Das Geheimnis von Val Mentiér
 
39. Kapitel
 
Standgericht
 
iele Zentaren von der kleinen Jaen-tè entfernt, die friedlich auf der Landzunge im Sonnenlicht des Morgens am träge dahinziehenden Fluss lag, herrschte Winter. Es war nicht extrem kalt, doch ab und zu blies ein eisiger Wind von den umliegenden Bergen mit ihren weiten Gletschern herab, und wirbelte die mal mehr, mal weniger dichten Regenwolken durcheinander. Immer wieder überzogen Schauer und Stürme das Land. Die Sonne hingegen ließ sich selten sehen.
Die Burg Quaronas lag düster, wie ein bizarrer Schatten über der ebenso finster anmutenden, gleichnamigen Stadt. Trotz des nasskalten Wetters zeigte sich auf dem Weg in und aus der Stadt ein reger Betrieb. Tief gebeugt, die Köpfe in die Felle und Umhänge eingezogen, trottete ein nicht enden wollender Zug in beiden Richtungen durch das grobe, riesige Stadttor, dessen Holz so alt, zerfurcht und klobig behauen war, das es ein aufmerksamer Betrachter leicht für Felsgestein halten mochte. Planwagen und leichte Karren, gezogen von Ochsen, Pla-ka, oder von den Eigentümern selbst rollten dazwischen durch das Tor.
Eher hatte man den Eindruck eine gebeutelte Sklavenarmee in langen Kolonnen hin und her ziehen zu sehen, als denn Händler, Bürger, Bauern und viele, viele Kriegersoldaten. Letztere kamen und gingen aus und in die Stadt um ihren Sold in den Spelunken des Ve-ni-tries-Viertels auf den Kopf zu hauen.
Die riesigen, großflächigen Heerlager vor der Stadt, zusammengezogen, um ganz Volossoda zu erobern, boten außer dem tristen Dienst von Übung und Manöver kaum Abwechslung. Die Vorbereitungen für die große Invasion der Täler und Falméras zogen sich hin. Die Männer, die in Zelten bis zu sechs Kriegern zusammenhockten, und dem Wind und Regen lauschten, waren oft tagelang zur Untätigkeit verdammt.
Zweimal in jedem Mondzyklus kamen die Zahlmeister aus der Burg, und brachten den Sold. So war dementsprechend ein Auf- und Abschwellen der Besucherzahlen aus den Lagern in der Stadt zu verzeichnen. War Zahltag, so strömten die die Krieger hordenweise in die Stadt, Quaronas befand sich dann im Ausnahmezustand. Naturgemäß blieben die Abwechslung suchenden nicht im Hurenviertel, sondern streunten durch alle Gassen und Straßen, sehr zum Missfallen der Bewohner.
Unter dem Einfluss von Mestas, Mestastan und gefangenen Elsiren drangen sie nicht selten in die Häuser der Bürger ein, und schändeten die Frauen und Töchter. Die Stadtwache hatte längst aufgegeben, für Ruhe und Ordnung zu sorgen. Die wenigen Krieger, die der Burg und der Stadt direkt unterstellt waren, kamen nicht mehr gegen die vielen, kriegserfahrenen Schwarzen Reiter an. Sie hatten sich in die Oberstadt, in dieViertel zurückgezogen, die nahe der Burgmauern lagen, und von elitären, wohl betuchten Bürgern bewohnt wurden, und die zumeist Torbuk und seinem Hofstaat nahestanden.
Torbuk selbst missfiel die allabendliche Eroberung seiner Unterstadt, doch er billigte sie tatenlos. Er brauchte die Heerlager für die schnelle Eroberung und Unterjochung des Landes. Wie sonst sollte er die riesige Armee von Männern bei Laune halten, die zum Warten verurteilt von einem Tag zum anderen hofften, dass es endlich losging. Doch außer regelmäßigen Stoßtrupps, die Raubzüge und Aufklärungstouren unternahmen, hatte er nicht viel zustande gebracht. Zu groß war der Staat der Heerführer, die nur allzu oft in eigenen Interessen handelten, und in ihre eigenen Taschen wirtschafteten.
Dem Herrn von Quaronas gelang es nicht, die Machtverteilung richtig zu kanalisieren. Zudem gab es in den Tälern einen hartnäckigen Widerstand, der nicht zu packen war. Seine Kriegshorden überfielen Dörfer, brannten nieder, was sie nicht mitnehmen konnten, und verschleppten die Männer in die Mienen von Zarollon und führten die Frauen und Mädchen der Kurzweil seiner Soldaten zu.
Dennoch wurden sie immer wieder angegriffen, aus dem Verborgenen heraus, geisterhaft, ohne dass die Angreifer selbst gefasst werden konnten, die sich nach jeder Attacke sofort wieder in ihre Verstecke zurückzogen. Für einen dauerhaften Feldzug brauchte Torbuk einen funktionierenden Nachschub, Material und genug Nahrung für Mann und Tier. Da die Landwirtschaft Quaronas nahezu eingebrochen war, weil die Heerlager die wenigen Produkte der Bauern bereits auf den Höfen beschlagnahmten, fehlte es an allem.
Hier sollten die Verbündeten Quaronas, die Oranuti einspringen, und die Bedarfslücken schließen. Doch dazu mussten die Flotten der Wasserwagen auf ein Vielfaches aufgestockt werden. Auch die Nachschubwege an Land, von Oranutu nach Quaronas war im Ausbau befindlich. Doch es ging nur langsam voran. Material kam nicht an, weil es von den Führern für die persönliche Bereicherung abgezweigt wurde, Bautrupps wurden immer wieder von einer geheimnisvollen Reitertruppe angegriffen, die wie der Wind aus dem Nichts erschien, und ebenso rasch wieder verschwand. Für Torbuks ehrgeiziges Vorhaben, die Macht über das ganze Lande zu erlangen, kamen einfach nicht genug Material und Macht unter seine Kontrolle.
Torbuk und sein Sohn Karek versuchten alles, um diesen riesigen Aufwand zu lenken, und sie gaben beinahe alle Tränen der Götter dafür aus, welche die zusammengetriebenen Sklaven aus den Bergen holten. Doch ihnen lief die Zeit davon. Allein die überzogenen Forderungen ihrer Verbündeten, die sich am Bau der Wasserwagen bereicherten, verschlangen die Hälfte des Etats.
Die klobig wirkende, dunkle Burg Quaronas, gegen die Burg Falméra geradezu leuchtend und grazil anmutete, lag Sturm umbraust auf einem mächtigen Felsrücken, der sich von Zarollon nach Süden erstreckte und über der Stadt in seiner höchsten Erhebung gipfelte. Der dunkle Charakter rührte von den harten Felssteinen her, mit denen die Burg erbaut war. Schlug in den Herbst- und Winterstürmen das feuchtkalte Wetter gegen ihre starken Mauern, so wirkte der nasse Stein noch bedrohlicher. Und wer sich die Mühe machte, den Felsrücken und die Burg genauer zu betrachten, konnte nachvollziehen, woher das Baumaterial stammte.
Die Festung war kleiner und mit lange nicht so hohen Türmen angelegt, wie Burg Falméra. Dafür waren ihre Mauern so stark, dass in ihren Sockeln leicht ein Haus Platz gehabt hätte. Es gab keine verputzten Stellen; alles war im Zustand rohen Mauerwerks belassen. Zinnen, so groß wie kleine Hütten bekränzten die Wälle und Wehrmauern. Was die Türme nicht an Höhe besaßen, machten sie mit Stärke wett. Mit den viele Meter dicken Mauern konnte es sich das Bauwerk leisten, seinen Türmen ausschließlich eine viereckige Form zu geben. Anstelle von spitzen Dächern gipfelten auch die Türme in groben Zinnen, auf denen gerade mal ein Fahnenmast das schwarze Wappen Torbuks im Wind flappen ließ.
Die Fenster waren mehr schmale, senkrechte Schlitze, die schwarz im Mauerwerk gähnten. Nur an geschützten Stellen der Burg, wie etwa hinter dem Burgfried, oder dem erhöht liegenden Palas, waren größere Fenster eingelassen. Das Innere der Burg musste, dem äußeren Anschein nach, eine immerwährende Feuchtigkeit und Kälte beherbergen. Wer immer sich dem großen, klotzigen Bau zum ersten Mal näherte, dem lief unwillkürlich ein Schauer des Grauens über den Rücken. Das düstere, gewaltige Gemäuer mochte niemand als angenehme Umgebung empfinden.
Eine leicht gebückte, schlanke Gestalt ging mit weit ausgreifenden Schritten durch die Gassen der Oberstadt auf das Tor der bedrohlich wirkenden Burg zu, die über den eng stehenden Fachwerkhäusern als schwarze Silhouette aufragte. Ein schwerer, schwarzer Umhang wehte dem Mann um die Beine, dessen Geschlecht nur durch den schwarzen Helm zu erkennen war, den er unter einem Arm trug. Die feminine Gestalt, und das fein geschnittene Gesicht passten nicht in die Umgebung, und leicht mochte man vermuten, eine Frau hetzte zum Burgtor hinauf.
Ab und zu wehte der Umhang nach hinten aus, und gab die wahre Identität seines Trägers preis. Der Kriegsrock eines Kommandanten, eines Heerlagerführers, war unverkennbar. Die mit silbernen Knöpfen besetzten Lederlamellen des Rockes, die gekreuzten Reihen metallener Scheiben auf dem schwarzen Brustpanzer, die reich verzierte Scheide des Schwertes, und die Silber besetzten Stiefel ließen keinen Zweifel darüber aufkommen, wer da unter dunkel bewölktem Himmel zur Burg hinaufschritt.
Emtar von Palagk, der Sohn einer alten Zrolloner Aristokratie, und früh aufgestiegener Heerlagerführer, ausgezeichneter Taktiker und ein Muster an Disziplin, fühlte sich an diesem Nachmittag alles andere, als wohl in seiner Haut. Er war zu seinem Herrscher Torbuk persönlich zum Rapport bestellt worden. Keinem Kriegsrat, oder Berater sollte er berichten. Nein, vor keinem geringeren, als Torbuk selbst sollte er sich dafür rechtfertigen, was sich in den Sümpfen Falméras zugetragen hatte, und warum er einen kompletten Wasserwagen samt Mannschaft, und die Hälfte seiner Kohorten eingebüßt hatte. Dass er selbst dem Massaker durch eine Geisterarmee entkommen war, empfand er in diesem Moment als wenig tröstlich. Der Ruf, der seinem Herrn Torbuk vorauseilte, ließ leicht vermuten, dass er in den nächsten Stunden möglicherweise einem weitaus tragischeren Schicksal begegnen würde.
Missmutig griff er in seinen Umhang, den eine heftige, regennasse Böe von seinem Leib zu reißen suchte, und zog ihn fester um sich herum. Die Gassen, die zur Burg hinaufführten, kamen ihm allesamt feindselig vor, als lauerte in jeder Ecke, in jeder Hausnische eine böse Gestalt, die ihre Hände nach im ausstreckte. In Wahrheit jedoch ging die einzige Bedrohung, die er zu fürchten hatte, von der Burg selbst aus. In der Beengtheit zwischen Mauern hatte er stets das Gefühl, ein Gefangener zu sein. Dieses Empfinden setzte bereits ein, als er durch das Stadttor geschritten war.
Der Kommandant, der sich einsamer, als in dieser Stunde nie gefühlt hatte, schritt auf das mächtige, grob gehauene Burgtor zu, das von gigantischen Eisenbeschlägen und Scharnieren im massiven, dicken Mauerwerk gehalten wurde. In das Tor selbst war eine Tür eingelassen, die durchaus selbst als Tor hätte gelten können. Der in das Holz eingelassene eiserne Kopf eines Felsenbären hielt in seinem Fang einen mächtigen Eisenring, der über einem Wappenschild, ebenfalls aus massivem Eisen hing. Emtar schlug den Ring auf den Schild, und der Klang dröhnte scheinbar durch die gesamte Burg.
Kurz darauf wurde ein vergittertes Fensterchen geöffnet, und ein Augenpaar musterte ihn eindringlich. Trotz seines unverkennbaren Ranges forderte ihn die Torwache unfreundlich und herrschsüchtig auf, sich zu erklären. Reine Willkür. Den Kriegern der Heere wurde deutlich gezeigt, wohin sie gehörten, dass sie in der Stadt nur geduldet waren, weil der Landesherr ihrer Dienste bedurfte. Willkommene Gäste waren sie nur in den Hurenvierteln. Emtar schüttelte kaum merklich den Kopf. Doch nicht der feine Sprühregen war die Ursache. Vielmehr ging ihm der Grund für die städtische Feindseligkeit durch den Kopf. Seine Krieger, die wilden Horden, die es gewohnt waren, zu morden, zu rauben und zu brandschatzen, waren nicht gerade das Aushängeschild einer ehrenvollen Truppe; ja nicht einmal in der Stadt des grausamen Torbuk, der sie ja gerade zu diesem Tun vor seinen Toren vorhielt.
Emtar hatte nie darüber nachgedacht, was er seinen Männern befehlen musste. Er erhielt seine Order von den Gesandten Torbuks, und führte sie aus. Dass seine Truppe dabei nicht gerade zimperlich und menschlich vorging, hatte ihn nie gestört, denn Schrecken zu verbreiten, war eine der Gepflogenheiten, die Torbuk selbst förderte. Und er selbst, der Sohn aus gebildetem Hause, hatte sehr spät, im Grunde erst während des Einsatzes in den Sümpfen Falméras, wo sie eine Siedlung junger Abtrünniger Îval entdeckt hatten, erfahren, wie seine Kohorten unter dem Volk König Bentals hausten. Bis dahin war er von den direkten Kampfhandlungen in angenehmer Entfernung geblieben.
Und noch eine andere Erfahrung wurde ihm im Dorf Mehi-o-ratea zuteil. Die totale Niederlage. Das erste Mal in seinem Leben wurden Einheiten, die er befehligte, vernichtend geschlagen. Die Gerüchte, die über diesen Vorfall in Quaronas und der Zeltstadt der Heerlager kursierten, reichten von einer Kinderarmee bis hin zu erweckten Dämonen, die aus der Erde kamen. Emtar hätte einen Jahressold dafür gegeben, wenn er hätte sagen können, dass es Dämonen waren. Das er aber von einer Armee von Kindern geschlagen worden war, würde Torbuks Laune nicht gerade zuträglich sein.
Emtar trat zwei Schritte zurück, damit der Wachtposten ihn ganz sehen konnte. Die links und rechts des Tores in einer kopfhohen Nische eingelassenen großen Laternen blendeten ihn.
»Was wollt ihr?« herrschte ihn der Mann hinter dem Tor an. Der Kommandant machte wieder einen Schritt vorwärts und sagte:
»Emtar von Palagk, Führer des sechsten Heeres, Träger des Drachenorden von Gautlan. Torbuk von Quaronas erwartet mich bereits.« Er versuchte seine Stimme fest und unnachgiebig klingen zu lassen, doch ihr Klang hinterließ kaum einen Eindruck, denn der Mann hinter dem Fenster konnte sein höhnisches Grinsen nicht verbergen.
»So, so, der Heerführer der Sechsten, ja?« In der Stimme hinter dem Tor klang Emtars Meinung nach eine gehörige Portion Belustigung mit. Natürlich. Solch eine Niederlage, wie er sie hatte hinnehmen müssen, sprach sich schnell herum. Die Geschichte war gewiss schon das Gerücht Nummer eins im Hurenviertel.
»Wartet«, war die knappe Anweisung der Wache. Warten. Wer warten musste, war nicht unbedingt willkommen, ging es Emtar durch den Schädel. Er zog den Kragen des Umhangs weiter unter sein Kinn, und drückte die Spange mit dem Drachenkopf, die ihn zusammenhielt, fester.
Der Wind peitschte den Regen an der Burgmauer entlang, und ließ direkt am Tor unangenehme Wirbel kreisen. Für einen Nachmittag war es ungewöhnlich finster. Die Wolken zogen tief und schnell dahin, und die früh am Tag ausgehängten Laternen an den Fachwerkfassaden der Häuser pendelten wild hin und her. An diesem Tag ließ sich nicht feststellen, ob bereits der Abend anbrach, oder ob die irdische Welt unterzugehen drohte.
Emtar starrte die Maserung des Holztores an, und ließ die schwallartigen Sprühregenschauer mit eingezogenem Kopf über sich ergehen, als plötzlich ein Riegel knallte, und die Tür im reisigen Tor aufschwang. Das diffuse, flackernde Licht von Fackeln und Laternen sprang ihn an. Er trat in einen dunklen, überdachten Gang, der so breit war, dass zwei Fuhrwerke bequem aneinander vorbei fahren konnten. Das Tageslicht hatte dennoch keine Möglichkeit, in die tiefen Gemäuer der Burg vorzudringen. Hier war bereits finstere Nacht.
»Folgt mir«, war die einzige Aufforderung einer düsteren Gestalt, die vollständig in eine schwarze Kutte gehüllt war. Nicht einmal das Gesicht vermochte Emtar zu erkennen, denn der Mann hatte die Kapuze tief über den Kopf gezogen. Er nahm die Laterne von einem Haken, und ging voran. Dabei ließ er einen Mann hohen Stab bei jedem Schritt auf den steinernen Boden knallen, als suchter er zusätzlich Halt. Tack, tack, tack...
Emtar zog sich den Umhang von den Schultern und schüttelte ihn im Gehen aus. Das hätte er lieber bleiben lassen.
Nach ein par Schritten taten sich links und rechts Durchgänge in der Mauer auf, die offenbar in die Burghöfe, oder Wehranlagen führten. Es zog fürchterlich, und der Wind blies mit noch größerer Kraft durch die Öffnungen. Dass der Luftzug die Fackeln an den Wänden nicht ausblies, grenzte an ein Wunder.
Der Kommandant stolperte. Runde, glatte Steine bildeten den Boden, und in seichten Rinnen hatten sich Vertiefungen durch Wagenräder und Hufen von Pla-kas in das Steinpflaster gegraben. Kaum eine Handbreit über dem Boden gähnten schwarze, unergründliche Löcher in den Wänden, wie flache, Bogenfenster. Ob diese als Wasserabläufe dienten, oder als Belüftung in unterirdische Kerker führten, blieb dem Heerführer verborgen. Alles innerhalb der Burgmauern flößte einem Besucher Angst ein.
Schlagartig wurde Emtar klar, dass wer immer auch in diesen dicken Mauern eingekerkert wurde, keine Aussicht auf Befreiung hatte, und unweigerlich verrotten musste. Vor einem weiteren, massiven Tor blieb sein geheimnisvolle Begleiter stehen.
»Ist ganz schön windig in diesen Mauern, oder?« Emtar wollte keine große Konversation beginnen. Er wollte lediglich das lastende Schweigen brechen, um vielleicht herauszufinden, wohin er geführt wurde. Doch der schweigsame Kapuzenmann ging nicht auf Emtars Versuch ein. Er steckte einen großen, schmiedeeisernen Schlüssel in einen Beschlag, das Schlüsselbund rasselte, und der Schlüssel drehte sich knackend und knarzend im Schloss. Der Mann stieß das Tor nur so weit auf, dass sie beide gerade hindurch passten, dann knallte er es wieder zu, und schloss ab.
Sie standen in einem geräumigen Innenhof, zwischen sechs ungleichmäßigen Wänden. Kleine Fenster schienen wahllos angeordnet, aus einigen drang gelbes, warmes Licht. Weit oben, in schwindelnder Höhe ragten aus zwei Wänden Erker heraus, auf halben Bögen gestützt. Über Eck befanden sich an zwei Wänden überdachte, mannshohe Holzverschläge, fast schon Hütten. In der Mitte des Hofes dominierte ein mächtiger Zugbrunnen. Eimer und Zuber standen darum herum, als hätte sich jemand mitten in einer Tätigkeit fluchtartig aus dem Staub gemacht. Irgendwo schnaubten Pla-kas. Gegenüber lag ein weiteres Tor.
»Hier entlang«, sagte der ansonsten stumme Begleiter und steuerte das weitere Tor an. Wieder knirschte ein Schlüssel, wieder wurde ein Tor aufgestoßen, das in seinen Angeln kreischend protestierte. Erneut standen sie in einem Hof. Dieser Innenhof aber hatte eher den Charakter eines Paradeplatzes inmitten einer Stadt. Fassaden, Erker, Türme und Fensterfluchten ragten in den düsteren Regenhimmel.
Eine mächtige Wand mit Stützpfeilern teilte den Platz in ganzer Breite in einen unteren und einen oberen Hof. Eine riesige, aus mächtigen Steinquadern zusammengefügte Freitreppe führte auf die obere Ebene hinauf. Türen und Tore waren in die Mauer eingelassen, und unzählige Türen führten in die Turmsockel und Gebäudeteile. Wie zuvor im Vorhof, so waren auch hier Ställe und Remisen an den Fassaden angeordnet. Und auch diesen Hof beherrschte ein Zugbrunnen, der so groß war, dass Emtar den Eindruck gewann, er konnte nur von Robrums bedient werden.
Erker und Balkone ragten über ihm in den Hof hinein, und hier und dort huschten gebeugte Gestalten hin und her, tauchten aus einer Tür auf, verschwanden in einer anderen, oder hasteten in einen der Ställe. In der ganzen Burg schien eine Stimmung zu herrschen, die an eine ständige Flucht erinnerte. Als müsste jeder sich vor dem Licht des Himmels und vor den Augen der Götter verbergen. Ein jeglicher bewegte sich schnell und unauffällig, wie ein Dieb.
Allein Emtars fast stummer Begleiter schien zumindest rein äußerlich die Ruhe in sich zu sein. Nicht schnell, nicht langsam, eher wie eine dahintrottende Kuh schritt er auf seinen Stab gestützt, voran, die Stufen zum oberen Hof hinauf. Emtar folgte ihm, unterließ es aber nicht, sich den Weg einzuprägen, und alles mit größter Aufmerksamkeit zu betrachten. Er war das erste Mal in dieser Burg, und möglicherweise würde er sie danach niemals wieder betreten.
Der obere Hof empfing ihn mit einem anderen Bild. Hier schien alles wie in einem steinernen Park angeordnet. Helle Steinstreifen im dunklen Hofpflaster wiesen die Wege zu den Türen und Toren, gesäumt von steinernen Bänken, die zum Ausruhen einluden; natürlich nur bei warmer, sonniger Witterung. An diesem verregneten Wintertag lag der ganze Platz verwaist da.
Emtar fiel auf, dass die Fenster und Türen im Bereich des oberen Hofes in schimmernde Rahmen gefasst waren, die je nach Blickwinkel lebendig glänzten. Als sie an der Tür zu einem Treppenturm stehen blieben, und der wortkarge Kapuzenmann das Schloss mit seinem schweren Schlüsselbund traktierte, erkannte Emtar, was die Fenster einrahmte. Es waren Hand breite und doppelt so lange Riegel aus den Tränen der Götter, die man in das Mauerwerk eingefügt hatte.
Diese Zierde hatte etwas Schönes, und zugleich Gespenstisches. Das hellgelbe Metall glänzte und leuchtete im dunklen Stein der Mauer, wie ein flammender Rahmen den Eingang zur Unterwelt der Dämonen zierte. Dafür also mussten sich die vielen Sklaven der Îval in den Bergen der schlafenden Sonne zu Tode knechten. Hier fanden die Tränen der Götter, die Torbuk aus den Bergen zusammenramschte, ihr präsentatives Ende.
Sie traten durch die Tür in den Turm, stiegen zwei ausgelatschte Treppen hinauf, und der Mundfaule führte den Kommandanten durch eine weitere Tür in einen großzügigen Gang. Emtar registrierte, dass nun auch die Beschläge der Tür im Glange der Göttertränen ertrahlten. Je näher sie dem persönlichen Bereich Torbuks kamen, desto üppiger schienen die Verzierungen mit dem edlen Metall zuzunehmen.
Der Gang mündete in eine Säulengalerie, deren Bögen ebenfalls in goldene Ränder gefasst waren. Fackeln, die in schrägen Halterungen an der Wand steckten, verbreiteten einen vielfach widerscheinenden Schimmer an den Wänden und den Kreuzgewölben der Decke. So ging es von einem Gang in den nächsten, und wieder in einen weiteren, bis sie vor einer massiven doppelten Tür standen, die mit bunten Steinen und den Tränen der Götter geradezu überladen war.
Ein großes, goldenes Ornament in Form eines Widderkopfes war in der Mitte jeden Türflügels angebracht. Emtars Begleiter schlug mit dem Knauf seines Stabes dagegen, und die Schäge hallten durch den Gang, und schienen sich unendlich in anderen Gängen fortzusetzen. Mit einem dumpfen Schlag öffnete sich die schwere Tür einen Spalt breit, und ein bleiches Gesicht erschien.
»Herr von Palagk«, kündigte der Wortkarge den Kommandanten an. Die Tür öffnete sich ein weiteres Stück, gerade so viel, dass Emtar hindurchschlüpfen konnte. Ein blassgesichtiger Diener im braunen Livree gebot ihm einzutreten. Emtar von Palagk zwängte sich durch den Türspalt, und hatte Mühe, sein Schwert an sich zu drücken, damit es nicht gegen die Tür schlug.
Dann stand er in einem dunklen Raum, dessen Wände von groben Tischen gesäumt waren, auf denen Umhänge, Mäntel und Brustpanzer wahllos herumlagen. Emtar warf seinen Umhang dazu, und blickte sich neugierig um. Mächtige, von Tränen der Götter durchwirkte Säulen, die in kurzen Bogen gipfelten, trennten den Raum von einem viel größeren Zimmer, in das er nicht hineinsehen konnte. Dicke Kordeln hingen von der Decke herab, und füllten die Zwischenräume der steinernen Stützen als Sichtschutz.
Die Kordeln teilten sich, und ein hünenhafter, bis an die Zähne bewaffneter Krieger trat vor ihn hin. Er war mindestens einen Kopf größer als Emtar, und sicherlich einen halben Leib breiter. Seine Beine ähnelten den Säulen, die den Raum begrenzten, und seine Arme schienen aus dicken Ästen geschnitzt. Ein haarloser, kahler Kopf, der bullig und entartet wirkte, steckte auf einem Ring aus Falten und Wülsten, der wiederum auf dem Kriegsrock des Mannes ruhte. Im Verhältnis zu seiner Größe viel zu kleine Augen musterten den neuen Gast scharf von oben bis unten.
»Euer Schwert, euer Messer, und was ihr sonst noch bei euch tragt.« Die kurze Forderung des Mannes klang rau und krächzend, und er hielt Emtar seine Arme hin, die bei der Schöpfung sicher einmal Baumstämme hätten werden sollen. Der Kommandant fühlte sich mehr als unbehaglich, obwohl er im Range dem Riesen übergestellt war. Doch er hütete sich zu widersprechen, denn Torbuk war für seine plötzliche Übellaunigkeit und seine spontanen Entscheidungen bekannt, die schon so manchen in den Kerkern haben verschimmeln lassen.
Emtar zog sein Schwert und legte es dem bulligen Krieger auf die Arme. Der ließ in seinen kleinen wachen Augen keine Regung erkennen, und hielt weiter seine Arme vorgestreckt. Mit der dicken knolligen Nase im Gesicht hatte der Mann etwas von einem Eishund, der gegen einen Baum gelaufen war.
Zögernd zog der Kommandant auch seinen Dolch unter dem Kriegsrock hervor, und legte auch den Beutel mit kleinen Steinchen und die kleine Steinschleuder dazu. Damit gab sich der Krieger, der eher einem Troll glich, zufrieden. Er drehte sich um und ging in den großen Raum hinein. Über die Schulter hinweg sgte er nur: »Mitkommen!«
Emtar vermutete, dass der Mann ganz genau gewusst hatte, was er bei sich trug. Torbuks Spionagesystem schien bestens zu funktionieren. Der Heerführer mochte nicht mehr ausschließen, dass er bereits Tage zuvor beobachtet worden war, seit er mit knapper Not dem Angriff in Falméras Sümpfen entkommen war. Möglicherweise war sogar sein eigener Hilfsbursche jener, der Torbuks Leute über seine Eigenarten aufgeklärt hatte.
Mit stolz erhobenem Haupt wollte Emtar dem Riesen folgen. Er wollte keinen Deut an Schwäche, oder Unsicherheit zeigen. Sein Schritt geriet jedoch ins Stocken, als er den Kordelvorhang teilte, und durch die Säulen in den großen Raum trat, der nichts geringeres war, als ein geräumiger Saal, dessen hohe, gewölbte Decke von mächtigen Säulen getragen wurde.
In mehreren Stufen untereinander waren um jede Säule herum Halterungen mit Fackeln angebracht. Mächtige, eiserne Ständer trugen Schalen, in denen Öl mit heller Flamme verbrannte, und an der Gold und Farben verzierten Decke hingen Wagenrad große Leuchter mit Hunderten Kerzen. Der Saal war so hell erleuchtet, dass Emtar erst viel später die großen Fenster wahrnahm, die als dunkelgraue Nischen den Blick nach draußen, in die dämmerige, winterliche Welt freigaben.
Große, geschliffene Steinplatten fügten sich zu einem kunstvoll gestalteten Fußboden zusammen, der bei genauerer Betrachtung ein sich widerholendes, symetrisches Muster preisgab. Die Säulen bestanden aus einem roten, glatt geschliffenen und polierten Stein. Ihr Glanz wurde nur an ihrer Basis und an den Kapitällen von einer Auflage aus den Tränen der Götter übertroffen.
Die Ständer mit dem brennenden Öl bildeten in der Mitte des Saales eine imaginäre Grenze zwischen den Säulen. Der Boden war ab dieser Linie mit großflächigen, dunkelroten Tüchern bespannt, und gab dem riesigen Raum eine wohnlichere Atmosphäre. Auch die Wände waren in diesem Teil des Saales nicht mehr kahl. Blauer Stoff überspannte sie, nur unterbrochen von bunten Fahnen und Standarten, auf die verschiedene Wappen gemalt waren, die Emtar von Palagk völlig unbekannt waren.
Sie erreichten eine Reihe von kniehohen Steinquadern, die wiederum den Raum trennten. Die Steine waren aneinander gefügt in den Boden eingelassen, und nur an zwei Stellen unterbrochen, so dass ein Mann bequem hindurchgehen konnte. Eine Grenze, die ein Besucher offenbar nicht überschreiten durfte, denn vor diesem Steinwall standen wartend einige Personen. Emtar stellte sich etwas verunsichert neben sie.
Der riesige Krieger aber schritt durch die Lücken in der Steinbarriere und legte die Waffen Emtars auf eine schwere, steinerne Bank, von denen vier an der Zahl in einer Reihe über die Breite des Saales verteilt standen. Auch auf den anderen Bänken lagen Waffen, Helme, und anderes Rüstzeug, das den Besuchern neben Emtar abgenommen worden war.
Nachdem er die Dinge auf der steinernen Bank abgelegt hatte, zog sich der Hüne in eine dunkle Ecke des Saales zurück. Erst jetzt fiel Emtar auf, dass hinter jeder Säule, in jeder unbeleuchteten Ecke, und an den Wänden in regelmäßigen Abständen verteilt, Muskel bepackte, massige Wachtposten standen, die alle mit einem krummen Schwert und einer Lanze bewaffnet waren. Allein die Schwerter hatten eine Größe, die sie in einer Schlacht in den Händen eines normalen Kriegers unbrauchbar machten. Nur solche riesenhaften Krieger, die in diesem Saal positioniert waren, vermochten eine solch schwere Klinge zu führen.
In Blickrichtung voraus, hinter den steinernen Bänken, standen mehrere Altäre, oder Tische, ebenfalls aus Stein. Auf ihnen brannten einige Schalen mit Öl. Dahinter schloss der Saal mit einer fensterreichen Wand, die mit Wappentüchern behängt war. Darunter fand Emtar auch das Wappen seines eigenen Heeres.
Ein leises Geräusch, das sich seitwärts näherte, ließ Emtar sich umwenden. Sogleich trat er verschreckt zwei Schritte zurück, und stieß gegen eine der Personen, die mit ihm in einer Reihe vor der Steinbarriere warteten. Doch niemand ließ einen Protest verlauten, denn die Wesen, welche sich der ausharrenden Gruppe da näherten, schienen die Ausgeburten aus den Grüften der Dämonen daselbst entsprungen zu sein.
Sie sahen aus, wie zu groß geratene Eishunde, lediglich mit deutlich kürzerem Fell, dafür aber mit bulligen Köpfen, und Schnauzen, die einen Kiefer vermuten ließen, der Wagenräder durchzubeißen vermochte. Drei dieser sabbernden, geifernden Kreaturen schlichen aus dem Schatten einer Säule heran, und Emtar griff in alter Gewohnheit nach seinem Schwert. Seine Hand fasste ins Leere. Die Waffen lagen vorn auf der Steinbank, in Sichtweite, dennoch so unerreichbar.
Kurz dachte Emtar darüber nach, vorwärts zu stürmen, und das Schwert an sich zu nehmen. Diese Riesenhunde aber ließen vermuten, dass sie ihn zerreißen würden, noch ehe er die Knie hohe Barriere überwunden hätte, vor der sie standen. Emtar versteifte sich, und setzte auf die einzig verbliebene Taktik, sich nicht mehr zu rühren.
Neben ihm hatte eine mittelgroße, stämmige und dunkelhaarige Frau die Hand einer anderen, wesentlich jüngeren, blonden Frau gegriffen, und es sah aus, als hielten sich sich gegenseitig fest. Emtar bezweifelte, das diese Geste die schaurigen Hunde davon abhalten würde, über sie herzufallen, wenn es ihnen denn einfiele. Beide Frauen trugen einen Wams mit einem Zeichen auf der Vorderseite, das Emtar schon lange nicht mehr gesehen hatte. Das letzte mal sah er es vor der großen Schlacht gegen Areos von Falméras Truppen. Es war das unverkennbare Zeichen der Drachenreiter, einer alten eigenen Kaste, ein in sich verschlungener Gor.
Hinter den beiden Frauen standen noch zwei Krieger aus Emtars eigenem Heerlager. Es waren jene, die zur Wache am Rande seines Invasionslagers eingesetzt waren. Sie wichen ängstlich immer weiter zurück, was die ekelerregend aussehenden Hunde dazu veranlasste, sie besonders gründlich zu beschnuppern und zu belecken. Doch die dämonischen Tiere griffen nicht an, und Emtar glaubte zu wissen, warum.
Wie zur Bestätigung seiner Vermutung kamen nun zwei Wachen hinter der Säule hervor. Unsanft schoben sie einen Mann vor sich her, der auch ohne den Anblick der Geisterhunde verunsichert genug wirkte. Emtar kannte ihn. Es war einer seiner Kohortenführer. Jener Mann, dessen Kohorte von einer Schar Schwarzvögel in die Flucht geschlagen wurde, die sich zuvor aus einem Mädchen heraus verwandelt haben sollten. Emtar von Palagk ahnte inzwischen, worum es in diesem Rapport ging.
Die Untiere, die immer noch mit seinen Kriegern beschäftigt waren, verschwanden kurz aus Emtars Aufmerksamkeit, denn zwei weitere Männer traten hinter den Wachen in die Mitte des Saales. Ein älterer, etwas stämmiger Mann von nicht sehr hoher Gestalt, und ein jüngerer, zwei Schritte dahinter, etwas schlanker, als der erste. Emtar wusste sofort, dass die beiden Torbuk und Karek waren. Torbuk, der ältere, gesetztere, strahlte schon durch sein Äußeres die Gewohnheit aus, zu befehlen, und kompromisslosen Gehorsam zu verlangen. Der jüngere, Karek, schien eher im Schatten des kleineren Vaters zu wandeln, denn er besaß, wie Emtar befand, keinerlei prägnante Ausstrahlung, außer dem Eindruck, den sein Gesicht vermittelte, welches Hinterhältigkeit und Listigkeit zu seinen Charaktereigenschaften zählten.
Torbuk marschierte zielstrebig und mit energischem Schritt zu den Bänken hin, auf denen die Waffen und Habseligkeiten Emtars und der anderen Besucher lagen. Er würdigte die wartenden keines Blickes, schien nicht einmal Notiz von ihnen zu nehmen. Mit auf dem Rücken verschränkten Händen schritt er vor den Steinbänken auf und ab und inspizierte die wie zur Schau gestellten Gegenstände mit übertriebenem Interesse. Sein Sohn Karek stand wie verloren dahinter, versuchte eine wichtige Miene zu zelebrieren, und trat unsicher von einem Fuß auf den anderen.
Emtar von Palagk musterte hingegen aufmerksam seinen Landesherren, weniger aus wirklichem Interesse, vielmehr um sich von den entarteten Hunden abzulenken, und um keine Unsicherheit zu zeigen. Torbuk hielt zwischen den Bänken mit seiner Betrachtung der Gegenstände inne, und beobachtete aus den Augenwinkeln, wie die Wartenden auf seine Jagdhunde reagierten. Er machte keinerlei Anstalten die Monster zurückzupfeifen. Ja es schien geradezu so, als ergötzte er sich an der nackten Angst der vorgeladenen Besucher.
Seinen wachen, mitleidlosen Augen entging nicht, dass die beiden Krieger, und das blonde Mädchen vor Angst beinahe den Verstand verloren. Er blickte auch zu Emtar herüber, und als ihre Blicke sich kreuzten, und Torbuk keine Furcht in seines Heerführers Gesicht erkennen konnte, verlor er alsbald das Interesse an dem perfiden Spiel. Er nahm Emtars Schwert von der Bank, die Emtar gegenüber stand, wog es in der Hand und hieb damit einige Male probehalber in die Luft. Die Klinge sauste so nahe an Kareks Nase vorbei, dass dieser sich rasch drei Schritte zurückzog.
Emtar bescheinigte Torbuk diesen Streich aus reinem Egoismus vollführt zu haben. Wenn die Anwesenden sahen, dass der als grausam geltende Burgherr nicht einmal davor zurückschreckte, seinen eigenen Sohn zu verletzen, so musste ihnen die Furcht noch tiefer in die Glieder fahren. Zudem konnte er damit rechnen, dass sie dieses Erlebnis außerhalb der Burgmauern weitererzählten. Sein Ruf als unbarmherziger, mitleidloser Herrscher mochte sich auf diese Weise weiter manifestieren.
Dann wandte sich Torbuk seinem Heerlagerführer zu, und ließ das Schwert vor Emtar einige Male auf und ab wippen. Der selbst ernannte Fürst sah unrasiert und ungepflegt aus, was Leuten aus gutem Hause ein Greuel war. Aus dem runden Gesicht mit einer Haut gleich gegerbtem Leder blickten Emtar große, durchdringende Augen an, welche die Verschlagenheit ihres Besitzers gekonnt kaschierten. Die dicken, buschigen Augenbrauen verliehen seinem Blick noch zusätzlich etwas Düsteres.
Eine mächtige, zu einem leichten Haken gebogene Nase verriet Oranutiblut in der Familienlinie. Sein Haar allerdings hatte nichts von der Rasse unter der wandernden Sonne. Es war schüttern, dünn und von einem Braun, das sehr ins Grau tendierte. Auf der Kopfmitte sah Emtar, der zwei Hand breit größer war, als Torbuck, eine kahle Stelle. Nun, auch ein machthungriger Mensch kam irgendwann in die Jahre. Emtar entgingen auch nicht die grauweißen Ansätze, die sein Gegenüber unter den Schläfen trug, und beinahe seine kleinen, eng anliegenden Ohren bedeckte.
Torbuk steckte in einem schwarzen Lederwams, das wie seine ebenfalls aus Leder bestehende, etwas zu kurz geratene Hose mit metallenen Nieten, Scheiben und Spangen besetzt war. Er trug einen Fellumhang darüber, der edel mit einem Saum aus rotem und blauem Stoff, sowie mit Plättchen aus den Tränen der Götter abgesetzt war. Ein sehr breites, dafür kurzes Schwert mit einem goldenen Knauf pendelte an seinem breiten, robusten Gürtel. Zusätzlich hingen an dem Gurt ein schweres Messer, und eine aufgerollte Lederpeitsche. Wozu Torbuk diese Peitsche diente, mochte sich Emtar nur allzu gut ausmalen.
In dicken, fast gepanzert aussehenden, kurzen Stiefeln, die oben am Schaft mit Fell besetzt waren, stand der mächtigste Mann Quaronas vor Emtar, stellte dessen Schwert mit der Spitze auf den Boden und ließ es mit einer Hand spielerisch kreisen, als langweilte er sich.
»Ein gutes Schwert, führwahr«, begann er mit einer tiefen, knorzigen Stimme, die an einen alten, knorrigen Baum erinnerte, dessen Holz sich geräuschvoll im Wind wiegte.
»Eine Klinge aus den Schmiedefeuern der alten Zarolloner Dynastien, nicht wahr?« fuhr Torbuk fort, und ließ völlig im unklaren, worauf er hinaus wollte. Dabei ließ er das Schwert noch schneller drehen, angetrieben von der Fliehkraft seiner kräftigen Parierstange. Die Schwertspitze hatte den Tuchbespann durchstoßen, und knirschte auf dem steinernen Fußboden.
»Man sagt, diese Klingen sind unzerbrechlich, und man könnte mit ihnen sogar die Rückenplatten eines Gors spalten. Alter Familienbesitz, diese Waffe, was? Nun, nicht, dass ich nicht dazu imstande wäre, die Klinge mit einem Hieb zu zerschlagen.« Torbuk glotzte Emtar herausfordernd und forschend an. Seine Augen blitzten förmlich vor verstecktem Hohn, bevor er fortfuhr:
»Aber es wäre doch nicht nur schade, sondern auch sehr töricht von mir, so eine gute Waffe zu zerstören, die in die Hand eines Kriegers gehört, der mir mit ganzer Kraft und ganzem Willen, bis in seinen Tod treu ergeben ist, nicht wahr?« Fragend und durchbohrend sah er dem Kommandanten in die Augen, als erwartete er nun eine Antwort.
»Jawohl Herr, wie immer ihr dazu befindet, eurem treuen Diener wird euer Wunsch stets Befehl sein.« antwortete Emtar unterwürfig. Er bemühte sich aufs Äußerste, seinen Widerwillen, und seine gepresste Stimme vor Torbuk zu verbergen.
Der stützte sich nun mit seinem ganzen Gewicht auf Emtars Schwert, beugte sich vor, bis sein Gesicht nahe dem seines Heerführers kam, so dass dieser die Wärme spürte. Torbuk kniff die Augen leicht zusammen, als konnte er dadurch noch schärfer sehen.
»Jawohl Herr, und euer Wunsch wird stets Befehl sein«, äffte Torbuk seinen Heerführer nach, ließ es aber nicht spöttisch klingen. Überhaupt sorgte er dafür, dass seine Absichten völlig undurchschaubar blieben.
»Habe ich hier einen Krieger aus gutem Hause, mit Benehmen und Anstand in meinen Heerscharen, und weiß nichts davon? Er weiß sich wohl auszudrücken, ohne seinem Herren Anlass zu geben, an ihm zu Zweifeln; aber auch ohne sein Wohlwollen oder seine Abneigung kund zu tun, nicht wahr?« Torbuk hob das Schwert, ließ es aus dem Handgelenk zweimal durch die Luft schwingen und setzte es einen Zentimeter vor Emtars Fußspitzen wieder auf den Boden. Dann drehte er es wieder mit den Fingern an, und ließ es wirbeln, indem er mit der flachen Hand den Knauf festhielt.
»Ihr seid mir treu ergeben, habt gut gekämpft und meine Krieger gut geführt, in vielen Schlachten. Nicht tollkühn, nicht zurückhaltend, immer wie es einem braven Heerlagerführer zukommt, nicht wahr? Bescheiden wart ihr, habt nie Forderungen an euren Kriegsherrn gestellt; Bescheiden und unauffällig. Aber habt immer alles erfüllt, was von euch gefordert wurde. Alles das hat man mir über euch berichtet. Es gab niemals Anlass zur Klage über euch. Da mag ein Kriegsherr ja so richtig zufrieden sein mit euch, oder?«
Die verborgene List hinter Torbuks Frage erkannte Emtar nicht sogleich, denn eine furchteinflößende, sabbernde Schnauze näherte sich ihm, und beschnüffelte ihn von allen Seiten, als prüfte der Dämonenhund sein Frühstück, das ihm alsbald dargeboten werden würde.
»Ja Herr, ich war stets darauf bedacht, euch mit ganzer Kraft und ganzem Willen zu dienen, und hatte immer nur das Wohl Quaronas im Herzen.« Das war gelogen. Und als ob der grimmige Hund dies spüren konnte, ließ er ein bedrohliches Knurren vernehmen, das tief aus seinem Innern hervorkam. Torbuk, der des Spiels mit der Angst schließlich überdrüssig wurde, machte eine kurze, wegwischende Bewegung, und raunzte die Hunde an.
»Weg mit euch, los, macht das ihr fortkommt!« Augenblicklich wandte er sich danach wieder an Emtar, und trat so nah an ihn heran, dass dieser den stinkenden Atem seines Kriegsherrn roch.
»Ach sieh mal an«, sagte er leise mit einem unterschwellig spöttischen Klang in der Stimme, »habt ihr im Herzen, ja?« Torbuk kniff erneut die Augen zusammen, als wollte er die vernichtenden Blicke sammeln und konzentriert auf Emtar abschießen.
»Dann erklärt mir mal, treuer Krieger, wieso ich plötzlich einen Wasserwagen weniger in meiner Flotte habe, und warum ich Männer von drei Kohortenstärken verloren habe, und warum meine Pferche, die für die jungen Îval bestimmt waren, immer noch leer sind?«
Er trat zu der Bank auf der Emtars Sachen lagen und warf das Schwert achtlos, ja geradezu verächtlich auf den Haufen zurück, dass es nur so klirrte. Dann drehte er sich wieder zu ihm um.
»Einmal ganz davon abgesehen, dass euer kleiner Feldzug, den man kaum so bezeichnen dürfte, mein ganzes Heer in Aufruhr versetzt hat, weil nun jeder glaubt, dass auf Falméra die Dämonen aus den Tiefen der Erde gekrochen sind, und sich niemand mehr freiwillig für eine Landung meldet. Könnt ihr mir das alles erklären, Herr treuer Krieger?«
Torbuks Stimme nahm einen gefährlichen Ton an, ähnlich dem Zischen eines Sis-tà-wàn, bevor er seinem Opfer die Giftzähne in den Leib stößt. Nebenan gluckste leise die kräftige Frau vor sich hin. Wohl aus Erleichterung darüber, dass die sich die Hunde nach Torbuks Wink mit eingeklemmten Schwänzen in eine Ecke zurückgezogen hatten, ließ sie sich zu einem Ausdruck der Schadenfreude hinreißen. Das hätte sie besser nicht getan. Sofort stand Torbuk direkt vor ihr, und blaffte sie an:
»Ach ihr findet das witzig, Frau Medunzia? Ihr habt doch wohl am allerwenigsten einen Grund zu lachen, nicht wahr? Gar keinen!« Die letzten zwei Worte kamen wie pures Gift aus seinem Munde, und langsam schien es, als wollte sich Torbuk in eine zügellose Wut hineinsteigern, um seinem Frust freien Lauf zu lassen, und seinen Unmut an den Anwesenden auszutoben.
»Oder habt ihr vergessen, dass ihr diese Mistkröte Antarona und diesen verhinderten Prinzen Areos bereits mehrere Male unter eurem Schwerte hattet? Muss ich euch an eure Unfähigkeit erinnern, ja? Ihr hattet dieses Krähenweib mehr als einmal in eurer Gewalt. Und was ist dabei herausgekommen? Hohle Luft, mehr nicht!«
Wut schnaubend begann Torbuk in großen Schleifen hin und her zu rennen, als vermochte diese Übung seinen Zorn etwas abkühlen. Eher das Gegenteil war der Fall.
»Und ihr anderen«, schnauzte er weiter herum, »habt auch keinen Anlass, euch zu rühmen, nicht wahr?« Torbuk schüttelte wie fassungslos den Kopf, blieb einen Augenblick vor den beiden Kriegern und dem mitgebrachten Kohortenführer stehen, als wollte er ihnen in gleichem Atemzug ebenfalls eine Standpauke halten, winkte dann jedoch ab, und rannte mit wehendem Umhang weiter auf und ab, wie ein Mistkäfer, der verzweifelt den Eingang zu seinem Erdloch suchte, bevor er wieder lospolterte.
»Baumdämonen, die mit Feuer aus der Erde kommen; Kämpfende Bäumchen und Schattengeister; Riesige Heuschrecken in den Wäldern, die meinen Männern das Blut aussaugen, und dazu noch ein kleines Mädchen, das sich im Wasser in eine Wolke von Schwarzvögeln verwandelt! Das soll ich glauben. Und das alles auf Falméra, wo mein dämlicher Bruder nicht einmal ein richtiges Heer zusammenbringt!«
Das alles sprudelte verächtlich aus Torbuks Hals, und man merkte deutlich, dass er all diesen Mären kaum Glauben schenkte. Doch ein Wasserwagen und drei Kohorten waren vernichtet, sein Landungstrupp eindeutig geschlagen, und seine Drachenreiterinnen waren nicht in der Lage gewesen, mit einem ausgewachsenen Gor zwei Menschen in ihre Gewalt zu bringen, oder zu töten. Diese Tatsache stand im Raum, und lag auf des mächtigen Mannes Gemütsnerv, der nicht gewohnt war, Niederlagen hinzunehmen.
Torbuk drehte sich abrupt um, stellte sich breitbeinig vor die Versammelten hin, wie ein pelziger Fels, den niemand umzuhauen vermochte. Karek schlich unterdessen wie verloren zwischen den Bänken herum, und begutachtete die Dinge, die darauf lagen. Offenbar war er es gewohnt, sich nach der Verurteilung am Eigentum von seines Vaters Opfern zu bereichern.
»Ich weiß, was ich mit euch allen mache«, verkündete Torbuk lautstark. »Ich werde euch die Köpfe abschlagen lassen, und zur Warnung an alle, die meinen, meine Befehle nicht allzu ernst zu nehmen, vor der Stadtmauer aufspießen lassen. Das werde ich machen!«
Emtar saß ein dicker Kloß im Hals. Er wusste, dass Torbuk solcherlei schon oft getan hatte. Regelmäßig steckten an einer Stelle vor dem Stadttor Stangen in der Erde, an deren Enden Köpfe von Toten herabglotzten, von Schwarzvögeln entstellt, verrottet, und zusammengeschrumpelt. Wenn diesem Tyrannen so eine Strafe einfiel, dann tat er es eben. Wer sollte ihn davon abhalten?
Die beiden Krieger, die ganz links standen, sprangen vor, warfen sich vor Torbuks stämmige Beine und begannen um Gnade zu winseln und um Vergebung zu betteln, dass Emtar sich schämte, sie in seinem Heer gehabt zu haben. Torbuk trat einen Schritt vor, und stieß die beiden mit seinem Fuß brutal um.
»Hört auf zu flennen, ihr Würmer. Ertragt euer Urteil mit Würde, wie Männer! Zeigt wenigstens jetzt, da der Tod euch ins Auge blickt, dass ihr noch etwas Wert seid, oder ich lasse euch auch noch vierteilen.« Die beiden weinten um Gnade, und leierten die ganze Palette von Treuebekundungen herunter, die ihnen einfiel. Torbuk ließ das unbeeindruckt. Er winkte stumm in eine Ecke, und ein mächtiger, muskelbepackter Kerl kam hervor. Er war riesig, und Emtar musste zweimal hinsehen, um sicher zu sein, dass es kein Robrum war.
Seinen Kopf umhüllte eine schwarze Lederkappe, die nur kleine Öffnungen für Mund Nase und Augen hatte. Sein Oberkörper war nackt und man sah die Muskelpakete bei jeder Bewegung auf und abschwellen. In seinen Pranken hielt der Mann ein riesiges Schwert, dass ein normaler Krieger wohl kaum hätte tragen können. Emtar war davon überzeugt, dass es so scharf war, dass man damit hätte Gras schneiden können.
Der Unterkörper des Hünen steckte in einer viel zu engen, schwarzen Lederhose, und in in breiten Stiefeln. Es hatte den Anschein, als wäre jedes seiner Kleidungsstücke für eine andere Person angefertigt worden. Als die beiden Krieger den Vollstrecker sahen, krochen sie in sich zusammen, als würde ihnen jemand das Wasser aus dem Körper ziehen.
Der Riese baute sich vor ihnen auf und wog das mächtige Schwert in seinen Schaufel großen Händen. Da trat Karek von hinten an Torbuk heran. Er beugte sich zu seinem kleineren Vater herunter und raunte ihm etwas ins Ohr. Dabei ließ er seine listigen Augen, die immer in Bewegung waren, zwischen den Delinquenten wieselflink hin und her huschen. Torbkuk nickte gewichtig, und hob die Hand, gerade als der Henker das Schwert in Position brachte. Mit einem blechernen Knall ließ er es wieder schwer zu Boden fallen.
Torbuk trat einen Schritt vor, und stieß die beiden armen Teufel mit den Fuß an. Sie zuckten zusammen, als hätte sie ein Blitz getroffen. Wahrscheinlich dachten sie, der Tod hätte sie bereits berührt.
»Ihr da, steht gefälligst auf, wenn Torbuk mit euch spricht. Na, wird's bald, oder soll Hogar nachhelfen?« Hogar war offenbar der Riese mit dem Schwert. Die beiden rappelten sich gegeneinander gestützt hoch, und begriffen nur allmählich, dass sie um ein Haar dem Tod entronnen waren.
»Prinz Karek, mein Sohn hier, hat sich für euch lausiges, wertloses Pack verwendet. Er bittet um euer Leben, wenn ihr auf Treu und Glauben alles berichtet, was ihr im und um das Lager gesehen habt, am Tag als es von den Geistern angegriffen und vernichtet worden worden war.«
Die beiden vor Angst Zitternden wollten sogleich losplappern, und sich alles von der Seele reden, als Torbuk abermals die Hand hob, und sie verstummen ließ.
»Halt! So geht das nicht. Ich werde euch fragen, und ihr werdet einzeln antworten. Und antwortet ehrlich und nur das, was ihr selbst mit eigenen Augen gesehen habt, sonst ergeht es euch schlecht.« Dabei wies Trobuk mit der Hand auf Hogar, und führte dann die Handkante an seinem Hals vorbei. Ein unmissverständliches Zeichen dafür, was geschehen würde, sollten die beiden nicht kooperieren.
Torbuk setzte sich schwer auf eine der Bänke. Die Dinge, die darauf lagen, wischte er mit einer energischen Bewegung seines Armes einfach auf den Boden, dass es nur so rasselte und klapperte. Dann beugte er sich im Sitzen vor, und sah die beiden durchdringend an.
»Ihr habt berichtet, dass Dämonen das Lager auf Falméra angegriffen haben. Wie ist das vor sich gegangen? Erzählt, was genau geschehen war. Du, berichte mir von Anfang an.« Torbuk wies auf den etwas schlankeren Krieger, der ihm an intelligentesten schien.
»Das war so, Herr. Wir standen auf vorgeschobenem Posten vor dem Lager Wache. Es dämmerte bereits. Unsere Wachtposten lagen dreißig Zentaren auseinander, auf einem freien Streifen zwischen dem Lager und dem Wald, so dass wir gute Sicht zu beiden Seiten hin hatten. Um das Lager war zusätzlich ein Pferch gezogen.« Torbuk unterbrach ihn neugierig:
»War der Pferch so gebaut, dass er hätte Angreifer abhalten können?« fragte er. Der Krieger sah seinen Kameraden an, und als dieser den Kopf schüttelte, sagte er:
»Nein, Herr. Es waren eher dünne Baumstämme, die wir auf Pfosten befestigt hatten. Allein Palisaden hätten den Ansturm zum Halten bringen können, aber da es Dämonen waren, die...« Torbuk unterbrach ihn mit einer raschen Handbewegung, und sah zu Emtar hinüber.
»Nun, Emtar von Palagk, ich hatte wohl nicht ausdrücklich Palisaden gefordert, doch hatte ich euch nicht angewiesen, das Lager zu befestigen? Das scheint mir kaum eine Befestigung gewesen zu sein; was sagt ihr dazu?«
»Der Pferch war eine erste Abgrenzung, Herr«, rechtfertigte sich der Kommandant. »Diese sollte noch zu Palisaden ausgebaut werden. Zunächst aber musste ich ständig Spähtrupps aussenden, in unbekannte Sümpfe und Wälder, um festzustellen, welche Dörfer sich in der Nähe befanden, und ob Truppen Bentals in der Gegend waren. Mit dieser ersten Sicherung hatte ich alle, bis auf zwei Kohorten ständig im Einsatz. Die beiden verbliebenen Kohorten stellten die Lagerwache, sowie die Versorgung des Lagers«. Torbuk nickte und forschte weiter nach:
»Das Lager war also noch nicht fertig befestigt. Dennoch hattet ihr bereits Gefangene, junge Îval, nach Quaronas geschickt?« Er ließ diese Tatsache als Frage klingen.
»Ja Herr«, bestätigte Emtar, »zum einen, weil uns schon während der ersten Spähtrupps kleine Gruppen der Dorfbewohner in die Arme gelaufen waren, zum anderen, damit die Mannschaften der Wasserwagen beschäftigt waren, und sich nicht dem Müßiggang und dem Mestas hingeben konnten. Außerdem hielt ich es für angebracht, euch nicht nur Meldungen, sondern auch Gefangene zu schicken, damit ihr euch ein eigenes Bild von den Îval machen konntet, die bei einer Landung vorzuwinden sein würden«.
Erneut bestätigte Torbuk mit einem gewichtigen Kopfnicken, dass ihm die Argumentation einleuchtete. Wieder den beiden Kriegern zugewandt fragte er:
»Und was geschah dann? Was geschah, als ihr Wache standet?« Lauernd sah er den beiden in die Augen, die sich verlegen erst einmal selbst ansahen. Dann antwortete jener, der bereits berichtet hatte:
»Als erstes hörten wir seltsame Geräusche aus dem Wald«. Torbuk stand auf, und fuhr ungeduldig dazwischen:
»Was waren das für Geräusche? Drück dich gefälligst klarer aus, Mann!« Der Krieger wich erschrocken zurück, fand aber sogleich seine Fassung wieder, und fuhr detailliert fort:
»Zuerst erklang ein Klopfen, wie wenn jemand gegen den Rumpf eines Wasserwagen schlägt. Dann hörten wir plötzlich ein Heulen und ein lautes, kräftiges Rasseln, wie von Eishunden und riesigen Schaben gleichzeitig. Es klang, als ob die Wesen immer mehr wurden und immer näher kamen, denn man hörte es bald aus dem ganzen Wald, und es wurde rasch lauter.« Torbuk hörte aufmerksam zu, und war auf und ab gegangen. Nun blieb er stehen, und wollte wissen:
»Habt ihr die Wesen gesehen, diese Riesenschaben und Eishunde? Habt ihr überhaupt etwas gesehen, als die Laute im Wald begannen?« der Krieger schüttelte den Kopf.
»Nein Herr, bis zu dieser Zentare hatten wir nichts sehen können. Außerdem wurde es immer dunkler, im Lager brannten bereits die ersten Feuer. Das erste, das ich sehen konnte, war ein rotes Feuer, das im Wald direkt aus der Erde kam. Dann kam etwas weiter weg ein gelbes Feuer, dann ein blaues und grünes. Und dann kam aus dem Wald ein lebendiges Bäumchen. Es wuchs direkt vor meinem Kameraden, der neben mir Wache stand, aus dem Boden. Es wuchs aus dem Nichts, war mit einem Mal einfach da, und griff ihn an. Es waren Dämonen, Herr, denn es kamen plötzlich immer mehr aus dem Wald, als wären alle Bäume lebendig geworden.« Wieder unterbrach Torbuk ihn.
»Was glaubt ihr, woher das Feuer und die Dämonen kamen, die euch angegriffen hatten? Und habt ihr genau sehen können, dass sie aus der Erde kamen?« Torbuks Stimme klang mitfühlend, sanft und verständnisvoll, und erweckte bei den beiden Kriegern den Eindruck, dass er vollstes Verständnis für ihre Furcht vor dem Erlebten zeigte. Und so wurden sie redseliger denn je.
»Nein Herr, das vermochten wir nicht genau zu sehen, denn sie kamen ja aus dem Wald. Aber sie konnten doch nur aus den Klüften der tiefen Erde kommen, Herr. Wir waren oft auf Spähtrupp im Wald, und hatten nie irgend etwas besonderes dort gesehen. Und plötzlich kamen all diese Dämonenbäumchen aus den Feuern, sie quollen direkt daraus hervor.« Torbuk beendete den Redefluss des Mannes mit einem zweideutigen Aha. Emtar aber spürte, wie dem Herrscher langsam aber sicher die Geduld ausging. Wie zur Bestätigung kam etwas barscher aus Torbuks Munde:
»Und was war sonst noch?« Er blieb mit wippenden Füßen vor den beiden stehen, und man sah ihm seine Ungeduld direkt an. Nun antwortete der andere Krieger:
»Herr, es fielen Feuer vom Himmel. Als fing der Himmel an zu brennen, und die Sterne fielen auf die Erde. Feuer fiel auf das Lager, und alles begann zu brennen. Und dann fielen die Dämonen im Lager ein. Sie hieben jeden nieder, der sich ihnen in den Weg stellte. Wir konnten nur noch in die Sümpfe fliehen, Herr, sonst stünden wir nun nicht mehr vor euch.«
Der Herr von Quaronas stand wie stocksteif vor den beiden, die er verhört hatte, und sah sie mit starrem Blick an. Offenbar wusste er nicht so recht, wie er nun mit ihnen verfahren sollte. Hieb er ihnen in einer Laune die Köpfe ab, so würde er von den anderen kaum noch etwas erfahren. Ließ er sie laufen, so bestand die Gefahr, dass sie die gesamte Heerstadt mit ihrer Mär von den Dämonen verrückt machten. Er schüttelte wie angewidert den Kopf. Hatte er ein ganzes Heer voll solcher einfältiger, dummer Narren?
Für einen Moment verloren sich seine Gedanken. Er schritt wie abwesend auf und ab. Schon früher einmal ließen sich zwei seiner Kohorten von seltsamen Geschehnissen in die Flucht schlagen. Sechs oder sieben Zentaren war das her. Ein Trupp Elsirenjäger wurde von zwei Dämonen in einen Morast getrieben, und war darin elendig umgekommen. Ein anderes Mal marschierte ein Trupp über eine Sumpfbrücke, und wurde von einer schwarzen Dämonenwolke aufgerieben. War das alles nur der Phantasie seiner dummen Krieger entsprungen? Torbuk blieb vor dem Kohortenführer stehen. Vielleicht vermochten seine Beobachtungen Licht ins Dunkel bringen.
»Und ihr, was habt ihr zu berichten, was habt ihr gesehen?« versuchte Torbuk einigermaßen freundlich zu bleiben, obwohl ihm das immer schwerer fiel. Der Truppführer schien sich auf so eine Frage vorbereitet zu haben, denn er antwortete sogleich klar und besonnen.
»Herr, ich war mit einer Kohorte und einem Bogentrupp zur Sicherung des Lagers und zur Aufklärung des Hinterlands am Fluss unterwegs. Der Fluss führte an dieser Stelle Hochwasser, da es in den Bergen ein Unwetter gegeben hatte. Das Wasser stand so hoch, dass sich mehrere kleine Inseln gebildet hatten. So mussten wir nahe am Ufer entlangreiten. Plötzlich scheuchten wir eine Gruppe junger Îval auf, die mit ihrer ganzen Habe am Ufer lagerten. Zwei tollten im Wasser des Flusses herum, und zwei, die am Ufer saßen, versuchten in den Wald zu entkommen, wurden aber von unseren Bogenschützen sogleich geschnappt und ins Lager gebracht.«
»Ihr sagt, sie hatten ihre ganze Habe bei sich«, unterbrach ihn Torbuk neugierig, »sagt, wie meint ihr das? War an diesen Îval etwas anders, als an jenen, die euch zuvor in die Hände gefallen waren?« Der Mann überlegte kurz, dann erklärte er:
»Ja Herr. Diese schienen auf einer Wanderung zu sein, und es war mir zunächst gar nicht aufgefallen. Doch sie hatten bei ihren Waffen ziemlich neue, bemalte Schilde. Und da war mir etwas aufgefallen, Herr. Ein Schild zeigte nämlich das Wappen Bentals von Falméra. Und das andere, einfachere Schild trug ein Herz und ein Symbol von Talris. Da ihr nach Sonnenherz, die mit den Tieren spricht, und welche man auch Krähenmädchen nennt, und auch Areos suchen ließet, Herr, so glaubte ich, dass zwei der Überraschten diese beiden sein mochten.« Torbuk war augenblicklich hellwach. Ungeduldig fragte er:
»Und was geschah dann, hattet ihr die beiden einfangen, oder töten können?« Der Kohortenführer hob entschuldigend die Arme und zeigte seine Handflächen.
»Das kann ich nicht so genau sagen, Herr.« Wie eine zustoßende Giftschlange beugte sich Torbuk abrupt vor, und musterte jede Regung im Gesicht des Pferdesoldaten genau. Dann fuhr er ihn an:
»Was heißt das, ihr vermögt es nicht zu sagen? Drückt euch gefälligst klarer aus, Mann. Ihr müsst doch wissen, ob ihr die Leichen der beiden gesehen habt, oder nicht!« Verunsichert hob der Kohortenführer die Schultern, und berichtete weiter:
»Herr, wir hatte zwei gefangen, und zwei waren im Fluss, ziemlich in der Mitte, würde ich sagen. Ich wollte Sonnenherz und Areos unbedingt haben. Doch ich wusste nicht, wie sie aussehen, deshalb hatte ich es auf die beiden Îval im Fluss abgesehen, die anderen beiden waren ja unter Bewachung bereits auf dem Weg ins Lager.« Torbuk wurde ungeduldig.
»Ja, und? Was war weiter? Was habt ihr gesehen? Denn erwischt habt ihr sie ja wohl nicht, oder?« Der Befragte hob erneut seine Achseln, und antwortete:
»Das mag man so nicht sagen, Herr. Aus dem Wasser holen konnten wir die beiden ja schlecht, denn bevor die Männer die Rüstungen abgelegt hätten, wären sie ganz sicher verschwunden. Also ließ ich jedenfalls die Bogenschützen Aufstellung nehmen und Ziel erfassen. Doch jedes Mal, als wir schossen, tauchten die wie Fische im Wasser unter, und dann kamen sie irgendwann gar nicht mehr hoch. Ich hatte kein kein Blut gesehen, doch ich glaubte, unsere Pfeile hätten sie getroffen. Und dann...« Die Rede des Kohortenführers geriet ins Stocken. Zum ersten Mal in seinem Bericht, wusste er nicht wie er die Umstände erklären sollte.
»Was dann«, schnauzte Torbuk ihn an, »was habt ihr dann gesehen, was war dann?« Der Herrscher von Quaronas packte den Truppführer am Arm und schüttelte ihn so heftig, dass dieser beinahe umfiel. Nach einer Erklärung suchend, stammelte er unsicher weiter.
»Dort wo die, welche ich für Sonnenherz hielt, untergetaucht war, erhob sich plötzlich über dem Wasser eine wilde Schar Schwarzvögel. Die schossen wie Pfeile auf uns zu, die Pla-ka scheuten, und die Vögel griffen uns an. Wir vermochten uns ihrer nicht zu erwehren, denn es waren so viele, wie ich sie noch niemals zuvor beieinader gesehen hatte. Ihre Schnäbel fügten den Männern tiefe Wunden zu, bevor auch nur einer sein Schwert ziehen konnte. Sie waren einfach zu schnell, Herr. Es war Sonnenherz, das Krähenmädchen, Herr, sie hatte sich in die Schwarzvögel verwandelt, und nahm Rache an uns, weil wir sie angegriffen hatten.«
Torbuk wischte mit seinem Arm vor des Kohortenführers Gesicht durch die Luft, um ihn zum Schweigen zu bringen. Wenn diese Geschichte nach außen drang, wagte kaum einer mehr, gegen diese junge Hexe auszuziehen. In den Köpfen der schwarzen Reiter spann sich schon seit geraumer Zeit ein Netz von Gerüchten, wonach Sonnenherz eine mächtige Schamanin und Zauberin war, die sich in alles verwandeln konnte, was sie begehrte, und das flößte sogar den härtesten Kriegern Angst ein.
Torbuk konnte es nicht riskieren, dass ein Kohortenführer in seinem Heer umher lief, und diese Mären noch bestärkte. Er winkte die Wachen herbei und sagte mit beinahe ruhigem, bedachtem Ton:
»In den Kerker mit ihm, der Mann redet wirr, er kann nicht länger eine Kohorte meiner Heerstadt führen. Bringt ihn weg, aber schnell!«
Der Mann weitete seine Augen, schnappte nach Luft und wich zurück. Er wusste, was ihn in der finsteren Tiefe dieser nassen, dicken Mauern erwartete. Selten war einer aus den Kerkern Quaronas wieder hervorgekommen. Und wenn doch einmal einem diese Gnade zuteil geworden war, so hatte er seinen Verstand, oder einen Teil seiner Gliedmaßen eingebüßt. Von den Vollstreckern abgehauen oder vom Moder verfault; verstümmelt und vergrümmelt fürs Leben war so einer mehr tot als lebendig.
Aber es nützte ihm nichts. Links und rechts packten ihn die groben Pranken der Wachen und zerrten ihn aus dem Saal. Der einst so stolze Krieger tobte und schrie:
»Eine Hexe ist die, eine böse Zauberin, werdets schon sehen, auf euch alle fährt sie noch nieder, als Gor, oder als noch Schlimmeres, verfluchen wird sie euch, verhexen, die ist mit den Dämonen im Bunde, sie wird auch euch heimsuchen, Torbuk von...« Das Geschrei des Delinquenten brach abrupt ab, als die schwere Tür knallend ins Schloss fiel.
Den Herrn über die Ebene von der Küste bis zu den Tälern, und von den nördlichen Eisbergen bis zu den Grenzen der Oranutus ließ das völlig unberührt. Mit unbewegter Miene sagte er mehr für sich selbst, doch für alle hörbar:
»Das geschieht mit all denen, die vor irgendwelchen Ammenmären mehr Angst haben, als vor ihrem Gebieter, und davonlaufen.« Er wandte sich Emtar zu, sah ihm in die Augen und musterte ihn forschend.
»Glaubt ihr auch, dass es Dämonen aus der Erde waren, und Geisterbäumchen, die euch angegriffen hatten?« Emtar wusste, was ihm blühte, wenn er eine falsche Antwort gab. Er glaubte jedoch ohnehin nicht an die Existenz von dämonischen Baumkriegern. Er wusste es besser.
»Nein, Herr, solche Mären schrecken einen Heerführer nicht. Und es waren auch keine Dämonen, die uns angegriffen hatten. Es waren junge Kriegerinnen und Krieger, beinahe noch Kinder, ebensolche, wie wir gefangen genommen hatten. Sie hatten sich nur als Schreckensgestalten verkleidet.« Torbuk tat künstlich erstaunt, zog die buschigen Augenbrauen hoch.
»Aah, sieh mal an, Kinder, ja?« Er schob sein Gesicht dicht an Emtars Antlitz heran, als wollte er in seinen Kopf eindringen, um seine Gedanken besser lesen zu können.
»Dann habt die Güte, und erklärt mir mal, wie es sein kann, dass eine Schar Kinder ein komplettes Landungskommando in die Flucht schlagen konnte, ohne dass ihr vermocht habt, diese Niederlage aufzuhalten. Hattet ihr geschlafen, lagt ihr im Nebel des Mestas, oder habt ihr ganz einfach die Lage falsch eingeschätzt?«
Emtar spürte, dass Torbuk ihn herausfordern, und zu einer irrationalen Antwort verleiten wollte, die er ihm dann zum Verhängnis machen konnte. Er setzte alles Geschick auf eine Karte, und antwortete sehr direkt:
»Herr, ich muss zugeben, dass ich tatsächlich die Lage nicht richtig eingeschätzt hatte. Einer meiner Kohortenführer hatte mich darauf aufmerksam gemacht, dass im Wald etwas im Gange war. Da jedoch nichts zu sehen, und zu hören war, verspottete ich ihn als Angstwasel, und tat seine Bedenken als Aberglaube ab.«
Sichtlich überrascht glotzte Torbuk seinen Heerführer an. Er hatte alles erwartet. Eine phantastische Ausrede, die Bitte um Gnade, oder einfach nur Schweigen. Doch dieser Mann gab offen und dennoch mit einer stolzen Würde zu, dass er einen Fehler gemacht hatte. Emtar fühlte Torbuks Überraschung, nutzte die Gunst der Zentare, und fuhr unbeirrt fort:
»Die falsche Beurteilung der Gegebenheiten, Herr, gebe ich gerne zu, obgleich ich unverzüglich eine kleine Kohorte aussandte, um sich den Wald näher anzusehen, und mir dann zu berichten. Doch der Angriff erfolgte nur kurz darauf. Aber er hätte durchaus erfolgreich abgewehrt werden können.«
»Na da wird ja der Wasel im Topfe verrückt«, unterbrach ihn Torbuk halb belustigt. »Dann verratet mir doch mal, wie das?« rief er mit übertriebenem Erstaunen aus.
»Hätte ich das Dorf beobachten lassen, so wäre ein Überraschungsangriff kaum möglich gewesen«, gab Emtar offen zu.
»Doch kein Krieger hätte vermuten können, von den Kindern aus dem Dorf angegriffen zu werden. Deshalb hatte ich nur Kohorten in die Richtung nach Falméra ausgesandt, denn ich ging davon aus, dass allein von Bentals Truppen eine einzige Gefahr ausging. Aber da ist noch etwas.« Emtar machte eine kurze Gedankenpause, kurz genug, um Torbuk keine Gelegenheit zu geben, seine Rede abermals zu unterbrechen.
»Wären unsere Krieger nicht mit einem so tief verwurzelten Aberglauben behaftet, so hätte ich eine heillose Flucht verhindern, und den Angriff leicht zurückschlagen können. Doch mit einem Haufen kopfloser Robrums war in dieser Lage nichts mehr anzufangen. Außerdem glaube ich, dass die Kinder von Mehi-o-ratea von einem erfahrenen Kriegsherrn geführt wurden.« Torbuk horchte auf.
»Wie meint ihr das? Was wollt ihr damit sagen, von einem erfahrenen Kriegsherrn? Waren wir nicht davon ausgegangen, dass es sich bei dem Dorf um einen Haufen wehrloser, ihrer Eltern abtrünniger Kinder handelt, die leicht einzufangen waren?«
Nun wusste Emtar, dass er die richtige Strategie verfolgte, um seinen Hals aus der Schlinge zu ziehen, die Torbuk in den Händen hielt. Er brachte auf den Tisch, was sein Herr nicht hören wollte, das er aber ebenso wenig leugnen konnte.
»Herr, die Art, wie sie angegriffen hatten, zielstrebig, nach Plan, genau aufeinander abgestimmt. Dann der zeitlich genau dazu passende Feuerzauber, die Brandpfeile, und zuletzt die Verkleidungen als Dämonenbäumchen und die Einleitung des Angriffs mit den seltsamen Geräuschen. Nur ein großer Krieger, oder eine legendäre Kriegerin ist in der Lage, solch einen Plan, der unsere Schwächen genau ausnutzte, zu erdenken, und durchzuführen.«
Bewusst nannte Emtar eine legendäre Kriegerin, denn er wollte Torbuks Gedanken in eine bestimmte Richtung lenken. Er hatte damit Erfolg. Torbuk kniff die Augen zusammen, fixierte seinen Heerführer und fragte forschend:
»Ihr denkt an einen bestimmten Krieger, und eine bestimmte Kriegerin, die in diesen Zentaren in aller Munde sind?« Emtar nickte geheimnisvoll.
»Ja Herr. Oder findet ihr es nicht sonderbar, dass Sonnenherz, die Krähenfrau und Areos genau in diesen Zentaren von einem Kohortenführer gesehen wurden? Sie hätten die Fähigkeit, so einen eigenwilligen Schlachtplan auszuhecken.«
»Angeblich wurden sie gesehen«, verbesserte Torbuk vorsichtig, »angeblich, und noch dazu von einem Kohortenführer, der nicht ganz bei Verstand ist.« Der mächtige, so selbstsichere Herrscher Quaronas wurde unsicher. Emtar nutzte das nun endgültig aus.
»Herr, und wenn sie es nun doch waren? Sie sind jung, und Mehi-o-ratea übt einen Reiz auf alle jungen Leute Falméras aus. Außerdem ist diese Krähenfrau, die mit den Tieren spricht, bekannt für ihre hexerischen Fähigkeiten. Das alles lässt sich zusammenfügen. Auch wenn es uns nicht gefällt, Herr, so müssen wir uns doch damit vertraut machen, dass gerade diese beiden uns zwischen die Beine gespuckt haben.«
Torbuk nickte nachdenklich, dann sah er von Emtar kurz zu den beiden Frauen hin, die geduldig auf ihre Standrügen warteten. Er sah wieder Emtar an und sagte:
»Möglicherweise habt ihr recht, Emtar von Palagk. Wartet und hört zu, was Medunzia, die Drachenreiterin zu berichten hat. Dann werdet ihr verstehen, was ich vermute.« Damit schritt er vor die beiden Frauen hin, und musterte sie ebenso einschätzend, wie zuvor Emtar und die anderen Krieger.
»Nun, Medunzia, was habt ihr zu berichten?« begann er. »Wo habt ihr die mit den Tieren spricht gefangen, und zu eurem Ungeschick leider wieder laufen lassen?« Medunzia und Eisilia von Kandar traten verunsichert von einem Bein auf das andere.
»Wir hatten sie im Karstwald südlich von Mehi-o-ratea gefangen. Leider übergab ich sie zwei Kriegern von Emtars Leuten, die zu dumm waren, sie zum Gorplatz zu bringen. Sie hatten sich überlisten und überrumpeln lassen, und sie entwischte ihnen. Dann hatte sie und Areos beinahe unser Gor erwischt, doch sie konnten sich in eine enge Höhle retten, das war am Küstenhang westlich vom Dorf. Zuletzt hatten wir sie und ihre Vertraute auf den Sumpfweiden zum See hin umzingelt. Doch die beiden erhielten Hilfe von Areos und seinem Gefolge. Die Übermacht war einfach zu stark für unsere Leute.« Torbuk nickte bedeutsam, und zischte in verhaltenem Zorn:
»Danke, genug von eurer Unfähigkeit. Zu euren Misserfolgen kommen wir gleich noch.« Wieder Emtar zugewandt, sprach er nun wesentlich entspannter:
»Seht ihr, diese kleine Mistschlange treibt sich bereits seit längerem in der Gegend des Dorfes herum. Und anscheinend ist dort, wo die sich aufhält auch Areos nicht weit.« Torbuk dachte kurz nach, bevor er in schärferem Ton nachsetzte:
»Hattet ihr gewusst, dass einige eurer Krieger Medunzia geholfen hatten, die Hexe zu fangen? Habt ihr überhaupt bemerkt, dass euch Krieger fehlten?« Emtar spürte wieder die deutliche Lauerstellung Torbuks, der offenbar immer noch versuchte, ihm etwas anzuhängen. Doch er antwortete frei und rund heraus:
»Ja Herr, bei jedem Auftrag im Land des Gegners gibt es Verluste. Meine Kohortenführer meldeten mir einige Verluste. Tatsächlich ist dies keineswegs etwas Ungewöhnliches. Leute setzen sich von ihrer Kohorte ab, um sich eine Îval zum Vergnügen zu schnappen, oder um überzulaufen. Manche werden von giftigen Sis-tà-wàn angegriffen, und bevor wir sie finden, haben die Tiere sie aufgefressen. Es kommt sogar vor, dass einer in einem Morast versinkt, auf nimmer Wiedersehen.« Der Kommandant hob entschuldigend die Schultern.
»Was soll ich da machen, Herr? Dies geschieht ständig. Wollte ich jedesmal wegen einer solchen Sache eine Kohorte binden, um diese Trottel suchen zu lassen, so könnte ich keinen Plan mehr ausführen. Solche Verluste muss ein Kriegskommandant einplanen und verkraften können.«
Torbuk nickte abermals. Er gab sich mit dieser Antwort zufrieden, obwohl er kurz davor war, die Beherrschung zu verlieren. Aber was wollte er machen? Im Grunde musste er zugeben, dass er einen sehr fähigen Heerführer vor sich hatte, der nicht anders handelte, als Torbuk selbst es getan hätte. Dennoch ärgerte ihn maßlos, dass Sonnenherz und Areos offenbar einige Male in der Gewalt seiner Leute gewesen waren, oder zumindest kurz davor, und es dennoch nicht gelungen war, ihrer habhaft zu werden. In seinem Unmut wandte er sich wieder den beiden Frauen zu.
»Und was habt ihr getan? Was habt ihr angestellt, dass diese beiden immer noch durch die Gegend streifen, und meine Männer dezimieren, und meine Pläne durchkreuzen, wo es ihnen einfällt?« Medunzia trat mutig einen Schritt vor und versuchte zu erklären:
»Herr, es war nicht unsere Schuld. Die hatten einfach nur Glück. Und dann halfen ihnen noch die Windreiter, sonst wäre Sonnenherz und ihre Vertraute längst im Reich der Toten.«
»Die Windreiter?« Torbuk kniff wieder die Augen zusammen, und taxierte die Spionin mit seinem scharfen Blick. Lauernd fragte er:
»Seit wann treiben denn die auf Falméra ihr Unwesen? Nicht genug damit, dass sie meinen Leuten in den Tälern ordentlich zusetzen. Ratten sind das, ganz gemeine, hinterhältige Ratten, die aus ihren Löchern gekrochen kommen, angreifen, und sich dann wieder feige in die Dunkelheit zurückziehen. Wieso sollte diese Bande auf einem Mal auf der Insel Falméra auftauchen, sagt mir das?« Medunzia hob ihre Schultern, um ihre Ahnungslosigkeit zu bekunden, sagte dann aber:
»Herr, soweit wir das zu sehen vermochten, haben einige von ihnen eine Geliebte in Mehi-o-ratea.« Torbuk wirkte einen Augenblick lang nachdenklich, und fragte dann:
»Wenn ihr das wisst, warum hattet ihr diese Geliebten nicht einkassiert? Es wäre doch ein leichtes gewesen, zwei von den Îval- Weibern gefangen zu nehmen, oder?« Medunzia verteidigte sich:
»Mit euren Kohorten zur Unterstützung, wäre Vieles leichter gewesen, Herr. Doch leider sind die, wie ihr ja wisst, vor ein par Kindern halsüberkopf in die Sümpfe geflüchtet, wo sie von den Wasserwagen aufgelesen wurden.«
Torbuk winkte ab, und es schien, als wollte er sich nicht mehr auf weitere Dialoge einlassen. Er war der Erklärungen für offensichtliches Versagen allmählich überdrüssig. Doch dann herrschte er die beiden Frauen an:
»Das hat gar nichts mit Emtar und seinen Leuten zu tun. Ihr braucht gar nicht die Kohorten vorzuschieben. Ihr wart allein verantwortlich unterwegs. Das habt ihr von Anfang an gewusst, und wart damit einverstanden. Soll ich euch daran erinnern, was ihr von mir für eure Dienste gefordert habt?«
Er schnipste mit den Fingern, und sogleich kam ein Diener mit einer Pergamentrolle aus der Dunkelheit gestürzt, verbeugte sich, und übergab Torbuk in übertriebener Manier das Schriftstück. Mit einer heftigen, energischen Handbewegung ließ der Herrscher das Dokument aufrollen und zitierte:
»Dreißig Schlachtziegen und Hammel für den gefräßigen Gor. Drei Beutel Quarts aus den Tränen der Götter, um Helfer zu entlohnen. Ein Wasserwagen und ein Fährmann in ständiger Bereitschaft. Vierzig Zentaren Seile. Rüstzeug für euch und den Gor. Verpflegung für euch...« Torbuk blickte verständnislos auf.
»Obwohl ihr und euresgleichen Helfer euch in Bentals Küche sicherlich mehr als gütlich durchgefressen habt, nicht wahr?« fügte er drohend hinzu. Dann fuhr er im gleichen Ton fort:
»Drei Pla-ka, einen für euch selbst, zwei für verbündete Oranuti Fürsten, die euch zur Hand gehen sollten. Sechs Fässer, drei Zentaren hoch.« Torbuk zog fragend die Augenbrauen hoch.
»Als unauffälliges Versteck für die Seile und Waffen, Herr«, verteidigte sie ihren überzogenen Etat. Torbuk hörte kaum hin, hielt statt dessen vor ihrer Nase mahnend die Liste hoch.
»Und so geht das weiter und weiter, und so weiter, drei Rollen lang. Und was ist dabei herausgekommen? Nun?« setzte er nach, als Medunzia nicht gleich antwortete.
»Ich will es euch sagen. Nichts. Gar nichts! Ihr habt die Gesuchten weder gefangen genommen, noch beseitigt. Sie spatzieren noch immer fröhlich und unbeschadet auf der Insel herum, und mögen inzwischen wer weiß wo sein.« Medunzia wollte soeben zu ihrer Verteidigung ansetzen, als Torbuk gebieterisch die Hand hob.
»Schluss jetzt. Ich will nichts mehr hören. Geredet habt ihr alle schon genug. Ihr werdet Taten folgen lassen, oder es ergeht euch schlecht.«
Damit wandte er sich ab, und zog sich hinter die Barriere aus Steinbänken zurück. Karek, der bis dahin eher desinteressiert am Eigentum der Vorgeladenen herumgespielt hatte, folgte ihm wie ein Hündchen, das sich einen Knochen erhoffte.
Mit einer kurzen Handbewegung winkte Torbuk seine Berater heran, die im Schatten der Säulen gewartet hatten, und nun dienstbeflissen heranhuschten. Nach einem kurzen Austausch verschwanden die Vertrauten wieder und Torbuk trat gewichtig vor die Wartenden. Karek trat neben ihm von einem Fuß auf den anderen, ungeduldig wie ein Kind, das auf ein aufregendes Ereignis wartete.
»Hört zu, und hört sehr gut zu«, begann er bestimmt, »was ich euch sage, sage ich nicht zweimal. Ihr, Emtar von Palack, werdet nicht länger im Heerlager bleiben.« Torbuk ließ eine deutliche Pause eintreten, und die Verkündung dieser Botschaft traf Emtar mit voller Wucht. Er glaubte, nun zu einem gemeinen Reiter degradiert zu sein, und Torbuk ergötzte sich eine Weile am fassungslosen Gesicht seines Heerführers, bis er fortfuhr:
»Ihr werdet statt dessen mit euren Kohorten und eurem Tross an die Küste bei Zarollon ziehen. Ihr werdet dort, den genauen Ort erfahrt ihr noch, in Stellung bleiben, und die Wasserwagen beobachten und kontrollieren, die anlegen. Außerdem werdet ihr Spähtrupps entlang der Küstenlinie aussenden, und das nahe Küstenland überwachen. Ihr meldet mir jeden ungewöhnlichen Vorfall. Ihr geht sofort, wenn ihr den Befehl von meinen Beratern erhalten habt.«
Torbuk wandte sich nun den beiden Frauen zu, und würdigte Emtar keines Blickes mehr. Er sah nicht einmal mehr, wie Emtar sich bis zu seinen Zehenspitzen verbeugte, und zwei Schritte zurücktrat. Er bedachte die beiden Frauen mit stechendem Blick, und seine Augen blieben an Eisilia hängen.
»Ihr seid eine junge, kräftige Frau«, stellte er mehr für sich fest, »und gut aussehend noch dazu.« Dann wurde er rücksichtsloser und direkter.
»Ihr seht mir so aus, als vermögt ihr gesunde, kräftige Kinder zu gebären. Und ihr scheint überdies noch klug zu sein. Los dreht euch mal um« Eisilia von Kandar sah ihn verständnislos an. Sie gaffte ihn an, und regte sich nicht.
»Dreht euch mal, los, dreht euch um euch selbst«, wiederholte Torbuk. Er machte aus dem Gelenk heraus in der Luft eine Drehung mit der Hand, um seiner Forderung Nachdruck zu verleihen.
Zögernd begann Eisilia sich zu drehen, aber sie fühlte sich nicht wohl in ihrer Haut. War sie schon mit beklemmendem Gefühl im Bauch Medunzia zu dieser Vorladung gefolgt, so fühlte sie sich nun wie Schlachtvieh bei der Begutachtung vor einem Dorffest.
»Gut, gut, soweit.« Torbuk wedelte mit der Hand, und das Mädchen wusste nun erst recht nicht mehr, ob sie sich nun weiterdrehen, oder sich ihm wieder zuwenden sollte. Ihre trotzige Art brach durch, und sie blieb einfach stehen. Ob es das war, das Torbuk an ihr reizte, oder einfach nur ihr Aussehen, war unklar. Der ungekrönte Herrscher machte ihr jedoch ein eindeutiges Angebot:
»Die Umstände sind mir ein großes Unbehagen, und eigentlich hatte ich vor, euch alle in den Kerker werfen zu lassen. Sei's drum. Ich bin dennoch guter Dinge. Und euch, holde Maid, biete ich in dieser Zentare ein Königreich. Seid mir treu ergeben, schenkt mir ein par Söhne, und seid mir auch sonst mit euren Vorzügen gefällig, so will ich euch ehren, wie eine Königin.«
Eisilia blickte den alten, kleinen Mann verdutzt und erschrocken gleichermaßen an, und war noch in der gleichen Zentare froh darüber, dass sie nicht ihren freizügigen Waffenrock und den traditionellen Ra-li der Îval trug. Dies hätte Torbuks Phantasie nur noch mehr beflügelt. Sie war Medunzia dankbar, die ihr geraten hatte, ein schlichtes, weißes und grobes Kleid der Wäscherinnen zu tragen.
Doch gerade Medunzia war es, die das Mädchen nun heimlich mit dem Ellenbogen anknuffte, und ihr verheißungsvolle Blicke zuwarf. Sag Ja, und du bist alle deine Sorgen los, dann bist du die erste Frau in einem großen Machtgebiet, vielleicht sogar eines Tages die Königin über ganz Volossoda. Öffne ihm nur deinen Schoß, und du hast ausgesorgt!
Genau das konnte sie in Medunzias Augen lesen. Dass die alte Dienerin von Bentals Hof damit auch ihre eigenen Interessen verfolgte, war ihr nur zu klar. Dagegen war Eisilia selbst keineswegs abgeneigt, sich für ihr Fortkommen, und für ihr Machtstreben an einen Mann zu verkaufen. Allein jedoch der Gedanke, dass dieser alte, verschrumpelte, borstige und wiederliche Kauz sich an ihrem glatten, jungen Körper verging, trieb ihr das Würgen in den Hals, und den Druck in den Basuch. In panischer Angst suchte sie nach einer Ausflucht aus dieser Situation.
»Herr, ihr seid viel zu gütig zu einer unwürdigen Dienerin«, schmeichelte sie gekonnt, »und ich wäre glücklich, auch eurem Herzen dienen zu dürfen. Doch muss ich euch gestehen, dass ich mit einem kräftigen Krieger lange das Lager teilte, und doch keine Frucht in meinem Leibe keimte.« Eisilia log, dass sich die mächtigen Deckenbalken der Burg durchbogen. Dazu besaß sie das schauspielerische Talent, die betrübteste Miene aller Zentaren aufzusetzen.
»Ich würde euch nur Schande bringen, denn eine alte Heilerin weissagte, dass ich niemals würde Kinder gebären können, wer immer auch mit mir das Lager teilte. Ich bin eine fruchtlose Maid, mein Herr. Daher diene ich euch so gut ich vermag als Kriegerin.«
Medunzia sah verstohlen, aber überrascht und vorwurfsvoll zu ihr hinüber, sehr darauf bedacht, dass Torbuk ihre Blicke nicht wahrnehmen konnte. Sie sah nur eine große Chance für die beiden Frauen vergehen. Für sie wäre es eine willkommene Gelegenheit gewesen, sich für ein Leben im Wohlstand zu opfern, und diesem wilden, stiernackigen Despoten Kinder zu schenken.
Karek indes, bei Torbuks Forderung an Eisilia deutlich blasser geworden, erlangte seine Gesichtsfarbe zurück, und tänzelte erleichtert um seinen Vater herum. Torbuk musterte das blonde Mädchen noch eine Weile, dann sprach er:
»So sei es denn. Die Götter haben euch wohl mit anderen Vorzügen gesegnet, nicht wahr? Nun, dann will ich euch folgendes sagen.«
Dass sein Wunsch und sein Begehren nicht in Erfüllung gehen konnte, machte ihm plötzlich wieder bewusst, dass die beiden Frauen wegen ihrer Unfähigkeit vor ihm standen. Seine Laune fiel abrupt ins Bodenlose. Doch nicht an den beiden Frauen ließ er seinen Frust aus. Mit vor Zorn gerötetem Gesicht wandte er sich unverhofft Karek zu, der immer noch in kindlicher Manier neben dem Mächtigen herumschwänzelte.
»Wirst du wohl bald etwas Nützliches tun, du unsäglicher mein Spross, der du bist? Mit der Strafe der Götter bin ich durch dich geschlagen. Deine Mutter war eine Frau, die wusste, was sie wollte. Ich frage mich, wieso du so aus der Art geschlagen bist, bei den Göttern noch mal. Tu hier nicht den Narren, wenn ich spreche, mache etwas, bringe Emtar von Palagk seine Waffen und sein Zeug!«
Wie ein geprügelter Hund gehorchte Karek, und tat, was normalerweise die Diener zu tu pflegten. Er lud sich Emtars Waffen und Rüstzeug auf die Arme und legte die Dinge übertrieben vorsichtig dem Heerführer zu Füßen ab. Emtar legte sich seine Waffen um, wagte aber nicht, den Saal zu verlassen, ohne dazu von Torbzk aufgefordert worden zu sein.
Der Herr von Quaronas indes knüpfte an seine Vorankündigung den Frauen gegenüber an. Und er ließ keinen Zweifel darüber aufkommen, dass er meinte, was er sagte.
»Ich gebe euch Gelegenheit, eure Fehler wieder gut zu machen. Wie ihr das anstellt, ist mir gleich, doch seht zu, dass ihr Sonnenherz und Areos zur Strecke bringt. Nehmt sie gefangen, schickt sie in das Reich der Toten, oder sorgt einfach dafür, dass sie nie wieder im Lande auftauchen. Aber schafft mir die beiden vom Hals, je eher, desto besser!« Er beugte sich zu den beiden Frauen vor, und fügte leise hinzu:
»Ihr könnt euch so vieler meiner Männer bedienen, wie es euch beliebt, ihr dürft sie euch sogar auswählen. Doch kommt mir nicht nochmal mit einem ungenügenden Ergebnis. Besser ihr tretet mir erst wieder unter die Augen, wenn ihr Erfolg hattet, sonst wird es euch schlecht ergehen.«
Abschließend baute Torbuk sich vor den beiden Kriegern auf, die heimlich darauf gehofft hatten, dass der dunkle Fürst sie einfach vergessen hatte.
»Und ihr?« Er ließ eine kleine Pause wirken, um die einfältigen Männer vollends zu demoralisieren. »Ihr werdet euch von Emtar von Palagk erklären lassen, was möglich ist, und was nicht. Und fallt mir nicht noch einmal auf so einen billigen Trick von Kindern herein, das sage ich euch, oder ich lasse euch auf ewig in meinem Kerker verrotten.« Torbuk drehte sich zuletzt zu allen herum, und verkündete knapp:
»Nehmt eure Waffen und euer Gescherre, und verschwindet aus meinem Blick. Sehe ich euch nochmal hier stehen, so steht ihr ohne Haupt!«
Das war deutlich. Torbuk wandte sich so abrupt ab, dass sein Fellumhang wie ein Fahnenbanner durch die Luft wirbelte. Dann war er im Schatten zwischen den mächtigen Steinsäulen verschwunden. Karek huschte wie ein an ihm haftender Schatten hinterher. Die Gemaßregelten hörten nur noch eine große Tür ins Schloss fallen, und wie ein Riegel bewegt wurde. Ein Diener führte die Gruppe durch Gänge und zugige Höfe zurück zum Tor.
Niemand sprach. Alle schwiegen, und nicht ein einziges Wort fiel. Vor dem Tor, im Schein der Fackeln, die nun als einzige Lichtquellen das Dunkel durchbrachen, huschten Medunzia und Eisilia von Kandar in eine Seitengasse, und waren verschwunden. Die beiden Pferdesoldaten sahen Emtar erwartungsvoll an. Emtar nickte ihnen zu, was soviel bedeutete, wie, geht schon, macht, dass ihr fortkommt!
Unentschlossen stand der Kommandant eines ganzen Heeres allein in der Dunkelheit, im Sprühregen, der seinen Umhang durchnässte, im diffusen Licht der Fackeln, und der Laternen an den Hauswänden, die sich quietschend im Wind bewegten, und ihren müden Schein mal hierhin, mal dorthin warfen.
Emtar setzte sich in Bewegung. Erst zögerlich, dann etwas sicherer, schließlich entschlossen, und mit neuem Elan. Allmählich sickerte ihm durch den Kopf, wie glimpflich die Sache für ihn abgelaufen war. Gut, er war nicht mehr Kommandant der aktiven Kampftruppe. Aber was machte das schon? Ebensogut hätte er im Kerker landen können. Ein falsches Wort, das Torbuk missfallen hätte, und er hätte seinem Kohortenführer in ein Dasein zwischen dunklen, schimmeligen und nassen Wänden folgen können.
Statt dessen sollte er Posten an der Küste beziehen, wo sowieso nichts los war. Das Aufregendste dort waren die Wellen, die sich wild und Gischt sprühend an den Felsen vor dem Strand brachen. Er würde dort einige ruhige Zentaren verbringen, bei vollen Bezügen. Was wollte er mehr?
Mochten sich die anderen Heerlager Kommandanten ruhig von den Windreitern die Schädel einschlagen lassen. Sollten die sich ruhig in Eis und Schnee und in erbarmungsloser Kälte in den Tälern heumtreiben! Er würde sich mit seinen Männern irgendwo in Küstennnähe in einem Dorf einquartieren und es sich gut gehen lassen. Ein oder zwei Spähtrupps am Tag, den Strand hinauf und hinab, das war keine große Sache.
Plötzlich konnte er es kaum noch abwarten, die Befehle zu bekommen, und mit seinen Kohorten aufzubrechen. Nur weit weg von der Burg und von Quaronas. Ein letztes Mal blickte er zurück. Düster und drohend ragte die Trutzburg wie ein böser Schatten über den Dächern Quaronas empor, und wie ein teuflisches Omen zogen fliehende Wolken darüber hinweg, die in Intervallen den Mond verdunkelten.
Emtar blickte nun nach vorn, in eine ruhigere Zukunft. Mochte Torbuk in den Tälern und auf Falméra seinen Krieg führen, er würde weitab davon in Ruhe seinen Dienst versehen, und von alle dem nichts mehr mitbekommen.
  Wichtiger Hinweis: Die Texte des Autors Frank Adlung, insbesondere die des Romans "Das Geheimnis von Val Mentiér", sind durch notarielle Hinterlegung urheberrechtlich geschützt. Ein Herunterladen und Ausdrucken ist nur für den privaten Zweck des Lesens gestattet. Kommerzielle Nutzung, öffentlicher Vortrag, oder Vervielfältigung und Verfälschung des Inhalts, sowie öffentliche Verbreitung ohne Genehmigung des Autors sind untersagt und werden zur Anzeige gebracht.
 
 
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