thik im Alpinismus
Beschissene Angelegenheiten, betrachtet aus menschlicher Sicht

Frank Adlung, Sektion Blümlisalp

Viele Bücher gibt es da über unsere schönen Alpen. Und natürlich gibt es da auch all jene, die in diesen unzähligen bedruckten Seiten ihr Unwesen treiben.
Nun, manche Lektüre ist gut, manche schlecht, einige sind durchaus ganz präzise in ihrer Landschafts- oder Tourenbeschreibung. Andere wiederum beschreiben peinlich genau die bei einer Bergtour empfundenen Gefühlsregungen. Nahezu alle Publikationen haben aber eines gemeinsam: Nämlich, daß ihnen etwas wichtiges fehlt; und zwar die Beschreibung der Verrichtungen, die doch nun wirklich unausweichlich zum Alltäglichsten des Alltäglichen gehören.

Kaum ein Autor all dieser vielschichtigen Alpin- Literatur beschreibt in seinem Werk, wo, wie und unter welchen Bedingungen er ein höchst dringliches Bedürfnis verspürte und erledigte. Ja nicht einmal ein andeutungsweiser, vager Hinweis auf dieses Problem läßt sich in alpiner Fachliteratur finden, geschweige denn, daß man in ihnen helfende Empfehlungen oder Verhaltensmuster aufgezeigt bekommt. Eine wahrhaft beschissene Angelegenheit!
Zwar taucht dieses drückende Thema auch in der übrigen Literatur höchst selten auf, aber wer wie ich, diese Problematik entweder von Baustellen her kennt, oder schon einmal Anfänger auf eine lange Gletscherfahrt oder Klettertour mitgenommen hat, weiß, wie sehr einem solche inneren Probleme auf dem Magen, respektive auf dem Darm lasten können.
Insbesondere Hochgebirgsfrischlinge beschäftigt dieses Phänomen im wahrsten Sinne des Wortes sehr eindrücklich. Verschämt, meist schon mit hochrotem Kopf und mit Schweißperlen auf der Stirn, wird dann die Frage gestellt, wo um alles in der Welt man sich während der Tour auf dem weithin ebenen Gletscher denn mal ungestört hinhocken kann, und wie man das allgemein überhaupt bewerkstelligt, da man ja auf dem Gletscher stets angeseilt bleiben sollte. Und dann ist womöglich kilometerweit kein schützender Felsblock in Sicht!
Am stärksten beschäftigt dieses Problem die Neulinge einer gemischten Gruppe. Es verwundert auch nicht weiter, denn wer ist schon so abgebrüht, und mag sich mit dem blanken Hinterteil vor den schönen Augen der netten, hübschen Seilgefährtin, oder vor den belustigten Äuglein des gutaussehenden Tourenleiters in den Schnee hocken?

Es zeigt sich aber, daß sich dieses Problem in der Praxis oft von ganz allein löst. Man steht schließlich nicht umsonst in aller Herrgottsfrühe vor dem abseits der Hütte gelegenen Häuschen schlange. In der Regel erledigt man sein "großes Geschäft" dort. Allerdings sind es ja bekanntlich die Ausnahmen, welche die Regel bestätigen, - dazu im Anschluß mehr.

Die Regel, das gewisse Bedürfnis morgens bei der Hütte zu verrichten, setzt natürlich eine optimierte Planung und Körper- (Darm-) Beherrschung voraus. Beispielsweise muß der in Alpinistenkreisen typische, stuhlhemmende Schokoladenkonsum ausgeglichen werden, mit Trockenpflaumen oder Feigen, damit gewährleistet ist, daß man mit relativ entleertem Darm die Tagesroute angeht. (Insider- Tip: Kaffee tut es ebenso zuverlässig).
Oft ist für solcherlei Koordinierung jahrelanges Training nötig, eben um das richtige Verhältnis zwischen den verdauungshemmenden, oder fördernden Komponenten herauszufinden.
Die hohe Kunst, in den Bergen für das richtige Funktionieren des Verdauungsapparates zu sorgen, scheint jedoch nicht von allen Bergbegeisterten gleich gut beherrscht zu werden. Wie sonst ließe sich die stickig- schwülstige, gasgeschwängerte, zum Schneiden dicke Luft in den Matratzenlagern unserer Clubhütten erklären, die das uralte physikalische Gesetz außer Kraft setzt, welches uns lehrt, daß der Druck mit steigender Höhe abnimmt.
Wer je an schönen Sommertagen in der Hochsaison auf der Coûterhütte am Mont Blanc, oder auf der Hörnlihütte am Matterhorn genächtigt hat, wird sich entsetzt zurückerinnern, daß dieses physikalische Gesetzt dort oben einfach nicht zutrifft.

Bei manchem jedoch mag es trotz allerbester Vorsätze und ausgeklügelter Ernährungspläne mit dem frühmorgendlichen Aborttermin nicht so recht klappen. Daher trifft man auf den teils ebenen, makellos weißen Schneefeldern doch hin und wieder auf diese maulwurfshügeligen, schwerpfündigen Zeugnisse der Vergänglichkeit jedweder kulinarischen Genüsse. Im weichen, gut aufgefirnten Schnee läßt sich das Produkt darmtätiger Hinterlassenschaft noch relativ gut verbergen. Doch wohin damit, wenn der Gletscher fast aper ist, beinhart gefroren, womöglich auch noch ohne tarnendes Geröll? So ein Zwölfpfünder läßt sich eben leider erst in gefrorenem Zustand in eine Gletscherspalte kicken.
Das Häuflein verdauten Hüttenessens mitnehmen geht ja wohl ebenso wenig.....- Oder doch?

In diversen Großstädten ohne weitläufige Parkanlagen hat sich beispielsweise für Hunde und deren Bedürfnisse ein spezielles Schäufelchen mit Hygienetüte durchaus bewährt. Dieser praktische Einfall ist mir allerdings im Hochgebirge bislang noch nirgends begegnet. Und wer möchte schon gern ein solches handwarmes Päckchen in seinem Rucksack wissen, in dem gleich nebenan Pfirsich und Butterbrot ruhen?

So zieren oftmals rechts und links bekannter Routen, kleine hellbraune bis schwarze, manchmal noch dampfende Erhebungen den Firn. Bisweilen wird ja noch ganz dezent ein Papiertaschentuch über die beschissene Angelegenheit gedeckt, welches natürlich erst seine Reinigungsfunktion erfüllen durfte. Dieses Papiertüchlein, Ton in Ton mit der weißen Welt von Schnee und Eis bemerkt man jeweilig samt der darunter verborgenen Substanz erst dann, wenn der haltsuchende Fuß etwas seitwärts abgleitet und das braune Element mit schmatzendem Geräusch zu Tage tritt.
Vollzieht sich nun eine solche Entdeckung auf ebenem Gletscher, so ist das schon beschissen genug; greift man aber auf der Führe einer schwierigen Kletterroute beim Aufwärtstasten in so einen Genuß, dann kann einem die am Abend zuvor genossene Hüttenbouillon ziemlich sauer aufstoßen. So etwas ist freilich recht ärgerlich, und daher wird jedermann dankbar sein, wenn er bei großer Hitze durch eine ungewohnte Duftnote der ansonsten frischen Gebirgsluft rechtzeitig vorgewarnt wird.

Die Problematik des "Müssens" wird für den "Müssenden" noch viel komplizierter, wenn er sich in der Vertikalen bewegt! Meist hat man dort an exponierten Routen nicht einmal genügend Platz zum Stehen, geschweige denn, zum einigermaßen entkrampfenden Hinhocken.
Wer viel geklettert ist, weiß aus Erfahrung, daß in der Senkrechten das Problem genau so akut werden kann, und daß es in einer steilen Felswand nicht etwa durch irgendwelche magischen Kräfte einfach verschwindet. Oft kostet es den nachfolgenden Seilschaftsführer die nicht geringe Überwindung, den einzigen vorhandenen Griff auch dann zu ergreifen, wenn dieser mit den restlichen, der Schwerkraft trotzenden Teilen eines abgeseilten Häufchens verziert ist. So etwas kommt eben vor..... Das Leben im Gebirge ist nun mal nicht leicht!

Eine ganz eigene Schwierigkeit birgt zudem die Anwendungstechnik der Bedürfnisverrichtung in exponierten, senkrechten Fels- oder Eiswänden. Es erfordert oft sehr viel Erfindungsgeist, sitzt man als "Müssender" in einem Sitzgurt eingeschnallt, der nicht nur für die Sicherheit zuständig ist, sondern auch das eigene Leben am buchstäblichen Faden hält. Wenn es denn machbar ist, wird das dringende Geschäft ja tunlichst an den Stand- oder gar Biwakplätzen verrichtet, wo man sein mitunter aquaplastisches Erzeugnis mit einem wohlgezielten Schuß in eine eigens für diese Angelegenheit mitgeführte Papiertüte entläßt, welche dann, als kleine, oder große Überraschung für ahnungslose Wanderer aus der Wand fliegt.
Unerträglich wird die Situation eventuell unterwegs, wenn das drängelnde Bedürfnis "hier und sofort" erledigt werden muß, weil der allzu großzügig genossene Alpenkäse beispielsweise, keinerlei Aufschub mehr duldet. Besonders extrem noch dann, wenn eine tausend Meter hohe Felswand den Aufenthaltsort zum Zeitpunkt des hochschwangeren Bedürfnisses darstellt. In so einer beschissenen Lage muß man sich dann mit einer Schlinge und viel Phantasie an einem Haken, oder Klemmkeil fixieren, um den sichernden Sitzgurt, samt Beinkleid herunterziehen zu können. Daß der jeweils unter Darmdruck Leidende in seinem exklusiven Hängeklosett dann nicht noch ein wohljustiertes Zielschießen (-scheißen) auf eine Tüte versucht, dürfte in diesem Falle selbst dem Getroffenen einer nachfolgenden Seilschaft einleuchten.
Aus diesem Grunde ist es vielleicht auch für mich wieder überlegenswert, ob ich nicht doch lieber anstelle meines bequemen Lederhutes, künftig einen Helm mit Sch(w)eißband tragen sollte. - Aber wie bereits erwähnt: Meist reicht es ja bis zum Stand- oder Biwakplatz.

Ich habe jedoch auch Ausnahmen kennengelernt. Es gibt überbevölkerte Moderouten in unseren schönen Alpen, die wegen der hohen Frequentierung kein ästhetisches Müssen mehr zulassen. Die 4003 m hochgelegene Solvayhütte am Matterhorn beispielsweise, ist mit ihrem luftigen Felsplumpsklo eine solche Ausnahme. Diese ist selbst des Nachts noch problemlos zu finden, ist sie doch in der Regel kaum zu überriechen.
Wer einmal mit mehreren Personen in dieser Hütte genächtigt hat, die ja eigentlich nur als Notunterkunft vorgesehen ist, der weiß, wovon hier die Rede ist:
Massenbewegungen im Hüttenraum sind Voraussetzung für jeden Gang zur Freilufttoilette. Fluchen und ärgerliches Schimpfen hebt an, wenn jemand, den schon länger ein quälendes Bedürfnis drückt, sich einen Weg zur Hüttentür bahnt, in der wehen Hoffnung, sich draußen des Drucks erleichtern zu können, ohne seinem Schiß hinterherzufliegen, oder bei Minusgraden womöglich mit dem blanken Hinterteil am Felsen festzufrieren. Wehe aber denen, die sich aus Bequemlichkeit, oder aus Rücksicht auf die Schlafenden, Ihre Druckwehen verkneifen, und von einem anonymen Abortgänger in der Dunkelheit auf das Zentrum ihrer Blähungen getreten werden. Dann setzt es Tritte und Püffe aus der Finsternis!
Wer es dennoch schafft, sich todesmutig den Weg nach draußen freizukämpfen, wird selbst in eiskalter Nacht vom beißenden Duft menschlicher Hinterlassenschaften überfallen. Der bestechende Duft ist ein zuverlässiger Wegweiser durch das Gratgewirr zur Freiflugtoilette. Diese Bezeichnung trifft ohne große Beschönigung zu, denn wer sich hier oben erleichtern muß, tut das in der Regel über die Gratkante hinweg, direkt in die Nordwand hinein, eine Tatsache, die einen Nordwandbesteiger wohl mehr schrecken dürfte, als Bruchfels, Steinschlag und Wettersturz. Das Matterhorn besticht durch seine Exklusivität: Die einzige Nordwand mit Scheißschlag!

Der penetrante Duft in Hüttennähe, hindert tagsüber allerdings nicht die Schaaren von Bergsteigern, hier ihr Picknick auszupacken. In den phantasievollsten, unmöglichsten Stellungen klebt man in Hüttennähe am Fels, und verschlingt mit Genuß das mitgebrachte Pausenbrot, ungeachtet des Umstandes, daß sich die Grattoilette nur zehn Meter entfernt befindet. Man rastet halt immer bei der Hütte, ganz gleich, wie zivilisiert das Aroma dort auch sein mag.

Abschließend wäre noch zu bemerken, daß es wohlweißlich viele hohe Bergwände in unseren Alpen gibt. Und mich persönlich beschleicht dabei die unappetitliche Vorstellung, daß man als Alpenwanderer von der geografischen Lage so mancher inoffiziellen Hochgebirgsfalltoilette gar nichts weiß.....

Frank Adlung, Sekt. Blümlisalp

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