hinübertreiben lassen«, bestimmte Sebastian mit Blick auf die beiden Unerfahrenen.
»Und ich werde die Enden zweier Seile mitnehmen. Das will ich drüben an einen Baum binden. Daran könnt ihr euch einzeln hinüber ziehen. An das andere knüpft ihr eine feste Schlaufe, an der ich die Bündel nach drüben ziehe.« Er sah die Freunde erwartungsvoll an.
Stumm nickten die anderen. Es war ihnen anzumerken, dass sie sich nicht ganz wohl bei der Vorstellung fühlten, in stockfinsterer Nacht in ein Wildwasser zu steigen. Sie ahnten aber auch, dass es die beste Alternative war, denn hinüber mussten sie!
Antarona und Sebastian, die das Wagnis schon einmal mit Erfolg auf sich genommen hatten, sprachen ab, dass sich das Krähenmädchen als letzte am Seil hinüberziehen ließ. Und so machten sich die Freunde auf, nach unten, ans Ufer des Wildbaches zu gelangen.
Im Gegensatz zu Antaronas und Sebastians erstem Versuch, mussten sie sich in der Dunkelheit keinen halsbrecherischen Weg durch die Felsfluchten nach unten suchen. Sie hatten reichlich Seile und konnten sich mit Sebastians alpinistischen Kenntnissen einfach direkt abseilen.
Er fixierte ein Doppelseil an einer geeigneten Stelle, indem er mehrere Haken so anbrachte, dass es dem Seil möglich war, glatt durchzulaufen, ohne aber aus der Führung zu springen.
Einen nach dem anderen wies oberflächlich Sebastian in das Geheimnis des Bergsteigens und Abseilens ein, dann band er seine Gefährten nacheinander ins Seil und beobachtete mit Argusaugen ihren mehr oder weniger eleganten Abstieg. Er hatte ihnen besonders eingeschärft, auf keinen Fall eine Hälfte des Doppelseils loszulassen.
Erstaunlicherweise erwies sich gerade Vesgarina als ausgesprochen talentiert. Sie vertraute auf das Seil, stieß sich ab, und hüpfte am Seil von einem Vorsprung zum nächsten. Sie fand offensichtlich Gefallen an diesem Abenteuer. Frethnal hingegen tat sich schwer mit der Materie Stein. Er versuchte sich stets an der Wand zu halten, und vermied es, den Kontakt zum Fels zu verlieren.
Dadurch wurde das Abseilen für ihn zum quälenden Kraftaufwand, und Sebastian kam es vor, wie eine Ewigkeit, bis er unten von Antarona und Vesgarina in Empfang genommen wurde. Zuletzt ließ sich Sebastian selbst am Seil herunter.
Er zog einen Seilteil durch die Haken, bis es wie eine endlose, vom Himmel kommende Schlange herabgesaust kam. Nachdem die beiden Seile wieder geordnet vor ihnen lagen, konnten sie das übersetzen über den reißenden Wildbach beginnen.
»Ba - shtie, Sonnenherz sollte mit dem Seil hinüberschwimmen«, warf Antarona plötzlich mitten in die Vorbereitungen.
»Sonnenherz kann besser schwimmen, als alle anderen hier«, argumentierte sie weiter, als sie bemerkte, dass Sebastian keine Reaktion auf ihren Vorschlag zeigte.
Eigentlich wollte Basti ihren Einwand einfach übergehen. Wenn eine Schwangerschaft bei den Ival auch ungleich länger dauerte, als er für möglich gehalten hatte, so kam es für ihn dennoch nicht in Frage, seine Frau, die sich in anderen Umständen befand, eine solch gefährliche Aktion durchführen zu lassen.
Er tat immer noch so, als hätte er sie nicht gehört, und knüpfte zwei Seile aneinander und rollte sie auf. Da er Antaronas Eigensinn kannte, suchte er fieberhaft nach einem Argument, ihr das Wagnis auszureden.
»Sicher, du bewegst dich im Wasser, wie ein Fisch, das weiß jeder«, sagte er schließlich, »aber vermagst du die Seile drüben so anzubringen, dass drei Personen und vier Bündel daran hinübergelangen, ohne dass der Bach sie fortreißt?«
Sebastian wusste, dass sich Antarona auch das zutraute. Doch selbst sie musste zugeben, dass er besser mit Seilen umzugehen verstand. Und Sebastian wusste, dass es nicht nur darum ging, einfach ein Seil zu spannen.
Im Gegensatz zu den Nylonseilen, die er in seiner technisierten Welt benutzt hatte, waren diese hier aus reiner Naturfaser. Wurden die Hanfseile nass, so dehnten sie sich, wurden schwer, und der Übersetzende wurde einige Meter im Wasser mitgerissen.
Er musste das Seil also ständig nachzurren, ohne die Spannung nachzulassen. Das ging nur mit der Reibung an einem stabilen, glatten und runden Baum. Antaronas Ratschläge jedoch, was das Hinüberschwimmen betraf, nahm er dankbar an.
»Ihr müsst eine tiefe Stelle mit wenig Strömung suchen, und weit hineinspringen«, riet sie ihm, »dann müsst ihr euch mit aller Kraft flach gegen den Strom halten. So verhindert ihr, dass ihr zu weit abtreibt, und das Seil vielleicht nicht ausreicht.«
Ihre Belehrungen waren einleuchtend, und er nahm sich vor, sie unbedingt zu beherzigen. Noch während Antarona sprach, band er sich die beiden Enden des zusammengeknüpften Seils um den Bauch, und schritt ans Ufer, wie ein Olympiaschwimmer an seine Startbox.
Voll auf seine Aufgabe konzentriert suchte Sebastian die wild schäumende Wasserfläche ab und sah nichts. Die tiefste und ruhigste Stelle, wie von seiner Frau empfohlen, gab es nicht. Der Bach rauschte überall mit gleicher Wildheit durch den Umflutgraben.
Er musste sich einfach durchkämpfen und versuchte sich zumindest die aus dem Wasser ragenden Felsen einzuprägen. Diese Stellen wollte er meiden, um zu verhindern, dass sich das Seil daran verfing.
»Also ich versuche es jetzt!« kündigte er schreiend an, um sich gegen das Tosen des Wassers Gehör zu verschaffen. Und zu Antarona gewandt schrie er gegen den Lärm an:
»Halt die Seile immer leicht straff, auch wenn du mich damit etwas bremst. Und mache sie erst fest, wenn ich dir von drüben ein Zeichen gebe!« Dann winkte er Frethnal heran, Antarona beim Halten des Seils zu unterstützen.
Er holte noch einmal tief Luft, und mit dem Gedanken an die Weisheit, Unangenehmes nicht zu lange aufzuschieben, stieß er sich mit aller Kraft vom Ufer ab und sprang in die Fluten. Sofort raubte ihm das eiskalte Wasser den Atem. Gleichzeitig erfasste ihn die gewaltige Macht der Strömung und riss ihn von den Beinen.
Eher mit dem Mut der Verzweiflung, als mit kontrollierter Kraft, ruderte Sebastian gegen die schnell dahinschießenden Wassermassen an. Es gelang ihm jedoch nicht, zielstrebig, flach gegen den Strom, das andere Ufer anzusteuern. Die vielen Strudel, und verschiedenen Strömungen wirbelten ihn herum, wie einen Tischtennisball in der Toilettenspülung.
Geistesgegenwärtig änderte er seine festgelegte Strategie und klammerte sich an den nächsten Felsen, um zwischendurch Kraft zu schöpfen, und um sich den nächsten Etappenpunkt einzuprägen. Letztendlich kämpfte er sich durch die rasenden Wasser von Fels zu Stein, von Strudel zu Wirbel.
Jedes mal trieb er ein weiteres Stück stromab. Er hatte zudem den Eindruck, dass der Bach mehr Wasser führte, als beim letzten Mal, als er diese Stelle mit Antarona überwunden hatte.
Antarona begriff indes, dass Sebastian kaum in der Lage war, den Bach in einem Zug zu durchqueren. Sie gab nicht mehr so viel Seil frei, wenn er sich wieder ein Stück vorwärts kämpfte. Dadurch trieb Sebastian nicht noch endlos weit ab.
Etappe für Etappe versuchte Basti das nächste Ziel, und die dazwischen tobende Strömung abzuschätzen. Je weiter er sich dem gegenüberliegenden Ufer näherte, desto mehr zogen die Seilen, und bremsten ihn. Das lag jedoch nicht an Frethnal und Antarona.
Vielmehr war das Material nass geworden, hing durch, wurde von der Strömung erfasst, zog und zerrte an Bastis Hüfte, und scheuerte ihm die Haut wund. Doch je mehr die Seile zogen und ihn behinderten, um so wütender wurde er, und desto mehr Kraft entwickelte er.
Wie ein wild gewordener Robrum ruderte Sebastian mit den Armen, versuchte sich mit den Füßen im Grund abzustoßen, schlug sich den Fuß an, wurde zorniger, und pflügte noch entschlossener durch das Kraft raubende Wasser.
Schließlich erreichte er völlig ausgepumpt das jenseitige Ufer. Noch hatte er Mühe, sich die unbefestigte Böschung hinaufzuarbeiten. Einige Male rutschte er zurück und landete wieder im kalten Wasser. Nach dem dritten Versuch aber klammerte er sich an den dünnen Stamm einer kleinen Birke und zog sich auf den Grasstreifen hinauf.
nach Luft ringend lag er im Gras, die Hände um die Seile geklammert, aus Angst, sie könnten sich lösen, zurück ins Wasser gezogen und abgetrieben werden. Er musste erst einmal zu Atem kommen, gönnte sich aber nur ein par Sekunden, denn sein ausgekühlter Körper verlangte nach Wärme.
Die einzige Möglichkeit ihm diese zuzuführen, war Bewegung. Mit diesem Wissen gab sich Sebastian einen Ruck, taumelte hoch und ging an der Uferkante so weit zurück, bis das Seil in etwa gerade über den Bach reichte. Die verkürzte Reichweite brachte ihm auch mehr Seil ein, das er brauchte, um die Enden irgendwo fest zu machen.
Gehetzt sah er sich um, suchte nach einer geeigneten Stelle, und fand einen nahe am Ufer stehenden Baum, der sich in Hüfthöhe in zwei Stämme verzweigte. Basti schlang jedes Seil zweimal um je einen Stamm, und wickelte die Enden um einen kräftigen Ast.
Nachdem er sich vergewissert hatte, dass die Reibung ausreichte, die Seile zu halten, begann er die Taue abwechselnd anzuziehen, und nachzuzurren, bis beide Seile mit gleicher Spannung über dem Wildwasser hingen.
Die Arbeit wärmte ihn, und sein halbnackter Körper begann in der frischen Nachtluft zu dampfen, wie ein gegarter Braten. Nun gab er Antarona ein Zeichen und beobachtete, wie sie mit Frethnal versuchte, die Seilschlaufe über einen spitz zulaufenden Felsen zu würgen. Dazu mussten sie die Seile noch einmal anspannen. Selbst Vesgarina hing sich mit ein, um die Schlinge sicher um den mächtigen Stein zu legen.
Als das geschafft war, knüpfte Antarona eine kurze Schlinge an das Doppelseil. Das längste Seil, das verblieben war, knotete sie nun in seiner Mitte in die Schlinge. Sie gab Frethnal und Vesgarina ein Seilende in die Hände, band sich das zweite um die Taille, bevor sie ins Wasser stieg und sich am Fixseil zu Sebastian hinüberhangelte.
Es ging erstaunlich gut. Freilich war Sebastian einen anderen Komfort gewohnt, den das Kunstfasermaterial seiner Welt bescherte. Doch für mittelalterliche Verhältnisse funktionierte ihre Konstruktion überraschend gut.
Antarona gelangte nur bis zur Hüfte durchnässt sicher ans andere Ufer und übergab Sebastian das Seilende, welches er gut vertäute. Noch einmal zurrte Basti das Seil nach, dann machte sich Antarona daran zu Vesgarina und Frethnal zurückzukehren.
Sebastian löste das Zugseil und ließ seine Gefährten die Schlinge zurückziehen. Geduldig beobachtete er, wie sie drüben zwei Bündel in die Schlinge hängten und das Zeichen gaben. Für Sebastian begann nun die schwerste Arbeit. Er musste das Gewicht am Fixseil entlang ziehen, und gleichzeitig nach Bedarf das Fixseil nachzurren.
Stellenweise begann die Last ihrer Habseligkeiten am Seil auf und ab zu hüpfen. Da Sebastian befürchtete, dass die Seile dieser Belastung nicht gewachsen waren, wartete er jedes Mal, bis sich das Konstrukt wieder beruhigte, bevor er weiter zog. Es dauerte eine Weile, doch dann konnte er die Sachen am sicheren Ufer aus der Schlinge knoten.
Sofort zogen Frethnal und Antarona die Schlinge zu sich zurück, um die nächsten Bündel einzuknüpfen. Und noch einmal wiederholte sich das Abenteuer, Waffen, Felle, und andere Überlebensutensilien über das Wildwasser zu bringen.
Nun galt es, Frethnal und Vesgarina unversehrt über den Flutgraben zu bringen. Antaronas Kammerzofe machte den Anfang. Sie wurde von Antarona in ein kurzes Seil gebunden, das wiederum in die Schlinge geknotet wurde. Sollte das Mädchen ins Wasser fallen, so konnte sie nicht abgetrieben werden, und Sebastian hatte die Möglichkeit, sie wie zuvor das Gepäck, auf seine Seite zu ziehen.
Doch das erwies sich als nicht nötig. Vesgarina klammerte ihre Hände um die beiden Tragseile, verschränkte die Füße darüber und zog sich, wie eine Seilbahn, den Kopf voran, hinüber. Sie hatte es verstanden, ihr Gewicht so auf dem Seil zu verteilen, dass es am wenigsten belastet wurde.
Frethnal hingegen besaß weniger Talent, mit seinem frei hängenden Körper umzugehen. Er strampelte mit den Beinen, wie ein am Nacken gepacktes Kaninchen, und sorgte dafür, das die Seile auf und ab tanzten. Natürlich wurde es für ihn dadurch noch schwieriger, eine Hand vor die andere zu setzen, um sich so vorwärts zu hangeln.
Das ganze vollführte sich in einer solchen Komik, dass sich Sebastian sehr zurückhalten musste, um sich nicht vor Lachen zu krümmen. Vesgarina beobachtete das Geschehen weniger belustigt. Sie verfolgte die skurrile Fortbewegungsmethode ihres Geliebten mit vor Entsetzen weit aufgerissenen Augen.
Sebastian befürchtete, dass er sich irgendwann nicht mehr zu halten vermochte, und ins tosende Wasser stürzte, oder die Seile zum Zerreißen bringen würde. Darum packte er das Zugseil und begann seinen Diener zu sich herüber zu ziehen. Er durfte jedoch nicht schneller ziehen, als dieser in der Lage war, seine Hände an den Seilen vorwärts zu bewegen. Mit seiner Unterstützung hatte Frethnal bald wieder festen Boden unter den Füßen.
»Was denkt ihr euch dabei, hier so in der Gegend herumzustrampeln?« schalt er seinen Kammerdiener.
»Beinahe habt ihr mit eurem Herumgehopse das ganze Unternehmen gefährdet! Stellt euch vor, das Seil wäre...« In diesem Moment schoss Vesgarina an Sebastian vorbei und fiel ihrem Frethnal um den Hals. Das Mädchen wusste genau, dass damit die Standpauke beendet sein würde.
Das fast väterliche Grinsen, das über Bastis Gesicht huschte, verbarg er, indem er sich Antarona zuwandte, die nun die Seile entlang rutschte. Dabei bediente sie sich nun auch Vesgarinas Technik, die ihr einen nassen Unterleib ersparte.
Als auch das Krähenmädchen trockenen Fußes das Ufer erreicht hatte, löste Sebastian die Seile, zog sie ein und legte sie locker und ordentlich zusammen. So konnten sie am besten trocknen. Wenn kein Schimmel sie befiel, so waren sie noch ein par Male zu verwenden.
Mittlerweile war es im Osten unmerklich heller geworden. Nicht mehr lange, und die Morgendämmerung brach herein. Damit stand nun die Frage im Vordergrund, wie sie weiter vorgehen sollten. Vesgarina und Frethnal konnten sich vor Müdigkeit kaum noch auf den Beinen halten. Auch an Sebastians Kondition war der Weg durch die Katakomben unter der Burg nicht spurlos vorüber gegangen.
Allein Antarona schien noch ausgeruht genug, um Kilometer weit durch den Wald zu laufen, bis sie sicher sein konnten, mögliche Suchtrupps weit hinter sich zu lassen. Doch zunächst würde es stetig bergan gehen, bis sie auf der Kante über dem weiten Tal standen, wo Sebastian mit Antarona schon einmal vor dem Talrisfest i die Tiefe geblickt hatten.
Erst, wenn sie den Grund des Tals erreicht hatten, waren sie so gut wie sicher vor Bentals verlängertem Arm. In der Weite der Wälder, die sich unendlich durch die weite Tiefebene auszubreiten schienen, würde sich ihre Spur im Urwald verlieren.
Doch sie hatten keinen Proviant, obendrein zerrissene, verdreckte Kleidung, und sie waren müde und abgeschlagen. Sebastian schlug vor, einen Tag in Antaronas Haus in Falméra auszuruhen, um sich dann in der Nacht heimlich in die Wälder zu schleichen.
»Sobald es hell geworden ist, wird jemand Medunzia und den Wachmann entdecken. Bental wird Leute ausschicken, um uns zu suchen. Und er wird überall suchen lassen, nur nicht mitten in Falméra!« mutmaßte Basti.
»Eher wird er die Strände und die Umgebung der Burg absuchen lassen, weil er davon ausgeht, dass wir ins Val Mentiér zurückkehren wollen. Wir sollten sie ruhig ein, oder zwei Tage suchen lassen, bis sie müde sind. Bis dahin haben wir uns ausgeruht, und können uns auf den Weg nach Mehi-o-ratea machen, wohin uns die Wachen kaum gehen werden.« schlug Basti vor.
Antarona nickte nachdenklich und sah Vesgarina und Frethnal an. Die wagten kaum, offen ihre Meinung kund zu tun. Schließlich waren sie nur Bedienstete, und nicht gewohnt, ihre Wünsche gegenüber der Herrschaft zu äußern.
Ihre Blicke aber sprachen Bände. Sie hofften auf eine Ruhepause, denn solche Strapazen waren sie ebenso wenig gewohnt. Vermutlich begriff Antarona, dass sie mit den beiden geschwächten Gefährten nicht weit kommen würden.
Auch sie wollte das Risiko nicht eingehen, wieder in der Burg interniert zu werden, zumal sie sich in den Wäldern sicherer fühlte, als im Gemäuer der Könige. Schließlich stimmte sie zu, gab aber zu bedenken, dass sie auch in ihrem Haus Speise und Trank bräuchten.
»Wir werden abends, nach Einbruch der Dämmerung verkleidet auf den Markt gehen«, beruhigte Basti sie, »im Schatten der Elsirenfeuer wird uns niemand erkennen, und wir können unsere Beutel auffüllen, bevor wir in das Dorf der Liebe aufbrechen.«
In zwischen kündigte sich die Dämmerung mit einem blassgelben Streifen über der Bucht an. Sie mussten sich nun beeilen. Zwar lagen Stadt und Hafen noch im Dunkeln, und nur hier und dort leuchtete eine einsame Laterne, doch mit dem Erwachen der Vögel, begannen auch die Menschen Falméras ihr Tagwerk.
Sie nahmen ihre Sachen auf und marschierten zügig um den Flutgraben herum. Als sie den großen Portikus zu den Freitreppen erreichten, löschten sie die Fackeln. Dicht an die ersten Grundstücksmauern geduckt, huschten sie zur nächsten Querstraße, und weiter zu dem Bachbett hinter den Häusern, das nur wenig Wasser führte.
Das würde sich schlagartig ändern, sobald die Geschäftigkeit in der Stadt begann, und die Abwässer in den Kanal hinter den Häusern gelangten. Über Kiesbetten, grobe Steine und ausgewaschene Felsen stolperten sie im Bachlauf hinab.
Irgendwann, es schien ihnen wie eine Ewigkeit, erreichten sie die Rückseite von Antaronas ererbtem Haus. Wie Schattendiebe stahlen sie sich durch die kleine Pforte in den Garten und in den Schutz der kleinen Veranda. Doch das Haus war verschlossen, und von dieser Seite aus kamen sie nicht hinein. Einer von ihnen musste um die Häuser herumgehen und sich von der Straße her Zugang verschaffen.
Sebastian, der den Waffenrock der königlichen Heerlager trug, wollte selbst gehen. Falls er den Nachtwächtern begegnen sollte, die durch die Straßen streiften, so würde er am wenigsten auffallen. Außerdem wusste er, wo sich der Schlüssel befand.
Insgeheim verfluchte er sein eigenes Engagement, die Wachen in der Stadt deutlich zu verstärken. Insbesondere die ungesicherten Brücken und Hafenanlagen hatte er bestrebt, besser durch Soldaten überwachen zu lassen. Das mochte ihm leicht zum Verhängnis werden. Nun lief er Gefahr, von seiner eigenen Entscheidung verfolgt zu werden.
So gut es ging, brachte er seinen Rock in Ordnung und bat Vesgarina um einen ihrer Unterröcke. Verständnislos und verwundert sah ihn das Mädchen an, holte aber das gewünschte aus ihrem Bündel und gab es ihm. Wie nebenbei fragte er Antarona:
»Hast du noch irgendwo etwas Mestas?« Seine Frau blickte ihn nun ebenso irritiert an, wie zuvor ihre Kammerzofe.
»Wollt ihr euch jetzt zur Mutter der Nacht hinübertrinken«, wollte sie entsetzt wissen, »das ist kein guter Einfall!« Sebastian sah sie lächelnd an.
»Mein Engelchen, das ist der beste Einfall, seit jenem Tag, als ich dich zum ersten Mal küsste!« versicherte er ihr.
»Also, was ist jetzt, hast du noch Mestas, oder was?« Die Zeit drängte, er hatte keine Muße zu umständlichen Erklärungen, und baute einfach darauf, dass sie ihm vertraute. Antarona schürzte die Lippen, wie ein kleines beleidigtes Mädchen und gestand:
»Sonnenherz hat noch Mestastan in ihrem Bündel!« Zögernd schnürte sie ihre Felle auf. »Für die Behandlung von Wunden und Verletzungen!« fügte sie bedeutsam hinzu. Offenbar wollte sie darauf hinweisen, dass der Alkohol nicht zum Vergnügen verschwendet werden sollte. Nur widerwillig reichte sie ihm eine kleine, gelbe Kürbisflasche, die mit einem Holzstopfen verschlossen war.
Sie riss entsetzt die Augen auf, als Sebastian die Flasche an den Mund setzte, und einen mehr als großzügigen Schluck gurgelnd in seinem Rachen verschwinden ließ. Und noch erstaunter sah sie zu, wie er den Rest verschwenderisch über seine Kleider und über Vesgarinas Röckchen goss.
Dann gab er ihr die leere Flasche zurück, küsste sie lachend auf den Mund und amüsierte sich über ihren Gesichtsausdruck, der ihm bescheinigte, dass er nun völlig den Verstand verloren hatte. In diesem Glauben ließ er sie stehen und schlich sich zurück in das Bachbett, von den besorgten Blicken seiner Gefährten verfolgt.
Sebastian wusste, dass er nicht ungesehen über die Brücke und in die Straßen der Stadt gelangen würde. Er selbst hatte den Wachführern eingeschärft, besonders jene Zugänge in die Stadt zu jeder Zentare zu überwachen, die kein normaler Mensch benutzen würde. Die Bachläufe und Abwassergräben gehörten dazu.
Als er sich der nächsten Brücke näherte, fand er seine Befürchtungen bestätigt. Zwei Wachsoldaten patrouillierten auf dem Übergang über den Bachlauf bis zur nächsten Straßenverzweigung. In einem regelmäßigen, kurzen Zeitabstand trafen sie sich in der Mitte der Brücke.
Genau dort wollte er sie haben! Basti verwarf sofort den Gedanken, heimlich an ihnen vorbei schleichen zu wollen. Wahrscheinlich würde er dabei direkt in die Arme einer Stadtstreife laufen und ganz natürlich ihr Misstrauen wecken. Er musste den Wachen eine Situation vorgaukeln, die ihnen ganz plausibel erschien.
Tief geduckt schlich er sich bis fast unter die Brücke, aber nur so weit, dass er von den beiden Wachen noch gesehen werden konnte. Dann gab er sich alle Mühe, ein guter Schauspieler zu sein. Laut begann er zu würgen, zu husten und zu röcheln, so dass er schon glaubte, damit die ganze Stadt aus dem Schlaf zu reißen.
Prompt unterbrachen die beiden Wachen ihre Unterhaltung und sofort erklang von oben eine alarmierte Stimme mit warnendem Ton:
»Halt! Wer ist da? Los, zeigt euch, oder wir spicken euch mit Pfeilen, wie einen Festbraten am Talrisfest! Los, kommt raus da.., hier rauf, aber ein bisschen schnell!« Die beiden spannten ihre Bogen und nahmen dort Aufstellung, wo die Böschung zum Ende der Brücke hinaufführte.
Drohend standen sie da, gewiss ohne zu zögern bereit, ihre Pfeile von der Sehne schnellen zu lassen, sollte Sebastian zu fliehen versuchen. Aber genau das hatte er vorausgesehen. Erneut begann Basti zu röcheln und zu würgen, als müsste er im nächsten Augenblick das Zeitliche segnen. Dabei bot er ein Oskar reifes Schauspiel.
»Nun macht schon«, forderte ihn der Wachmann ungeduldig, nun mit schärferer Stimme auf, »kommt hier herauf und lasst die Hände von euren Waffen!«
»Schon gut, schon gut«, bemühte sich Sebastian zu lallen, »ich mach' ja schon!« Umständlich begann er die Böschung hinaufzutorkeln, fiel hin, robbte auf allen Vieren weiter.
Oben angekommen, wurde er von derben Händen gepackt, hochgerissen, und als er zu straucheln begann, von kräftigen Armen gestützt.
»Was wollt ihr von einem Krieger des Königs, der von seinem Weib betrogen wurde?« bemühte sich Basti so undeutlich, wie es ging, und mit schwerer Zunge zu fragen. Dabei blies er den beiden Wachen absichtlich seinen Mestas- Atem ins Gesicht, und wedelte ihnen mit Vesgarinas Unterrock vor den Nasen herum. Angewidert wandten die Soldaten ihre Gesichter ab.
»Mann, du bist ja voll, wie ein dralles Fass«, sprach der eine angeekelt, »wie willst du so in deine Kohorte zurück kommen? Welches ist dein Heerlager, wo liegt ihr, Kamerad?« Basti ließ sich gegen den Mann fallen, als könnte er sich kaum auf den Beinen halten und antwortete lallend:
»Mein Heerlager ist das Heerlager, Kamerad, da komm' ich schon hin!« Dabei wies er mit Vesgarinas Kleidungsstück wahllos im Kreis herum und zog es der Wache durchs Gesicht. Die Soldaten versuchten ihn auf Abstand zu halten, und der zweite sagte halb belustigt:
»Na, in deiner Haut möchte ich nicht stecken. Wenn du da so aufkreuzt, bekommst du die Peitsche zu spüren!« Der andere fiel nun in die Frotzeleien mit ein, seine Stimme klang beinahe schadenfroh:
»Mann, das Weibsstück hat dir ja richtig zugesetzt, ist dir wohl im letzten Augenblick aus dem Gewand geschlüpft, was?« Die beiden lachten über ihn, und er ließ sich zu Boden fallen, und rappelte sich fluchend wieder auf. Freundschaftlich legte Basti einen Arm um den Wachmann und hauchte ihm erneut seinen Alkohol geschwängerten Atem ins Gesicht.
»Glaub mir, mein Freund, die krieg ich schon noch, das kleine Biest wird mich noch kennen lernen, wird mich anflehen, ihr Lager mit mir zu teilen!» Der Mann wich vor seinen Ausdünstungen zurück und witzelte:
»Na, in den nächsten Zentaren wirst du sie kaum beglücken können, findest ja erst gar nicht zwischen ihre Schenkel!« Die beiden bogen sich vor Lachen.
Der Betrunkene war ihnen zwar auf das äußerste unangenehm, bescherte ihnen aber eine willkommene Abwechslung auf ihrem öden Wachgang. Sie machten sich über ihn lustig, doch letztlich war er einer von ihnen und sie empfanden eine gewisse Solidarität ihm gegenüber.
Dem einen fiel dann das Wappen auf Sebastians Wams auf. Er drehte Basti mit seinem Bogen herum, und sagte zu seinem Freund:
»Nun sieh dir das an! Auch noch einer aus dem Heerlager des Areos! Der wird sich noch wundern! Sag mal, wo liegen die mit ihrem Lager eigentlich?« Während Basti spielerisch versuchte, sich mühsam auf den Beinen zu halten, meinte der andere:
»Weiß auch nicht, irgendwo der untergehenden Sonne zu, glaub' ich.« Mit ihren Bogenenden versuchten sie den offensichtlich Besoffenen zu dirigieren, damit er nicht wieder umfiel.
»Na, dann bringen wir ihn mal auf den Weg«, kündigte der erste mit väterlicher, fast mitleidiger Stimme an.
»Armes Schwein, das Weib hat ihm wirklich den Rest gegeben, sag ich immer, lass' die Finger von den Oranuti Ve-ni-tries, die machen aus einem Krieger einen Weichmann, glaub' mir!«
Die zwei nahmen Sebastian in die Mitte, stützten den vermeintlich Torkelnden und brachten ihn bis an die Kreuzung zur Querstraße, an der Antaronas Haus lag. Gerade wollten sie ihn in die Richtung stoßen, wo sie sein Heerlager vermuteten, als zwei weitere Soldaten von der Stadtnachtwache aus der anderen Richtung dazu kamen.
»Sieh an, was habt ihr denn da für einen lahmen Vogel gefangen?« rief einer der beiden lachend.
»Ach, so ein armer Tropf, der an eine dieser Oranuti- Schlampen geraten ist«, gab der Gefragte zurück, »er gehört zum Heerlager des Areos. Voll wie ein Zuber bei Regen. Versuchen ihn gerade in die richtige Richtung zu bugsieren, vielleicht findet er noch zurück, bevor man ihn vermisst!«
Sebastian war froh, über seine Entscheidung, den hoffnungslos betrunkenen zu mimen. Diesen Stadtwachen wäre er glatt in die Arme gelaufen.
»Hat sich unter der Brücke erbrochen, als wir ihn fanden«, gab er als Erklärung hinzu. »Wollt ihr ihn mitnehmen?« Die Frage zielte wohl darauf ab, sich der Verantwortung zu entziehen. Die beiden neuen kamen näher heran, um sich den vermeintlich aufgefundenen genauer anzusehen.
Da blieb Sebastian beinahe das Herz stehen. Er kannte die zwei! Sie gehörten zu einer Wacheinheit, die er erst vor ihrem Aufbruch in das Tal der roten Flühen inspiziert hatte. Sie würden ihn garantiert wiedererkennen!
In letzter Sekunde tat er, als müsste er sich erneut übergeben. Halt suchend tastete er wie zufällig nach den Neuankömmlingen. Die rochen seinen Atem, befürchteten, dass er ihre Waffenröcke beschmutzen würde. Sie hoben abwehrend ihre Hände und wichen zurück, als hätte er den schwarzen Tod an sich.
»O nein«, sagte der eine schnell, »ihr habt ihn gefunden, ihr kümmert euch um ihn! Außerdem gehört die Brücke nicht zu unserem Wachgang. Und wenn ich euch noch einen guten Rat geben darf, schickt ihn in die Richtung nach seinem Heerlager, und lasst die Finger von ihm, bevor er sich noch über eurem Waffenrock erleichtert!«
Grüßend hoben sie noch einmal die Hand zum Zeichen der Freundschaft, dann gingen sie zurück, woher sie gekommen waren.
»Also«, hörte Basti wieder die Stimme des Kriegers, der ihn entdeckt hatte, und spürte, wie zwei kräftige Hände seine Schultern packten und ihn in die Richtung nach Antaronas Haus hin drehten.
»Ihr geht jetzt immer in diese Richtung. Die nächste Gasse führt euch auf die Freitreppen. Euer Heerlager liegt dort, ihr müsst die erwachende Sonne stets im Rücken behalten, dann kommt ihr schon hin!« Damit gab ihm der Mann noch einen kleinen Schubs. Sebastian taumelte davon, und war auf seine Schauspielleistung zurecht stolz.
»Na also, geht doch!« sprach er zu sich selbst, als er endlich außer Hörweite war. Bis auf Höhe von Antaronas Haus behielt er die unsichere Gangart bei. Dann drehte er sich kurz um. Die Wachsoldaten waren verschwunden, hatten sicher schon ihre nächste Runde begonnen.
Wie ein Schatten huschte er in die Nische des Eingangs und drückte sich an die Tür. Er wartete, ob sich etwas rührte, dann bückte er sich und fingerte den Schlüssel unter dem großen Stein hervor, den sie sich als Versteck auserkoren hatten.
Das Schloss protestierte knackend und knirschend. Basti hielt inne und lauschte. Er wollte nicht die ganze Nachbarschaft neugierig darauf machen, wer da seit geraumer Zeit wieder neben ihnen wohnte. Einem Einbrecher gleich schlich er sich durch die Tür. Ohne Licht zu machen, ging er zur Hintertür und öffnete sie.
»Ba - shtie, warum hat das so lange gedauert?« fragte Antarona vorwurfsvoll. »Sonnenherz wollte euch bereits folgen«, unterstrich sie ihren Unmut über die lange Wartezeit.
»Gut, dass du es nicht getan hast«, sagte Basti erleichtert, »es sind einige Wachen unterwegs, und wenn einer von ihnen Alarm schlägt, dann läuft ganz Falméra zusammen!« Antarona sah ihn besorgt an und fragte:
»Haben sie euch...?« Basti kannte die Frage, unterbrach sie mitten im Satz und schüttelte den Kopf.
»Vier Mann hatten mich beim Wickel. Ich hab' ihnen eine Geschichte vorgespielt, und sie beruhigt. Sie haben den Schwindel geschluckt, und mich unbehelligt ziehen lassen. Und keine Sorge, niemand hat mich in das Haus gehen sehen.« beruhigte er seine Frau.
Das Krähenmädchen legte Bündel und Waffen vor dem Kamin ab und begab sich zu einem der kleinen Fenster, die zur Straße hinaus lagen. Vorsichtig spähte sie durch die Schlitze der Fensterläden. Draußen war es ruhig, nur ein streunender Hund schlich an der gegenüber liegenden Häuserzeile entlang.
Antarona nickte zufrieden und wandte sich wieder den Gefährten zu, die etwas unschlüssig und verloren im Wohnraum umherstanden.
»Sonnenherz wird euch euer Gemach zeigen, es sei euer, solange ihr hier seid«, versprach sie und ging den beiden voran, die Steige hinauf. Frethnal und Vesgarina hatten Mühe, ihr mit den Bündeln über die enge Treppe zu folgen.
Sebastian durchforstete inzwischen die kleine Küche nach etwas Essbarem. Er fand ein paar Würste und Trockenfleisch, die sie bei ihrem letzten Aufenthalt in der Vorratskammer hängen gelassen hatten. Sie waren so knüppelhart geworden, dass man jemandem hätte damit den Kopf einschlagen können.
Neugierig brach er ein Stück von den Würsten ab und kostete. Man brauchte schon ein gesundes Gebiss, um das Zeug zu verschlingen, aber es schmeckte noch vorzüglich. Der Begriff Dauerwurst bekam in dieser Welt allerdings eine andere zeitliche Dimension.
Inzwischen war Antarona wieder herunter gekommen, und zog skeptisch die Stirn in Falten, als sie Sebastian kauen sah. Grinsend hielt er ihr ein Stück der versteinerten Wurst hin. Doch sie hob abwehrend die Hände und schüttelte ihre schwarze Mähne. Aufmerksam sah sie sich um, als suchte sie einen Teller, oder ein Messer.
Mit ernster Miene ging sie einen Schritt zur Seite und schob mit dem nackten Fuß etwas Schwarzes aus der Ecke zwischen Wand und Fußboden. Kleine, schwarze Hinterlassenschaften von Tieren. Darwicks!
Sebastian hörte mit einem Schlag zu kauen auf und wurde kreidebleich. Darwicks waren den Ratten seiner Welt so ähnlich, wie keine andere Spezies, und er wusste, wie viele Krankheiten diese Viecher übertragen konnten. Ganze Völker wurden im Mittelalter dadurch dezimiert.
Ohne einen Kommentar lief er nach draußen, sah sich kurz um, und stürmte in den kleinen, Pflanzen überrankten Holzverschlag, der den menschlichen Hinterlassenschaften diente. Antarona sah ihm kopfschüttelnd und mit zuckenden Schultern nach.
Ba - shtie war nun schon so lange an ihrer Seite. Sie waren bereits eine Familie. Und doch tat er regelmäßig Dinge, welche kein vernünftiger Îval tun würde. Andererseits besaß er ein Wissen über das Leben, das kein anderer ihres Volkes je erlangen würde.
Sie begann oberflächlich Ordnung zu schaffen, und warf die verdorbenen Lebensmittel in eine große Holzschale, in welche sie auch den Kehricht kippte. Das ganze trug sie nach draußen, und wäre auf der Veranda beinahe mit Basti zusammengestoßen. Der sah sie fragend an.
»Sonnenherz wird den Schmutz ihres Hauses forttun, damit nicht noch weitere Hungrige darüber herfallen«. Sie ging an ihm vorbei, durch den Garten, und öffnete die kleine Pforte zum Bachlauf, der hinter den Häusern bergab führte.
Sebastian beobachtete, wie sie den Inhalt der Schüssel in hohem Bogen herausschleuderte und dem Graben überließ. Nun war er es, der verständnislos den Kopf schüttelte.
Wenn jeder in der Stadt seinen Unrat auf diese Weise entsorgte, so würde es ihn nicht wundern, wenn der schwarze Tod eines Tages ganz Falméra dahinraffte. Er nahm sich vor, auch in dieser Hinsicht etwas grundlegend zu ändern, sobald die Gefahr von Torbuk gebannt war.
Frethnal kam mit einem kleinen Zuber die Treppe herab. Offenbar wollte er Wasser aus dem Brunnen holen, den er in Bastis Auftrag selbst wieder repariert hatte. Sebastian überlegte, ob das Wasser aus dem Brunnen eine Verbindung zum Abwassergraben haben konnte.
Genau diese Gefahr hatte noch um die Jahrhundertwende in seiner Welt für Pandemien gesorgt, der Tausende zum Opfer gefallen waren. Er stellte sich den geologischen Untergrund der Stadt vor. Jenen der Himmelsburg kannte er bereits.
Wenn das Wasser von den Bergen kam, und auf einer Fels führenden Schicht zum Graben lief, so konnte er davon ausgehen, dass es sauber war. Doch wenn nicht... Daran wollte er im Augenblick gar nicht denken! An sein Krähenmädchen gewandt fragte er:
»Hat es in Falméra schon mal die schwarze Fleckenkrankheit gegeben, wie sie das Mädchen hatte, die wir bei der Verfolgung der schwarzen Reiter im Val Mentiér gefunden hatten?« Antarona dachte einen Moment lang nach und hob dann unwissend die Schultern.
»Sonnenherz hat nie davon gehört, Ba - shtie, nur von Quaronas weiß sie, dass es dort diese Krankheit gibt.« Wenn die hygienischen Umstände dort noch schlimmer waren, überlegte er, so wunderte das nicht weiter, zumal das Klima dort für ansteckende Krankheiten noch förderlicher war.
Nur kurz keimte in ihm der Gedanke auf, dass Torbuk möglicherweise vom schwarzen Fleckentod eher besiegt werden konnte, als von einer Armee. Doch all diese Mutmaßungen hatten in dieser zeit kein Gewicht. Um solche Dinge konnte man sich sorgen, wenn wieder Frieden herrschte!
Wesentlicher war im Augenblick die Frage, wie sie an Lebensmittel und Proviant kommen sollten, um die Reise nach Mehi-o-ratea anzutreten. Sebastian hatte die Lösung bereits kund getan. Einer von ihnen ging in der Dämmerung verkleidet hinaus, und besorgte auf dem Markt, was sie für Unterwegs benötigten.
»Es wird auffallen, wenn jemand allein in dieser Zeit so viele Waren kauft«, gab Antarona zu bedenken, und fügte noch hinzu:
»Wenn die Wachen inzwischen nach uns suchen, werden sie sogleich misstrauisch, wenn jemand mit großen Mengen handelt. Die Îval tun das nur am Tage, um Vorratskammern zu füllen, oder die Wasserwagen auszurüsten. Während der schlafenden Sonne kaufen sie nur das, was sie an den Elsirenfeuern verzehren, oder zur erwachenden Sonne benötigen.«
Nachdenklich wiegte Sebastian den Kopf hin und her. Schließlich meinte er, einen Ausweg gefunden zu haben.
»Dann werden wir uns eben aufteilen. Jeder von uns bekommt eine Aufgabe, was er kaufen soll. So bekommen wir unauffällig alles, was wir benötigen, ohne uns in der hellen Sonne ansehen zu lassen!« Die anderen schienen mit seinem Vorschlag einverstanden.
Bis zum Dunkelwerden war noch reichlich Zeit. Da sie ohnehin von der Flucht durch die Katakomben der Himmelsburg ermüdet waren, beschlossen sie, sich bis zur Dämmerung auszuruhen.
Frethnal und Vesgarina zogen sich in ihre Kammer zurück, Antarona und Sebastian bereiteten sich mit einem Haufen Felle auf der kleinen Veranda ein gemütliches Lager.
Von den Nachbarhäusern aus konnten sie nicht gesehen werden, und durch den Graben ging am Tage, wenn die Abwässer hindurchspülten, niemand. Außerdem konnten sie jedes Geräusch vernehmen, das aus näherer Umgebung zu ihnen herüber drang, und sie womöglich warnte.
Laute Musik sowie der Duft nach Gebratenem und Gebackenem weckte sie. Länger, als angedacht hatten sie geschlafen, und die Dämmerung verpasst. Es war bereits Nacht. Während Sebastian einen Teil des Ringgelds in vier Häufchen aufteilte, weckte Antarona die beiden Gefährten, die so fest schliefen, dass nicht einmal die wilde Musik sie gestört hatte.
Antarona und Vesgarina kleideten sich mit gewagten Elsirenkleidern und schmückten sich mit Elsirenkronen und Armreifen. So vielen sie am wenigsten auf. Sebastian und Frethnal zogen sich die Waffenröcke der Kohortenführer an und waren damit vor Kontrollen durch die Wachen halbwegs geschützt.
Anders, als bei Elsirentänzerinnen üblich, steckten sich Vesgarina und Antarona Dolche in die tief sitzenden Hüftbänder. Waren sie zeitweise allein unterwegs, so mussten sie befürchten, von einsamen Soldaten der Heerlager bedrängt zu werden. Mit einem Dolch aber konnte sich jede Îval Respekt verschaffen.
Da viele Îval und Oranuti in den Straßen unterwegs waren, und zu den Plätzen mit den Elsirenfeuern strömten, konnten sie das Haus nicht durch die Vordertür verlassen, ohne möglicherweise das Interesse der Nachbarn auf sich zu ziehen.
Basti hatte sich ohnehin schon gefragt, wieso nie jemand nachgeforscht hatte, wer seit jüngster Zeit dieses Anwesen bewohnte. Doch das Desinteresse als Vorwand zur vernachlässigten Vorsicht zu benutzen, wagte er auch nicht.
Also schlichen sie sich in den inzwischen abgeebbten Abwassergraben und huschten an der Brücke auf die Straße. Leute, die sie von unten heraufkommen sahen, dachten eher daran, dass sie ein stilles Örtchen für ihre Zweisamkeit gesucht hatten.
Am umfangreichsten Markt, wo auch das größte Elsirenfeuer brannte, trennten sie sich. Vesgarina ging auf Bastis Wunsch mit Antarona, er und Frethnal waren jeder für sich unterwegs. Sebastian fühlte sich besser, wenn er die beiden Frauen zusammen wusste. Gemeinsam waren sie notfalls wehrhafter, als das stumme Mädchen allein.
Sebastian wanderte gezielt von Stand zu Stand, und kaufte, was sie besprochen hatten. Frethnal tat das gleiche, und die beiden Männer hatten bald alles beisammen, was sie zu besorgen hatten. Sie trafen sich am ausgemachten Treffpunkt unter einem nicht allzu hohen Baum. In seinem Schatten, vom Schein des Feuertanzes abgeschirmt, warteten sie auf die Mädchen.
Plötzlich erhob sich am anderen Ende des Platzes ein Tumult, der trotz der lauten, ekstatischen Musik bis zu ihnen herüber drang. Einige Neugierige verließen das Elsirenfeuer und umdrängten einen der Verkaufsstände auf der anderen Seite.
»Gewiss wieder so ein geiziger Oranuti, der versucht hat, einen Îval zu betrügen«, meinte Frethnal gelassen. Sebastian kniff die Augen zusammen und fixierte die Stelle, wo sich wütendes Geschrei und schadenfrohes Gelächter gleichzeitig erhoben. Doch das große Tanzfeuer blendete, und er konnte nicht viel erkennen.
»Ich sehe mal nach, was da los ist, Frethnal. Ihr bleibt hier, und wartet auf unsere Mädchen. Und rührt euch nicht vom Fleck, bis ich zurück bin, ist das klar?« Damit drückte er seinem Kammerdiener das Bündel in die Hand, in dem sich der erworbene Proviant befand, und schlenderte zu dem Geschehen hinüber, das immer mehr Interessierte anzog, und allmählich die Musik zu übertönen begann.
Antarona und Vesgarina gingen, nachdem sie sich von den Männern getrennt hatten, erst einmal zu einem Stand, von dem ein eigenartiger, zauberhafter Duft ausging. Kräuter aus dem Norden, und aus dem Süden von Oranutu gab es in getrockneter, oder pulverisierter Form.
Besonders aus den Kräutern der Oranuti, die einen mystischen und schwersüßen Duft freisetzten, wurden Seifen gefertigt, und an diesem Stand angeboten. Die Mädchen ließen sich gern locken.
Es war abgemacht, das Ringgeld nur für nützliche, der Reise dienliche Dinge auszugeben. Die lockenden, ihre Sinne betörenden Düfte aber, zogen die beiden Frauen unwiderstehlich an. Es gab edle Salben, welche auf die Haut aufgetragen, einen sinnlichen, verführerischen Duft freisetzten, und auch das härteste Männerherz zum schmelzen brachte.
Auch samtweiche Öle, mit schweren, harzigen und blumigen Düften waren zu haben. Wie ein Schlaraffenland für die Sinne bot der Stand genau das, was Frauen begeistern mochte. Selbst der Händler, ein junger, schlaksiger Bursche mit spitzbübischem Gesicht und Vertrauen erweckenden Augen, ließ manches Mädchenherz höher schlagen.
Die beiden Freundinnen befanden, dass es eine gute Entscheidung war, ein par Öle, Salben, und Seifen zu erstehen, mit denen sie ihre müden Krieger in das Reich der liebreizenden Sinne entführen konnten. Rasch hatten Vesgarina und auch Antarona ihr Lederbeutelchen gefüllt, mit den Geheimnissen der Frauen, die den meisten Männern verborgen bleiben würden.
Dann weckte ein einfacher Eselkarren ihre Aufmerksamkeit. Ein Junge, gerade mal zehn, oder elf Jahre alt, bot etwas feil, das in Falméra nicht alle Tage zu haben war. Salz! Die kleinen, weißen Kristalle, die in den trockenen Sandebenen der Oranutis zu finden waren, erfreuten sich bei den Îval ungebrochener Beliebtheit.
Viele Speisen und manches Fleisch verloren mit den zu Pulver zerriebenen Bröckchen ihre Fadheit, bescherten den Îval einen geheimnisvoll magischen Geschmack nach mehr. Entsprechend hoch war der Andrang zu der begehrten Ware. Ein kleines Beutelchen Sho-fuh, wie das Zaubermittel beim Volk genannt wurde, mochten ihnen die Männer wohl nicht verwehren.
Es dauerte eine geraume Zeit, bis Antarona an der Reihe war. Immer wieder drängten sich Küchenmägde und üppig beleibte Weiber vor, die wohl eine große Familie zu versorgen hatten. Geduldig warteten die Mädchen, bis sie durch eine Lücke schlüpfen, und zum kindlichen Händler vordringen konnten.
Aber auch mancher grober Kerl begehrte den eigentümlichen Schnee der Speisen, der mal mit einem rötlichen, mal mit einem bläulichen Farbstich eher selten zu haben war. Krieger, Jäger, oder nur einfache Bauern und Fischer wussten Sho-fuh ebenso zu nutzen, wie die Frauen, die für ihre Familien an den Öfen standen.
Ein großer, derber Zeitgenosse, der Antarona schon zuvor aufgefallen war, drängte die Frauen achtlos zur Seite und schob seinen massigen, mit Oranuti- Gewändern behängten Körper nach vorn. Deutlich vernahm sie den Gestank nach Mestas, der ihm aus allen Poren zu dringen schien. Schnell ließ sie das Beutelchen mit Sho-fuh in ihrem Einkaufssäckchen verschwinden, bevor es im Gedränge noch zu Boden fiel.
Der Mann, der wie ein typischer Wasserwagenfahrer der Oranuti gekleidet war, schien ein rücksichtsloses Verhalten gewohnt zu sein, auch wenn er nicht gerade betrunken war. Antarona roch förmlich den Ärger, den der Kerl mit sich brachte, und zog Vesgarina still mit sich zum nächsten Stand.
Groß und bärig stand der Händler mit hellblondem Schopf in seinen Auslagen, die das Licht des Elsirenfeuers hundertfach wiederspiegelten. Der Waffenschmied hatte die mächtigen Fäuste in die Hüften gestemmt und beobachtete seine Kunden, bei der Auswahl eines Schwertes, einer Saulanze, oder eines Dolches.
Er musste ein Îval weit aus dem Land der schlafenden Sonne sein, mutmaßte Antarona, denn seine Kleidung war einfach, schlicht, und mit Leder und Pelzen durchsetzt. Seine Oberarme hatten den Umfang ihrer Taille und mit einem Griff seiner Hand hätte er ihr das Rückgrat zu brechen vermocht.
Die Mädchen aber fürchteten sich nicht, denn in seinem gütigen Gesicht leuchteten offene, große Augen. Buschige Augenbrauen sowie eine viel zu große, knollige Nase ließen ihn wie einen gemütlichen Troll aussehen. Struppiges, kurz geschnittenes Haar und helle Bartstoppeln erzählten von einem harten Leben in den Wäldern und Sümpfen des Festlands.
Leicht amüsiert beobachtete er Antarona, die mit ernster, wichtiger Miene die Klingen der Schwerter begutachtete. Als sie ein kleines Steinchen aufhob, und es leicht gegen das Metall schlug, um nach dem Klang der Waffe zu horchen, zog der Riese seine Augenbrauen hoch, verschränkte die Arme vor der Brust, die leicht die Ausmaße eines großen Siede- Kessels besaß, und nickte anerkennend.
»Nun, wie ist eure geschätzte Meinung zu meinen Schwertern?« fragte er leicht amüsiert. Seine Pranke griff zu, zog eines der Einhandschwerter aus dem Holzblock, in dem die Waffen ruhten, und reichte es Antarona.
»Prüft es wohl, holde Tochter, ein besseres werdet ihr in dieser Zentare nicht mehr finden!« pries er seine Waffe an, die schlicht und unscheinbar wirkte. Die Klinge sah nicht so glänzend aus, wie jene der anderen Schwerter. Sie wirkte eher grau, von der Farbe stumpf, und wie aus Stein gefertigt. Doch als Antaronas Kiesel gegen die Klinge schlug, ertönte ein voller, heller Klang.
»Ihr wisst einer Waffe wohl auf den Zahn zu fühlen und sie einzuschätzen, wie mir scheint«, nickte der Händler beeindruckt, »wisst ihr sie aber auch zu führen, mein Kind?«
Antarona nahm das Schwert mit beiden Händen am Griff und wog es mit wiegenden Armen. Es war zu lang und zu schwer für sie. Entschlossen steckte sie es in den Holzblock zurück.
»Eine kluge Entscheidung, kleines Täubchen«, erklang nun eine raue, verächtliche Stimme aus dem Dunkel, »das Kämpfen ist wohl auch eher etwas für Männer, nicht wahr? Täubchen wie du sollten uns die Zentaren der schlafenden Sonne versüßen, und nicht mit Waffen herumspielen!«
Seitlich der Zeltplane, die den Stand überspannte, tauchte ein bekanntes Gesicht auf. Der rücksichtslose Schiffer vom Salzstand, dem Frauen offenbar nicht viel galten. Er baute sich wichtig vor Antarona und Vesgarina auf, zog eine der polierten, glänzenden Waffen aus dem Ständer, und begann wild damit herumzufuchteln. Das lange, schwere Schwert lag wie ein Spielzeug in seiner schwieligen Hand.
»So etwas solltet ihr mal versuchen, Täubchen, aber gebt acht, damit brecht ihr euch leicht eure Flügelchen.« Dann machte er mit der prächtigen Waffe eine weit ausholende Bewegung, sodass die Umstehenden ängstlich die Köpfe einzogen.
»Aber was sag' ich, ihr seid besser bedacht, mit eurem Liebreiz einen Krieger zu verwöhnen, habe ich recht?« Im Rausch des Mestas schien sich der Bootsführer unwiderstehlich vorzukommen.
Plump versuchte er Antarona in die Hüfte zu greifen, doch das Krähenmädchen hatte es vorausgesehen und sich in einer unauffälligen Drehung seiner Annäherung entzogen. Doch der unangenehme Geselle schien nicht aufgeben zu wollen.
»Wenn ihr nichts besseres zu tun habt, so will ich euch reich belohnen. Dafür müsst ihr und eure Freundin mit dem Goldschopf es nur verstehen, einen Mann wie mich mit euren Vorzügen zu beglücken! Na, wie steht es? Ein besseres Angebot bekommt ihr unter diesem Elsirenfeuer nicht mehr!«
Die Umstehenden schwiegen teils betroffen, teils entsetzt. Ein solches Angebot machte kein ehrenhafter Îval einer Frau, nicht einmal, wenn sie als Ve-ni-tries zu erkennen war. Doch niemand wagte sich gegen einen Oranuti zu stellen, schon gar nicht, da er ein Wasserwagenführer war. Schließlich brachten seinesgleichen die begehrten Waren aus den sonnigen Gefilden der Oranuti in die Stadt.
Antarona indes ignorierte den Mann vollständig, und Vesgarina zog sich mehr in den Schatten des Verkaufsstandes zurück. Antaronas Gleichgültigkeit aber reizte den Mann noch mehr, der seine Chance gekommen sah, zumal die beiden Mädchen offensichtlich ohne männliche Begleitung unterwegs waren.
Mit Schwung zog Antarona ein Schwert aus dem Block, das sehr viel kürzer, als das erste, und viel breiter geschmiedet war. Es wies ebenfalls die matte, schlichtgraue Klinge auf, die im Licht des Feuers fast schmutzig und befleckt wirkte.
Am Griff nach unten ließ sie die Waffe frei hängen und klopfte mit dem Kieselstein gegen die Klinge. Voll und melodisch klang das Schwert auf. Nicht blechern, nicht Klirrend, sondern in einem klaren, konstanten Ton.
»Mit so einem Spielzeug wollt ihr wohl euer Kräutergärtlein umgraben, oder das Ofenfeuer schüren, was?« Der von Hohn und Spott begleitete Kommentar des Schiffers traf nun auch den Händler, der bis dahin ruhig geblieben war.
»Guter Herr, ihr tut wohl daran, die Töchter der Îval zu achten, und meine Waren nicht mit euren Worten zu beschmutzen! Warum geht ihr nicht eurer Wege und lasst unsere Tänzerinnen zu ihren Feuern ziehen?«
»Was wagt ihr euch, ihr tölpelhafter Robrum? Ein Waffenschmied wollt ihr sein? Ist das alles, was ihr könnt, dreckige Eisen schärfen?« Damit riss er das Schwert aus dem Block, das Antarona kurz zuvor hinein gesteckt hatte, und warf es dem Händler verächtlich vor die Füße.
»Ich habe einen Kontrakt des Königs in der Tasche, ich weiß, wie ein gutes Schwert zu machen und zu führen ist!« tönte er herausfordernd. Dann zog er eines der blanken, sich im Feuerschein spiegelnden Zweihänder aus dem Ständer und hielt es vor sich hin, wie eine Fackel.
»Und was eure Tänzerinnen angeht«, prahlte er provokativ, »diese zwei hier scheinen kurz vor dem Verhungern, sie können sich geehrt fühlen, wenn ein einflussreicher Oranuti sie reich beschenkt!«
In Antarona kochte schon eine Weile das Feuer des Zorns hoch. Doch sie hielt sich zurück, denn sie wusste, was auf dem Spiel stand. Sie wollten um jeden Preis ein Aufsehen verhindern. Um ruhig zu bleiben, biss sie sich auf die Unterlippe und ließ das unscheinbare Kurzschwert wie einen Pendel mit einer Hand über dem Boden hin und her schwingen.
Starr waren ihre Augen auf den dünn mit Stroh besäten Boden gerichtet, sie wollte jeden Blickkontakt zu dem betrunkenen Oranuti vermeiden, um ihn nicht noch mehr zu reizen. Aber gerade das schien sie erst recht für ihn interessant zu machen.
Seine glasigen Augen fixierten sie, und sie spürte, wie er sie mit seinen lüsternen Blicken auszog und verschlang. Jede Faser ihres Körpers spannte sich, denn plötzlich wurde ihr klar, dass eine Konfrontation auf Leben und Tod nicht mehr zu vermeiden war.
Wie zur Bestätigung machte der Mann einen Schritt an Antarona vorbei und packte Vesgarina am Arm, die vor Schreck zusammenzuckte, als hätte sie ein Blitz getroffen. Er zog sie unsanft aus der Ecke in den Mittelpunkt.
»Na, wenn du nicht willst, dann vielleicht das Sonnehaar hier, was meinst du? Ist ja nicht viel dran, abgemagert und dürr wie eine Lanze!« Es war nicht genau klar, ob er die Frage an Vesgarina, oder Antarona gestellt hatte. Es war auch nicht mehr von Belang.
Langsam, fast wie in Trance, hob Antarona das Gesicht. Kein Muskel rührte sich in ihr. Eiskalt der Blick, hob sie nur ganz langsam ihr Antlitz. Gefährlich funkelten ihre dunklen Augen, schossen unsichtbare Blitze auf den Mann, der immer noch das verängstigte Kammermädchen gepackt hielt.
Der hünenhafte Händler wollte sich gerade einmischen, als eine kehlige, wie fremd wirkende, ruhige und tiefe Stimme aus Antaronas Mund erklang, die allen Umstehenden einen Schauer über den Rücken jagte.
»Ihr lasst sie auf der Stelle los. Geht zu euren fettleibigen Oranuti- Schlampen. Bei uns erwartet euch nur der Tod!«
Der eben noch so siegessichere Mann blieb mit offenem Mund stehen, starrte Antarona an, die außer ihrem Kopf nichts bewegt hatte. Wie versteinert stand sie vor ihm, ihre Blicke jedoch bohrten sich wie Dolche in seinen Leib. Er fühlte sie schmerzhaft, obwohl sie ihn nicht berührte.
Ungläubig sah er auf das Krähenmädchen, deren leichter Stoff ihres Elsirenkleides das einzige war, das zu leben schien. Vesgarina nutzte die Gelegenheit, riss sich los, suchte Schutz hinter dem riesigen Händler und blickte zitternd hinter ihm hervor.
Antarona aber stand wie zu einer Säule erstarrt. Nur in ihren Augen war etwas zu erkennen. Sie versprühten einen vernichtenden Hass, der den Schiffsfahrer stellvertretend für alle Oranuti im Lande traf. Es war ein dunkler, abgrundtiefer Hass, der ihr Herz kalt und zu Stein werden ließ.
»Na, dann eben mit uns beiden, Täubchen«, versuchte der Mann die entstandene Stille vor dem Hintergrund der jaulenden Sackpfeifenmusik, zu seinen Gunsten zu brechen.
»Eine ist mir so recht, wie die andere«, tat er lauthals kund, »jetzt werde ich dir beibringen, einen Mann zu achten, du hochnäsige Natter!«
Inzwischen war das Maß auch für den stillen, bärenhaften Händler voll. Er schob Vesgarina sanft nach hinten unter die abfallende Plane seines Stands und trat einen Schritt vor, noch unschlüssig, wie er vorgehen sollte. Doch er konnte nur noch Zuschauer sein.
Es war nicht ganz klar, was der Oranuti mit dem Schwert in seiner Hand vorhatte. Jedenfalls hielt er es drohend in die Höhe, während er mit der anderen Hand nach Antarona greifen wollte. Doch er hatte keine Chance. Sie war einfach zu schnell.
Antarona drehte sich um die eigene Achse, fasste dabei den Griff des Kurzschwertes mit beiden Händen und ließ die Klinge durch die Luft sausen. Dabei bildeten ihr Körper und das kräftige Schwert die Schwerpunkte, ihre Arme waren der Drehpunkt. Die Waffe wurde zu einem Teil ihres Körpers.
Klirrend trafen die Klingen aufeinander, Funken spritzten und der Arm des Mannes mit dem langen, polierten Schwert flog zurück. Er hatte dem zierlichen Mädchen so eine Finte nicht zugetraut, und war auf eine solch präzise Attacke nicht vorbereitet.
Ein kurzer Laut des Erstaunens ging durch die Zuschauer, die sich nun in immer größerer Zahl einfanden, um dem ungleichen Kampf beizuwohnen. Der Waffenschmied hielt sich zunächst zurück. Er ahnte, dass sich ihm an diesem Abend ein Schauspiel bieten würde, das er so schnell nicht vergessen sollte. Er nahm sich aber vor, einzugreifen, sollte der unliebsame Marktbesucher eine Tochter der Îval verletzen, oder gar töten wollen.
»Gebt es lieber auf«, warnte der immer wütender werdende Mann Antarona, »mit diesem schmutzigen Stück Eisen werdet ihr euch nur selbst verletzen!«
Für Antarona gab es jedoch kein Zurück mehr. Drohend ließ sie die Klinge des Kurzschwerts um ihr Handgelenk kreisen, und umrundete aufrecht und stolz den angetrunkenen Oranuti, der noch nicht so recht wusste, was er tun sollte.
Das Bild, dass sich den Zuschauern bot, spektakulär. Ein zierliches Mädchen mit langen, schwarzen Haaren, im luftigen, durchscheinenden Gewand einer Elsire, trat einem viel zu großen, massigen Gegner gegenüber.
Unter den Zuschauern bildeten sich zwei Gruppen. Die Mehrheit, fast ausnahmslos Îval, fieberten mit der Tänzerin mit, die kleinere Gruppe, meist Männer in den Gewändern der Oranuti, hielten natürlich zu ihrem Landsmann. Der fühlte sich durch die Unterstützung seiner Anhänger bestärkt und drohte:
»Ich will euch nicht verletzen, mein Täubchen, aber ich werde euch jetzt das Schwert abnehmen! Eine Frau sollte Haus und Hof besorgen, nicht einem Mann mit der Waffe drohen!«
»Ich bin nicht euer Täubchen, dicker Mann«, entgegnete Antarona kühl. Und mit ihrem ganzen Hass in der Stimme fuhr sie fort:
»Sagt ihr einer Îval nicht, was sie zu tun hat! Und wenn ihr dieses Schwert wollt, so holt es euch!« Ihre volle Verachtung schwang in ihrem Ton mit. Einige Umstehende klatschten begeistert Beifall, manche schwiegen betreten, oder angespannt, und einige Oranuti- Männer machten ihrer Entrüstung ob solcher Respektlosigkeit Luft.
Die Musik spielte unterdessen weiter, und die Jünglinge und Mädchen tanzten um das große Feuer. Doch kaum einer in der großen Runde der Schaulustigen achtete noch darauf. Es ging um etwas Wesentlicheres.
Die Îval hofften, dass die Oranuti, welche sich immer selbstverständlicher und fordernder in ihrer Stadt bewegten, eine Lektion erhielten. Die Oranuti hingegen hofften, dass ihr Vertreter die aufbegehrende Frau in ihre Schranken wies. Sie fürchteten nichts mehr, als den kollektiven Widerspruch des weiblichen Geschlechts.
»So, pass auf, du kleine Missgeburt«, kündigte der kräftige Oranuti an, »jetzt verlierst du dein Schwert! Pass auf, dass du nicht auch deine Hände verlierst!« Damit holte er unvorbereitet aus und ließ seine blitzende Klinge durch die Luft sausen.
Dort, wo eine Zehntelsekunde zuvor noch Antaronas Kurzschwert schwebte, fuhr seine Waffe ins Leere. Wie von einem Katapult geschnellt, war das Krähenmädchen hochgesprungen, hatte einen bühnenreifen Salto zum besten gegeben und war schräg hinter ihrem Gegner auf die Füße gekommen.
Sie wirbelte einmal um die eigene Achse, nutzte die Fliehkraft ihrer Waffe und ließ die Spitze des Schwertes über das Hinterteil des Oranuti fahren. Dessen Schwert schlug schwer auf dem Boden auf, klirrte und vibrierte bedrohlich.
Gehetzt und verwundert sah sich der Genarrte um, zwinkerte zweifelnd mit den Augen, als wollte er seinen Sinnen begreiflich machen, dass sich niemand, auch eine kleine Tänzerin nicht, in Luft auflösen konnte. Dann erst gewahrte er das Brennen an seinem Gesäß.
Während sich einige Îval bereits vor Lachen bogen und krümmten, tastete des Oranutis Hand beinahe in fürsorglicher Liebe zu seinem Hintern. Sein Gewand hatte einen Riss bekommen, und er zog seine Hand blutverschmiert zurück. Ungläubig starrte er eine Weile auf seine rot gefärbten Finger, dann drehte er sich langsam und schnaufend um.
Antarona stand gelassen, mit ausdruckslosem Gesicht da, die ausgestreckten Arme auf das schlichte Schwert gestützt. Sie hatte nun das Elsirenfeuer und einen gemauerten Brunnen im Rücken, und beobachtete ihren Kontrahenten, der sein Gesicht zu einer unkontrollierten Fratze verzog, ob nun wegen des blendenden Feuerscheins, oder wegen der Schmerzen, oder aus beiden Gründen blieb ungeklärt.
»Das wirst du mir büßen, du hinterlistige, kleine Schlange!« grunzte er gequält. »Ich werde dir den Respekt beibringen, den du vor einem Manne haben solltest, den dir deine Eltern versäumt haben, zu lehren! Und dann werde ich mir deine Brut vorknöpfen, die anscheinend zu dumm, oder zu eitel ist, so eine Rotzschlampe in Gewahr zu halten!«
Damit wandte er sich schwankend an die Umstehenden, glotzte von einem zum anderen und brüllte in die Menge:
»Hört ihr, versteht ihr mich? Zeigt euch, die ihr zu diesem achtlosen Geschöpf gehört! Ich werde ihr jetzt tüchtig den Hintern versohlen, bis sie um Gnade fleht!«
Der inzwischen dichte Kreis der Zuschauer schwieg betreten. Der flackernde Schein des Feuers verwandelte die anfangs belustigende Entwicklung in eine gespenstische Szene.
Er torkelte, drehte sich im Kreis, wohl in der Hoffnung, aus den Anwesenden die Eltern der jungen Tänzerin herauszufinden, und wäre beinahe hingestürzt. Anscheinend wirkte der Mestas in seinem Blut gehörig nach.
Antarona stand immer noch am gleichen Fleck, und hatte sich nicht bewegt. Mit versteinerter Miene sah sie scheinbar an dem vor Zorn kochenden Mann vorbei in die Nacht. Dessen Wut steigerte sich durch ihre Ignoranz ins Unermessliche.
Am meisten wurmte ihn, dass er mit diesem halbwüchsigen Mädchen nicht fertig wurde. Er, der Führer eines mächtigen Wasserwagens, durfte sich nicht wegen einer dürren Tänzerin dem Gespött der Leute aussetzen, ohne die Autorität über seine Mannschaft einzubüßen.
Er wandte sich wieder Antarona zu, seine Augen wurden zu schmalen Schlitzen und seine Stimme nahm einen gefährlichen Klang an, der keine Gnade mehr verhieß.
»Pass auf, du ehrloses Miststück, ich werde dich jetzt zeichnen, dass man in dir auf ewig die Ve-ni-tries erkennen wird! Kein Mann wird dich je mehr zu seinem Weibe nehmen, wenn ich mit dir fertig bin, das verspreche ich dir!«
Spätestens in diesem Moment wurde allen Zeugen klar, dass der scheinbar gedemütigte Oranuti nun alle Hemmungen hatte fallen lassen. Er sah sich so sehr in seiner Mannesehre gekränkt, dass er bereit war, dafür eine Tänzerin der Götter zu töten. In seinem Herzen hatte sich allmählich eine Abscheu angestaut, die im Gegensatz zu Antaronas Hass keinen ethnischen Hintergrund hatte.
Seine Wut richtete sich ausschließlich gegen den Ungehorsam einer in seinen Augen wertlosen Frau, die es noch dazu gewagt hatte, ihn vor aller Augen lächerlich zu machen.
»So, ab jetzt keine Gnade mehr, das hast du nun davon!« gab er knurrend von sich und brachte sich schwerfällig in Position. So stand er eine Weile da, und stierte Antarona an, die ihn mit gleichgültigem Schweigen strafte. Irritiert blaffte er sie an:
»Los, sag' was, verteidige dich, steh nicht so da, als gäbe es mich nicht! Los, heb dein Schwert!« Fast fing seine Stimme an zu kreischen, so steigerte er sich in seinen Zorn hinein. Antarona ließ das unberührt. Sie begann sogar ein wenig zu lächeln und nahm ihrem Gegner damit die letzte Möglichkeit, die Regeln zu bestimmen.
Der Oranuti wollte Antarona bewusst provozieren. Er wusste, dass er sich nicht über die Gesetze der Îval stellen konnte, ohne dass es für ihn Folgen haben würde. Anders, als in Oranutu, wo eine Frau weniger galt, als ein Darwick, und wo das Gesetz erlaubte, eine Frau zu töten, die einem Mann die Achtung verwehrte, gab es bei den Îval kein Gesetz, dass einer Frau das Recht versagte, sich gegen einen Mann aufzulehnen.
Er konnte nicht einfach eine Elsirentänzerin töten, ohne die Not der Verteidigung. Doch er war kurz davor, selbst diese letzte Grenze zu überschreiten. Ein vom Mestas vernebelter Verstand, verletzter Stolz und eine völlig andere Gesellschaftsanschauung trieben ihn allmählich dorthin.
»Wenn du mich nur verhöhnst, und dich nicht wehrst«, überschlug sich seine Stimme, »dann werde ich dir das Schwert wegnehmen, damit du damit nicht noch Unheil anrichtest!« Der Ankündigung folgte die Tat. Er hielt die Klinge seines Schwertes seitlich und stürmte auf Antarona los, zweifellos in der Absicht, ihr die Waffe aus den Händen zu reißen.
Das Krähenmädchen reagierte rationell und ohne großen Aufwand. Sie sprang blitzschnell zur Seite, drehte sich hinter den Angreifer und hieb ihm voller Wucht das Kurzschwert mit der flachen Klinge in die Kniekehlen, ihre Spezialität.
Der schwere Mann knickte ein, fiel auf die Knie und wurde von seiner eigenen Masse mit dem Gesicht in den Staub geworfen. Das Schwert entglitt seinen Händen, prallte gegen den Brunnen, vor dem Antarona vor Sekunden noch gestanden hatte und zerbrach mit Klirren und Scheppern.
Bevor der Oranuti ganz begriff, was geschehen war, tauchte Antarona wie aus dem Nichts direkt hinter ihm auf. Gelassen, als würde sie Pilze schneiden, schlitzte sie ihm das Gewand auf und entblößte seinen stämmigen, behaarten Körper.
Die Îval, die noch vor einigen Minuten Tränen gelacht hatten, waren verstummt. Auch dem Letzten war inzwischen klar geworden, dass aus der lächerlichen Parodie ein Kampf auf Leben und Tod geworden war.
Der halb entkleidete und nun gänzlich entwürdigte und beschämte Mann kam wieder auf die Beine und riss einen krummen Dolch aus seinem Gürtel, der nur noch den Zweck erfüllte, seinen behaarten Bauch in halbwegs würdevoller Position zu behalten.
In seinen Augen loderte pure Mordlust. Er ging lauernd auf Antarona zu, die im gleichen Abstand zurückwich. Für sie jedoch war der Kampf mit dem Bruch seiner Klinge entschieden. Sie hatte kein Interesse mehr daran, die Situation bis zum Äußersten eskalieren zu lassen. Ihr Gegner hatte seine Lehre erfahren, damit gab sie sich zufrieden.
Doch sie hatte sich einen Todfeind gemacht. Einen beschämten, gedemütigten Oranuti, für den es nur eine einzige Möglichkeit gab, seine Ehre wiederherzustellen. Die respektlose Frau zu töten! Er folgte Antarona mit verbissenem Gesicht, die rückwärts vor ihm her ging, immer im Kreis herum, an der endlosen Reihe der Schaulustigen vorbei.
Ein weiterer Oranuti gesellte sich zu den Gaffern, drängte sich bis ganz nach vorn, und erfasste mit einem düsteren Blick die Lage. Er war gekleidet wie ein Fürst, war feist von Gestalt und machte mit seinem Auftreten keinen Hehl daraus, dass er Einfluss und mächtige Freunde besaß.
Als der Feuerschein Antaronas Gesicht erhellte, verfinsterte sich das Antlitz des Fürsten noch mehr. Antarona erkannte ihn unter all den Zuschauern nicht. Sie konzentrierte sich darauf, den Abstand zu ihrem Feind nicht auf Schrittreichweite schrumpfen zu lassen.
Ohne es zu ahnen kam sie dem Oranutifürsten in der ersten Reihe der Schaulustigen immer näher. Die Mundwinkel des Fürsten bewegten sich, sein Bart zuckte nervös. Das schlanke Mädchen im hellblauen, bauchfreien Elsirenkleid bewegte sich langsam und rückwärts auf ihn zu, würde in ein par Augenblicken seinen Standort passieren.
Niemals würde Fürst Osárul, ein geachteter Freund Fürst Jamálins, vergessen, wie diese Ve-ni-tries des Areos ihn, einen Fürsten von Oranutu, vor seinen Frauen und seinen Söhnen gedemütigt hatte, ihn der auf dem Weg zum König der Îval gewesen war, als geladener Gast und Gesandter des Volkes von Oranutu. Nun sollte die Stunde der Vergeltung seine Ehre wiederherstellen!
Antarona indes wusste, dass sie die Lacher wiederum auf ihrer Seite haben würde, wenn sie das Schauspiel unendlich forttrieb, den wütenden Oranuti wie einen wilden Bullen hinter sich herjagen zu lassen, ohne ihn zum Kampf zu stellen. Ihre Absicht war, ihn erneut ins Lächerliche zu ziehen. Sie war sicher, jederzeit ausweichen, und ihn ins Leere laufen lassen zu können.
Mittlerweile hatte sie den halben Zuschauerkreis hinter sich gebracht. Da schob Fürst Osárul aus der Anonymität der Schaulustigen heraus ein Bein vor. Antarona stolperte, und fiel wie eine umkippende Säule der Länge nach auf den Rücken. Das kurze Schwert fiel ihr aus der Hand und schlug zur Seite.
Der fürstlich gekleidete Oranuti zog sich hastig durch die Menge der Neugierigen zurück, stieß mit einem Krieger im Waffenrock des Königs zusammen, änderte die Richtung und verschwand in der Dunkelheit, gewiss, dass das von ihm beeinflusste Schicksal seinen Lauf nehmen würde.
In die Lücke, die er in den Reihen der Gaffer hinterließ, drängte sich mühsam der Heerlagerführer mit dem Wappen von Falméra auf dem ledernen Brustpanzer. Sein Gesicht verbarg sich unter einer Kapuze, deren unten angenähter Kragen knapp über seine Schultern reichte. Das Wappen des Königs aber machte ihm Platz.
Als Antarona am Boden lag, sah der Wasserwagenführer aus Oranutu seine Chance. Mit erhobenem Krummdolch stürmte er auf sie los, schlug ihr mit einem brutalen Tritt das Messer aus der Hand, das sie rasch aus ihrem Gürtel gezogen hatte, und setzte seinen Fuß ohne Mitleid auf ihren Leib, so dass sie sich nicht mehr rühren konnte, und panisch nach Luft schnappte.
Hilflos ruderte sie mit den Armen, wollte sich befreien, doch der Fuß des Schiffers hielt sie gnadenlos in den Staub gedrückt. Nun sah der Waffenschmied den Zeitpunkt gekommen, in das Geschehen einzugreifen. Er wollte auf den Oranuti zugehen, der sah ihn jedoch aus den Augenwinkeln kommen und stoppte ihn mit Worten, die keinen Zweifel mehr an seiner Hemmungslosigkeit aufkommen ließen.
»Noch einen Schritt, du dummer Robrum, und mein Dolch wird der kleinen Schlampe hier die Kehle aufschlitzen!« Der Händler blieb so abrupt stehen, als wäre er gegen eine unsichtbare Wand gelaufen.
»Ich sollte dir wirklich die Kehle durchschneiden, du wertloses Miststück«, sagte er nun zu Antarona gewandt, »vielleicht sollte ich dir auch das Herz herausreißen, und es in den Staub treten.« Er machte eine kurze Pause und fuhr dann lauter fort:
»Aber ich weiß etwas viel Besseres! Ich werde dir deine Haare abschneiden, und dein Gesicht etwas mit meinem Dolch verschönern, so erkennt jeder schon von Weitem, was du für eine bist!« Dabei fuchtelte er dem Krähenmädchen mit seiner Waffe vor der Nase herum, beugte sich zu ihr herab, packte ihre Haare und riss sie rücksichtslos daran so weit hoch, wie es sein Fuß auf ihrem Körper erlaubte.
Antarona wehrte sich verzweifelt, erfolglos. Der stechende Schmerz an ihrem Haarschopf, der Fuß auf ihrem Bauch, der ihr die Rippen zu brechen drohte und ihr die Luft nahm, sowie die ohnmächtige Wut, sich diesem dummen Oranuti ausgeliefert zu sehen, trieben ihr die Tränen in die Augen.
Der Oranuti setzte seinen Krummdolch an ihrer Kopfhaut an, um ihr die Haare so kurz wie möglich zu schneiden. In diesem Moment erstarrte er. Etwas Kaltes, Spitzes, etwas Bedrohliches bohrte sich langsam in seinen Hals.
»Das würde ich an eurer Stelle bleiben lassen!« warnte ihn eine kalte, mitleidlose Stimme. Der Druck der Waffe, die aus dem Nichts zu kommen schien verstärkte sich, drohte ihm den Adamsapfel herauszuquetschen. Die Stimme wurde schärfer.
»Habt ihr was mit den Ohren? Ich sagte, ihr sollt das lassen! Los, runter von ihr, sonst wird es eure Kehle sein, die in dieser Zentare aufgeschlitzt wird!«
Der Oranuti schien auf der Stelle ernüchtert, breitete ganz langsam die Arme auseinander, und ließ seinen Krummdolch in den Sand fallen. Dann hob er vorsichtig den Fuß von Antaronas Leib, bemüht, nicht das Gleichgewicht zu verlieren, während Sebastian die Spitze seines Schwertes nicht auch nur einen Millimeter von seinem Hals nahm.
Man hätte eine Feder fallen hören können, wenn nicht die Musik im Hintergrund gespielt hätte. Niemand wagte auch nur den Ausruf des Erstaunens. Gebannt starrten alle auf den Oranuti und den Mann, der plötzlich aufgetaucht war, und es gewagt hatte, ihm Einhalt zu gebieten.
Antarona setzte sich sofort auf, hielt sich die Hände vor die bebende Brust und hustete. Ihre langen Haare hingen ihr zerzaust vom Kopf, das Elsirenkleid war seitlich bis zum Hüftband aufgerissen und voller Staub und Stroh.
»Bist du verletzt, kannst du aufstehen?« fragte Basti knapp, ohne den Oranuti aus den Augen zu lassen. Erst jetzt nahm Antarona den vertrauten Klang der Stimme wahr, und ihre Züge hellten sich schlagartig auf. Im nächsten Augenblick war sie auf den Beinen.
Sebastian nickte zufrieden und dirigierte den Oranuti mit seinem Schwert etwas mehr in die Mitte des Platzes zwischen den Marktständen. Obwohl der Mann die Arme und Hände frei hatte, hing er vor Bastis Schwertspitze, wie ein aufgespießter, nasser Lumpen, wagte nicht, sich zu bewegen, oder zu atmen. Nur seine Augen rollten wild hin und her.
Noch einmal verstärkte Sebastian den Druck vom Waffenstahl an der Kehle des Oranuti und fragte seine Frau über die Schulter hinweg:
»Können wir gehen, oder hast du hier noch etwas zu erledigen?« Antarona riss sich einen Teil des Kleides vom Leib, der sie wie ein Schleppanker behinderte und antwortete:
»Eine kleine Zentare noch!« Sie hob ihren Dolch und das kurze Schwert auf, und wandte sich dem Oranuti zu, der immer noch kein Zucken wagte.
Ohne Vorwarnung hieb sie ihm die flache Seite des Schwertes von hinten gegen seine Unterschenkel. Es klatschte laut, der Mann ächzte und einen Lidschlag später schlug er rücklings mit einem dumpfen Geräusch in den Staub. Sofort stemmte Antarona ihren Fuß auf seine Kehle. Sebastian trat einen Schritt zurück, behielt jedoch sein Schwert in der Hand.
»Was sagtet ihr noch gleich? Das Gesicht mit eurem Dolch verzieren? Haare abschneiden?« fragte sie laut, so dass jeder der Umstehenden sie hören konnte.
»Das könnt ihr haben!« Damit steckte sie ihm die Spitze des Schwertes erst in ein Nasenloch, dann in das andere, und schlitzte sie zur Seite hin auf. Der Oranuti lag röchelnd und stöhnend, mit weit aufgerissenen Augen da, wagte nicht zu schreien und glotzte das Mädchen, dass er selbst noch vor ein par Minuten peinigen wollte, angsterfüllt an. Das Blut lief ihm in Rinnsalen übers Gesicht.
Doch das störte Antarona nicht. Sie packte ihm mit ihrer zierlichen Hand in die speckigen Haare und verzog das Gesicht. Ihr Handgelenk schmerzte, wo sie der Fuß des nun am Boden liegenden getroffen hatte. Mit einer schnellen Bewegung fuhr die Klinge des Schwertes durch das ungepflegte Haar, und sie hielt ein dichtes Büschel davon in der Hand.
»Und nun hört gut zu, dies sagt euch Sonnenherz«, sprach sie in drohendem Ton. Gleichzeitig ging ein Raunen durch die Menge der Zuschauer. Der Name Sonnenherz war inzwischen nicht nur in der Stadt in aller Munde, wenn ihm auch nur wenige ein Gesicht zuordnen konnten.
»Ihr werdet Falméra noch in dieser schlafenden Sonne verlassen. Und ihr werdet niemals wieder zurückkehren. Solltet ihr noch einmal euren Fuß auf dieses Land setzen, so werdet ihr sterben!« Verächtlich warf sie ihm das Büschel seiner Haare ins Gesicht, und erhob sich.
»Sonnenherz ist jetzt fertig, Ba - shtie«, sagte sie bestimmt und ging zum Waffenhändler hinüber, der das ganze Schauspiel interessiert und gleichzeitig mit Sorge beobachtet hatte. Sie reichte ihm sein Schwert, doch der Mann hob ablehnend die Hände und lächelte väterlich.
»Ihr seid eine wahre Tochter der Îval, ihr versteht damit umzugehen, und wisst den Wert dieser Waffe zu erkennen. Sie sei von nun an euer. Ihr seid würdig, ein solches Schwert zu führen!« Der Händler verneigte sich tief vor Antarona, und im gleichen Augenblick begannen die Schaulustigen zu jubeln.
Niemand achtete mehr auf den Wasserwagenführer aus Oranutu, der wie ein geprügelter Hund auf allen Vieren zwischen den Ständen hindurch in die Dunkelheit kroch und sich davonschlich.
Antarona schnappte sich die immer noch wie versteinert dastehende Vesgarina und folgte Sebastian, der sich mit seinem Schwert in der Hand respektvoll einen Gang durch die Menge bahnte.
»Wir sollten jetzt machen, dass wir hier verschwinden«, schlug er vor, »dein Name ist gefallen, und die Sache hier wird sich verbreiten, wie ein Lauffeuer!«
Er führte sie unter den schattigen Baum, wo Frethnal ihnen fragend entgegenblickte. Sebastian nahm ihn bei der Schulter und erklärte:
»Es hat Ärger gegeben, wir müssen machen, dass wir hier wegkommen!« Sebastian hatte es noch nicht ganz ausgesprochen, als eine Schar Wachen auf den Platz marschierten.
Kurz darauf zeigten ein par Oranuti in ihre Richtung, woraufhin die Soldaten langsam auf sie zukamen. Basti und seine Gefährten nutzten den Schatten des Baumes und die Tatsache, dass die Wachen vom Elsirenfeuer geblendet waren, und schlichen in eine nahe gelegene Gasse.
Doch dieser Fluchtweg erwies sich als wenig vorteilhaft. Sie hatten etwas über die Hälfte der kleinen Straße hinter sich, als am anderen Ende drei Wachen in die Gasse einbogen. Nun hatten sie die Soldaten vor sich und im Rücken. Wohin nun?
Geistesgegenwärtig sprang Sebastian in die Eingangsnische eines Hauses und drückte den Riegel hoch. Die große Tür ließ sich öffnen. Ein dunkler Gang führte zwischen einer Hausfassade und einer hohen Mauer hindurch.
»Los, rein hier, schnell!« zischte Sebastian seinen Gefährten zu. Flüchtenden Darwicks gleich, huschten sie durch das Tor. Behutsam und leise schloss er es wieder und lauschte. Einen Moment lang wurden draußen Stimmen laut, dann verebbte das Geräusch.
Sollten sie riskieren, wieder zurück in die Gasse zu gehen, oder feststellen, wohin der Gang führte? Sebastian wagte nicht, ein Licht zu entfachen. Antarona raunte ihm zu:
»Sonnenherz wird nachsehen, wartet hier!« Damit schlich sie an Vesgarina und Frethnal vorbei und verschwand in der Finsternis.
Unschlüssig standen die drei nun da. Sebastian war mehr als einmal in Versuchung gekommen, das Tor einen Spalt breit zu öffnen, um hinauszuspähen. Doch sein Verstand sagte ihm, dass es klüger war, zunächst Antaronas Feststellung abzuwarten. Nach gefühlten Ewigkeiten kam sie zurück und berichtete:
»Der Gang führt hinter das Haus in einen großen Garten. In dem Haus wohnt ein Oranuti mit seiner Familie. Hinter dem Haus gibt es eine Mauer, dahinter ist eine Seitenstraße zum Marktplatz. Sonnenherz vermochte den Schein des Elsirenfeuers zu sehen.
»Ein Oranuti, woher weißt du das?« wollte Basti wissen. Antaronas Mund berührte seine Ohrmuschel und sie flüsterte:
»Es hängen Gewänder zum Trocknen hinter dem Haus, welche allein von Oranuti getragen werden. Außerdem wachsen im Garten keine Pflanzen, wie sie von Îval angebaut werden.« Sebastian nickte und fragte weiter:
»Was ist mit der Mauer? Kommen wir da ohne Schwierigkeiten rüber?« Antarona bejahte und fügte hinzu:
»Sie ist zwei Mann hoch, aber es sind Nischen für Lichtschalen eingelassen, tief genug, um einen Fuß hineinzusetzen!«
»Dann lasst uns keine Zeit verlieren! Ich möchte nicht, dass uns noch ein Oranuti entdeckt, und die ganze Stadt zusammenschreit! Das Theater von heute reicht mir eine Weile!« Er stubste Antarona leicht an, zum Zeichen, dass sie vorgehen sollte. Dann schob er Vesgarina und Frethnal sanft hinterher.
Die Mauer war tatsächlich nicht so schwer zu überwinden. Mit etwas Schwung konnte man seinen Fuß in die Vertiefung setzen und sich bis zur Mauerkrone hinaufziehen. Etwas Kraft in den Armen, oder Unterstützung von unten mochten genügen, um darüber hinweg zu gelangen. Doch lag das ganze Gemäuer ungeschützt, und war vom Haus aus einsehbar.
Wenn sie hier auf die andere Seite wollten, so musste es schnell geschehen. Dazu kam noch, dass sie nicht wissen konnten, was sie in der Seitenstraße erwartete. Während Sebastian noch darüber nachdachte, vielleicht doch lieber zum Tor zurückzugehen, hatte Antarona Anlauf genommen, war gegen die Mauer gesprungen und darüber gehechtet. Nun allerdings gab es kein Zurück mehr.
»Los, jetzt ihr, macht schon!« stieß Basti seinen Diener an. Frethnal begann auf die Mauer zuzulaufen, blieb aber unschlüssig vor ihr stehen. Sebastian begann sich die Haare zu raufen. Dann rannte er hinterher.
»Was soll das? Wollt ihr hier Wurzeln schlagen?« raunzte er ihn an. »Los, macht, dass ihr hinüber kommt, aber ein bisschen plötzlich!« Frethnal setzte bedächtig einen Fuß in die Nische und zog sich ungelenk in die Höhe.
»Mit Schwung! Bei den Göttern, ihr bewegt euch ja wie ein mondsüchtiger Robrum! Jetzt macht schon, hoch und rüber!« feuerte er seinen Kammerdiener an. Endlich stemmte der sich hoch. Doch so unbeholfen, wie er sich anstellte, schlug sein Dolch heftig gegen die Mauer. Keine große Sache, doch das Geräusch war deutlich zu hören.
Sebastian sprang hinzu, ein Fuß in der Nische, die Hand an der Mauerkante. Mit der anderen hand drückte er den Hintern seines Dieners mit aller Kraft hoch, bis dieser über der weiß getünchten Mauer verschwunden war. Gleichzeitig gingen im Haus zwei, oder drei Lichter an.
Ein Hund begann wütend zu bellen, und er glaubte auch Stimmen zu hören. Vesgarina stand wie versteinert im Halbdunkel zwischen Torgang und Garten. Mit einem beherzten Sprung landete Basti im gepflegten Blumenbeet der kleinen Parkanlage.
Wie ein Amokläufer rannte er zurück zu Vesgarina, packte das verängstigte Mädchen bei den Schultern, rüttelte sie in die Realität zurück und raunte ihr zu:
»So, jetzt beweist mir noch einmal, dass ihr eine Îval seid! Ihr habt gesehen, wie es geht. Los jetzt, über die Mauer!« Dabei gab er ihr einen leichten Klaps auf den Po. Das Mädchen zögerte nicht, lief los, geradewegs auf die Mauer zu.
Ihr hauchdünnes Elsirenkleid flatterte wie eine Schleier im Wind, und in Zeitlupe hätte sie einer Balletttänzerin echte Konkurrenz gemacht. Als ob sie nie etwas anderes getan hätte, sprang sie mit leichtem Fuß in die Nische, nutzte den Schwung, um nach oben zu greifen und sich federleicht über die Kante zu schwingen.
Inzwischen wurde irgendwo eine Tür aufgerissen, ein flackernder Lichtschein erhellte den Garten und ein Mann rief zornig und fordernd:
»Wer ist da, los zeigt euch, oder es ergeht euch schlecht!« Die tiefe, mächtige Stimme klang, als ob ihr Sprecher gute Argumente hatte, kompromisslose Forderungen zu stellen. Kurz entschlossen riskierte Sebastian alles. Schließlich trug er den Waffenrock des ersten Heerlagers des Königs.
Gezielt sprang er aus dem Schatten in den Lichtkegel, hob abwehrend die Hände und erklärte mit hektischer Geste:
»Fürchtet euch nicht Herr, wir verfolgen einen Dieb, der durch euer Anwesen und über die Mauer geflohen ist! Seid unbesorgt, verlasst euch auf die Krieger des Königs, wir kriegen den Kerl schon!«
Sebastian wartete erst gar keine Antwort ab, registrierte nur aus den Augenwinkeln einen feisten Mann mit Vollbart, rannte schon auf die Mauer zu und war im Handumdrehen darüber. Ein Licht blendete ihn, und unsanft landete er auf den Füßen im Staub der Straße. Erst als er sich langsam aufrichtete, wurde ihm bewusst, dass er in mehrere brennende Fackeln blickte.
»Wieso habt ihr die Fackeln ange..?« Gerade wollte er seine Gefährten über den Leichtsinn von weithin leuchtenden Fackeln aufklären, als er bemerkte, dass jemand anderes die Fackel hielt.
Ein Wachführer stand mit gezogenem Schwert vor ihm, dahinter im Schatten drei Wachsoldaten, die Sebastian erst gar nicht gesehen hatte. Der Wachmann sah ihn unsicher an, und es war mehr als offensichtlich, dass ihm die ganze Angelegenheit unangenehm war.
»Herr, vergebt eurem treuen Diener, aber diese zwei hier werden gesucht, ich habe Befehl, sie der inneren Wache zu übergeben.« Erst jetzt bemerkte Basti, dass auch Antarona das kurze Schwert, das sie vom Händler bekommen hatte, drohend in beiden Händen hielt. Vesgarina stand neben ihr, und hatte ihren Dolch gezogen. Frethnal stand etwas abseits und sah ziemlich ratlos aus.
»Jetzt mal langsam«, versuchte Sebastian mit fester Stimme die Situation zu entschärfen, »wer wird hier gesucht, und warum?«
Nervös trat der Krieger von einem Fuß auf den anderen. Er wusste, dass er die Person gefangen nehmen sollte, die seinem Kommandeur am nächsten stand.
»Herr, diese beiden hier sollen vor dem König erscheinen!« Damit deutete er auf Antarona und ihre Kammerzofe. Von ihm selbst und Frethnal war offenbar nicht die Rede. Allmählich durchschaute er die Taktik Bentals.
Der alte Fuchs wusste genau, wenn er Antarona und Vesgarina zu sich eskortieren ließ, würden er und Frethnal zwangsläufig mitkommen. So umging er die Peinlichkeit, seinen eigenen Sohn und obersten Heerführer durch die Wachen suchen zu lassen.
Sebastian war das nur recht. Er hatte nun ebenfalls keine Skrupel mehr, seine Machtposition und Beliebtheit auszunutzen.
»Hört mal«, sagte er ruhig und bestimmt zu dem Wachsoldaten, »niemand will hier Ärger machen, und der König hat sicher seine Gründe, wenn er Sonnenherz und ihre Zofe so schnell als möglich sehen will.« Er machte eine kleine Pause, um der Wache Gelegenheit zu geben, nachzudenken. Dann bestimmte er mit sicherem, autoritärem Ton:
»Ich selbst werde die beiden auf der Stelle in die Himmelsburg bringen. Ihr werdet mich ebenfalls begleiten. Wie war noch gleich euer Name?« Basti wusste, dass sich der Mann gar nicht vorgestellt hatte, doch dieser Zug funktionierte immer.
»Ramot, Herr, dritte Kohorte der Stadtwache, Herr«, kam prompt die Antwort. Sebastian nickte mit wichtiger Miene und sprach:
»Nun, Ramot, ich denke, dass wir beide genügen, um zwei Frauen zum König zu bringen, nicht wahr? Ihr könnt also eure Soldaten zurückschicken!« Der Wachführer zögerte, sah unsicher zwischen seinen Leuten und Sebastian hin und her.
»Was ist«, fragte Basti ungeduldig, und setzte den Mann damit bewusst unter Druck, »ist etwas unklar? Glaubt ihr, dass ihr eine ganze Kohorte benötigt um zwei Tänzerinnen dem König vorzuführen? Wollt ihr euch lächerlich machen? Und wollt ihr euch zudem den Unmut seiner gütigen Hoheit zuziehen, indem ihr so eine große Sache daraus macht?« Scharf sah Sebastian dem verunsicherten Wachführer an.
»Nein, natürlich nicht, Herr, ich werde die Männer dann mal wieder auf Wachgang schicken«, beteuerte er und wandte sich seinen Soldaten zu. Sebastian beschrieb mit der Hand eine einladende Geste, die den Mann in seiner Entscheidung bestärkte, und wartete, bis er seine Leute instruiert hatte.
Dann setzte sich der kleine Zug in Bewegung. Sebastian schritt voran, als hätte er die alleinige Autorität der Gruppe. Und tatsächlich hatte er ohne Worte, allein durch seine Machtstellung, das Kommando übernommen.
Nun suchte er verzweifelt nach einem Ausweg aus dieser Pattsituation, ohne dem Wachmann einen Grund zu liefern, seine Autorität in Frage zu stellen. Mit voller Absicht nahm er den Weg über den belebten Platz, von dem sie vor ein par Minuten geflohen waren, und der noch immer vom Elsirenfeuer erleuchtet wurde.
Der Wunsch, den er sich heimlich erhofft hatte, erfüllte sich. Noch immer standen die Schaulustigen um den Wasserwagenfahrer aus Oranutu herum. Es hatte den Anschein, als streite er sich nun mit dem Waffenhändler, denn es waren laute Stimmen zu hören.
Sebastian blieb stehen, und blickte forschend zu dem Menschenauflauf hinüber. Der Wachführer sah ihn fragend an.
Mit dem Kopf wies Basti knapp in die Richtung des kleinen Aufruhrs und ließ seine Frage bewusst vorwurfsvoll klingen:
»Da ist etwas im Gange, wollt ihr euch nicht darum kümmern?« Hin und her gerissen zwischen seinem Auftrag, Antarona und Vesgarina zur Burgwache zu bringen, und seiner Pflicht, in der Stadt für Ruhe und Ordnung zu sorgen, blickte er Hilfe suchend um sich.
»Wollt ihr nicht wenigstens nachsehen, was da los ist, und ob ihr etwas zu tun vermögt?« redete Basti ihm ins Gewissen. Gezielt trieb er das Spiel weiter:
»Nun macht schon, oder wollt ihr eure Zuständigkeit als Kohortenführer der Stadtwache fortgeben? Ihr wollt doch eure Stellung behalten, oder?« fragte Sebastian lauernd.
»Keine Angst, ich werde hier auf euch warten!« versuchte er den Mann zusätzlich zu beruhigen. Der Wachführer sah Basti gehetzt an. Schließlich gab er sich einen inneren Ruck und verkündete:
»Schon gut, Herr, ich werde nachsehen, ob dort alles in Ordnung ist.« Damit eilte er in die Richtung der Menschenansammlung. Sebastian verlor keine Zeit. Er holte ein par Quarts hervor und packte einen jungen Mann am Arm, der gerade an ihnen vorüberlief, und ebenfalls nachsehen wollte, was dort drüben vor sich ging.
Antarona, Vesgarina und Frethnal sahen nur verwundert zu, wie Basti kurz mit dem Mann sprach, und ihm dann die Quarts in die Hand drückte. Der Jüngling machte auf der Ferse kehrt und mischte sich unter die Zuschauer des Elsirenfeuers. Sebastian aber drängte seine Gefährten nun zur Eile.
»Los, verschwinden wir hier, die werden jetzt eine Weile beschäftigt sein!« trieb er seine Gefährten an. Sie verließen den unfreundlichen Ort in Richtung Antaronas Haus.
Der immer mehr zunehmende Lärm vom Platz lockte inzwischen jeden an, der irgendwo in der Nähe unterwegs war. Gruppen der Stadtwache, Nachtschwärmer, Tänzerinnen und Tänzer, oder nur schlichte Marktbesucher.
Die Freunde nutzten die Gunst des Augenblicks und huschten ungesehen durch die Vordertür in ihr geheimes Quartier. Die Menschen auf der Straße achteten nicht auf sie. Sie waren eher darauf bedacht, zu erfahren, was sich auf dem Markt abspielte. Aber auch Antarona wollte wissen, was sich nun dort abspielte.
»Ba - shtie, was habt ihr dem Mann auf dem Markt gesagt?« wollte sie wissen. Sebastian grinste sie hintergründig an und gestand dann mit gespielt unschuldiger Miene:
»Och, ich habe ihm nur vorgeschlagen, sich für ein par Quarts und mit ein par weiteren Zuschauern zu den Schaulustigen zu gesellen. Ich habe ihm gesagt, dass sie sich ein wenig zusammendrängen müssten, um etwas sehen zu können.«
»Meint ihr, Herr, das hält die Wachen davon ab, uns zu folgen?« warf Frethnal ein, der zugehört hatte. Sebastian setzte wieder sein Grinsen auf.
»Nun, wir sind doch hier, oder etwa nicht? Hat uns jemand aufgehalten?« Dann wurde er wieder ernsthafter.
»Aber lange können wir uns hier nicht mehr aufhalten. Die Gefahr, entdeckt zu werden, wird immer größer. Wir sollten uns einen Tag ausruhen, und morgen in der Nacht nach Mehi-o-ratea aufbrechen.«
Antarona pflichtete ihm bei, und die beiden anderen stimmten dem zu. Müde, aber auch erleichtert darüber, dass ihr Marktbesuch noch relativ glimpflich verlaufen war, krochen sie unter ihre Decken und Felle. Antarona und Sebastian benutzten das Schlafgemach, Vesgarina und Frethnal nahmen mit der kleinen Kammer nebenan vorlieb, die Sebastians Blicken bis dahin verborgen geblieben war.
     
  Wichtiger Hinweis: Die Texte des Autors Frank Adlung, insbesondere die des Romans "Das Geheimnis von Val Mentiér", sind durch notarielle Hinterlegung urheberrechtlich geschützt. Ein Herunterladen und Ausdrucken ist nur für den privaten Zweck des Lesens gestattet. Kommerzielle Nutzung, öffentlicher Vortrag, oder Vervielfältigung und Verfälschung des Inhalts, sowie öffentliche Verbreitung ohne Genehmigung des Autors sind untersagt und werden zur Anzeige gebracht.
 
 
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