Das Geheimnis von Val Mentiér
 
42. Kapitel
 
Prophezeiungen und allerlei Vermutungen
 
ie ein wildes Tier schritt Torbuk vor seinem Thron ungeduldig auf und ab. Und mit seiner bulligen Gestalt und seinem bis zu den Füßen reichenden, langhaarigen Fellumhang sah er auch genauso aus. Man mochte meinen, dass der gedrungene Mann über den langen Pelz stolpern sollte, doch sein bösartiger Sinn setzte so viel Energie frei, dass er in einer Geschwindigkeit herumlief, die den Mantel derart aufblähte, und hinter dem Gehetzten her wehte, dass er kaum gegen seine kurzen, dicken Waden schlug.
Fackeln waren in Halterungen zu je drei Stück rund um den Thron, und hinter den Quadersteinen aufgestellt, die den Thronbereich vom übrigen Raum des Saales abtrennte. Bei gewöhnlichen Audienzen blieben die Besucher und Bittsteller vor den mächtigen, behauenen Steinen stehen. Die Wachen, die menschlichen Fleischbergen ähnelten, sorgten mit ihrer bloßen Anwesenheit dafür.
Das unregelmäßig zuckende Licht ließ die Szene noch unheimlicher erscheinen, und es schien, dass Torbuk genau das beabsichtigte, denn der Rest des Saales, der noch zwei Drittel des gesamten Raumes ausmachte, lag im Dunkel. Wer vor den Quadern stand, wurde von den Reihen Fackeln geblendet, sodass er den Herrscher nur als Silhouette wahrnehmen konnte, während dieser selbst die Wartenden sehr genau beobachten konnte, da sie dicht vor dem flackernden Licht standen.
Die Sonne war gerade hinter den Bergen im Westen versunken. Mit warmgelbem Schein hatte sie sich verabschiedet. Das goldene Licht, dass sich für eine halbe Stunde durch die hohen, schmalen Fenster in den Thronsaal geschlichen hatte, mochte jeden darüber hinweg getäuscht haben, dass draußen tiefster Winter herrschte.
Ein so großer Saal war nicht leicht zu beheizen. Umso weniger wunderte es, dass der selbst ernannte König von Quaronas in einem Umhang umher lief, der an einen zu klein geratenen Xebron erinnerte. Der dicke Pelz und die Bewegung mochten ihn genügend warm halten.
Im ganzen Saal verteilt standen riesige, gusseiserne Schalen auf dreibeinigen Untersätzen, ebenfalls aus Eisen. In den Schalen glommen Holzscheite und Bein dicke Torfziegel, die mit Lehm versetzt waren, damit sie nicht allzu schnell ausglühten, mit rotem Schimmer vor sich hin. Öffnete sich eine der größen Türen, und kam ein Luftzug durch den großen, Säulen gestützten Raum gefahren, so flammte die Glut kurz auf, sprühte Funken, um sich dann sofort wieder zu beruhigen. Sah man längere Zeit in diese Glut, so meinte man, dass sie lebte. Wie ein teuflischer Atem leuchtete sie in regelmäßigen Intervallen auf, und wurde heller und wieder dunkler. Doch sie verbreitete im Saal eine mäßige Wärme, und einen angenehmen Duft.
Am Rande der fächerförmig nach unten hin sich ausbreitenden sieben Stufen des Throns zu dessen beiden Seiten ein Wachmann stumm und starr, ohne sich zu rühren auf der Stelle stand, lümmelte lustlos und gelangweilt eine Gestalt, und spielte abwechselnd mit den Enden seiner Rockzipfel und einem reich mit Geschmeide verzierten Dolch. Karek schien die Anspannung seines Vaters nicht zu teilen. Vermutlich teilte er überhaupt nichts von dem, was Torbuk zueigen war.
Mit einem lauten Klirren fiel ihm der Dolch aus der Hand und landete auf dem harten Steinboden. Das metallische Geräusch wurde vielfältig von den Steinwänden zurückgeworfen, obwohl diese mit Tüchern, Fahnen und Wappen behängt waren.
Torbuk hielt in seinem Schritt inne, sah mit verächtlicher Miene zu seinem Sohn, und wollte sich wieder seinem Auf und Ab widmen. Doch dann drehte er sich vollends zu seinem Spross um und bedachte ihn mit strafendem Blick.
»Sitz da nicht herum. Tu etwas! Kämst du nur ein Stück weit nach mir, so wären wir nicht in dieser Lage.« Karek hob den Dolch auf, um ihn durch seine ungeschickte Hand gleich wieder fallen zu lassen. Torbuk, der sich bereits wieder abgewand hatte, wirbelte bei dem erneuten Scheppern wild herum.
»Was ist?« schnauzte er den passiv Dasitzenden an, »wird's bald? Los, geh, sieh nach, wo sie bleiben, ich habe nicht den ganzen Abend Zeit!« Karek rührte sich nicht vom Fleck, und zeichnete mit der Dolchspitze unsichtbare Zeichen auf die Steinstufen des Throns. Anscheinen war er sich unschlüssig darüber, ob er der Aufforderung seines Vaters Folge leisten sollte, oder nicht. Um die Situation hinauszuzögern fragte er gelangweilt:
»Jetzt gleich?« Die Frage klang, als erwartete er gar keine Antwort. Torbuk sprang mit einem Satz unverhofft auf ihn zu und blaffte ihn an:
»Nein, im nächsten Mond!« Seine kleinen listigen Augen blitzten den scheinbar Unbeteiligten böse an. Spätestens in diesem Augenblick hätte Karek die Ernsthaftigkeit der Worte nicht mehr in Zweifel ziehen sollen. Dann bellte Torbuk in gefährlicher Deutlichkeit:
»Natürlich jetzt gleich! Auf der Stelle, und zwar lebhaft, wenn ich bitten darf! Und lass dir nicht einfallen, ohne sie zurückzukommen, oder du bekommst meine Knute zu spüren, du unsägliche, missratene Brut, du!«
Nun war die Forderung auch für Karek unmissverständlich genug. Wie ein geprügelter Hund schreckte er hoch, kam erstaunlich geschickt auf die Füße, und sprang eilig davon. Die riesigen, hässlichen Hunde, die Torbuk zu jeder Audienz mit in den Thronsaal nahm, um Bittsteller einzuschüchtern, sprangen erschrocken auf und standen lauernd da, als erwarteten sie Torbuks Befehl, über jemanden herzufallen.
Doch Torbuk war nicht in der Stimmung, sich auch noch um die Hunde zu kümmern. Er wankte plötzlich wie erschöpft auf seinen Thron zu, und ließ sich in den für seine Gestalt viel zu großen Sitz fallen.
»Hat man so etwas schon gehört«, schimpfte er grollend, »fragt, ob jetzt gleich! Als wäre ich irgendein Popanz, ein Nichts. Warum haben mich die Götter mit so einem hirnlosen Bauernlümmel gestraft? Verprügeln sollte ich ihn, genau wie seine Mutter, die ihn so verzogen hat!«
Torbuk von Quaronas setzte seine Tiraden noch eine Weile fort, als sprach er zu einem unsichtbaren Zuhörer. Wenn er seinen Unmut den beiden Wachen anvertraute, dann zeigten sie das nicht. Unbeeindruckt, und unbeteiligt, mit starrem Blick geradeaus, standen die beiden hünenhaften Männer links und rechts des Throns, hatten ihre riesigen, fleischigen Pranken ruhig und locker auf den Griff einer schweren, krummen Waffe gelegt, die weder Säbel noch Machete war. Das über einen Meter lange, krumme und breite Schwert hatte etwas von beidem, und ruhte mit seiner Spitze vor den Füßen der Männer auf dem Boden.
Einem Betrachter konnten jedoch keine Zweifel darüber entstehen, dass diese Waffe trotz ihres offensichtlichen Gewichts blitzschnell ein Haupt von seinem Torso zu trennen vermochte. Und die beiden Wachmänner ließen ebenso wenig Zweifel darüber aufkommen, dass sie jederzeit bereit waren, eine solche Tat auf Befehl unverzüglich auszuführen.
Ihre riesenhaften, wohl genährten Körper spiegelten sich in ihren feisten Gesichtern wider. Mit ihren rasierten Köpfen, wie Melonen, ihren Kartoffelnasen, und den eng stehenden, kleinen Augen, die beide besaßen, mochte man sie leicht für Brüder halten, wenn nicht gar für Zwillinge. Auffallend waren ihre kleinen Ohren, die auf den ersten Blick wie verstümmelt anmuteten. Doch irgendwie passten sie zu dem gesamten Erscheinungsbild der beiden. Die Götter mussten bei ihrer Erschaffung eine zu groß geratene Bulldogge als Vorlage verwendet haben.
Ihre Oberkörper waren in eine grobe, dicke Lederweste gehüllt, die von gekreuzten, breiten Gurten über der Brust zusammengehalten wurde. Allein dieses Kleiderstück, aus dem Arme wie Baumstämme ragten, musste einem ausgewachsenen Ochsen die Haut gekostet haben. Manschetten aus gleichem Material hatten sie sich um die Unterarme gebunden.
Aus ihren Waffenröcken, die jenen ähnelten, welche auch die schwarzen Reiter trugen, hätte man ohne zu sparen ein Zelt fertigen können. Ihre Füße, die gemessen an ihren Körpern bemerkenswert klein waren, steckten in groben Sandaletten, die reichlich zerlatscht aussahen. Doch die beiden Riesen hätten wohl auch ohne die luftigen Schuhe auskommen können. Ihre stämmigen, muskulösen Beine, strahlten pure Vernichtungskraft aus.
Wie zwei Säulen flankierten sie ihren Herren, der sich wieder von seinem Thron wand, und seine unruhige Wanderung erneut aufnahm. Er hatte gerade die Breite des Thronsaales durchmessen, als eine Seitentür aufflog, und mit einem kühlen Luftzug ein prunkvoll gekleideter, großer und leicht untersetzter Mann eintrat, begleitet von einem Diener und zwei Wachsoldaten, die den Thronwachen kaum Konkurrenz machen konnten.
Die beiden waren von normaler Statur, und steckten in der Uniform der schwarzen Pferdesoldaten, die seit Jahren in den Tälern um Val Mentiér Angst und Schrecken verbreiteten. Der Diener war in ein schlichtes, sauberes Gewand gekleidet, und von hagerer Gestalt. Sein ergrautes Haupt hätte in ihm gut und gerne einen Priester, oder Gelehrten vermuten lassen, wären nicht seine bösen, hinterlistigen Augen gewesen, die stechend aus seinem ledernen Gesicht blickten.
Allein jener, der offenbar ein Besucher, oder Gast war, strahlte gelassene Souveränität aus. Er war ein hochgewachsener Mann mittleren Alters, dem man an seiner leichten Körperfülle einen angenehmen Wohlstand ansah. Sein ganzes Erscheinungsbild passte so gar nicht in die einfache Umgebung, denn er war wie ein wahrer König gekleidet, und trug ein pennibel gepflegtes Äußeres zur Schau.
Sein Wams reichte über seinen Kriegsrock hinweg, und war von feinstem, rotem Stoff, blau abgesetzt, und an den Rändern mit breiten, goldenen Bordüren besetzt. Selbst die Knöpfe waren mit goldenen Stickereien umrahmt. Sein Umhang war von schwerem, dick gefüttertem Stoff, der im gleichen Rot glänzte, wie der Rock. In einem hoch stehenden, Gold abgesetzten Kragen ruhte scheinbar regungslos ein Kopf mit dunklem, leicht rgrauten Haar, das in geordneten Wellen auf die Schultern des Mannes floss.
Er besaß dunkle, aber große, wache Augen, dichte, rund geformte Augenbrauen, und eine große, ebenmäßige Nase. Sein voller Bart sah gestutzt und perfekt aus, gab den Mund frei, und ließ auch die Wangen in gesunder Farbe leuchten. Seine großen, eng anliegenden Ohren wurden teils vom Mantelkragen, teils von seinem welligen Haar bedeckt. Sein gütig aussehendes Gesicht verriet einen wachen Verstand, aber auch Durchsetzungsvermögen dort, wo es gebraucht wurde.
Über seinen hochschäftigen Stiefeln baumelte ein reich verziertes Schwert, und ein ebenso edel aussehender Dolch. Jedem anderen Besucher oder Gast wurden ausnahmslos die Waffen abgenommen. Dass dieser Mann ungehindert Schwert und Dolch trug, zeugte von seiner Wichtigkeit und dem Vertrauen, das er offenbar bei Torbuk genoss.
Würdevoll schritt der stattliche Mann seinen Begleitern voraus. Er schien sich in Torbuks Gemäuern bestens auszukennen. Die Wachen wagten nicht, wie bei anderen Gästen und Besuchern üblich, vor ihm her zu gehen. Allein seine Ausstrahlung gebot ihnen, hinter ihm zu gehen.
Als Torbuk den Gast erblickte, der ohne zu zögern aus dem Schatten der Säulen und in den Kreis der Fackeln trat, stürmte er ihm förmlich entgegen. Der mies gelaunte Herrscher schien plötzlich wie verwandelt. Eine gütige Mimik legte sich auf sein zerfurchtes, feistes Gesicht, und nur seine Augen bewahrten sich die Kälte und Hinterlist, die seinem Charakter zueigen war.
»Fürst Arbrahin, eure Anwesenheit bringt Licht und Straheln in meine bescheidene Feste, lasst mich euch begrüßen, wie es einem guten Freunde zukommt«, ereiferte sich Torbuk überschwänglich. Dass er mit dem Licht und Strahlen in seiner Burg mehr als Recht hatte, begriff er vermutlich nicht.
Torbuk nahm die Hände seines Besuchers in die seinen, als waren es Gegenstände aus goldenem Zierrat, und führte den Gast zu seinem Thron. Sofort eilten von beiden Seiten Diener herbei, und belegten die Stufen zum Thronsessel mit allerlei Kissen und Decken, auf denen sich die beiden niederließen.
Weitere Bedienstete brachten silberne Schalen und Tabletts mit Früchten, Brot, Käse und Fleisch, und setzten alles zusammen mit einer großen Karaffe zu Füßen der beiden Männer ab.
»Nun berichtet, mein Freund, und tragt frohe Kunde von unseren Vorbereitungen unter dieses Dach«, bat Torbuk den anderen, und gebärdete sich dabei wie eine Schlange, deren Körper sich um ein Opfer wand, und sich zum Angriff in position brachte. Beinahe unterwürfig bot er dem Fürsten dabei von den Speisen an. Doch Arbrahin ließ sich vom Gehabe seines Gastgebers kaum beeindrucken.
»Zuerst wollen wir doch mal über unseren Vertrag sprechen, über die Abtretung von Zarollon und die im näheren Gebiet liegenden Erzgruben«, wiedersprach der elegante Fürst höflich, aber bestimmt.
»Ich habe euch viel von dem, was ihr gefordert hattet, bereits gegeben. Ich habe zwei Flottillen Wasserwagen bauen lassen, dazu drei Siedlungen an der Küste. Ich habe unzählige Karawanen mit Kriegsgerät und anderen Gütern über euren Holzweg geschickt, um eure Truppen auszustatten. Sogar edle Frauen habt ihr bekommen, um eure Heerlager bei Laune zu halten.«
Fürst Arbrahin machte eine Pause, nahm sich ein Geflügelbein von einem Tablett, und wickelte angewidert ein Tuch um den Knochen, um seine Finger nicht zu beschmutzen. Mit einer ausholenden Geste schwang er die gebratene Keule durch die Luft, und fuhr fort:
»Es ist nun an der Zeit, dass ich den anderen Fürsten etwas dafür biete. Sie wollen Erfolge sehen. Sie wollen etwas haben für ihre Güter, versteht ihr? Ich kann sie nicht auf Dauer hinhalten, sie werden ungeduldig. Es sind allesamt wohl begüterte Landesherren, versteht mich nicht falsch. Doch vor allem sind sie gierige Geschäftsleute. Tragen ihre Bäume keine Früchte, so werden sie diese nicht länger wässern, wenn ihr versteht...«
Der Fürst biss skeptisch in das gegrillte Bein, und begann vorsichtig zu kauen. Zwischen zwei Bissen setzte er seine Ausführungen fort:
»Die große Flut hat zwei Transporter zerstört, die gerade unterwegs waren. Natürlich wollen die Fürsten Oranutus auch dafür eine Entschädigung. Ich musste sie ihnen zusagen. Das einzige, was sie dazu bewegen kann, euren Plan weiter zu verfolgen, sind Fortschritte. Fortschritte von eurer Seite.« Torbuk rutschte neben dem Fürtsten unruhig auf seinem Kissen hin und her.
»Arbrahin, mein Freund, bedenket wohl: Ihr bekommt ein ganzes Land, fruchtbar auf dem Boden und in der Erde. Aber so etwas will Weile haben. So etwas geht nicht über eine schlafende Sonne. Ich tue, was ich kann. Doch erst muss ich Falméra haben, um meinen Truppen den Rücken freizuhalten. Dafür brauche ich Wasserwagen, jede Menge Wasserwagen, um die Insel zu blockieren und zu erobern.«
Arbrahin kaute mehr aus langer Weile auf dem Geflügelstück herum, während er Torbuk zuhörte. Er wusste, dass Torbuks Rede ihn nur hinhalten sollte, doch er war auch genug Diplomat, um abschätzen zu können, wie weit er gehen konnte, wie hoch er mit seinen Einsätzen reizen konnte.
»Ich weiß eure Bemühungen zu schätzen, Torbuk von Quaronas, doch ich sehe auch, was sich tut, oder eben nicht tut. Eure Truppen liegen gelähmt vor Tatenlosigkeit faul vor der Stadt herum, und kosten euch ein Vermögen. Vollgefressen, fett und träge werden sie nicht mehr kämpfen können, wenn es dann irgendwann einmal soweit ist.« Arbrahin wies mit der abgenagten Keule nach Westen.
»Warum lasst ihr sie nicht angreifen? Ich meine keinen wirklich durchgreifenden Feldzug in den Monden des Schnees. Ich meine Stoßtrupps, unablässige, kleine Gefechte; lasst die Bande sich bewegen, damit sie nicht rosten und auf dumme Sinne kommen! Gebt ihnen zu tun, und lehrt gleichzeitig die oberen Täler, dass ihr noch da seid, dass ihr vor ihren Toren steht.« Torbuk hob verzweifelt die Schultern und öffnete wie zum Empfang einer Gabe die Arme.
»Ihr kennt doch die Legenden von Sonnenherz und Areos. Die Kerle haben Angst vor zwei jungen Îval, die überall und nirgends auftauchen, und wieder verschwinden, wie Geister. Solange die beiden durch das Land spuken, werden die Îval ihren Mut nicht verlieren, und meine Krieger nicht ihre Angst.« Torbuk holte tief Luft, und es klang, als wollte er sich nun allumfassend die Sorgen von der Seele reden.
»Ihr ahnt ja gar nicht, was selbst meine Heerlagerführer den beiden zuschreiben. Sie vermögen Baumgeister und Erddämonen für sich kämpfen zu lassen. Zwei Wasserwagen mit voller Besatzung haben sie mit einer Armee von Geisterdämonen aufgerieben. Nur ein kleiner Haufen mit blutigen Nasen ist ihnen entkommen. Diese Krähenfrau, Sonnenherz genannt, soll sich in eine riesige Wolke von Schwarzvögeln verwandelt haben. Eine ganze Abteilung von zwei Kohorten hat sie damit in die Flucht geschlagen. War angeblich einfach aus einem Fluss aufgetaucht, einfach so...«
Fürst Arbrahin hörte aufmerksam zu, zeigte jedoch keinerlei Regung. Torbuk ruckte hoch, war versucht, vor den Stufen des Throns hin und her zu laufen, um seine Nervosität zu kaschieren. Doch vor Arbrahin wollte er sein Gesicht und seinen Ruf nicht verlieren. Um so mehr machte er sich verbal Luft.
»Die ist eine Hexe, sage ich euch, die hat Kräfte aus der Dämonenwelt. Bereits in den Tälern hatte sie meinen Kohorten tüchtig zugesetzt. Aber jetzt, da ihr dieser von den Toten zurückgekehrte Areos, der Sohn meines unfähigen Bruders, zur Seite steht, scheint sie nicht nur ihre Hexenkünste zu betreiben, sie hat auch eine beunruhigende Taktik gelernt.«
Torbuk machte eine kurze Pause, dachte über seine weiteren Ausführungen nach, und sagte dann, etwas leiser, als schämte er sich des Versagens seiner Spione:
»Mehrere Vertraute hatte ich auf sie angesetzt, sie aus der Welt zu schaffen, und mehr als einmal war sie in der Gewalt meiner Männer. Aber glaubt ihr, die vermochten ihr den Garaus zu machen? Jedes Mal hat diese Hexe ihren Kopf aus der Schlinge gezogen, als laste ein Fluch auf all ihren Gegnern. Das spricht sich herum, das macht den Männern Angst, wenn so eine tun und lassen kann, was sie will, und der Herrscher Quaronas ihrer nicht habhaft werden kann...«
Der Fürst, der bislang nur neugierig zugehört hatte, versuchte das, was Torbuk ihm vermitteln wollte, in einem Satz zusammenzufassen.
»Wenn ich euch richtig verstehe, so besitzt diese Frau das Wohlwollen und die Bewunderung des Volkes, nicht wahr? An Hexen, Geister und Zauberei glaube ich nicht. Vielmehr scheint diese Schlange immer wieder nur Glück gehabt zu haben. Oder eure Männer und eure Vertrauten waren einfach nur unfähig.«
Arbrahin legte fast väterlich seine Hand auf das Knie des anderen, obwohl er Jünger war, als der Herrscher Quaronas, und sprach mit leichtem Zweifel in der Stimme:
»Mein lieber Freund, ihr wollt mir nicht im Ernst damit sagen, dass ein verzogenes Kind dafür verantwortlich ist, dass ihr eure Pläne nicht durchsetzen könnt? Dann wäre es allerdings nicht wunderlich, wenn eure Männer der Mut verlässt. Die Fürsten Oranutus verstehen so etwas nicht. Sie glauben nicht, dass ein Mann nicht mit einer schwachen Frau fertig wird. Was ihr mir gesagt habt, bleibt ein Geheimnis zwischen uns, und auf den Plätzen und Wegen ein Gerücht. Wenn bekannt würde, dass eine Heranwachsende euch in Schach zu halten vermag, könnt ihr auf die Unterstützung Oranutus nicht mehr zählen.«
Der Fürst schlug Torbuk aufmunternd und derbe auf den Rücken, als wollte er ihn aus seiner Lethargie wach rütteln.
»Mann, ihr wisst doch, wie man so etwas macht, setzt diese Aufrührerischen unter Druck, setzt das Volk unter Druck! Wenn das Volk begreift, dass es unter seiner Heldin leidet, dann war sie die längsten Zentaren Heldin gewesen. Lasst jeden Tag einen Îval öffentlich hinrichten, und setzt gleichzeitig ein Kopfgeld für die beiden aus. Das tut ihr solange, bis die beiden sich entweder selbst in eure Hände geben, oder von jemandem verraten werden, der Angst um seine Familie hat.« Torbuk sah den Fürsten zweifelnd an.
»Das wird wunderbar gehen, das versichere ich euch«, versicherte ihm Arbrahin. »Die Oranutis haben in solchen Dingen viel Erfahrung. Entzieht sich einer der fürstlichen Gewalt, so wird jeden Tag ein Mitglied seiner Familie sterben, bis er sich freiwillig stellt.« Torbuk schüttelte unwillig den Kopf.
»Aber damit werde ich die Îval noch mehr gegen mich aufbringen«, gab er zu bedenken. Arbrahin lächelte ihn belustigt an.
»Noch mehr? Mein Freund träumt ihr? Seit Jahren verschleppt ihr die Männer und Töchter, nehmt euch die Ernten, und fallt in ihre Dörfer ein. Was kann man einem Volk noch mehr antun? Sie müssen euch so sehr fürchten, dass sie ihre besten Freunde verraten. Nur so werden sie gefügig sein!« Der Fürst beugte sich dicht zu Torbuk hinüber, und ignorierte sogar dessen schlechten Atem, so als wollte er ihn in eine Verschwörung einweihen.
»Und noch ein Rat; und den bekommt ihr von mir umsonst: Lasst überall verkünden, dass allen Îval, denen ihr etwas vorzuwerfen habt, ihre Strafe erlassen wird, wenn Sonnenherz und Areos sich in eurer Gefangenschaft befinden. Und seid ihr ihrer habhaft, so stellt neue Bedingungen. Etwa dass sich auch ihre Anhänger ergeben.«
»Oder die Windreiter«, fügte Torbuk ereifernd hinzu, »die setzen meinen Kohorten schon viel zu lange zu.« Arbrahin grinste seinen Verbündeten hintergründig an.
»Oder die Windreiter«, bestätigte er, »seht ihr, so gefallt ihr mir schon besser. Ihr habt verstanden, was ich meine. Ihr seht, es gibt keinen Grund mehr, den Vertrag mit den Fürsten Oranutus nicht einzugehen. Unterzeichnet, und ihr werdet Unterstützung erfahren, bei allem, was ihr tut.«
Torbuk überlegte, fing an zu grübeln. Arbrahin beobachtete ihn von der Seite. Ihm entging nicht, dass den Mann, den er zu einem Kontrakt überreden wollte, noch irgend etwas beschäftigte. Er musste jeden Zweifel bei seinem Gegenüber ausräumen. Nur dann würde Torbuk das Bündnis eingehen, mit dem die Oranutis mehr als nur einen Fuß auf das Land im Norden setzten.
»Vielleicht erledigt sich die leidige Angelegenheit von selbst«, dachte Torbuk laut. Zur Erläuterung für Arbrahin setzte er lauter hinzu:
»Ich habe eine Gorreiterin und einen Wasserwagen ausgesand, nach den Îval in Mehi-o-ratea zu suchen. Die Flut hat das Dorf nahezu zerstört. Diese Krähenfrau und Bentals Spross hatten sich dort aufgehalten. Wenn die alle ersoffen sind, dann sind wir die Sorge los. Ich erwarte in jeder Zentare die Nachricht. Vielleicht bringen sie mir den Beweis, dass wir uns unnötig den Kopf zerbrechen.« Der Fürst schlug Torbuk erleichtert auf die Schulter.
»Seht ihr, manches erledigt sich von selbst. Dann können wir getrost den Vertrag besiegeln.« Damit zog Arbrahin eine mit roten Bändern verschnürte Schriftrolle unter seinem Gewand hervor, und reichte sie Torbuk hinüber.
Doch bevor dieser das Pergament entgegen nehmen konnte, flog am anderen Ende des Saals die große Tür auf. Ein frischer Wind wehte herein, ließ die Flammen der Fackeln tanzen, und die Glut der Feuerschalen aufglimmen. Torbuk ignorierte die Hand des Fürsten, die immer noch die Rolle hielt, stand auf, und ging neugierig bis zum Kreis der Fackeln.
Karek kam mit stolz erhobenem Haupt und wichtiger Miene hereinmarschiert, flankiert von zwei Wachen. Drei Gestalten folgten Torbuks Sohn in gebührendem Abstand. Karek ging durch den Kreis der Fackeln, während die beiden Wachen die Begleiter mit herrischen Handzeichen vor der Fackelreihe zum Stehen brachten.
»Die Gorreiterin, und der Wasserwagenführer mit seinem Rudergänger«, verkündete Karek mit scheinbar neu erwachtem Interesse für die Sache.
»Ich habe sie auf dem unteren Hof aufgelesen, sie irrten dort herum, wie verloren gegangenes Vieh« ereiferte sich der Thronfolger Quaronas. Er glaubte mit diesem überflüssigen Kommentar seine eigene Fehlbarkeit zu kaschieren. Doch Torbuk beeindruckte das wenig.
»Das wurde auch Zeit! Wo hast du dich solange herumgetrieben? Tut hier überhaupt noch jemand, was ich sage?«
Karek bemerkte sehr schnell, dass es ratsam war, seinem zornigen Vater aus dem Weg zu gehen, und zog sich auf die Stufen des Throns, gegenüber dem Fürsten Arbrahin zurück. Diesem nickte er nur einmal kurz zu, schenkte ihm aber keine weitere Aufmerksamkeit. Torbuk winkte die drei mitgebrachten Gestalten, und schnarrte missmutig:
»Kommt näher heran, dass ich eure Gesichter sehen kann.« Medunzia, die Gorreiterin, und die beiden Wasserwagenfahrer traten so dicht vor die Fackeln, dass ihre Gesichter scheinbar zu glühen begannen.
Das gefiel Torbuk. Immer wieder ergötzte er sich daran, wenn seine Untergebenen ihm offensichtlich ausgeliefert waren, wenn er es schaffte, das letzte Quentchen Selbstwertgefühl aus ihnen heraus zu pressen, um sie wie reumütige Sünder dastehen zu lassen. Je mehr Schwäche sie zeigten, desto stärker fühlte er sich selbst.
Er baute sich vor den Angesprochenen auf, und musterte sie eindringlich. Es war klar, dass er zufriedenstellende Meldungen erwartete. Allen dreien war aber auch bewusst, dass ihnen ein langsamer, grausiger Tod bevorstand, wenn sie den mächtigsten Mann Quaronas belogen.
»Nun, was habt ihr zu berichten«, fragte Torbuk scheinbar milde gestimmt. Medunzia, die schon einmal vor dem launischen Despoten gestanden hatte, antwortete:
»Herr, die große Flut hat die ganze Küste verwüstet. Es ist nicht ein Baum stehen, und nicht ein Stein auf dem anderen geblieben. Das Dorf der Kinder, an welchem ihr so großes Interesse hattet, ist vom Wasser fortgerissen worden. Die Flutwelle hat alles bis zum Fluss zerstört. Wer sich nicht in die Berge gerettet hat, ist nicht mehr. Ich konnte keine Überlebenden entdecken. Und die Flut war viel zu rasch gekommen, als dass sich jemand hätte in Sicherheit bringen können.«
Torbuk hörte sich den Bericht aufmerksam an. Zunächst schwieg er, blickte Medunzia nur durchdringend an, als wollte er herausfinden, ob sie die Wahrheit sprach. Medunzia konnte trotz der Flammen der Fackeln erkennen, wie es in seinem Gesicht arbeitete. Torbuk dachte intensiv nach. Dann fragte er:
»Was ist mit Falméra? Was ist mit der weißen Stadt? Hat die Flut den Hafen zerstört?« Medunzia trat nervös von einem Fuß auf den anderen, antwortete aber wahrheitsgetreu.
»Herr, Falméra ist unberührt geblieben. Die Bucht hat den Hafen und die Stadt geschützt. Die Flut ist daran vorübergezogen. Ich vermochte keinen Wasserwagen erkennen, der beschädigt ist.« Torbuk nickte, ging ein par Schritte auf und ab, und schien zu überlegen. Dann blieb er erneut vor Medunzia stehen.
»Was ist mit Toten? Habt ihr im großen Wasser, oder am Strand Leichen entdeckt? Oder vielleicht im Dorf der Kinder?« Medunzia sah ihren Herren unverständlich an, denn sie begriff nicht sofort, worauf dieser hinaus wollte. Ungeduldig hakte Torbuk nach.
»Nun, wenn die alle ersoffen sind, so müssen doch irgendwo ihre Leichen geblieben sein, oder? Entweder hat das Wasser sie mitgerissen, oder irgendwo an Land gespült, nicht wahr? Entweder sie schwimmen im großen Wasser, oder sie liegen irgendwo an der Küste, das versteht ihr doch, oder?« Medunzia schluckte ängstlich, und suchte nach einer Antwort, ohne sich verbindlich festzulegen.
»Ja Herr, das mag nicht anders sein. Jedoch konnte ich nirgendwo Tote oder Verwundete entdecken, obwohl ich sehr tief geflogen bin. Tiefer, als für den Gor erträglich war.« Den zweiten Satz fügte sie noch schnell hinzu, um Torbuk zu erklären, dass sie ihre Aufgabe über die Maßen gut erfüllt hatte. Doch den beeindruckte das nicht. Anstatt weiter auf ihren Bericht einzugehen, fuhr er unerwartet die beiden Wasserwagenfahrer an:
»Und ihr habt natürlich auch nichts weiter gesehen, nicht wahr? Oder habt ihr etwas anderes zu berichten? Lasst euren Herren ruhig in Ungewissheit. Hier tut inzwischen sowieso jeder, was er mag.« Dabei warf er einen vorwurfsvollen Blick zu seinem Sohn hinüber, der sich desinteressiert auf den Kissen herumlümmelte.
»Herr, wir waren an einigen Stellen neben der Flussmündung an Land gegangen, und haben die Küste gewissenhaft untersucht«, begann der Wasserwagenführer stotternd seinen Bericht.
»Überall zeigte sich die gleiche Verwüstung. In das große Wasser abgerutschte Hänge und Felsen, angeschwemmte Baumstämme, Büsche und Sträucher, ja sogar Teile von Hütten haben wir gefunden. Aber keine Leichen, keine Kleidung, oder Decken und Felle.« Als Torbuk nichts sagte, nur angespannt zuhörte, sprach der Mann weiter:
»Wenn die Îval ins große Wasser gerissen worden wären, so hätten sie auch wieder an die Küste gespült werden müssen, genauso wie die Bäume und Sträucher«, mutmaßte er. »Doch wir haben keine Anzeichen dafür gefunden. Es ist kaum möglich, dass die Fische in dieser kurzen Zentaren alle Îval aus dem Dorf mitsamt ihrer Kleidung gefressen haben.« Torbuks Augen blitzten neugierig auf. Forschend fragte er:
»Und was schließt ihr daraus? Wo sind die Îval eurer Meinung nach abgeblieben? In Wasser und Luft können sie sich ja schlecht aufgelöst haben, nicht wahr?« Der Kapitän zuckte mit den Schultern zum Zeichen seiner Ahnungslosigkeit.
»Herr, ich kann mir nur erklären, dass die Îval sich nicht mehr in der Nähe des Strandes befunden haben, wo die Gorreiterin sie zuvor entdeckt hatte, als die große Flut kam. Möglicherweise waren sie inzwischen Land einwärts gegangen, vielleicht aus Angst noch einmal von dem Gor angegriffen zu werden. Am Strand waren sie gewiss angreifbarer, als in der Deckung der Bäume.«
Der Wasserwagenführer ließ seinen Gedanken unbedacht freien Lauf, und hatte kaum daran gedacht, irgend jemanden mit seiner Ansicht zu belasten. Doch Torbuk und Medunzia dachten beinahe das Gleiche, wenn auch aus verschiedenen Blickwinkeln. Und Torbuk, als dem Mächtigeren der beiden, war es erlaubt, seine Meinung kund zu ntun, während die Gorreiterin zu schweigen hatte.
»Da seht ihr es«, blaffte er Medunzia unfreundlich an, »was dabei herauskommt, wenn ihr nicht tut, was ich euch auftrage. Beobachten, hatte ich gesagt, nicht jagen, oder verschrecken! Nun sind sie auf und davon, die Brut der Nichtsnutze aus Falméra, und mit ihnen die Krähenfrau und Areos. Verjagt habt ihr sie, dorthin getrieben, wo sie niemand mehr findet. Die Kinder warnen Falméra, und die beiden Zecken in meinem Pelz stacheln weiterhin das Volk auf. Feine Leute habe ich da, zum Verzweifeln ist das. Erst lasst ihr sie in ein Erdloch entkommen, dann treibt ihr sie in den Schutz der Wälder. Vermögt ihr überhaupt etwas zuverlässig verrichten?«
Medunzia schrumpfte innerlich zu einer Mikrobe zusammen. Sie war mit der Gewissheit gekommen, dass Torbuk ihr jegliche Nachlässigkeit nachsehen würde, und dass sie besonderen Schutz genießen würde, da sie die einzige Gorreiterin war, die dem Herren von Quaronas zur Verfügung stand. Somit glaubte sie selbst für Torbuk unangreifbar zu sein. Doch nun war sie nicht einmal mehr sicher, dass sie die Burg lebend wieder verlassen würde.
Anstelle aber weiter über die Frau herzufallen, und sie zu maßregeln, drehte Torbuk sich zu Fürst Arbrahin um, und klagte aufgebracht:
»Da seht ihr es, mein Freund, nichts geht, wie ich es will. Die beiden leben also immer noch, und geistern inzwischen sonst wo herum. Ich sage euch, diese Krähenbraut ist mit den Dämonen im Bunde, die ist eine Hexe, nichts anderes! Und warum geht die mir weiter auf die Nerven? Ich will es euch sagen: Weil ich nur dumme Schwachsinnige in meiner Umgebung habe, die nicht einmal die einfachsten Arbeiten richtig machen können. Wozu bezahle ich sie mit den Tränen der Götter, was? Köpfen lassen sollte ich sie, und ihrem Gor zum Fraß vorwerfen!«
Fürst Arbrahin hörte sich die Tiraden ruhig und geduldig, beinahe wie unbeteiligt an. Karek dagegen kicherte immer lauter vor sich hin, amüsierte sich darüber, wie sein Vater die Gorreiterin zurechtwies, und schlug sich letztlich vor Schadenfreude so laut auf die Schenkel, dass er die Aufmerksamkeit seines Vaters ganz auf sich lenkte. Torbuk erstarrte plötzlich angesichts des schadenfrohen Ausbruchs seines Sprosses.
Langsam schritt er auf Karek zu, seine Augen waren zu verkniffenen Schlitzen geworden, die gefährlich blitzten. Der Sohn grinste seinen Vater frech an, glaubte wohl, ihm sei ein besonderer Scherz gelungen. Torbuk streckte ruhig, beinahe gelassen seine Hand zu einer der Wachen aus. Er musste nichts sagen, nicht einmal hinsehen. Der loyale Wachmann legte dem Herrscher die siebenschwänzige Katze in die Hand, die er stets am Gürtel trug.
Als Karek begriff, was gerade geschah, war es bereits zu spät. In hohem Bogen sauste die geteilte Peitsche auf Karek nieder, traf ihn an der Schulter, und ließ ihn überrascht aufjaulen. Torbuk holte erneut aus, und bellte seinen Sohn an:
»Und du hast überhaupt keinen Grund, so dämlich zu lachen! Du bist ja sogar zu blöde, die einfachsten Botengänge zu verrichten. Schämen muss ich mich für dich, jeden Tag wieder, und wieder!« Erneut klatschte die Knute mit den sieben Lederriemen auf Kareks Haupt nieder. Der hob schützend seinen Arm über den Kopf und rutschte Stufe um Stufe herab, dem blanken Boden zu. Torbuk brüllte sich regelrecht in Rage.
»Wundere ich mich über so viel Dummheit in meiner Umgebung, so bist du doch die Krönung aller Unfähigkeit. Dich hätte ich bei deiner Geburt sofort zu den Schweinen werfen sollen!« Wieder traf den jungen Mann der Zorn des Vaters in Form der Peitsche.
»Ich wollte, diese Krähenfrau wäre meine Tochter«, tobte Torbuk außer sich vor Wut, »Dann wüsste ich wenigstens, dass ich mich auf sie verlassen kann, die hat wenigstens Mumm in den Knochen, und weiß, was sie will. Fast muss ich die schon bewundern, wenn ich sehe, was für ein Waschlappen mein eigener Sohn ist! Deine Aufgabe wäre es gewesen, diese Hexe zur Strecke zu bringen. Aber was hast du statt dessen gemacht? Hohle Luft in die Gegend geblasen, das ist alles!« Torbuk holte zu einem neuen, kräftigen Schlag aus, als eine Hand seinen Arm stoppte.
Arbrahin hatte sich das Schauspiel zwischen Vater und Sohn eine Weile angeschaut, und befand, dass der Nichtsnutz von Karek nichts besseres verdient hatte, als eine körperliche Ertüchtigung. Doch nun ging der Alte zu weit. Es war nicht klug, Kareks Autorität als Thronerbe vor Untergebenen derart zu vernichten.
Ruhig stand der Fürst auf, machte gerade mal drei entspannte Schritte, und stand zwischen den Generationskontrahenten. Arbrahin bemühte sich nicht um eine große Geste. Lässig hob er seinen Arm, und seine Hand schloss sich um Torbuks Arm. Erstaunt sah der Herr Quaronas seinen Gast an. Zum einen, war er auf dessen Einmischung nicht vorbereitet, zum anderen, hatte er diesem fein Gekleideten Schönling nicht so viel Kraft zugetraut. Wie eine eiserne Klammer hielt die Hand des Fürsten Torbuks Arm gefangen. Ruhig, fast beschwörend sagte der Fürst:
»Lasst es gut sein, alter Freund. Das führt zu nichts. Lasst uns besser darüber nachdenken, wie wir in Erfahrung bringen können, was mit dem Dorf der Kinder geschehen ist, und ob die noch irgendwo herumstreunen. Lasst uns einen kühlen Kopf bewahren, und beraten.«
Die Kraft wich aus Torbuks Arm, und beinahe erschöpft ließ er die Peitsche sinken. Achtlos und mit einer Miene der Geringschätzigkeit warf er das Züchtigungsinstrument seinem Sohn vor die Füße. Wie unter einem plötzlichen Schwächeanfall taumelte er zu seinem Sitz auf der Throntreppe zurück, wo er sich ächzend niederließ.
»In meinem Alter will man viel von der Last und Bürde eines Herrschers auf einen jüngeren Nachfolger übertragen«, stöhnte er.
»Aber wer soll das sein?« fuhr er gequält fort und nickte zu Karek hinüber, der inzwischen die Stufen wieder hinaufgekrochen war. »Der da? Dann müsste tatsächlich noch ein Wunder geschehen.« Und an Karek gewand sagte er mit deutlich schärferem Ton:
»Bring die drei raus, und wartet dort. Vielleicht will ich sie nochmal sehen.« Karek reagierte zunächst nicht. Er war damit beschäftigt, festzustellen, ob die Schläge seines Vaters bleibende Spuren hinterlassen hatten, und untersuchte sein Hemd.
»Da seht ihr's, was soll ich mit so einem Burschen anfangen?« beklagte sich Torbuk bei Arbrahin. »Der hört seines Vaters Wort nicht mal. Träumt vor sich hin, als wäre alles in schönster Ordnung. Was soll ich tun? Ihn wieder mit der Siebenschwänzigen wecken?« Ohne eine Antwort abzuwarten, die er vermutlich sowieso nicht erwartet hatte, verpasste er Karek einen rohen Tritt, und wiederholte seine Forderung.
Der Sohn fuhr hoch, und setzte sich schließlich in Bewegung, nachdem ihm sein Gehirn wohl in Erinnerung gerufen hatte, was sein Vater von ihm forderte. Karek, Medunzia und die beiden Wasserwagenfahrer verschwanden in der Dunkelheit des Saales. Torbuk wartete, bis er das Schloss der mächtigen Tür klacken hörte. Dann wandte er sich wieder seinem Gast zu.
»Was sagt ihr dazu? Was soll ich tun? Mit dem da bin ich doch gestraft für's Leben. Wem soll ich die wichtigen Entscheidungen anvertrauen, wem kann ich vertrauen? Ihm? Ihr habt gerade selbst miterlebt, was ich von dem erwarten kann.« Der Fürst hörte schweigend zu und dachte nach.
Ob Torbuk tatsächlich seine Anteilnahme an dem für ihn bestehenden Drama wollte, oder den Fürsten von dem Vertrag ablenken, oder sich einfach nur einmal Luft machen wollte, war unklar. Ein par Sekunden lang schwiegen beide. Bis Torbuk überraschend fragte:
»Habt ihr Kinder, Arbrahin?« Der Gefragte sah Torbuk eine Weile gedankenverloren an. Schließlich holte er tief Luft und antwortete voll inbrünstigem Stolz:
»Meine drei Frauen schenkten mir fünf Töchter und zwei Söhne. Alle sieben sind mein ganzer Stolz. Sie alle sind wohl geraten, haben das Herz auf dem rechten Fleck, und einen Verstand, der ihres Vaters würdig ist.« Als Torbuk schweigend auf die Stufen zum Thron blickte, legte der Fürst nach:
»Es liegt an den Frauen«, sagte er, um den Faden des Gesprächs nicht abreißen zu lassen. Torbuk hob langsam seinen Kopf und sah den Fürsten unverständlich an. Arbrahin klärte ihn auf:
»Die Frauen sind das Entscheidende, mein Freund, die Frauen. Sie wollen weise ausgewählt sein. Nicht nur Schönheit und Klugheit ist von Belang. Na, und die Liebe...« Der Fürst winkte abwertend ab. »Die wirkliche Liebe findet ein Mann in unserer Position sowieso nicht«, erläuterte er aus seinem offensichtlichen Erfahrungsschatz.
»Die Liebe zur Frau ist nicht wichtig«, fuhr er mit seinen forensischen Weissagungen fort, »die Liebe zu den Kindern, ja, das ist etwas anderes.« Arbrahin beugte sich zu Torbuk hinüber, als ob er ihm ein Geheimnis verraten wollte.
»Trotzdem. Auf die Frauen kommt es an. Gescheit müssen sie sein, und schön wie das Morgenrot, und freudig am Leben.« Nun flüsterte der Fürst beinahe:
»Aber das wichtigste ist: Die Herkunft, die Abstammung muss stimmen!« Arbrahin ließ sich wieder in seine alte Sitzposition zurückfallen, und enthüllte den Rest seiner Lebensweisheit.
»Was nützen Liebe, Schönheit, Klugheit und Lebensfreude, wenn die Frau von dummen Menschenwesen abstammt? Alles, was den Vorfahren anheim war, mag sich möglicherweise auf die Kinder übertragen.« Arbrahin ließ seine Worte auf Torbuk wirken, wie kochendes Wasser auf schmutzige Wäsche. Dann versetzte er, ob nun bewusst, oder nicht gewollt, seinem Gastgeber einen seelischen Hieb:
»Ihr wisst, was ich meine?« Diese Frage ließ er mehr wie eine Feststellung klingen. Und Torbuk nahm die Worte zum Anlass, sich noch mehr in seinem Trübsal zu wälzen. Er nickte schwer, und sagte resigniert:
»Ihr habt ganz recht mein Freund. Sucht man sich eine dumme Pute von geringem Stand dann kommt so etwas dabei heraus.« Dabei wies er mit kraftloser Hand in die Richtung, in der Karek mit den drei Untertanen verschwunden war.
Arbrahin hatte den mächtigsten Mann von Quaronas und Zarollon dort, wo er ihn haben wollte. Er hatte ihm deutlich gezeigt, wer von ihnen beiden erfolgreicher, glücklicher, zufriedener, und klüger war. Wer geistig über dem anderen stand. Und er konnte es sich nicht verkneifen, noch nachzusetzen, denn er wollte Torbuk am Boden haben, zerstört, hoffnungslos, um ihn dann nach seiner Vorstellung wieder aufzubauen. Mit einer geradezu befreienden Freude berichtete er dem zutiefst unglücklichen Gastgeber:
»Also meine Frauen stammen aus alten Oranuti-Geschlechtern, die seit vielen Zentaren erfolgreiche Geschäftsleute und Herrscher waren. Alle klug, immer gesund, und auch noch von stattlicher Erscheinung. Und was soll ich sagen, die Kinder... Gedeihen eines prächtiger, als das andere. Gehorchen aufs Wort. Was ich sage, wird getan, so, wie ich es sage.«
Torbuk hörte sich die eigene Lobpreisung seines Gastes geduldig an, blickte dabei aber betrübt zu Boden. Fast schien es, als entstammte Arbrahin selbst einer Familie, deren Traditionen in der strengen Auswahl der Mütter einer jeglichen Generation fußten. Diese Möglichkeit hatte er selbst verpasst. Und mit Karek als seinem einzigen Spross fühlte er sich vom Schicksal betrogen. Der Oranuti-Fürst spürte das betrübte Gemüt Torbuks, lehnte sich wieder zu ihm hinüber, so dass sich ihre Gesichter beinahe berührten, und sagte leise:
»Mein Freund, warum setzt ihr nicht alles daran, diese Krähenfrau in eure Hände zu bekommen. Lebend. Ist sie noch jung genug und formbar, so macht sie zu eurer Ziehtochter. Gebt ihr alles, was sie begehrt. Sie wird euch dienen, wie ein braver Sohn. Mit Macht, Geschmeide und Gewändern hat sich noch jedes Mädchen und jede Frau kaufen lassen. Und wenn das alles stimmt, was man sich über sie erzählt, so wird sie euch ein besserer Sohn sein, als jener, den ihr verprügeln wolltet.« Torbuk sah den Fürsten an, als hätte dieser von ihm verlangt, ihm all seine Schätze und Länder zu übertragen. Arbrahin aber lachte freundschaftlich.
»Nein, im Ernst, alter Freund. Fangt sie, zähmt sie, und erzieht sie. Ihr sollt sehen, ihr habt die reine Freude an ihr. Und eines Tages kann sie euch gesunde, kluge, und mutige Enkelkinderchen schenken. Oder Kinder?« Arbrahin ginste unverschämt, meinte seinen Vorschlag aber durchaus wörtlich.
Oranutu war dafür bekannt, dass eines Mannes Ansehen mit der Zahl seiner Frauen wuchs, und noch mehr mit der Anzahl seiner Kinder und Enkelkinder. Dass sich ein mächtiger, alter Mann, der sich den Unterhalt leisten konnte, zuweilen eine jugendliche Frau kaufte, um seine Sippe zu mehren, war bei den Oranuti keine Seltenheit.
Oft nahmen sich reiche, ältere Herrscher junge Mädchen armer Familien zu sich, wenn sie sich hinsichtlich Klugheit, Schönheit und Gesundheit als tauglich erwiesen. Die Mädchen wuchsen ohne Entbehrungen auf, und die ursprüngliche Familie wurde durch das Entfernen einer Esserin entlastet, und bekam noch einen Batzen Quarts obendrein. Ganze Oranuti-Dynastien waren auf diese Weise entstanden.
Torbuk schien tatsächlich über Arbrahins Vorschlag nachzudenken. Die Götter Volossodas und der oberste Sonnengott Talris verboten solche fragwürdigen Familienerweiterungen, und die hohen Priester und Gelehrten wachten darüber, dass Volk und Herrscher den Geboten folgten. Nun, die Gelehrten und Würdenträger des Glaubens an Talris und die Götter bekamen ihre Quarts aus Torbuks Schatulle. Sie mochten zunächst aufbegehren, doch letztlich taten sie, was der Thron von Quaronas verlangte.
»Erst einmal müsste ich diese kleine Natter in die Finger bekommen« brummte Torbuk vor sich hin. Dann könnte man sehen.« Plötzlich schüttelte er mit dem Kopf, als wollte er einen irrealen Traum abschütteln.
»Ist doch alles Blödsinn«, meinte er resigniert, »die will mich umbringen, solange sie lebt. Das weiß jeder. Diese Hexe ist mit den Dämonen im Bunde.« Arbrahin legte ihm beschwörend eine Hand auf die Schulter.
»Na, na, alter Freund, nicht gleich aufgeben. Versucht es doch; seht mal was dabei herauskommt. Und wenn die sich bis aufs Blut sträubt, dann haltet sie als Arbeitssklavin. Mit dem Mut und ihrer Natur mag sie eine gute Arbeiterin sein. Und ich will euch noch etwas sagen.« Des Fürsten Hand begann auf Torbuks Schulter im Takt zu klopfen, wie um ihn wach zu rütteln, und umzustimmen.
»Wenn es mit der nichts wird, immer mal vorausgesetzt, ihr werdet ihrer habhaft, dann verspreche ich euch eine meiner älteren Töchter. Natürlich unter dem Siegel, dass ihr sie gut behandelt, und an Sohnes Stelle annehmt. Daran würdet ihr eure wahre Freude haben, das will ich euch versichern.« Der Fürst legte eine kurze Denkpause ein, die er Torbuk zustand, bevor er weiter auf ihn einwirkte.
»Freilich ginge das nur unter dem Siegel unseres Bündnisses auf Handel und Landbesitz. Ihr wisst ja, was unsere Fürsten für ihre Unterstützung gegen Falméra und die Täler unter dem ewigen Eis fordern. Und mich könntet ihr als euren kommissarischen Vertreter der Oranuti in eurem Herrschaftsbereich einsetzen. Fast wären wir dann so etwas wie Brüder, eine große Familie. Und große Familien halten zusammen, und helfen einander auf immer und ewig.«
Bis zu dem Augenblick, als Arbrahin von Brüder sprach, war Torbuk geneigt, seine Vorschlage in Betracht zu ziehen. Brüder, dieses eine Wort riss ihn in die Realität zurück. Er wusste, wie Brüder miteinander umgehen konnten. Er und Bental waren ein offenkundiges Beispiel dafür. Und dass er diesem Oranuti-Fürsten an Hinterhältigkeit und Gewitztheit unterlegen war, ahnte er.
Da er das Krähenmädchen bisher nicht ausschalten, oder gefangen nehmen konnte, nahm er ihre Ergreifung als Ausflucht, das vertragliche Bündnis mit Oranutu hinauszuzögern. Er hatte ohnehin nicht vor gehabt, diesen anders Gläubigen, dieser so anderen Kultur auch nur eine Zentare seines Bodens zu überlassen. Er wusste genau, dass die Oranuti überall anstrebten, einen Fuß auf die Erde zu bekommen, um eines Tages alle anderen Kulturen zu verdrängen.
Es war ohnehin sein Plan gewesen, die Oranuti bis tief hinter ihre Grenzen zurückzudrängen, wenn er erst einmal die alleinige Macht über ganz Volossoda erlangt hatte. Diese Oranuti mit ihrer Vielweiberei sollten ihm von Anfang an nur als Handlanger dienen.
Torbuk tat, als überlegte er, als zögerte er noch dem Vorschlag des Fürsten zuzustimmen. Hätte er sofort wiedersprochen, so hätte er die Katze aus dem Sack gelassen. Er musste schauspielern, was jedoch absolut nicht in seiner Natur lag.
»Ja, das Bündnis«, nickte er scheinbar nachdenklich, »der Vertrag. Ihr habt recht, mein Freund Arbrahin, ich werde es mit dieser Hexe versuchen. Aber erst muss ich sie einmal haben. Solange die uns in die Suppe spuckt, nützt uns der beste Vertrag nichts, denn das Volk wird weiter Widerstand leisten, solange es von ihren angeblichen Heldentaten hört. Der Vertrag würde euch nur noch mehr Quarts kosten, als gedacht. Überlegen wir besser, wie ich diese listige Schlange in die Falle bekomme.«
Arbrahin vermutete richtig, dass Torbuk sich nur sträubte, das Bündnis zu besiegeln. Doch wenn er ihn unter Druck setzte, würde er sein Ziel niemals erreichen, den Brückenschlag in die Länder der schlafenden Sonne, die reich an Erzen und den Tränen der Götter waren.
Auch die Hallen von Talris reizten ihn. Natürlich hatten auch die Oranuti von den Legenden der Îval gehört. Die Vorstellung, diese unermesslichen Schätze in die Hände zu bekommen, machten auch den Fürsten gierig. Doch er war klug genug, seine Gier mit Geduld und Geschick zu befriedigen, als mit übereilten Entscheidungen alles aufs Spiel zu setzen.
Der Fürst musste Torbuk helfen, um in dessen Land an Macht zu gewinnen. Tatsächlich verabscheute er diesen primitiven, animalisch gesteuerten kleinen Despoten, der unfähig war, mit seinem Sohn das Land zu mehren, und seine Macht auszubauen. Für Arbrahin war Torbuk ein grober Bauer, der besser auf einem Getreidefeld aufgehoben war, als auf einem Thron und in der Politik.
Aber bekamen die Oranuti eines Tages durch viel Geduld und Verhandlungsgeschick Zarollon in die Hand, so bekamen sie früher oder später auch Quaronas. Und mit Quaronas war es nur eine Frage der Zeit, bis sie Falméra in die Knie gezwungen hatten. Arbrahin musste Torbuk nur lange genug den treudummen Bündnispartner vorgaukeln. Dazu musste er ihm in Sachen Sonnenherz, die Krähenfrau, gute Ratschläge geben.
»Man müsste dieses Weibsstück in eine Falle locken, sie unter Druck setzen, mit irgendetwas, das ihr wichtiger ist, als ihr eigenes Leben«, dachte Arbrahin laut nach. Tatsächlich wusste er viel zu wenig über die jugendliche Frau, die für das Volk der Îval bereits zur Legende geworden war. Allein ihre Heldentaten lieferten lange nicht genügend Hintergrundinformationen. Forschend fragte er Torbuk:
»Kinder hat die wohl noch nicht, oder?« Torbuk machte ein dummes Gesicht, und hob unwissend die Schultern.
»Davon habe ich jedenfalls noch nichts gehört. Ob es Menschen gibt, die ihr nahestehen, kann möglicherweise die Drachenreiterin wissen. Die hatte ich als Spionin in Bentals Burg eingeschleust. Vielleicht hat die dort etwas aufgeschnappt, das uns weiterhelfen kann.« Arbrahin hörte interessiert zu, und überlegte.
»Mögt ihr die nochmal ausquetschen? Wenn ihr jemanden gefangen nehmen könntet, der ihr viel bedeutet, könntet wir verkünden lassen, dass ihr ihn solange foltert, bis sie sich freiwillig stellt. Sagt ihr zunächst völlige Unversehrtheit zu, meinetwegen sogar freies Geleit, solange sie euch zu Willen ist, und Ruhe gibt. Was später wird, mögen die Sterne wissen. Aber es müsste jemand sein, für den sie sterben würde, eine Schwester, oder ein Bruder, möglicherweise Eltern?« Torbuk sah seinen Gast nachdenklich an. Der Fürst wurde allmählich ungeduldig, und spann die Möglichkeiten weiter.
»Und wenn sich nichts, aber auch gar nichts finden lässt, dann setzt auf ihre Liebe zum Volk. Denn die hat sie bewiesen, indem sie sich mit ganzer Seele und Kraft für den Pöbel einsetzt. Ich habe euch bereits gesagt, wie ihr es anstellen müsst. Schlagt jeden Tag zur Marktstunde einen Mann, oder eine Frau an den Pfahl, bis sie sich euch ergibt. Tut sie es nicht, so wird das Volk, das für sie sterben muss, sie eines Tages hassen, und verraten.« Torbuk nickte zustimmend, starrte aber weiter untätig auf den Boden.
Fürst Arbrahin machte sich inzwischen keine Illusionen mehr, was die Unterzeichnung des Vertrages beider Herrscher anging. An diesem Tage war die Besiegelung des Bündnisses eindeutig versäumt. Arbrahin war seine Enttäuschung darüber seiner Stimme anzumerken, als er sich resigniert zurücklehnte, die Arme vor der Brust verschränkte, und seufzend sagte:
»Nun, ihr müsst selbst wissen, was ihr tut, mein Freund. Versucht zuerst diese geheimnisvolle Krähenfrau zu finden, die offenbar mehr Einfluss auf das Volk hat, als ihr. Ich weiß nicht, ob ich die Fürsten Oranutus noch lange hinhalten kann, doch ich will es um euer Willen gern versuchen.« Er machte eine kurze Pause, fuhr dann aber fort, als er merkte, dass Torbuk noch immer nicht reagierte.
»Aber bei den Göttern.., tut etwas, tut irgendetwas. Holt diese Gorreiterin nochmal herein, und diese Wasserwagenfahrer. Sendet irgend jemanden aus, der feststellen kann, ob dieses Weibsstück noch am Leben ist.«
Torbuk blickte auf, sah den Fürsten ein par Augenblicke lang an, und winkte dann mit einer müden Handbewegung die Wache heran.
»Mein Sohn soll die Gorreiterin und die Wasserwagenleute wieder herbringen. Und diesen...« Er überlegte kurz, »diesen Heerlagerführer, dieser Emtar von Palagk, den holt mir ebenfalls her.« Der Wachmann beugte sich dezent und demütig zu Torbuk hinunter, und teilte ihm leise mit:
»Herr, Emtar von Palagk befindet sich irgendwo an der Küste, Herr. Ihr selbst hattet ihn dorthin versetzt, um die Strände zu sichern.«
Der leise Hinweis der Wache war nicht leise genug, als dass Arbrahin ihn nicht auch gehört hätte. Der Oranuti-Fürst verdrehte genervt die Augen ob solcher Unbedachtheit, und atmete tief durch, als wollte er damit verhindern, seinen Gast ungebührlich zu ermahnen. Torbuk blaffte überreizt:
»Dann eben nur die drei hier her, aber mein Sohn soll nicht herumtrödeln, wir wollen nicht die ganze Nacht hier herumsitzen!« Dann lehnte auch Torbuk sich zurück, sichtlich übermüdet.
Eine ganze Weile geschah gar nichts. Die beiden Herrscher saßen schweigend da, Torbuk eher in sich gekehrt, mittlerweile deutlich resigniert, Arbrahin schon wieder erwartungsvoller, beugte sich vor, um sich die Hände mit den Köstlichkeiten der immer noch vor ihnen stehenden Tabletts zu füllen. In aller Seelenruhe überbrückte er die Zeit damit, sich ein Stück nach dem anderen in den Mund zu schieben. Man sah ihm an, dass er dabei angestrengt überlegte, und wer genau beobachtete, mochte feststellen, dass sich seine Schläfen mehr bewegten, als seine Kiefer.
Nach geraumer Zeit, Torbuk trommelte inzwischen nervös mit den Fingern auf dem Griff seiner Waffe herum, flog die große Tür am unbeleuchteten Ende des Saales auf. Ein kalter Luftzug schlich sich bis zu den beiden wartenden Herrschern hin, lies erneut die Glut der Heizschalen anfachen, und die Lichter der Fackeln aufgeregt an den Wänden tanzen.
Medunzia schritt beinahe würdevoll durch den Saal, hinter ihr die beiden Schiffskapitäne, und in einem gebührenden Abstand folgten Karek und der Wachmann. Während die Vorgeladenen an den Fackeln halt machten, und die Wache wieder ihren Platz neben dem Thron einnahm, schlenderte Karek wie gelangweilt um die drei Untertanen herum, und fletzte sich neben die Speiseschalen auf die Treppe des Throns.
Wie ganz selbstverständlich griff Karek in die Schale, die ihm am nächsten stand, und bediente sich großzügig an den Speisen. Torbuk, der seine innere Ruhe zum Teil wiedergewonnen hatte, beugte sich hinunter, zog seinem Sohn die Speiseschale fort, und sagte in scharfem Ton:
»Du isst, wenn du es verdient hast. Ich habe eine Aufgabe für dich. Du machst dich auf der Stelle auf den Weg in die Heerlager, und bringst mir einen, der zuverlässig ist, einen, der sich auf Spähtrupps versteht, und der sich bereits ausgezeichnet hat.« Torbuk sah, dass Karek seine Hand nach der Schale mit den erlesenen Genüssen ausstreckte, und fügte autoritär hinzu:
»Jetzt gleich. Ich erwarte dich mit einem zuverlässigen Mann in zwei Zentaren zurück!« Karek blickte seinen Vater vorwurfsvoll an.
Dieser legte seine Hand seelenruhig auf den Griff der siebenschwänzigen Knute. Die Geste war unmissverständlich. Wie von einem Sis-tà-wàn gebissen sprang Karek auf und lief durch den Saal. Einen Wimpernschlag später viel die schwere Tür lautstark ins Schloss.
Torbuk sah Arbrahin an, als suchte er seine Bestätigung, dass er richtig gehandelt hatte. Der Fürst nickte ihm lächelnd zu, sagte aber nichts. Wie von neuem, wilden Eifer gepackt, winkte Torbuk seinen Schreiber heran, der hinter einer Säule im Dämmerlicht kauerte, und alles für die Nachwelt festhielt, was seiner Meinung nach von Bedeutung war.
»Verfasst einen Befehl, welcher aufgibt, solange nach der Krähenfrau zu suchen, bis sie gefunden ist. Sie soll gefangen werden, und unversehrt und bei bester Gesundheit vor meinen Thron gebracht werden. Dazu verfasst eine Vollmacht, die dem Beauftragten jede nur erdenkliche Unterstützung garantiert, und ihn bei Behinderung seines Auftrags berechtigt, entsprechende Maßnahmen zu ergreifen, um jedewede Behinderung, oder Verweigerung von Hilfe zu beseitigen, und zu bestrafen.« Torbuks Anordnung war klar und deutlich. Der Schreiber verbeugte sich tief zum Zeichen, dass er verstanden hatte, und zog sich rückwärts ins Dämmerlicht zurück.
Fürst Arbrahin, der sich bis dahin ungeniert den Obstschalen gewidmet hatte, klatschte demonstrativ in die Hände und nickte zusteimmend.
»Gut so, sehr gut! Ihr habt, wie ich sehe, eure Entschlossenheit und euren Tatendrang zurückerlangt.« Dann flaute Arbrahins Begeisterung etwas ab, und er gab zu bedenken:
»Das allein wird aber nicht genügen. Ihr solltet mehr über diese Hexe herausfinden, etwas, das ihr zur Schwäche gereicht, und uns von Nutzen sein kann.« Dabei deutete er mit seinem Kopf zu den Wartenden hin.
Torbuk hatte den Hinweis verstanden, und erhob sich umständlich. Er zog seine Kleider zurecht, rückte seine Waffen gerade, und schritt die letzten Stufen der Throntreppe herab. In einer puren Demonstration der Macht baute er sich vor Medunzia auf, erreichte jedoch nicht die Körperhöhe der Gorreiterin. Die glaubte ihm mit ihren Maßen überlegen zu sein. Doch sie irrte. Torbuks erste Frage ließ ihr Gerüst der scheinbar wiedererlangten Selbstsicherheit sofort in sich zusammenbrechen.
»Ihr habt kläglich versagt, ist euch das klar? Ihr hattet den Auftrag, diese Rebellin zu fangen, und hierher zu bringen. Wie oft war sie in eurer Gewalt? Ein Mal, zwei Mal, drei Mal?« Torbuk ließ seine schneidenden Worte wirken, bevor er mit seinen Vorwürfen fortfuhr:
»Ihr habt Tränen der Götter erhalten, für eure Helferin, ihr habt Männer aus meinen Kohorten erhalten, euer Gor hat Unsummen verschlungen, vierzig Weidetiere! Und sehe ich diese Krähenhexe in Ketten vor meinen Füßen liegen? Nein! Ihr steht mit leeren Händen vor mir! Jeden anderen hätte ich in den Kerker werfen lassen. Dass ihr noch wohlbehalten vor mir stehen dürft, verdankt ihr eurem Drachenvieh.«
Wieder machte der selbst ernannte Landesvater Quaronas eine Pause. Um Medunzia zu veranschaulichen, warum sie noch lebte, klärte er sie auf:
»Ich habe zu viel in dieses Biest hineingesteckt. Arm gefressen hat es mich, eine ganze Herde Schlachtvieh hat dieses Monster verschlungen. Ich will etwas dafür haben, versteht ihr mich? Ich will diese lästige, dreiste Hexe hier vor mir liegen sehen! Und diesen Areos dazu. So, wie die beiden sich in der Gegend herumtreiben, kann das doch keine Unmöglichkeit sein!«
Torbuk begann vor der mutmaßlichen Delinquentin auf und ab zu gehen. Anscheinend war dies eine Gebärde der bezeugten Ungeduld eines jeden Machthabers, denn auch Bental machte sich diese Geste ebenfalls regelmäßig zu nutze. Abrupt blieb er wieder vor der Gorreiterin stehen, neigte sein Haupt dicht zu ihrem Gesicht hin, und sprach gefährlich leise:
»Ihr werdet euch doch Mühe geben, nicht wahr? Ihr werdet alles nötige tun, um dieses Krähenweib unversehrt zu mir zu bringen. Und ihr werdet nicht wieder ohne sie vor mir erscheinen, nicht wahr, das werdet ihr doch nicht, oder?«
Torbuks Nase berührte fast Medunzias Kinn. Er blieb wie erstarrt vor ihr stehen, und sein stechender Blick drang in ihre Augen ein und schien ihr Gesicht verbrennen zu wollen.
»Nein Herr«, presste sie unter Würgen heraus. Ihre Knie zitterten, und in ihrem Leib machten sich ein bohrender Druck, und eine gemeine Kälte gleichermaßen breit. Sie wusste, wie es in den Kerkern Quaronas zuging. Wer hinein ging, kam nur in einem groben Leinensack wieder herus.
»Nein Herr«, äffte Torbuk sie verächtlich nach. »Nein Herr.., ist das alles? Ist das eure ganze Reue für euer Missgeschick?« Torbuk wartete keine Antwort ab. Die wäre der eingeschüchterten Gorreiterin auch nur stotternd über die Lippen gekommen.
»Ich rate euch gut«, empfahl Torbuk ihr, »euch anzustrengen, und diese Aufsässige aufzuspüren, sonst ergeht es euch schlecht, ihr könnt mich beim Wort nehmen.« Er wartete, bis Medunzia sich wieder so weit gefasst hatte, ihm zu antworten.
»Herr, eure gehorsame Dienerin wird euch nicht noch einmal enttäuschen«, versprach sie mit unsicherer Stimme.
»Wenn Sonnenherz und Areos noch leben, werde ich sie finden, darauf habt ihr mein Wort, Herr«, fügte sie etwas gefasster hinzu. Torbuk stand dicht vor ihr, die Hände auf dem Rücken verschränkt, und wippte auf dem Fußballen auf und ab, als erwartete er noch irgend eine Garantie für ihre Zusage. Dabei sah er ihr mit stechendem Blick in die Augen.
»Noch etwas«, begann er von neuem. »Ihr wart lange genug in der Burg meines unseligen Bruders, und wie ich euch kenne, habt ihr dort so Mancherlei aufgeschnappt.« Er wartete kurz, ob Medunzia dies bestätigte. Als sie stumm blieb, wurde er deutlicher.
»Ist euch irgend etwas bekannt, ob diese Rebellin Freunde hat, oder Geschwister, oder ob ihre Eltern noch irgendwo leben? Wo ist die hergekommen, wo ist die Zuhause, welche Menschen stehen ihr nahe?« Torbuk wartete, und Medunzia überlegte angestrengt.
»Macht schon das Maul auf, Frau, oder soll ich vielleicht nachhelfen?« herrschte er sie an, dass sie leicht zusammenfuhr.
»Ich will alles wissen über sie, alles, versteht ihr? Jede Kleinigkeit ist wichtig! Woher kommt die, was hat die vor, und wer sind ihre Verbündeten? Redet, auch wenn euch etwas unwichtig erscheint. Ich will alles wissen, hört ihr, alles, die ganze Geschichte!«
Die Gorreiterin wusste offenbar nicht, wo sie beginnen sollte, daher erzählte sie ziemlich zusammenhanglos alles, was ihr in diesem Moment einfiel.
»Herr, die beiden, Areos und Sonnenherz kamen eines Tages wie aus dem Nichts auf die Burg. Sie waren einfach da, wie aus der Erde gekrochen. Ich sah sie zum ersten Mal, als euer Bruder, König Bental, sie verhörte.«
»Nennt meinen nichtsnutzigen Bruder nicht König, nie wieder, hört ihr?« schnaubte Torbuk ärgerlich. »Und was soll das heißen, sie waren einfach da, aus der Erde gekrochen?« Medunzia ordnete ihre Gedanken und antwortete:
»Herr, ich kann mich überall in der Burg frei bewegen, und ich sehe, wer kommt und geht, und ich höre von den Waschweibern, den Wachen und von Bentals Diener wer zu erwarten ist. Doch die beiden waren plötzlich da, einfach so, ohne Ankündigung. Bental war offenbar sehr erbost darüber, zumindest freute er sich nicht. Seltsam, hatte ich noch gedacht, ein Vater ist doch glücklich, wenn er seinen tot gesagten Sohn wiedersieht.« Torbuk knetete seine unförmige Nase, und sagte leise, mehr zu sich selbst:
»Gewiss nicht jeder Vater freut sich beim Anblick seines Sohnes.« Dann fügte er lauter hinzu: »Er war verärgert über die beiden, er wollte sie wieder los werden?« Medunzia hob unwissend die Schultern.
»Das weiß ich nicht, Herr. Jedenfalls war er ärgerlich, bis ich ihm die Absonderlichkeit des Krähenmädchens mitteilte, ab diesem Moment schien er wie verwandelt.« Torbuk horchte auf.
»Wovon redet ihr, was für eine Absonderlichkeit? Macht den Mund auf, was habt ihr beobachtet, und was habt ihr meinem Bruder mitgeteilt?« Medunzia wurde sich ihrer Wichtigkeit bewusst, und berichtete wieder sicherer:
»Bental stellte Sonnenherz eine Zofe zur Seite, die ihr beim Umkleiden helfen sollte, eine Stumme, eine, die nicht reden kann, welche die Wenderin genannt wird. Ich beobachtete die beiden. Beim Umkleiden sah ich, dass die Krähenfrau ein großes Mal trug, was ich Bental berichtete. Daraufhin ließ er Sonnenherz in einen Flügel oben in der Burg einsperren, und Areos durfte sie nicht mehr sehen.« Torbuks Interesse war geweckt, und er schien all seine Resignation abgestreift zu haben.
»Was für ein Mal war das?« fragte er neugierig. »Und wo trägt sie es, zeigt mir, wo...« Weiter kam Torbuk nicht, denn in diesem Augenblick fegte ein Luftzug durch den Saal, und verriet, dass die große Tür aufgestoßen wurde. Zügigen Schrittes kam Karek herein, gefolgt von einem Krieger, bei dem man schon an der Haltung einen hohen Rang erkennen konnte. Der Mann trug einen makellos gepflegten Waffenrock, der aber schon einige Gefechte mitgemacht zu haben schien. Der Wams war mit einem Wappen bestickt, das vermutlich seinen Clan oder seine Familie repräsentierte. Alles in allem zeigte sein ganzes Äußeres eine Einfachheit und Ordentlichkeit, die Kompetenz und Zuverlässigkeit ausstrahlte.
Der Krieger war von mittlerer Größe, schlank, und seine muskulösen Arme und Beine zeugten von einer ständigen Beanspruchung. Sein offenes und ehrliches Gesicht war von dunklem Haar umrahmt, das an den Schläfen bereits angegraut war. Die Scheide in der gewöhnlich das Schwert eines Kriegers steckte, war leer. Aber das war auch das einzige, was an ihm seltsam aussah.
Ohne auf die Abgrenzung zu achten, welche er einfach umging, und die den Pöbel vom Bereich des Throns trennen sollte, trat der Mann vor Torbuk hin, unerschrocken, direkt, ohne Medunzia auch nur eines Blickes zu würdigen. Seine ganze Aufmerksamkeit fixierte sich auf seinen Dienstherren.
»Ihr habt mich zu euch rufen lassen, Herr«, stellte er mehr fest, als er fragte. Dabei verbeugte er sich vor dem viel kleineren Torbuk, wie es das Zeremoniell gebot.
»Womit kann ich euch dienen?« fragte er mit fester, unerschütterlicher Stimme. Torbuk war ein wenig überrumpelt von der raschen, direkten Art, mit dem sich sein Soldat präsentierte.
Jeden anderen, der es gewagt hätte, die imaginäre Grenze zwischen dem Thron und dem Wartebereich, die groben Steinquader unaufgefordert zu überqueren, hätte er in den Kerker werfen lassen. Doch diesem Krieger ließ er es durchgehen. Etwas umgab den Mann, das Torbuk beeindruckte.
Er wandte sich von Medunzia ab, die sich leicht gebeugt einige Schritte zurückzog. Man sah ihr an, dass sie über diese willkommene Unterbrechung erleichtert war. Gewöhnlich war sie durch kaum etwas einzuschüchtern, und meist war sie es, die andere beherrschte. Doch in dem Despoten Torbuk hatte selbst sie ihren Meister gefunden. Nicht im Sinne der Intelligenz, nein, dazu war sie viel zu verschlagen, eher in der Position ihrer Stellung, die ihr nur wenig Macht verlieh. Dies mochte sich allerdings ändern, wenn sie in ihrer Aufgabe erfolgreich war. Inzwischen beobachtete sie, was Torbuk mit dem neu Angekommenen vorhatte.
Um Zeit zu gewinnen, und die Überraschung zu verbergen, ging Torbuk scheinbar wütend ein par Schritte hin und her, stellte sich dann auf die erste Stufe seiner Throntreppe, und war geneigt, sich mit dem bestellten Heerführer zu befassen. Sie waren nun, da Torbuk auf den Stufen stand, etwa gleich groß. Er war versucht, noch eine Stufe höher zu steigen, doch das hätte wie eine Flucht ausgesehen. Gebieterisch winkte der Herrscher Quaronas den Krieger näher.
Dieser trat nun bis vor die Treppe und verneigte sich erneut leicht. Doch die Verbeugung, die mancher als bedingungslose Unterwürfigkeit verstanden hätte, war nur eine förmliche Geste, ein zwangsläufig erwiesener Respekt vor dem Vorgesetzten. Dies wusste Thorweig, der Heerfüher, nicht aber Torbuk der Herrscher. Dieser wähnte sich in der absoluten Überlegenheit.
»Ihr seid Kommandant über eines meiner Heere«, stellte Torbuk fest, ließ es aber wie eine Frage klingen. Thorweig, der ein Gespür für geistige Taktik besaß, erkannte sofort, dass Torbuk ihn prüfen wollte. Mit fester Stimme antwortete er sofort:
»Herr, ich bin Führer eures sechsten Stadtheeres, welches vor den Toren Quaronas lagert. Eintausendvierhundert Mann, sechsunddreißig Kohorten, jeweils drei Gruppen, Herr, zu eurer Verfügung und einsatzbereit!« Torbuk fragte ihn, als wollte er dessen Identität überprüfen:
»Ihr seid Thorweig von Hohensteig, euer Vater war einst Gelehrter in meinem Rat, bevor er in der letzten großen Schlacht fiel?« Der Krieger straffte sich und bestätigte es.
»Ihr habt von Sonnenherz, der Krähenfrau gehört?« fragte Torbuk, und beobachtete seinen Kommandanten genau. Dieser antwortete wahrheitsgemäß:
»Ja Herr, das habe ich. Die Geschichten über jene, die mit den Tieren spricht, sind mir bekannt.« Torbuk überlegte sich seine nächste Frage sehr gut.
»Und, Thorweig von Hohensteig, haltet ihr diese Geschichten für wahr?« Diese Frage barg etwas Lauerndes in sich, etwas, das die persönliche Meinung des Befragten offenbaren sollte. Doch der Mann ließ sich davon nicht beeindrucken, und sprach:
»Herr, vergebt mir meine Kühnheit, doch ich halte die meisten dieser Geschichten für eine Mär. Ich habe gegen mächtige Gegner gekämpft, gegen kluge und verschlagene Krieger, und gegen vielerlei seltene Waffen und Mächte. Doch es war mir nie eine Frau begegnet, welche mir mit ihrer Kunst der Magie zu schaden wusste, oder die derart der Kampfkunst mächtig war, wie hier erzählt wird. Ich halte die Geschichten über Sonnenherz für die Phantastereien ängstlicher, dummer Leute, oder glühender Verehrer.«
Torbuk musste ein wenig grinsen, als er die nüchterne Rede seines Kommandanten hörte. Doch er wollte ihn noch weiter in die Enge treiben, und bohrte nach:
»So haltet ihr Emtar von Palagk, jenen, welchem ich aufgab, das Dorf der Kinder gefangen zu nehmen, und seine Kohortenführer für ängstliche Männer, für Fantasten und Abergläubige? Denn sie berichteten von Erddämonen und Feurdämonen und kämpfenden Bäumchen, und davon, dass Sonnenherz sich in einen Schwarm der Schwarzvögel verwandelt hat.« Thorweig trat nervös von einem Bein auf das andere, denn er war es nicht gewohnt, mit Alchimistenfragen und übernatürlichen Dingen konfrontiert zu werden.
Er war ein Krieger, ein hervorragender Taktiker, einer, welcher nur danach urteilte und handelte, was er selbst sah, und hörte, und mit seinem Schwerte berührte. Irgendwelche Angstgespinste und mystischen Schrecken gab es für ihn nicht. Und trugen ihm seine Männer Solcherlei zu, so überzeugte er sich selbst vom Wahrheitsgehalt ihrer Darstellung.
»Großer Herr«, antwortete Thorweig vorsichtig, »ich habe die volle Verantwortung für die Männer, welche mir unterstellt sind. Und muss ich einen Gegner aufgrund meiner Erfahrung als so gefährlich einschätzen, dass er eine ernste Bedrohung darstellt, so ergreife ich nötige Maßnahmen, um eigene Verluste zu vermeiden. Doch Magie, Zauberkunst, oder übermenschliche Kampfkunst sind mir noch nicht begegnet. Und ich glaube nur, was ich sehe. Kämpft diese Sonnenherz so außergewöhnlich gut, so setze ich drei Kohorten auf sie an. Genügt das nicht, so würde ich eine List ersinnen, wie bei jedem anderen Gegner auch.«
Torbuk nickte ungeduldig. Er hatte genug gehört. Er brauchte einen Führer, der sich nicht von unheimlichen Erscheinungen, oder unbekannten Gegnern in die Flucht schlagen ließ. Nun stellte er die entscheidende Frage:
»Glaubt ihr, Herr von Hohensteig, dass ihr mir Sonnenherz und Areos lebend bringen könntet, wenn ich euch damit beauftragte?« Seine listigen Augen ruhten auf Thorweigs Gesicht. Der aber verzog keine Falte und antwortete wahrheitsgemäß.
»Herr es gibt bei jeder Tat, und ist sie noch so gut vorbereitet, unvorhergesehene Entwicklungen. Daher könnte ich euch das nicht versprechen. Ein unbedachter Hieb, ein unglücklicher Schritt, und die oder der Gejagte geht ins Reich der Toten. Es mag auch sein, dass die Gesuchten trotz größter Anstrengung gar nicht zu finden sind. Doch wenn ihr mir einen solchen Auftrag gebt, Herr, so kann ich euch versichern, ihn nach besten Kräften auszuführen. Und würde ich die beiden ausfindig machen, so müsste es mit einem dummen Zufall einhergehen, sie euch nicht lebend zu übergeben.«
»Genau das wollte ich von euch hören«, gab Torbuk scheinbar zufrieden zurück. »Ihr werdet ihre Spur dort aufnehmen, wo sie zuletzt von unserer Gorreiterin gesehen wurden, die offensichtlich nicht in der Lage war, die beiden zu verfolgen.«
Der Hieb saß. Und Medunzia zuckte leicht zusammen. Auf diese Weise bloßgestellt zu werden, war sie nicht gewohnt. Sich seiner versteckten Schmähung bewusst, fuhr Torbuk fort:
»Nehmt so viel Männer mit, wie ihr es für nötig befindet. Ihr werdet euch Kleider der Îval Falméras besorgen. Ihr werdet euch nicht in Kriegsröcken auf ihre Fährte setzen. Gebt meinetwegen vor, Händler zu sein, oder Bauern, oder Jäger. Wenn ihr es gut heißt, dann verkleidet euch als Oranutis. Aber verschreckt mir die beiden nicht, wie euer Vorgänger. Ich will die beiden, versteht ihr, ich will sie um jeden Preis, und ich will sie lebend!« Thorweig nahm die Anordnungen gelassen auf. Nüchtern fragte er:
»Werde ich einen eigenen Wasserwagen für diesen Auftrag bekommen, oder werden wir von den Oranuti übergesetzt?« Seine Frage war nachvollziehbar, denn ihm war der Oranuti-Fürst auf der Treppe des Throns nicht verborgen geblieben. Torbuk sah seinen Heerführer scharf an.
»Glaubt ihr, dass ich mir darüber keine Gedanken gemacht habe, ja, glaubt ihr das?« Die Frage klang ein wenig skurril. Thorweig blickte seinen Herrscher jedoch gerade heraus an, ja sogar ein wenig provokativ. Torbuk entwickelte mittlerweile wie in gewohnter Weise seine Strategie.
»Ihr werdet keinen Wasserwagen bekommen, der dann irgendwo am Strand herumdümpelt und Aufsehen erregt. Ihr werdet in der Nacht an Land gesetzt. Der Wasserwagen muss bei Tagesanbruch wieder außer Sichtweite Falméras sein. Ihr haltet Verbindung zu Medunzia, der Gorreiterin. Sprecht euch ab, wo und wann ihr euch ungesehen von Jedermann begegnen könnt. Das werdet ihr doch noch hinbekommen, oder?«
Die letzte Frage richtete er an die Spionin, die inzwischen begriffen hatte, dass es klug war, Torbuk nicht noch einmal zu enttäuschen. Sie stimmte mit einem knappen Ja Herr zu. Torbuk setzte noch einmal nach, wobei er sich wieder an seinen Kommandanten wandte:
»Bewegt euch so unauffällig wie möglich, aber so gezielt wie nötig. Schafft mir diese Hexe her und diesen Emporkömmling meines unseligen Bruders. Tut dazu, was immer ihr für notwendig erachtet, alles ist erlaubt. Und wenn ihr dabei ganz Falméra in Schutt und Asche legt, das wäre mir noch eine Freude. Aber bringt mir diese beiden, und beendet ihre Heldenlegenden ein für allemal!«
Torbuk ging kurz im Kreis herum, hielt für einen Augenblick bei seinem Sohn an, sah diesen nachdenklich an, und beendete seinen Rundgang zwischen dem Thron und den Wartenden vor Thorweig. In ruhigem, sachlichen Ton befahl er:
»Ihr werdet noch Einiges vorzubereiten haben, Thorweig von Hohensteig, ihr mögt daher abtreten. Aber eines noch. Ihr werdet meinen Sohn mitnehmen. Karek wird euch bis zum Schluss begleiten. Er wird nicht schlechter und nicht besser behandelt, als jeder andere in eurem Trupp. Ihr habt völlig freie Hand, was ihn betrifft. Nur, lasst ihn am Leben, sorgt dafür, dass er lebend zurückkommt. In welchem Zustand ist mir egal, nur leben muss er noch!«
Gelangweilt hatte Karek mit den Früchten auf den silbernen Tablets herumgespielt. Es dauerte eine ganze Weile, bis er begriff, was sein Vater gesagt hatte, denn er war dem Dialog zwischen ihm und dem Kommandanten nur mit halbem Ohr gefolgt.
Als ihm klar wurde, welcher Kuhhandel da über seine Person, und über seinen Kopf hinweg beschlossen wurde, sprang er auf, als hätte ihn ein Sis-tà-wàn geradewegs in das Fleisch gebissen, auf dem er gerade gesessen hatte. Karek erwachte so plötzlich zum Leben, dass sogar der Oranuti-Fürst erschrocken zusammenzuckte. Er stürmte vor, und hätte Torbuk beinahe umgerannt.
»Vater, das könnt ihr nicht tun!« schrie er so laut, dass sich seine Stimme überschlug. »Ihr könnt mich nicht mit diesem.., diesem...« Er fand nicht die richtigen Worte. Das war auch nicht nötig, denn Torbuk unterbrach ihn mit eisigem Lachen:
»Was kann ich nicht? Ich bin der wahre König. Ich kann alles tun, was mir beliebt, merk dir das! Und ich bestimme, dass du mitgehst, um diese beiden Rebellen zu fangen. Thorweig macht den Eindruck eines tüchtigen Kommandanten. Vielleicht kann er dir beibringen, was ich versäumt habe, dir einzubläuen. Bei ihm lernst du hoffentlich, wie ein wahrer Krieger zu denken und zu handeln.« Karek fiel vor seinem Vater auf die Knie und wimmerte.
»Vater, bedenkt doch, ich war nie ein besonders guter Kämpfer mit primitiven Waffen. Ich würde den Auftrag nur behindern. Meine Stärke liegt mehr im...« Torbuk unterbrach ihn abermals, und setzte seinen angebrochenen Satz verächtlich fort:
»...etwa eher ein Denker? Seltsam, das war mir nie aufgefallen. Aber bitte, Sohn, dann lernt ihr nun die praktische Art zu kämpfen. Auf Falméra mögt ihr euch beweisen.«
Torbuk wechselte seine Anrede bewusst von der ersten in die dritte Person, um Karek deutlich zu machen, dass sein Privileg, Torbuks Sohn zu sein, von nun an nichts mehr galt. Bevor Karek noch einmal mit seinen Betteltiraden beginnen konnte, setzte der unerbittliche Vater nach.
»Und gebt euch Mühe, dass mir keine Klagen kommen, das rate ich euch! Sonst mache ich diese Sonnenherz tatsächlich noch zu meiner Tochter.«
Dazu fuhr er mit seiner Hand durch die Luft, das eindeutige Zeichen, dass es dazu nichts mehr zu sagen gab. An Thorweig gewand sprach er:
»Wenn ihr bereit zum Aufbruch seid, so sendet mir einen Boten. Ich werde dafür sorgen, dass dieser da«, er deutete auf seinen Sohn, »zur Stunde bei euch sein wird.« Thorweig verbeugte sich und ging dann Rückwärts mit dem gebotenen Respekt der Türe zu.
Damit wandte Torbuk sich kurz seinem Gast zu, der ihm mit einem zustimmenden Kopfnicken stummen Beifall zollte. Die beiden Herrscher grinsten sich an. Für einen Moment schienen sie Brüder zu sein. Dann wurde Torbuks Miene weider ernst, und er drehte sich zu Medunzia und den Wasserwagenfahrern um.
»Ihr«, er meinte die Schiffer, »haltet euch bereit und zu Thorweigs Verfügung. Rüstet eure Wasserwagen, ihr werdet den Trupp übersetzen.«
Mit einer ungeduldigen Handbewegung gab er den beiden Männern das Zeichen, dass auch sie sich nun entfernen durften. Medunzia stand Torbuk nun allein gegenüber. Das steigerte nicht gerade ihr Wohlbefinden. Karek stand etwas abseits, unbeachtet, wie ein überflüssiges Inventar. Torbuk schenkte ihm keine Aufmerksamkeit mehr. Dennoch blieb der ungeliebte Sohn noch eine Weile unschlüssig im Raum stehen. Inzwischen fragte Torbuk die wartende Medunzia wider Erwarten freundlich:
»Ihr seid lange am Hofe Bentals. Ich denke ihr habt dort so einiges gesehen und gehört. Was wisst ihr über Sonnenherz? Und vor allem, was wisst ihr über Menschen, die ihr nahestehen? Wem vertraut sie? Wer ist ständig an ihrer Seite? Hat sie Verwandte, die noch leben?«
Torbuk und auch Medunzia dachten nicht mehr an das Mal auf Sonnenherz Körper, von dem die Gorreiterin ihrem wahren Herren noch vor ein par Minuten berichten wollte. Medunzia sonnte sich in der Tatsache, dass sie offensichtlich noch wichtig und interessant genug war, um nicht im Kerker zu landen. Durch die vermeintliche Anerkennung beflügelt berichtete sie:
»Die Wenderin, eine stumme Zofe, der irgendwer, irgendwann die Zunge herausgeschnitten hat, steht ihr sehr nahe. Die wurde ihr von Anfang an als Dienerin zugeteilt. Ein einfältiges, schwaches Ding, an der Sonnenherz einen Narren gefressen hat.«
Medunzia wurde unterbrochen, als Karek, der sich übergangen und zurückgesetzt fühlte, in einer Aufwallung des Trotzes und des Zorns lautstark aus dem Saal polterte. Torbuk nahm von diesem Gefühlsausbruch keinerlei Notiz. Und so fuhr Medunzia fort:
»Dann ist da natürlich Areos. Der liebt diesen wilden Fratz mehr als die Götter und seinen Vater. Beide sind unzertrennlich und würden ohne zu zögern füreinander in den Tod gehen.« Nachdenklich nickte Torbuk. Er schien zu überlegen. Schließlich sagte er weniger als Frage:
»Ist das so. Die beiden sind ja offensichtlich nicht so leicht zu fassen.« Er wandte sich kurz zu Fürst Arbrahin um, als müsste er sich von diesem die Erlaubnsi einholen, weiter zu machen. Der Fürst nickte nur väterlich von Torbuks Thron herab. Torbuk wollte nun wissen:
»Was ist mit dieser Wenderin, mit dieser Zofe? Kann man ihrer habhaft werden, was meint ihr?« Medunzia wiegte zweifelnd ihren Kopf hin und her.
»Das wird nicht einfach, Herr. Diese Wenderin, Vesgarina mit Namen, und ihr heimlicher Geliebter, Frethnal, welcher der Diener Areos.., also die beiden sind ständig an Sonnenherz und Areos Seite. Wo immer sie zu finden sein mögen, dort werden auch ihre Vertrauten sein.«
Eine Spur ärgerlicher stapfte Torbuk einen Moment lang auf und ab. Dann blieb er wieder mit forschendem Blick vor Medunzia stehen.
»Was ist mit Verwandtschaft? Hat diese aufsässige Kröte Eltern, Geschwister, noch andere, die ihr nahestehen, und die nicht gerade bei ihr sind?« Nach kurzer Überlegung antwortete die Gorreiterin:
»Sie soll noch einen Vater haben, Herr. Einen, der sich der Holzer nennt. Dieser soll irgendwo im Val Mentiér leben, auf einem kleinen Hof. Und dann sind da noch ihre Schwarzvögel. Überall, wo Sonnenherz sich befindet...«
»Augenblick!« unterbrach sie Torbuk mit erhobener Hand. »Sie hat noch einen Vater, der nicht auf Falméra lebt? Wisst ihr das genau?« Medunzia hob wie zur Entschuldigung die Achseln.
»Herr, genau weiß ich das nicht. Doch ich hatte diese kleine Ratte genau beobachtet. Sie sandte ihrem Vater regelmäßig ihre Schwarzvögel, die dann lange Zeit fort waren. Und jemand sagte, Areos und Sonnenherz waren aus dem Val Mentiér gekommen, als sie plötzlich auf der Himmelsburg auftauchten. Also ist es wahrscheinlich, dass ihr Vater, wenn es ihn denn gibt, im Val Mentiér lebt.«
Torbuk ließ Medunzia einfach stehen, und wandte sich erneut Fürst Arbrahin zu, der bis dahin das Geschehen aufmerksam verfolgt hatte. Mittlerweile hatte er ganz nebenbei die silbernen Tabletts geleert.
»Habt ihr das vernommen, mein Freund? Wenn das stimmt, dass die in den Tälern unter dem ewigen Eis einen Vater hat, dann...«
»...braucht ihr euch diesen nur zu holen, und ihr habt auch die aufsässige Kröte«, ergänzte der Fürst folgerichtig Torbuks Gedanken. Arbrahin blieb sitzen, denn die einverleibten Speisen lasteten schwer in seinen Gedärmen. Er machte eine fahrige Bewegung und schlug vor:
»Ihr braucht diesen Mann nur zu finden, und ihn nach Quaronas zu schaffen. Stellt ihn an den Pranger, und lasst verkünden, dass er nach zwanzig Sonnenläufen verbrannt wird, wenn Sonnenherz sich nicht stellt. Ich sage euch, wenn ihr etwas an dem Mann liegt, wird sie auftauchen, ganz von selbst, ohne, dass ihr dazu einen Finger rühren müsst.«
Wiederum wendete sich Torbuk der Gorreiterin zu. Er trat ganz dich an sie heran, als befürchtete er, dass sie ihm sonst nicht zuhören könnte.
»Ihr bekommt für euer Drachenbiest noch eine letzte Chance«, eröffnete er ihr. »Ihr bekommt sogar noch weiteres Futter für diesen Vielfraß. Aber dafür kundschaftet ihr die Täler nach diesem Mann, nach diesem Holzer, Sonnenherz vermeintlichem Vater aus. Ihr verabredet euch mit Thorweig von Hohensteig, um mir zu berichten. In den Zentaren dazwischen werdet ihr diesen Vater suchen. In Bezug auf ihn unternehmt ihr nichts weiter, verstanden? Nicht, dass ihr es wieder vermasselt! Ihr findet ihn, und berichtet mir dann. Alles weitere veranlasse ich von hier aus.« Er blickte Medunzia mit seltener Geduld in die Augen und fragte nachdrücklich:
»Habt ihr das verstanden? Ist dabei noch irgendetwas unklar? So sagt es jetzt gleich, oder schweigt, und tut, was ich euch aufgetragen habe. Wenn ihr es dieses Mal wieder verbockt, so lasst euch besser nie wieder unter meiner Sonne sehen, oder ihr werdet es bereuen. Habe ich mich klar und deutlich ausgedrückt?«
Mit belegter Stimme rang sich Medunzia ein Ja Herr ab. Sie trat von einem Fuß auf den anderen, nahm ihren letzten Mut zusammen, und sagte:
»Herr, ich werde auf ewig eure treue Dienerin sein, und euch nicht mehr enttäuschen. Wenn es diesen Vater gibt, wird Medunzia ihn für euch finden.« Torbuk nickte zufrieden, drehte sich um, und flüsterte mit seinem vertrauten Wachmann, der ihm etwas in die Hand gab.
Dann kehrte Torbuk zu Medunzia zurück. Er hielt ein kleines Ledersäckchen in der Hand, in dem es wohlklingend klimperte. Wie um seine Großzügigkeit zu unterstreichen, ließ er das Säcklein in seiner Hand einige Male auf und ab hüpfen, dass der Inhalt verführerisch klingelte. Dabei sprach er:
»Ich verlasse mich auf euch. Hoffentlich, und zu eurem Besten nicht umsonst. Es gibt nichts mehr zu sagen. Ihr dürft nun abtreten.« Mit dem letzten Wort warf er Medunzia das Beutelchen mit den Quarts zu.
Die Gorreiterin fing es geschickt auf und verbeugte sich übertrieben. So verunsichert war sie denn doch nicht, als dass sie einen Beutel voller Ring-Geld hätte fallen lassen. Rückwärts entfernte sie sich aus dem Licht der Fackeln, und Torbuk wartete, bis er die große Tür ins Schloss fallen hörte.
Dann ging er zum Thron zurück, und ließ sich mit einem tiefen Seufzer schwer neben Arbrahin in die Kissen fallen. Er wollte einer Gewohnheit zufolge, nach irgendeiner der Speisen greifen, doch die Teller und Tablets glänzten mit jungfräulicher Leere. Missmutig sah er seinen Gast an. Der hob unbekümmert die Hände, als wollte er zeigen, dass er keine Krume verbarg. Statt dessen sprach er:
»Torbuk, alter Freund, das hätte ich nicht besser hinbekommen! Ihr habt die richtigen Entscheidungen getroffen, und ich werde die Fürsten Oranutus noch einmal um Aufschub bitten. Zumindest so lange, bis diese kleine Nervensäge sich in eurer Hand befindet. Ich werde ihnen sagen, dass die große Flut uns in der Ausführung unserer Pläne etwas zurückgeworfen hat. Das klingt glaubwürdig.« Der Fürst beugte sich zu Torbuk hinüber und ermahnte ihn leise:
»Aber wartet nicht zu lange. Schließt diese Sache endlich ab. Fangt dieses Hexenweib und diesen Burschen, und macht mit ihnen, was ihr wollt. Aber werdet ihrer endlich habhaft! Wenn die Fürsten bis zu den Monden der Ernte keinen besiegelten Vertrag haben, kann ich sie nicht mehr zu eurem Wohle lenken. Und bedenkt, es ist auch mein Risiko. Würdet ihr einen Partner achten, welcher seiner Aufgabe nicht gewachsen ist?«
Torbuk hatte sich von seiner Enttäuschung über die leergefressenen Teller und von seinen anstrengenden Entscheidungen erholt. Er patschte mit seiner fleischigen, behaarten Hand freundschaftlich auf das Knie des Fürsten, und sagte überschwänglich:
»Mein lieber Fürst Arbrahin, nun wird sich alles lenken und renken, und wenn ich diese kleine Rebellin erst einmal habe, werden wir zusammen ein Fass Mestas aufmachen. Ich gebe ein Fest, bei welchem ich mein Siegel unter unseren Vertrag setzen werde. Verlasst euch drauf, jetzt kann gar nichts mehr gegen uns aufbegehren.«
»Jaaha, das glaube ich euch wohl«, meinte der Fürst mit einer deutlichen Spur Skepsis in der Stimme, »aber haben müsst ihr die Hexe erst einmal, haben müsst ihr sie. Bis dahin ist alles Schall und Rauch. Und ob es diesen Mann, der ihr Vater sein soll, überhaupt gibt, wisst ihr auch noch nicht. Ich rate dazu, euer Augenmerk nicht allzu sehr auf den Vater, als denn auf Sonnenherz zu richten. Gibt es den Mann, so habt ihr einen unbestreitbaren Vorteil. Gibt es ihn aber nicht, so müsst ihr diese Schlange fassen, die sich in jedes dunkle Loch zu winden vermag.«
Während der Fürst sprach, wischte er mit seinem Handrücken demonstrativ über die Stelle seines edlen Beinstoffes, auf die Torbuk seine Pranke gelgt hatte, als wollte er das Schmutzige, Primitive von sich fortstoßen, das sich möglicherweise von Torbuk auf ihn übertragen haben könnte. Doch dann rückte er an den Herrscher Quaronas heran, und fragte mit leiser Stimme:
»Sagt einmal ganz ehrlich, bester Freund, glaubt ihr tatsächlich, dass Sonnenherz der Magie mächtig ist? Glaubt ihr, dass an den Mären von den Schwarzvögeln und den kämpfenden Baumgeistern und Erddämonen etwas Wahres ist? Haltet ihr es für möglich, dass sie mit Tieren sprechen kann, und stärker ist, als eure fähigsten Krieger? Glaubt ihr daran?«
Torbuk war sich unsicher darüber, was Arbrahim mit dieser Frage im Schilde führte. Aber soweit er seinen Verhandlungspartner kannte, war die frage durchaus ernst gemeint.
»Ob sie nun besondere Fähigkeiten besitzt, oder nicht«, wich Torbuk einer klaren Antwort aus, »wir werden sie fassen, früher oder später werden wir sie zu fassen kriegen, und dann wollen wir mal sehen, mit welcher Magie sie uns wieder entwischen mag, wenn Eisenschellen und Ketten sie an die Mauern Quaronas fesseln.« Der Fürst gab sich mit dieser Aussage nicht zufrieden.
»Nein, ganz im Ernst, guter Freund, glaubt ihr an Feuerdämonen, Walddämonen; glaubt ihr, dass ein Menschenwesen solche Fähigkeiten besitzt, wie sie Sonnenherz angedacht werden? Ihr glaubt an Talris und die Götter unter ihm. Eure Gelehrten wachen darüber, dass alles zu ihren Ehren geschieht. Ihr glaubt an die Legende der Hallen von Talris, und ihr glaubt daran, dass die Götter einst auf einem Blitz von den Sternen kamen.« Arbrahim ließ seinem Gegenüber genug Zeit, einen vergleich zu überdenken, bevor er fortfuhr.
»Glaubt ihr, dass ein kleines, schmutziges, halbnacktes Mädchen ein Schwert so zu führen vermag, dass es eine halbe Kohorte niedermetzelt? Glaubt ihr, dass das Kind eines Holzbauern das Grunzen eines Xebron, oder das Brummen eines Felsenbären versteht? Glaubt ihr, dass ein unbedeutendes Kind einfacher Herkunft so viel Magie besitzt, dass es sich in einen Schwarm Schwarzvögel verwandeln kann?«
Torbuk geriet zunehmend unter Druck. Er konnte die Berichte über Sonnenherz nicht leugen. Genauso wenig durfte er zugeben, dass er zum Teil an sie glaubte. Ja, er glaubte, dass dieses Krähenmädchen etwas besonderes war, der Spross einer Hexe, das Kind von Göttern?
Er musste zugeben, dass all die Geschichten, die in den letzten Sommern und Wintern seine Ohren erreichten, zumindes höchst merkwürdig klangen. Da kamen gefallene Krieger, am schwarzen Tod Gestorbene, oder Gehenkte aus dem Reich der Toten zurück. Bäumchen kamen Zentarenweise aus Erdspalten und kämpften gegen seine Pferdesoldaten, ein kleines Mädchen erhob sich aus den Fluten eines Flusses als ein Schwarm Schwarzvögel. Farbiger Rauch drang aus Erdspalten aus der Unterwelt hervor. Konnten das alles Hirngespinste durch den Genuss von Mestas sein? Gab es da noch mehr?
Torbuk kannte die Prophezeiungen aus den alten Schriften der Îval, welche besagten, dass wundersame Zeichen geschehen würden, und dass eine Heilerin und ein mächtiger Krieger kommen würden, um den Menschenwesen die Freiheit von jeglicher Fron zu bringen. Talris selbst sollte sie aus dem Reich der Götter auf die Erde senden. Torbuk hütete sich wohl, solcherlei Kenntnisse seinem Gast zu offenbaren.
Er selbst war hin und her gerissen, ja geradezu verunsichert über diese Prophezeiungen in den Schriftrollen, die von den Göttern selbst verfasst worden sein sollen, und sich seit Generationen in den Gewölben der Himmelsburg Falméra befanden. Sein Vater, König Trámon III. und die Gelehrten Falméras hatten ihm und seinem Bruder Bental daraus vorgelesen, als sie Knaben waren.
In seiner Phantasie hatte sich Torbuk stets vorgestellt, selbst dieser Erretter seiner Welt zu sein, und sich eine junge Schöne Oranuti an seiner Seite als die Heilerin vorgestellt. Doch stets war sein Bruder Bental vom Schicksal begünstigt worden. Er besaß die edleren Züge ihrer Mutter Zibris, einer Prinzessin der Oranuti. Bental wurde von den Gelehrten bevorzugt, und schließlich auch von Trámon als Thronerbe vorgesehen. Er war das vorzeigbare Kind der Familie.
Diese Prophezeiungen, an die alle glaubten, hatten sich in seine Sinne eingegraben. Und indem Torbuk sich als Schwarzes Schaf von seiner Familie abwandte, hatte er versucht, diese bohrende, aufbegehrende Mythologie, die seine Persönlichkeit betrogen zu haben schien, mit dem Schutt seiner eigenen Machtergreifung über das Festland zu begraben. Doch tief unten, in den verborgenen Winkeln seiner Seele lebte sie noch, rief sich mit dumpfem Pochen aus der Tiefe des krampfhaften Vergessens heraus in seine Erinnerungen, sendete Zweifel aus bei jeder Gelegenheit, und stellte Torbuks Selbstsicherheit bei jeder Entscheidung infrage.
Dass er nicht mehr dieser Krieger der Ehrhaftigkeit und heldenhaften Befreiung sein konnte, machte ihn an der Oberfläche seiner Persönlichkeit noch böser und grausamer. Und er litt unter dem Mantel seiner Rolle, welchen er sich aus lauter Enttäuschung, rachsüchtigem Zorn und eigener Genugtuung selbst übergeworfen hatte. Er litt unsäglich darunter, das Böse zu sein, und nicht der Held aus seinen Kinderträumen. Er litt darunter, nicht mehr in die Rolle des Erlösers und Befreiers zurückkehren zu können.
Und wie sich seine Seele entwickelt hatte, sich notfalls mit roher Gewalt das zu nehmen, was er sich ersehnte, so griff er auch nach der Macht mit blutigen Händen. Der Plan seines Herzens war einfach. Hatte er einmal die Macht, die Gewalt über ganz Volossoda, so mochte er sich gern als gütiger, und liebevoller Landesvater geben, so mochte er mit Verständnis und Volksnähe regieren. Das Leid, welches er den Menschenwesen, vor allem den Îval antat, und die Narben, die sich durch seine gewaltsame Eroberung durch das Land fraßen, schloss er aus dem Bild seiner Anschauung aus. Sie würden bald vergessen sein, wenn dem Volk die Annehmlichkeiten des Ergebnisses zuteil wurden.
Nur, vor dem Gericht der Götter hatte er versagt. In dem Glauben, in dem er erzogen wurde, der seine Kindertage als schützende Grundlage behütet hatte, der ihm einst Sicherheit und Wärme verliehen hatte, in ihm würde er nicht mehr leben können, selbst wenn er das Volk Volossodas in eine glorreiche, fortschrittliche und wohle Zukunft führte. Der Preis, den er mit dem Bösem dafür bezahlen musste war schon viel zu lange viel zu hoch geworden. Das Gericht würde ihn einholen. Seine Macht würde ihn wohl vor dem Gericht der Götter schützen. Aber schützte sie ihn auch vor jenem Gericht, dass in den begrabenen Tiefen seiner Gedanken und Gefühle tobte, und immer wieder aus seinem Grabe stieg?
Als er nun nach längerem Schweigen Arbrahin antwortete, wusste er aus den Tiefen seiner Seele heraus, dass er log, dass er sich selbst betrog, und sich selbst etwas vormachte.
»Nein, ich glaube solchen Humbuk genauso wenig, wie mein Heerführer. Arbrahin, ich sage euch, unser Glaube, wie er uns seit meiner Kinderzeit vermittelt wurde, ist nurmehr eine Tradition. Jedes Volk braucht eine Tradition, und die bekommt man aus alten Geschichten. Mehr ist da nicht. Keine Magie, keine von Göttern gesandten Befreier. Und wozu auch? Wenn das Volk tut, was ich will geht es ihm doch gut! Wenn es sich meiner Gnade fügt, wird es in Wohlstand leben. Warum sollten Menschenwesen von einem guten, wohlgefälligen Leben befreit werden?«
Torbuk dachte einen Augenblick mit oberflächlicher Überzeugung über seine Ausführungen nach. Tief in seinem Innern jedoch nagte der Zweifel. Er vermochte ihn nicht zu töten. Und etwas schroffer, gesteuert durch seine von Widersprüchen zersetzte Gefühlswelt, fuhr er fort:
»Das Volk ist einfach. Es braucht keine Helden, die sich für die Menschenwesen in Vögel verwandeln, und mit den Tieren spricht. Das Volk braucht, wie ein heranwachsendes Kind, eine starke Führung, klare Taten, und wenn nötig, harte Strafen. Das alles dient nur dem Ziel, dem Volk Wohlstand und Zufriedenheit zu schenken. Ich glaube an mich, verehrter Arbrahin. Ich glaube, dass ich dem Volk all das Angenehme zu geben vermag, das es sich wünscht. Von den Göttern, oder irgendwelchen Erlösern und Befreiern, wird es kein Korn, kein Wild, keine Schätze bekommen. Die wird es aber einmal von mir in Hülle und Fülle bekommen.«
»Aha«, sagte Arbrahin schlicht, und nickte nachdenklich. »Und bis dahin wird der Preis sein, dass ihr das Volk unter Zwang stellt, Teile des Volkes bekämpft, tötet, ausraubt, so dass es euch bis aufs Blut hasst, und sich Helden, wie diese Sonnenherz und diesen Areos sucht.« Er blickte Torbuk mit zusammengekniffenen Augen an.
»Meint ihr nicht, mein Freund, dass dieser Weg recht umständlich und langwierig ist? Habt ihr keine Furcht davor, dass euer Vorhaben möglicherweise euer Leben überdauert?« Er lehnte sich wieder in die Kissen auf den Thronstufen zurück, und rülpste laut und ungeniert, bevor er zu denken gab:
»Letztlich habt ihr aus eurem Tun doch nur Hass und Groll gegen euch selbst geerntet. Versteht mich nicht falsch, ich werde euch nach Kräften unterstützen, denn ich ziehe auch meine Vorteile daraus. Aber ich habe ja bereits meinen Frieden, mein Zuhause, ein Volk im Wohlstand, das mich liebt, eine Familie, die mich liebt. Doch was habt ihr? Eure Ziele mögen edel sein, mein Freund, und sie mögen die Taten rechtfertigen, welche ihr tut. Doch könnt ihr euch jemals in ihrem Glanze sonnen? Wann wollt ihr die Dankbarkeit und die Liebe eures Volkes ernten, und sie fühlen? Des Volkes, das ihr bislang vergeblich anstrebt, unter eurer Gnade zu vereinen?«
Torbuk wurde schlagartig klar, dass Arbrahin recht hatte. Sein Gast hatte ihm mit diesen Worten ein glühendes Schwert in den Bauch gerammt, das einen bohrenden Schmerz in ihm verströmte. Er hatte ihm seine verborgenen Ängste nach außen gekehrt. Und er hasste diesen aufgeblasenen, wie einen Paradiesvogel gekleideten Laffen dafür. Und er würde dafür bezahlen! Hatte er erst einmal einmal Zarollon, Falméra, Quaronas und die Täler in einem Reich Volossoda unter sich vereinigt, und hatte sich der Wohlstand bis in die letzten Winkel dieses Reiches verbreitet, dann würde er jeden Oranuti aus dem Land werfen.
Seine Armee würde dann so stark und mächtig sein, dass er Oranutu im Süden einfach überrennen konnte. Diese Oranuti würden sich noch über Torbuk, den gerechten Herrscher unter Talris wundern, und sie würden vor ihm zittern!
Als spürte Arbrahin die plötzliche innere Abneigung, die in Torbuk wuchs, mühte er sich unverhofft aus dem Sitz hoch, richtete seine Kleider, und verbeugte sich vor seinem Gastgeber.
»Es ist an der Zentare aufzubrechen, mein Wasserwagen wartet. Ich wünsche euch, dass eure Taten vor Erfolg gekrönt sind, und dass ihr erreicht, wonach ihr strebt. Habt ein langes und zufriedenes Leben, mein Freund. Sendet mir einen Boten, wenn ihr für weitere Verhandlungen bereit seid. Euer Freund Arbrahin wird ohne zu Zögern zur Stelle sein. Gesundheit, Glück und guter Rat möge euch auf allen euren Wegen begleiten.«
»Aber bleibt doch noch, alter Freund«, ereiferte sich Torbuk scheinheilig, »die Strömungen des großen Wassers sind tückisch in der Nacht, es wäre für mich untröstlich, wüsste ich, dass ihr in sie hinein geratet. Ich lasse euch einen Flügel in meiner Feste richten. Und mit dem neuen Sonnenlauf lasse ich euch zu Ehren zur Jagd blasen. Ihr seid mein Gast, Arbrahin. Genießt...« Doch der Fürst unterbrach ihn.
»Lasst es gut sein, Torbuk, alter Freund. Was gesagt werden musste, ist gesagt. Wir haben beide viel zu tun. Und ihr habt große Ziele, bei denen ich euch nicht aufhalten mag. Zu anderer Zentare werden wir uns wieder zusammensetzen, speisen und trinken, und über unsere Geschäfte sinnen. Lasst die Zentaren des langen Schnees erst einmal vorüberziehen. In den Monden der knospenden Bäume sehen wir uns wieder. Erwartet inzwischen meine zugesagten Lieferungen an Holz, Wasserwagen, und edlen Stoffe.«
Fürst Arbrahin hatte es plötzlich sehr eilig, die Festung Torbuks zu verlassen. Als spürte er dessen heimliche Pläne leibhaftig, ging er noch ehe seine Stimme verklungen war. Nachdem die schwere Tür ins Schloss gefallen war, und eine wache den Riegel vorgeschoben hatte, saß Torbuk zusammengesunken auf seinem Thron.
Doch er war keineswegs in Schwermütigkeit verfallen. In ihm brodelte ein Zorn, der sich binnen Minuten zur blanken Wut steigerte. Innerlich kochte er. Torbuk wusste, dass ihm Arbrahin die Wahrheit schonungslos ins Gesicht geschlagen hatte. Und am liebsten hätte er ihm auf der Stelle eigenhändig den Schädel vom Hals gedreht. Aber er brauchte ihn. Die Fürsten Oranutus, deren Waren, Bauholz und Kenntnisse er brauchte, hörten auf ihn. Arbrahin war der Schlüssel zum Werkzeugkasten seiner Macht.
»Karek! Verflucht sei dieser Nichtsnutz von einem Sohn, Karek.., Kaaaarek, heeer zu mir!« Torbuks dröhnender Ruf, seine donnernde Stimme, die den ganzen gefangenen Hass aus seiner Seele befreite, hallte mit vielen Echos durch das düstere, dicke Gemäuer der Burg Quaronas. Es war das Letzte, das die Wachen, Diener und das übrige Gesinde von ihrem Herren in dieser Nacht hörten.
  Wichtiger Hinweis: Die Texte des Autors Frank Adlung, insbesondere die des Romans "Das Geheimnis von Val Mentiér", sind durch notarielle Hinterlegung urheberrechtlich geschützt. Ein Herunterladen und Ausdrucken ist nur für den privaten Zweck des Lesens gestattet. Kommerzielle Nutzung, öffentlicher Vortrag, oder Vervielfältigung und Verfälschung des Inhalts, sowie öffentliche Verbreitung ohne Genehmigung des Autors sind untersagt und werden zur Anzeige gebracht.
 
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