Das Geheimnis von Val Mentiér
 
35. Kapitel
 
Angriff der Dämonen
 
m letzten Schein der Abendsonne erreichten Antarona, Femra, Permina und Sebastian Mehi-o-ratea, das Dorf der ewigen Jugend und der freien Liebe. Die Bezeichnung, die Basti bis dahin immer wieder gehört hatte, ließ in seiner Vorstellung ein kleines Dörfchen entstehen, in dem junge Îval und Oranuti, die sich der gesellschaftlichen Zwänge entzogen hatten, abgeschieden vom Rest der Welt lebten, wie er es von den Mormonen, oder Amish kannte.
Doch als sie in der Dämmerung aus dem Wald traten, bot sich ihm das Bild einer vor Freude und Leben überquellenden, endlosen Stadt. So weit sein Auge reichte, brannten Feuer. Kleine Kochfeuer, größere Lagerfeuer, und hier und dort hoch aufgeschichtete Reisigtürme, die ein prasselndes Elsirenfeuer nährten.
Überrascht blieb er stehen. Wie ein Lichtermeer breitete sich der Ort über eine flache, bis zum Horizont reichende Senke aus, wurde im Süden und Osten vom Wald begrenzt und endete im Norden und Westen in endlosen Sümpfen, die mit wogenden Meeren hoher Gräser und Schilfwälder bewachsen waren.
Es gab keine festen Häuser, Mauern und Türme, wie Basti es von Falméra kannte. Das Dorf bestand aus unzähligen, sich aneinander reihenden Stroh- Schilf- und Reisighütten, Zelten, und offenen Lagerstätten. Er sah so viele verschiedene Bauweisen, dass es fast seine Phantasie sprengte.
Neben einer kleinen, runden Bauweise, die an einfache Behausungen primitiver Naturvölker erinnerte, gab es auch gut konstruierte, rechteckige Hütten, die jenen Häuschen der Dörfer im Val Mentiér in nichts nachstanden. Aber auch einfache, kleine Dächer, aus Stroh geflochten, die gerade mal zwei schlanken Personen Platz boten, duckten sich ungeordnet, wie wahllos errichtet, dazwischen.
An einer Stelle, ungefähr in der Mitte des Lichtermeeres, befand sich ein von vielen Feuern und Fackeln hell erleuchteter Platz, in dessen Mitte ein mächtiges Elsirenfeuer brannte. Sebastian fragte sich, woher das ganze Holz stammte, das hier verbrannt wurde. Wenn in jeder Nacht so viele Feuer unterhalten wurden, und davon ging er aus, mussten die umliegenden Wälder eigentlich schon restlos abgeholzt und verbrannt worden sein.
Durch die Mitte des ganzen Ortes schlängelte sich ein von Osten kommendes, in einem weiten Bogen verlaufendes, dunkles, an einigen vom Feuer beleuchteten Stellen golden aufflackerndes Band, das irgendwo im Norden im Labyrinth der Sümpfe verschwand.
Das musste der Fluss sein, der durch den See floss, und sich im Delta verlor, wo sie von Torbuks Trupp überfallen wurden. Irgendwo konzentrierten sich die Wasseradern wieder zu dem Strom, der in den Sümpfen offenbar wieder auffächerte, und am Lager der Wilden Horden so tief wurde, dass er eine geeignete Fahrrinne für die Wasserwagen bildete.
Entlang des Flusses innerhalb der Zeltstadt sah Basti dunkle Flecken, die in das Bett des Flusses hineinreichten. Dort schienen die Bewohner selbst bei Dunkelheit zu baden. Offenbar hatten sie Pontonhölzer, oder eine Art von Molen in das Wasser hineingebaut.
»Es wird Zeit hinab zu gehen, Ba - shtie, Femra und Permina werden Sonnenherz und Glanzauge zu jenem bringen, welcher von den Jo-lie zum Anführer erwählt wurde.«
Etwas unsicher und mit gemischten Gefühlen folgte Basti den drei Mädchen hinunter nach Mehi-o-ratea, das eigentlich nichts weiter war, als ein riesiges Lager von aufsässigen jungen Leuten, die sich für eine Zeit von den gesellschaftlichen Zwängen der Îval und Oranuti verabschiedet hatten.
Bereits auf dem Weg in die Senke stieg ihm der Duft von Holzfeuer, gegartem Fleisch und Gewürzen in die Nase. Offenbar ließen es sich die Jo-lie, wie sich die jungen Menschen der Gesellschaft selbst nannten, recht gut gehen. Doch eine so riesige Zeltstadt funktionierte nicht ohne feste Strukturen, selbst, wenn sie von Aussteigern bewohnt wurde.
Dass er mit seiner Überlegung richtig lag, wurde ihnen deutlich, als kurz vor den ersten Lagerfeuern vier schwer bewaffnete Gestalten aus dem Schatten der Büsche traten, und sich ihnen in den Weg stellten. Zwei Mädchen in der leichten Bekleidung der jungen Îval- Frauen, und zwei Burschen, vermutlich ihre Geliebten, forderten bestimmt und ohne Scheu die Identität der Ankömmlinge zu erfahren.
Die Mädchen trugen fast neue, ziemlich knapp geschnittene Hüftleder und kleine Oberteile aus demselben Material, die jungen Männer waren nur mit leichten Lederschürzen bekleidet, trugen aber zusätzlich schwere, breite Gürtel, an denen ihre Waffen und kleine Beutel baumelten.
Es sah ganz so aus, als würden sie kaum erwarten, von irgend jemandem angegriffen zu werden, denn sie ließen ihre kurzen Schwerter im Gürtelbund stecken, und auch ihre Lanzen hielten sie eher wie Spatzierstöcke, denn Gegenstände zur Verteidigung.
Alle vier trugen bunte Masken aus geschnitzter Baumrinde, in die sie Löcher für Augen, Nase und Mund geschnitten hatten. Bedrohlich wirkten die Gestalten mit den verdeckten Gesichtern sicher nur in der Dunkelheit und im flackernden Schein der Feuer.
Die beiden Mädchen hatten sich zusätzlich mit bunten Malereien auf Beinen, Armen und Bauch geschmückt, an denen sie gewiss einen Nachmittag lang gearbeitet hatten. Die Füße dreier Wachen steckten in leichten Ledermoccasin, wie sie Sebastian von Nordamerikanischen Indianern her kannte. Ein Bursche trug etwas höher schäftige, sohlenlose Schuhe, die mit fransen und Fellteilen verziert waren.
Femra und Permina gaben sich und ihre Begleiter zu erkennen, und berichteten kurz, was geschehen war. Daraufhin zogen die jungen Männer ihre Schwerter und wandten sich dorthin, von wo die nächtlichen Besucher gekommen waren.
»Ihr braucht euch nicht zu sorgen, Torbuks Trupps werden es kaum wagen, ein so großes Lager anzugreifen. Die schnappen sich euch lieber beim Jagen, Pilze suchen, oder Beeren sammeln«, kommentierte Basti die Reaktion der jungen Männer.
Antarona nahm nicht ganz unbeabsichtigt ihr Schild von der Schulter, auf dem das Wappen der Burg Falméra prangte. Sebastian erriet sofort ihre Absicht und tat es ihr nach. Sofort rissen die jungen Leute ihre Masken von den Gesichtern, knieten sich vor Sebastian und Antarona hin und der Bursche, der offenbar das größte Ansehen in der Gruppe besaß, ergriff das Wort:
»Areos und Sonnenherz sind uns von Herzen willkommen, Herr. Wenn ihr erlaubt, Herr, so werden wir euch zu Temrin bringen, welcher von den Jo-lie als höchster Rat erwählt wurde.« Sebastian bedeutete ihnen aber sich wieder zu erheben, und sagte freundlich:
»Erhebt euch wieder, es gibt keinen Grund, vor uns auf die Knie zu gehen. Wir sollten uns eher vor eurem Mut verneigen.« Mit einen Seitenblick auf Permina und Femra fuhr er fort:
»Ich kenne Permina und Femra vom Talrisfest in Falméra. Sie werden uns gewiss ohne Umwege zu Temrin bringen. Seht ihr zu, dass hier keine Krieger der Wilden Horden herumschleichen.«
Jene, die das Lager sichern sollten, verschwanden wieder in den Büschen. Antarona und Sebastian folgten den beiden jungen Frauen auf dem Weg durch das von Tausenden Feuern hell erleuchtete Dorf. Sebastian hatte jedoch eher den Eindruck, als sie spazierten über einen riesigen Vergnügungsrummel.
Zwischen den unzähligen Hütten und Zelten brannten Feuer und Fackeln, die Jo-lie saßen fröhlich darum, sangen, lachten, spielten auf primitiven Holzinstrumenten, oder diskutierten miteinander. Mal hier, mal dort hatten sich Pärchen zusammengefunden, kuschelten sich aneinander, und träumten wohl von ihrer gemeinsamen Zukunft, die sicher nicht immer von ihren Eltern toleriert wurde.
Überall, wo sie vorbei kamen, wurden sie herzlich begrüßt und die Mädchen mussten kurz berichten, und die Neuankömmlinge vorstellen. Natürlich strömte von links und rechts das ganze, junge Volk zusammen. Jeder und Jede wollte jene kennenlernen, die den neuen, modernen Elsirentanz entwickelt hatten, der sich immer größerer Beliebtheit, vor allem bei den Jo-lie erfreute.
Durch die vielen Unterbrechungen ihres Weges durch Mehi-o-ratea kamen sie nun kaum noch voran. Wenn sich die vielen Begrüßungen so fortsetzten, hatten sie die Mitte des Aussteigerlagers, wo Temrins Hütte stehen sollte, am folgenden Mittag noch nicht erreicht.
»Wir können nicht an jedem Feuer anhalten«, schrie Sebastian gegen den Lärm der feiernden Jugendlichen an, und beugte sich dabei zu Permina hinüber, die wohl am ehesten die Autorität besaß, die Neugierigen abzuwehren.
Das Mädchen nickte verständig, und rief fortan den Interessierten nur noch im Vorübergehen zu, wer die beiden Neuen waren. Das hatte aber zur Folge, dass die Jo-lie, wo immer sie entlang kamen, von links und rechts hinzuströmten und ihnen folgten. Nur einige Meter weiter, als Basti sich zufällig umdrehte, stellte er fest, dass ihnen ein Fackelzug junger, halbnackter Menschenwesen folgte, der einem Chinesischen Neujahrsumzug in Peking ernsthafte Konkurrenz gemacht hätte.
Ein langes Band lodernder Feuer schlängelte sich nun durch das Dorf der ewigen Jugend, und ein Beobachter, der von erhöhter Warte auf die Senke blickte, musste annehmen, einen feurigen Riesenlindwurm zu beobachten. Dafür kamen Basti und Antarona etwas zügiger voran. Viele Jugendlich stürmten voraus, um die Thronfolger von Falméra anzukündigen, und kamen mit anderen Freunden zurück, an denen der Zug sich vorbeizwängen musste, damit sie sich hinten anschließen konnten.
Sie gingen vorüber an einigen Elsirenfeuern, wo sich Tänzer und Tänzerinnen mit dem verbrannten Nichts eines luftigen Kleides, oder einer löchrigen Hose auf dem verschwitzten Leib, der Prozession anschlossen. An zwei oder drei Stellen passierten sie eine Biegung des Flusses. Dort, an grob errichteten Holzstegen, badeten die Verliebten quietschend vor Vergnügen im zuckenden Schein der Fackeln. Auch sie schlossen sich dem Zug an, so tropfnass, wie sie eilig aus dem Wasser gestiegen waren.
Endlos schien sich die Prozession hinzuziehen, und Sebastian wurde die Ausdehnung dieser Siedlung bewusst. Vermutlich war dies einer der gründe, warum Torbuks Soldaten die Jo-lie nicht offen angegriffen hatte. Zu viele wären geflohen, und hätten Falméra alarmiert.
Anfangs hatte Basti versucht die Feuer zu zählen, an denen sie vorüberkamen. Doch dann hatte er es aufgegeben. An diesem Ort schienen die Jugendlichen vom gesamten Volossoda versammelt. Er zweifelte auch nicht daran, dass einige der Jo-lie aus Quaronas stammten, und möglicherweise als Spione Torbuks die Gemeinschaft unterwandert hatten.
Nebenbei beschäftigte ihn die Frage der vielen Feuer zwischen den dicht gedrängt stehenden Zelten und Hütten. Ein verirrter Funke und etwas Wind, dann musste sich auch ein Torbuk um diesen ort keine Gedanken mehr machen.
Als sie endlich an dem Versammlungsplatz angekommen waren, auf dem das größte Elsirenfeuer brannte, wurden sie bereits erwartet. Der Besuch von Areos und Sonnenherz hatte sich bereits angekündigt.
Ein junger Mann von etwa vierundzwanzig Jahren, von schlankem, großem Wuchs trat ihnen entgegen. Er hatte ein offenes, freundliches Gesicht, das oben von einem hellen Lockenwald, und um das Kinn herum mit einem dünnen und wild gewachsenen Bart umrahmt war. dafür trug er auf seiner Lockenpracht einen Kranz aus Blüten und spitzen Blättern, so, wie in historischen Filmen oft die Figur Cäsars dargestellt wurde.
Wie alle Jo-lie trug er den klassischen Lederschurz, und an einem breiten Gürtel einen Dolch von der Größe eines kleinen Schwertes. Seine Füße steckten in zerlatschten Moccasin, die ihm fast schon von der Haut fielen.
Die ganze Gestalt machte einen trainierten und vitalen Eindruck. Sebastians Blick wanderte zu Antarona. Seine Eifersucht brach wieder durch. Bei so einem Mann musste beinahe jede Frau schwach werden. Doch das Krähenmädchen gab sich eher unbeeindruckt. Sebastian beobachtete sie aus den Augenwinkeln weiter. Vielleicht spielte sie nur die Desinteressierte.
»Seid uns willkommen, Herr Areos von Falméra, und auch ihr, die sie Sonnenherz nennen. Euer beider Ruf eilt euch weit voraus, und dies nicht nur als die Schöpfer des neuen Elsirentanzes.«
Sebastian mochte die überschwängliche Art der Begrüßung nicht, und wunderte sich, dass die Jo-lie einen solchen affektierten, geckhaften Jüngling zum Anführer gewählt hatten. Als der dann noch vor Antarona und Areos auf die Knie fiel, hatte Basti jeglichen Respekt vor ihm verloren.
»Ich bin Temrin, Herr, der gewählte Anführer dieses Volkes, und der Vertraute aller hier. Was immer ihr von uns wünscht, Herr, es wird unsere Verpflichtung sein«, beteuerte der lockige Schönling unterwürfig, und die Umstehenden jubelten ihm zu, wie einem selbst ernannten Gott.
»Wenn ihr Anführer, Vertrauter und Gewählter aller hier seid, Temrin, so werdet ihr sicher wissen, dass sich einige eurer Gemeinschaft von Torbuks Kriegern gefangen gehalten werden. Und ich Areos, König Bentals Sohn wünsche von euch zu wissen, was ihr dagegen unternommen habt, oder zu unternehmen beabsichtigt«.
Sebastian verzichtete bewusst darauf, den jungen Mann sich zunächst erheben zu lassen. Zum einen wollte er demonstrativ klarstellen, wer des höheren Ranges war, zum anderen hatte er nicht vor, mit Temrin eine längere Diskussion darüber zu führen, ob die Jo-lie ihm bei einer Befreiungsaktion helfen sollten.
Ein wenig spielte auch seine Eifersucht in die Entscheidung hinein. Wenn Antarona sah, wie rasch dieser angebliche Anführer sich einem anderen Mann unterwarf, verlor er in ihren Augen wohl schnell an Attraktivität. Was er nicht ahnte war, dass Antarona bereits mit dem ersten Blick Rolle und Charakter des Temrin erfasst hatte.
Außerdem baute Basti darauf, dass die Jo-lie ihm blind folgen würden, wenn es ihm gelang, die Absicht in ihnen zu wecken, ihre Brüder und Schwestern zu befreien. Seinen und Antaronas Ruf, gerade bei den jungen, revolutionär eingestellten Leuten der Îval und Oranuti auszunutzen, hatte er keine Skrupel. Schließlich ging es darum, die Gefangenen vor einem sicheren und qualvollen Tod zu bewahren.
Temrin hockte immer noch auf den Knien vor Sebastian, den Kopf zu Boden geneigt, als hoffte er eine gnädige Ehrung zu erhalten. Basti ärgerte sich darüber, mit solch einem Kindskopf verhandeln zu müssen. Andererseits mochte das vieles erleichtern, und eine schnelle Entscheidung herbeiführen. Er musste nur die Masse der Jo-lie für sich gewinnen.
»Ihr wisst doch, dass viele aus dieser Gemeinschaft in einem Lager, nicht weit von hier, gefangen gehalten, und gefoltert werden«, ließ Sebastian seine Information wie eine Frage klingen. Absichtlich sprach er dabei so laut, dass ihn die Umstehenden gut hören konnten.
Mittlerweile waren so viele halb nackte Jo-lie auf dem Platz versammelt, dass sie bis in die Zwischenräume der Zelte und Hütten hinein standen. Die vorderen Zuhörer gaben das Gehörte an die hinteren weiter, und so pflanzte sich der Dialog zwischen Temrin und Areos über die ganze Zeltstadt fort.
Temrin wusste auf Sebastians Frage nicht sofort zu antworten. Offenbar hatte er keine Kenntnis davon, dass Mitglieder aus der Gemeinschaft verschwunden waren, was freilich daran lag, dass jeder, ganz gleich welchen Geschlechts, Standes, oder Glaubens sich den Jo-lie anschließen, und auch wieder verlassen konnte, wann es ihm beliebte. Es gab keine Kontrolle über Zu- und Abwanderung in Mehi-o-ratea.
Sebastian nutzte die Überraschung Temrins für sich. Er stemmte seine Hände in die Hüfte, wie ein tadelnder Lehrer vor seinem reuigen Schüler und fragte so laut er vermochte:
»Ihr seid der Anführer dieser Gemeinschaft, und somit in gewisser Weise für jeden hier verantwortlich. Wisst ihr von dem Gefangenenlager, oder wisst ihr es nicht? Wenn ihr es nicht wisst, dann erlaubt mit die Frage, warum euch nicht aufgefallen ist, dass immer wieder Jo-lie verschwunden sind.« Sebastian wandte sich den Tausenden Gesichtern der Zuhörer zu, und fragte in die endlos scheinende Menge:
»Hat niemand von euch bemerkt, dass die eine Freundin, oder der eine Freund, dass die Zeltnachbarn, oder Tanzpartner plötzlich nicht mehr da waren? Habt ihr niemals gefragt, wohin sie gegangen sein könnten? Sie waren plötzlich fort, und ihr habt es einfach so hingenommen?«
Ganz bewusst ließ Sebastian seine Frage wie einen Vorwurf, wie eine Anklage klingen, um das Verständnis der jungen Menschen für eine Verantwortung füreinander zu wecken. Und es gelang. Plötzlich erhoben sich unter den Versammelten laute Stimmen, die Fragen stellten, und eine Diskussion untereinander auslösten.
»Herr, hier kommt und geht jeder nach seinem Gutdünken. Es ist dies der Sinn der Freiheit von Mehi-o-ratea, dass es keine Kontrolle, keine Zwänge, und keine Verpflichtungen gibt.«
Sebastian drehte sich wieder um, als er die Stimme einer jungen Frau vernahm. Ein schlankes, hoch gewachsenes Mädchen mit rotblonden, fast rostroten, langen und gewellten Haaren, mit einem hübschen, aber von vielen Erfahrungen geprägten Gesicht stand ihm, wie aus dem Nichts herbeigezaubert, gegenüber. Es war sicher kein Zufall, dass sie sich genau neben den immer noch demütig zu Bastis Füßen hockenden Temrin stehen blieb.
Sie trug wie alle Îval den knappen Lederschurz und ein Oberteil aus dünnem Leder, dass nichts verbarg, außer der Farbe ihrer Haut. Sie trug einen breiten, kräftigen Gürtel, der unter der Last eines kampftauglichen Schwertes einseitig über ihre Taille hinab hing.
Die dünnen Ledermoccasin an ihren Füßen wurden von dicken Fellstreifen gehalten, die sie sich über Kreuz um ihre Waden gewunden, und in den Kniekehlen zusammengebunden hatte, und den Eindruck weicher Pelzstiefel erweckten.
Selbstsicher blickte sie Sebastian und Antarona in die Augen. Basti glaubte sogar etwas wie Kampfeslust, oder ein inneres Aufbegehren in ihren graublauen Augen erkennen zu können. Ihrem Auftreten nach, schien sie viel Mut und innere Sicherheit zu besitzen.
Sie machte sich erst gar nicht die Mühe, sich vor dem Thronfolger Falméras zu verneigen, und sie hielt es nicht einmal für nötig, den Mut und die Überlegenheit, die sie ausstrahlte, in irgendeiner Weise, oder mit einer Geste zu unterstreichen.
Sie stand einfach nur da, mit hängenden Armen. Sie legte nicht einmal die Hand auf den Schwertknauf, eine Geste, die in solchen Situationen unwillkürlich und üblich gewesen wäre. Ihre deutlich hervortretenden Wangenknochen und das schmale, aber ausgeprägte Kinn ließen Entschlossenheit und Standhaftigkeit vermuten. Eine feine, gerade Nase, rund Augenbrauen und ein großer, weicher Mund aber zeugten von einem liebevollen, gütigen Charakter.
Sebastian war davon überzeugt, dass sie mit dem großen Schwert an ihrer Seite nicht viel anzufangen, sehr wohl aber hervorragend damit umzugehen wusste. Das, und ihre offene Haltung machte sie zumindest nicht unsympathisch. Ein Blick zu Antarona genügte, um festzustellen, dass die fremde Frau von seinem Krähenmädchen ähnlich eingeschätzt wurde.
»Wie ist euer Name, wie nennt man euch?« fragte Sebastian, und legte seine ganze Offenheit in seine Stimme, obwohl er vermutete, dass etwas Unsicherheit darin mitschwang.
»Mein Name ist Eisilia von Kandar, Tochter von Tomrack von Kandar. Meine Freunde nennen mich Eisis, und meine Feinde haben mir den Namen Feuerhaupt gegeben.« Dabei warf sie mit einer ruckartigen, spontanen Kopfbewegung ihre üppige Mähne über die Schulter nach hinten, die im Schein des Elsirenfeuers wie lodernde Flammen kupferrot aufleuchtete.
Bei dieser Geste erklärte sich Basti ohne Zweifel der Beiname des Mädchens, das so viel Kampferfahrung zu haben schien, dass ihre Feinde sie klangvoll damit bedacht hatten. Nun mischte sich Antarona in den Dialog ein:
»Ihr seid also jene, welche Feuerhaupt genannt wird«, stellte sie nüchtern fest, »Sonnenherz hat schon Îval im Val Mentiér von euch erzählen hören. Es heißt, ihr seid aufrichtig und gerecht und dient ergeben jener Sache, welcher ihr euch verbunden habt. Doch ihr entstammt einer Familie aus Kandar, das nahe Quaronas liegt. Sonnenherz hat nicht gehört, ob ihr euch dem Tyrannen Torbuk, oder dem König Bental verbunden fühlt.« Plötzlich herrschte eine lastende, unnatürliche stille über dem Platz.
Das, was Antarona wie eine nüchterne Feststellung aussprach, war in Wirklichkeit der Versuch herauszufinden, welcher Seite Eisilia sich verpflichtet fühlte. Das rothaarige Mädchen nahm die Herausforderung wie ganz selbstverständlich an und antwortete:
»Ich fühle mich den Jo-lie verbunden, und all jenen Menschenwesen, die in Frieden und in einem ehrlichen Miteinander leben wollen. Und ich habe jenen meinen Rücken zugekehrt, welche die Freiheit und Gerechtigkeit der Îval und Oranuti gleichermaßen bedrohen.«
Antarona nickte bedeutungsvoll, machte einen Schritt auf die andere Frau zu und reichte ihr die linke Hand, die Hand der Freundschaft, wie sie von allen Îval anerkannt wurde.
»So strebt ihr nach dem gleichen Ansinnen, wie Sonnenherz und Glanzauge hier«, dabei wies sie mit dem Kopf auf Sebastian, den vermeintlichen Areos, »so seid fortan die Schwester von Sonnenherz, Eisilia von Kandar, solange unser beider Streben in eurem Herzen ist.«
Die andere kam ihr mit ihrer Hand entgegen, und die beiden Mädchen legten ihre Hände aufeinander, als ein unsichtbares Band einer Freundschaft, die aus gleichem Interesse gewebt war, und solange hielt, wie dieses Interesse aus beiden Herzen genährt wurde.
Sebastian hatte darüber in den alten Schriften der Îval gelesen, die in den Bibliotheken der Burg Falméra eingelagert waren. Eine solche Freundschaft war wie ein Bündnis, ein Nichtangriffspakt, der solange galt, als keiner von beiden Partnern den gleichen Interessenraum verließ.
Es war aber keine Herzensfreundschaft, wie sie beispielsweise zwischen Antarona und Vesgarina bestand. Eher war es als eine Art Zweckfreundschaft zu verstehen. Sebastian machte sich so seine eigenen Gedanken.
Im Augenblick beschnupperten sich die beiden ebenbürtigen Mädchen nur. Doch wenn diese beiden jungen Frauen wegen verschiedener Interessen jemals aneinander gerieten und zu Gegnerinnen oder Rivalinnen wurden, gab es einen Kampf, der an Heftigkeit und Unerbittlichkeit kaum mehr zu überbieten war. Vor dieser Stunde, sollte sie jemals gegenwärtig werden, hatte er wirkliche Angst.
Um die unsichtbare Spannung zu brechen, die trotz der Freundschaftsbekundungen zwischen den beiden Frauen weiter zu bestehen schien, sagte er für alle hörbar:
»Die Freunde von Sonnenherz sind auch Freunde von Areos von Falméra.« Und an Eisilia gewandt sprach er:
»Ihr scheint vortrefflich mit dem Schwert umgehen zu können. Werdet ihr uns helfen, eure Brüder und Schwestern von Mehi-o-ratea aus dem Lager Torbuks zu befreien?«
Eisilia antwortete nicht sofort. Statt dessen zog sie Temrin, der immer noch ehrfürchtig vor Areos kniete, am Arm hoch, und warf ihm einen tadelnden Blick zu.
»Wie es scheint, vermögt ihr nicht nur mit dem Schwert gut umzugehen«, kommentierte Sebastian ihre Geste in zweideutiger Weise. Das Mädchen hob stolz und ein wenig schnippisch das Kinn und konterte schlagfertig:
»Wie es scheint, vermögt ihr vortrefflich mit Worten umzugehen«, und mit Blick auf Bastis Schwert »und womöglich auch ganz gut mit eurer Waffe, Herr.«
Sie verzichtete nicht auf die Ehrenbekundung, welche sie dem Thronfolger von Standes her schuldig war, doch sie zog seine kriegerischen Fähigkeiten versteckt in Zweifel und ließ das Herr bewusst demonstrativ nach einer kleinen Pause hinter ihrem Satz nachklingen. Und damit noch nicht genug.
»Wenn ihr erlaubt, Herr, Temrin ist mit mir durch den Willen der Götter und den Segen der Elsiren verbunden. Verachtet ihr ihn, so verachtet ihr Eisilia von Kandar.«
Das war mehr als deutlich, und auf dem Platz trat nach ihrer Aussage, die freilich von jedem gehört werden konnte, eine gespenstische Stille ein. Sebastian wusste nun, wer die Jo-lie tatsächlich anführte. Temrin war nur die Fassade. Macht und Stärke gingen eindeutig von Eisilia aus.
Gleichzeitig spürte Basti die Anspannung Antaronas. Er ahnte, dass sie Eisilia von Kandar aus dem Stand anspringen würde, sollte die es wagen, ihm die Gefolgschaft zu verweigern. Würde es dazu kommen, so durfte er sich nach den Gesetzen der Îval nicht einmischen. Er ahnte aber auch, dass Antarona in dieser Frau eine ebenbürtige, wenn nicht stärkere Rivalin gefunden hatte.
Fieberhaft überlegte er, wie er die Situation beruhigen konnte, ohne Eisilia vor den Jo-lie zu demütigen, aber auch ohne sein eigenes Gesicht, und somit seine Autorität als Thronfolger Bentals und als Heerführer Falméras zu verlieren.
»Temrin und Eisilia von Kandar, ihr genießt das Vertrauen der Jo-lie in Mehi-o-ratea«, begann Sebastian mit ruhiger, souveräner Stimme, »und ich, Areos, Heerführer der Truppen von Falméra, ersuche euch und ganz Mehi-o-ratea um Unterstützung.« Er machte eine kleine Pause und wandte sich den versammelten Jo-lie zu.
»Viele Brüder und Schwestern von euch sind in einem Lager nicht weit von hier gefangen. Sicher sind einige darunter, die ihr erst seit wenigen Zentaren vermisst. Freunde von Femra und Permina sind unter ihnen, sowie Freunde von Sonnenherz und Areos. Die Truppen des Königs lagern fünf bis sechs Tagesmärsche entfernt rund um Falméra, da Bental eine Bedrohung durch Torbuk nicht für gegenwärtig hielt.«
Sebastian machte erneut eine Pause, um den Jo-lie Gelegenheit zu geben, den Ernst der Lage zu begreifen. Ein Raunen und Gemurmel ging durch die Reihen der Zuhörer, dass sich rasch in hitzige Diskussionen verwandelte.
Basti positionierte sich nun so, dass er offensichtlich die versammelten Menschen, sowie Temrin und Eisis gleichermaßen ansprach.
»Sonnenherz, Permina und Femra haben mit mir das Lager erkundet, nachdem wir mehrere Wachen zum Schweigen gebracht haben.« Basti entging nicht, dass Eisilia versuchte, ihre Anerkennung zu verbergen. Doch ihre kurzzeitig hochgezogenen Augenbrauen hatte er deutlich erkennen können. Bestärkt in seiner Taktik, setzte er seine Schilderung fort.
»Wir haben etwa fünfzig Zelte gezählt, das sind vermutlich bis zu zweihundert schwer bewaffnete Krieger. Dazu liegen zwei Wasserwagen im Flusslauf, die jederzeit auslaufen können. Wir vermuten, dass die Wilden Horden die gefangenen Jo-lie nach Quaronas bringen, sobald sie genug beisammen haben, um einen Wasserwagen zu füllen.«
Die ängstlichen Stimmen der jungen Menschen schlugen in eine aufgebrachte, beinahe wütende Stimmung um. Sebastian musste beide Arme heben, um für so viel Ruhe zu sorgen, dass er weiter sprechen konnte.
»Wenn wir nicht sehr schnell handeln, werden unsere Brüder und Schwestern nach Quaronas, oder zu den Minen von Zarollon verschleppt. Ihr werdet sie dann niemals wiedersehen, und ihr habt sie dann einem grausamen Schicksal überlassen.«
Nun hob Eisilia die Hände, um die aufgeregten Rufe der Jo-lie zu dämpfen. Dann wandte sie sich für alle hörbar an Basti:
»Wir wussten nichts von einem Lager der Wilden Horden, in dem gefangene Jo-lie sind. Doch es stimmt, wir hatten einige unserer Freunde vermisst, waren aber im Glauben, sie hätten sich nach Falméra zurück begeben.« Sebastian nickte bestätigend.
»Deshalb haben euch die Krieger Torbuks nicht offen angegriffen. Das hatten sie gar nicht nötig. Sie haben einfach gewartet, bis sich Einzelne von euch, oder Pärchen vom Lager entfernt hatten, und nicht mehr im Schutz der Gemeinschaft standen. Ihre Trupps mussten sie nur noch aufsammeln.«
Einen Moment unterbrach er seine Schilderung, und schob Permina und Femra in den Vordergrund.
»Diese beiden hier vermissen ihre Freunde, die zur Jagd aufgebrochen, und nicht zurück gekehrt waren. Sie haben mit uns das feindliche Lager ausgespäht, und mögen euch selbst berichten.« Er nickte den beiden Mädchen zu, und sie begaben sich in die Menge, und erzählten, was sie gesehen und erlebt hatten. Währenddessen wandte sich Basti wieder Temrin und Eisis zu.
»Wir werden versuchen, die Gefangenen zu befreien, ob ihr nun mit uns geht, und uns helft, oder nicht, aber wir werden es tun«, erklärte er bestimmt, »doch mit euch allen wird es einfacher, und die Aussicht darauf, alle unversehrt zurückzuholen, wird größer sein.«
Eisilia hörte ruhig zu, blickte kurz zu Temrin, der jedoch mit ausdrucksloser Miene, wie unbeteiligt, daneben stand, und erwiderte skeptisch:
»Wie wollt ihr gegen zweihundert Krieger Torbuks mit unbewaffneten Jo-lie antreten, und siegen?« Sebastian setzte sein vertrauenswürdigstes Lächeln auf.
»Wir wollen sie ja gar nicht besiegen«, antwortete er geheimnisvoll, »wir wollen sie aufschrecken, durcheinander bringen, zerstreuen. In der allgemeinen Aufregung können wir dann die Gefangenen befreien. Besiegen können sie meine Kohorten, wenn die dann irgendwann eintreffen.«
»Wenn eure Kohorten jemals eintreffen«, ließ Eisilia ihre Zweifel im Raum stehen. Sebastian verstand sogar, dass sie mit diesem Gedanken haderte, denn sie hatte sicher noch nie einen Krieger Bentals in der Nähe Mehi-o-rateas gesehen.
Er wusste, dass es genug Anfragen und Bitten verzweifelter Eltern, denen die jugendlichen Kinder einfach davongelaufen waren, an den König gab, eine Kohorte nach Mehi-o-ratea zu entsenden. Sie drängten darauf, das Dorf der ewigen Jugend und freien Liebe zu räumen, und die Jo-lie zwangsweise ihren Eltern zu überstellen.
Bental jedoch hatte die Entscheidung zu solchen Schritten immer wieder aufgeschoben, denn er wusste um die Probleme, die so eine Maßnahme schaffen würde. Viele Verliebte, deren Verbindung von ihren Eltern nicht akzeptiert wurde, gingen des Nachts im Mondschein in die Sümpfe nahe des Dorfes, und verbanden ihre Herzen unter dem Segen der Elsien.
Auch der König war an den Glauben gebunden, und nicht autorisiert, eine von Elsiren gesegnete Verbindung wieder aufzuheben. Bental wusste auch, dass die Jo-lie selbst dann zu den Sümpfen von Mehi-o-ratea ziehen würden, wenn er das Dorf abreißen ließ. Nur waren die Halbwüchsigen, die gegenwärtig in der Geborgenheit ihrer Gemeinschaft lebten, dann ohne jeglichen Schutz.
So überließ es Bental bequemerweise einer Art Individualrecht, in dem die jeweiligen Eltern selbst dafür Sorge tragen mussten, ihre Jugendlichen zurück zu holen. Nur selten machte sich ein Vater auf, seine Tochter in dem riesigen Lager zu finden, um dann machtlos festzustellen, dass sie sich unter dem Schutz der Elsiren mit einem jungen Mann verbunden hat.
Ein Gesetz, das über dem des Glaubens stand, und die Macht der Elsiren so weit einschränkte, und das den Jo-lie erst ab eines bestimmten Alters erlaubte, ihre Herzen miteinander zu verbinden, gab es nicht. Daher mochte es, wenn auch ziemlich selten, vorkommen, dass ein erst dreizehn Jahre junges Pärchen im Rausch seiner Liebe in den Sumpf stieg und sich unter den Tanz der Elsiren vereinigte.
»Und wie glaubt ihr, dass ihr eine geordnete Streitmacht so durcheinander zu werfen vermögt, dass es euch gelingt, alle Gefangenen zu befreien?« Eisilia riss ihn mit ihrer hintergründigen Frage aus seinen Gedanken.
Sebastian musste zugeben, dass er es nicht wusste. Das aber konnte er unmöglich dieser streitbaren jungen Frau eingestehen. Also wand er sich zunächst einmal diplomatisch aus der Situation, während in seinem Kopf ein Plan zu reifen begann.
»Mit einer List«, gab er knapp zurück, fügte aber noch hinzu, als er Eisilias skeptischen Blick sah:
»Darüber beraten wir besser, wo es etwas ruhiger ist. Hier versteht man ja kein Wort mehr, wie sollte ich es euch da erklären.« Doch damit gab sich das etwas zu dominante Mädchen nicht zufrieden.
»Wie kommt ihr darauf, dass die Jo-lie euch folgen werden, großer Heerführer?« fragte sie keck, und Sebastian spürte, dass sie mit ihrem Repertoire noch lange nicht am Ende war. Sogleich setzte sie nach und ließ sich zu einem wahren Vortrag hinreißen.
»Denkt ihr, sie rennen jubelnd hinter euch her, weil ihr der Thronfolger von Falméra seid? Denkt ihr, ein neuer beliebter Elsirentanz bringt sie dazu? Die Jo-lie sind nicht ohne Grund hier, Herr von Falméra. Mehi-o-ratea gibt es nicht ohne Grund! All diese jungen Îval und Oranuti sind hier, weil sie den alten Bürden entfliehen wollten, weil sie Freiheit wollen, weil sie es satt hatten, von Erwachsenen herumkommandiert zu werden, und gesagt zu bekommen, wen sie lieben durften, und wen nicht. Und da sollten sie ausgerechnet jenem folgen, welcher das Gesetz von Falméra selbst ist?«
Während ihres lauten Redeschwalls wurde es auf dem Platz immer stiller. Voller Spannung und Erwartung sah jedes Augenpaar dorthin, wo sich Areos, Sonnenherz, Temrin und Eisilia gegenüber standen. Sebastian blieb nichts anderes übrig, als die Jo-lie für eine Befreiungsaktion zu begeistern, bevor Eisilia ihre Macht ausspielen konnte.
Und genau darum ging es: Um Macht! Da Eisilia befürchten musste, an Einfluss bei den Jo-lie zu verlieren, versuchte sie naturgemäß zu verhindern, dass die jungen, revolutionären Menschen einer Legende folgten, welche ihr den Status, den sie inne hatte, streitig machen konnte.
Nun tat Sebastian etwas, womit die junge Frau nicht gerechnet hatte. Er drehte ihr den Rücken zu und wandte sich an die vor Neugier lauernden Jo-lie. Dabei hoffte er darauf, dass Antarona ihm den Rücken freihalten würde, sollte Eisilia etwas sehr Unkluges einfallen.
Diesmal musste er nicht die Hände heben, um Ruhe zu erbitten. Es war bereits so still, wie auf einer Beerdigung. Gespannt harrten die Jo-lie aus, in der Hoffnung eine neue Sensation zu erfahren. Nun, eine Sensation war es weniger. Eher schon ein gewagtes Abenteuer.
»Ihr alle wisst, wer ich bin, und wer die Frau ist, welche mit mir in euer Dorf gezogen kam«, begann er mit der Stimme eines Marktschreiers, denn er wollte auch von den weiter weg Stehenden verstanden werden.
»Viele werden sich fragen, was der Thronfolger Falméras in Mehi-o-ratea will, welche Botschaft er von König Bental bringt.« Sebastian machte bewusst an dieser Stelle eine Pause, um das Rätselraten unter seinen Zuhörern noch zu verstärken. Dann sprach er weiter, und entlockte zumindest Antaronas Gesicht ein Erstaunen.
»Nun, Sonnenherz und ich waren nach Mehi-o-ratea aufgebrochen, um den Zwängen und einengenden Protokollen der Burg Falméra und des Königs zu entgehen. Wir wollten freie Luft zum Atmen, wir wollten uns lieben, wann wir es wollten, wir brauchten Freiheit!«
Unter dem wie ein Sturm losbrechenden Jubel der Jo-lie sah ihn sein Krähenmädchen verwundert an. Sie hatte mit allem gerechnet, nur nicht damit, dass er an diesem Ort die Wahrheit preisgeben würde. Sebastian musste einige Sekunden lang die Hände zum Himmel strecken, um neben den lautstarken Zustimmungen wieder Gehör zu finden.
»Ja, auch ein Thronfolger hat den Wunsch, jene zu lieben, die er will, die ihm unter dem Segen der Elsiren verbunden ist. Doch die Interessen der Krone liegen manchmal woanders«, fuhr er fort, »darum waren wir mit zwei guten Freunden hierher gekommen, um Freiheit, Frieden und eine schöne Zeit für uns zu finden, in einer Gemeinschaft, die uns vor jenen schützen sollte, die König Bental ausgesandt hat, uns wieder zurück auf die Burg zu bringen!«
Erneut brach der Jubel los. Die Jo-lie erkannten, dass es ihrem Thronfolger und seiner Geliebten nicht anders erging, als ihnen selbst. Das machte sie zu Verbündeten. Sie teilten das gleiche Schicksal. Und während Eisilias Miene immer mehr verfinsterte, stellte sich Antarona demonstrativ an Bastis Seite, legte ihm verträumt den Kopf auf die Schulter und zeigte dem jungen Volk offen ihre Zuneigung zu jenem, der einmal das Land regieren sollte.
Die offenen und ohrenbetäubenden Solidaritätsbekundungen wollten kein Ende nehmen, und Basti ließ sie eine Weile gewähren, indem er nachdachte, wie er fortfahren sollte. Aber er hatte schon den Nerv der jungen Leute getroffen. Er war einer von ihnen. Ihr Vertrauen war ihm bereits in den Schoß gefallen. Allmählich verebbte die Flut des Zuspruchs und Tausende Ohren lauschten, was nun noch kommen würde.
»Aber mit der Freiheit ist das so eine Sache...«, ließ Sebastian den nächsten Satz bedeutungsvoll verklingen. Seine Stimmlage wurde etwas ruhiger und trauriger, verlor aber kaum an Dramatik.
»Nicht weit von hier, dort, wo der große See sich in viele Arme des Flusses teilt, wurden wir von einem Trupp der Wilden Horden überfallen. Sonnenherz und ich vermochten uns in das schnell fließende Wasser retten, und den Pfeilen der Bogenschützen entgehen.«
Ein empörtes, und überraschtes Raunen ging durch die Reihen der gespannt lauschenden Îval und Oranuti. Einige begannen verhalten darüber zu diskutieren, wo die Wilden Horden denn hergekommen sein sollten. Sebastian sprach weiter:
»Der Trupp hat die Freunde, welche bei uns waren verschleppt.« Wieder ging erstauntes Gemurmel durch die Reihen der halb nackten Körper, die den Platz dicht umstanden. Ab und zu wurden schon Protestrufe gegen Torbuk und Karek laut.
»Nun, wir waren dem Trupp in sicherem Abstand gefolgt, um unsere Freunde bei günstiger Gelegenheit wieder den Klauen der Feinde zu entreißen. Doch dabei stießen wir im Wald auf einen versteckten Wachtrupp. Die haben wir stumm gemacht, damit sie uns nicht in den Rücken fallen konnten.«
Sebastian verzichtete darauf, den Kampf mit den Wachen besonders zu erwähnen, und auszuschmücken, obwohl die jungen Menschen gerade das interessant gefunden hätten. Doch Femra und Permina hatten ohnehin schon dafür gesorgt, dass sich die Vorkommnisse herumsprachen, und wohl schon zur Legende wurden.
»Dann haben uns Permina und Femra, denen wir unterwegs begegneten, und die auf der Suche nach ihren Freunden waren, geholfen, das feindliche Lager auszuspionieren.«
Wieder ging ein Ausruf zwischen Erstaunen und Bewunderung durch die Reihen, und Femra und Permina, die zwischen den Versammelten standen, empfingen Anerkennung und respektvolles Schulterklopfen. Sebastian wartete nicht auf Ruhe, sondern sprach sogleich weiter. Er wollte Eisilia keine Gelegenheit geben, seine Rede zu unterbrechen.
»Wir haben in Torbuks Lager die Zelte von mindestens vier Kohorten mit Heerlagerleuten gesehen. Und wir haben noch etwas gesehen. Die Wilden Horden haben wenigstens zwanzig bis dreißig von euren Freunden gefangen genommen, die in Käfigen gehalten und sehr bald nach Quaronas gebracht werden sollen.«
Das Geschrei und die wütenden Drohungen, die sich nun gegen den unsichtbaren Feind richteten, übertrumpften die bisherigen Empörungen der Versammlung bei weitem. Die Jo-lie wollten sich nicht wieder beruhigen. Sebastian sah seine Chance und heizte die Stimmung noch mehr an.
»Wollen wir uns das gefallen lassen? Wollen wir denen unsere Freunde einfach überlassen, und zusehen, wie eure Schwestern geschändet und eure Brüder erschlagen werden? Wollen wir hier gemütlich an den Feuern sitzen, während die Wilden Horden eure Freunde quälen und töten? Oder wollen wir hingehen, sie befreien, und die stinkende Brut Torbuks in das große Wasser jagen?«
Basti glaubte in ein Wespennest gestochen zu haben. Lautstark erhoben sich die Fäuste der jungen Menschen zum Protest, und Stimmen wie Werfen wir sie raus aus Falméra, oder Lasst sie uns in die Sümpfe jagen, dass sie elend ersaufen mögen, wurden immer lauter.
Plötzlich trat Eisilia vor, hob die Hände und forderte Ruhe. Doch die aufgebrachte Menge der Jo-lie ließ sich nur noch schwer besänftigen. Als die meisten der Versammelten endlich wieder bereit waren, zuzuhören, erhob das eigensinnige Mädchen die Stimme:
»Selbst wenn die Krieger Torbuks Gefangene gemacht haben, Temrin und ich hatten euch stets gewarnt, Mehi-o-ratea allein zu verlassen. Und Areos von Falméra mag vielleicht recht haben, wenn er unsere Freunde befreien will. Doch wie will er das anstellen? Wie sollen wir, die wir kaum ernst zu nehmende Waffen besitzen, gegen die Krieger der Wilden Horden bestehen können? Hat er auch darüber nachgedacht?«
Die blonde Anführerin ließ ihre Worte auf ihr Volk wirken, und tatsächlich entbrannte im Schein des Elsirenfeuers eine kontroverse Diskussion darüber, wie die Chancen für ein solch gewagtes Unternehmen aussehen mochten. Aus den dicht stehenden Versammelten wurden Worte, wie Ja, was vermögen wir schon auszurichten, und Womit sollen wir kämpfen, mit Knüppeln gegen Schwerter?, und wie Sollen wir uns abschlachten, oder auch gefangen nehmen lassen? gerufen.
Erneut war es Sebastian, der mit erhobenen Händen um Ruhe bat. Mittlerweile fühlte er sich wie auf einer Wahlveranstaltung, auf der es darum ging, so viele Stimmen wie möglich zu erwerben. Und während er sprach, reifte in seinem Kopf ein genialer Plan, tollkühn zwar, doch genial. Dabei baute er gedanklich auf die Vorarbeit auf, die er, Antarona, Permina und Femra bereits ohne zu wissen bereits geleistet hatten.
»Sie werden nicht mit einem Angriff rechnen, die fühlen sich in ihrem Lager absolut sicher. Wir können sie so überraschen, dass ihnen Hören und Sehen vergeht. Wir werden sie angreifen, wenn sie am Abend zur Ruhe kommen, wenn es gerade dabei ist, dunkel zu werden. Wir werden sie glauben lassen, dass sie von den Dämonen der Tiefe heimgesucht werden!«
Basti hatte inzwischen eine klare Vorstellung davon, wie Torbuks Krieger geschlagen werden konnten. An physischer Stärke waren sie den Leichtgewichten der Jo-lie weit überlegen. Und die Jugendlichen in ein par Stunden in Antaronas Kampftechnik auszubilden, war selbst unter Berücksichtigung des Umstands nicht möglich, dass viele von ihnen den neuen Elsirentanz mittlerweile besser beherrschten, als Antarona und Sebastian selbst.
Doch psychisch waren die Krieger ebenso angreifbar, wie jedes andere Menschenwesen. Sie mussten nur dafür sorgen, dass sich unter den teilweise ziemlich einfältigen Soldaten im Vorfeld eine gezielt geschürte Angst um sich griff. Auch hierzu hatte Sebastian bereits eine Idee.
Das einzige Problem war die Zeit. Sie konnten es sich nicht leisten, zu lange zu warten. Ebenso bedurfte sein Plan einer gewissen Vorbereitung. Sebastian hatte aber auch einen Vorteil auf seiner Seite: Seine Verbündeten, wenn er sie denn überzeugen konnte, waren allesamt jung, abenteuerlustig, begeisterungsfähig und flexibel. Junge Menschen vermochten spontan zu handeln, ohne zu lange über die Risiken nachzudenken.
Die Risiken bereits in der Planung zu minimieren, war seine, Sebastians Aufgabe. Einzig und allein die Organisation war eine Herausforderung, die einiger Überlegungen bedurfte. Aber da half ihm Eisilia, ohne, dass sie es beabsichtigt hatte. Laut erhob sie ihre helle Stimme über die Köpfe der Versammelten hinweg.
»Wie wollt ihr das anstellen? Sollen alle Jo-lie auf der Stelle loslaufen und ihre Schleudern, Knüppel, Bogen und Speere aus ihrer Jaente holen, und im Dunkeln durch den Wald stürmen, und die Wilden Horden überrennen?«
Eisilia hatte ihre Frage provozierend wiederholt. Wahrscheinlich zielte sie darauf ab, den Jo-lie klar zu machen, dass sie mit ihren unzulänglichen Jagdwaffen eine gut gerüstete Truppe im Begriff war, anzugreifen. Sebastian sah die junge Frau offen an und sagte nur:
»Ja, genau das.« Dann wandte er sich wieder den gespannt wartenden Jo-lie zu. Er sprach so laut, dass ihn auch die hinteren Reihen noch gut hören konnten.
»Wenn ihr Antarona und mir vertraut, dann können wir die ganze Bande auf einen Streich in die Flucht schlagen, und eure Freunde befreien. Dazu müssen wir uns mit jenen beraten, die ihr als eure Anführer ausgewählt habt. Wenn ihr dazu bereit seid, den Wilden Horden einen gehörigen Schreck einzujagen, dann lauft nun los und holt die Waffe, die ihr besitzt und welche ihr am besten beherrscht. Dann findet euch wieder hier ein. Wir werden euch dann erklären, wie wir die Bastarde in das große Wasser jagen können.«
Nach einigen begeisterten Zurufen löste sich die Versammlung auf, und die Jo-lie liefen los, ihre Waffen zu holen. Einige aber blieben zu Bastis Verwunderung stehen.
»Dies sind die Sprecher der Dorfclans«, erklärte Eisilia widerwillig. »Im Laufe der Zentaren haben sich in Mehi-o-ratea viele Clans gebildet. Alle, die hierher kommen, können von einem Clan aufgenommen werden, oder gründen selbst einen. Das steht jedem frei. Die einzelnen Clans erwählen ihre Clanführer, die wiederum dann Temrin zum Führer von Mehi-o-ratea gewählt haben. Es gibt hier keinen Führer nach Erbrecht!«
Den letzten Satz, den sie überdeutlich und betont aussprach, verstand Sebastian als klare Aussage darüber, dass die Gemeinschaft grundsätzlich keinen Anweisungen der Königsfamilie folgen würde, wenn dies von der Mehrheit abgelehnt wurde.
Sebastian Lauknitz war dennoch angenehm beeindruckt. Ohne den Begriff als solchen zu kennen, lebte die Gemeinschaft von Mehi-o-ratea die Grundform der Demokratie. Das Ziel, wohin er das gesamte Volk der Îval führen wollte, hier, in der Enklave aus Zelten, Hütten und offenen Lager hatten es die Jo-lie bereits erreicht.
Nun musste er noch Eisilia und das Volk der Jo-lie davon überzeugen, dass er genau ihre Lebensgemeinschaft als Regierungsform durchsetzen wollte, sobald die Bedrohung durch Quaronas abgewendet war. Dann mochte es ein Kinderspiel sein, die Jo-lie für einen Angriff auf das Lager der Wilden Horden zu gewinnen.
Sebastian winkte die verloren herumstehenden Clanführer heran und gemeinsam mit Eisilia, Antarona und Temrin nahmen sie an einem großen Feuer platz, um zu beraten. Sebastian, der als Areos auch in dieser revolutionären Gemeinschaft noch Autorität besaß, ergriff als erster das Wort.
»Ihr alle kennt mich. Und ihr alle habt gewiss schon von Sonnenherz gehört. Wir zwei sind aus dem Val Mentiér gekommen, um meinen Vater, König Bental davon zu überzeugen, dass eine neue Form von Regierung, die man in der Welt der Götter Demo-kra-tie nennt, einzuführen.« Er ignorierte die erstaunten und verwirrten Gesichter und fuhr fort:
»Demo-kra-tie bedeutet, dass jede Frau und jeder Mann des Volkes erwählen darf, welchen, oder welche Îval sie als Führer des Volkes wünschen. Welche, oder welcher den meisten Zuspruch erhält, wird dann neben dem König, welcher seit ewigen Zentaren von Talris bestimmt wird, das Land führen.«
»Aber das haben wir in Mehi-o-ratea doch bereits«, fiel ihm ein junger Bursche ins Wort, »wir haben Temrin zu unserem Anführer erwählt!« Basti nickte dem Jungen zustimmend und gewichtig zu und antwortete:
»Ja, ich weiß, und genau das macht mir Mut und Hoffnung, dies für ganz Falméra, für die Täler unter dem ewigen Eis, und für ganz Volossoda zu erreichen.« Mit dieser Absicht erntete er anerkennende Blicke und die Clanführer tauschten zuversichtliche Worte untereinander aus. Sebastian unterbrach sie in dieser Phase nicht gern, doch die Zeit drängte. So erhob er wieder seine Stimme.
»Aber um Bental friedlich dazu zu bewegen, die alleinige Macht im Land mit dem Volk zu teilen, müssen wir beweisen, dass wir fähig sind, als Volk, als Gemeinschaft Entscheidungen zu treffen, und unsere Ansinnen zu verteidigen. Das heißt auch, wir dürfen es nicht einfach hinnehmen, dass unsere Brüder und Schwestern gefangen genommen und verschleppt werden. Wenn wir dem König beweisen, dass wir auch ohne seine Krieger, allein als Volk dafür sorgen können, dass so etwas nicht geschieht, dann wird er gar nicht anders können, als uns anhören, und einer Machtteilung zuzustimmen.«
Er ließ seine Worte kurz auf die jungen Leute wirken, und bemerkte, dass er mit seinem Vortrag auch Antarona beeindruckte. Das Krähenmädchen hatte die ganze Zeit über, seit sie in das Dorf gekommen waren, auffällig und überwiegend geschwiegen.
Sebastian hatte vermutet, dass sie den Begriff Demokratie selbst über die ganze Zeit hinweg nicht wirklich begriffen hatte, seit sie vom Hof ihres Vaters aufgebrochen waren. Allmählich aber, und besonders am sichtlichen Beispiel Mehi-o-rateas, schien sie zu verstehen, worum es ging. In ihrem Kopf arbeitete es mit Hochdruck, das konnte er spüren.
»Zuerst einmal müssen wir aber unsere Freunde aus den Händen der Wilden Horden befreien. Das wird nicht ohne Blut und Tod möglich sein, und es wird das erste Opfer sein, das für die Freiheit des ganzen Volkes der Îval zu erbringen ist.«
So fuhr Sebastian in seiner rede fort, um die Jo-lie auf seinen kleinen Feldzug einzuschwören. Und bevor wiederum zweifelnde Fragen aufkamen, begann er die jungen Menschen darüber zu informieren, wie er sich die Befreiungsaktion vorstellte:
»Wir werden in der Nacht angreifen«, erklärte er zum großen Erstaunen aller. Freilich wusste er, dass diese Taktik ein großes Risiko für die Angreifer in sich barg. Doch wenn er den Vorteil nutzen wollte, den Kriegern Torbuks das Fürchten zu lehren, und sie völlig zu überrumpeln, dann sah er darin die einzige Möglichkeit.
»Vor dem eigentlichen Angriff auf das Lager werden wir den Wilden Horden erst mal gehörig Angst einjagen«, beruhigte er die erschrockenen Gesichter seiner Zuhörer wieder.
»Wir werden zu Beginn der Dämmerung und im Schutz der Dunkelheit und des Waldes einige Dinge tun, die den Männern im Lager Furcht einflößen. Zum Beispiel können wir laute Geräusche machen, die ansonsten im Wald nicht zu hören sind.« Eisilia, die sich mittlerweile damit abgefunden hatte, nicht mehr die allererste Rolle zu spielen, unterbrach ihn und schlug vor:
»Wir können unsere Ratterstöcke einsetzen. Die benutzen wir im Wald, um uns dort über weite Zentaren hinweg zu verständigen.«
Fragend sah Basti das Mädchen an. Sie machte eine Armbewegung zum Zelt Temrins hin, und sofort brachte eines der dort wartenden Mädchen ein seltsam aussehendes Holzgebilde. Es bestand aus einem flachen, abgerundeten, etwas über eine Elle langes Holzstück, das auf einer Seite grob ausgehauene Zähne aufwies.
Eisilia nahm das Holz und ließ die Zähne über eine Zeltstange rattern. Das Geräusch, das dabei erzeugt wurde, erinnerte Sebastian an das Zirpen einer Grille, eben nur sehr viel lauter und intensiver, als steckte eine Riesengrille im nahen Gebüsch.
»Wenn wir es im Wald an abgestorbenen, hohlen Bäumen machen«, erklärte Eisilia, »dann klingt es noch sehr viel lauter, es dröhnt richtig durch den Wald.« Sebastian überlegte kurz, dann lobte er den genialen Einfall.
»Das ist eine sehr gute Sache! Damit haben wir zwei Vorteile. Wir können uns über mehrere Zentaren hinweg verständigen, und schaffen Geräusche, die Torbuks Männern Angst machen.«
»Vielleicht können wir auch das farbige Licht benutzen«, warf einer der Clanführer ein, »das kennen Torbuks Leute gewiss nicht.« Sebastian blickte aufmerksam auf und sah Eisilia fragend an. Das Mädchen erklärte:
»Die Jo-lie benutzen oft verschiedene Pulver aus zermahlenen Erden, Rinden, Wurzeln und Blättern, um die Elsirenfeuer und ihren Rauch blau, grün, rot, oder gelb, manchmal auch lila zu färben. Das könnte auch Feuer und Rauch der Fackeln einfärben. In der Nacht sieht das im Wald sehr furchtsam aus.«
Sebastian gab sich beeindruckt, lobte den Einfallsreichtum der Jo-lie, und erklärte die Sache für eine gute Idee. Er staunte auch über Eisilia, die plötzlich gar nicht mehr so sehr darauf bedacht war, ihre Vormachtstellung zu wahren, sondern sich mit wachsender Begeisterung in die Planung integrierte.
Während nach und nach die Jo-lie mit ihren Waffen wieder auf dem Platz erschienen, offenbarte er den Clanführern seinen Angriffsplan, der sich immer deutlicher und perfekter in seinem Kopf manifestiert hatte.
Danach wollten Antarona und er selbst mit ein par kampferprobten Burschen am Nachmittag feindliche Wachstellungen im Wald auskundschaften, und die Wachen nach Möglichkeit ausschalten.
Dann, später am Abend, sollten sich die Jo-lie in fünf große Gruppen aufteilen. Die erste Gruppe, bestehend aus den jüngeren Mitgliedern und unerfahrenen Mädchen der Dorfgemeinschaft, geführt von zwei oder drei erfahreneren jungen Frauen, sollte bereits während der Dämmerung in den Wald nahe des feindlichen Lagers einsickern.
Sie sollten im Schutz der Baumschatten mit den Ratterhölzern in unregelmäßigen Abständen Lärm machen und bunten Rauch aufsteigen lassen. Außerdem sollten sie Seile zwischen die Bäume spannen, um etwaige Verfolger aufzuhalten. Die Jo-lie selbst, die sich zurückzogen, sollten die Schneisen dazwischen benutzen, die nur ihnen bekannt waren.
Einer zweiten Gruppe fiel die Aufgabe zu, bei Dunkelheit das weiter stromaufwärts liegende Schiff anzugreifen, die Wachen zu überwältigen, und das Schiff zu kapern, oder zu versenken. Das zweite, weiter stromab gelegene Schiff aber sollten sie nicht behelligen. Sebastian hoffte darauf, dass sich ein großer Teil der fliehenden Krieger auf das Schiff retten, und zum Festland segeln würde. Die Soldaten, die sich über das Wasser davon machten, konnten sie nicht mehr verfolgen, um Vergeltung zu üben.
Gleichzeitig sollten zwei große Gruppen, hierbei dachte Basti an die Mutigsten und Erfahrensten der Jo-lie, das Lager von zwei Seiten her angreifen, und die Gefangenen befreien. Für die fünfte Einheit hatte er die besten Bogenschützen vorgesehen. Sie sollten kurz vor dem Angriff aus der Deckung heraus bewegliche Ziele im von den Feuern beleuchteten Lager attackieren.
Anschließend sollten sie sich bereithalten, die befreiten Gefangenen durch den Wald ins Dorf zu schleusen. Sebastian ging von geschwächten, oder gar verletzten Jo-lie aus, und wollte verhindern, dass diese orientierungslos durch den Wald irrten, und möglicherweise am Morgen wieder den Aufklärungstrupps der Wilden Horden in die Hände fielen.
Aus dem Mund des Areos klang der ganze Plan für die Ohren der Jo-lie einfach und sicher. Zu sicher, wie Basti selbst befand. Er rechnete viel zu sehr damit, dass sich die Krieger Torbuks aufgrund des Vorspektakels im Wald viel zu leicht ins Bockshorn jagen ließen. Was aber, wenn die kampferprobten Männer sofort zum Gegenangriff übergingen? Was sollten sie tun, wenn die Wilden Horden in Mehi-o-ratea einrückten?
Bis die beiden Boten, die Sebastian vor der Beratung nach Falméra losgeschickt hatte, dort ankamen, die Heerlager alarmierten, und bis die ersten Kohorten eingetroffen waren, hätten die Wilden Horden Mehi-o-ratea niedergebrannt, geplündert, und wären mit vielen weiteren Gefangenen auf das offene Meer hinaus gesegelt.
Sebastian wusste, dass er das ganze Dorf riskierte, um ein par Gefangene zu retten. Er wusste auch, dass er so eine Entscheidung in seiner Welt niemals gewagt hätte. Doch hier war eben alles anders. In Antaronas Welt galt dort, wo der Arm des Königs und der Gesetzte nicht hin reichte, das Recht des Stärkeren.
Er riskierte viel. Nicht nur das Vertrauen der Jo-lie, der zukünftigen Generation, in ihren Thronfolger, Heerführer und prohezeiten Befreier. Er verpfändete das Leben unzähliger junger Menschen, möglicherweise sogar die Sicherheit Falméras und des Val Mentiér, sollte Torbuk den Widerstand zum Anlass nehmen, die Insel und die Dörfer auf dem Festland offen anzugreifen.
Sebastian erinnerte sich an den Anblick der kaum überschaubaren Heerlager vor der Stadt Quaronas, als er mit Antarona über die Berge zur Küste ging. Wenn diese Massen zu marschieren begannen, waren sie kaum aufzuhalten. Und Basti war sich sicher: Hätte Torbuk bereits die gewünschte Anzahl Wasserwagen zur Verfügung, würden die Heere schon marschieren!
»Das klingt alles sehr schön«, unterbrach Eisilia seine sorgenvollen Gedanken, »doch was tun wir, wenn sich die Reiterkrieger nicht so leicht überrumpeln lassen, und unsere Angreifer niederkämpfen?« Die Stille die nach dieser Frage das Knistern des Lagerfeuers unerträglich laut klingen ließ, zwang Sebastian zu einer Antwort, die Zuversicht, Sicherheit und Erfolg versprach.
Als hätte er diese Frage erwartet, zog Sebastian seine Karte von Falméra aus seiner Tasche, breitete sie vor dem Feuer auf dem Boden aus, und strich sie mit der flachen Hand glatt. Er musste improvisieren. Noch während er sprach, entwickelte er eine Strategie, wie sich die Jo-lie im Falle eines Rückzugs in Sicherheit bringen konnten. Sein Finger tippte auf einen kleinen, blassen und roten Fleck auf der Karte.
»Hier sind wir, das ist Mehi-o-ratea«, versuchte er Zeit zu gewinnen. »Und dort liegt das Lager der Wilden Horden. Dazwischen liegt dichter Wald. Er zieht sich am Saum des Flusses bis zum Sumpf hin, wo die beiden Wasserwagen Torbuks am Ufer liegen.«
Die Clanführer der Jo-lie folgten interessiert seinem Finger auf dem Papier, obwohl Basti vermutete, dass nur wenige mit der Karte etwas anzufangen wussten. Die Gabe zu Lesen und zu Schreiben war in dieser Welt so verbreitet, wie in seiner Heimat zur Zeit des Mittelalters.
»Sind Torbuks Leute zu stark und gewinnen die Oberhand«, fuhr er fort, »so ziehen wir uns in den Schutz des dunklen Waldes zurück. Die erste Gruppe wird die Versprengten dann auf Lichtungen sammeln, und mit bunten Fackeln nach Mehi-o-ratea führen. Sollten Torbuks Männer weiter nachsetzten, werden wir uns hierhin zurückziehen.«
Dabei ließ er seinen Finger auf der Karte bis zur Küste im Osten gleiten und tippte auf die Darstellung der Felsen, die offenbar schroff über dem Meer thronten.
»Hier in den Bergen könnten wir uns verstecken, gut verteidigen und notfalls an der Küste entlang nach Falméra durchschlagen.«
Eisilia war es wieder, die Bastis Plänen mit Skepsis entgegentrat. Er war sogar dankbar dafür, denn so ließen sich Fehler in seiner Strategie aufdecken und Lösungen finden.
»Wie wollt ihr erreichen, dass wir uns im finsteren Wald zurechtfinden, ohne auch den Wilden Horden den Weg zu weisen?« wollte sie wissen. Außerdem gab sie zu bedenken, dass die erste Gruppe, welche die Pfade durch den Wald für den Rückzug sichern sollte, aus den jüngsten und schwächsten Mitgliedern des Dorfes bestand. Sebastian überlegte kurz, dann kam ihm ein Gedanke.
»Wir werden am Tage wenigstens drei Wege zwischen dem Lager der Wilden Horden und Mehi-o-ratea zeichnen. Dazu werden wir in die Bäume je vier Kerben schlagen und diese mit Farbe versehen. Die Kerben in Richtung Lager werden eine andere Farbe erhalten, als jene die ins Dorf weisen.« Bevor er weiter sprach, machte er eine kleine Pause, um sich zu vergewissern, dass er von jedem verstanden wurde.
»Des Nachts hält man im Wald die Fackel über dem Kopf, um weiter sehen zu können. Daher werden wir die Kerben am Fuße der Bäume anbringen. Sollten uns Torbuks Reiter folgen, werden sie diese nicht so rasch entdecken. Wir aber wissen, wo sich die Wegweiser befinden. Und wenn wir die Kerben recht dicht anbringen, so müssen wir auch nicht weit sehen können, so genügt es von Baumstamm zu Baumstamm zu schauen.«
Beeindruckte Blicke und zustimmendes Nicken ringsum bestätigten ihm die Brauchbarkeit seiner Idee. Selbst Antarona, die sich absolut zurückgehalten hatte, schien überzeugt. Als keine Einwände zu hören waren, schlug sich Sebastian mit einem Klatschen auf den Oberschenkel und verkündete entschlossen:
»Dann machen wir es so!« Mit der gespielten Würde und Ruhe eines Monarchen stand er auf, richtete seinen Lederschurz und sagte auffordernd:
»Lasst uns gleich beginnen, wir haben eine Nacht und einen Tag Zeit, uns so vorzubereiten, dass wir gute Aussichten haben, den Wilden Horden das Fürchten zu lehren, und unsere Freunde zu befreien!«
Nun galt es, auch die Unterführer der zum Teil unwillkürlich sich zusammengefundenen Clans auf die Pläne und Taktik einzuschwören. Es mussten die Gruppen je nach Fähigkeit und Fertigkeit gebildet werden. Es mussten Bogenschützen bestimmt werden, sowie diejenigen Jo-lie ausgesucht werden, die Erfahrungen im Schwertkampf besaßen.
Sebastian Lauknitz holte tief Luft, seufzte und schüttelte ganz langsam den Kopf, so dass Antarona ihn zweifelnd ansah. Er machte eine ausholende Geste über die Köpfe der versammelten Jo-lie hinweg, und sagte:
»Mögen auch viele von ihnen bereits Männer und erfahrene Frauen sein, so habe ich letztlich doch eine Heer von Kindern, eine Kinderarmee.« Es klang ein wenig verzweifelt, und Antarona legte ihm liebevoll die Hand auf den Arm und sprach:
»Sie mögen Kinder sein, Ba - shtie, doch sie besitzen die mutigen Herzen von geachteten und gefürchteten Kriegern. Sie sind jung, wendig, und ihr Drang nach Taten wird ihnen die Kraft für einen Sieg verleihen. Wenn die Alten das Land nicht zu schützen vermögen, so liegt die letzte Hoffnung in jenen, welche noch arm an Sommern und Wintern sind. Doch ihre Herzen wissen, wohin sie gehören. Sie alle mögen sich als die Jo-lie betrachten, dennoch sind sie alle Îval und Oranuti, welche den Wunsch nach Freiheit und Frieden haben.« Sie ließ ihren Bogen wie einen Herrscherstab über die Köpfe der Jo-lie weisen und fügte hinzu:
»Seht sie, Ba - shtie, sie alle sind mit ihren Waffen gekommen, sie sind bereit für ihre Freiheit zu kämpfen und zu sterben.«
Er sah es. Doch er sah es mit Sorge. Das, was Antarona die Waffen der Jo-lie nannte, waren alles andere, als eine Ausrüstung für einen Krieg. Stolz präsentierten die jungen Îval und Oranuti ihre Jagd- und Verteidigungsinstrumente, die nun auch für einen Angriff genügen mussten.
Schwerter und Lanzen sah Basti kaum. Dafür aber jede Menge Bogen in verschiedensten Bauweisen und dünne Speere aller erdenklichen Längen. Dazu schwangen viele der jungen Leute so etwas, wie eine Bola, ein Instrument, das nützlich und für einen Gegner durchaus gefährlich sein mochte.
Außerdem hatten sich die Jo-lie mit Knüppeln, kleinen Äxten, Keulen, zuweilen auch nur mit großen Messern bewaffnet. Einige hatten Hartholzkugeln, die mit Steinsplittern gespickt waren, an einer langen Lederschnur befestigt, und ließen diese übermütig kreisen. Gegen eine Rüstung mochten diese improvisierten Morgensterne nicht viel ausrichten, doch gegen überraschte Krieger, die von ihrem Lagerfeuer aufgeschreckt wurden, konnten sie eine verheerende Wirkung haben.
Dann sah er einige Mädchen, die sich nur mit langen, geflochtenen und aufgewickelten Lederschnüren behangen hatten. Sie gaben ein besonders skurriles Bild ab. Die Schnüre auf ihren halb nackten Körpern suggerierten dem Betrachter, ein eigenwilliges, mehr zum Schmuck gedachtes Kleidungsstück. Interessiert ging Basti auf die jungen Frauen zu.
»Ein jedes Ding mag uns helfen, unsere Freunde aus den Fängen der Wilden Horden zu befreien. Mögt ihr mir dennoch verraten, welcher Waffe ihr euch bedienen wollt? Ich sehe nur die dünnen Seile, die sich um eure Leiber schlingen, wie...« Weiter kam Sebastian nicht.
Die Mädchen machten ein par schnell Schritte rückwärts, wirbelten in unglaublicher Schnelligkeit um sich selbst und im nächsten Augenblick sah er nur noch ihre glänzenden Leiber im Schein des Feuers aufblitzen. Nur einen Wimpernschlag später spürte er, wie sich etwas wie von Zauberhand, fast sanft um seinen Hals, um seine Brust und Beine legte, das sich dann aber plötzlich zusammenzog, ihn von den Beinen riss, und schier Bewegungsunfähig machte.
Basti lag unter dem Gelächter aller im Dreck und vermochte sich kaum mehr zu rühren. Siegessicher traten die jungen Frauen heran, die Enden der Lederschnüre noch in der Hand. Überlegen lächelnd machten sie sich daran, ihn aus ihren Wurfschlingen zu befreien.
»Was fällt euch dummen Nattern ein, Areos von Falméra so achtlos und unwürdig zu behandeln?« Schimpfend stürmte Eisilia heran, die das Geschehen aus der Entfernung beobachtet hatte.
»Wie könnt ihr es wagen, den Heerführer Falméras der Lächerlichkeit anheim zu geben! Hinfort mit euch, und seht zu, dass die Feuer mit neuem Holz genährt werden!« fuhr sie wie eine Aufseherin dazwischen. Die Mädchen wollten sich schon beschämt zum Gehen wenden, als Sebastian sie aufhielt.
»Nein, halt, wartet!« Er rappelte sich hoch, schlug sich den Staub von der Haut und aus dem Lederschurz und ging auf die vermeintlich respektlosen und frechen Frauen zu. Eisilia folgte ihm rasch und wollte gerade eine neue vorwurfsvolle Triade loslassen, als Bastis gebieterisch erhobene Hand sie bremste.
Er sah nicht das böse Funkeln in ihren Augen, auch nicht, dass sie den Mädchen vernichtende Blicke zuwarf. Statt dessen lächelte er versöhnlich und streckte die Hand nach den Lederstricken aus, die noch bedrohlich in den zierlichen Händen der jungen Frauen hingen.
»Verzeiht, Herr, wenn wir übereilt gehandelt haben. Wir wollten euch nicht dem Gespött der Jo-lie aussetzen«, entschuldigte sich ein Mädchen mit schwarzen Haaren und gebräunter Haut. Sie war offensichtlich eine Oranuti, obwohl sie nicht die fettleibige Trägheit der verwöhnten Töchter der Oranuti- Fürsten von Falméra verkörperte.
Vielmehr war sie schlank, von trainierter Statur, und doch von feingliedriger Grazie, wie Sebastian sie von Antarona kannte. Die Mutter eine Oranuti, der Vater Îval. Indem ihm dieser Gedanke durch den Kopf schoss, fiel das Mädchen auf die Knie, senkte den Blick, und erwartete offensichtlich eine rüde Zurechtweisung.
Anscheinend war ihr nach der Rüge Eisilias der Übermut bewusst geworden, mit dem sie und ihre Freundinnen sich im Rausch der Euphorie hatten treiben lassen. Sebastian aber zog sie an den Armen wieder hoch und sah die vier Mädchen lächelnd an.
»Selbst, wenn ihr ohne sichtbare Waffen erschienen wärt, so hättet ihr doch eine der wichtigsten Waffen gegen unseren Feind mit auf diesen Platz gebracht.« Dabei winkte er nun Eisilia heran, die noch immer mit finsterer Miene hinter ihm stand. An sie und auch an alle Versammelten gewandt sprach er laut weiter:
»Diese Frauen hier haben nicht nur ihr Geschick mit ihren Waffen bewiesen, sie haben außerdem die wichtigste Waffe mitgebracht, die wir für den Sieg über die Wilden Horden brauchen. Den Mut und die Bereitschaft, etwas zu tun! Der Mut, zu versuchen, unseren gefangenen Freunden zu helfen, ist die stärkste Waffe, die wir haben. Denn was nützen uns die besten Schwerter, die härtesten Rüstungen, wenn es uns an Entschlossenheit fehlt? Hier haben wir vier Kriegerinnen, welche diese Bezeichnung wahrhaft verdienen!«
Etwas leiser wandte er sich wieder den vier Mädchen zu. Die hatte deutlich farbigere Wangen bekommen, was weniger dem Elsirenfeuer zuzuschreiben war, als der Scham, vor allen Versammelten herausgestellt zu werden.
»Woher besitzt ihr die Gabe, so vorzüglich mit den Wurfschlingen umzugehen? Ihr seid sehr gut damit, und diese Gabe kann uns eine große Hilfe sein.« Das schwarzhaarige Mädchen antwortete schüchtern:
»Mein Vater, er züchtet Pla-kas. Die jungen Tiere müssen oft auf der Weide eingefangen werden, um sie auf den Markt zu bringen. Dabei haben wir gelernt, die Schlingen sicher zu werfen. Meine Freundinnen helfen mir oft dabei, daher vermögen auch sie gut damit umzugehen.«
»Und nur durch den Umgang mit Pla-kas gewinnt man eine solche Sicherheit und Zielfertigkeit?« forschte Sebastian nach.
Nun gab ein anderes Mädchen die Antwort, wohl aus der solidarischen Verpflichtung heraus, ihrer Freundin helfen zu müssen.
»Nicht ganz, Herr«, gab sie zu, »wir übten das Schlingenwerfen oft nur zum Spaß, manchmal holten wir damit Früchte von den Bäumen, oder fingen Wasel, die wir dann wieder laufen ließen.« Nun tauten die Vier immer mehr auf und ein anderes Mädchen erzählte begeistert:
»Einmal stahlen ein par Oranuti- Männer meinen Eltern einige gerade gefertigte Kleidungsstücke. Wir verfolgten sie und von einer Mauer aus entrissen wir ihnen das Diebesgut mit unseren Schlingen.«
Die Umstehenden brachen in schallendes Gelächter aus, als sie sich diese Szene bildlich vorstellten. Das Eis war gebrochen, und die Mädchen wurden immer redseliger. Bald plapperten alle vier vor Aufregung durcheinander, eine jede wollte eines ihrer Abenteuer zum Besten geben.
Sebastian hatte aber keine Zeit, ihnen Stunden lang zuzuhören. Es musste noch vieles vorbereitet werden, bevor die nächste Nacht heranbrach. Also unterbrach er die Erlebnisse der jungen Kriegerinnen:
»Ihr werdet noch weitere gute Taten mit euren Schlingen vollbringen«, prophezeite er, »doch jetzt wollen wir feststellen, ob noch andere eurer Gemeinschaft brauchbare Fähigkeiten besitzen.«
Das jedoch war schwieriger, als gedacht. Um einen Überblick über die Einsatzstärke zu bekommen, mussten zunächst alle Jo-lie, die ähnliche oder gleiche Fertigkeiten und Kampferfahrungen hatten, in Gruppen zusammengefasst werden.
Damit das nicht in einem heillosen Chaos aus jungen Menschen, Waffen und lauten Stimmen versank, mussten die Clanführer helfen. Sie kannten am besten die Talente ihrer Clanmitglieder. Sebastian, Antarona und Eisilia nahmen sich Gruppe für Gruppe vor, stellten fest, wo die einzelnen Mitglieder eingesetzt werden konnten.
Anschließend riefen sie die ausgewählten jungen Männer und Frauen auf, und schickten sie in einen Teil des Dorfes, wo sie sich sammeln sollten. Es dauerte beinahe die ganze Nacht, bis der Platz vor dem Zelt Temrins annähernd menschenleer war.
Aber sie hatten es geschafft, die Mädchen und jungen Männer in Gruppen von Bogenschützen, Speerwerfern, Schwertkämpfern, Fährtenlesern, und anderen Begabungen zu separieren. Alle Jo-lie, die gleiche Gaben besaßen, hockten nun an Feuern beisammen, tauschten sich aus, lernten sich kennen, und diskutierten aufgeregt die bevorstehende Befreiungsaktion.
Das Dorf kam entgegen anderen Nächten nicht zur Ruhe. Aufgeregt liefen die Jo-lie zwischen den Clanlagern hin und her, holten noch Waffen, oder trafen sich mit den Freunden ihres eigenen Lagers, und kehrten wieder zu den zugewiesenen Lagern zurück.
Im Grunde warteten alle aufgeregt und ungeduldig auf weitere Anweisungen. Die meisten von ihnen fieberten bereits dem Angriff entgegen. Sebastian befürchtete, dass der bevorstehende Kampf in vielen von ihnen ein traumatisches Erlebnis hinterlassen würde, das sie Zeit ihres Lebens nicht mehr los werden würden.
Doch wenn diese jungen Menschen die letzte Hoffnung auf Freiheit und Befreiung der Îval von der Unterdrückung Quaronas waren, dann mussten sie ohnehin schnell lernen, erwachsen zu werden. Dieser Kampf würde ihre Reifeprüfung werden, ihre Feuertaufe, ihr erster Schritt in die Verantwortung für ihr eigenes Volk.
Als die Sonne begann, am dunstigen Himmel emporzusteigen, und die vielen Düfte des Dorfes, aber auch des Waldes verstärkt in die Sinne der Menschenwesen traten, machten Sebastian und Antarona bereit.
Sie hatten nur etwa zwei Stunden geschlafen. In einem Vorraum von Temrins Hütte hatten sie sich unter ihr Fell vergraben, und versucht, die allgemeine Aufregung im Dorf zu ignorieren. Die schwer auf ihnen lastende Müdigkeit half, das dies gelang.
Nun standen sie auf den Stufen zu Temrins Hütteneingang, sogen die Morgenluft in ihre Lungen und blickten über das Dorf. Wolkenloser Himmel überspannte das Land, doch der schwere Dunst zeugte von hoher Luftfeuchtigkeit.
Es roch nach den Blüten verschiedenster pflanzen, vermischt mit dem Geruch des Flusses, dessen Fluten hinter den Hütten gemächlich vorüberzogen. Es roch nach erloschenen, und wieder angezündeten Holzfeuern, und ab und zu wehte der Duft von gebratenem Fleisch herüber.
Obwohl die Luft sich in der Nacht abgekühlt hatte, war es immer noch schwülwarm. Ein Gewitter lag seit längerer Zeit unbestimmt in der Luft, doch noch fehlten die Wolken dafür. Hatten sich an den Abenden ein par Wattebälle am Himmel zusammengezogen, so lösten sie sich in der kälteren Nachtzeit wieder auf.
Auf dem Platz, den in der Nacht das ganze Dorf bevölkert hatte, herrschte noch friedliche Stille. Ein streunender, kleiner Hund lief schnüffelnd umher, und ein barfüßiges Mädchen im traditionellen Lederschurz trug ein Wassergefäß auf den Schultern zum Fluss hinab.
Bald würden die ersten Clanführer eintreffen, voller Erwartung auf das, was sie für das große Ereignis vorbereiten sollten. Bis dahin wollten Antarona und Basti ein erfrischendes Bad im Fluss nehmen. Am Abend, als sie zu Temrins Hütte geführt wurden, hatten sie eine Stelle entdeckt, an der die Jo-lie ihrem Badevergnügen freien Lauf gelassen hatten.
Das teilweise schlafende Dorf suggerierte ihnen, das Ufer am Fluss für sich zu haben. Das stellte sich jedoch als Irrtum heraus. Es gab auch unter den Jo-lie Frühaufsteher; selbst dann noch, wenn sie bis weit in die Nacht hineinaktiv waren.
Einige jüngere Mädchen und Jungen tollten und spritzten übermütig im Wasser herum, und als sie Antarona und Basti sahen, bestürmten sie die beiden, ihnen doch die Kunst des Pfeile- Spiels beizubringen.
Sie ließen sich gerne darauf ein, denn was gab es sinnvolleres, als die jungen Îval mit solchen Spielen auf die Gefahren dieser Welt vorzubereiten? Wie nützlich dieses Tauchspiel war, hatten Antarona und er am eigenen Leib erfahren.
In zwei Gruppen aufgeteilt, warfen sie sich in das erfrischende Wasser, das seltsamerweise nicht mehr so trübe war, wie am Vortag. Offenbar gab es in der Nacht irgendwo in den Bergen ein Gewitter, das frisches Wasser in die Flussläufe gespült hatte.
Aber auch die Strömung hatte zugenommen. Sie mussten aufpassen, dass sie nicht zu weit abgetrieben wurden. Erfasste sie der Hauptstrom, so bestand die Möglichkeit, bis in den Arm gespült zu werden, in dem die Wilden Horden ihre Wasserwagen vor Anker gelegt hatten. Sebastian wusste nicht, wie viele Windungen der Fluss vollzog, bis er das Lager von Torbuks Vorhut erreichte. Ein Risiko einzugehen, war das beste Spiel nicht wert.
Nachdem sie alle zur Vorsicht ermahnt, und ihnen die Regeln erklärt hatten, begannen sie das Spiel mit dem gemeinsamen ersten Untertauchen. Antarona führte eine Gruppe, Sebastian die andere. Die Jo-lie erwiesen sich vom Beginn des Spiels an als ernst zu nehmende Gegner. Was ihnen an Erfahrung fehlte, machten sie mit Schnelligkeit, Wendigkeit und geübter Schwimmtechnik wett.
Die Jugendlichen begeisterten sich so sehr für das neue Spiel, dass sie die Tricks und Kniffe, die Basti und Antarona ihnen beibrachten, so rasch verinnerlichten, dass die beiden Lehrer bald hoffnungslos unterlegen waren.
Allerdings stiegen sie in der Achtung der Jo-lie an diesem Morgen um ein Vielfaches, und nun sorgte sich keiner von beiden mehr darüber, ob die Jo-lie ihnen loyal in die bevorstehende Schlacht folgen würden.
Je länger das Spiel dauerte, desto mehr Jo-lie, angelockt von dem übermütigen Gekreische und Geschrei, kamen hinzu. Die neu hinzugekommenen fragten gar nicht erst nach Regeln. Sie schauten sich das wilde Treiben ein oder zwei Minuten vom Ufer aus an, dann stürzten sie sich kopfüber ins Wasser und machten mit.
Es interessierte sie nicht, für welche Mannschaft sie spielten, oder auf wessen Seite die anderen standen. Sie bekämpften einfach diejenige, oder denjenigen, die gerade auftauchten. Irgendwann hielt sich niemand mehr an die Regel, dass jeder, der getroffen wurde, für die restliche Runde ausschied. Es gab gar keine Runden mehr. Das Spiel setzte sich von selbst immer weiter fort, solange der Atem der Spieler reichte, und solange andere Neugierige hinzukamen.
Als Basti und Antarona befanden, dass es an der Zeit war, sich ernsthafteren Dingen zuzuwenden, und aus dem Wasser stiegen, sah der Fluss aus, als hätte ihn eine Überpopulation Piranhas in Besitz genommen. Das Wasser kochte.
Die vielen nackten Leiber, die auftauchten, Rollen vollführten und wieder in Wasserfontänen verschwanden, erweckten den Eindruck, jemand hätte das Ende eines Hochspannungskabels in ein Becken voller Delphine geworfen. Dabei erfüllte das Kreischen, Lachen und Rufen bald das ganze Dorf. Beinahe von selbst entstand ein wahres Volksfest, und Sebastian machte sich schon wieder Sorgen.
Wenn die Jo-lie sich bereits hier so verausgabten, wie wollten sie dann am Abend gegen drei Kohorten ausgewachsener Krieger bestehen, die noch dazu mehr Kampferfahrung besaßen? Außerdem wollten Antarona, er, und Eisilia zusammen mit den Clanführern den Wald erkunden, und den Angriff vorbereiten. Wie aber, wenn er die Clanführer zunächst aus dem Fluss fischen musste?
Das Problem erledigte sich von selbst, als plötzlich eine hochgewachsene, schlanke Gestalt mit wehenden Haaren, wie gesponnenes Gold, am Ufer erschien. Eisilia!
Sie trug, wie alle im Dorf, den traditionell knappen Schurz aus weichem, neuem, und noch weißem Leder, dazu ein passendes Oberteil, das sie allein aus den Enden des Lederstücks auf dem Rücken verknotet hatte. Ihre Füße steckten in hochschäftigen Moccasin, gleichen Materials, und auf Basti wirkte sie wie die unrealistisch in Szene gesetzte Hauptdarstellerin in einem billigen Steinzeit- Film: Zu sauber, zu makellos, eine viel zu geordnete Wildheit verkörpernd.
Bewaffnet mit einem einfachen Kuhhorn, dessen Spitze abgetrennt wurde, baute sie sich herrisch über dem bunten Treiben im Wasser auf und stemmte die Hände in die Hüften. Ein par Atemzüge lang blickte sie streng über die ausgelassenen Jo-lie, dann setzte sie das Horn an ihre Lippen und blies kräftig hinein.
Ein Mark erschütterndes tiefes Signal ertönte, und Sebastian war sicher, dass sie damit nicht nur Mehi-o-ratea, sondern auch das ganze Lager Torbuks geweckt hatte. Die Jo-lie, die gerade aufgetaucht waren, verhielten mitten in der Bewegung. Und jene, welche erst danach ihre Nasen aus dem Wasser steckten, ernüchterten beim Anblick ihrer erstarrten Spielgefährten.
Und hatte Sebastian von ihr eine Standpauke zu den ausgelassenen Jo-lie erwartet, so wurde er enttäuscht. Eisilia verkündete nur in nüchternem Ton, dass sich alle Mitglieder des Dorfes bei ihren zugeteilten Clans einfinden sollen, um alles nötige zu besprechen.
Enttäuschte Gesichter und hängende Schultern verließen das Spaßbad. Sebastian erkannte in diesem Augenblick, wie wenig die jungen Menschenwesen an den bevorstehenden Kampf dachten. Sie würden am Abend völlig unbedarft in eine Schlacht ziehen, deren Ernst sie noch gar nicht realisiert hatten. Es schien, als wäre auch das für sie nur ein weiteres Spiel.
Wieder keimten in ihm Zweifel auf, ob er die Verantwortung für das, was möglicherweise tragisch enden konnte, überhaupt übernehmen durfte. Eisilia beendete seine Gedanken. Während sie die jungen Leute beobachtete, die klatschnass aus dem Fluss stiegen und sich auf den Weg zurück in das Dorf machten, bemerkte sie bissig:
»Wie wollt ihr eine Armee von tölpelhaften Jungen und Mädchen in eine Schlacht gegen starke Männer führen, indem ihr mit ihnen sorglose Spiele treibt? Oder habt ihr es euch anders überlegt, und wollt die Befreiung jenen überlassen, die etwas davon verstehen? Dann solltet ihr es den Clanführern sagen, welche bereits seit einigen Zentaren auf dem Dorfplatz auf euch warten.«
Damit drehte sie sich um, ohne Antarona auch nur eines Blickes zu würdigen, und schritt affektiert davon, wie eine Fürstin, die sich ihrer Macht sicher war.
»Eingebildete, arrogante Kuh«, schimpfte Basti vor sich hin, obwohl er wusste, dass sie im Grunde recht hatte. Aber gerade wegen ihres Überlegenheitsgetues wollte er es sich und ihr nicht eingestehen.
Natürlich hatten sie Wichtigeres zu tun, als sich mit den Jo-lie im Spiel zu vergnügen. Doch warum nicht die große Anspannung, unter der alle standen, ein wenig auflockern? Was sprach dagegen? Einige der jungen Menschen, die hier ausgelassen im Wasser getobt hatten, sahen möglicherweise die aufgehenden Sonne nach diesem Tag und der kommenden Nacht nicht wieder. Warum jenen nicht diese kleine Freude gönnen? Antarona schien wie immer seine Gedanken zu erraten:
»Viele von ihnen haben Furcht vor dem, was kommen wird, Ba - shtie. Es war gut, dass sie diese Furcht für ein par Zentaren vergessen konnten. Es wird ihnen helfen, die Zentaren bis zum Kampf leichter zu ertragen.«
Manchmal glaubte er, seine Frau vermochte ihm nicht nur in die Seele zu schauen, sondern hatte von den Göttern die Weisheit der Alten und Weisen mit in die Wiege gelegt bekommen. Sie fand bis auf wenige Ausnahmen stets die richtigen Worte. Und mochte sie auch in ihrem abgerissenen, fettigen Lederschurz und in löchrigem Oberteil vor ihm stehen, sie besaß wirklich die wahre Würde einer Kriegerin und Anführerin.
Sebastian hatte sein Krähenmädchen nie arrogant oder überheblich wahrgenommen, auch wenn sie ihm in den meisten für dieses Land erforderlichen Fähigkeiten überlegen war. Sie war das Vorbild, das die Jo-lie erst noch entdecken würden.
Mit den letzten Nachzüglern, die sich nicht vom Wasser trennen wollten, gingen Antarona und Sebastian dem Dorfplatz zu. Als wäre inzwischen ein ganzer Tag vergangen, war die Mitte des Dorfes mit frischem Grün und Blumen geschmückt worden. Anscheinend feierten die Jo-lie das bevorstehende Ereignis wie ein Volksfest. Alles, was gehen oder stehen konnte, hatte sich auf dem Thing- Platz versammelt. Jene, die auf der staubigen Fläche selbst keinen Platz mehr gefunden hatten, standen zwischen den Zelten, saßen auf Bäumen, hingen sogar an Zeltstangen, wie Läuse an Haaren.
Sie waren alle gekommen, die jungen, die fast noch Kinder waren, die älteren, die es bereits verstanden, eine Waffe zu führen, und jene, die schon junge Erwachsene waren. Sie hatten sich die Farben des Clans, dem sie sich zugehörig fühlten, auf Gesicht, Bauch und Arme und Beine, Brust und Rücken gemalt, Federn nach Antaronas Vorbild in die langen Haare gebunden, und sonstigen Kriegsschmuck angelegt.
Sie trugen ihre Waffen bei sich, und kleine Grüppchen hatten sich spielerisch zu einem kleinen Gefecht Jeder gegen Jeder hinreißen lassen. Sie alle wussten nicht, was auf sie zukommen würde, doch alle trugen den ungebrochenen Geist des jugendlichen Optimismus und der Unbekümmertheit im Herzen. Sebastian beneidete sie darum, mit solcher Sorglosigkeit in eine Schlacht zu ziehen.
Eisilia trat auf die erhöhte Veranda Temrins, wie auf eine Bühne und bat um Ruhe. Doch die aufgeregte und erwartungsvolle Masse ließ sich nicht beruhigen. Sie waren so aufgekratzt, wie die frischen Wunden einer Bärenkralle. Eisilia hatte sogar Mühe, ihr junges Volk daran zu hindern, die Bühne zu stürmen.
Antaronas Pfeile- Spiel hatte die Skepsis, die noch zwischen ihr und Basti auf der einen, und den Jo-lie auf der anderen Seite bestanden haben mochte, endgültig beiseite gefegt. Sie hatten bewiesen, dass sie nicht um der Macht willen nach Mehi-o-ratea gekommen waren, sondern um selbst Jo-lie zu sein. Sie hatten sich in die Philosophie des Dorfes vollständig integriert. Sie waren von den jungen Menschen voll als ihresgleichen anerkannt.
Nachdem Eisilia selbst mit strenger Mimik ihr Volk nicht zur Ruhe bringen konnte, trat Sebastian vor und hob die Hände, wie er es bereits in der Nacht getan hatte. Allmählich verebbte das Geschnatter und aufgeregte Geplapper, und jedes Wesen auf dem Platz, selbst die struppigen Hunde, blickte gespannt zur Veranda hinauf. Sebastian blickte grinsend auf die Masse nieder und begann zu Eisilias Entsetzen mit den Worten:
»Nun, wie hat euch das neue Spiel im Wasser gefallen? Ich hoffe, ihr habt jetzt noch genug Kraft, den Kriegern Torbuks den Hintern zu verhauen?« Das war die Sprache, die von den jungen Jo-lie verstanden wurde. Sie bekundeten ihren Respekt, ja sogar ihre Freundschaft mit zustimmendem Jubel, der keine Ende nehmen wollte. Wieder musste Basti die Hände in die Höhe strecken, um sich Gehör zu verschaffen.
»Was wir vorhaben, wird nicht leicht werden«, begann er nun mit dem Wesentlichen. »Vielleicht werden Viele von euch nicht in das Dorf zurückkehren. Es kann auch sein, dass einige von euch in die Mienen von Zarollon verschleppt werden. Aber wie immer es ausgehen mag, ich, Areos von Falméra will euch eines versprechen: Solange ich die Kraft zu kämpfen nicht verloren habe, werde ich für jede Einzelne, und für jeden Einzelnen von euch kämpfen, und nicht eher ruhen, bis das Volk der Îval, und das Dorf der Jo-lie frei und ohne Bevormundung und Bedrohung leben können.«
Erneut brandete lauter Jubel auf, und in der Menge begannen einige Mädchen einen Kriegstanz aufzuführen, der Sebastian stark an die War- Dancer Nordamerikas erinnerte. Nur mit Mühe ließ sich ihre Euphorie bremsen, und er hatte den Eindruck, dass die Mädchen mehr auf den Kampf erpicht waren, als die Jungen.
Möglicherweise lag es an dem Vorbild, das Antarona ihnen gab. Frauen hatten nach allgemeiner Ansicht nicht zu kämpfen, das war die uneingeschränkte Rolle der Männer. Antarona hatte damit gebrochen, als sie noch ein Kind war, und wurde damit zur Legende ihres Volkes. Nun stand sie hier, Seite an Seite dem Sohn des Königs, der so gar keine herrschaftlichen Züge besaß, und sich seelisch und äußerlich in das Volk integrierte.
Die Mädchen nahmen Antaronas Beispiel, um sich von alten Gesetzen und Werten zu lösen, um ihrem Herzen zu folgen, um ihren Männern zur Seite zu stehen. Junge Menschen waren wandel- und formbar, wenn man es verstand, ihre Begeisterung zu wecken. Diese Tatsache und ihre Erkenntnis schenkte Sebastian Lauknitz in der hoffnungslosesten Stunde eine ganze Armee, die bereit war, ihm zu folgen.
Noch einmal hob er die Hände, um sich Gehör zu verschaffen. Die jugendlichen Kriegerinnen und Krieger waren so aufgeregt, dass sie sich kaum noch bändigen ließen.
»Stellt euch nun zu den Clanführern, zu denen ihr eingeteilt seid«, gebot er ihnen mit lauter Stimme, »ich werde mit Antarona, Eisilia und Temrin zu euch kommen und euch erklären, was ihr tun müsst, um euch auf die große Befreiung eurer Brüder und Schwestern vorzubereiten.«
Zu ihren Füßen auf der Veranda begann ein scheinbar heilloses Durcheinander, hin und her Gerenne und Geschiebe. Erst nach ein par Minuten kehrte auf dem Platz wieder gespannte Ruhe ein. Jedes Mitglied des Dorfes schien bei seinem Clan zu stehen. Die Clanführer sorgten dafür, dass die Jo-lie sich um sie herum hinsetzten, so dass auf dem Platz viele, kleine Inseln entstanden, die schon einen besseren Überblick boten.
Antarona ging zunächst zu den Kampftrupps, die für den direkten Nahkampf mit dem Schwert ausgewählt wurden. Es waren vermehrt die älteren Mädchen und Jungen, die sich im Kreis dieses Clans befanden. Es mussten vier Kampftrupps mit Schwertern gebildet werden.
Zwei von ihnen sollten von zwei Seiten in das feindliche Lager eindringen, und sich den Weg zu den Gefangenen- Käfigen freikämpfen und dabei die gegnerischen Kräfte im Lager binden. Der dritte Trupp sollte versuchen, direkt und ohne sich mit Kämpfen aufzuhalten, zu den Gefangenen vorzudringen und die Wachen niederzukämpfen.
Dieser Einheit sollte eine Gruppe unmittelbar nachfolgen, bewaffnet mit nur leichten Waffen, wie Messern und kleinen Äxten. Ihre Aufgabe sollte es sein, die Gefangenen aus den Käfigen zu holen, sie in den Wald zu geleiten, und sie den dort wartenden, jüngeren Jo-lie zu übergeben, die sie zum Dorf bringen sollten.
Die vierte Gruppe sollte das hintere Schiff angreifen und entern. Das zum Meer gewandte erste Schiff wollte Sebastian unberührt lassen, um Torbuks Männern eine Möglichkeit zur Flucht zu lassen. Von denen, die fliehen würden, hatten sie nichts weiter zu befürchten, das war die Taktik.
Basti selbst ging zu den Bogenschützen, die sich zumeist aus jungen Frauen zusammensetzten. Sie saßen in einem großen Kreis zusammen, arbeiteten an ihren Bogen oder Pfeilen, tauschten hier und dort einen Pfeil, probierten die beste Bauart der Geschosse aus und manch ein Pfeil wurde noch an diesem Morgen gefertigt.
Es gab Häuflein mit Pfeilschäften, Beutel mit Metall- oder Steinspitzen und Ledertaschen mit bereits gespleißten Federn. Die emsigen Mädchen bedienten sich aus den Vorräten und bauten Pfeile, als gelte es, ganz Quaronas zu überrennen. Sebastian sah es mit Freude. Besser sie hatten genug, als zu wenig Pfeile.
Er teilte die jungen Frauen und wenigen Männer in drei Gruppen ein. Die ersten beiden Gruppen sollten vor dem Angriff der beiden Kampftrupps das Lager mit einem Pfeilhagel beschießen, um so Torbuks Männer deutlich zu dezimieren. Der dritte, kleinere Trupp sollte die Rückzugslinien decken, und etwaige Verfolger gezielt und auf Distanz ausschalten.
Während Eisilia die jüngeren Kämpferinnen und Kämpfer des Dorfes auf ihre Aufgabe vorbereitete, Geisterfeuer zu entzünden, bunten Nebel aufsteigen zu lassen, sowie die Versorgung der Verletzten und das Geleit der Gefangenen in das Dorf zu sichern, wies Antarona bereits die Vorauskommandos ein.
Diese sollten in winzigen Grüppchen bei Dunkelwerden ungesehen ins feindliche Lager eindringen, sich im Hintergrund halten, und ohne großes Aufsehen alle niederkämpfen, die ihnen über den Weg liefen, insbesondere einsame Wachtposten. beim Entzünden der bunten Feuer im Wald, kurz vor dem Beschuss mit Pfeilen, sollten sie sich in geeigneter Deckung verbergen, um nicht getroffen zu werden. Beim Angriff sollten sie sich dann den Kämpfenden anschließen.
Antarona schärfte ihnen ein, keine Gnade zu gewähren, und schnell und lautlos zuzuschlagen. Von ihnen, den Vorauskommandos hing nicht unwesentlich der Erfolg des Angriffs ab. Nachdem sie ihnen noch einige Techniken zum schnellen Töten beigebracht hatte, entließ sie die nur mit Kurzschwertern und Dolchen bewaffneten Jo-lie zu den Bekleidungstrupps.
Die aus drei bis vier Mädchen bestehenden Grüppchen hatten die Aufgabe, den Kriegerinnen und Kriegern das Tarnzeug, oder die Kriegsfarben anzulegen. Sebastians Idee, Torbuks Krieger mit Angst und Schrecken zur vorzeitigen Aufgabe und Flucht zu bringen hatte Früchte getragen.
Die Vorauskommandos wurden in kleine, flinke Bäumchen verwandelt. Die Mädchen banden ihren Brüdern und Schwestern kleine Äste und Zweige an Arme und Beine, setzten ihnen Blätterhauben auf, und bemalten sie mit grünen und braunen Farben. Am Ende sahen Bastis Kriegerinnen und Krieger aus, wie lebendig gewordene Sträucher und Bäumchen.
Alle anderen Jo-lie wurden ebenso ausgestattet, jedoch mit grellen, bunten Farben, die ihnen ein so skurriles und verzerrtes Aussehen verliehen, das Torbuks Kohorten kaum Gelegenheit haben würden, zu erfassen, wer sie da überfiel.
Die jüngsten Mitglieder Mehi-o-rateas sahen in ihren Tarnkostümen aus wie Bonsais, die laufen gelernt hatten. Ihre Aufgabe bestand lediglich darin, im Beginn der Dämmerung die Ratterhölzer an abgestorbenen, hohlen und trockenen Bäumen erklingen zu lassen. Eisilia riet ihnen, zusätzlich wie Eishunde zu heulen. Das war ihr eben noch eingefallen.
Auf Falméra gab es zwar keine Eishunde, doch die Männer aus Quaronas fürchteten diese Hunde, die an der Grenze zum ewigen Eis des Festlandes, hoch über Quaronas lebten und wie Hyäne und Wolf gleichermaßen aussahen, wie Sebastian fand. Auf jeden Fall würde das Heulen zusätzliche Verwirrung stiften.
Um die Mittagsstunde sickerten die ersten Trupps unter Sebastians Führung in den Wald ein, der das von Torbuks Männern heimlich angelegte Lager umgab. Auch entlang des gewundenen Flussarms arbeiteten sich die Jo-lie durch das Dickicht vorwärts. Wer das Geschehen aus der Ferne beobachtete, musste annehmen, der Wald sei lebendig geworden.
Es waren keine Menschenwesen, die da durch Unterholz und hohes Gras schlichen. Es waren Bäume. Oder zumindest, was man auf den ersten Blick dafür halten mochte. Bizarre Gestalten, die langsam und geräuschlos dahin wanderten, hin und wieder stehen blieben, als wären sie plötzlich fest gewachsen, um sich dann wieder fortzubewegen.
Wer aber genau hinhörte, dem fiel auf, dass der Wald von unnatürlichen Klängen widerhallte. Da war das klatschende Schlagen der Messer und Schwerter, die Markierungen in die Bäume schlugen. Auch das Knacken von Ästen und Zweigen war zu hören, wenn man genau darauf achtete. Was aber vordergründig auffiel, war die Tatsache, dass die Vögel, die sonst mit ihrem friedlichen Gesang betörten, verstummt waren.

Der einzige, der es bemerkte, stand an eine schwere Zeltstange angelehnt und beobachtete drei schwitzende Krieger, die sich mit kleinen Bürsten aus Wurzelfasern bemühten, den Zelteingang des Heerführers zu reinigen, der mit Felsplatten ausgelegt war.
Der große rothaarige Hüne hatte die stämmigen, behaarten Arme vor der Brust verschränkt, sah kurz zum Himmel, dann nach links und rechts. Etwas war anders an diesem Morgen, irgend etwas stimmte nicht, doch er vermochte nicht zu sagen, was ihn beunruhigte.
Tomrack, wie ihn sein Vater stolz bei seiner Geburt genannt hatte, drückte sich von der Stange ab, ging, ohne seine Arme aus der bequemen Haltung zu nehmen, einen Schritt auf die im Zelteingang Knieenden zu und trat dem ersten unsanft in den Hintern.
»Los, macht schon. Seht zu, dass ihr fertig werdet, wir haben nicht den ganzen Sonnenlauf zeit!« Geringschätzig sah er auf die Schrubbenden herab und fluchte mehr für sich selbst:
»Habt selbst schuld, ihr dämlichen Ochsen. Müsst ja immer über die Stecken schlagen, und seid dann noch so blöde, euch erwischen zu lassen.«
Einer wollte etwas erwidern, doch Tomrack stieß ihn mit dem Fuß um. Der Mann kippte zur Seite. Rasch rappelte er sich wieder hoch und begann mit quäkender Stimme zu protestieren.
»Ach halt's Maul«, raunzte der rote Riese, »du bist so dämlich, dass dich die Eishunde beißen. Konntet ja nicht genug kriegen, vom Mestas, heute Nacht. Nicht nur, dass ihr eines dieser Îval Weiber sinnlos umgebracht und eines habt entkommen lassen, nein, ihr Holzköpfe musstet natürlich auch noch dem Alten blöde kommen, und sein geliebtes Kriegszelt anpissen.«
Mit prüfendem Blick wanderte er um seine Untergebenen herum. Bevor er sich wieder gegen die Stange lehnte, sah er sich noch einmal um, als gefiele ihm die Farbe des Himmels nicht. Irgend etwas lag in der Luft, das spürte er. Seine Ahnungen betrogen ihn nur äußerst selten. Es war seltsam still zu dieser Stunde. Zu still!
Es war eine Stille, die er oft vor großen Schlachten empfunden hatte. Das machte ihn nervös. Tomrack hatte an vielen Schlachten teilgenommen, und obwohl es nicht sein konnte, hatte er an diesem Morgen das Gefühl, als bahnte sich eine an.
Er öffnete seine Sinne, ließ sie weit schweifen. Gedankenverloren lauschte er weit über das Lager hinaus, einen Moment nur. Denn schon übertönte wieder das kratzende Geräusch der Wurzelbürsten den beginnenden Morgen mit seinen scharfen, kurzen Befehlen, die durch das Lager schmetterten, mit dem Klappern der Rüstungen und dem Scheppern von Ketten und Geschirren.
Diese gewohnten Klänge beruhigten ihn wieder etwas. Bis ein kleines Vögelchen auf den gekreuzten Stangen eines Zeltes Rast machte und fröhlich vor sich hin zwitscherte. Da wusste er, was an diesem Morgen anders war...

Dreißig bis fünfzig Meter vor dem Waldrand hockte Sebastian Lauknitz, jetzt bewusst Areos von Falméra, inmitten seines Vorauskommandos im Dickicht. Eine gespannte Stille hatte sich über die Mädchen und Jungen der Jo-lie gelegt. Sie wagten nicht einmal die Moskitos abzuwehren, die zeitweise über sie herfielen.
Es war genau die Stelle, an der er mit Antarona die Wachen überwältigt, und das feindliche Lager ausgespäht hatte. Auch dieses Mal stand drüben am Trockenrasenstreifen ein Wachtposten, der Sichtkontakt zu seinen Kameraden links und rechts hatte.
Basti erklärte dem Clanführer genau, wie sie vorgehen sollten. Mit Beginn der Geräusche, welche die gezackten Rattern verursachen würden und den bunten Feuern, sollten sie die Wache überwältigen und ins Lager eindringen, weitere Wachen überwältigen und allgemeine Unruhe stiften, um dann beim grünen Licht in Deckung zu gehen. Danach würden die Bogenschützen das Lager unter Beschuss nehmen.
Nachdem er sich davon überzeugt hatte, dass der Clanführer ihn verstanden hatte, verließ er den Trupp. Es galt noch die anderen Vorkommandos einzuweisen. Entlang der Grenzlinie zu Torbuks Lager huschte Basti durch den Wald. Er hatte dem anderen Clanführer nur ungenau beschreiben können, wo dieser sich mit seiner Truppe positionieren sollte.
Minuten später passierte er einen hohen Felsen und erstarrte. Etwas hatte sich bewegt. Natürlich, der Wald war inzwischen voll von den Jo-lie, welche die Rückzugsroute markieren sollten. Doch das Wesen, das dort vorn durch die Büsche schlich, war weder mit Zweigen und Blättern getarnt, noch mit grellen Farben bemalt. Und vom Vorauskommando konnte es nicht sein, außer es war von seiner Gruppe abgesprengt worden.
Sebastian blieb keine Zeit, sich lange mit einem verirrten Menschenwesen zu beschäftigen. Also rannte er mit gezücktem Bowiemesser darauf los, und war nicht schlecht erstaunt, ein beinahe nacktes, schmutziges Mädchen mit blonden, zerzausten Haaren anzutreffen.
Noch überraschter war er, als er Vesgarina erkannte. Als die stumme Wenderin bemerkte, wer sie im Dickicht aufgestöbert hatte, warf sie sich in seine Arme und begann schluchzend zu weinen. Basti zog sein schmutziges Hemd aus und hängte es dem Mädchen um die Schultern, denn sie war nur noch mit ihrem zerrissenen Hüftschurz bekleidet.
Danach versuchte er aus ihr herauszubringen, was ihr wiederfahren war. Doch ohne die nötige Zeit, und die mangelhafte Möglichkeit Vesgarinas sich verständlich zu machen, konnte er nur vermuten, was geschehen war. Kurzerhand entschloss er sich, das Mädchen auf seiner Einweisungstour mitzunehmen. Irgendwann würde er auf einen Rückführungstrupp stoßen, und das stumme, verstörte Mädchen den Jo-lie übergeben, die sie ins Dorf brachten.
»Vesgarina, du musst jetzt mutig sein«, versuchte er sie aufzuklären, »wir bereiten uns vor, die Gefangenen im Lager der wilden Horden zu befreien. Darum kann ich dich jetzt nicht nach Mehi-o-ratea bringen. Aber viele Freunde sind bei uns, die können sich um dich kümmern, bis ich mit Antarona zurück bin.« Er vergewisserte sich, dass Vesgarina verstanden hatte, und sprach dann weiter:
»Sag mir nur noch eines: Wo ist Frethnal? ist er von Torbuks Leuten gefangen genommen worden? Weißt du, ob er noch lebt?«
Das blonde Mädchen bedeutete ihm mit dem Spiel ihrer Finger und ihrer Mimik, dass Frethnal gefangen, und sie offenbar mit einer List entkommen war. Sebastian sah sie bewundernd an und sagte:
»Braves Mädchen! Wir werden Frethnal befreien, und auch alle anderen, die sein Schicksal teilen, das verspreche ich dir. Du wirst von den Jo-lie in das Dorf gebracht, dort wird man sich um dich kümmern, bis alles vorbei ist.«
Da packte ihn Vesgarina plötzlich fest am Arm und schüttelte so heftig den Kopf, dass ihre blonde, strähnige Mähne hin und her flog. Ihre Augen bekamen einen Ausdruck von Widerwillen, ja sogar Wut. Dann wies sie auf Bastis Bowiemesser und auf sein Kurzschwert und zeigte in die Richtung des gegnerischen Lagers.
Sebastian vermochte nicht genau zu deuten, was sie ihm sagen wollte. Doch er versuchte sie zu beruhigen, und hoffte, dass ihm Antarona noch über den Weg lief. Das Krähenmädchen hatte ihren ganz eigenen Zugang zu dem stummen Mädchen, und konnte sie gewiss besser verstehen. Auf jeden Fall musste sie erst einmal mitkommen, denn er konnte sie nicht allein im Wald umherirren lassen.
Vorsichtig schlich er weiter, immer dem Waldrand folgend, und zog das sprachlose Mädchen an der Hand hinter sich her. Da! Auf einem Mal vernahm er das Pfeifen des Mucker- Vogels. Den Ruf dieses Waldvogels hatten sie als Erkennungszeichen ausgemacht.
Er ähnelte den Sebastian bekannten Türkentauben und besaß einen heiseren tiefen Ruf, als ertönte eine Panflöte. Mit wenig Schnitzkunst vermochten sogar Kinder eine Flöte herzustellen, die diesen Ruf täuschend ähnlich nachahmte.
Die Jo-lie machten sich einen Spaß daraus, mit diesen Flöten zu spielen. Diese kleinen, hölzernen Instrumente, die von vielen als Anhänger um den Hals getragen wurden, erwiesen sich jetzt als brauchbare Kommunikationsmittel, auch über weitere Strecken hinweg.
Sebastian duckte sich, hielt Vesgarina zurück und lauschte. Wieder war das Flöten zu hören, und er glaubte bereits von einem echten Mucker genarrt zu werden, als eine Gestalt aus einem nahen Gebüsch auftauchte, den Körper grau und braun bemalt, und die Glieder mit Zweigen und Blattwerk getarnt.
Kein Zweifel, er hatte den zweiten Voraustrupp gefunden. Die Jo-lie musterten Vesgarina wie eine Außerirdische. Das Mädchen kam den anderen nackt vor, so ganz ohne Waffen, ohne Tarnung und Bemalung. In dieser Zeit, da jedes Mitglied der Dorfgemeinschaft, vom Jüngsten bis zur Ältesten, kampfbereit war, bot Vesgarina einen geradezu erbarmungswürdigen Anblick.
Basti wies die Gruppe ein, und überzeugte sich davon, dass jeder im Trupp wusste, wohin er sich zu wenden hatte, wenn er abgesprengt, oder verletzt wurde. Dann führte er Vesgarina tiefer in den Wald hinein, achtete aber darauf, dass sie sich nicht durch das dichteste Unterholz quälten. Vesgarinas Arme und Beine waren von Dornen und peitschenden Zweigen schon geschunden und gezeichnet genug. Es war nicht nötig, sie weiteren Strapazen auszusetzen.
Die eigentlichen Angriffstrupps, aufgeteilt in sieben Sammelstellen, sollten sich weiter hinten im Wald positionieren. Sie sollten sich kurz vor dem Angriff vereinen und zur Waldgrenze vorrücken, sobald die Vorauskommandos losgezogen waren. Gleichermaßen sollte mit den Bogenschützen verfahren werden.
Je weiter sie sich in den Wald zurückzogen, desto häufiger stießen sie auf jene Jo-lie, welche die Aufgabe hatten, den Rückzug durch den Wald zu leiten. Die meist nicht älter als zwölf Jahre alten Jungen und Mädchen nahmen ihre Aufgabe sehr ernst.
Wo immer Sebastian und Vesgarina auftauchten, wurden sie zielsicher zur nächsten Einheit geleitet. Die emsigen Kleinen wussten außerdem zuverlässig Auskunft zu geben, wo sich die einzelnen Trupps im Wald aufgestellt hatten. Sebastian war tief beeindruckt. Seine kleine, zusammengewürfelte Armee funktionierte besser, als die High-Tech Streitkräfte der modernen Zivilisation seiner Welt.
Nachdem sie bereits vier Sammelpunkte aufgesucht und instruiert hatten, trafen sie am zweiten Aufstellungsort des mittleren Angriffstrupps mit Antarona zusammen. Sie hatte inzwischen jene eingewiesen, die das Schiff angreifen sollten, und war dann von der anderen Seite her von Trupp zu Trupp gegangen, und hatte letzte Anweisungen gegeben.
»Vesgarina und Frethnal waren gefangen genommen worden«, berichtete Basti seinem Krähenmädchen, »Vesgarina konnte entkommen, Frethnal aber ist noch im feindlichen Lager.«
Noch bevor er ausgesprochen hatte, lagen sich die beiden Freundinnen in den Armen. Antarona konzentrierte ihre Sinne auf das blonde Mädchen und wusste sogleich, was ihr widerfahren war.
»Wir sollten Vesgarina mit zwei Jo-lie zum Dorf zurück schicken«, schlug er vor. Sofort aber erntete er einen zornigen Blick Vesgarinas. Sie schüttelte heftig den Kopf und ihre Hände packten zur Bekräftigung fest Antaronas Arm. Sonnenherz verstand das Mädchen wie keine andere, denn sie war ihr so ähnlich.
»Vesgarina wird nicht in das Dorf gehen«, stellte sie bestimmt fest, »sie wird bei uns bleiben, und mit uns kämpfen. So ist ihr Wunsch.«
Sebastian wagte nicht, noch etwas dagegen zu sagen. Er wusste, dass die beiden Mädchen ihren Entschluss gefasst hatten, an dem es nichts mehr zu rütteln gab, wollte er sich nicht den Zorn beider einhandeln. Statt dessen wandte er sich nun anerkennend an Vesgarina:
»Kannst du uns zeigen, wo, und vor allem wie genau Torbuks Lager angeordnet ist, kannst du uns das aufzeichnen?« Vesgarina nickte mit entschlossener Sicherheit, griff nach einem Stöckchen und strich mit den Händen den Boden glatt.
Sie zeichnete ein großes Rechteck mit einer großen Ausbuchtung an der rechten Seite. Dann legte sie Steinchen dorthin, wo sie die dicht stehenden Zelte gesehen hatte. Für die Pla-ka Pferche legte sie kleine Stöckchen in das Viereck, sowie ein Blatt für je einen der Käfige, in denen die Gefangenen saßen. Einen besonders großen Stein legte sie in die Mitte der kleineren, und sah Sebastian dabei bedeutsam an.
»Du glaubst, dass dies das Zelt des Heerlagerführers ist?« interpretierte Basti nachdenklich. Vesgarina nickte so übertrieben, dass ihre blonde Mähne wild um ihr Gesicht flog.
»Das müssen unbedingt die Bogenschützen erfahren«, überlegte er laut, »wenn wir ihre Führung mit der ersten Welle bereits ausschalten könnten, würde das die ganze Sache möglicherweise deutlich verkürzen. Weniger Verletzte, weniger Tote, und womöglich keine Verfolgung.«
Sebastian wollte zuerst zwei Boten heranwinken, entschied sich aber im letzten Moment anders. Zu Antarona gewandt sagte er:
»Wir werden selbst gehen, und die Schützen einweisen. Die fünf, die am besten mit dem Bogen umgehen können, sollen das große Zelt in der Mitte angreifen, alle anderen die umliegenden. Wenn wir Boten senden, schießen am Ende noch alle gleichzeitig ihre Brandpfeile auf das große Zelt.« Wieder wandte er sich Vesgarina zu.
»Gibt es sonst noch etwas, das dir aufgefallen war, was wichtig sein könnte, um die Gefangenen zu befreien? Denk nach, was hast du noch gesehen, oder hast du etwas von den Wachen gehört?« bedrängte er das Mädchen. Vesgarina gab daraufhin mit ihrer Mimik zu verstehen, dass die Krieger der Wilden Horden bei Dunkelheit in Ausschweifung und dem Mestas zugetan gebärdeten, und dass sie sich auf brutalste Weise mit den Mädchen der Gefangenen vergnügten.
Sebastian und Antarona brauchten eine Weile, um aus Vesgarinas Gebärden herauszulesen, was die Gefangenen erleiden mussten. Antaronas Mine versteinerte sich, und Basti blickte fassungslos in das Gesicht der Wenderin, als mochte er nicht glauben, was er da erfahren musste. Hass und blinden Zorn sah er in den Blicken der beiden Freundinnen blitzen, und er wusste, dass sie beide keinem der rauen Gesellen, die unter ihr Schwert gerieten, Gnade gewähren würden.
Kurz darauf machte Basti sich auf, die Trupps von der veränderten Lage zu informieren und sie neu einzuweisen. Vesgarina blieb bei Antarona, die ihr ein kurzes, leichtes Schwert und ein Messer besorgte. Ein Kettenhemd für ihren Leib lehnte das blonde Mädchen ab. Entweder ging sie siegreich aus der Schlacht, oder tot, war die Antwort ihrer Gesten, die das Krähenmädchen mit einem verständlichen Nicken quittierte.
Die beiden Frauen verstanden sich ohne Worte. Gemeinsam suchten sie die in Stellung gegangenen Gruppen auf, insbesondere jene, die den Rückzug decken mussten. Als sie sicher waren, dass jedes Mitglied Mehi-o-rateas wusste, was es zu tun hatte, gesellten sie sich zu jenem Angriffstrupp, der sich zu den Gefangenen durchkämpfen sollte.
Antarona hätte Vesgarina kaum davon abhalten können, sich der Gruppe anzuschließen, die als erste Frethnal erreichen würde. Und ebenso wenig wäre ihr in den Sinn gekommen, ihre Freundin allein zu lassen. Sebastian gefiel es gar nicht, die beiden Mädchen sich selbst zu überlassen, doch er musste die mittlere Gruppe anführen, die sich wahrscheinlich der Hauptstreitmacht der Wilden Horden stellen musste.
Er nahm sich jedoch vor, mit seiner Gruppe unverzüglich zu Antaronas Trupp durchzustoßen, um in die Nähe der Mädchen zu kommen, und sie notfalls schützen zu können. Er musste sich eingestehen, dass er eine tief sitzende Angst im Leib spürte, eine Angst, die wie ein schwingender Hammer über ihm schwebte.
Freilich vertraute er Antaronas Kampfkunst. Er wusste, wie schnell und sicher sie im Umgang mit dem Schwert war. Nicht nur einmal hatte er erlebt, wie sie selbst eine erdrückende Übermacht besiegt hatte. Dennoch konnte alles geschehen. Sie mochte stolpern, oder im Kampfgetümmel einfach zum falschen Zeitpunkt an der falschen Stelle stehen. Er durfte nicht daran denken.
Doch immer wieder schlichen sich diese Gedanken in seinen Kopf und lösten ein zehrendes, bohrendes und Schwindel erregendes Unbehagen in ihm aus. Am liebsten hätte er Antarona und Vesgarina und alle anderen Mädchen Mehi-o-rateas in die Felsen weit ab des Dorfes verbannt, bis alles vorüber war.
Allein mit den heranwachsenden Männern und Jungen hätte das Unternehmen jedoch wenig Aussicht aus Erfolg gehabt. Basti wusste auch, dass die Mädchen ihre geliebten niemals hätten allein losziehen lassen. Eher hätte er einen Weiberaufstand im Dorf herausgefordert.
Während Sebastian durch das Unterholz von einer Gruppe zur nächsten schlich, begleiteten und quälten ihn die schrecklichsten Szenarien. Er sah Antarona mit Speeren an einen Baum genagelt verbluten, sah sie von einer Vielzahl der rauen Krieger Torbuks geschändet, oder von einer Zackenkugel, die von Torbuks Männern gern benutzt wurden, schlicht erschlagen.
Bei jedem Schritt, bei jeder grauenhaften Vorstellung, die er nicht aus seinen Sinnen verbannen konnte, drehte sich sein Magen um, und in seiner Kehle saß ein dicker, würgender Kloß, der ihm eine ständige Übelkeit vorgaukelte. Basti befand sich in einem Alptraum, aus dem es keinen Ausweg gab.
Gefangen in dieser Schreckensvorschau achtete er kaum darauf, dass ihm ständig peitschende Zweige und Strauchgerten ins Gesicht und um den Leib schlagen, ihn verletzten und seine Kleidung zerrissen. Die Marter seines Geistes ließ ihn den körperlichen Schmerz gar nicht mehr fühlen.
So kam er beim ersten Angriffstrupp zerschunden und blutend an, so dass diese glaubten, die Schlacht sei bereits in vollem Gange. Erst da wurde ihm bewusst, wie unkonzentriert er durch den Wald gelaufen war. Er wusste, dass der größte Feind des Kriegers die Angst war. Furcht hemmte, sie hielt zurück, ließ einen zögern, lähmte, fraß Handeln mit zuviel Denken.
Sebastian wusste, dass dies gefährlich war, doch er vermochte den Mantel der Furcht um seine Frau nicht abzustreifen. Den ganzen Weg bis zum nächsten Trupp zermarterte er sich das Gehirn darüber, ob es nicht etwas gäbe, etwas wichtiges, eine Aufgabe, die Verantwortung trug, mit der er Vesgarina und Antarona beauftragen konnte, um sie aus dem Gefecht herauszuhalten. Ihm fiel nichts ein, das die Mädchen akzeptiert hätten.
Es begann bereits zu dämmern, als er wieder bei seinem Angriffstrupp angelangt war. Antarona und die Wenderin hatte er nicht mehr wiedergesehen. Nun blieb keine Zeit mehr. Die Vorauskommandos machten sich schon bereit. Die lebenden Bäumchen nahmen Aufstellung.
Gleichzeitig machten sich jene der Kleinsten bereit, den Wald in teuflisches Licht und schauerlichen Rauch zu hüllen, die Baumstämme in schwarze Silhouetten vor gespenstischem Hintergrund zu verwandeln. Dies würde das Signal zum Angriff sein.
Warten. Der Junge, der den Befehl zu den Feuertrupps zwischen den Bäumen tragen sollte, trat nervös von einem Bein auf das andere, und trug nicht unbedingt dazu bei, dass Basti ruhiger wurde. In Gedanken an sein Krähenmädchen versunken sah der den jungen Buben an.
Was mochte ihn dazu bewegt haben, sein Elternhaus zu verlassen, um sich der Gemeinschaft Mehi-o-rateas anzuschließen? Als merkte der Junge, dass sein Heerführer ihn ergründete, kam dieser auf ihn zu.
»Wie lange noch, Herr? Es ist fast dunkel, geht es jetzt los, soll ich jetzt loslaufen?« Seine aufdringlichen Fragen brachten Basti wieder in die Gegenwart zurück, froh, der Reise in die Zukunft entflohen zu sein. Er hatte versucht sich vorzustellen, wie er ohne Antarona in diesem Land weiter leben sollte. Er schüttelte den Kopf. das war nicht möglich!
»Darf ich nicht euren Befehl überbringen, Herr?« Der kleine vorwitzige Junge interpretierte das Kopfschütteln als Verneinung seiner Frage. Sebastian lächelte ihn beruhigend an, nahm seinen Arm, und zog ihn zu sich heran.
»Siehst du die Sichel des Mondvaters? Wenn sie die Baumspitze dort drüben berührt, dann wirst du wie der Wind loslaufen, und meinen Befehl zu deiner Clanführerin bringen. Gebannt schaute daraufhin der Bengel auf die Tannenspitze, die nur noch einen Fingerbreit vom Viertelmond entfernt war. Er fixierte sie so fest, dass seine Augen zu tränen begannen.
Sebastian lächelte ihm zu. Für diesen Burschen war das alles ein Abenteuer. Das er in dieser Nacht vielleicht vor seinen Schöpfer treten musste, diese Möglichkeit existierte für ihn nicht. Vielleicht war es gerade diese naive Zuversicht, die eine Schlacht wie diese zum Erfolg führte? Die Angst fand in den Herzen dieser jungen Menschen keinen Nährboden, denn sie wussten nichts von ihr!
»Herr, es ist soweit, das Nachtlicht steht an der Baumspitze, seht, Herr, muss ich jetzt laufen?« Mit gespielt kritischem Blick überprüfte Basti die Konstellation von Tanne und Mond, und ließ ein gewichtiges Nicken folgen.
»Ja, Herr Befehlsträger, jetzt ist es soweit, lauft los, und bringt den Befehl zum Angriff!« Der Junge stürzt los, machte drei Schritte und fiel über die erste Wurzel, die sich ihm in den Weg stellte. Doch er gab keinen Muckser von sich, sprang auf und wollte in gleicher Hast losspurten.
»Herr Befehlsläufer!« hielt Basti ihn zurück. Als sei er gegen eine unsichtbare Wand gelaufen, hielt der Junge an und wand sich um.
»Ein Überbringer von Befehlen rennt nicht blind darauf los, er läuft mit Würde und sicherem Schritt durch den Wald, denn er überbringt den Befehl des Heerführers!« rief er ihm zu. Der Bursche nickte, ließ ein lautes ja Herr durch den Wald schallen und setzte sich etwas langsamer wieder in Trab.
Im Geiste rechnete Sebastian mit. In zwanzig Minuten musste im Wald die wahre Hölle losbrechen. zeit um sich noch einmal zu... Sebastian stellte sich hinter einen dicken Baum und während er sich erleichterte, lauschte er den Geräuschen des in vermeintlicher Stille ruhenden Waldes.

Drei Mal schon war Tomrack beim Heerlagerführer gewesen. Beim dritten Mal hatte ihn dieser mit scharfem Blick gemustert und gefragt, ob er seines Frons müßig werden wollte. Tomrack versicherte seinem Herrn, dass er sich selten irrte, und dass irgend etwas in der Luft lag, dass der Wald, der sie umgab, an diesem Tag viel zu still war.
Der Kommandant sah seinen Kohortenführer eindringlich an. Er kam sogar um seinen Kartentisch herum, stellte sich dicht vor seinen Unterführer und sah ihm mit dem Blick eines Sperbers in die Augen.
»Ihr seid einer meiner besten Kohortenführer, habt an vielen Schlachten teilgenommen. Mich dünkt, euch mag nicht viel erschüttern. Was also mag es sein, dass euch derart in Unruhe versetzt? Nun?« Er wanderte vor Tomrack auf und ab, dann wandte er sich ihm wieder zu. Sein Tonfall hatte sich beinahe in Verständnis verwandelt.
»Ist irgendetwas vorgefallen, das euch einen guten Grund gibt, anzunehmen, dass Bentals Truppen unser Lager angreifen könnten, dass sie wenigstens auf dem Marsch hierher sind?«
Der Kommandant kniff die Augen zusammen, versuchte offenbar, den psychischen Zustand seines Untergebenen zu ergründen. Tomrack hielt seinem Blick stand und wich nicht einen Schritt zurück. Er kannte die Anzeichen für Gefahr, wusste, wann sich etwas Bedrohliches ankündigte.
»Herr, ich weiß nicht, was es ist, doch ich kann es spüren, es liegt in der Luft, es ist nicht zu beschreiben, doch es ist da, es...«
»Das glaubt ihr wirklich, ja?« fragte der Kommandant zweifelnd, und wippte auf Ballen und Fersen vor dem rothaarigen Mann auf und ab, als könnte er sich nicht entschließen, wie er letztendlich reagieren sollte. Dann umrundete er seinen Kohortenführer und blieb erneut vor ihm stehen.
»Ich will geneigt sein, euch nachzusehen, dass ihr dieses gleichmütigen Dienstes überdrüssig seid, Herr Tomrack von Kandar. Die Hitze, der Dreck, die kreischenden Abkömmlinge der Îval, und das dumme Pack, mit dem wir hier unsere Aufgabe erfüllen sollen. Mir geht es nicht anders.« Er schritt zurück hinter seinen massiven Tisch.
»Wird euch wohler, wenn ihr ein par Sonnenläufe in euer Dorf zurückkehren könnt? Hier tut sich derweil nichts, die Spähtrupps können andere übernehmen. Geht in euer Dorf, ruht euch eine Weile aus, genießt das Leben, sucht euch ein Weib...«
»Das ist es nicht, Herr«, unterbrach ihn Tomrack und ging zwei Schritte auf den Tisch seines Herrn zu. »Ich weiß, dass etwas bevorsteht, etwas, das wir noch nicht sehen können, das wir noch nicht einmal ahnen. Hört ihr nicht den Wald, Herr, seht ihr nicht die Stille?«
Der Heerlagerführer sah ihn irritiert an, und begann nun ernsthaft am geistigen Zustand seines Unterführers zu zweifeln. Tomrack, der den skeptische Blick des Hauptmanns kannte, fügte erklärend hinzu:
»Die Vögel sind nicht mehr zu hören, sie sind auch nicht mehr zu sehen. Die Laute des Waldes sind verstummt, selbst die Nu-hu-ruk, welche stets auf die Lichtungen kamen und sich gut jagen ließen, sind auf einem Mal verschwunden. Das ist kein Zufall, Herr. Irgendetwas ist im Wald, das wir nicht sehen können!«
Der Kommandant nahm seine Schreibfeder am Schaft und ließ sie nachdenklich zwischen seinen Fingern auf und ab schwingen. Dann schlug er den Deckel einer Pergamentsammlung zu, in die er Eintragungen vorgenommen hatte und sagte bestimmt:
»Also gut. Auch wenn es bereits dunkelt, nehmt euch eine Kohorte, ein par Männer, die noch nicht im Rausch des Mestas gefangen sind und sich nicht bei jedem Geräusch ins Waffenhemd machen. Führt einen Spähtrupp durch den Wald. Meinetwegen bis zum Fluss, bis zum großen See, und zurück. Nehmt Fackeln mit. Meldet mir, wenn ihr irgend etwas Ungewöhnliches feststellt habt. Und seid bis zur zehnten Zentare zurück!«
Tomrack nickte bestätigend, bewegte sich respektvoll rückwärts und trat ein wenig erleichtert durch den Zelteingang. Leicht abgekühlte Abendluft streifte sein Gesicht und tat ihm gut. Von hier und dort drangen die Geräusche des Lagers an sein Ohr, die ersten Krieger begannen dem Mestas zuzusprechen. Er hörte die Pla-ka unruhig schnauben, sie standen kurz vor der Fütterung.
Geräusche, die er kannte, die ihm in Fleisch und Blut übergegangen waren, die zum Lagerleben des Kriegers gehörten, wie das raue Lachen der Männer und das Knistern der Feuer. Und doch... Der Wald war zu still. Keiner der Nachtvögel war zu hören, die gewöhnlich zu dieser Stunde ihre Laute vernehmen ließen.
Gleichzeitig überlegte er, welche Krieger für eine nächtliche Patrouille in Frage kamen. Jene, die Dienstfrei hatten, saßen bereits an den Feuern und ließen die Kürbisflaschen kreisen. Allein seine eigene Kohorte würde nach der letzten Nacht etwas zurückhaltender sein. Wenn nur der Wald nicht so still geworden wäre!
Er machte einen Schritt, verhielt dann aber lauschend. Was war das? Tomrack hatte etwas gehört, das nicht zum Klangspektrum des Lagers gehörte. Bildete er sich schon Geräusche ein? War er tatsächlich schon so weit, dass er ein par Tage der Muße bedurfte? Widerwillig fuhr seine Hand durch den roten Haarschopf. Er ging weiter und stockte erneut.
Da war es wieder! Ein Schnarren, oder ein entferntes Grollen, wie ein großes, knurrendes Raubtier. Es kam aus der Richtung des Waldes! Im nächsten Augenblick begannen die Pla-ka drüben bei den Pferchen noch unruhiger zu werden. Sie wurden lauter, als es sonst bei der Fütterung der Fall war. Außerdem hörte er nun die wilden Flüche der Männer, die für die Tiere verantwortlich waren.
Intuitiv wandte sich Tomrack den Pferchen zu. Irgendetwas musste die Tiere über die Maßen beunruhigt haben. Besser, er sah nach dem Rechten, bevor er wieder den Kommandanten am Hals hatte!
Da! Nun war es ganz klar zu hören! Ein lautes Scharren, als würde eine riesige Zikade im Wald ihr Unwesen treiben. Ganz nah. Die Pla-ka reagierten prompt. Sie gebärdeten sich, als würden sie auf die Schlachtbank geführt. Was war das? Tomrack beschleunigte seinen Schritt, stolperte über ein par Scheite Feuerholz, fluchte, und eilte weiter.
Doch beim nächsten Geräusch blieb er abrupt stehen, und hatte das Gefühl, als würde ihm das Blut in den Adern gefrieren. Das Schnarren und Knurren setzte plötzlich so vielfältig und laut ein, dass er annahm eine ganze Armee von Riesenzikaden würde sich durch den Wald auf das Lager zu bewegen. Es klang, als würden die Laute als hallendes Echo zwischen den Bäumen hin und her geworfen.
Die Männer der umliegenden Lagerfeuer hatten sich erhoben und starrten ängstlich über die Zelte hinweg zum Waldrand. Es war noch nicht ganz finster geworden und die Silhouette der eng zusammenstehenden Bäume, die sie vor den Blicken Bentals Späher verbergen sollte, bekam von einem Augenblick zum anderen etwas Bedrohliches, Unheimliches, Gefährliches.
Rasch breitete sich das Geräusch um das ganze Lager herum aus, und es klang, als wäre das ganze Landungsheer von riesigen, gefräßigen Wesen eingeschlossen. Tomrack registrierte, wie sich die Männer aufgeregt unterhielten, wild mit den Armen gestikulierten, und ziellos hin und her rannten. Nur ein par besonnene griffen nach ihren Waffen, um anschließend jedoch völlig planlos herumzustehen.
In diesem Augenblick flammte in der Mauer des wie ein schwarzer Schatten dastehenden Waldrands ein gleißendes, rotes Licht auf, breitete sich explosionsartig aus und verwandelte sich in einen mächtigen, durch die Baumstämme ziehenden Nebel, der rot zu glühen schien.
Automatisch wichen die Männer zwischen den Zelten erschrocken ein par Schritte zurück, einige stolperten über Hindernisse, oder über ihre eigenen Füße, einer verletzte seinen Kameraden im Fallen mit seinem Schwert. Tomrack sah zu, wie sich eine plötzliche, heillose Panik unter den Männern ausbreitete.
Einige Kohortenführer versuchten noch die dummen, einfältigen Kerle in eine überschaubare Ordnung zu bringen, doch vergebens. Die entstandene Unruhe lockte auch den Heerlagerführer aus seinem Zelt. Gerade in diesem Augenblick explodierte ein weiteres Licht, diesmal in grüner Farbe. Geblendet hielt der Kommandant die Hände vor seine Augen und wich ein Stück weit in sein Zelt zurück. Der grüne Nebel, der sich nun mit dem roten vermischte und sich von den Bäumen her langsam auf das Lager zu bewegte, löste endgültig eine Panik unter den Männern aus.
An Stellen, wo der Blick durch die Zelte hindurch auf den Waldrand möglich war, sah Tomrack teuflische Wesen im leuchtenden Nebel hin und her huschen. Sie sahen aus wie kleine Bäume, mit sich bewegenden Wurzeln und Ästen. Nie zuvor hatte er von so etwas gehört, geschweige denn derartiges gesehen. Selbst ihm fuhr nun der Schrecken in die Glieder.
Hatten die drei Wachleute, die von Waldgeistern und Baumdämonen berichteten am Ende recht gehabt? Hatten sie mit ihrer Invasion die Geister des Landes, die Schutzdämonen Falméras geweckt und gegen sich aufgebracht? Folgte nun die fürchterliche Rache für ihren Vorstoß auf König Bentals Insel?
Mit einem dumpfen Knall entflammte eine neues, blaues Licht und trieb eine weitere Nebelbank auf das Lager zu. Der Kommandant erlangte zuerst seine Fassung zurück.
»Tomrack von Kandar!« brüllte er mit sich fast überschlagender Stimme hinter dem Kohortenführer her, der gerade sein Zelt verlassen hatte.
»Herr von Kandar, seht zu, dass ihr diesen räudigen, ungeordneten Haufen zu den Waffen bringt, oder ich vergesse mich!« Tomrack stand ratlos inmitten der verstört und ziellos umherirrenden Männer, und überlegte fieberhaft, wie er einen Widerstand gegen einen ihm völlig unbekannten Feind organisieren sollte...

An anderer Stelle waren die Wachtposten erschrocken aufgefahren, als das erste Geräusch durch den Wald hinter ihnen hallte. Sie standen zunächst vor Angst zitternd still da, lauschten in die ansonsten gespenstische Stille hinein und zuckten zusammen, als die Laute der unbekannten, wilden Tiere sie im Dunkel zu umzingeln drohten. Zwei oder drei Wachtposten verließen sofort panikartig ihre Stellung und suchten ihr Heil in der Flucht zum Lager hin.
Die anderen zogen pflichtbewusst ihre Schwerter und erwarteten den Angriff fürchterlicher Ungeheuer. Dass Dämonen des Waldes ihre Kameraden hingemetzelt hatten, war inzwischen als Gerücht an ihre Ohren gedrungen, und förderte nicht unbedingt ihren Mut. Dennoch standen sie als Torbuks Krieger ihren Mann, mochte der Feind noch so grausam und übermächtig sein!
Da flammte das erste mit Tran getränkte und mit dem Pulver der roten Steine bestreute Feuer auf. Die Explosion war so heftig, dass die Wachen den heißen Atem der Hölle spürten. In dem sich schnell ausbreitenden Nebel, verursacht durch die Kleinsten Mehi-o-rateas, die das Feuer mit Wasser besprenkelten, sahen die harten Männer Torbuks schemenhafte Gestalten hin und her huschen, die hundertfach verzweigte Beine und Arme besaßen, dafür aber keinen Kopf.
Für die einfach denkenden Krieger war das Tor zur Hölle aufgerissen worden, das nun alle Teufel und Dämonen der Tiefe hervorsprudeln ließ. Weiter hinten, bei den Käfigen, wo sich das Tor zum Lager befand, blendete kurz darauf ein grünes Feuer auf, das ebenfalls Dämonen zu spucken schien. Eine ganze Horde der skurrilen Höllenwesen kam jetzt auf die Männer zu, der Rauch aus dem Innern der Erde spie sie einfach zu Hunderten aus.
Angesichts solcher Übermacht viel den Elite- Kriegern Quaronas nichts besseres ein, als den Rückzug zum Lager anzutreten. Sie machten sich nicht erst die Mühe, dem Weg am Zaun entlang zu folgen, sondern orientierten sich, fast blind von den Explosionen, an den fahlen Punkten, die von ihren eigenen Lagerfeuern herrührten. Um ihr Leben rennend stolperten sie durch die Dunkelheit, fielen hin, sprangen wieder auf, krochen durch das ausgetrocknete Bachbett, liefen weiter, und überschlugen sich beinahe, als sie auf die Einfriedung des Lagers stießen.
Hinter ihnen fauchte in diesem Augenblick ein drittes Feuer in den Himmel. Es strahlte hellblau, und die Wolke aus dem vermeintlichen Loch in der Erde, der Atem der tiefsten Hölle, kroch unaufhaltsam auf sie zu. Die Männer rappelten sich hoch, einer ließ einfach sein Schwert liegen, und sie warfen sich Schutz suchend zwischen die schwarzen Zwischenräume der ersten Zelte.

Als Tomrack das dritte, diesmal himmelblaue Feuer am Waldrand aufflammen sah, kamen ihm die ersten Zweifel an einem Angriff durch Dämonen. Ihm fiel ein, dass die Oranuti weit unten im Land der wandernden Sonne bunte Feuer zu Ehren ihrer Ahnengeister entzündeten. Waren es Oranuti, ihr eigentlich Verbündeter, der das Lager angriff? So recht mochte er das nicht glauben. Um besser sehen und hören zu können trat er durch die äußeren Zelte, als beinahe eine ganze Kohorte aus dem Dunkel gestolpert kam, und ihn schlicht über den Haufen rannte.
Gleichzeitig fühlte er einen stechenden Schmerz in seiner Wade, der ihm kurz die Tränen in die Augen trieb. Wie ein Ertrinkender ruderte er mit den Armen, und kam nur mit Mühe wieder auf die Beine, inmitten eines chaotischen Knäuels der tapferen Krieger von Quaronas.
»Was ist mit euch los, könnt ihr nicht aufpassen?« polterte er los, als er sich vom ersten Schreck erholt hatte. Er schnaufte, denn der Schmerz in seiner Wade trat wieder in sein Bewusstsein. Er fasste nach unten und spürte eine warme, klebrige Flüssigkeit zwischen den Fingern.
»Ihr nichtsnutzigen, dämlichen Hunde habt mich verletzt! Gebt doch acht, wo ihr mit euren Schwertern herumfuchtelt, ihr Trunkenbolde!« brüllte er die Männer an, die sich schuldbewusst duckten.
»Was für ein Haufen seid ihr überhaupt, und was macht ihr hier?« wollte er wissen, und blickte in Angst verzerrte Gesichter, die vom bunten Feuer angeleuchtet noch bizarrer wirkten.
»Herr, flieht, die Hölle ist aufgetan, die Teufel bemächtigen sich der Erde und unser, sie greifen an, der Atem des Todes zieht auf das Lager zu, rette sich wer kann...« Aus dem Durcheinander der panischen Ausrufe konnte Tomrack nur entnehmen, dass etwas unfassbar Furchtbares und Schreckliches den Männern im Nacken saß. dennoch hatte er, Tomrack von Kandar, Kohortenführer des Torbuk von Quaronas, dem wahren Herrscher über Volossoda, die Männer zu ordnen, zu führen und zu ermutigen.
»Was fällt euch ein, hier wie eine Schar Waschweiber herumzuschreien? Redet gefälligst vernünftig, und nicht alle auf einmal, sonst bin ich der Teufel, den ihr zu fürchten habt«, brüllte er sie mit donnernder Stimme an. »Du da«, wies er auf einen stattlichen Krieger, der immer noch sein Schwert in der Hand hielt, »berichte, was da draußen los war, aber bleib bei der Wahrheit, sonst wirst du für den Rest deines unwürdigen Lebens im Kerker verbringen!«
»Herr«, stammelte der Mann unruhig in das Dunkel hinter ihnen spähend, »wir waren auf Wache, alles war ruhig, fast still, als plötzlich sich die Hölle auftat, und Feuer und Rauch hervorspie, und Teufel, ja, eine ganze Armee von Teufeln und Dämonen, die jeder von ihnen hundert Arme und Beine besaß, und nach uns griffen, um uns in den Schlund der Tiefe zu ziehen. Gerade eben noch vermochten wir ihnen zu entfliehen.«
»Dumme Angstwasel seid ihr, nichts weiter«, schalt sie der rothaarige Truppführer, »geht jetzt, und meldet euch bei eurem Kohortenführer, und zwar rasch, wenn ich bitten darf.« Tomrack sah ihnen nach, wie sie im Dunkel zwischen den Zelten davon stolperten. Dann spähte er zum Waldrand hinüber, wo gerade eben ein weiteres Feuer ausbrach, diesmal am anderen Ende, ziemlich nahe bei den Wasserwagen.
Dieses Feuer war giftgrün, und auch aus ihm schienen wild gewordene Bäumchen hervorzusprudeln. Er vermochte sich keinen Reim auf solch ein Phänomen machen, doch was auch immer das Lager bedrohte, er hatte es zu verteidigen! Tomrack wandte sich um und eilte zum Kommandantenzelt zurück.
Hilflos und völlig überfordert stand der Heerführer an eine Zeltstange gestützt, und sah der Panik im Lager zu. Er hatte es aufgegeben, die verschreckten Männer unter Kontrolle bringen zu wollen. Es hörte und achtete niemand auf ihn. Dann erblickte er etwas, das ihm zu seiner Handlungsunfähigkeit auch noch einen riesigen Schreck einjagte.
Die Männer, die vom südlichen Ende des Lagers, dort wo es an den Wald grenzte, in einem hoffnungslosen Durcheinander durch das Lager flohen, wurden plötzlich angegriffen. Teuflisch aussehende Dämonen, mit Armen und Beinen wie verzweigte Wurzeln, wuchsen urplötzlich aus dem Boden zwischen den Zelten und streckten einen nach dem anderen Krieger zu Boden.
Mit Entsetzen beobachtete er das Geschehen, das zu begreifen sein Geist nicht mehr imstande war. Da tauchte aus dem Dunkel direkt vor ihm einer der schrecklichen Dämonen auf. Er schien regelrecht aus dem Boden zu wachsen. Eine bizarre, rot- weiße Fratze mit schwarzen Höhlen dort, wo die Augen sein sollten, glotzte ihn an. Plötzlich hob das Wesen ein Kurzschwert, um es ihm in den Leib zu rammen. Sein eigenes Schwert zu ziehen, hatte der Kommandant angesichts dieser Höllengestalten schlicht vergessen.
Im letzten Augenblick fuhr ein Schatten zwischen ihn und den Baumteufel. Tomrack sah schon von weitem seinen Heerführer untätig dastehen. Dann gewahrte er das geisterhafte Wesen, das vor dem Kommandanten aus dem Boden wuchs und seine verzweigten Arme hob.
Mit schnellen, langen Sätzen war er bei seinem Heerführer, warf sich zwischen ihn und das satanisch aussehende, sich bewegende Etwas und hieb mit aller Kraft sein Schwert in die geästelten Arme des erstaunlich kleinen Dämons. Das unheimliche Bäumchen mit dem grotesken Gesicht fiel einfach vor ihm zusammen.
Tomrack beugte sich im Zwielicht über den unbekannten, niedergestreckten Feind, stupste ihn mit der Schwertspitze an und zog erstaunt die Augenbrauen hoch. Zunächst mochte er nicht glauben, was er sah. Eilig drehte er sich um, ergriff eine Fackel, die am Zelt des Kommandeurs spärliches Licht verbreitete, und hielt sie über das gefallene Wesen. Er hatte ein Menschenwesen gefällt!
Große, kindliche Augen sahen ihn flehentlich an, Verwunderung und blanke Angst im Blick. Ein Mädchen, kaum älter als jenes, welches seine Männer am Vorabend zu Tode gequält hatten, lag zitternd vor ihm, und hauchte sein junges Leben aus.
Sein Schwerthieb hatte ihr Schlüsselbein zertrümmert und war in ihren ungeschützten Leib gefahren. Das Blut schoss in kurzen Abständen aus der tiefen Wunde zwischen Hals und Schulter, das Mädchen zitterte und seine Augen weiteten sich mit Entsetzen, bis sie schließlich erstarrten.
Ebenso fassungslos und schockiert blickte Tomrack auf das Kind, das er getötet hatte. Er war ein stolzer Krieger, und gewohnt gegen Seinesgleichen anzutreten. Gegen Kinder zu kämpfen hatte er stets vermieden. Nun hatte er, wie seine ungezügelten Männer, ebenfalls eine junge Îval auf dem Gewissen.
Für einen Moment lang vergaß er, was um ihn herum geschah. Er fühlte sich so elend, wie am Vorabend, als vor seinen Augen das kleine Îval- Mädchen zu Tode gefoltert wurde. Aber in diesem Augenblick vollzog sich in ihm eine Wandlung.
Plötzlich verstand er, dass es die jungen Îval und Oranuti waren, die das Lager angriffen. Sie wollten ihre Freunde befreien, sie wollten Rache nehmen für die Grausamkeiten, die seine Krieger ihnen zugefügt hatten. Er selbst hatte sich nie wirklich an Übergriffen beteiligt, die gegen die Ehre eines Kriegers verstießen. Doch er hatte sie geduldet.
Auf einem Mal empfand er Abscheu gegen ihre Taten, ja sogar gegen sich selbst. So schnell und sicher, wie er den vermeintlichen Dämon niedergestreckt hatte, wurde ihm klar, was er nun zu tun hatte. Er beugte sich über das bizarr verkleidete Mädchen, das unter seinen Augen sein Leben verlor, hob es sanft auf, als wäre es nur verletzt, und wandte sich dem Teil des Lagers zu, wo er die Käfige mit den Gefangenen wusste.
Sebastian wartete, und hoffte, sein kindlicher Melder würde sich in seiner Aufregung nicht noch im Wald verirren, oder sich in der Finsternis das Genick brechen. Vergeblich versuchte er mit seinen Ohren den Wand zu durchdringen, um anhand der Geräusche zu erfahren, was vor sich ging.
Das fünfte mal in den letzten Minuten überprüfte er sein Rüstzeug, wog das kurze, schwere Schwert in seiner Faust und überzeugte sich vom richtigen Sitz seines Messers im breiten Gürtel. Noch einmal rückte er seinen Kriegsrock zurecht, damit dieser ihn beim bevorstehenden Kampf nicht behinderte.
Das Warten war das schlimmste. Wenn es denn nur endlich los ginge. Aber die bohrende Ungewissheit in seinem Bauch würde sowieso bleiben, bis er wusste, ob sein Plan aufgehen würde, bis er wusste, wie es seinen beiden Mädchen erging und er sie in Sicherheit wusste.
Es war seine erste Schlacht. Es war überhaupt das erste mal in seinem Leben, dass er an einem richtigen Krieg teilnahm. Und nun lastete noch die Verantwortung für ein ganzes Heer auf seinen unerfahrenen Schultern.
Gerade überlegte Basti, ob er noch einmal rasch hinter einem Baum verschwinden sollte, als ein durchdringendes, unheimliches Geräusch durch den Wald hallte. Die Ratterstangen vermittelten wahrhaftig den Eindruck, als bewegte sich ein riesiges Insekt durch die dicht stehenden Bäume. Das Zeichen zum Angriff. Nun gab es kein Zurück mehr. Was auch immer geschehen würde, es war unaufhaltsam in Gang gesetzt.
Geduckt, als würde der Feind ihn erkennen können, beobachtete Sebastian Lauknitz, wie sich der Voraustrupp in Richtung der Wachen in Bewegung setzte. Nun positionierte er sich inmitten seines Angriffstrupps und gemeinsam warteten sie auf ihren Einsatz.

Zu gleicher Zeit sahen Antarona und Vesgarina zu, wie sich der Voraustrupp ihres Abschnitts aus dem Dunkel zwischen den Bäumen herausschlich und wie eine Horde Schattengeister über die freie Fläche vor dem Lager huschte. Wie die Wachen niedergemacht wurden, konnten sie nur schemenhaft erkennen.
Dann war es für einen Augenblick unnatürlich still. Der warme Wind strich durch den Wald, bewegte raschelnd die Blätter und wirbelte die Gerüche von Waldmeister und Thymian durch die Luft. Für einen Moment wünschte sich das Krähenmädchen, in Bastis Armen zu liegen, und von seinen sanften Händen streicheln zu lassen, bis ihr Leib vor Hingabe kochte.
Sofort schüttelte sie den Kopf, dass ihre schwarze Mähne hin und her flog. Für solche Gedanken war jetzt keine Zeit! Sie musste dagegen ankämpfen, sich von solch süßen Vorstellungen verführen zu lassen. Bitter lächelte sie und überlegte, dass diese Nacht zu etwas ganz anderem geeignet war, als in den Kampf zu ziehen. Ihre Hände umfassten krampfhaft den Griff ihres Schwertes, bis ihre Knöchel schmerzten. Sie musste sich auf jene konzentrieren, die in wenigen Augenblicken vor ihrem Schwert auftauchen würden.
Gerade drang das Vorauskommando in das Lager der feiernden Krieger ein. Gleichzeitig begannen die eigenen, kleinen Kinder- Krieger, ihre Ratterstäbe an den vorher ausgesuchten Bäumen hin und her zu bewegen, als wollten sie die dicken Stämme durchsägen. Das unheimliche, schnarrende Geräusch hallte durch den Wald und es klang tatsächlich so, als wären die furchterregendsten Kreaturen erwacht.
Trotzdem herrschte eine bedrückende, lastende Stille über dem Land, als stünde ein Vulkanausbruch bevor. Es war ein trügerisches Schweigen, das den Wald bereits seit Stunden beherrschte, seit die Jo-lie zwischen die Bäume eingedrungen waren, um ihre Schatten zu ihrer Kampfbasis zu machen.
Antarona schätzte die Zeit, welche seit dem Aufbruch der ersten Welle verstrichen war, und gab das Zeichen zum Angriff. Sofort flammten am Waldrand die bunten Feuer auf. Dahinter hatten sich die Bogenschützen in Stellung gebracht, und zündeten ihre Pfeile an. Sie richteten ihre Bogen gen Himmel und ließen die brennenden Geschosse von der Sehne schnellen.
Mit einem eigentümlichen Pfeifen stiegen die kleinen Flammen in den nachtschwarzen Himmel auf, wurden winzig klein, schrumpften zu blauen Flämmchen, und flammten, als sie ihren Scheitelpunkt in der Höhe erreichten, wieder zu leuchtenden Lichtern auf, als würden fallende Sterne geboren.
Zuerst sah es so aus, als würden die Flammen wieder zurückkehren, und über den Bäumen des Waldes niedergehen, wo die Angriffstrupps in Deckung lagen. Hatten sie den Wind nicht richtig berechnet? Wehte er in der Höhe stärker, als am Boden? Antaronas Zweifel wurden gegenstandslos. Die Feuerpfeile beschrieben einen weiten Bogen und regneten als Tod bringende Schwärme auf das plötzlich hell erleuchtete Lager des Feindes.
Sofort vermochten sie selbst aus der Ferne zu sehen, was dort in der Basis des Gegners vor sich ging. Es wurde gekämpft. Still noch, ohne Geschrei, verbissen, gnadenlos. Die Vorauskommandos brauchten nun ihre Unterstützung. Antarona sprang auf, warf den Umhang ab, den sie zum Schutz gegen unkontrolliert abgeschossene Pfeile übergeworfen hatte, und stand nur mit ihrem Hüftschurz bekleidet, wie ein nacktes, blätterloses Bäumchen im Kreis ihrer Kriegerinnen und Krieger. Sie hob das Schwert Nantakis, und der Wald schien lebendig zu werden.
Bäumchen und Sträucher lösten sich aus ihrem Hintergrund, wie ein Bild, das zum Leben erweckt wurde, und stürmten vorwärts. Wie eine Flut ergossen sich die Schattenwesen über den Karststreifen, durch die Senke des ausgetrockneten Bachbetts, sprangen über den Zaun, der so gar kein Hindernis darstellte, und strömten zwischen die Zelte, wie die Gischt eines Meeres um die Küstenfelsen.
Mit einem ständigen Seitenblick achtete Antarona darauf, dass Vesgarina direkt an ihrer Seite blieb. Das stumme Mädchen trug einen Rindenschild und ein kurzes Schwert, wie es Sebastian bevorzugte. Wendig wie eine Gazelle sprang die Wenderin neben ihrer Prinzessin her. Die Strapazen und anschließende Müdigkeit der vergangenen Nacht waren verflogen. Nur noch ein Ziel prägte ihre Sinne, kämpfen, töten, vorwärts, solange, bis Frethnal sie in seine Arme schloss.
Die ersten Krieger Torbuks, die ihnen begegneten, rissen erschrocken die Augen auf, als sie die Gruppe grell geschminkter Bäumchen erblickten, und suchten ihr Heil in der Flucht. Andere Jo-lie, die zwischen den Zelten auftauchten, nahmen die Verfolgung auf. Weiter hetzte Antaronas Gruppe durch das flammende Inferno. nahezu das ganze Lager war in Brand geschossen worden.
Inzwischen war auch das Schiff auf dem Fluss gestürmt worden. Deutlich zeichnete sich in dieser Richtung der Feuerschein vor dem dunklen Nachthimmel ab. Antarona registrierte das nur aus den Augenwinkeln, denn schon stellte sich ihnen eine kleine Gruppe Krieger in den Weg, die noch bereit waren, ihren Stützpunkt zu verteidigen.
Das Krähenmädchen ging in die Hocke, drehte sich kunstvoll auf einer Ferse, nutzte den Schwung Nantakis und säbelte dem ersten die Beine unter dem Leib weg. Den zweiten Angreifer parierte Vesgarina und ermöglichte ihrer Freundin, den Mann mit einem weiteren Streich niederzustrecken.
Gegen die entschlossenen und wütenden Jo-lie hatten die Verteidiger keine Chance. Sie wichen entsetzt zurück, als immer mehr der kämpfenden Dämonen nachrückten. Ein Mädchen mit einem für sie viel zu großen Schwert brach neben Vesgarina zusammen, nachdem ein zurückweichender Krieger ihr einen Streich über den ungeschützten Bauch versetzt hatte. Sie ließ die Waffe fallen, presste die Hände auf ihren nackten Bauch und blieb wimmernd liegen.
In Vesgarina weckte das erst recht den Zorn. Mit einer Kraft, die sie selbst nicht von sich kannte, hieb sie dem für eine Sekunde ungedeckten Gegner ihr Kurzschwert in den Schädel. Noch während der in sich zusammensank, sprang die Wenderin über ihn hinweg und stellte sich einem Kohortenführer, der von seinen Kriegern verlassen einsam dastand.
Der kräftige Mann fing den Hieb des stummen Mädchens ab, und versuchte sie mit seiner groben Hand zu greifen. Genau das gereichte ihr zum Vorteil. Ihr fast nackter, verschwitzter Körper glitt aus seiner Pranke, wie ein Aal aus der Hand des Fischers. Wie sie es von ihrer Herrin gelernt hatte, drehte sie sich blitzschnell und nutzte die Fliehkraft ihres Schwertes. Die Klinge fuhr dem erstaunten Mann in die Flanke und ließ ihn zur Seite taumeln.
Ein sehniger Bursche tauchte in diesem Moment an ihrer Seite auf, und schlug dem Krieger seine Axt in die Schulter. Das Blut spritzte warm über ihren Körper. Doch sie nahm es gar nicht bewusst wahr. Abrupt stoppte sie, als fünf bis sechs Krieger ihren Weg kreuzte, die von einer Gruppe Jo-lie verfolgt wurden. Überhaupt schienen alle Männer Torbuks auf der Flucht.
An einer anderen Stelle hatten einige Mädchen und Jungen der Jo-lie zwei Krieger und einen Kohortenführer in die Enge getrieben. Die Invasoren, die sich einer unbekannten Übermacht gegenüber sahen, wollten sich ergeben und ließen ihre Waffen fallen. Doch die Jugendlichen waren in einen Blutrausch verfallen, der eine ganz neue Erfahrung für sie war. Sie fühlten sich gut, unbesiegbar, und mächtig.
Als der erste Mann in die Knie ging, gab es für sie kein Halten mehr. Gnadenlos hackten sie die Männer mit Äxten, Schwertern und Messern zu einem roten, spritzenden Brei. jegliches Mitgefühl, jede Menschlichkeit war aus ihren Köpfen gewichen.
Vesgarina ließ sich beinahe von diesem mitreißenden Rausch anstecken. Sie stürmte vorwärts, meinte, die fliehenden Reiter einfach überrennen, oder niederschlagen zu können. Der kräftige Junge, der ihrem Gegner den Gnadenstoß versetzt hatte, blieb an ihrer Seite. Bis plötzlich hinter einem großen Zelt eine geordnete Gruppe Krieger auftauchte und ihnen in die Flanke fiel.
Als ihr Kampfgefährte fiel, ernüchterte die Wenderin mit einem Schlag. Plötzlich sah sie sich einer Übermacht gegenüber, einer Schar erfahrener Reiter, die ihr gut gewappnet gegenüber traten.
»So, du kleiner Nuk-trin, hier ist dein Weg zuende«, schrie der erste gegen den Lärm an und hob sein mächtiges Schwert zu einem vernichtenden Schlag. Die Wenderin reagierte instinktiv, wie sie es eingeübt hatte, drehte sich unter seinem Arm weg, kam neben ihm wieder hoch und parierte seinen Streich.
Wie ein Donnerschlag, der ihre Arme mit einem singenden, tauben Schmerz lähmte, krachte die feindliche Klinge gegen ihr vergleichsweise winziges Schwert. Der Aufprall zwang sie in die Knie. Nun überragte sie der Krieger wie ein über sie stürzender Felsen, vor dem es kein Entrinnen gab. Er holte erneut aus, und Vesgarina vermochte ihm nur mit knapper Not entkommen, indem sie sich wie eine Schlange zur Seite wand.
Das Schwert des Mannes fuhr mit knirschendem Geräusch in den Boden, dort, wo sie vor einem Wimpernschlag noch gelegen hatte. Ein nachfolgender Krieger wollte das Vernichtungswerk seines Kameraden vollenden und holte mit blitzender Klinge aus. Wieder wand sich das Mädchen unter dem Hieb durch, diesmal zur anderen Seite, wo der erste Gegner inzwischen sein Schwert aus dem Boden gerissen hatte, und es erneut gegen sie hob.
Mit einem dumpfen Klang schlug Vesgarinas Schläfe gegen die flache Seite der Klinge. Sterne explodierten in ihrem Kopf, ihre Glieder wurden schwer wie Stein und wie benommen nahm sie wahr, wie beide Gegner zum endgültigen Todesstoß ansetzten. Die Klingen fuhren in die Höhe, um im nächsten Moment in ihren Körper zu fahren.
Da rissen beide Männer erstaunt Mund und Augen auf und verhielten wie gebannt in ihrer Bewegung. Nun erst sah sie, dass in ihren Leibern vier oder fünf Pfeile steckten, die einen Augenblick zuvor noch nicht da waren. Langsam, als würde eine geheimnisvolle Macht sie noch zurückhalten, knickten die beiden Krieger in den Knien ein, sackten zusammen und überließen ihre Waffen der Schwerkraft, deren Klingen auf die Wenderin zugerast kamen. Ein Schatten sprang in buchstäblich letzter Sekunde über sie hinweg und schleuderte die beiden Krieger vor die Füße ihrer nachfolgenden Kumpane.
Antarona hatte Vesgarinas Zwangslage gesehen, konnte jedoch nicht eingreifen, da zwei von Torbuks Männern sie bedrängten. Wie ein wirbelnder Schatten parierte sie einen Hieb nach dem anderen, wobei Nantakis die Hauptlast trug und verhinderte, dass die Schwerter der großen Männer das Krähenmädchen einfach hinweg fegten. So aber hatten die Kämpfer ihre liebe Mühe mit dem dürren Mädchen, das für sie eine echte Herausforderung wurde.
Immer wieder versuchten sie, Antarona in der Seite zu erwischen und ihr Schlag hätte ihren Leib zweifellos in der Mitte durchtrennt. Doch Sonnenherz war zu schnell. Nicht einmal die Augen der Männer vermochten ihren Bewegungen zu folgen. So teilte sie immer wieder Hiebe aus, die zwar durch die Rüstung der Krieger nicht viel Schaden anrichteten, wohl aber spüren ließen, wie gefährlich dieses kleine Mädchen war.
Nebenbei registrierte Antarona, wie hinter ihr die nachrückenden Bogenschützen auftauchten, und ihre Geschosse in den Körpern der Männer einschlugen, die ihre Freundin bedrohten. Plötzlich gab es einen klatschenden Laut und ein weiterer Pfeil traf die Stirn eines ihrer Gegner. Der Mann glotzte ungläubig und fiel dann nach hinten weg. mit seinem Mitstreiter hatte das Krähenmädchen nun keine Mühe mehr. Sie vollführte eine Luftrolle und Nantakis schlug mit voller Wucht in dessen Schädel.
Noch bevor Antaronas Füße den Boden berührten, riss sie das wundersame Schwert zurück und registrierte gleichzeitig, dass die Klingen der von Pfeilen gespickten Feinden auf Vesgarina hinabstoßen würden. Sie federte ihren Sprung ab, nutzte den Schwung und flog vorwärts, direkt über die am Boden liegende Wenderin hinweg. Mit je einem Fuß sprang sie jeweils einem Krieger vor die Brust, so dass beide mit knackendem Geräusch nach hinten flogen. Ihre Fellmokassin verhinderten, dass eine Klinge der Männer in ihre Wade schlug.
Sofort stellte sich das Krähenmädchen einem dürren Reiter, der sich ihr unverschämt grinsend zuwandte. Ihre biegsamen Beine federten in einem gekonnten Spagat zur Seite und sie tauchte unter der peitschenden Schwertklinge des Mannes hindurch. Wie eine Stahlfeder zog sie ihre Muskeln wieder zusammen, und wuchs vor ihrem Feind wieder hoch, der noch damit beschäftigt war, die Wucht seines in die Leere gegangenen Schlages abzufangen. Da fuhr ihm bereits Antaronas bläulich schimmernde Schwertspitze in die Rippen.
Mit einem grellen Schrei der Anstrengung riss sie Nantakis zurück, trat dem Mann gleichzeitig mit einem Fuß gegen den Leib, um das Schwert rasch wieder frei zu bekommen, denn zwei weitere Krieger standen ihr bereits gegenüber.
Der Linke vollführte gerade einen Streich gegen sie mit einer doppelschneidigen Axt. Antarona drehte sich halb weg, prallte aber gegen Vesgarina, die gerade wieder auf die Beine kam. Sofort spürte sie einen brennenden Schmerz auf ihrem Bauch. Doch sie ignorierte ihn, denn es blieb keine Zeit, sich darum zu kümmern.
Statt dessen nutzte sie den Schwung aus, der den Kontrahenten mitriss, stieß ihm mit aller Kraft Nantakis in den Bauch und drehte das Schwert so weit sie konnte in der Wunde des Mannes, bevor sie es wiederum herausriss. Im letzten Wimpernschlag bog sie sich nach hinten, um der Klinge des zweiten Mannes auszuweichen. Dennoch erwischte sie sein Eisen an der Schulter.
In diesem Moment tauchte Vesgarina unter ihren Armen hervor, und stieß dem Krieger ihr Kurzschwert in die Brust. Doch sie hatte zu viel Schwung, verlor das Gleichgewicht und musste ihre Waffe loslassen. Der Gegner fiel mit ihrem Schwert in der Brust um, direkt vor Antaronas Füße. Die riss geistesgegenwärtig mit der freien Hand die Klinge ihrer Freundin aus der Rüstung und warf sie ihr, den Griff voran, zu.
Vesgarina fing ihr Schwert sicher auf, doch Antarona kostete die Aktion ein par Sekunden, die sie gebraucht hätte, um sich auf die neuen Gegner einzustellen. Einer hatte mit seinem Morgenstern ausgeholt. Doch er stand nicht sicher, da sich seine Kameraden zu seinen Füßen in ihrem Blute wälzten. Die gesackte, schwere Kugel streifte das Krähenmädchen am Oberschenkel, und riss ihr einige Stücke Haut aus dem Bein.
Der Krieger aber, der sie attackiert hatte, konnte die Fliehkraft seines Mordinstruments nicht abfangen und so schlug die Kugel mit schepperndem Geräusch und voller Wucht in die Brust seines Kampfgefährten, der neben ihm stand. Mittlerweile hatten die Bogenschützen neue Pfeile auf ihre Sehnen gelegt und sich so weit zur Flanke der Feinde hin vorgearbeitet, dass sich die beiden Mädchen nicht mehr in ihrer Schusslinie befanden. Ein Sirren zischte durch die Luft und drei bis vier Gegner, die gegen Vesgarina und Antarona drängten, fielen einfach um, und stoppten das Vorstürmen der gegnerischen Horde.
Aber auch die Speerwerferinnen und Speerwerfer waren zu ihnen aufgeschlossen. Die zweite Reihe von Torbuks Kriegern fiel unter dem Hagel der langen, dünnen, und mit Metallspitzen versehenen Stäbe. Das reichte dem Rest der Wilden Horden. Die verbliebenen Krieger flohen Hals über Kopf in die Dunkelheit, verfolgt von einigen Jo-lie, die nun glaubten, alles besiegen zu können.
Antarona blickte an sich herab, und stellte fest, dass sie zwar nicht schwer verletzt war, dass der Kampf aber Spuren hinterlassen hatte. Quer über ihren Bauch zog sich ein feiner Schnitt, der bereits aufgehört hatte zu bluten. Der Schnitt an ihrer Schulter war schon tiefer. Das Blut rann ihr die über die Rippen hinunter, und es schmerzte etwas. Noch schmerzhafter allerdings war die Wunde auf ihrem Oberschenkel. Dort, wo die Haut weggerissen war, lief das Blut bis zu ihren Waden hinab. Die Wunde war wohl nicht sehr tief, doch erfahrungsgemäß würde sie nicht so schnell heilen, wenn sie nicht sofort eine Kräutermixtur darauf legte.
Dazu war jedoch keine Zeit. Die Kampftrupps sollten sich bei den Gefangenenkäfigen vereinen. Kurz entschlossen riss sich Antarona das dünne Lederoberteil herunter, wickelte es um ihren Oberschenkel und verknotete die Enden seitlich um die Blutung aufzuhalten. Dann stürmte sie mit den anderen weiter vorwärts.
Zwei oder drei Mal stellte sich ihnen noch ein Soldat Torbuks in den Weg. Antarona und Vesgarina verloren keine Zeit. Ohne großen Aufwand kämpften sie die einzelnen Männer nieder und ließen sie liegen, wo sie hinfielen. Eine Kleine Gruppe orientierungslos umherirrender Krieger ließen sich von den Bogenschützen mit schmerzhaften Treffern verjagen.
Kurze Zeit später aber sahen sie sich einer massiven Mauer von Torbuks Kriegern gegenüber, die verbissen und mutig kämpften. Sie waren von einer Übermacht der Jo-lie in die äußerste Ecke eines festgetretenen Platzes getrieben worden, von drei Seiten umstellt, und in ihrem Rücken standen die Käfige mit den Gefangenen, die in den Pferchen schrieen und tobten, weil sie nicht in den Kampf eingreifen konnten.
Eine verzwickte Situation hatte sich entwickelt. Die Männer Torbuks vermochten nicht zu fliehen, weil sie eingekesselt waren, die Jo-lie konnten ihre Freunde und Freundinnen nicht befreien, weil die Invasoren dazwischen standen. Ein gnadenloser, und heftiger Kampf entbrannte. Ohnmächtige Wut und Hass auf Seiten der Jo-lie, sowie Angst und Mut der Verzweiflung bei den Wilden Horden, die gern ihren Kameraden fluchtartig in die Sümpfe gefolgt wären.
Das Krähenmädchen und die Wenderin griffen mit den Schützen und Werfern in der Flanke an, um möglichst schnell an die Gefangenen heranzukommen. Mit dem Zorn der Vergeltung warfen sie sich dem eingeschlossenen Haufen Männer entgegen.

Sebastian Lauknitz sah ebenfalls die Brandpfeile in den Himmel steigen und als vernichtenden Sternenregen auf das Lager prasseln. Gleichzeitig, mit dem immer lauter werdenden Schnarren der Ratterhölzer, explodierten die bunten Feuer links und rechts. Roter, grüner und blauer Rauch zog durch die Baumstämme und das farbige Licht tauchte die ganze Szenerie in eine geisterhafte Welt. Beinahe instinktiv hob Basti das Schwert in die Höhe und brüllte:
»Los, Krieger der Jo-lie, jagen wir sie in das große Wasser, und holen wir uns unsere Freunde zurück!« Die Aufforderung war überflüssig. Wie eine vom Bogen gelassene Spannung stürmten die als grell bemalte Bäume verkleideten Kinderkrieger vorwärts. Der durch die Warterei angestaute Druck entlud sich wie die Wassermasse hinter einem berstenden Damm.
Ungehindert überwanden sie den Streifen Trockenrasen, das leere Bachbett, den provisorischen Zaun. Schon glaubte Sebastian auf keinen Widerstand zu stoßen. Der Teil des feindlichen Lagers, in den sie eindrangen, schien ausgestorben. Tatsächlich befanden sich bereits zahlreiche Krieger Torbuks auf der Flucht. Die Angst vor den Dämonen aus der Tiefe der Erde war größer, als die Furcht vor einer gegnerischen Streitmacht.
Erst in der Mitte des Lagers stießen sie auf vereinzelten Widerstand. Bis dahin waren sie im Sturm über eine Vielzahl von Toten gesprungen. Offenbar waren die angreifenden Trupps, die in der Mitte vorstoßen sollten, um einige Längen schneller gewesen, als Bastis Gruppe. Sie hatten gnadenlos unter den Wilden Horden aufgeräumt.
Als sich ihnen die erste Kohorte in den Weg stellte, hatten sie bereits das erste große Zelt passiert. Die Männer, die sie aufzuhalten versuchten, schienen in aller Eile mobilisiert worden. Einige hatten nicht einmal geschafft ihre Rüstung fertig zu schnüren. Ein Trupp Bogenschützinnen, die links und rechts neben Sebastian in Stellung gingen, hatten leichtes Spiel. Ihre Pfeile fällten auf der Stelle vier oder fünf der Verteidiger, und brachte die Gegenwehr zum Halten.
Sofort sprangen die jungen Burschen und kampferfahrenen Mädchen an ihnen vorbei und attackierten die ins Stocken geratene gegnerische Meute. Basti stellte sich einem Bär von Mann mit der Finte, die Antarona ihm während der Wochen ihrer Wanderung beigebracht hatte. Er ließ sich in eingeübter Drehung in die Hocke fallen, tauchte unter dem Schwert des Feindes weg und nutzte die Fliehkraft der Drehung aus. Sein Kurzschwert hatte zwar nicht die Wucht einer langen Klinge, doch die Kraft reichte aus, dem Mann die Beine unter dem Leib wegzusäbeln. Das Eisen, das vom nächsten Krieger auf ihn niederzusausen drohte, parierte er mit der flachen Seite seiner Waffe.
Der Mann hob die Arme, um erneut auszuholen. Von unten stieß ihm Basti das kurze Schwert in den Bauch, drehte es kurz, und riss es wieder aus dem Körper, den er nur als zähen Widerstand spürte. Durch das Herausziehen verlor er jedoch kurz das Gleichgewicht, und kippte nach hinten. Basti brauchte beide Hände, um sich wieder vom Boden abzustoßen. Für einen Moment war er ungeschützt. Das nutzte ein von der Seite nachdrängender, drahtiger Krieger, um ihn mit einem Handball großen Morgenstern zu zerschmettern.
Im letzten Augenblick kam hinter Basti ein Schatten angeflogen, sprang dem Mann direkt entgegen. Ein blondes Mädchen, bewaffnet mit einer Steinsplitter gespickten Keule hatte Anlauf genommen, und sprang dem Mann mit nackten Füßen vor die Brust. Sebastian registrierte geistesgegenwärtig, kam wieder hoch, und holte mit seinem Kurzschwert aus. Er konnte jedoch nicht verhindern, dass der Schwung des Morgensterns das zu Hilfe gekommene Mädchen voll traf und seitlich zu Boden schleuderte. Sie blieb lang gestreckt auf dem Bauch liegen.
Das Bedürfnis, ihr zu helfen, musste er aber unterdrücken, denn schon erhob sich der Morgensternschwinger erneut über ihm. Doch er war zu langsam. Bevor er wieder Schwung holen konnte, bohrte sich Bastis Klinge in seinen Leib. Mit einem Tritt stieß er den Krieger zurück und hielt wieder sein freies Schwert in der Hand. Der nach hinten fallende, große Mann riss zwei seiner Kameraden von den Beinen, die sofort von den nachfolgenden Jo-lie massakriert wurden.
Sebastian stellte sich einem Kohortenführer, der dahinter auftauchte, und zunächst unschlüssig dastand. Offenbar überlegte der Schwarze Reiter, ob es klüger war, die Flucht zu ergreifen. Basti nahm ihm die Entscheidung ab. Blitzschnell sprang er zunächst an dem Mann vorbei, der sich irritiert nach ihm umdrehte. Seine schwere Rüstung und das breite, viel zu lange Schwert behinderten ihn aber und machten ihn so langsam, dass Sebastian den Eindruck hatte, er bewegte sich im Dämmerzustand des Schlafes.
Blitzschnell stieß Bastis Arm zu und seine Klinge fuhr dem Mann von unten in die Achselhöhle, zwischen Brust- und Schulterpanzer. Der Gegner taumelte zurück und riss einen weiteren Mann um, der sich schon zur Flucht gewand hatte. Die restlichen drei Männer des Feindes, die noch sicher standen, stoben beim Anblick ihres gefallenen Kohortenführers in alle Richtungen davon.
In diesem Moment sah Sebastian Vesgarina und Antarona, die mit anderen Kämpfern und Kämpferinnen gegen eine weitere Mauer von gut gerüsteten Kriegern anrannten. Er wollte zu ihnen stoßen, um bei ihnen zu sein, doch sein Ehrgefühl trieb ihn noch einmal zurück. Das Mädchen, das ihn aus unvorteilhafter Situation gerettet hatte, lag noch immer mit dem Gesicht halb im nassen, zertretenen Boden.
Vorsichtig drehte er sie herum, versuchte sie so sanft wie möglich hochzuheben. Die Kugel des Morgensterns hatte eine verheerende Wirkung gehabt. Die Rippen ihrer ganzen linken Seite waren zerschmettert und hatten sich wohl in ihre Lunge gebohrt, denn sie hustete helles, dünnes Blut, als sie ihn mit großen, verwunderten Augen ansah. Ihre Rasterzöpfe hingen ihr vom Kopf, wie Lianen von einem sterbenden Baum.
»Kleine, tapfere Frau«, sprach Basti sie an, »du hast deinem Heerführer heute das Leben bewahrt. Wie ist dein Name? Ich, Areos von Falméra, werde dafür sorgen, dass die deinen davon erfahren, wie mutig du heute für dein Volk gekämpft hast.«
Die Hand des Mädchens krallte sich in Sebastians Arm, als sie versuchte, hochzukommen und ihn anzusehen. Doch sie schaffte es nicht mehr. Kraftlos fiel ihr Oberkörper zurück. Doch ihr Gesicht zeigte sich nun ein friedliches Lächeln. Ihre Lippen bewegten sich, aber Sebastian vermochte im Kampflärm nichts zu hören. Er hielt sein Ohr dicht an ihren Mund, und musste sich anstrengen, um sie zu verstehen.
»Senalia ist froh, dass sie mit ihrem neuen König kämpfen durfte. Bitte... Mein Vater... meine Eltern... bitte, Senalia...« Dann versagten ihre Stimmbänder gänzlich. Ihr blonder Schopf fiel zur Seite. Eine tapfere, mutige Kriegerin der Jo-lie und der Îval lebte nicht mehr. Sie verabschiedete sich in das Reich, in das schon viele vor ihr eingezogen waren, die Willkür, Unterdrückung und Sklaverei nicht einfach hinnehmen wollten.
Zur Trauer blieb Basti keine Zeit. Das Krähenmädchen und die Wenderin brauchten ihn. Er musste sich zu ihnen durchkämpfen. Die Angst, die beiden konnten inzwischen gefallen sein, bohrte sich in seinen Leib, schlimmer, als ein Schwert dies vermocht hätte.
Er wollte gerade aufstehen, als ein par große Füße neben ihm stehen blieben. Erschrocken blickte er an den Beinen, am Waffenrock, an dem ganzen, wie ein Baum vor ihm stehenden Mann empor. Er hielt keine Waffe in der Hand. Seine Hände, rötlich behaarte Pranken, die jenen eines Bären glichen, waren seine Waffen. Die Faust, gewaltig wie ein Schmiedehammer sauste herab und explodierte an Bastis Kopf. Die Welt begann sich immer schneller zu drehen, seine Augen wurden schwer, er fühlte einen lähmenden Druck auf ihnen, der sich über seine Schultern ausbreitete. Ein hoch frequentes Summen umfasste seinen Kopf, dann fiel Sebastian in einen wirren Traum.

»Was hat das zu bedeuten, was habt ihr vor«, schrie der Kommandant hinter seinem Kohortenführer her, der ihm den Rücken zukehrte, um das tote Krieger- Mädchen auf seinen Armen zu den Gefangenenpferchen zu tragen, »bleibt gefälligst hier, Tomrack von Kandar, oder ihr seid die längste Zeit Kohortenführer ge...«
Der rothaarige Krieger drehte sich um, weil er glaubte, dass sein Heerlagerführer einer weiteren Attacke der maskierten Jugendlichen zum Opfer gefallen war, als dieser nicht weiter sprach. Doch der Mann, der in dieser Nacht die Kontrolle über seinen Invasionstrupp verlor, starrte nur verwirrt und überrascht in den Himmel. Tomrack folgte seinem Blick und hörte gleichzeitig die Worte seines Befehlshabers:
»Die Sterne fallen vom Himmel, nun greifen uns auch die Götter an, nun sind wir vollends verloren«.
Tatsächlich sah auch Tomrack das Feuer am Himmel. Hunderte von hell leuchtenden Sternen schienen aus dem Wald in den Himmel über ihnen aufzusteigen. Es war ein ergreifend schöner, jedoch ebenso beklemmender, erschreckender Anblick. Die Geburt der Apokalypse.
Die vielen kleinen Feuer verharrten kurz im schwarzen Samtschleier des Nachthimmels, dann begannen sie wie ein wahrer Feuerregen auf das Lager niederzuprasseln. Wo einer der Sterne im Funkenregen aufschlug, explodierte er und setzte alles in seiner Umgebung in Brand.
Geistesgegenwärtig warf sich Tomrack mit dem Mädchen auf dem Arm hinter einen großen Holzstoß, das einzige, was im Umkreis Schutz bot. Er hörte verzweifelte, erschreckte Schreie, hörte die Einschläge der Feuersterne und sah überall um sich herum die Zelte in Flammen aufgehen.
Das ganze Lager brannte. Beinahe taghell war es, als ein wahrer Feuersturm über die Zelte, bis hin zu den Wasserwagen hinwegfegte. Erst als ein brennender Pfeil vor seinem Holzstoß niederging, wusste Tomrack, dass die Feuersbrunst das verheerende Werk der Angreifer war. Als endlich auch die anderen realisierten, dass es sich um brennende Pfeile handelte, war es bereits zu spät.
Mit seiner toten Last, die er für etwas sehr Schützenswertes hielt, sprang Tomrack wieder auf die Beine und suchte sich zwischen den brennenden Zelten hindurch einen Weg zu den Käfigen und Pla-ka- Pferchen. Und tatsächlich beschützte ihn das tote Mädchen in seinen Armen.
Überall, einer Flut gleich, tauchten baumartige Wesen mit grässlichen Fratzen auf und stellten sich ihm in den Weg. Doch erblickten sie das Mädchen in seinen Armen, so ließen sie ihn ungehindert weiter durch die in Brand geratene Welt stolpern. Andere hatten weniger Glück.
Wie ein Heer wild gewordener, kreischender Geister fielen die Jo-lie über jeden her, der sich noch aufrecht bewegte. Die anfänglich so ängstlichen Kinder und Jugendlichen verfielen in einen wahren Blutrausch, den niemand mehr zu stoppen vermochte. Sie spürten plötzlich ihre Überlegenheit und Macht und hatten nur noch Rache und Vergeltung im Sinn.
Tomrack sah im vorüberhetzen vier, fünf teuflisch verkleidete Jo-lie, die einen großen Krieger in die Enge getrieben hatten, und nun mit bloßen Messern auf ihn einstachen und ihn buchstäblich Stücke hackten.
An anderer Stelle hatten drei der jugendlichen Gegner einen Kohortenführer mit einem Speer an einen brennenden Holzstoß gespießt und verspotteten ihn, während sie zusahen, wie er unter entsetzlichen Schreien bei lebendigem Leibe verbrannte.
Überall sprangen zwischen Angreifenden und Fliehenden leicht bekleidete Bogenschützinnen herum, und nahmen ins Visier, was ihnen vor die Pfeile kam. Doch in dem Durcheinander gelang ihnen nur selten ein tödlicher Treffer.
Am Rande des Lagers, dort, wo der Sumpf begann, hatten sich fünf oder sechs Mädchen mit ihren Bogen versammelt, und schossen hinter den fliehenden Kriegern her. Nur einmal trafen alle den gleichen Mann, der mit Pfeilen gespickt in den Fluten zwischen dem Sumpfgras versank.
Inmitten des Feuersturms, und unter fliegenden Funken und brennenden Leinwandstückchen hockten fünf Mädchen nur mit ihrem Lederschurz bekleidet und schwangen ihre Bolas. Jedes Mal, wenn ein fliehender Krieger vorbeigestolpert kam, ließen sie ihre Lederriemen los. Von den Steinen angetrieben, wickelte sich das Leder um die Beine des Opfers und brachte den Mann zu Fall. Sofort waren andere Jo-lie zur Stelle, die für den Gefallenen keine Gnade kannten.
Wer es nicht schaffte, aus dem in kürzester Zeit überrannten Lager zu fliehen, und sich nicht auf den einzig noch nicht in Flammen stehenden Wasserwagen retten konnte, wurde einfach erschlagen, erstochen, verbrannt. Doch in der allgemeinen Panik suchten die meisten Krieger rechtzeitig ihr Heil in der Flucht. Viele ließen sich in die Sümpfe treiben, und versuchten von dort aus auf das noch intakte Schiff zu gelangen.
Nur eine letzte, von den gespielten Dämonen eingeschlossene Gruppe von Kriegern und Kohortenführern wehrte sich noch verzweifelt und mutig auf dem Platz vor den Gefangenenkäfigen. Dort entbrannte der blutigste und gnadenloseste Kampf der Schlacht.
Doch für Tomrack war klar, dass er an diesem Tag nicht mehr töten würde. Er wollte nur noch seinen Frieden, dem wilden Abschlachten entfliehen, nach Hause, zu seiner Frau, zu seiner Tochter... Wie alt war sie eigentlich? Er hatte es vergessen. Zu lange hatte er sich für Karek und Torbuk verdingt, hatte getötet, fremde Familien auseinander gerissen.
In diesem Augenblick, da eine Wandlung in ihm vorging, fühlte er eine seltsame Nähe zu seinem Eisilchen, wie er sie liebevoll nannte. Das Bild, das er im Kopf hatte, zeigte ihm ein kleines rotblondes Mädchen mit langen Haaren und blauen Augen, das Abbild seiner geliebten Frau, als er bei ihrem Vater um ihre Hand anhielt. Mittlerweile musste sie eine hübsche, junge Frau sein.
Seine Gedanken, die weit hinaus schweiften, wurden von der Wirklichkeit zurück geholt. Vor ihm hatte eben noch eine Gruppe der vermeintlichen Geister- Krieger gegen eine Kohorte gekämpft. Er hatte nicht eingegriffen. Mit dem gefallenen Mädchen auf dem Arm hatte er zugesehen, wie die als grausam geltenden Krieger Torbuks niedergemacht und in die Flucht geschlagen wurden.
Dann stürmten die seltsamen Kindersoldaten weiter, dem Gefangenenplatz entgegen. Nein. Das stimmte nicht ganz. Ein Krieger kam zurück. Er kniete sich in den Schlamm und hob ein kleines Mädchen auf, die noch vor ein par Zentaren beherzt gekämpft hatte. Der Krieger hob sie auf, als wäre sie seine Tochter. Das Wappen auf dem Schild, den dieser Mann trug, war Tomrack nicht unbekannt. Es war das Wappen Falméras, das Wappen Bentals. Sollte dieser Krieger, der sich so liebevoll um seine gefallene Kriegerin kümmerte, etwa jener sein, von dem alle als den Erlöser sprachen?
Tomrack hatte an dieser Stelle, in diesem Moment, die Gelegenheit, Geschichte zu machen, der größte Held Quaronas zu werden, die persönliche Anerkennung Torbuks und Kareks zu erlangen. Ein müheloser Schwerthieb und er war der neue Heerführer einer der besten Einheiten Quaronas!
Was letztlich sein Handeln bestimmte, wusste er nie wieder zu sagen. Ein Gefühl, eine innere Eingebung, oder nur das väterliche Empfinden dafür, was gut und böse war, fällte die Entscheidung, als er den fremden Krieger mit seiner bloßen Faust niederstreckte. Dabei spürte er keinen Hass. Im Gegenteil! Tomrack hatte das Bedürfnis, diesem Mann das Leben zu retten, indem er ihn aus dem Gefecht nahm. Irgendetwas war an diesem Krieger mit dem Schild des Königs von Falméra, das ihn emotional berührte, ihn beeindruckte, ihn daran hinderte, ihn einfach zu töten. Sein Herz sagte ihm, das dieser Mann leben musste!

Antarona parierte den Schlag eines Langschwerts, tauchte unter dem Gegner durch und stieß ihm die Klinge Nantakis in den Bauch. Beim Zurückreißen ihrer Waffe erblickte sie im Flackerschein des Feuers das Wappen Falméras. Areos Schild. Aus dem Augenwinkel erkannte sie ihren Ba - shtie - laug - nids. Sie registrierte noch, wie der Riese mit dem Feuerschopf auf ihren Mann zuging, den Arm hob und wieder fallen ließ, und wie ihr Ba - shtie fiel, die fremde Frau noch im Arm.
Sie konnte nicht zu ihm, der nächste Gegner, ein untersetzter Kohortenführer in voller Rüstung hatte sich bereits auf sie fixiert. Während ein wilder Zorn und eine lähmende Angst ihr Herz umklammerte, schlug sie die Klinge Nantakis mit solcher Wucht in die Beine des Angreifers, dass ihre leichte Waffe die Gliedmaßen sauber durchtrennte.
Der Schmerz um den Verlust ihrer Liebe und die unbändige Wut gegen den Feind ließ sie zur wirbelnden Kampfmaschine werden. Ohne Rücksicht auf Reserven legte sie ihre ganze Kraft in einen einzigen Gedanken: Töten! Plötzlich hatte sie das Gefühl, ihr Leben war wertlos geworden. Sie wollte nur noch diese Tiere, die ihren Ba - shtie erschlugen, in das Reich der Toten schicken.
Wie ein Sturm aus Rasiermessern pflügte ihr blitzendes Schwert durch die Reihen der eingekesselten Krieger. Vesgarina hatte erst verzweifelt versucht, mit ihrer Prinzessin mitzuhalten, es aber sehr schnell aufgegeben. Statt dessen versuchte sie nun, ihrer Freundin den Rücken und die Flanke freizuhalten. Selbst das erschien fast aussichtslos, da sich Antarona einfach viel zu schnell bewegte.
Am anderen Ende der Kesselschlacht sorgte ein riesiger, rothaariger Krieger für Verwirrung. Er rammte wie ein alles niederwalzender Felsblock durch die Reihen der Jo-lie. Doch der große Mann im Kriegsrock Torbuks Kohortenführer schob und drängte die jugendlichen Kämpfer nur zur Seite, er griff sie nicht an. Als er jedoch auf die eigenen Reihen stieß, begann er die Krieger Torbuks, seine einstigen Kameraden, einen Mann nach dem anderen, niederzukämpfen.
Ab und zu wurde Tomrack von einer Kämpferin, oder von einem Burschen der Jo-lie attackiert, die im Eifer des Gefechts nicht mitbekommen hatten, dass er sich auf ihre Seite geschlagen hatte. Dann setzte er seine kräftigen Ellenbogen ein, um die forschen Kinderkrieger zur Seite zu schleudern. Wie ein Orkan fuhr er in die Linie der eingeschlossenen Männer der Wilden Horden.
Sein Ziel war, dieses Gemetzel so rasch wie möglich zu beenden. Jedes einzelne dieser aufbegehrenden, mutig kämpfenden Kinder erinnerte ihn an seine Tochter. Und ständig hatte er das grausame Bild vor Augen, wie seine Männer in der Nacht das junge Mädchen zu Tode gequält hatten. An solchen Taten wollte er nicht länger teilhaben.
Antarona sah den alles überragenden Mann immer wieder sein Schwert erheben und niederfahren. Freilich konnte sie seine Opfer nicht fallen sehen. Doch das Bild, wie dieser Krieger ihren Ba - shtie zu Boden streckte, hatte sich in ihr Gedächtnis eingebrannt. In ihrem Rausch nach Vergeltung strebte sie nicht mehr nur danach, die Gefangenen zu befreien, sondern auch danach, diesem Mann ihr Schwert in den Wanst zu stoßen.
Ihr abgrundtiefer Hass gab ihr eine nie gekannte Kraft und Schnelligkeit. Sie machte keine Kompromisse mehr. Die von ihr attackierten Krieger starben. Sie achtete nicht mehr darauf, ob sie selbst Wunden davontrug, oder in Gefahr schwebte. Jegliches Gefühl in ihr war wie durch einen umgelegten Schalter versiegt.
Vor ihr tauchte ein mächtiger Kerl auf, der die Einfältigkeit in sein Gesicht gemeißelt trug. Seine mächtige schwere Streitaxt hätte Antaronas Leib in der Mitte entzwei gebrochen, hätte ihn seine schwere Rüstung nicht behindert. Nantakis fuhr von unten nach oben quer über des Gegners Schritt. Brüllend sackte der Mann auf die Knie, landete auf seinem Kameraden, der zuvor von Antaronas Streich gefällt worden war.
Der Krieger ließ seine Axt fallen und hielt sich heulend beide Hände vor seinen Schoß. Doch die Stunde, in der das Krähenmädchen Gnade hätte walten lassen, war vergangen. Mit beiden Händen umfasste sie den Griff Nantakis und stieß ihm die Klinge durch den Rüstungspanzer hindurch in die Brust. Dann setzte sie mit ihrem Fuß nach, drückte den Mann nach hinten und riss das Schwert aus der spritzend blutenden Wunde.
Sofort wandte sie sich einem neuen Kontrahenten zu, einem baumlangen Jüngling, dessen Rüstung deutlich zu klein war. Seinen Schwerthieb parierte sie mit Leichtigkeit, und während er Mühe hatte den Schwung seiner Waffe abzufangen, fuhr ihr bläulich schimmernder Stahl in die bloße Stelle zwischen Brustpanzer und Beinschutz. Dass dem verdutzten Mann sofort die Gedärme aus dem Bauch quollen, sah sie gar nicht mehr. Und während ihr ausgeweidetes Opfer verzweifelt versuchte, das, was aus ihm herausdrang, wieder in sich hineinzustopfen, sprang das Krähenmädchen in die Luft, um dem Hieb eines nachfolgenden Kriegers auszuweichen.
Blitzschnell drehte sie sich und ließ Nantakis selbst mit der Fliehkraft den nächsten Streich führen. Dass sie dabei mit ihren nackten Füßen in einem Brei aus Staub, Erde und Blut stand, merkte sie nicht. Ihre leichten Mokassin hatte sie längst verloren. Ihr kurzer Lederschurz war so mit Blut bespritzt, wie ihr ganzer Leib, wie Arme, Beine und Gesicht. Ihre langen Haare schlugen ihr verklebt ins Gesicht.
Doch immer wieder drag sie gegen einen neuen Krieger vor, bis sie plötzlich im Blut ausrutschte und in ganzer Länge hinschlug. Ein großer, untersetzter Mann, der anstelle einer Rüstung den Mantel eines Kaufmanns trug, holte mit einem Krummschwert aus.
Doch da tauchte Vesgarina über Antarona auf. Sie parierte den Hieb des so gar nicht ins Bild passenden Mannes. Der ließ sich etwas zurückdrängen. Antarona nutzte diese Sekunden, um wieder auf die Beine zu kommen.
Den Mann in der unpassenden Kleidung hatte das Schicksal gestraft. Der Geruch von gebratenem Fleisch hatte den Wasserwagenführer von seinem Schiff ins Lager gelockt. An einem der vielen Feuer wollte er sich sein Abendessen einhandeln. Nun fiel er durch Antaronas Schwert. Die blutige Klinge fuhr ihm unter dem Brustbein in die Lunge, und noch bevor das frische Blut aus seinem Mund sprudelte, hatte Antarona ihre Waffe mit einer Drehung wieder aus ihm heraus gerissen.
Als der Mann fiel, stand Antarona plötzlich vor einer Wand aus Holzstangen. Kein Krieger stand ihr mehr gegenüber. Sie hielt kurz inne, als müsste sie erst einmal begreifen, dass niemand mehr da war, den sie angreifen musste. Links neben ihr wurde aber noch heftig gekämpft. Und plötzlich drangen die Geräusche, die Gerüche und Bilder des gnadenlosen Gemetzels in ihre Sinne.
Die Kriegerinnen und Krieger der Jo-lie kreischten und schrieen in ohrenbetäubenden Lauten, mit denen sie das Brüllen und Dröhnen der Bässe von Torbuks Männern teilweise überdeckten. Dazwischen schmetterte das Scheppern, Klirren und Knallen der Waffen, die gegen Rüstung und feindliches Gerät schlugen. Hier und dort war Stöhnen und Jammern, Klagen und schmerzliches Weinen herauszuhören. Das panische Wiehern der Pla-ka in den Pferchen hallte wahllos dazwischen, denn die trockenen Holzgatter hatten teilweise Feuer gefangen.
Dazu lag ein süßlicher Leichengeruch, vermischt mit dem Gestank nach verbranntem Fleisch, und Holz, sowie versengten Haaren in der Luft. Das einzige Licht, das die Szenerie erhellte, und nur ein wirres Durcheinander sich schnell bewegender Leiber, Rüstungen, und blitzender Waffen erkennen ließ, war das Feuer der brennenden Zelte. In dieser flackernden, undeutlich beleuchteten Luft, die sich noch dazu mit Rauch angereichert hatte, waren Freund von Feind kaum noch voneinander zu unterscheiden.
Aber auch vor ihr schrie und lärmte es. Antarona brauchte eine Weile um zu erfassen, dass es die Gefangenen hinter den Gittern waren, die an den Holzstäben rissen und beinahe ein lauteres Geschrei von sich gaben, als die kämpfenden Jo-lie. Sie wollten endlich heraus, aus ihrer Gefangenschaft, wollten selbst Rache üben für die Gräueltaten, die ihnen wiederfahren waren.
Antarona erwachte aus ihrer Benommenheit. Mit Vesgarina eilte sie von Käfig zu Käfig und sie rissen die Riegel zurück. Fast flogen die Türen aus den Angeln, als die Befreiten gegen sie drängten. Entschlossen strömten sie aus ihren Verschlägen, griffen sich, was sie zu fassen bekamen, Knüppel, Äxte, die Waffen der gefallenen Krieger, und mit dem angestauten Hass von vielen Tagen fielen sie den bedrängten Männern der Wilden Horden in den Rücken.
Diese begriffen zuerst nicht, wer sie plötzlich von hinten angriff. Doch sehr schnell erkannten sie, dass jene, die sie gefoltert und erniedrigt hatten, nun mit ungezügelter Wut über sie herfielen. Eine wirkliche Gegenwehr gaben sie angesichts dieser Übermacht auf. Sie beschränkten sich nur noch darauf, ihre Waffen und Schilde zum Schutz ihres Lebens hoch zu halten. Doch die befreiten Jo-lie fielen in einen unkontrollierbaren Rausch der Rache. Sie brachten einen nach dem anderen Krieger zu Fall und erschlugen sie mit allem, was sie in den Händen halten konnten, bis zur Unkenntlichkeit.
Nur zwei Menschenwesen standen etwas abseits des Kampfes. Vesgarina und Frethnal hatten sich gefunden. Die stumme Wenderin erkannte ihren Geliebten, als er aus dem Käfig stürmte. Für sie war die Schlacht vorüber. Doch sie musste verhindern, dass sich Frethnal mit den anderen in das Kampfgetümmel stürzte. Sie wollte ihn am Ende nicht doch noch verlieren! Sie vermochte sich aber auch nicht mit Rufen bemerkbar machen.
Das blonde Mädchen lief einfach los. Sie machte drei große Sätze und sprang ihren Geliebten an, wie eine Wildkatze ein Rebhuhn. Kompromisslos schlang sie ihrem überraschten Gefährten die Arme um den Hals, und ihre Beine um seine Hüften, so dass sie wie eine Klette an ihm hing, und ihn daran hinderte, sich mit den anderen gegen den Feind zu werfen.
So standen sie eng umschlungen da, vergaßen die grausamen Entgleisungen der Menschenwesen um sich herum, und ließen sich in das so lange entbehrte Gefühl der Liebe entführen. Antarona beobachtete es mit dankbarem Lächeln, bis sie aus den Augenwinkeln wieder die roten Haare des riesenhaften Kriegers wahrnahm, der inmitten des letzten Schlachtgetümmels stand und die von allen Seiten Heranstürmenden zu Boden schickte.
Ihr Hass auf Torbuks Truppen erwachte wieder und mit leichten Sätzen sprang sie mitten in die sich kreuzenden Schwerter und Lanzen, in die schwingenden Keulen und Morgensterne. Sie bemerkte nicht, wie eine Klinge über ihre Brust fuhr, und ein Knüppel ein Stück aus der Haut ihres Armes riss. Dieser Mann, der ihren Ba - shtie auf dem gewissen hatte, musste sterben. Er sollte durch ihre Hand in das Reich der Toten gehen!
Sie wand sich an einer verbissen kämpfenden Kriegerin der Jo-lie vorbei, die es gleich mit zwei Gegnern aufnahm. Wie nebensächlich registrierte sie, dass es Eisilia war, die sich tapfer und mutig schlug, und ihren Gegnern das Fürchten lehrte. Dort vorn, attackiert von zwei Mädchen der Jo-lie und von drei Kriegern der Wilden Horden, stand der Rothaarige wie der Fels in einer Brandung.
Er schlug mit einem Streich seines dicken Armes die zwei jungen Kriegerinnen zur Seite, dass sie zwischen ihre Gefährtinnen flogen, die noch gegen die letzten der Wilden Horden fochten. Dann hieb er einen Kohortenführer der Gegner zu Boden und griff den nächsten an. Für einen Augenblick war das Krähenmädchen verunsichert. Auf welcher Seite stand dieser Mann? Da drängten die Gefangenen durch die Reihen in der Flanke heran, und schrieen:
»Da steht er, der Dreckskerl, der Syriel geholt und getötet hat! Greift ihn euch! Erschlagt ihn, lasst ihn nicht entkommen!« Doch bevor sie ihn vollständig umzingelt hatten, sprang Antarona dazwischen.
»Halt! Lasst ab von ihm! Dieser gehört Sonnenherz. Er hat Areos, euren künftigen König, getötet! Sonnenherz wird ihn in das Reich der Toten schicken!« Tomrack von Kandar drehte sich bei Antaronas Ausruf, der den Kampflärm übertönte um. Er sah in die kalt blitzenden, hasserfüllten großen Augen der jungen Îval, die ihn töten wollte. Blut verschmiert und schmutzig wie eine Ve-ni-tries aus den Mienen von Zarollon stand sie fast nackt vor ihm, nur mit einem für sie viel zu großen Schwert in der Hand.
Tomrack war verunsichert. Wie konnte dieses zierliche Geschöpf, das so wild und zerzaust aussah, wie der tiefsten Hölle entsprungen, so ein großes Schwert mit einer Hand halten? Und wieso nannte sie sich Sonnenherz? das war der Name einer Erscheinung, die er stets für Legende gehalten hatte.
Zwei Menschenwesen standen sich stumm beobachtend, anfeindend gegenüber, die unterschiedlicher nicht hätten sein können. Während hier und dort, links und rechts noch verbissen gekämpft wurde, hatte sich um die beiden sich belauernden Gestalten das Kampfgeschehen gelegt. Die Jo-lie, aber auch die restlichen Krieger der Wilden Horden ließen ihre Waffen sinken, und warteten gespannt darauf, was sich zwischen den beiden exklusiven Gegnern entwickeln würde.
»Mein Kind, ich will euch nicht verletzen, lasst es gut sein, und lasst mich gefangen nehmen, denn ich bin des Kampfes müde. Haltet ein, es sind in dieser schlafenden Sonne schon genug gute und mutige Krieger und Kriegerinnen gefallen. Lasst es uns beenden«, versuchte Tomrack einzulenken.
Doch Antarona sah in ihm nur den Mörder ihres Mannes, ihres geliebten Ba - shtie, den Mann, der den Vater ihrer ungeborenen Tochter hingestreckt hatte. Dafür würde er bezahlen müssen, und wenn es die letzte Tat ihres Lebens sein sollte.
Sie begann um ihren Gegner herumzutanzen, wie sie es bei einem Zweikampf meistens tat. Sie belauerte ihn, versuchte jede seiner Reaktionen vorauszudenken, versuchte Zeit zu gewinnen, um in seine Sinne zu gelangen. Aber gerade das verwirrte sie. Denn was sie spürte, war keine Feindseligkeit.
Ihr Hass und ihre Trauer waren in diesem Moment weder gute Berater, noch gute Verbündete. Das Krähenmädchen ließ sich von ihnen leiten, verführen, und sie zweifelte an den Empfindungen, die ihre Gabe ihr vermittelte.
»Ihr werdet bezahlen, für alles, was ihr meinem Volk angetan habt, großer Mann mit dem roten Schopf, und ihr werdet bezahlen, was ihr Sonnenherz angetan habt!«
Damit ließ sie Nantakis durch die Luft wirbeln. Antarona vermochte den Abstand zu ihrem Gegner so genau abzuschätzen, dass die Spitze des Schwertes nur die Oberfläche seines Armes ritzte. Ein feiner, blutiger Strich bildete sich auf Tomracks Haut.
Er ignorierte es, er spürte es gar nicht. Er wollte diesem Mädchen, das verständlicherweise jeden Reiter Torbuks hasste, nicht weh tun. Um seine Unterwerfung zu zeigen, ließ er nun sein Schwert fallen und streckte Antarona seine bloßen Handflächen entgegen.
Für ein par Sekunden war nur der Kampflärm zu hören, der aber deutlich abnahm. Tomracks Geste, das Schwert fallen zu lassen, hatte sich auf einige andere Männer der Wilden Horden übertragen. Auch sie hatten die Waffen gestreckt. Doch die Jo-lie, besonders die befreiten Gefangenen, befanden sich in einem solchen Siegestaumel und Blutrausch, dass sie einfach weitermachten. Ob bewaffnet, oder nicht, sie metzelten die Reiter von den Beinen, wo sich ihnen dazu die Gelegenheit bot. Ihre Wut, ihr ohnmächtiger Hass trieben sie zu einer Grausamkeit an, die jener der Wilden Horden in nichts mehr nachstand.
Antarona war vorsichtig. Tomracks Handlung mochte eine List sein. Sie wusste, dass sie verloren war, wenn sie es zuließ, dass seine riesigen Hände zupackten. Bekam er sie zu fassen, so war es ihm ohne Mühe möglich, sie in der Taille zu zerquetschen. Sprungbereit, wie eine Pantherin stand sie ihm gegenüber. Was sie noch zögern ließ, war die Tatsache, dass sie keinen Hass in seinen Sinnen spürte. Das kannte sie von einem Feind nicht.
Ihr Hadern war dieses kleine Quäntchen Unsicherheit, das Tomrack zum Vorteil gereichte. Er machte einen Ausfallschritt nach links vorn, was Antarona als einen Angriff interpretierte. Sofort sauste ihr Schwert durch die Luft. Doch Tomrack hatte seinen Schritt abrupt gestoppt, sein Gewicht auf die andere Seite verlagert und mit der bloßen Hand ausgeholt.
Seine Pranke erwischte Antarona an der Schulter und sie spürte einen lähmenden Schmerz, während sie zur Seite flog. Krampfhaft hielt sie Nantakis in den Händen, als sie im aufgewühlten Dreck landete. Doch sie gab ihrem Gegenüber keine zweite Chance, nutzte die Wirkung des gegnerischen Schlages, rollte sich ab und sprang wieder auf die Beine. Den viehischen Schmerz, der sich von ihrer Schulter bis ins Rückenmark hin ausbreitete, ignorierte sie einfach.
Unbewaffnet stand der rothaarige Riese vor ihr. Die sie direkt umstehenden Jo-lie feuerten das Krähenmädchen lautstark an, dem verhassten Feind mit dem Schwert den Schädel zu spalten. Und Antaronas Herz befahl ihr genau das. Sie sprang in einem blitzschnellen Zickzack auf den Kohortenführer zu, um ihn zu verwirren und ihm keine Möglichkeit der Gegenwehr zu geben. Schon wollte sie den entscheidenden Sprung ausführen, als ein Schatten aus dem Dunkel auftauchte und sich zwischen die beiden Kämpfenden warf.

Das Rauschen in Sebastians Kopf nahm allmählich ab. Sein Schädel brummte und er wünschte sich nichts sehnlicher, als Ruhe. Statt dessen drangen störende Laute immer intensiver in sein Ohr. Noch völlig benommen, versuchte er die Geräusche in das Spektrum seiner geistigen Erfahrungen einzuordnen und mit seinen letzten Erinnerungen zu verbinden.
Nach und nach sickerte das, was er erlebt hatte, in seinen Geist zurück. Der Angriff in einem brennenden Chaos. Vesgarina und Antarona inmitten der kämpfenden Leiber und blinkenden, klirrenden Waffen. Das Mädchen, das ihn durch seinen Einsatz gerettet hatte. Wo war sie? Dann wusste er nichts mehr. Wo war Antarona? Dieser Gedanke weckte ihn vollends auf.
Taumeln kam er hoch, versuchte sich zu orientieren. Seine Augen waren verwirrt. Es gab nur Finsternis, bestialischen Gestank und blendende, zuckende Feuer. Zu seinen Füßen lag das halb entblößte Mädchen, das ihn gerettet hatte in seinem Blut.
Lärmende Bewegung kam aus der anderen Richtung. Dort wurde auf kleinstem Raum erbittert gekämpft. Die Angst um seine Frau trieb Sebastian Lauknitz genau dorthin. Fast mechanisch hob er sein Schwert auf. Mit taubem Gefühl im Nacken und taumelnden Schritten bewegte er sich auf das Schlachtfeld zu. Die Zähne zusammengebissen versuchte er sich zu konzentrieren.
Während er sich dem spärlich beleuchteten Kampfplatz näherte, versuchte er Freund und Feind auseinander zu halten, zu erkennen, wo er eingreifen sollte. Wenn er doch nur erahnen konnte, wo sich Antarona befand. Zuletzt hatte er sie mit Vesgarina an der rechten Flanke kämpfen gesehen. Dorthin wandte er sich zunächst, stieg über Verletzte und wimmernd oder reglos daliegende Leiber, stapfte durch Tümpel von Blut, das sich mit dem Staub in eine klebrige Masse verwandelt hatte.
Als er dem Zentrum des Kampfes näher kam, blieb ihm beinahe das Herz stehen. Schon aus der Entfernung erkannte er Antarona, trotz der bizarren Bemalung und trotz all dem Blut, das an ihr haftete. Ihre Bewegungen und die eigentümliche Waffe, die sie führte, verrieten ihre Identität.
Sebastian begann zu laufen, soweit das bei dem mit Verwundeten und Toten gepflasterten Boden möglich war. Er sah wie der riesige Mann, dessen Schopf in Flammen zu stehen schien, ausholte, und Antarona von den Beinen fegte. Aber er registrierte auch dass der Mann unbewaffnet war. Und er sah noch etwas. Sebastian erkannte die eigenartige Schnürung seiner Stiefel. Es waren dieselben Stiefel, die er gesehen hatte, bevor er das Bewusstsein verloren hatte.
Von einem Augenblick zum nächsten keimte eine stille Hoffnung in Sebastian auf. Dieser Mann dort hätte ihn leicht töten können, wenn er gewollt hätte. Hatte er aber nicht. Er war unbewaffnet. Wollte er auch Antarona nicht töten? Hatte dieser Krieger, der eindeutig zu den Kohortenführern Torbuks gehörte, gar kein Interesse daran, seine Feinde zu in das Reich der Toten zu schicken?
Nur noch wenige Meter war Basti vom Ort des Geschehens entfernt, als sein Krähenmädchen wie von einer Sprungfeder gelenkt wieder hochkam. Er sah, wie sie Nantakis führte, und erkannte, dass die Klinge ihr Ziel nicht verfehlen würde. Mehr einer inneren Eingebung folgend, als rationaler Überlegung, sprang Sebastian zwischen die beiden und riss die Arme hoch.
»Halt, aufhören.., Schluss damit«, schrie er so laut er konnte, »in dieser schlafenden Sonne stirbt hier niemand mehr, niemand stirbt hier mehr!«
Langsam ließ Antarona ihr Schwert sinken. Die Überraschung in ihrem Gesicht wich ehrlicher, strahlender Freude. Den sie bereits im Reich der Götter geglaubt hatte, stand plötzlich vor ihr und gebot ein Ende des gegenseitigen Tötens.
Sebastian verharrte einen Moment in der Haltung mit den erhobenen Händen, und sah sich um. Der große, rothaarige Krieger hob seine blanken Handflächen zum Zeichen der Aufgabe. Dort, wo bis zu diesem Augenblick noch verbissen gekämpft wurde, schwiegen nun ebenfalls die Waffen. Alle auf dem Blut durchtränkten Platz hielten inne, warteten lauernd, was nun kommen würde, jedoch jederzeit bereit, wieder übereinander her zu fallen.
Irgendetwas musste Sebastian tun, eine Geste, ein Wort, eine Tat, um die Waffen endgültig zur Ruhe zu zwingen. Eine falsche Reaktion in dieser Sekunde, und das Blutvergießen würde so lange weitergehen, bis auch der letzte Mann Torbuks hingeschlachtet war.
»In dieser schlafenden Sonne sind genug Menschenwesen in das Reich der Toten eingetreten«, rief er in die Runde. Als er daraufhin hier und dort zustimmendes Nicken erntete, fuhr an die restlichen noch lebenden Gegner gerichteter fort:
»Männer von Quaronas, eure Führer sind entweder geflohen, gefallen, oder haben die Waffen niedergelegt. Es ist sinnlos weiterzukämpfen. Ergebt euch, und wir gewähren euch mit eurem verbliebenden Wasserwagen freien Abzug nach Quaronas.« Sofort erklangen Proteste von Seiten der bis vor einer Stunde noch gefangenen Jo-lie. Sebastian drehte sich ihnen zu und rief für alle hörbar:
»Lasst es gut sein, der Boden dieses Landes ist vollgesogen des Blutes unserer Brüder und Schwester, und jenes unserer Feinde. Es ist genug. Wir haben erreicht, was wir wollten, wir haben euch befreit. Besinnt euch auf das, was euch in Mehi-o-ratea zusammenbrachte. Besinnt euch auf ein freies Leben in Frieden!« Bevor Sebastian noch einen Satz hervorbringen konnte, erhob Tomrack seine mächtige Bassstimme:
»Brüder und Kampfgefährten, ihr habt Areos vernommen, die stimme eines Wahren Herrschers. Ich, Tomrack von Kandar, als euer Kohortenführer sage euch, legt die Schwerter nieder, wir haben hier nichts mehr zu tun, wir...« Ein Ruf von gegenüberliegender Seite unterbrach ihn:
»Vater! Seid ihr das, Vater, bei den Göttern, seid ihr mein Vater, seid ihr hier?« Verwundert und überrascht zugleich wandte Tomrack sich um.
»Tochter, Eisilchen, bist du es? Wo bist du?« Eisilia trat aus dem Schatten in die nur noch schwach erleuchtete Arena des ruhenden Kampfes. Sie trug nur noch den zerfetzten Lederschurz und ihr Schwert. Ihr Körper war wie jene der meisten Kämpferinnen und Kämpfer der Jo-lie mit Farbe, Dreck und Blut verschmiert. Dennoch leuchteten ihre rotblonden Haare im letzten Feuerschein, als sie in den flackernden Lichtkreis trat.
Vater und Tochter, beide aus dem feindlichen Lager, traten sich gegenüber. Eine gespannte Stille brach über den Platz herein, auf dem vor ein par Minuten noch laut und unerbittlich gefochten wurde. Vater und Tochter hatten sich nach langer Zeit wiedergefunden.
Tomrack schossen die Tränen der Freude in die Augen, er breitete seine Arme aus, die eher an Schiffsbalken erinnerten, denn an Gliedmaßen, und ging langsam auf das junge Mädchen zu, die schon vergessen hatte, dass sie gerade noch gegen die Männer ihres Vater gekämpft hatte.
»Vater, ich danke den Göttern, dass ihr lebt, Vater.., Vater...« Weinend warf sie sich in die mächtigen Arme und ließ sich von dem Mann hochheben, auf den nun alle Augenpaare gerichtet waren. Dann geschah etwas, das Sebastian sich mit Bangen gewünscht hatte.
Die Männer der Wilden Horden, die bis zu diesem Augenblick wie erstarrt mit ihren Waffen in den Händen dastanden, ließen die Schwerter, Äxte und Lanzen fallen, wo sie standen. Zögernd steckten auch die Jo-lie ihre Waffen in die Scheiden und Schlaufen zurück und begannen sich um ihre verwundeten Brüder und Schwestern zu kümmern.
Antarona steckte Nantakis in ihre Rückenscheide und ging auf Sebastian zu, der sie zärtlich in die Arme nahm. Seine Hände glitten zaghaft über ihren Körper, fühlten jede Wunde, die ihr zugefügt wurde, jeden Riss und es war ihm, als fuhr der Schmerz jeder ihrer Verletzungen direkt in sein Herz.
Für einen Moment vergaßen sie die Schrecken dieser Nacht, standen eng umschlungen im Schlachtfeld und Bastis Hände zogen Antaronas Taille fest an sich, als wollten sie das Geschöpf ihrer Sehnsucht nie wieder loslassen.
»Ich danke den Göttern, dass ich die Frau meiner Liebe wieder in den Armen halten darf«, flüsterte er ihr ins Ohr. Antarona antwortete ebenso:
»Sonnenherz hatte geglaubt, Ba - shtie an das Reich der Toten verloren zu haben. Sie sah euch fallen, durch die Hand dieses Tomrack von Kandar, welcher wohl der Vater der Eisilia ist, welche tapfer an der Seite von Sonnenherz und der Wenderin gekämpft hat«, gestand sie ihm erleichtert lächelnd. »Auch Sonnenherz ist glücklich und dankt den Göttern, dass sie ihr Ba - shtie - laug - nids wiedergegeben haben.«
Je ruhiger es auf dem Feld des Kampfes wurde, desto eindringlicher klangen die Laute derer, die verwundet oder sterbend am Boden lagen, und um Hilfe bettelten. Schon kamen die Jüngsten der Jo-lie herbeigeeilt, hoben jene auf, die nicht mehr laufen konnten, stützten die Humpelnden, und bedeckten jene tapferen Mädchen und Jungen, die bereits auf der Reise in das Reich der Toten waren.
Sie nahmen ihre Aufgabe sehr wichtig und ernst, jene, die fast noch Kinder waren, und nicht mitkämpfen durften. Ihr Kampf begann jetzt. So professionell, als hätten sie es wochenlang einstudiert, verbanden sie die Verletzten, und führten die anderen auf sicheren Pfaden durch den Wald in das Dorf der ewigen Jugend.
Sebastian wusste, dass er sich um all diese kümmern musste, welche diese Nacht mehr oder weniger unbeschadet überlebt hatten. Verändert hatten sie sich alle. Was diese jungen Menschenwesen in dieser Nacht getan und erlebt hatten, würde schwer nachwirken. Sie würden es spüren, wenn die Euphorie über ihre befreiten Brüder und Schwestern nachließ.
Doch im Augenblick warteten andere Aufgaben auf Areos und Sonnenherz. Sie mussten feststellen, wie der Kampf um die Wasserwagen ausgegangen war, mussten entscheiden, was mit jenen Verwundeten geschehen sollte, die auf der Seite Quaronas gefallen waren, und sie mussten die Toten bergen. Die geglückte Befreiung war eine Sache, was nun noch auf die jungen Menschen der Jo-lie zukam, war noch etwas ganz anderes.
Frethnal und die Wenderin standen plötzlich neben ihnen. Den beiden schien es gut zu gehen, denn sie hatten kaum Verwundungen. Vesgarina kümmerte sich sofort um Antaronas Wunden, während Sebastian sich Tomrack und seiner Tochter Eisilia zuwandte.
»Tomrack von Kandar, hört, was ich, Areos von Falméra, euch zu sagen habe«, begann er so laut, dass er die Aufmerksamkeit aller gewann.
»Mit euren Taten auf diesem Schlachtfeld habt ihr eine Entscheidung getroffen, unabhängig von eurer Tochter Eisilia. Und erzählt mir nicht, dass ihr euch das nicht genau überlegt habt. Zurück könnt ihr nun nicht mehr. Torbuk würde euch für den Verrat an seiner Truppe köpfen lassen, oder noch schlimmeres. Die Jo-lie hingegen werden euch nicht unbedingt wie einen Freund aufnehmen. Schließlich habt ihr viele von ihnen gefangen genommen, und was ihr sonst noch mit ihnen angestellt habt, müsst ihr vor den Göttern und vor euch selbst, und vor eurer Tochter verantworten.«
Der große, rotblonde Mann mit Armen und Beinen wie Baumstämme blickte erst betreten zu Boden, dann sah er auf und Basti direkt und ehrlich in die Augen.
»Herr, ich weiß, dass ich Unrecht tat. Ich werde eure Strafe nehmen, wie es einem Mann von Ehre und einem Krieger zukommt, Tut mit mir, was ihr mögt, doch lasst meine Tochter davon unberührt, denn sie ist ein gutes Kind.«
Sebastian ging auf den einstigen Kohortenführer zu und ihm wurde klar, was mit ihm geschehen wäre, hätte sich dieser Mann nicht rechtzeitig besonnen, auf welcher Seite er stehen wollte.
»Nun, Herr von Kandar, wie würde euch diese Strafe gefallen«, begann Sebastian seinen Vorschlag, »ihr entsagt allen Verbindungen und Versprechen, die ihr Torbuk und Quaronas gegeben habt, und schwört dies bei eurem Leben vor allen Jo-lie. Dann tretet ihr in meine persönlichen Dienste ein und versprecht, mir und Sonnenherz treu zu dienen und alle künftigen Kämpfe Seite an Seite mit uns zu bestreiten, auch wenn es gegen jene geht, die einst euch verbunden waren. Dafür behaltet ihr den Stand des Kohortenführers und werdet wie ein solcher entlohnt.«
Als Tomrack nicht sofort antwortete, und nur erstaunt zwischen Eisilia, Antarona und Basti hin und her blickte, fügte er hinzu:
»Also, Tomrack von Kandar, was sagt ihr dazu? Entscheidet euch rasch, denn ich habe nicht eine Ewigkeit Zeit, und brauche einen guten, zuverlässigen Mann, der mir und Sonnenherz den Rücken freihält. Ihr mögt euch gern mit eurer Tochter besprechen, doch tut es jetzt, denn es gibt noch viel zu tun.«
Damit machte Basti eine ausholende Geste über das Leid, das die Schlacht hinterlassen hatte. Tomrack hob sein Schwert auf, das er hatte in den Staub fallen lassen, und legte es Sebastian zu Füßen.
»Ich, Tomrack von Kandar, werde euch mit Leib und Leben getreulich dienen, Herr. Ich gelobe hier vor allen Jo-lie und Îval, allem Denken und Tun, das Torbuk und Quaronas von mir forderten und abverlangten, zu entsagen, bis das Reich der Toten nach mir ruft.«
»Das genügt mir, Tomrack«, bestätigte Basti, »so nehmt nun Abschied von eurer Tochter. Doch nicht für lange, denn wir kehren in ein par Stunden zurück. Ihr werdet mich begleiten, wir werden nachsehen, was von den Wasserwagen Torbuks übrig geblieben ist.« Zu Frethnal gewandt sagte er:
»Wenn ihr nichts dagegen einzuwenden habt, so möchte ich euch bitten, mich ebenfalls zu begleiten.« Eine Antwort wartete Basti gar nicht erst ab, sondern setzte einfach voraus, dass Frethnal ihm folgte. Er wollte schon losgehen, als Antarona sich mit Bogen und Schwert bewaffnet an seine Seite stellte.
»Ich dachte, es ist vielleicht besser, wenn du hier bleibst, und den Jo-lie hilfst, die Verwundeten zu...« Mit einem skeptischen Seitenblick auf Tomrack verkündete sie bestimmt:
»Sonnenherz wird euch ebenfalls begleiten. Vier Schwerter sind besser als drei«, stellte sie trocken fest. »Die Jo-lie werden mit den Verwundeten recht gut allein fertig, bis Ba - shtie und Sonnenherz zurück sind.«
Antarona hatte den Satz noch nicht ganz ausgesprochen, als Vesgarina nach einem im Dreck liegenden Schwert griff, und sich demonstrativ neben Frethnal stellte. Sie blickte Sebastian fest und entschlossen in die Augen und nickte, als hätte er ihr eine eindeutige Frage gestellt.
Zuletzt trat Eisilia heran, und schmiegte sich so dicht an ihren Vater, dass dieser gar nicht anders konnte, als seinen unbezwingbaren Arm und das hochgewachsene, sehnige Mädchen zu legen. Das war deutlich.
»Offenbar gibt es schon jetzt eine geheime Verschwörung, von der ich nichts weiß«, kommentierte Sebastian schmunzelnd das eigensinnige Handeln der Mädchen. Er wusste, dass sie ihm dennoch folgen würden, auch wenn er sie zurückweisen sollte. Schulter zuckend akzeptierte er den starrsinnigen Willen. Und eigentlich überraschte es ihn nicht sehr.
Antarona wollte ihn begleiten, weil sie Tomrack noch nicht traute, und weil sie nicht schon wieder in unsicherer Situation von Ba - shtie getrennt sein wollte. Vesgarina hängte sich aus dem letztem Grund an Frethnal, und Eisilia wollte nun einfach bei ihrem Vater sein, den sie so lange entbehren musste.
Das Krähenmädchen übernahm die Führung. Sie fand sogar im Dunkeln den Weg, der den anderen wahrscheinlich selbst am Tage unergründlich geblieben wäre. Zwischen den hohen Bäumen war der Feuerschein des brennenden Schiffes nicht auszumachen. Auf freier Fläche hingegen hätten sie leicht wieder in ein ungewolltes Gefecht mit fliehenden Feindgruppen verwickelt werden können.
Zunächst begegneten sie niemandem. Ein leerer, finsterer Wald schien sie zu verschlucken. Doch dann, je näher sie dem Fluss kamen, stolperten ihnen junge Jo-lie über den Weg, die verletzte oder verwundete Geisterkrieger zu den Sammelpunkten brachten.
War die Eroberung und Vernichtung der Wasserwagen ein Desaster geworden? Sebastian machte sich im Stillen Vorwürfe. Hätte er die ganze Sache noch besser planen können? Kaum, bei der Kürze der Zeit. Und im Grunde kamen ihnen nicht mehr Verwundete entgegen, als vom Hauptschlachtfeld weggebracht wurden.
Als gedachter künftiger König erkundigte er sich bei jedem zurückgeführten Verwundeten nach seinem Befinden und lobte die Kleinsten für ihre fürsorgliche Hilfe. Das hielt die Gruppe natürlich etwas auf. Aber es war weniger dramatisch, denn die Verwundeten berichteten von einem vollen Erfolg ihres Einsatzes.
Nach ihren Erzählungen hatten sie die Mannschaften und Krieger der Wasserwagen völlig überrascht. Die bunten Feuer hatten diese für ein ausschweifendes Fest ihrer Kameraden an Land gehalten. So hatten die Jo-lie bereits einen Wasserwagen gestürmt, bevor Torbuks Leute sich zu einer Gegenwehr formieren konnten.
Dennoch entbrannte unter Deck des ersten Schiffes ein höllischer Kampf in stickiger Hitze und völliger Dunkelheit. Offenbar vermochten die Jo-lie im engen Raum des Wasserwagen keine Lanzen und Bogen einzusetzen, so dass der Kampf allein von jenen ausgetragen werden, die mit einem Schwert oder einem Messer bewaffnet waren.
Doch die Euphorie, welche die Kinderkrieger mitgerissen hatte, wurde zu ihrer Stärke. Sie richteten unter den Männern Torbuks im Bauch des Wasserwagen ein wahres Massaker an. Kaum einer vermochte zu entfliehen, dem es nicht schon zu Beginn gelang, über Bord zu springen.
Natürlich gab es auch Verwundete unter den jungen Dämonenkriegerinnen und -kriegern, die nun von den Kleinen durch den Wald geschleust, und in das Dorf geführt wurden, wo sich andere Jo-lie der Wunden annahmen.
Bald leuchtete ein Feuerschein durch die Bäume und die kleine Gruppe neuer Verbündeter trat an das Ufer des Flusses. Ein breiter Streifen Wald und Buschwerk war gerodet worden, um das Be- und Entladen der Schiffe zu ermöglichen. Lange flexible, hölzerne Brücken hatte man vom Ufer zur Bordwand der Wasserwagen gebaut, die zum Ufer hin eingezogen werden konnten. Dazu kam die Mannschaft aber nicht mehr.
Wie Sebastian später erfahren konnte, hatten die Jo-lie von zwei Seiten her angegriffen. Zunächst hatten sie sich durch das Wasser genähert und die Bordwände erklommen, wo sie warteten, bis die Hauptgruppe über die Holzmolen angriff. In diesem Augenblick schwangen sich die wie Kletten außen am Schiff hängenden Mädchen und Jungen über das Schanzkleid und fielen der völlig Überrumpelten Mannschaft in den Rücken.
Der Kampf an Deck war recht schnell entschieden und forderte unter den Jo-lie nur geringe Verluste. Als diese jedoch, angespornt von ihrem Erfolg, in die Räume unter Deck vordrangen, erlebten sie eine außergewöhnliche Gegenwehr. Sie konnten nicht ahnen, dass vier Kohorten in den Laderäumen darauf warteten, für eine Ablösung ausgeschifft zu werden.
Der Kampf auf engem Raum forderte große Verluste. Doch die gegnerischen Kohorten, die ihre Waffen in der Back eingelagert hatten, wurden fast ohne Ausnahme getötet. Irgendwann im Laufe des Kampfes war dann unter Deck Feuer ausgebrochen, das schnell um sich griff, und binnen einer halben Stunde den ganzen Wasserwagen erfasst hatte.
Da das Schiff in flachem Wasser lag, und nicht absinken konnte, verwandelte es sich schnell in eine riesige Fackel, deren Feuerschein Basti vom Lager aus gesehen hatte. Viele Jo-lie waren während des Kampfes vom Feuer eingeschlossen worden und bei lebendigem Leib elendig verbrannt. Ebenso viele waren mit fürchterlichen Brandwunden aus dem glühenden Wrack gebracht worden.
Einer Völkerwanderung gleich schlichen die verwundeten Kämpferinnen und Kämpfer, gestützt auf die Jüngsten des Dorfes, an Basti und seinen Gefährten vorbei in den Wald hinein. Mit Fackeln abgesteckte Wege führten sie sicher nach Mehi-o-ratea.
»Das alles habt ihr mit diesen Kindern zu Wege gebracht?« In Tomracks Frage klang eine große Portion Anerkennung mit. Trotzdem der Angriff der Jo-lie vielen seiner Kameraden das Leben gekostet hatte, schien er es den jungen Leuten nicht übel zu nehmen. Tatsächlich entwickelte er eine immer stärker werdende Sympathie für die Kinderkrieger, die mit dieser Geisterschlacht Torbuks Elite- Truppe aufgerieben hatten.
Das zweite Schiff war nicht mehr zu sehen. Es hatte die Segel gesetzt, als das Feuer ausbrach, und war auf die offene See hinaus gesegelt. Wie viele von Torbuks schwarzen Reitern sich noch auf den Wasserwagen retten konnten, war ungewiss. Dutzende waren von den Jo-lie in die den Fluss säumenden Sümpfe getrieben, verfolgt und dort erschlagen worden. Einige mussten noch immer im Schilflabyrinth umherirren.
Deshalb legte Basti großen Wert darauf, dass alle Jo-lie geschlossen das Schlachtfeld verließen. Er wollte verhindern, dass Nachzügler von kleinen Gruppen versprengter Feinde überrascht und getötet wurden. Doch das war gar nicht so einfach, denn immer noch traten junge Kriegerinnen und Krieger aus dem Schilfgürtel heraus, aus ihrem Blutrausch erwacht, ernüchtert, müde und abgerissen.
Wie viele die Verfolgung der Invasoren aufgenommen und diese verfolgt hatten, vermochte niemand zu sagen. Und wer vermisst war, würde sich erst nach und nach herausstellen, wenn Zeltnachbarn oder Clanmitglieder nicht mehr im Dorf auftauchten.
Antarona, Basti und ihre Freunde halfen, die Überlebenden der Schlacht auf den Weg ins Dorf zu bringen. Spät in der Nacht hatten sie es dann geschafft, die letzten Jo-lie teils mit Schleiftragen auf den Pfad zu schicken. Zuletzt waren noch zwei Mädchen übrig, die Verwundungen und Verbrennungen an den Füßen erlitten hatten. Wie ganz selbstverständlich nahm Tomrack beide, eine links, die andere rechts auf seine starken Arme und trug sie dem schützenden Dorf zu. Eisilia, Vesgarina und Frethnal bildeten die Nachhut.
Sebastian hatte beschlossen, mit Antarona bis zum Morgen am Ort des Kampfes auszuharren. Sie wollten sich um Nachzügler, oder noch auftauchende Verwundete kümmern, und diese später in das Dorf bringen. Sie suchten sich einen mächtigen Baum am Waldrand aus, der sich tief gabelte, setzten sich auf einen dicken Ast und lehnten sich müde an den knorrigen Stamm, der von der Sonne des Tages noch warm war.
Von dort oben konnten sie den kleinen, provisorisch eingerichteten Hafen gut überblicken. Ab und zu sahen sie die Glutnester im noch nicht ganz ausgebrannten Schiffsrumpf wieder aufglimmen. Kleine Flämmchen züngelten mal hier, mal dort aus dem schwarzen Holz und jedes Mal, wenn der Wind etwas drehte, stieg ihnen der Geruch nach verbranntem Holz und Fleisch in die Nase.
Einmal glaubten sie weit draußen auf dem großen Wasser ein Licht blinken zu sehen. Es mochte gut möglich sein, dass der zweite Wasserwagen weit vor der Küste kreuzte, um die versprengten der Wilden Horden aufzunehmen. Angestrengt beobachteten sie das Licht, das aber immer seltener zu sehen war.
Es war nicht ausgeschlossen, dass Torbuks Männer wieder anlandeten, sobald sie die Gefahr eines Angriffs für beendet hielten. Eine Aktion der Rache brauchten die Jo-lie kaum zu fürchten, denn dazu hatten die Schwarzen Reiter zu viele Verluste hinnehmen müssen. Außerdem mussten sie damit rechnen, dass nun die Königlichen Heere mobilisiert wurden.
Diese Überlegung brachte Sebastian auf einen, unter gewissen Umständen absurden, immerhin aber möglichen Gedanken. Wenn gerade jetzt zu dieser Stunde eine Armada von Torbuks Schiffen auf die Hafeneinfahrt von Falméra zusteuerte? Vielleicht war gerade das die List Quaronas?
Konnte es sein, dass die Landung Torbuks Kohorten vor Mehi-o-ratea nur ein groß angelegtes Ablenkungsmanöver war, um die Truppen Bentals in den Süden der Insel zu locken? Das würde bei einer Landung im Hafen von Falméra eine Belagerung von Stadt und Burg erheblich erleichtern. Die Truppen, welche um Falméra lagerten, konnten einen Überraschungsangriff zumindest zum Halten bringen. Eine anschließende Belagerung konnte dann eine Ewigkeit dauern.
Standen einer anlandenden Armee hingegen keine großen Kräfte entgegen, so konnten Stadt und Burg im günstigsten Fall in wenigen Stunden erobert werden. Sebastian wurde klar, wie wichtig und dringend seine Idee war, an der Küste eine Kette von Wachtürmen und Meldeanlagen einzurichten.
Er sandte ein Stoßgebet zu den Göttern, dass es dafür nicht bereits zu spät war. Durch das Blätterwerk blickte er in den Himmel und sah einen Schwarm Sternschnuppen auf die Erde niedergehen. Wie hießen noch gleich diese Dinger, welche die Erde einmal im Jahr kreuzte, und dieses Phänomen inszenierte? Plaejaden, Plajeden, Paleaden? geschah dies immer im Frühsommer, im Sommer, oder im Herbst? Da auf Falméra stets das gleiche, warme Klima herrschte, war dies die einzige Möglichkeit, die Jahreszeit auf dem Festland zu bestimmen.
Wie lange waren sie nun schon auf der Insel? War im Val Mentiér noch Winter, oder schon Frühling? Es war denkbar, dass Torbuk und Karek mit dem erwachenden Frühling eine Offensive in die Täler starteten. Hatten Antarona und er auf Falméra die Zeit vertrödelt? Hatten sie nicht die erste, dringlichere Verpflichtung gegenüber den Brüdern und Schwestern im Val Mentiér?
Noch viele andere Überlegungen geisterten durch Bastis Kopf. Die Augen wurden ihm dabei immer schwerer. Antaronas nackter Körper hatte sich an ihn gekuschelt, und wärmte ihn ein wenig. Er legte seinen Umhang um ihre Schultern, um ihre abgewandte Seite vor der Kühle der Nacht zu schützen. Die Anstrengungen dieser Nacht hatte das Krähenmädchen in den Schlaf gleiten lassen. Ihr regelmäßiger, ruhiger Atem schläferte nun auch ihn ein.
Er legte seinen zweiten Arm um die Taille des schmutzigen Mädchens an seiner Seite und zog sie noch fester zu sich heran. Antarona seufzte einmal, schmiegte sich an ihn und schlief selig weiter. Sie hatte so tapfer und mutig gekämpft, sie hatte den Schlaf verdient. In diesem Gedanken der Solidarität schloss auch Basti die Augen. Nur einen für kleinen Moment. Dann wollte er wieder wachen. Nur kurz die schweren Lider ruhen lassen und einmal tief durchatmen...

Sebastian ging über einen Markt. Jemand Vertrautes war an seiner Seite, doch er vermochte nicht zu erkennen, um wen es sich handelte. Doch von irgend Jemandem schienen sie verfolgt zu werden. Genau konnte er es nicht definieren, aber ein Gefühl sagte ihm, dass es so war.
Skeptische, ja sogar feindselige Blicke wanderten hinter ihnen her. Hinter ihrem Rücken wurde gemurmelt, geflüstert und gehetzt. Basti wollte so schnell wie möglich aus diesem Hexenkessel heraus, doch Antarona, er nahm an, dass sie es war, die ihn begleitete, blieb mal an diesem, mal an jenem Stand stehen, besah sich die Waren, oder kaufte eine Kleinigkeit. Sie schien die feindliche Stimmung nicht wahrzunehmen.
Immer wieder drängte Basti zur Eile, doch seine Begleiterin ignorierte seine Nervosität und ließ sich im Gegenteil noch mehr Zeit. Dann spürte Sebastian nicht nur, dass sich die Menschen um sie herum gegen sie verschworen hatten, er sah es. Dort griff sich einer einen Knüppel und kam langsam um seinen Marktstand herum. Dort verfolgten sie eine Gruppe von Frauen, unauffällig, auf Abstand. Basti war jedoch nicht entgangen, dass sie ein par Steine vom Boden aufgehoben hatten.
Antarona bemerkte nicht, wie sich leise die Fenster der umliegenden Häuser öffneten, und mimenlose Gesichter in den Öffnungen erschienen, als würden sie gleich eine verbotene Attraktion zu sehen bekommen. Stumm lief alles ab, verborgen und still. Kein Geräusch deutete auf eine Gefahr hin. Die erwuchs sich allein aus den stummen Gesten der Menschen um sie herum.
Sebastian hatte das Gefühl, dass sich der Kreis der stillen Anfeindungen um sie herum immer enger zusammenzog. Vor dem Marktausgang, den er eilig anstrebte, hatte sich kleine Grüppchen von Männern und Frauen versammelt, wie zufällig, als wären sie sich unverhofft begegnet, alle in scheinbar stumme Gespräche vertieft.
Die Bedrohung wurde spürbarer, offensichtlicher, doch Antarona bemerkte sie nicht. Sie schlenderte von Verkaufsstand zu Verkaufsstand und es beunruhigte sie in keiner Weise, dass sich die Händler, die sie eben noch misstrauisch über ihren Markttisch hinweg beobachtet hatten, nun den Frauen anschlossen, die ihnen auf Abstand folgten, auffällig unauffällig.
Als Antarona zwischen zwei Marktständen hindurch gehen wollte, um sich dahinter bei einem Waffenschmied umzusehen, standen plötzlich drei finster aussehende Gesellen da, und versperrten den Weg. Sie blickten teilnahmslos, ja geradezu abweisend zu Boden und rührten sich nicht einen Zentimeter.
Das Krähenmädchen sah sie verwundert an, wartete einen Lidschlag lang, dann drehte sie sich um und gab den Versuch auf, zum Waffenstand zu gelangen. Sie konnte nicht mehr sehen, wie sich einer der Männer nach einem schweren Stein bückte, ein anderer einen eisernen Schürhaken von einem Markttisch nahm, und der dritte eine Peitsche ausrollte, die er hinter seinem Rücken in den Händen gehalten hatte.
Sebastian sah es. Auch wenn sie noch nicht direkt angegriffen wurden, war ihm klar, was diese Handlungen zu bedeuten hatten, erst recht, als sich nun auch diese drei Männer langsam in Bewegung setzten, und sich in jene einreihten, die ihnen bereits in steter Entfernung folgten.
Da wurden erste Anfeindungen laut. »Verschwindet, für so etwas wie euch, ist hier kein Platz!« hallte eine Frauenstimme einsam über den Markt. Antarona ließ sich nicht beirren, tat, als hätte sie den Ausruf nicht gehört, und wanderte ruhig weiter von Stand zu Stand.
Sebastian war hin und her gerissen zwischen der Option, Antarona einfach in eine Seitengasse zu ziehen, oder ihr zuzurufen, dass sie nun besser daran taten zu gehen. Beides hätte wohl die gleiche Wirkung gehabt. Er fühlte, dass diese Menschen sie nicht wieder gehen lassen wollten.
Wieder waren es die kreischenden, sich überschlagenden Stimmen von Frauen, die aus der Anonymität der Masse heraus schrieen:
»Ihr frevelt den Göttern, ihr hättet euch dorthin scheren sollen, woher ihr gekommen wart! Wir werden euch strafen, für die Missachtung und den Hass, welche ihr unserem Volk entgegengebracht habt!« Da warf eine Hand den ersten Stein.
Sebastian spürte den Schlag an seiner Schulter, und wunderte sich, dass ihn der Stein nicht heftiger traf. Doch schon schlug der nächste gegen seinen Oberarm, schon stärker. Er hob die Arme, um zu verhindern, dass ein weiteres Geschoss seinen Kopf als Ziel hatte.
»Ba - shtie, aufwachen, los, wacht endlich auf, sie werden sie töten, wenn ihr nichts tut!« Sebastian spürte seinen Arm umklammert und sich ordentlich durchgeschüttelt. Er schlug die Augen auf und sah in Antaronas Gesicht, das er später keiner bestimmten Stimmung mehr zuordnen konnte. Sie war weder aufgeregt, besorgt, noch ängstlich, als sie auf den Platz unter ihrem Baum wies.
Dort unten kauerten vier unbewaffnete Reiter Torbuks wie auf einem Präsentierteller, umringt von einer kleinen Armee der Jo-lie. Mädchen, Jungen und sogar einer der Jüngsten umringten die wehrlosen Männer in ihren schwarzen Rüstungen, die dieser kreischenden Masse nicht mehr viel entgegensetzen konnten.
Die Sonne war gerade aufgegangen und beleuchtete den Kampfplatz der vergangenen Nacht mit gelbem Licht und noch langen Schatten. Eigentlich hätte die Stimmung friedlicher sein müssen, doch was sich dort abspielte, ließ erneut den Tod erahnen.
Neben den derben und lästerlichen Beschimpfungen flogen auch Steine. Dumpf krachend trafen sie die Rüstungen der Krieger, die schon ziemlich verbeult waren. Da hob eines der halb nackten Mädchen seinen Bogen und ließ einen Pfeil von der Sehne schnellen. Einen Liedschlag später durchbohrte das Geschoss den Oberarm eines Soldaten.
Die Jungen hoben drohend ihre Lanzen, und es war klar, dass die vier feindlichen Krieger das Opfer einer fürchterlichen Rache werden sollten. Wieder flogen Steine und anschließend wischte sich einer der Männer Blut aus den Haaren.
Fragend sah Sebastian sein Krähenmädchen an. Sie hob nur mit unbeteiligter Miene die Schultern. Ihrem einfachen Verständnis nach, stand den Jo-lie das Recht zu, jene zu bestrafen, die so viele ihrer Schwestern zu Tode gequält hatten. Die Jo-lie waren ihr Volk, waren Îval. Sie würde nicht eingreifen. Sebastian dachte in dieser Hinsicht anders.
Er schnappte sich sein Schwert, rutschte vom Baum auf den Boden hinab und schritt entschlossen zwischen den wütenden Mob der Jo-lie und den ängstlich am Boden kauernden Kriegern Torbuks.
»Hört auf, es reicht, in dieser schlafenden Sonne sind genug Menschenwesen in das Reich der Toten eingezogen. Dies sagt euch Areos von Falméra!« Die Jo-lie verhielten in ihren Bewegungen, machten aber keine Anstalten, die Waffen zu senken, als warteten sie, was noch kommen würde. Basti musste nachdrücklicher werden:
»Wollen wir, die Jo-lie und die Îval, ebenso frevelhaft vor die Götter treten, wie diese Hunde der Wilden Horden? Wollt ihr eure Hände ebenso beschmutzen, wie sie? Wir brauchen Gefangene, um zu erfahren, was Torbuk vorhat. Wenn ihr sie in das Reich der Toten schickt, werden sie uns nichts mehr erzählen können.«
»Die werden euch auch so nichts sagen«, tönte eine Stimme aus der Mitte des jungen Mobs, »eher lassen die sich die Zungen herausschneiden! Ebenso gut können wir sie gleich hier töten!« Doch Sebastian ließ sich nicht beirren. Dabei war der Gedanke, die Gefangenen zu verhören, gar nicht so unspektakulär. Selbst die kleinste Information vermochte zu helfen, Torbuks Pläne zu durchschauen.
»Glaubt mir, meine Freunde, Sonnenherz und ich haben noch jeden Stummen zum sprechen gebracht. Wir haben da so unsere kleinen, netten Methoden. Die werden reden wie ein Wasserfall, wenn die Ban-tu-ras sie dazu ermutigen.«
Mehr brauchte Sebastian nicht zu sagen. Die Neugier siegte auch bei den Jo-lie. Allein die Aussicht, die verhassten Krieger Torbuks mit Ban-tu-ras zu quälen, überzeugte die wütende Menge davon, die Banditen vorerst am Leben zu lassen.
»Bringt die Männer in das Dorf und bewacht sie«, sagte Basti und setzte auf seine mit Areos angenommene Autorität.
»Ich verlasse mich auf euch, dass die Kerle im Dorf ankommen«, fügte er hinzu, »die müssen dann aber noch sprechen können.«
Die Kriegerinnen und Krieger der Jo-lie brauchten nicht viele Worte, um die feindlichen Männer dazu zu bewegen, sich zu erheben und den Marsch in das Dorf anzutreten. Aber sie gingen auch nicht zimperlich mit ihnen um. Es setzte hier schon mal Püffe und dort einen zaghaften Stich mit einer Schwert- oder Pfeilspitze in den Bereich des Sitzfleisches.
Die blanken Waffen in der Hand, dirigierten die Mädchen und Jungen ihre Gefangenen, die sie offenbar aus den Sümpfen herausgetrieben hatten, den Pfad zum Dorf entlang. Die einst so gefürchteten Schwarzen Reiter Torbuks mucksten sich nicht und trotteten brav vor den Jugendlichen her. Sie ahnten wohl, dass sie an der Pforte zum Reich der Toten standen, dass dieser Areos sie gerade davor bewahrt hatte, und dass sie den nächsten Abend nicht erleben würden, wenn sie auch nur die geringsten Zicken machen sollten.
Sebastian grinste, als er den seltsamen Zug beobachtete, der im Wald verschwand. Schmutzige, bunt bemalte, fast nackte und dürre Gestalten trieben eine Horde vor sich her, die aussah, als würden sie ihre Peiniger mit einem tiefen Atemzug von der Erde blasen können. Einen kurioseren Anblick konnte er sich nicht vorstellen.
Antarona trat still neben ihn, entspannte ihren Bogen und steckte den Pfeil in ihren Köcher zurück. Sie war darauf vorbereitet gewesen, dass die Situation eskalierte. Ihres Eingreifens aber bedurfte es nicht. Statt dessen legte sie nun ihre Arme um seinen Hals und bevor sich ihre Lippen zu einem langen, leidenschaftlichen Kuss fanden, flüsterte sie: »Ba - shtie, das junge Volk der Îval vertraut euch und hört auf euch, eines wahren Königs seid ihr würdig.«
Zweimal noch gab der Sumpf an diesem Vormittag versprengte Kriegerinnen und Krieger der Jo-lie frei. Verdreckt, verwundet, oder einfach nur müde und abgekämpft traten die Jungen und Mädchen aus dem hohen Schilf auf den Platz. Antarona und Sebastian empfingen sie und wiesen ihnen den Weg ins sichere Dorf.
Von Torbuks Leuten indes war nichts mehr zu sehen. Die meisten von ihnen waren wohl von den Jo-lie erschlagen worden. Einmal, es war um die elfte Zentare, tauchten am Horizont des großen Wassers Segel auf. Vermutlich kreuzte der entkommene Wasserwagen vor der Küste Falméras, um geflohene Kameraden aufzunehmen. Doch nachdem das Segel hinter Schilf und Wald verschwunden war, ließ es sich nicht mehr sehen.
Entweder hatte es in irgend einer stillen Bucht der felsigen Küste angelegt, um auf verirrte Krieger zu warten, oder es war einfach über das große Wasser zum Festland, direkt nach Quaronas gesegelt.
Am Rand des Waldes, dort, wo ein bemooster Felsen aus dem Grün der tief reichenden Blätter ragte, kniete Antarona nieder. Sie hob die Hände gen Himmel, murmelte irgendeinen Singsang und Sebastian glaubte schon, dass sie die Götter um Verzeihung bat, für das Unrecht, das in der schlafenden Sonne an diesem und an anderen Orten geschehen war.
Da huschten zwei Schatten durch den milchig- trüben Himmel heran, und er wusste, dass sie ihre beiden schwarz gefiederten Freundinnen, ihre Augen der Lüfte gerufen hatte. Tonka und Tekla ließen sich auf dem Felsen nieder, ordneten ihr Gefieder und ließen zur Begrüßung ein langgezogenes Kroooh, Kroooh erklingen.
Sebastian wandte sich ab, und streifte über das Schlachtfeld. Er hatte sich an das Ritual seiner Frau gewöhnt, und wusste, dass sie es ihm zwar niemals verübeln würde, wenn er den Zusammenkünften mit ihren Krähen beiwohnte, dass sie aber auch nicht unbedingt darum bitten würde. Dieser Sinnesaustausch zwischen den Tieren und ihr war etwas besonderes, etwas sehr Intimes, fast schon etwas Heiliges, das er nicht stören wollte.
Den Gedanken, nach den im Wasserwagen verbrannten und getöteten Jo-lie zu suchen, musste Basti wieder fallen lassen, gleich nachdem er ihm in den Sinn gekommen war. Der immer noch vor sich hin glimmende Schiffskörper strahlte eine solche Hitze ab, dass es unmöglich war, sich bis auf zwei Schritte dem Wrack zu nähern. Darin herumzusuchen, um Gegenstände zu finden, mit denen man hätte die Toten identifizieren können, musste vorerst unterbleiben.
Sebastian dachte darüber nach, dieses große, denkwürdige Grab als Va-ra-hi, als heilige Stätte zu erklären. Jene Orte, die Va-ra-hi waren, wurden von den Îval weder berührt, noch betreten. Tote innerhalb dieser Grenzen fanden gemeinsam den Weg in das Reich der Toten und der Götter. Ihren Weg und ihre Spur zu stören, würde keinem Îval einfallen, es war tabu.
Ein Denkmal wie dieses hatte für die Îval eine große religiöse Bedeutung. Sollte an dieser Stelle jemals ein Dorf, oder eine Stadt entstehen, so würde dieser Ort ein grüner Flecken bleiben, den niemand auch nur berührte, selbst wenn sich die Vegetation das Terrain irgendwann zurückerobert hatte.
»Es ist ein guter Gedanke, Ba - shtie, doch solltet ihr ihn mit den Jo-lie beraten. Sie sind jung und denken anders, als jene, welche das Leben bereits erfahren haben.« Sebastian drehte sich erschrocken um.
Wie ein Geist war Antarona neben ihm aufgetaucht. Und wie so oft fragte er sich, wie sie es anstellte, seine Gedanken zu lesen. Würde er sich jemals daran gewöhnen? Er nickte bedächtig, und antwortete:
»Ich werde ihnen das vorschlagen, entscheiden müssen sie selbst, denn es sind ihre Brüder und Schwestern, die in diesem Grab ruhen.«
Als die Sonne am höchsten stand, verließen Basti und das Krähenmädchen Hand in Hand, und in tiefer Trauer jenen Platz des Grauens, an dem so viele Menschenwesen ihr Leben verloren hatten. Doch beide trugen im Herzen und Bewusstsein, dass dies der Preis für ein Leben in Freiheit und Gerechtigkeit war. Und sollten jemals diese hohen Güter Bestandteil ihres Lebens sein, so wollten sie sich stets derer erinnern, die für dieses ehrenhafte Ziel ihr Leben gelassen hatten.
  Wichtiger Hinweis: Die Texte des Autors Frank Adlung, insbesondere die des Romans "Das Geheimnis von Val Mentiér", sind durch notarielle Hinterlegung urheberrechtlich geschützt. Ein Herunterladen und Ausdrucken ist nur für den privaten Zweck des Lesens gestattet. Kommerzielle Nutzung, öffentlicher Vortrag, oder Vervielfältigung und Verfälschung des Inhalts, sowie öffentliche Verbreitung ohne Genehmigung des Autors sind untersagt und werden zur Anzeige gebracht.
 
 
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