Das Geheimnis von Val Mentiér
 
34. Kapitel
 
Die Hölle der Îval
 
u gleicher Zeit, ein par tausend Meter weiter, brannten bereits viele Lagerfeuer. Rauch und der Geruch von gebratenem Fleisch stiegen in die Dämmerung. Krieger, in schweren, ledernen Waffenröcken und schwarzen Überhemden, die sie über Panzern, Rüstungen und Ledergurten trugen, saßen im Kreis darum herum, aßen, tranken, Lachten und unterhielten sich lautstark und wild gestikulierend.
An so manchem Feuer wurde die Steinflasche mit Mestas oder Mestastan herumgereicht. Die Männer wussten, dass es nicht erlaubt war, doch sie scherten sich einen Kehricht darum. Und die Kohortenführer billigten diese allabendlichen Entgleisungen. Ihnen erschien es als der Weg des geringsten Widerstandes, die rüden, ungebildeten Männer unter Kontrolle zu halten.
Waren sie soweit abgefüllt, dass sie nicht mehr stehen konnten, so vermochten sie auch keine Dummheiten mehr anzustellen. So konzentrierten sich die wachhabenden Unterführer darauf, das berauschende Gesöff von den Wachen und Trupps fernzuhalten, die in allernächster Zeit gebraucht wurden.
Um die wilden, rauen Kerle bei Laune zu halten, oder auch, um sie zur Befehlstreue zu motivieren, ließen es die Kohortenführer sogar zu, dass sie sich mit den jungen Frauen und Mädchen der Gefangenen amüsierten. Dieses zweifelhafte Vergnügen beruhte jedoch keineswegs auf Gegenseitigkeit.
Im hinteren Teil des Lagers brannten einige Reihen von Fackeln im Abstand von etwa fünf bis sechs Metern. Dazwischen hatte man mittels grob behauenen Baumstämmen offene Pferche angelegt, in denen schwarze Pla-ka standen, von einigen schwer bewaffneten Posten bewacht.
Aber auch sorgsam gezimmerte Käfige wechselten die Pferche ab. Doch in diesen waren nicht etwa Robrums, oder Eishunde untergebracht. Es waren Menschenwesen, vornehmlich junge Menschen, die ihre Hände um die Gitterstäbe klammerten, und mit verängstigten Augen dazwischen hervorlugten.
Vor jedem der acht Käfige hatte sich eine Wache postiert, die aber dem Treiben in der Lagermitte mehr Aufmerksamkeit schenkte, als den Gefangenen. jedenfalls so lange, bis wieder einmal, und das geschah nach Sonnenuntergang öfter, ein Krieger daherkam, und die Herausgabe einer Gefangenen forderte.
In den ersten beiden, vorderen Käfigen saßen die Gefangenen mit besonderer Behandlung. Es waren aufgegriffene Mädchen und junge Burschen mit Oranuti- Abstammung, die laut einem Vertrag zwischen Torbuk und den einflussreichsten Oranuti- Fürsten, ihren Familien zurückgegeben werden sollten.
Die nächsten beiden Pferche waren schon mit mehr Gefangenen besetzt. Es handelte sich dabei um meist junge Îval, die noch nicht verhört worden waren, oder zum Verhör in die Kerker von Quaronas geschickt werden sollten. Je nach Fülle der Käfige wurde ein Wasserwagen mit ihnen beladen und segelte hinüber zum Festland.
Schier überfüllt aber schienen die Gitterbuden am Ende des länglichen Platzes. Hier wurden all jene eingesperrt, die entweder ohne Ergebnis verhört worden waren, oder bei denen dies aus irgendeinem Grund nicht geschehen war. Sie galten als die freien Gefangenen. Auch sie wurden irgendwann verschifft. Jedoch waren ihre Ziele die Minen und Bergbaugebiete Torbuks, weit im kalten Norden Volossodas.
Diese Gefangenen hatten keinen weiteren Wert mehr, als denn jenen, dem Untertageabbau zugeführt zu werden. Die jungen Burschen sahen meist das Tageslicht nie wieder. Sie wurden in den tiefen Löchern der Berge schlicht verbraucht.
Den Mädchen ereilten unterschiedliche Schicksale. Viele wurden dem persönlichen Vergnügen der Minenaufseher zur Verfügung gestellt. Da der Nachschub mehr oder weniger gewährleistet war, überlebten die meisten vier Mondwechsel nicht.
Andere hatten mehr Glück, wenn sie für die Kurzweil der Minenarbeiter ausgesucht wurden. Sie waren zumeist ebenfalls gefangene Îval, oft sogar vorher verschleppte Verwandte und Bekannte, und behandelten die Mädchen gut. Doch im ständigen Dunkel und Staub des Berginnern erwartete auch sie kein langes Leben.
Manchmal geschah es, dass ein Mädchen einem Kohortenführer, einem Heerlagerführer, oder gar einem Schiffer besonders gefiel. Dann behielt er die junge Îval für sich, und zuweilen wurde das Mädchen sogar in seine Familie integriert. Die Chance zu fliehen war auch dort verschwindend gering, doch sie entging zumindest den Qualen der Misshandlungen und Schändungen.
Aber nicht alle Mädchen und Burschen der Îval- Gefangenen gelangten an Bord der Wasserwagen. Nacht für Nacht wurden zwei, oder drei Mädchen, seltener ein junger Mann, von den Wachen aus den Käfigen geholt und mit unbekanntem Ziel einem Krieger übergeben. Ihre Mitgefangenen sahen sie nie wieder.
Ängstliche Augen starrten durch die harten, hölzernen Gitterstäbe in die Dunkelheit, die drohend und gespenstisch zwischen den brennenden Fackeln wie ein schwarzes Loch gähnte, dass nach ihnen lechzte, sie verschlingen wollte.
Aus dieser Finsternis trat, wie aus einer anderen Welt herein, ein großer Krieger. Beine wie Baumstämme, Arme wie Hausbalken, und ein mächtiger, von roter Mähne umkrauster Kopf schüchterte die furchtsamen Augenpaare hinter der Gittertür ein, und ließ sie in den dunklen, hinteren Teil des Käfigs zurückweichen.
Der rothaarige Riese winkte den Wachtposten heran, nahm eine Fackel aus ihrer Halterung und hielt sie dicht an den Käfig, und spähte in das Innere des Verschlags.
»Gib mir nicht wieder so eine, die gleich schlapp macht«, knurrte er geringschätzig. Erwartungsvoll trat er zur Seite, als der Wachsoldat den schweren Riegel zurückschob, dem Roten die Fackel abnahm, und in das Käfiginnere trat.
Gleichzeitig begann im Verhau daneben ein Gebrüll, dass sich zu hysterischem Geschrei steigerte. Die jungen Männer sprangen ohnmächtig vor Wut und Verzweiflung gegen die Gitterstäbe, dass diese bedenklich ächzten und knackten. Sie wussten, was mit ihren Mädchen geschah, wenn sie mitten in der Nacht geholt wurden.
Eine andere Wache, ein dünner, krummbeiniger Mann mit dem Gesicht eines Wiesels kam heran und drosch mit einem Knüppel wahllos gegen das Gitter, traf hier und dort die Finger eines Gefangenen und erntete wütendes Geheul.
Es schien ihm zu amüsieren, denn er lachte widerlich und begann nun mit seinem Stock durch die Stäbe zu stoßen, was zur Folge hatte, dass die Gefangenen in heillosem Durcheinander auf engstem Raum hin und her sprangen. Wie die Mädchen trugen die jungen Männer nur ihren Lederschurz und boten den gemeinen Attacken ungeschützte Körper.
Das wütende Gebrüll wurde durch das ohrenbetäubende Kreischen der jungen Frauen übertönt, als der Wachtposten im Käfig nebenan seine Auswahl traf. Die Mädchen, teilweise beinahe noch Kinder, klammerten sich ängstlich aneinander, und versuchten sich in ihrer Masse zu schützen. Der Wachsoldat aber setzte brutal und gnadenlos seinen harten Stock ein, um die Mädchen zu trennen.
»Schlag sie nicht noch blutig, du hirnloser Esel«, schalt ihn der Rothaarige genervt, »mit halben Leichen können wir nichts anfangen!«
Aber selbst mit seinem Knüppel wurde der Wachmann der vor Angst kreischenden Schar nicht Herr. Hatte er auf der einen Seite ein oder zwei Mädchen gewaltsam von der Gruppe getrennt, so drängten sie sich auf der anderen wieder Schutz suchend aneinander.

In der Mitte des Lagers, in einem von vielen Fackeln hell erleuchteten Zelt, das größer war, als alle anderen, stand zur gleichen Zeit ein hochgewachsener, schlanker Krieger an einem provisorisch zusammengezimmerten Tisch und hielt mit beiden Händen eine widerspenstige Pergamentrolle auseinander.
Der feine Schnitt seines Gesichts, sowie helle, wache Augen, die allerdings etwas Hartes, unerbittliches ausstrahlten, vermittelten einen höheren Intelligenzgrad, als bei den übrigen Soldaten. Sein Haar war an den Schläfen angegraut, und in der Mitte seines Schädels entstand im Heer seines Bewuchses eine deutliche Verweigerung.
Eine mächtige, weißrote Narbe zog sich von seinem linken Auge über die Wange zu seiner Oberlippe. Welches Wunder ihm seine lange, auffällig ebenmäßige Nase erhalten hatte, vermochten nicht einmal diejenigen zu sagen, welche an der letzten Schlacht gegen König Bentals Truppen teilgenommen hatten.
Da seine ganze Gestalt eine straffe, aufrechte Haltung besaß, und nicht ein Kleidungsstück unordentlich an seinem Körper saß, erzählte sein verwegener Dreitagebart, dass ihm eine schwierige Aufgabe oblag, die kaum freie Zeit zuließ. Die goldenen Epauletten und Metallverzierungen auf seinem Kriegsrock klärten seine Position.
Für diese Zeit, da das Lager allmählich zur Ruhe kam, und nur noch die feiernden Helden dieses zweifelhaften Unternehmens aktiv waren, ging es im Zelt des Heerführers noch recht Geschäftig zu. Vor seinem Tisch stand mit gesenktem Kopf einer seiner Schwarzen Reiter und beteuerte seine Loyalität und Aufrichtigkeit.
»Herr, ich irre mich nicht, es waren die Walddämonen, welche uns überfielen. Sie waren so schnell da.., sie waren überall.., wir hatten keine Zeit, unsere Waffen gegen sie zu erheben.«
Der Mann mit der Narbe sah vom Pergament auf, und fixierte die Augen seines Gegenüber mit stechendem Blick. Sein Ausdruck sprach Bände. Er glaubte seinem Reiter kein einziges Wort. Fünf Unterführer, die sich links und rechts von seinem Tisch positioniert hatten, und stumm dem Verhör folgten, zeigten unterschiedliche Reaktionen.
Während zwei von ihnen überlegen und belustigt vor sich hin grinsten, schien bei den anderen jegliche Farbe aus dem Gesicht gewichen. Sie traten nervös von einem Fuß auf den anderen.
»Und ihr seid euch sicher, dass die Dämonen so aussahen, wie ihr soeben beschrieben habt?« In der Frage des Heerführers klangen unverhohlen Ungläubigkeit, Spott und Missachtung mit. Er ließ dem Delinquenten jedoch keine zeit zu antworten und fuhr vorwurfsvoll fort:
»Dann erklärt mir mal, warum ihr euch nach dem Angriff im Wald verborgen habt, wo euch der Spähtrupp aufgegriffen hat. Hätte es nicht eure Schuldigkeit sein müssen, ohne Zögerlichkeiten ins Lager zu kommen, und zu berichten? Statt dessen habt ihr euch in den Büschen...«
Der Kommandant wurde von entferntem Kreischen und Schreien unterbrochen, das erst verhalten begann, nun aber unerträglich laut durch die Zeltleinwand drang, und eine Unterhaltung kaum mehr möglich machte. Er hob ungeduldig eine Hand und ließ sie mit aller Kraft wieder auf den Tisch krachen, so dass er das Pergament, das sich sofort zusammenzurollen begann, ungewollt platt schlug.
»Was bei den Göttern ist dort draußen los? Kann man hier nicht mal in der schlafenden Sonne seine Ruhe haben?«
Die Umstehenden fuhren unter seinem Ausbruch erschrocken zusammen, als hätten sie einen Blitz berührt. Einer der Kohortenführer tänzelte nervös auf der Stelle und wagte aufzuklären.
»Herr, die Männer haben bloß ein wenig Spaß mit ein par Frauen der Gefangenen, Herr, nehmt es ihnen nicht schlecht, Herr. Den ganzen Tag die Hitze, der Dreck, die Aufklärungstrupps, das macht mürbe, da brauchen sie ab und zu mal ein bisschen Kurzweil. Die sind in der erwachenden Sonne wieder so friedlich, wie Lämmer.«
Der Heerführer sah den Mann an, wischte fahrig mit der Hand durch die Luft, und nickte verstehend. Tatsächlich aber hatte er ihm gar nicht richtig zugehört. Etwas viel Wichtigeres beschäftigte ihn.
Wenn einer seiner Wachtrupps überfallen und hingemetzelt wurde, von wem auch immer, und sich unter seinen einfältigen Männern die Meinung und Angst verbreitete, es konnten Dämonen gewesen sein, so verlor er allmählich die Kontrolle über seine Mission.
Er wusste nur zu gut, dass die Angst vor dem Unbekannten ein noch größerer Feind war, als die Sicherungstrupps König Bentals, von denen sie bislang unentdeckt geblieben waren. Seine Erfahrungen bezog er aus der letzten Schlacht von Volossoda, die im Grunde nur durch den Tod von Bentals Sohn Areos für Torbuks Truppen entschieden werden konnte.
Ständig musste er gegen Geister kämpfen, die er nicht einmal zu Gesicht bekam. Damals in der Schlacht kämpfte er nicht nur gegen Bentals königstreue Soldaten, sondern auch gegen den Mythos von vier unbesiegbaren Schwertern, die angeblich auf der Gegenseite existierten und seinen Männern die Motivation nahm.
Dann kämpfte er gegen die ständige Bedrohung sogenannter Windreiter, die auf dem Wind geritten kamen, seine Trupps dezimierten, und mit dem Wind wieder davon wehten. Diese Legende machte die Truppen nervös, reizbar, und nicht gerade furchtlos.
Nicht zuletzt war da noch die Legende des Krähenmädchens, dass auch Sonnenherz genannt wurde. Dieser Mythos kam in den letzten fünfzehn Jahren auf. Gestört hätte es ihn nicht, denn es gab im Volossoda viele alte Legenden, die einen Befreier prophezeiten, der das Volk der Îval von der Tyrannei Torbuks und Kareks erlösen sollte.
Doch nun häuften sich die Nachrichten, dieser Befreier, in Person des von den Toten auferstandenen Areos, soll sich mit dem Krähenmädchen verbündet haben, und ein mächtiges Heer aus geistern und Soldaten zusammenziehen.
Sonnenherz soll ein besonders mächtiger Geist sein, der aus den Tiefen unter der Himmelsburg von Falméra aufgefahren war. Und immer wieder erreichten ihn Meldungen, dass dieser Geist des Nachts seine Soldaten und Spione angegriffen, und im Gespött der Menschen gedemütigt haben soll. Torbuk wurde lächerlich gemacht. Und trotz der wachsenden Unterstützung der Oranuti war die Angst vor diesen Mythen nicht in den Griff zu bekommen.
Die letzten Meldungen, die da verlauten ließen, der Befreier und das Krähenmädchen wachten nun über Falméra, brachten ihm die letzte Gelegenheit ein, sich in Torbuks Diensten zu bewähren, nachdem er im Val Mentiér immer wieder in kleinen Scharmützeln Niederlagen einstecken musste.
Sein Herr, Torbuk von Quaronas glaubte ebenso wenig an Geister und mächtige Zauber, wie er selbst. Seine Aufgabe, mit der ihn Torbuk und Karek betraut hatten, bestand darin, die Hallen von Talris zu finden, den Mythos von Sonnenherz und dem Befreier zu zerstören, und die Invasion Falméras vorzubereiten.
Scheiterte er, so würde er wohl künftig sein Dasein als Aufseher in einer der Minen, weit hinter Zarollon, nach der schlafenden Sonne hin, fristen.
Seit gestern lag ihm der Vorfall mit den Schwarzvögeln im Magen. Ein Aufklärungstrupp war von einer Wolke aus Schwarzvögeln aufgerieben worden. Einhellig berichteten die Krieger, dass ein bis an die Zähne bewaffnetes Mädchen sich in die Fluten des Flusses gestürzt hatte und als eine Wolke von Krähen wieder daraus auftauchte. Das Krähenmädchen! Der lästige Mythos hatte ihn eingeholt.
Seit einer halben Zentare nun, stand einer seiner eigentlich zuverlässigen Krieger verängstigt und zitternd vor ihm, und berichtete von Walddämonen, die seinen Wachtrupp dahingemetzelt hatten. Wenn so etwas im Lager die Runde machte, waren die Männer nicht mehr unter Kontrolle zu bringen.
Viel zu sehr waren die alten Mythen in den Köpfen der Menschen verankert. Er selbst hatte in den Lehrwerkanstalten von Zarollon studiert und glaubte nicht mehr an die alten Geschichten. Er besaß sogar gesunde Zweifel an der Existenz der goldenen Hallen von Talris, die sein Landesherr so sehr begehrte, und aus denen man die Tränen der Götter in Schalen und Trögen einfach nur herauszutragen brauchte.
Die Ablenkung, die sich seine Männer mit den Weibern der Gefangenen verschafften, konnte im Augenblick nur sein Verbündeter sein. Außerdem ließ das Geschrei gerade wieder nach...

»Die Braunhaarige dort, die mit den seidigen, langen Haaren, die sieht gesund aus, bring sie raus!« Der rothaarige Hüne, der nun allmählich die Geduld verlor, wollte das Geplänkel zwischen dem Wachmann und der Mädchen im Käfig nicht länger mit ansehen.
Das Geschrei der Weiber ging ihm durch Mark und Bein. Ihm gefielen Frauen, die stumm das taten, was ihm beliebte. Der Lärm reizt ihn und reduzierte seine Geduld inzwischen auf Null.
»Los, nun bring sie schon raus, oder soll ich das selbst besorgen?« herrschte er den anderen an. »Wenn ich die erst mal an den Haaren habe, wird sie schon friedlich werden.«
Unter dem Druck und der Drohung des körperlich überlegenen Kameraden, riss der Wachtposten das Mädchen von den anderen los, und stieß sie brutal mit seinen Knien durch die Käfigtür nach draußen, wo sie lang hinfiel.
Vor Schreck gelähmt, verstummten die anderen Mädchen. Sie meinten, dass ihrer Schwester nun die letzte Stunde geschlagen hatte, und der wilde Riesen dort draußen sie einfach erschlagen würde. Nur aus dem Dunkel des Männer- Verschlages drangen wüste Drohungen und Beschimpfungen.
Um seinem Ärger Luft zu machen, oder aber auch nur, um sich vor seinem übermächtigen Kameraden noch ein Stück zu profilieren, ging der Wachmann zum Käfig der Männer hinüber und drosch mit seinem Knüppel, wie ein entfesselter Sturm wahllos gegen die Gitterstäbe, bis auch die Burschen verstummten und zurückwichen.
Für einen kurzen Moment lag eine Totenstille über dem Platz, und selbst die Pla-ka wagten sich nicht zu mucksen. Das ausgewählte Mädchen lag im Dreck, zwischen Staub, Erde und Pla-ka- Dung und rührte sich nicht. Doch selbst im Licht der Fackeln war ihr angstvolles Zittern zu sehen.
Sie betete zu den Göttern, dass diese ihr einen schnellen, schmerzfreien Tod bescheren mochten, und dass ihre Eltern ihr verzeihen mochten, dass sie ihr Vertrauen missbraucht, und mit ihrem Geliebten in das Dorf der ewigen Jugend gezogen war.
Unerbittlich wurde ihr stilles Gebet unterbrochen. Die riesige, behaarte Pranke des Kriegers packte sie am Oberteil und riss sie gewaltsam auf die Beine. Halb stolpernd, halb schwankend blieb sie mit gesenktem Kopf vor dem Monster stehen, das sie ihren Schwestern entrissen hatte.
Ihr Lederschurz war verrutscht und das Oberteil hing nur noch wie ein Flicken auf ihren Brüsten. Weniger verschämt, als ängstlich, versuchte sie sich in ihren eigenen Schatten zu drehen, um ihre Blöße zu verbergen, denn sie wusste, was ihr wiederfahren würde, wenn dieses widerliche, rothaarige Tier Lust auf ihren Leib bekam.
Doch der stämmige Krieger hatte gar kein Interesse an dem jungen, unschuldig wirkenden Mädchen. Aber er wusste, mit welcher Gier die Männer seiner Kohorte auf das verlockende Vergnügen warteten. Und je länger er ihnen das Objekt ihrer Begierde vorenthielt, um so mehr sprachen sie dem Mestas zu.
Am Morgen würde er dann nur noch einen Haufen müder, kranker und unmotivierter Schwachköpfe befehligen, die nicht einmal imstande waren auf ihre Pla-ka zu kommen. Die Alternative war, sie mit einer anderen Sucht abzulenken. Mit der Sucht nach vermeintlichem Glück. Bei dem Gedanken sträubten sich die Haare in seinem Nacken, die unter dem Kriegsrock vom Rücken hervorlugten.
Das kleine, zappelnde Geschöpf in seiner groben Faust tat ihm sogar ein wenig leid. Aber eben nur ein wenig. Sie war nur eine Îval, eine aus dem feindlichen Lager. Wenn sie irgendwann ein Kind unter dem Licht Talris gebar, so würde dieses irgendwann gegen seinen eigenen Sohn kämpfen. Er schüttelte den Kopf, um sich von solch lästigen, frevelhaften und belastenden Gedanken zu befreien.
Schonungslos zerrte er das Mädchen an den langen Haaren hinüber zu den Pla-ka- Pferchen, riss einen groben Strick vom Zaun und legte dem Mädchen eine Schlinge um die Taille, die sich sofort schmerzhaft zuzog. Das andere Ende nahm er in die hand und zupfte noch einmal kräftig daran, um den Halt des Knotens zu prüfen.
»Syrielle, stell dich krank, wenn sie dich nehmen wollen, das hassen sie...« rief die Stimme einer ihrer Schwestern noch aus dem Käfig hinter ihr her, dann wurde sie von der scharfen Schlinge des Strickes von den Beinen gerissen, und einige Meter durch den Dreck geschleift.
Syrielle, das war ihr Name, schoss es ihr durch den Kopf. Und wie oft hatte sie es gehasst, ihn aus dem Munde ihrer Mutter, oder ihres Vaters zu hören, wenn sie tadelten, oder sie ermahnten. Würde ihr Name je wieder ausgesprochen werden?
»Hör mal zu, du dummes Weibsstück, du«, schnauzte sie der Mann an, der einem Robrum übelster Sorte glich. »Wenn du so störrisch bleibst, dann ziehe ich dich wie ein Stück totes Vieh durch das ganze Lager. Mitkommen wirst du so oder so, es liegt bei dir, ob du mit oder ohne Haut ankommst.
Dann wurde sie an den Haaren hochgerissen, und ihr wurde schwindlig, so unsagbar schmerzte ihre Kopfhaut. Die Hand, die sich in ihre langen Haare wickelte und sie brutal hoch hielt, obwohl ihr die Knie einzuknicken drohten, spürte sie gar nicht.
Dafür schnitt das grobfaserige Tau in die weiche Haut ihrer Taille, es brannte und stach fürchterlich und sie hatte das Gefühl, von zwei Schwertklingen zerschnitten zu werden. Kurzatmig zog ihren flachen Bauch noch weiter ein, um Luft zu bekommen. Doch es nützte wenig, weil sich die Schlinge sofort weiter zu zog.
In einer Mischung aus Verzweiflung, Aufbegehren und nackter Angst stolperte sie hinter dem Mann her, der ihr wie ein mit Leder überzogener Berg aus Fleisch vorkam. Er stank fürchterlich. Sie versuchte in seinem Windschatten auf den Beinen zu bleiben und nahm den Geruch von Rauch, altem Schweiß, Pla-ka, und den Ausdünstungen dieses ekelhaften Viehs wahr.
Im Laufen - sie machte drei Schritte, wo ihr Peiniger einen benötigte - versuchte sie ihren Lederschurz wieder auf ihre Hüfte und das Fell besetzte Oberteil zurück über ihre Brüste zu ziehen. Sie wollte diesen Abschaum nicht auch noch mit ihrer Blöße dazu reizen, über sie herzufallen.
Syrielle. Dieses bisschen letzte Hoffnung in ihr, das noch einmal ihren Namen rief. Würden ihre Eltern noch einmal ihren Namen nennen? Ihre Schwestern, ihr heimlicher Geliebter, würden sie es tun? Würden sie sich ihrer erinnern, oder würden all jene sie bald vergessen haben? War das alles? Mehr gab es nicht?
Wo sie nun endlich dieses mitreißende Gefühl der Liebe entdeckte, das wie Fliegen und Fallen zugleich war, wie erfüllt und nagend, wie wirbelndes Laub im Bauch... Da sollte sie sterben? Aber so vieles wollte sie noch sehen, erleben...
Ein Schmerz zuckte durch ihren Fuß, trieb ihr die Tränen in die Augen. Sie begann zu humpeln. An einer hervorstehenden Zeltstange hatte sie sich die Zehen angestoßen. Dass ihre nackten Füße allein schon von den umherliegenden Steinen bluteten, hatte sie gar nicht wahrgenommen.
Syrielle hielt sich verzweifelt mit beiden Händen am straff ziehenden Strick fest, um nicht wieder hinzufallen. Links und recht blendeten sie Feuer, die aus dem Dunkel auftauchten, wieder verschwanden, erneut ein kurzes Brennen auf ihrem Gesicht auslösten und sie dann wieder der kalten Finsternis überließen.
Fackeln an Zelteingängen, Feuer, an denen grölende und brüllende Männerfratzen sich wie tanzende Teufel gebärdeten, verzerrte Grimmassen, die ihre krummen Zähne in gebratenes, fettiges Fleisch schlugen. Diese Eindrücke huschten an ihr vorüber, formten sich zu einer einzigen Hölle aus Feuer, Finsternis und tiefster Abscheu, aus der sie keinen Weg mehr heraus fand.
Eine Hand griff aus dem Dunkel nach ihr, grabschte nach ihren Brüsten, ein Gestank nach totem Fisch hauchte sie an. Im Laufen drehte sie sich angeekelt weg, spürte plötzlich einen stechenden Schmerz, als die Hand flach und klatschend auf das dünne Leder schlug, das knapp ihren Po bedeckte.
Neue Tränen ergossen sich über ihre glühenden Wangen, welche die alten noch nicht getrocknet hatten. Wieso gab es Menschenwesen die so waren? Diese hier sollten so sein, wie ihr Vater. Doch sie waren wie Dämonen, wie Tiere, wie Kreaturen voller Hass, Bosheit und Ekel.
In ihrem Kopf sah sie die Heuhütte hinter dem haus ihrer Eltern. Der Ort, wo sie ihren Frieden fand, wenn sie etwas bedrückte. Ihr Ort der Zuflucht, ein Raum für sich selbst, aber doch in der sicheren Obhut von Mutter und Vater, in der Sicherheit Falméras.
Sie versuchte sich in das Gefühl zu flüchten, das sie stets empfunden hatte, wenn sie ihren Kummer dem weichen, wohl riechenden Heu ihrer Hütte anvertraute, in das sie sich hineinkuschelte, und sich verbarg, vor jedem Unbill ihrer unverstandenen Jugend. Sie sehnte sich nach dem harzigen Geruch der Holzwände, nach dem Duft der getrockneten Kräuter im Heu, nach dem entfernten Geräusch, wenn der Vater die Sense für die Ernte dengelte.
Ein brennender Feuerring um ihre Taille riss sie aus dem Traum, in den sie sich flüchten wollte. Sie war beinahe geradezu in eines der vielen Zelte gelaufen, hatte gar nicht mehr auf den Weg geachtet. Mit einem kraftvollen Ruck riss sie der Rotschopf zurück, der Strick schnürte ihre Taille zusammen, schnitt in die Haut und nahm ihr den Atem.
Ohne den Schritt zu verlangsamen, zerrte der Krieger die junge Frau durch das Lager, unerbittlich, gnadenlos, kompromisslos. Ihm war es im Grunde egal, in welchem Zustand sie bei seiner Kohorte ankam. Sie musste nur noch am Leben sein, damit die dummen Kerle ihren Spaß mit ihr haben konnten. Es widerte ihn an, für diese Katzbuckligen Kreaturen auch noch die Mutter der Ve-ni-tries spielen zu müssen.
Er hatte daheim in Quaronas eine Tochter, wie dieses Mädchen hier. Zähne knirschend verdrängte er den Gedanken, sein Kind könnte eines Tages das gleiche Schicksal ereilen. So durfte er nicht denken. Das hier war etwas anderes. Er war Krieger, und das hier war ein Krieg. So waren nun einmal die Spielregeln.
Mitten hinein in den Versuch seiner gedanklichen Rechtfertigung stolperten zwei Männer, die aus dem Dunkel nahe dem Zaun heranstolperten, der das Lager großzügig umzog.
»Könnt ihr nicht aufpassen, ihr Ochsen«, schnauzte er die beiden Männer in Wachröcken an und wunderte sich, dass sie nicht den Eindruck machten, betrunken zu sein, ihn aber dennoch ansahen, als hätten sie gerade Bekanntschaft mit einem Zähne fletschenden Riesenwasel gemacht.
Das Mädchen, das seine Eltern Syriel genannt hatten, und das von ihren Freundinnen nur Syrie genannt wurde, wich im letzten Moment den beiden Wachsoldaten aus. Sie sah in ihre Gesichter, die kurz vom zuckenden Feuerschein einer Fackel beleuchtet wurden. Sie sah den blanken Wahnsinn in diesen Fratzen, und glaubte immer mehr daran, in einem bösen Traum gefangen zu sein.
Das alles konnte nicht wirklich sein. So viel Böses, Niederträchtiges und Abscheuliches gab es doch gar nicht. Angestrengt kniff sie die Augen zusammen. Sie wollte aufwachen, zurück in ihre Welt, in der das Böse darin bestand, dass ihr Vater jenen ablehnte, den sie mehr liebte, als sich selbst.
Doch als ein weiterer, elender Schmerz durch ihren Fuß zuckte, wusste sie, dass sie sich tatsächlich in der Hölle befand. Eine Hölle aus Finsternis, Feuer, Kälte und voller schrecklicher Kreaturen, die sie auffressen würden. Bei dem Versuch, im Weiterhumpeln ihren Fuß anzusehen, stürzte sie der Länge nach hin.
Neben der sich zuziehenden, brennenden Schlinge des Kälberstrickes, fühlte sie etwas Weiches, Nasses, Kaltes. Es stank nach Pla-ka. Sie spürte, wie ihr kurzer Lederschurz nass und schwer wurde, und an ihren Schenkeln klebte. Ebenso schwer wurden ihre Haarspitzen, legten sich wie Lehm auf ihre Schultern und schienen sich dort festzusetzen. Allein ihre nackten Füße, die seit einiger Zeit brannten, empfanden die kühle Nässe als angenehm.
Nach einem heftigen Ruck der Schlinge, der sie zusammenzucken ließ, lockerte sich das Seil. Mit fahrigen Bewegungen tastete sie nach dem kleinen Stück Leder ihres Hüftschurzes und zog es über ihre beim Fall entstandene Blöße, obwohl es nun voller Schlamm war. Doch es war das einzige, das noch etwas von ihr zu verbergen vermochte. Angeekelt hielt sie ihre beschmierte Hand von sich gespreizt.
»Kannst du nicht aufpassen, du dummes Stück«, blaffte sie ihr Bewacher an, »nun sieh dich mal an! Siehst aus, wie ein schleimiger, aus der Kackgrube gezogener Wafan. Los, hoch mit dir, meine Männer werden dich schon rupfen.«
Damit riss er das Mädchen hoch, das nun sein letztes Quäntchen Würde verloren hatte. Schluchzend stolperte sie hinter dem groben Klotz her, spürte, wie das mit nasser Erde und Pla-ka- Kot besudelte Leder um ihre Oberschenkel klatschte und fühlte sich so erniedrigt, wie nie zuvor in ihrem Leben.
Sie empfand sich schmutzig, schlecht und verachtenswürdig. Insgeheim betete sie. Sie bat die Götter, die sie immer behütet hatten, um ein Ende dieser Odyssee, sie bat aus tiefstem Herzen darum, dass sie aufwachen möge, und nur schlecht geträumt hätte. Doch ihr Erwachen sollte sich als schlimmer erweisen, als das, was sie bislang erleiden musste.
Der Rothaarige zerrte sie vorbei an vielen Lagerfeuern, die ihr mit unruhigem Licht die Augen blendete, dann wieder durch kalte, dunkle Zeltgassen. Licht und Schatten rauschten an ihr vorüber, wie eine unwirkliche Welt, obwohl sie ein großes Lager kannte. Das ganze Dorf der ewigen Jugend, Mehi-o-ratea, war ein einziges, großes Lager von Strohhütten, Zelten, und offenen Lagerstätten.
Doch dort traf sie an jedem Feuer Freunde, Gleichgesinnte, Menschenwesen, die nichts anderes wollten, als ihre Freiheit und ihre Träume leben. An den Feuern, an denen sie nun vorübergetrieben wurde, saßen Teufel. Unter ihnen war sie verloren und verlassen von jeglicher Wärme und Hoffnung.
Als der Rothaarige das Mädchen in den Lichtkreis des Feuers stieß, erhob sich ein Gejohle, das, wenn es an anderer Stelle ausgestoßen worden wäre, vielleicht mit dem Anfeuern in einem Turnier verglichen werden konnte. Diese Männer aber, die hier beisammen saßen, waren nur noch Tiere. Mestas und Mestastan hatten ihre Sinne vernebelt.
Vielleicht hatte sich der eine oder andere sogar an einer gefangenen Elsire berauscht, und sich in die Gier nach den Reizen einer Frau hineingesteigert. Nicht gerade zimperlich zog der Kohortenführer den Strick um Syriels Taille auf und befreite sie von dem einengenden, brennenden Ring.
Verloren, völlig desorientiert und verwirrt stand sie zwischen dem Feuer und den gaffenden, glotzenden Männern, die ihr vorkamen, wie schauerliche Dämonen, die ihre Beute begutachteten. Die Angst lähmte sie, und sie wagte nicht, sich auch nur einen Millimeter zu rühren. Den Schmerz ihrer nackten Füße, das Brennen um ihre Taille, sie spürte es nicht mehr. Das Bild der in zuckendem Licht auf sie zukommenden Höllenwesen bannte sie.
»Die ist ja über und über mit Kot und Dreck beschmiert, was soll das?« protestierten diejenigen unter den Männern, die noch halbwegs nüchtern waren.
»Was sollen wir mit so einem dürren Schmutzhühnchen? Warum hast du uns nicht eine duftende, Blüte mitgebracht?« tönte eine andere Stimme aus der Gruppe. Der rothaarige Kohortenführer, der den Kälberstrick zusammengerollt und an eine Zeltstange gehängt hatte, drehte sich gereizt um.
»Für euch Dreckskerle reicht die ja wohl, oder? Wascht sie halt, macht sie sauber, wenn ihr diesen Unterschied überhaupt noch mitbekommt!« In seiner Stimme schwang deutlich Geringschätzigkeit und Verachtung für seine Männer mit. Angewidert wandte er sich ab. Sollten die Idioten sie so nehmen, oder in Blüten hüllen, ihm war es ziemlich egal.
Missgestimmt verschwand er in seinem Zelt, um seine Knute zu holen. Erfahrungsgemäß würde er sie brauchen, wenn einige seiner Krieger über die Stränge schlugen und begannen, das Lager auseinander zu nehmen.
Die groben, an Brutalitäten jeglicher Art gewöhnten Krieger standen zunächst um das Mädchen herum und gafften sie an, als wüssten sie nichts mit ihr anzufangen.
»Holt ein par Eimer Wasser, damit wir sie sauber machen können«, kreischte einer aus ihrer Mitte, und man hörte deutlich, dass er seine Stimme schon nicht mehr unter Kontrolle hatte. Ein par Atemzüge später drängte sich ein Mann mit fies grinsendem Gesicht durch die Reihe und holte mit einem Tränkeneimer aus.
Der Schwall eiskaltes Wasser traf Syriel völlig unvorbereitet, denn ihre Wahrnehmung war bereits dabei, sich ihrem Geist zu entziehen. Mit einem schrillen Aufschrei stürzte sie zu Boden. Einige Wasserspritzer landeten im Feuer und für einen Augenblick wurde sie von einer Dampfwolke eingehüllt.
Der Schock der eisigen Dusche riss sie wieder in die grausame Welt zurück. Taumelnd kam sie wieder hoch, und das auch nur, weil sie Angst hatte, zu nahe an das Lagerfeuer zu geraten. Da erwischte sie bereits die zweite Ladung des kalten Wassers.
Diesmal fiel sie nicht mehr um. Sie schnappte nach Luft und hatte das Gefühl, von einer Faust des Todes umklammert zu werden. Allmählich, als tauchte sie aus einem See auf, drang das Gejohle und Gelächter ihrer Peiniger in ihr Gehör. Triefend nass klebten ihre langen Haare auf ihren nackten Schultern; sie zitterte und fror erbärmlich, während die letzten kleinen Bäche an ihr herab strömten.
Wieder kam einer der Männer mit einem vollen Eimer und schwang ihn bedrohlich in ihre Richtung, von hysterischem Geschrei seiner Kameraden angefeuert. Syriel duckte sich etwas. Die Reflexe kamen automatisch. Doch es nützte ihr nichts. Die anonyme Silhouette vor ihr führte den Schwung seiner Arme von unten nach oben.
Der eiskalte Schwall erwischte sie voll, und sie glaubte sich tausender von feinen Nadeln ausgesetzt, die plötzlich in ihre Haut drangen. Ihre Lunge überschlug sich fast, als sie verzweifelt versuchte, Luft zu holen. Dabei taumelte sie nach hinten, bis sich ein anderer Schmerz in ihrer Ferse ausbreitete. Sie war dem Feuer zu nahe gekommen und in die Glut getreten.
Eine letzte Wut flammte in ihr auf, angestachelt durch den Schmerz, den sie auf ihrer Haut, an den Füßen und in ihrer Seele verspürte. Ihre Sinne erwachten noch einmal zum Leben. Sie stürmte vorwärts, für die Männer unvorhersehbar, blitzschnell.
»Na langsam wird das Hühnchen wieder sauber, dann können wir es ja rupfen...« Syriel hörte den Spott, wie eine aus ferner Finsternis kommende Stimme, als sie den erstbesten Kerl ansprang, wie eine Pantherin. Sie spürte, dass sie nun bald im Reich der Toten sein würde, bei den Göttern. Doch dieses ekelhafte Vieh wollte sie mitnehmen, auf die ewige Reise.
Mit der Kraft unbändiger, kurz und heftig entfesselter Wut grub sie der anonymen Fratze ihre kleinen Finger in die Augenhöhlen. Ihre Krallen schlossen sich und öffneten sich wieder, um erneut zuzugreifen. Der Mann, zunächst völlig überrascht, brüllte vor Schmerz auf, wirbelte herum, schüttelte sich und warf das Mädchen in hohem Bogen zu Boden.
Der Aufprall raubte Syriel kurz den Atem. Dann kam sie taumelnd wieder auf die Beine. Nach und nach sickerte der Verstand wieder in ihren Kopf zurück. Sie spürte etwas warmes, klebriges in ihren Fäusten. Etwas, wie ein glitschiger Stein in warmer Masse.
Der Mann, den sie attackiert hatte, schrie wie am Spieß, hielt sich die Hände vor die Augen und seine Kameraden sahen entsetzt zu, wie Bäche von Blut über sein Gesicht liefen, und am Kinn abtropften. Er torkelte nach hinten weg, verfing sich in den Leinen eines Zeltes und schlug hin.
Ein anderer Kerl, der immer noch einen Eimer in der Hand hielt, erwachte aus seiner Überraschung, holte aus, und schleuderte Syriel das eiskalte Wasser entgegen.
Ernüchtert, klatschnass und bis ins Mark frierend, stand das Mädchen da. Das Leder ihrer Kleidung hatte sich mit Wasser voll gesogen. Ihr Oberteil war verrutscht und legte ihre Brüste bloß. Der Lederschurz war so schwer geworden, dass er an ihrer Hüfte zog, und sie hatte das Gefühl, dass er mit jedem Atemzug weiter abrutschte.
Wie ein bleierner Vorhang hingen die langen, tropfenden Haare von ihrem Kopf herab. Kleine Bäche rannen an ihrem Körper herab, fielen auf ihre geschundenen Füße. Ihre Hoffnungslosigkeit wurde ihr wieder bewusst, umklammerte ihr Herz mit erdrückender Angst, während sie in die verschwitzten Masken der Männer blickte, die langsam zu teuflischem Leben erwachten. Hilflos sah sie sich der Übermacht ausgeliefert.
»Jetzt bist du aber fällig, du Miststück!« hörte sie wie aus weiter Ferne, und »für uns bist du jetzt sauber genug. und jetzt wirst du mal ein bisschen nett zu uns sein, nicht wahr?«
Schwankend trat ein mittelgroßer Krieger vor, der offenbar mehr dem Mestas zugesprochen hatte, als er vertragen konnte. Sein wüster Haarschopf glänzte fettig und ungepflegt im Licht des Feuers, die Riemen seines Kriegsrockes hingen halb geöffnet herunter, als hätte er gerade eine schwere Schlacht geschlagen.
Zitternd vor Angst und Kälte stand Syriel da, zu keiner Bewegung fähig. Sie schloss die Augen, als könnte sie so diesem Alptraum entfliehen. Da spürte sie die kalten, schweißigen Hände des Mannes ihre Hüfte umfassen. Unter dem Gejohle seiner Kameraden zog der Mann das nasse Mädchen an sich und vergrub sein Gesicht in ihrer Halsbeuge und sog genüsslich die Luft ein.
Angewidert drehte Syriel den Kopf zur Seite, ein eiskalter Schauer fuhr über ihren Körper. Sie nahm den Gestank wahr, den der dreckige Kerl verströmte, und war kurz davor, sich übergeben zu müssen. Die Hände in ihrer Taille packten fester zu, und plötzlich wurde das Mädchen heftig durchgeschüttelt.
»Jetzt zier dich nicht so. Jede Maid wäre glücklich, von dem großen Huron beglückt zu werden. Der Huron, das bin ich, und wenn du dich schön fügst, wird es ganz schön für dich!« Um seine Absicht zu bekräftigen, drückte er brutal zu, so dass Syriel wieder einmal keine Luft bekam.
Die anderen umstehenden Männer lachten laut auf. Es schien, dass sie sich weniger über das hilflose Mädchen amüsierten, als eher ihren Kameraden mit Hohn und Spott bedachten, der sich und seinen Namen hoch pries.
Die Wunde, die der Kälberstrick hinterlassen hatte, brannte fürchterlich unter dem festen Griff ihres Peinigers und Syriel konnte nicht verhindern, dass sie einen hellen Schrei ausstieß.
»So, du willst es also nicht anders«, stellte der Krieger unmissverständlich fest, und wandte sich plötzlich an die anderen Männer:
»Bringt Felle her, der Ve-ni-tries werde ich schon zeigen, was es heißt, einem Huron zu spotten!« Dabei schien er gar nicht zu realisieren, dass er vielmehr von seinen Freunden verhöhnt wurde, die sich daran belustigten, wie umständlich er sich bei dem Mädchen anstellte. Tatsächlich aber brachten zwei Männer einen Stapel mit Fellen, die sie dicht beim Feuer auf den Boden warfen.
»Mach nicht so ein Gewese um das Weib, nimm sie einfach, oder überlass sie uns!« grölte ein anderer Krieger, dem das ganze wohl zu lange dauerte. Der Mann schwankte wieder, und hätte Syriel beinahe umgerissen. Dann stemmte er ein Bein vor, hob das hilflose Mädchen hoch und warf sie in brutaler Weise auf den Fellhaufen.
Die Pelze waren weich. Doch das Mädchen traf mit so heftiger Wucht auf, dass ihr die Luft weg blieb, und fast die Sinne schwanden. Alles drehte sich um sie herum, die Fratzen der wilden Krieger, die Feuer, die Dunkelheit der Nacht. Trotz ihrer Benommenheit strengte sie sich an, wieder hoch zu kommen.
Mit einem Ruck fuhr sie auf und stieß mit ihrer Stirn gegen etwas, das knirschend zurück wich. Sie nahm gar nicht wahr, dass ihr Gegner sich bereits über sie gebeugt hatte. Der Schwung, mit dem sie hoch kam, brach dem Mann schlicht die Nase. Laut brüllend und heulend taumelte der Kerl unter dem Spottgelächter der anderen Männer zur Seite. Auf Mund und Kinn breitete sich Blut aus, und nun sah er wahrlich wie ein Teufel aus. Ihm war der Appetit auf die Reize der jungen Îval vergangen.
Syriel wollte von dem Fellhaufen rutschen und auf die Beine kommen. Statt dessen spürte sie, wie grobe Pranken ihre Handgelenke umfassten, brutal ihre Arme nach hinten rissen, und sie wieder auf den Fellbuckel zerrten. In diesem Augenblick wurde ihr bewusst, dass sie sterben musste.
Eine grobe, kräftige Hand griff in ihr Oberteil, riss es brutal von ihren Schultern und warf es hinter ihr ins Feuer. Der widerliche Gestank, den das nasse, angebrannte Leder verbreitete, hielt die wilden Teufel nicht von ihrem Vorhaben ab.
Nachdem ihr Kamerad ausgestochen war, fielen die skrupellosen, betrunkenen Männer mit entfesselter Gier über das Mädchen her. Anscheinend meinten sie, dass ihnen jede weitere Verzögerung den Spaß nehmen würde. Einer zog sie an den Handgelenken auf den Fellhaufen zurück, und hielt ihre Arme fest, während zwei andere je links und rechts ihre Füße festhielten.
Syriel spürte, wie ihr der nasse Lederschurz über den Bauch geschoben wurde, und sie fühlte die kalte Luft an ihrer Blöße. Ihr ganzer Körper verkrampfte sich und sie glaubte, allmählich zu Stein zu werden.
Dann machte sich der vierte über das hilflose Opfer her. Er ging dabei so rücksichtslos und gnadenlos vor, dass die Schreie des Mädchens über das ganze Lager hallten. So entsetzlich und verzweifelt waren die Laute, dass dem rothaarigen Kohortenführer in seinem Zelt das Blut in den Adern gefror. Er war ein hart gesottener Krieger, doch was dort draußen vor sich ging, trieb ihm würgende Übelkeit aus dem Magen hoch.
Das Mädchen, das ihre Eltern bei ihrer Geburt liebevoll und stolz Syriel genannt hatten, teilte nun das grausame Schicksal, das viele ihrer Schwestern aus dem Val Mentiér bereits erleiden mussten, und nur langsam davon erlöst wurden.
»Kéeeni, kéni.., kéni, kéeheheeeniihiie!«
Kéni. Das Wort, das bei den Îval für Nein, für Ablehnung, für Widerwillen stand, bekam in diesen Sekunden, da es verzweifelt, mit letzter Kraft, und Mark erschütternd schrill über das Lager gellte, eine andere Bedeutung. Es wurde zu einem Betteln nach Gnade, zu einem Bitten nach erlösendem Frieden, nach dem inbrünstigen Wunsch, nur noch tot zu sein.

Im hell erleuchteten großen Zelt schlug der Kommandant erneut mit voller Wucht auf den Tisch, dass es nur so krachte, und man den Eindruck gewinnen konnte, er wollte das gute Stück mit einem Schlag entzweien. Alle Anwesenden fuhren zusammen, und die drei Wachsoldaten, die vor seinem Tisch standen wichen erschrocken zurück.
»Was soll der Lärm dort draußen? Ihr dort«, er sah einen seiner Berater scharf an, »seht zu, dass dieses Geschrei endlich aufhört, oder ihr alle landet in Quaronas tiefstem Kerker!«
Dann blickte er den drei Wachen starr in die Augen, hob langsam die Hand und winkte sie mit gekrümmtem Zeigefinger näher zu sich heran. Zögernd und mit schuldbewusst gesenktem Kopf näherten sich die drei. Der Mann in der Mitte hatte bereits die erste Rüge verdaut, als die anderen beiden ins Zelt gebracht wurden.
Der Kommandant war außer sich vor Zorn gewesen und tobte derart wild um seinen Tisch herum, dass er ihn mit samt den Karten und Plänen darauf umgestoßen hatte, als er vernahm, dass die beiden von kleinen Bäumchen angegriffen wurden, die plötzlich vor ihnen aus dem Boden gewachsen waren.
Mit zusammengekniffenen Augen musterte er nun die Blut verkrusteten Wunden der beiden Delinquenten. Walddämonen, Baumdämonen, wandelnde, kämpfende Bäumchen, die seine Wachen schneller dezimierten, als eine große Schlacht es vermochte. Er glaubte nicht an solchen Unsinn! Aber die Männer in den Zelten dort draußen, sie glaubten an solchen Unfug.
Wenn das so weiter ging, hatte er in kürzester Zeit eine Panik im Lager, die das ganze Unternehmen zum Scheitern bringen konnte. Wenn er es nicht verhinderte, dann konnte er sich schon mal mit den Minen der dunklen Berge anfreunden. Unwillkürlich musste er an seine Familie denken. Wieder knallte seine Hand auf den Tisch.
»Wie es aussieht, haben sich die drei des Wachvergehens schuldig gemacht«, wandte er sich an seine Berater, »sie fantasieren unter dem Einfluss von Mestas, welcher ihnen auf Wache verboten worden war. Sperrt sie ein, bis sie wieder klar im verstand sind, und keine kriegerischen Bäumchen mehr sehen!«
Ein Lakai, der sich bisher im Hintergrund gehalten hatte, rief die Schildwache herein, und ließ die drei leise vor sich hin protestierenden Wachmänner abführen. Als die drei in der Mitte der Bewacher um das Zelt herum traten, wurden sie Zeugen eines Vorfalls, der sie still und nachdenklich machte.

Das Mädchen Syriel konnte nichts anderes tun, als das Martyrium über sich ergehen zu lassen. Arme und Beine konnte sie nicht bewegen, und die grunzende, verzerrte Visage über ihr versuchte sie zu ignorieren. Doch der Schmerz breitete sich in ihrem leib aus, vernebelte nach einer Weile ihr Gedächtnis, brachte ihr Herz aus dem Rhythmus, und ihren Geist in eine schützende Benommenheit.
Aber immer wieder reifen Schmerzen und Schläge sie in die grauenhafte Wirklichkeit zurück, für Augenblicke nur, in denen sie ihre Pein hinaus schrie in die Welt, die sie bestrafte, weil sie lebte. Ihren Unterleib spürte sie nur noch als ein hohles Brennen, ihre Beine schienen Tausende von Zentaren gelaufen zu sein. Sie fühlte sich ausgeweidet, zerrissen und wie ihrer Seele beraubt.
Da ließ die Umklammerung ihrer Glieder nach, die Fesseln, die sie auseinander zu reißen drohten, lösten sich. Im Irrsinn, in den sie mittlerweile versunken war, begann sie wild zu strampeln, denn sie hatte das Gefühl ertrinken zu müssen.
Der große, stämmige Mann, der nun an der Reihe war, sich mit dem Mädchen der Feinde zu vergnügen, schob seinen Vorgänger ungeduldig zur Seite, riss sich die Schnallen seines Kriegsrockes auf und warf das Rüstzeug achtlos zur Seite. Sein kahler, bulliger Kopf glänzte im Schein des Feuers, als er sich über die scheinbar teilnahmslose junge Frau beugte.
Wie ein Hammer traf ihn Syriels Ferse am Kinn, als sie zu strampeln begann. Es knirschte hässlich, er verzog schmerzhaft das Gesicht, taumelte ein par Schritte zurück, wurde von seinen Kameraden aufgefangen und wieder nach vorn gestoßen. Für die groben Kerle war das eine Belustigung der besonderen Art. Sie grölten und johlten und feuerten den Getroffenen um so mehr an.
»Lässt du dich von dem kleinen Hühnchen umhauen? Los, zeig ihr, dass die Krieger Torbuks standhaft sind, mach hin, wir wollen auch noch!« Syriel hörte es nicht mehr. Seelischer und körperlicher Schmerz hatte sie mit dem erlösenden Nebel des Wahnsinns eingehüllt. Sie starrte nur noch apathisch in den Nachthimmel, ihr Mund bebte, wie in einem heimlichen Stossgebet, als der Mann plötzlich und mit Wut verzerrter Miene auf sie einschlug.
Seine Pranke erwischte ihren Oberkörper, und schleuderte sie geradezu von dem Fellhaufen herunter, drehte sie um sich selbst, und sie schlug mit ihrer Schulter und ihrem Kopf in der Randglut des Feuers auf. Sofort verbreitete sich ein bestialischer Gestank.
Einer von zwei Wachsoldaten, die gerade mit drei Kriegern in ihrer Mitte vorbeikamen, zog das Mädchen geistesgegenwärtig aus der Glut. Zwischen Entsetzen und Verständnislosigkeit schüttelte er angewidert mit dem Kopf. Aber was ging es ihn an? Er hatte schließlich nur diese drei Idioten einzusperren. Was diese verrohten Reiter mit ihren Gefangenen anstellten, vermochte er ohnehin nicht zu ändern.
Die fünf Männer verschwanden in der Dunkelheit. Jene Krieger aber, die sich mit der kleinen Îval vergnügen wollten, traten um das reglos im Dreck liegende, still vor sich hin wimmernde Geschöpf und beugten sich neugierig über sie.
Ein verkohlter, noch glimmender Span ragte dem Mädchen unterhalb der Schulter aus dem Rücken. Es war grotesk anzusehen, denn ihre Hautpartien waren ebenfalls ein Opfer der Glut geworden, und der Span sah aus wie ein verstümmelter, verschmorter Arm. Einer blaffte den Glatzkopf böse an:
»Du Riesenxebronvieh. Sieh, was du getan hast! Jetzt können wir mit ihr nichts mehr anfangen. Los, geh, und hol uns eine Neue! Aber achte darauf, dass es eine ist, die nicht wieder so ein Krakeel veranstaltet!«
In diesem Augenblick trat der große, rothaarige Kohortenführer wieder aus seinem Zelt heraus. Er blickte düster in die Runde, sah den Fellhaufen vor dem Feuer, und seine Männer um etwas Unbekanntes herumstehen. Tendar, der Glatzige verließ gerade die Runde und verschwand in der Dunkelheit.
Der Rotschopf rümpfte die Nase. Es roch nach verbranntem Fleisch, nach Mestas und Schweiß. Er warf einen Blick auf das nackte, geschundene und offenbar bewusstlose Mädchen und sah seine Männer halb tadelnd, halb zornig an. Aber er sagte nichts. Es hätte auch kaum etwas genützt. Ekel überkam ihn.
Was hatte er getan? Er war es gewesen, der diesen Hohlköpfen die junge Frau ausgeliefert hatte. Nun war sie tot. Missbraucht und erschlagen. Ausgelöscht von Tieren, von seinen Männern, die im Rausch ihrer Gräueltaten nicht einmal mehr Achtung vor sich selbst besaßen. Angewidert wandte sich der Unterführer von der Szenerie ab, die sich vor seinem Zelt abgespielte.
Er ging in einer nie da gewesenen Benommenheit durch die Zelte in die Dunkelheit hinein. Am Zaun, der das Lager einfriedete, blieb er stehen, stützte seine riesigen Hände auf das Querholz, atmete gequält und stoßweise und ließ den kalten Wind über sein Gesicht streichen. Dann beugte er sich plötzlich über die Stange und übergab sich.
In seinem Kopf schwirrten die Widersprüche durcheinander wie Insekten. Dafür schwitzten seine Hände, sein Mund war staubtrocken und ein übler Geschmack machte sich breit, in seinem Magen aber schien sich ein Vakuum zu bilden. Er war in arge Bedrängnis geraten. Er wollte sich gegen solche Entgleisungen und Verrohungen stellen. Doch heulte er nicht mit den Wölfen, so würde er sehr schnell selbst von ihnen zerrissen werden.
Zitternd blieb er eine Weile vor der Zaunstange stehen. Ihm war, als hätte jemand einen Knüppel in seine Kniekehlen geschlagen. Sein Magen rebellierte immer noch, doch er zwang sich dagegen anzukämpfen. Langsam schüttelte er den massigen Kopf, und sprach in die trügerische Stille der Nacht hinein:
»Mögen die Götter uns verzeihen und gnädig sein, für das, was wir hier tun...«

Syriel lag leise wimmernd am nassen, kalten Boden. Die schweren Verbrennungen an Rücken, Schulter und Armen spürte sie nur als einen unangenehmen Druck, eine Spannung und eisige Kälte. Ein par Tränen rannen ihr aus flatternden Augenlidern die Nase herab, versickerten in der Erde ihrer Heimat.
Erst ein Brennen, dann eine Taubheit schien von ihrem Körper Besitz zu ergreifen, breitete sich von ihrem Rücken über ihren ganzen Leib und die Glieder aus. Sie hatte das Gefühl, als löste sich ihr Leib in der Luft auf.
Unhörbar für die rauen Gesellen, die sie bereits für tot hielten, hauchte sie die letzten drei Worte ihres jungen Lebens in die kalte Nachtluft:
»A-neph-ni, O-nem-ró, ne-mi-hálà«. Ihr letzter Gedanke galt ihren Eltern, die sie um Verzeihung bat. Dann verspürte sie plötzlich ein Gefühl der Wärme. War sie wieder ins Feuer gefallen? Nein. Es war eine gütige, umsorgende Wärme, wie sie eine erfahren hatte, als sie Kind war, und ihre Mutter sie in die Arme genommen hatte.
Die Stimmen der menschlichen Teufel wanderten immer weiter fort. Sie ließen sie in der Finsternis zurück. Aber es war gar nicht dunkel. Aus der anderen Richtung leuchtete ein Licht, das immer stärker wurde. Sie sah genauer hin und erblickte drei alte Männer in weißen, leuchtenden Gewändern, wie sie die Gelehrten in Falméra trugen.
Doch diese hier waren anders. Sie erstrahlten nicht im Licht Talris, oder des Mondes, sondern leuchteten von innen heraus, als wären die Körper der Männer selbst das Licht. Ihre Gewänder waren an den Säumen mit den Tränen der Götter besetzt und glänzten strahlend und funkelnd. Die weißen, langen Haare der Männer wehten leicht im Wind, und trotzdem sie auf Syriel zugingen, bewegten sie ihre Füße nicht.
»Komm mit uns, Tochter der Îval«, sprach einer mit sanfter Stimme, »ziehe in unser Reich ein, in das Reich der alten Könige, in das Reich Talris und des Lichts, hoch über dem ewigen Eis.« Syriel hob ihren Kopf und antwortete:
»Ich kann nicht mit euch ziehen, Herr. Mein Leib und meine Füße sind geschunden und die Kraft ist aus meinem Körper und Geist gewichen. Mein Weg ist hier zu Ende, Herr.« Kraftlos fiel ihr Kopf zurück. Doch der Mann ließ sie nicht in Ruhe und ermahnte sie mit ruhiger Stimme:
»Nein, meine Tochter, dein Weg ist hier keinesfalls zu Ende. Hier fängt er erst an, und wird dich weit fort führen, dorthin, wo deine Bestimmung sich erfüllen wird. Stehe nun auf und folge uns!«
Das Mädchen fühlte sich schwach und verloren, doch allmählich spürte sie die Kraft in ihren Körper zurückkehren. Die Forderung der Männer, ihnen zu folgen, war so drängend, so zwingend, dass sie all ihre Kraft zusammen nahm und sich erhob.
Sie wunderte sich, wie leicht es ihr fiel, und stellte erstaunt fest, dass sie ihren Lederschurz und das Fell besetzte Oberteil trug. Die Sachen waren weder zerrissen, noch nass. Sie fühlte sich warm und trocken. Außerdem waren all ihre Schrammen, Wunden und Blutergüsse verschwunden, die ihr die Reiter Torbuks zugefügt hatten.
Einer der Männer reichte ihr ein dünnes, weißes Gewand, dass sie sich sogleich anlegte. Es war so leicht und von so feinem Gespinst, und umhüllte sie doch mit schützender Wärme. Kein Elsiren- Kleid, das sie je getragen hatte, war edler gewebt. Sie drehte sich, um sich in dem neuen Gewand zu betrachten, und erschrak so heftig, dass ihr Herz stillzustehen drohte.
Ihr zu Füßen lag ein nackter, geschundener Leib, übersät von Dreck, Schnitten und Verletzungen. Das Gesicht lag halb in der nassen Erde. Doch die andere Hälfte war vom Feuer beleuchtet. Es war ihr eigenes Gesicht! Sie selbst lag dort, wo die brutalen Männer sie hatten liegen lassen. Und nun sah sie auch die Männer der wilden Horden, die sie umstanden, und ratlos zu ihr hinunter blickten.
Aber sie blickte ja zu ihnen herab. Die aber ignorierten sie, nahmen sie gar nicht wahr. Sie starrte auf das Geschehen, entsetzt darüber, dass die Männer sich über sie beugten, ihren zermarterten Körper betrachteten, obwohl sie doch neben ihnen stand. Sie begriff nicht, was hier geschah. War das alles nicht wahr gewesen, ein böser Traum, aus dem sie nun allmählich erwachte? Doch wer waren dann diese weißen Männer?
Sie blickte neben sich, und sie waren ebenfalls wirklich da. Einer, der bisher still gewesen war, deutete nun in die Richtung, wo gerade die Sonne ihren Lauf zu beginnen schien.
»Tochter der Îval, folge uns nun in das Licht, welches jegliches Leid von dir nehmen wird, welches dich fortan begleiten wird, und dich fortan beschützen wird, und fortan stets in dir sein wird.« Dann gingen die drei ihr voran auf das Licht Talris zu. Den bösen Traum ließ sie zurück in der Finsternis.
Sie folgte den Männern durch das Lager der Wilden Horden. Doch niemand kümmerte sich um sie. Männer saßen an Feuern, an denen sie sehr nahe vorübergingen, doch sie sahen sie nicht. Dort hinten standen die Käfige mit ihren gefangenen Schwestern und Brüdern, auch an ihnen gingen sie dicht vorbei, ohne, dass jemand Notiz von ihnen nahm.
Syriel rief die Namen ihrer Freundinnen, doch keine der Gefangenen reagierte. Selbst der Wachmann schien sie nicht wahrzunehmen, und ebenfalls nicht der große glatzköpfige Krieger, der sie gequält hatte, und nun aus dem Dunkel in den Lichtkreis der Fackeln trat.
Dann bewegten sie sich immer schneller, erreichten das Dorf der ewigen Jugend, Mehi-o-ratea, ja, sie flogen geradezu darüber hinweg, über die vielen Feuer, die Schilfhütten, und über das große Elsirenfeuer, an dem sich das ganze Dorf versammelt zu haben schien.
Immer näher kam das ferne Licht. Zuvor führte sie der Weg über Falméra hinweg. Die Stadt war hell erleuchtet, überall feierte das Volk, nur die Burg Falméra, an der sie nun in Windeseile vorüberzogen, schien zu schlafen. Ihre Fenster waren nicht erleuchtet.
Schließlich überquerten sie den Hafen, den Strand, und die vor Anker liegenden Wasserwagen der Oranutis. Und wie durch ein Wunder vermochte Syriel über das Wasser zu laufen, schnell, wie ein Vogel, und sie sah unter sich die Wellen des großen Wassers hindurchhuschen, während das helle Licht so groß wurde, dass sie glaubte, hineinzufliegen.
Je näher sie dem Licht kamen, und je mehr sie von diesem aufgenommen wurde, desto wärmer wurde ihr. Es war nicht die Wärme eines Feuers in kalter Nacht. Nein, das Licht schenkte ihr eine Wärme die ihr Herz umhüllte, wie ein schützendes Heim.
Auf einem Mal gingen sie auf einem Boden, wie jener, den Syriel einmal in der Burg Falméra betreten hatte, so rein, so sauber, so hell. Nur, dass dieser hier leuchtete. Auch die hohen Wände und das unerreichbare Gewölbe der hohen Decke, welche aus Nebel zu bestehen schienen, glühten im warmen, geheimnisvollen Licht.
Das Mädchen fühlte sich befreit, aber dennoch geborgen, und so glücklich, dass sie vor Freude am liebsten gesungen hätte. Immer wieder kamen ihr Menschen entgegen, die sie kannte. Doch viele von ihnen waren bereits in das Reich der Toten eingegangen. Dennoch begegneten sie ihr.
Da, unverhofft, kamen ihr ihre Eltern entgegen, und mit ihnen ihr Bruder, der beim Besuch ihrer Tante im Val Mentiér von den Wilden Horden verschleppt worden war. Weinend vor Glück nahm das Mädchen seine Familie in die Arme. Sie war endlich wieder Zuhause!

Vesgarina stand am Gitter des Verschlags und starrte durch die Dunkelheit zum Nachbarkäfig hinüber. Sie konnte nur Frethnals Umriss erkennen. Die Fackeln, die an den Pferdeboxen angebracht, und teilweise bereits ausgebrannt waren, spendeten nicht mehr viel Licht.
Seit das Mädchen, dass sie Syrie nannten, von einem Krieger fortgeschleppt worden war, versuchte sie den Blickkontakt zu ihrem Geliebten zu halten. Irgendwann hatten sie die fürchterlichen Schreie gehört. Erstarrt hatten sie dagestanden, kaum gewagt zu atmen, und niemand sagte ein Wort.
Die Mädchen umarmten sich und weinten, die jungen Männer standen stumm und sahen zu Boden. Jeder wusste, was die Schreie zu bedeuten hatte. Dann war es still geworden. Zu still! Und plötzlich hatte Vesgarina das Gefühl, Syrie war ganz in der Nähe.
Es war nur eine Ahnung, ganz vage nur, als wollte sich Syrie von ihren Schwestern verabschieden. Für einen kurzen Moment spürte sie die Gegenwart des Mädchens, dessen Schicksal sie geteilt hatte, und die mit ihr gefangen war. Dann meinte sie in einem Windhauch zu spüren, wie Syriel zu laufen begann, als nahm sie Anlauf, als hatte sie es plötzlich sehr eilig in das Reich der Götter zu gelangen.
Die unbestimmte Wahrnehmung wurde abrupt unterbrochen. Ein großer Mann kam aus dem Dunkel, aus der Richtung, wo die Zelte des Heerlagers standen. Nicht gerade elegant tapste er heran.
»He da, Wache, merket auf, und gebt mir eine der Îval heraus!« krächzte er mit unnatürlich heiserer Stimme.
Der Wachmann eilte herbei und musterte den Ankömmling. Der Mann hatte eine Glatze, und einen bulligen Eierkopf, war groß und massig von Statur, und besaß einen dümmliches Gesicht. Die Gürtel und Riemen seines Waffenrocks standen halb offen, und hingen ihm wie stümperhaft an den Leib genagelt.
Als der Wachhabende den Mestas- Gestank in die Nase bekam, den der Mann ausdünstete, drehte er sich weg und ging zu den Käfigen hinüber.
»Aber eine, die nicht so viel Gezeter macht! Die letzte hat Doran und Sertok ganz schön zugesetzt«, erklärte Tendar, der Glatzkopf und fügte noch rasch hinzu: »Dafür ist sie jetzt bei den Göttern.«
Skeptisch drehte sich der Wachgänger zu dem Kahlen um und zog vorwurfsvoll die Augenbrauen hoch.
»Mann, soviel, wie ihr verbraucht, da bleibt ja keine mehr übrig, um Torbuks Aufsehern das Leben in den Minen zu versüßen. Die sind sicher nicht erbaut davon, wenn nur die Burschen bei ihnen ankommen.« Der Glatzige machte eine wegwerfende Handbewegung und rief ungeduldig:
»Quatsch nicht so geschwülstig, und mach hin, sonst ist die Nacht vorbei, bevor wir unseren Spaß hatten!«
In seiner Ruhe gestört, schob der Aufseher mit einem zornigen Ruck den Riegel zurück. Seinem Missmut verlieh er zusätzlich Ausdruck, indem er die Käfigtür mit einem solchen Schwung aufriss, dass diese gegen die Gitterstäbe knallte und zu zerbrechen drohte.
Die Mädchen, die inzwischen begriffen hatten, dass wieder eine aus ihrer Mitte geopfert werden sollte, drängten sich in der hintersten Ecke des Verschlags zusammen. Nur Vesgarina blieb an den Gitterstäben stehen. Innerlich spürte sie, dass sie nun vom Schicksal auserwählt war. Sie wusste, dass es wenig Zweck hatte, dagegen aufzubegehren.
»Eine, die nicht viel sagt, so eine Stille?« fragte der Wachmann über die Schulter hinweg den Glatzigen, als wollte er sich vergewissern, dass er richtig verstanden hatte.
»Ich glaube, da hab ich was für dich. Die hier hat noch nicht ein Wort geredet, seit sie hier ist. Frage mich, ob die überhaupt eine Stimme hat.« Damit packte er das abseits stehende, blonde Mädchen und zerrte sie aus dem Käfig. Die Wenderin wehrte sich nicht. Auf eine unbestimmte Art fühlte sie, dass ihr Schicksal besiegelt war.
Doch in dem Käfig der jungen Männer, begann Frethnal zu toben, als hätte ihn plötzlich der Irrsinn ereilt. Mit Händen und Füßen klammerte er sich an die kräftigen Holzstäbe, zerrte an ihnen herum, trat wie wild dagegen, und brüllte, als galt es, die ganze Welt zu verfluchen.
»Ihr elenden Mistrobrums, ihr ehrlosen Söhne einer Ve-ni-tries, lasst sie los, ihr dreckigen Abkömmlinge von verrotteten Eishunden! Sie kann euch doch gar nichts geben, sie ist doch mit dem Fluch der Götter belegt, seht ihr das nicht, ihr räudigen, verquansten Mestasleichen, ihr...«
Der lange Knüppel des Aufsehers zischte durch die Stäbe und traf Frethnal hart am Kopf. Areos Diener hatte sich derart wild gebärdet, dass er den Wachmann und seinen ausgestreckten Arm viel zu spät kommen sah. Mit einem tiefen Seufzer sank er auf den festgetretenen Boden des Käfigs.
Vesgarina musste hilflos und mit entsetzten Blicken zusehen. Das stumme Mädchen wollte sich losreißen, zu ihrem Geliebten stürmen, und ihm zu Hilfe kommen. Doch die kalte, schweißige Hand des Glatzkopfes hielt sie an ihrem Oberteil fest.
Ehe sich die Wenderin versah, legte sich die andere Hand des wie ein todkranker Troll aussehenden Kriegers um ihren schlanken Hals und drückte unerbittlich zu.
»Schön hier bleiben, mein kleines Hühnchen«, krähte der Mann, und seine Stimme klang im Vergleich zu seiner Größe geradezu lächerlich. Dafür schien er kaum abschätzen zu können, wie viel Kraft er besaß. Vesgarina hatte das Gefühl, er wollte ihr die Gurgel aus dem Halse drücken. Verzweifelt schlug sie um sich, sie meinte ihre Augen müssten platzen, und in panischer Angst strampelte sie unkontrolliert mit den Beinen.
Unerwartet ging der Aufseher dazwischen, der das Geschehen aus den Augenwinkeln beobachtet hatte, während er noch am Männerkäfig stand. Er versetzte dem Glatzkopf einen leichten Schlag mit seinem Stock auf den Schädel und schimpfte:
»Du dämlicher, ungehobelter Klotz, siehst du nicht, dass du ihr die Luft abdrückst? Wollt ihr noch eine Tote beglücken? Ich sage dir, das war die Letzte, die ihr von mir bekommt, wenn ihr euch nicht zusammenreißt. Töten kann ich die Weiber selbst, wenn ich will, dazu brauche ich euch Hohlköpfe nicht!«
Grunzend, wie ein missgelauntes Wisent ließ der Glatzige Vesgarinas Hals los, hielt sie aber immer noch im Rücken ihres Oberteils fest im Griff. Würgend und hustend schnappte das Mädchen nach Luft, und versuchte wieder zu gleichmäßigem Atem zu kommen.
Der trollhafte Mann aber ließ ihr keine Chance, ihre Lungen zu beruhigen. Er zog sie unerbittlich hinter sich her. Stolperte sie, so schleifte er sie an ihrem Oberteil, dessen Schnüre ihr in die Seite schnitten und ihre brüste schmerzhaft zusammenpressten.
Mühsam versuchte sie mit dem Monster vor ihr Schritt zu halten, um nicht von ihm zu Tode geschleift zu werden. Dabei stießen ihre nackten Füße immer wieder gegen irgendwelche Hindernisse, die sie, geblendet durch die vielen Lagerfeuer, im Dunkeln nicht erkennen konnte.
Ihr Schicksal hielt sie bereits für besiegelt, sie kämpfte dennoch. Sie wollte leben. Für Frethnal, den sie liebte. Und ihre Freundin Antarona hatte ihr gezeigt, wie man überlebte. All das, was sie von Areos und Sonnenherz gelernt hatte, wollte sie einsetzen, um für ihren Geliebten zu leben.
Nach einer Odyssee durch das nächtliche Lager der Wilden Horden wurde sie an einem Lagerfeuer, das bereits ziemlich heruntergebrannt war, neben einen Haufen Felle zu Boden gestoßen. Sie erblickte eine Gruppe grässlicher Fratzen, die ihre Ankunft mit ohrenbetäubendem Gejohle feierten.
Dann wurde sie kompromisslos gepackt, und auf den Haufen Felle geworfen. Doch das stumme Mädchen besaß einen unbändigen Lebenswillen. Blitzschnell, so wie sie es von ihrer Prinzessin gelernt hatte, drehte sie sich um die eigene Achse, rollte von den Fellen herunter, kam auf die Füße, und wirbelte zwischen den verdutzten Kriegern hindurch.
Dem ersten Mann in ihrer Nähe sprang sie mit beiden Füßen und ihrem ganzen Gewicht vor die Brust. Sie war sehr leicht, und hätte ihn wohl nicht zu Fall gebracht, wenn er darauf vorbereitet gewesen wäre. Doch der Schlag kam für den Reiter völlig unerwartet. Er strauchelte und fiel rücklings in die Glut des Feuers, das in einem Funkenregen aufbegehrte.
Noch während sich der Mann brüllend vor Schmerzen aus der Glut rollte, trat Vesgarina einem anderen, der geschockt auf seinen gefallenen Kameraden blickte, mit aller Kraft in seine Männlichkeit. Unter einem schnaufenden Laut ging der Attackierte in die Knie.
Das schien die anderen Teufel aber nicht davon abzuhalten, sich köstlich zu amüsieren. Im Gegenteil, es spornte sie noch an, und als ein langer, dürrer Krieger sich das Mädchen greifen wollte, feuerten sie sogar das sich wehrende Opfer an. Für diese Männer schien sie eine Gladiatorin in der Arena zu sein. Ihr Überlebenskampf war deren Unterhaltung.
Vesgarina dachte aber gar nicht daran, aufzugeben. Sie wusste, dass sie in dieser Nacht sterben sollte. Doch sie wollte so viele dieser abscheulichen Tiere mit in das Reich der Toten nehmen, wie sie konnte.
Der lange, dürre Krieger, der ihr nun gegenüber stand, zögerte. Er wollte nicht das gleiche Schicksal erleiden, wie seine Kameraden. Andererseits meinte er diesem kleinen Mädchen allemal gewachsen zu sein. Ein fataler Fehler.
Unter dem Überraschungsgeschrei seiner Kumpel sprang Vesgarina plötzlich zur Seite, riss aus einem hell erleuchteten Zelt vor ihr eine Stange, wirbelte leichtfüßig herum und stieß dem Mann das angespitzte Ende mit dem Schwung ihrer Drehung in die Brust. Es knackte dumpf und ihr Gegner sackte langsam und mit zu Erstaunen weit aufgerissenen Augen zusammen. Gleichzeitig knickte ein Teil des Zeltes ein, dem nun eine Stützstange fehlte.
Das zuerst anfeuernde Geschrei der anderen verwandelte sich nun in wütendes Gebrüll. Vesgarina drehte sich ihnen entgegen und erstarrte mitten in der Bewegung. Neben dem Feuer, wo sich der verbrühte Krieger die Wunden mit Wasser kühlte, lag ein weiterer, lebloser Körper. Er war nackt, schmutzig und halb in den aufgeweichten Boden gedrückt.
Dennoch konnte das Mädchen ihre Mitgefangene Syriel erkennen. Dieser Anblick lähmte die Wenderin für ein par Sekunden. Das genügte den verrohten Gestalten, sich ihrer erneut zu bemächtigen. Vesgarina spürte nur, wie sich grobe Hände um ihre Handgelenke und Fußfesseln schlossen und sie bäuchlings auf den Fellhaufen zurückzerrten.
»Das wirst du uns büßen, du kleine Kratzbürste. Wenn wir mit dir fertig sind, wirst du uns anflehen, von uns beglückt zu werden!« Solche und ähnliche Rufe hörte die Wenderin, während sie auf den Fellhaufen niedergedrückt wurde. Jemand griff ihr in das Oberteil und riss es ihr mit einem heftigen Ruck vom Leib.
Dass einer der Männer eine Bullenpeitsche holte und ausrollte, sah sie nicht. Sie hörte nur das Gejohle, das die Männer in Erwartung ihrer Züchtigung über das Lager schallen ließen. Einige Schaulustige von anderen Lagerfeuern gesellten sich hinzu, und feuerten den Mann mit der Peitsche zusätzlich an.
In einer ausholender Bewegung ließ der Soldat das dünne Leder durch die Luft pfeifen. Das klatschende Geräusch hörte Vesgarina noch, dann ergriff ein so stechender, lähmender Schmerz von ihr Besitz, dass ihr die Luft weg blieb, und sie beinahe das Bewusstsein verlor.
Ein langer Streifen, der sich von ihrer Schulter über den ganzen Rücken bis zu ihrem Gesäß hinzog, schien in Flammen zu stehen, so sehr brannte es. Tränen schossen ihr in die Augen, aber aus ihrem geöffneten Mund kam nur ein Röcheln. Schreien konnte sie nicht. Das jedoch machte die Männer nur noch zorniger, und der Krieger mit der Peitsche schrie hasserfüllt:
»Du bist wohl eine ganz ausgekochte, was? Mal sehen, wie dir das schmeckt!« Damit holte er zum zweiten Schlag aus. Doch bevor das Leder abermals auf Vesgarinas ungeschützte Haut niedersausen konnte, packte eine große, rötlich behaarte Hand den Arm des selbst ernannten Vollstreckers, und hielt sie eisern fest.
Der Mann blickte in das ausdruckslose Gesicht des plötzlich wieder aufgetauchten Kohortenführers. Seine Kameraden brüllten laute Schmäh- und Protestrufe und machten ihrem Ärger Luft. Kohortenführer hin, oder her, sie wollten nicht um den spektakulären Spaß gebracht werden, eine widerspenstige Îval zu züchtigen.
In diesem Augenblick schlug die Eingangsplane des Zeltes zurück, aus dem die Wenderin die Stange gerissen hatte. Eine donnernde Stimme ließ alle in der Bewegung erstarren:
»Seid ihr Missgeburten vom wilden Robrum gebissen? Was fällt euch ein, euch wie ein Haufen irrsinniger Eishunde aufzuführen?« Mit finsterer Miene baute sich der Heerlagerführer vor den Männern auf, die sofort verstummten. Er sah sich kurz um, dann schnauzte er weiter:
»Ich verstehe mein eigenes Wort in meinem eigenen Zelt nicht. Ihr habt anscheinend noch zu viel Kraft in den Knochen, wie? Nun, ich denke ein par zusätzliche Patrouillen werden euren Eifer schon dämpfen, nicht wahr? Höre ich heute Nacht nur noch einen Muckser von euch hirnlosen Dumpfköpfen, dann werdet ihr mich kennenlernen!« In diesem Augenblick fiel ihm Tendar, der nicht gerade intelligente Glatzkopf ins Wort:
»Die kleine Kratzbürste, sie haut ab, haltet sie fest, lasst sie nicht entkommen!« Die Stille, die anschließend den Platz beherrschte, ließ sogar das Tapsen Vesgarinas kleiner, nackter Füße hören.
Das Mädchen hatte gespürt, wie die kräftigen Hände sie losließen, als der unbekannte Mann anfing, die rohen Kerle zu maßregeln, und hatte die Gelegenheit genutzt. Leise hatte sie sich vom Fellhaufen fallen lassen, war auf die Füße gesprungen, und in die Richtung gelaufen, die ihr am dunkelsten vorkam.
der Glatzkopf wollte ihr schon nachsetzen, doch der Kommandant hielt ihn mit seinem autoritären Blick gefangen. So dumm war selbst Tendar nicht, dass er dem Heerführer unter den Augen davon gelaufen wäre.
»Kratzbürste, ja?« wiederholte der Kommandant mit hinterlistiger, vielsagender Stimme, sah dabei den Haarlosen scharf an und wies mit dem Daumen auf sein eingeknicktes Zelt.
»Du wirst dich zur erwachenden Sonne mit einer Wurzelbürste bewaffnet bei meinem Zeltjunker melden, und das da wieder in Ordnung bringen, ist das klar?« Er ließ den Glatzigen aber gar nicht antworten.
»Dann wollen wir mal sehen, wie du mit einer Kratzbürste umzugehen weißt.« Gleich darauf wandte er sich an den Kohortenführer, der immer noch den Arm des Auspeitschers umklammert hielt, sprach aber weiter zu dem einfältigen Haufen, den zu befehligen ihm inzwischen reichlich leid geworden war.
»Euer Kohortenführer wird dafür sorgen, dass die da«, er wies auf den toten Körper Syriels, »unter die Erde kommt. Ich will keine schwarze Krankheit in meinem Lager haben. Und dann räumt hier auf.« Mit etwas gedämpfterem Ton, aber noch um eine Nuance gefährlicher, fügte er hinzu:
»Aber leise. Höre ich noch einen Laut, dann dürft ihr alle mit den Minen Zarollons Bekanntschaft machen.« Das war deutlich.
Die Männer standen eine Weile schweigend da. Die Lust auf die Reize einer jungen Îval war ihnen gehörig vergangen. Niemand kam auf den Einfall das Mädchen zu verfolgen und wieder einzufangen. Tomrack, der rothaarige Kohortenführer ließ langsam seine Hand mit dem Arm des Peitschenträgers sinken.
»Also, Männer, ihr habt den Herrn gehört«, übernahm er wieder die Kontrolle über die wilden Kerle, »bringt das Mädchen weg, und macht hier Ordnung. Ich will dass der Platz in einer Zentare wie geleckt ist. Und dann löscht das Feuer, für diese Nacht habt ihr genug Kurzweil gehabt!«
Leicht ernüchtert, und ohne zu murren machten sich die Krieger an die Arbeit. Dabei gingen sie so vorsichtig zu Werke, dass man meinen konnte, einer Schar Geister beim Aufräumen zuzusehen.
Der Leichnam Syriels wurde an den Füßen gepackt, und achtlos durch die Dunkelheit zu einer Grube geschleift, wo er in einem namenlosen Grab verschwand. Ein weiteres Schicksal, von dem nur eine vage Erinnerung im Kampf um die Freiheit des Volkes der Îval blieb.

Vesgarina lief, so schnell ihre geschundenen Füße sie zu tragen vermochten. Links und rechts sah sie immer noch Lagerfeuer durch dunkle Zelte blinken. Sie lief, bis sie kein Licht mehr erkennen konnte, huschte unter einem groben Zaun hindurch, hetzte über einen Streifen Trockenrasen, durch stacheliges Unterholz, und in den schützenden Wald hinein.
Ihre ungeschützte Haut wurde von unsichtbaren Dornen, von peitschenden Zweigen und brennenden Blättern attackiert, und ihre nackten Füße fühlten sich an wie schmerzende Klumpen. Sie war bis auf den traditionellen Lederschurz der Îval- Mädchen unbekleidet. Auch besaß nicht eine Waffe, mit der sie sich hätte in der Not verteidigen können.
Völlig außer Atem hielt sie an, lehnte sich an die raue Rinde eines Baumes und sog tief die nach Fäulnis riechende Luft des Waldes ein. Sie schwitzte. Das schwülwarme Wetter hatte ihren Kreislauf zum kochen gebracht, und sie genoss den kühlen Luftzug, der durch die schwarzen Silhouetten der Baumstämme strich.
Nun erst begann sie nachzudenken. Sie war einfach davongelaufen. Aber Frethnal brauchte sie. Frethnal und all die anderen, die mit ihr in den Käfigen gefangen waren. Sollte sie zurückkehren, und versuchen, die anderen zu befreien? Doch was vermochte sie allein schon auszurichten? Es grenzte bereits an ein Wunder, dass sie nicht Syriels Schicksal teilen musste.
Trotz der warmen Nacht begann Vesgarina zu frieren. Sie besaß keine Kleidung, wusste nicht, wo sie sich befand, sie wusste nicht, ob Sonnenherz und Areos nach ihr und Frethnal suchten, oder ob sie überhaupt noch am Leben waren. Sie hatte kein Feuer, kein Wasser, nichts zu essen, keine Waffe, und eigentlich war ihre Lage aussichtslos.
Resigniert ließ sie sich am Baum zu Boden gleiten, legte ihre Arme um ihre brüste, um sich wenigstens symbolisch etwas zu wärmen. Aber auf dem Boden konnte sie auch nicht sitzen bleiben. In den Wäldern gab es einiges Raubzeug, das vor einem einsamen, wehrlosen Menschenwesen nicht halt machen würde.
Also erhob sie sich wieder, und tastete sich weiter durch die Dunkelheit. Doch sehr weit kam sie nicht. Zu sehr setzten ihr die Dornen und Zweige zu, die sie nicht sah und die ihre Haut in eine schmerzende Oberfläche verwandelte. Irgendwann sah sie im Licht die Silhouette eines hohen Felsens. Die Rettung!
Die Wenderin zögerte aber noch, auf den sicheren Felsen zu klettern. Dort oben mochte der Wind noch etwas mehr gehen, als am Boden zwischen den Bäumen. Wie sollte sie sich warm halten? Wenn sie wenigstens ein Fell besessen hätte. Nun ärgerte sie sich über sich selbst, dass sie bei ihrer Flucht aus dem feindlichen Lager keinen der Pelze mitgenommen hatte.
Während sie überlegte, fing sie an, ihren Körper mit den Händen zu reiben, um die Durchblutung anzuregen, und das Frösteln zu besiegen. Es nützte aber nur wenig. Da fiel ihr ein, dass Sonnenherz ihnen geraten hatte, als sie am Fluss lagerten, sich dick mit Schlamm einzureiben, um die Moskitos abzuhalten. Sie erinnerte sich, dass der Schlamm etwas wärmte, sobald er auf der Haut getrocknet war.
Das stumme Mädchen ging auf die Knie, und tastete den Boden nach Feuchtigkeit ab. Allein dieses Bemühen wärmte sie schon etwas. Dennoch dauerte es eine gute Stunde, bis sie eine feuchte Mulde fand, in der sich zwar kein Lehm, wohl aber nasse Erde befand. So dick es ging trug sie den nach Pilzen und Moder riechenden Dreck auf ihre Haut auf.
Anschließend stieg sie mit der Leichtfüßigkeit einer Katze auf den Felsen, wobei jedoch einige Partien ihrer Haut die schützende Erdschicht wieder verloren. Das Zeug fiel einfach von ihr ab, sobald sie sich bewegte. beinahe oben angelangt, fand sie eine Kluft im Fels, die einer winzigen Grotte glich. Sie zwängte sich zwischen die Felswände, kauerte sich zusammen, und stellte fest, dass sie wenigstens vor dem Wind geschützt war.
Vesgarina zog die Knie dicht an ihren Oberkörper heran, umfasste ihre Beine mit den Armen und entspannte sich etwas. Der Fels links und rechts verhinderte, dass sie umkippte. So in die Spalte gezwängt, überkam sie die Müdigkeit. Eine Weile lauschte sie noch den Geräuschen des Waldes, dann wurde sie von einem unruhigen Schlaf davongetragen.
Irgendwann weckte sie die Kälte, die ihr unter die Haut und in die Knochen kroch. Es war noch dunkel, und ihr Rücken schmerzte, von der unbequemen Haltung, in der sie eingeschlafen war. Vesgarina lauschte in ihre Umgebung hinein, und dachte darüber nach, was sich in den letzten Tagen abgespielt hatte.
Allmählich kamen die Erinnerungen zurück. Es mochte späte Nacht gewesen sein, als sie aus dem Lager der Wilden Horden geflohen war. Aber die Sonne schlief immer noch. Oder hatte sie eine ganze Sonnenwanderung verschlafen? Nein, das konnte nicht sein!
Das blonde Mädchen versuchte sich in der Felsspalte zu bewegen, und sie verspürte Schmerzen in all ihren Gliedern. Dazu war sie steif vor Kälte. Sie fror erbärmlich und erkannte, dass die nasse Erde kein Fell ersetzen konnte. Sie musste sich bewegen! Mit unbeweglichen Gliedern begann sie aus der Felskluft zu klettern.
Sie wollte höher hinauf. Oben auf dem Felsen konnte sie vielleicht sehen, was sich in der Umgebung befand, und sich möglicherweise orientieren. Über einen schmalen Absatz gelangte die Wenderin auf die abgeflachte Kuppe des Felsens, die ausreichend Platz für ein Lager bot.
Frierend sah sie sich um. Die Sichel des Mondes stand tief am Himmel, der allmählich verblasste. Dort, wo das Lager der Invasoren liegen musste, färbte sich ein schmaler Streifen des Himmels blassrot. Die hohe Luftfeuchtigkeit vermochte aber keine Wolken an den Horizont zu zaubern.
Vesgarina wollte auf diesem Felsbalkon die Wanderung der Sonne abwarten, und sprang auf der zehn bis zwölf Quadratmeter großen Fläche hin und her, um sich warm zu halten. Das Felspodest lag knapp auf der Höhe der höchsten Baumwipfel, so dass sie kaum von unten gesehen werden konnte. Endlos sich hinziehender Wald schien die Welt zu begrenzen.
Plötzlich, die Färbung des Himmels war inzwischen von rot auf orange und gelb gewechselt, schossen die ersten Strahlen Talris wie scharfe Lichtnadeln über die Baumkronen dahin, und binnen Minuten erfassten die Strahlenlanzen die Felsplattform und tauchten sie in ein warmes Licht. Sofort wurde dem durchgefrorenen Mädchen warm.
In einer etwa zehn Zentimeter tiefen Einsenkung im Fels fand Vesgarina eine großzügige Pfütze mit klarem Wasser. Wann immer es das letzte Mal geregnet hatte, die Sonne hatte es nicht geschafft, die Wasseransammlung völlig auszutrocknen.
Wie in eine geheiligte Flüssigkeit senkte das Mädchen ihre kleinen Hände, schöpfte vorsichtig das Nass und trank davon, bis ihr Durst gelöscht war. Dann fing sie an, mit dem Rest des Wassers ihren Körper zu reinigen. Nun erst stellte sie fest, wie ihr der nächtliche Wald zugesetzt hatte. Oberkörper, Brüste, Bauch und Beine waren über und über mit kleinen Schrammen und blutigen Rissen übersät.
Ihre Füße waren so zerschunden, dass sie einen Schreck bekam. Zuletzt hielt sie abwechselnd mal den rechten, mal den linken Fuß in die kleine Wasseransammlung. Das tat gut, und sie verbrachte eine lange Zeit damit, die Wunden an ihren Füßen zu kühlen.
Nur die Wunde, die der Peitschenhieb hinterlassen hatte, brannte wie Feuer. Vesgarina versuchte den Schmerz zu ignorieren, den sie kam mit ihren Fingern ohnehin nicht an die Hinterlassenschaft der rohen Gewalt heran.
Nebenbei genoss sie die Wärme der aufgehenden Sonne, die nun ihren ganzen Körper beschien. Im Wärme spendenden Licht machte Vesgarina ihre Nacktheit nichts mehr aus. Wäre da nicht der Gedanke an Frethnal und die anderen Eingesperrten gewesen, so hätte sie sich frei und unbeschwert fühlen können.
Die Sonne stieg flimmernd im blassgelben Dunst in den Himmel und über den Baumkronen der ausgedehnten Wälder begannen die Insekten zu tanzen. Das Summen drang bis zu Vesgarina auf den Felsen hinauf. Irgendwo fing ein Waldvogel an, in schneller Folge gegen einen Baumstamm zu hämmern, und der Laut hallte durch den ganzen Wald.
Es wurde rasch warm auf dem erhöhten Platz der Wenderin. Die zum Erbarmen kalte Nacht war vergessen. Das Mädchen trat an den Rand des Felspodestes, beugte sich vorsichtig darüber und blickte hinab. Der Waldboden lag noch im Dunkel. Sie erinnerte sich, was Sonnenherz sie gelehrt hatte. Bevor das Licht Talris den Waldboden erreichte, waren Laub und Zweige feucht, und es ließ sich auf ihnen gehen, ohne Geräusche zu machen.
Sie musste also jetzt aufbrechen. Aber wohin? Vesgarina saß in der Mitte des Felsens und dachte nach. Areos und Sonnenherz zu suchen, hielt sie für vertane Zeit, da sie nicht wusste, ob die beiden noch lebten. Der Weg zurück nach Falméra war für sie allein zu gefährlich. Außerdem hatte sie nicht die Zeit, denn sie hatte Angst, dass Frethnal inzwischen getötet werden konnte.
Die einzige Möglichkeit, die ihr sinnvoll erschien, war Mehi-o-ratea. Sie musste sich auf den Weg machen, und das Dorf der ewigen Jugend finden. Dort konnte sie in kürzester Zeit Hilfe finden. Viele der gefangenen Mädchen in den Käfigen kamen von dort. Also konnte das Dorf nicht sehr weit entfernt sein. Sie musste es finden!
Indem das Mädchen in der Wärme der Sonne so dasaß und nachdachte, wurde sie unendlich müde. Die Qualen und Strapazen der Nacht, die Ängste, die sie während der Entführung und seit dem Überfall des Reitertrupps ausgestanden hatte, die Kälte in der Felsspalte, all diese Einflüsse hatten an ihrer Kraft gezehrt.
Nun waren diese Belastungen von ihr abgefallen. Sie wusste, dass sie sich schnell auf den Weg machen musste, doch der warme Fels in der Sonne lud zur Ruhe ein. Nur einen winzigen Moment die Augen schließen, um zu Kräften zu kommen, dann wollte sie losziehen. Nur einen kleinen Augenblick die Sonne und die Wärme auf ihre Haut wirken lassen.
Wie ein kleines Kätzchen legte sich das unbekleidete Mädchen auf dem warmen Stein zur Seite, rollte sich zusammen, so dass die Sonne ihren Rücken beschien, und lauschte. Vögel sangen und Insekten brummten um sie herum, als gäbe es nichts Böses auf der Welt. Der leichte, warme Wind strich in die Baumkronen und erfüllte den akustischen Hintergrund mit einem monotonen, leisen Rascheln und Rauschen.
Das entkräftete, blonde Mädchen ohne Kleidung und ohne Stimme schlief tief und fest ein, ließ sich dankbar in eine heile, friedliche und wohlige Welt entführen...
     
  Wichtiger Hinweis: Die Texte des Autors Frank Adlung, insbesondere die des Romans "Das Geheimnis von Val Mentiér", sind durch notarielle Hinterlegung urheberrechtlich geschützt. Ein Herunterladen und Ausdrucken ist nur für den privaten Zweck des Lesens gestattet. Kommerzielle Nutzung, öffentlicher Vortrag, oder Vervielfältigung und Verfälschung des Inhalts, sowie öffentliche Verbreitung ohne Genehmigung des Autors sind untersagt und werden zur Anzeige gebracht.
 
 
Zum nächsten Kapitel
 
Sagen Sie Ihre Meinung! Ihre Kritik - ob gut oder schlecht - ist mir wichtig!
Mailen Sie unter Betreff "Val Mentiér": info@sternenlade.de
 
Zum Gästebuch
   
Kapitelübersicht
             
Startseite           Zurück
Einleitung     Romanvorstellung     Seite anzeigen
Vorwort     Zu diesem Roman     Kapitel anzeigen
1. Kapitel     Prolog     Kapitel anzeigen
2. Kapitel     Pressemitteilung     Kapitel anzeigen
3. Kapitel     Das Versteck     Kapitel anzeigen
4. Kapitel     Seltsame Begegnung     Kapitel anzeigen
5. Kapitel     Absturz     Kapitel anzeigen
6. Kapitel     Der Alte     Kapitel anzeigen
7. Kapitel     Falméras Medicus     Kapitel anzeigen
8. Kapitel     Gors Angriff     Kapitel anzeigen
9. Kapitel     Geheimnisvolle Entdeckungen     Kapitel anzeigen
10. Kapitel     Unheimliche Dörfer     Kapitel anzeigen
11. Kapitel     Krähenmädchen     Kapitel anzeigen
12. Kapitel     Schwarze Reiter     Kapitel anzeigen
13. Kapitel     Mutige Freunde     Kapitel anzeigen
14. Kapitel     Missverständnisse     Kapitel anzeigen
15. Kapitel     Das Werk der Götter     Kapitel anzeigen
16. Kapitel     Der Holzer     Kapitel anzeigen
17. Kapitel     Der Achterrat     Kapitel anzeigen
18. Kapitel     Das Vermächtnis des Unbekannten     Kapitel anzeigen
19. Kapitel     Der Verrat     Kapitel anzeigen
20. Kapitel     Der Weg nach Falméra     Kapitel anzeigen
21. Kapitel     Jäger des Glücks     Kapitel anzeigen
22. Kapitel     Die weiße Stadt     Kapitel anzeigen
23. Kapitel     Im Banne des Throns     Kapitel anzeigen
24. Kapitel     Verbotene Liebe     Kapitel anzeigen
25. Kapitel     Auf verborgenen Wegen     Kapitel anzeigen
26. Kapitel     Sehnsucht und Leidenschaft     Kapitel anzeigen
27. Kapitel     Heimliche Ausflüge     Kapitel anzeigen
28. Kapitel     Gefangen     Kapitel anzeigen
29. Kapitel     Das freie Land     Kapitel anzeigen
30. Kapitel     Ein heimlicher Pakt     Kapitel anzeigen
31. Kapitel     Heimliche Flucht     Kapitel anzeigen
32. Kapitel     Auf nach Mehi-o-ratea     Kapitel anzeigen
33. Kapitel     Verschleppt     Kapitel anzeigen
34. Kapitel     Die Hölle der Îval     Kapitel anzeigen
35. Kapitel     Angriff der Dämonen     Kapitel anzeigen
36. Kapitel     Das Dorf der ewigen Jugend     Kapitel anzeigen
37. Kapitel     Die geheimnisvollen Unbekannten     Kapitel anzeigen
38. Kapitel     Schlechte Nachrichten     Kapitel anzeigen
39. Kapitel     Standgericht     Kapitel anzeigen
40. Kapitel     Ein langer Weg zurück     Kapitel anzeigen
41. Kapitel     Die Hölle bricht los     Kapitel anzeigen
42. Kapitel     Prophezeiungen und allerlei Vermutungen     Kapitel anzeigen
             
             
             
 
Navigation

Home

                             
Startseite     Der Autor     Gedichte     Texte     Das Geheimnis     Kontakt
      Lebenslauf     Vorwort     Märchen     von Val Mentiér     Gästebuch
      Familie     Alte Literatur     Satire     Bildergalerie     E-Mail
      Treffen                 Burg Falméra     Impressum
      Ahnengalerie           Interview 1            
      Alte Karten           Interview 2