Neuschwanstein

Gedicht in sechs Teilen


1. Die Burg
2. Der König
3. Die Legende
4. Die Berge
5. Der See
6. Das Vermächtnis



1. Die Burg

Am Grat vom Tegelberg,
stolz und hochherrlich,
steht wie ein Götterwerk,
ein Schloß, unsterblich.

Es schwebt wie verträumt
über Tannen und Lärchen,
von Alpengipfeln gesäumt,
erkoren als ein Märchen.

Als mächtiger Bau ragt es im Kranze
weißer, wehrhaft hoher Minarette
auf im hellen Lichterglanze,
zu der Alpenberge Silhouette.

Der hohen Zinnen spitze Türme
fliehen in des Himmels Blau,
trotzen Wetter und auch Stürme,
wachsen aus elegantem Bau.

Weiße Mauerkronen schimmern
licht über tiefgrünem Tann,
ziehen alles im Flimmern
der hehren Sonne in ihren Bann.

Über dem Pöllat tiefer Schlucht
spannt sich die Marienbrücke,
vor ihr in ungebrochener Wucht,
füllt das Schloß die tiefe Steinlücke.

Auf dem Fels über steiler Klamm,
wo wirbelnde Wasser tosend sprüh'n,
hebt der Feste Flucht sich an,
über Steinsäulen, wild und kühn.

Wuchtig, dennoch elegant,
mächtig und würdevoll,
nach dem Schwan benannt,
welcher der Anmut Symbol.

Bögen und ladende Söller ziehen
sich zu der Türme und Erker hin,
zur Höhe die Linien fliehen,
wie des Bauherrn Geist und Sinn.

Phantasie kennt keine Grenzen
an diesem märchenhaften Werk,
und der Betrachter läßt versenken
sich in dieser Schönheit Augenmerk.

Entrückt ruht die Feste stolz
am steilen, ausgesetzten Felsenhang,
der Weg zu ihr durch's Nadelholz
ist gewunden und beschwerlich lang.

Über allem Bösen und Schlechten
steht die Burg hell und weiß,
behütet von stillen Mächten
auf steilen Klippen von Gneis.

Dieses Schloß ist ein Abbildnis
der Wartburg alten Tagen,
die mit Sinn und Sachkenntnis
ins Schwangau übertragen.

Romantisch und frei aufstrebend,
zwischen Himmel und Allgäuer Landen,
zum Thron der Göttermusik erhebend,
so sei diese Burg verstanden.

Ein Monument der Perfektion,
zwischen neuromanischem Stil,
und altgermanischer Illustration,
im harmonischen Traumsubtil.

Außen wie die trutzige Felsenburg
der Landgrafen zu Thüringen,
innen lassen Bilder den Dramaturg
Richard Wagners neu erklingen.

Vom Dachfirst schaut man hinein
in das grüne Allgäuer Land,
vom Tegelberg zum Aggenstein,
und zu des Lech Silberband.

Vom Westsöller hat man Schau
auf des König Vaters Residenz,
dem Schlosse Hohenschwangau,
im Tale altvergangener Präsenz.

Im Innenhof hoch umlauern
den beeindruckten Kulturgast
mächtig weiße Quadermauern,
die Säulenfenster in Bögen gefaßt.

Aus dem oberen Innenhofe,
den man auf Freitreppen ersteigt,
die fensterreiche, machtvoll große
Giebelfassade sich zur Vertikalen neigt.

In des Schlosses Innenräumen
begegnet man bei jedem Schritt
König Ludwigs großen Träumen,
der deutschen Sagenwelt Querschnitt.

In vertäfelte Kassetten hinein
fügen sich aus edlem Nußholze
die feingliedrigsten Schnitzerei'n,
verziert mit reinstem Golde.

Die Wandspiegel sind geschmückt
mit farbenfrohen Leinenmalerei'n,
Kronleuchter hat man bestückt
mit Gold, Silber und Edelstein.

Herrlich bmalte Säulengänge
vermitteln Prunk im Überfluß,
der im Klang der Chorgesänge
wird zum kulturellen Genuß.

Im Licht der hohen Bogenfenster
erscheinen alle Gegenstände
wie lebende Gespenster
an den Gemälden der Wände.

Des einsamen Königs stille Wohnung
hat kleine, rotbraun gefaßte Zimmer,
erglänzt im seidenmatten Prunk
des geölten Schnitzholzes Schimmer.

Im Krescendo aus Farbe und Licht
wird der Thronsaal zum Höhepunkt,
wo der Glanz sich in der Kuppel bricht,
und im schneeweißen Marmor funkt.

Jesu und die zwölf Apostel
halten einsam stille Andacht
in der firmamentgleichen Kuppel,
bis der König Bayerns wieder erwacht.

Ende des ersten Teils



2. Der König

Aus dem uralten, dunkelbraunen,
der Wände zierenden Tafelholz,
dringt ein Wispern und Raunen,
klingt mitnichten herrlich stolz.

Vielmehr ein Flehen und Schrei'n
entfährt gequält dem Gemäuer,
das muß der kranke König sein,
im Seufzen tönt er noch heuer.

Aus heimlichen Fugen und Ecken
hört man ihn leidvoll klagen,
er will die Erinnerung wecken,
an alte, oft gestellte Fragen:

Wer war des Königs wahrer Tod?
War sein geisterhafter Richter,
der sich als Vollstrecker bot,
sein angebeteter Freund und Dichter?

Hatten ihn die Mysterien
mit ihren alten Heldensagen,
die seinen Geist umnebelten,
letztlich doch zu Grab getragen?

In diesen Räumen spürt man noch
des Bayernkönigs Gegenwart,
hat er in diesem Schlosse doch
seine innig tiefsten Träume verwahrt.

Er geistert ruhelos noch immer,
von tiefer Pein getrieben
durch die prunkvoll düsteren Zimmer,
sie waren ihm zuletzt geblieben.

Als großer Philosoph und Schöpfer
wurde er niemals verstanden,
er wurde seiner tiefen Gedanken Opfer,
die ihn mit seiner Welt verbanden.

Seine große, weite Phantasie
wurde ihm zum Verhängnis,
sie starb in dieser Räume Poesie,
niemand schenkte ihm Verständnis.

Seine Reise in die mystische Welt
war den Ministern zu teuer,
sie liegt begraben nun und schwelt
in der Tiefe dieser hohen Gemäuer.

Dieses Schloß in den Füssener Bergen
war des Königs letzte Zuflucht,
er glaubte unnahbar zu werden,
mit dem Bau, den er hier versucht.

Er baute an einem Traum,
den er doch nie vollbracht,
doch zeigt so mancher Raum,
was er sich erträumt und erdacht.

Die Sehnsucht nach Frieden und Stille
ließ ihn diese Burg errichten,
in des Schwangau's Bergidylle,
sollte Richard Wagner für ihn dichten.

Ludwig, ein hochgeistiger Traumkomponist,
doch ein unberaten schwacher Politiker;
Märchenkönig, Romantiker und Idealist,
und ein Gerechtigkeitsfanatiker -

Offene Feinde hatte er nicht,
er glaubte nur falschen Freunden,
die hielten über ihn Gericht,
um ihn damit zu verleumden.

In kalter Winternacht glitten
vom Silbermond Zwielicht erhellt,
der König und sein Pferdeschlitten
durch des Schwangau's einsame Welt.

Von Linderhof durch dunkle Wälder
glitt gespenstisch das Monarchengespann
über verschneite Wiesen und Felder
nach Schloß Neuschwanstein hinan.

Am südwestlichen Söller stand
der schwermütige König gerne,
schaute und träumte in das Land,
trieb seinen großen Geist zur Ferne.

Er glitt zu seinem einzigen Traum,
der menschenscheue, einsame Herrscher,
und starrte bis zum Morgengrau'n
von seines Prunkschlosses Säulenerker.

Sah er wohl dort schon eilen
sein nahendes Ende heran,
wollte er auf dieser Burg verweilen,
bis das unvermeidbare begann?

Im mächtigen Turm beim Rittersaal
waren seine Träume dann zerronnen,
am Höhepunkt seiner inneren Qual
hat man ihn dort festgenommen.

Ein Opfer politischer Begebenheit,
ein unbequemer Landesvater,
als kranker König vom Thron befreit,
ertrunken im See - so starb er.

Ende des zweiten Teils



3. Die Legende

Dornröschen vermutet man
hinter diesen edlen Wänden;
ob das Schloß erzählen kann,
von alten Sagen und Legenden?

Von der Zeit der Gralsburgen,
der stolzen Ritter und der Minne?
Leben Wagners Dramaturgen
noch unter dieser hohen Zinne?

Sind es Mysterien, ein Geist,
die heute diese Mauern umgeben?
Ist es das Schloß, das beweist,
daß die alten Helden noch leben?

Ein großartiges Märchen- und Sagentum
wird lebendig in diesen Räumen,
man braucht nichts weiter zu tun,
als hindurch zu wandeln, und zu träumen.

Der Niebelungen wahre Kostbarkeiten
im musikalisch übertragenen Sinne,
verbergen sich seit hundert Jahreszeiten
unter'm Dach dieser malerischen Zinne.

Im Stoffbespann der Wände
leben Tristan und Isolde
als unsterbliche Legende
auf Gobelin, umwirkt von Golde.

Auch jung Siegfried findet sich
hier als großer Cheruskerheld,
verewigt im Kunstfadenstich,
herrlich anmutend in Pose gestellt.

Alle sind sie hier zugegen,
an Wänden und an Decken:
In strahlend kräftigen Farben leben
weise Könige und stolze Recken.

Im Sängersaal hört man flüstern
leise geheimnisvolle Opernmusik
von Parzival, Brunhild und Tristan,
und von Tannhäusers Sängerkrieg.

Aus der Thronsaalkuppel dröhnen
Wagners große Dramenstücke,
im Glanz der Apostel verwöhnen
sie das Gehör für Augenblicke.

Der Götter und alten Könige
mächtige Stimme erschallt
über marmorne Treppenstiege
mit inbrünstiger Gewalt.

Parzival, den es nach der Gralsburg
hinzog, in Eschenbachs Dichterei,
erfährt hier seine Wiedergeburt
in farbenprächtigem Konterfei.

Ritter ziehen hoch zu Roß vorbei,
auf Gemälden so lebensnah,
auch Gawans Hochzeit ist dabei,
so echt, als ob sie grad' geschah.

In zwielichtigen Sälen schwebt
der Schwanenritter Lohengrin,
ummantelt von Samt, golddruchwebt,
auf einfallendem Lichtstrahl dahin.

Der Lichtstrahl, das Schwanentier,
gleitet über's Wasser so elegant,
und trägt seinen Helden hier
hin zu der Elsa von Brabant.

Den tiefen Kellergewölben entsteigt
sein Vater Parzival im roten Waffenhemd,
im Staub der Jahrhunderte verneigt
er sich vor dem Einsiedler Trevrezent.

Im Bühnengang des Sängersaals
lauert Kundrie, die Todesdämonin,
als häßliche Botin des Grals,
als triebhafte Sinnlichkeit verschrien.

Aus diesen kunstvollen Bildern spricht
die Dichtung gleich mit Wahrheit,
welche im wunderbaren Farbgedicht
hier vollendet für alle Ewigkeit.

Alle Möbel und Dinge, jedes Zimmer
erzählt seine eigenen Geschichten,
die in diesen Mauern heute und immer,
von vergangenen Helden uns berichten.

Es sind alte, geheimnisvolle Klänge,
die den Besucher hier begleiten,
ihn als Elfentanz und Schwangesänge
entführen in verstrichene Zeiten.

Ende des dritten Teils



4. Die Berge

Die Berge schauen hernieder
aus dem weißen Wolkenmeer,
wünschen sich ihren König wieder,
doch sein Schloß bleibt einsam, leer.

Ihre weisen Häupter blicken erhaben;
sie hatten damals den König gesehen,
haben ihn in ihrem Schoß begraben,
sie allein konnten ihn verstehen.

Nur sie allein konnten damals sehen,
das große, ungelöste Geheimnis,
was an dem Tage wirklich geschehen,
als der König im See ertrunken ist.

Ihnen schenkte er seine ganze Liebe,
die seither sein Grabmal bewacht,
sie hielten im Frieden und im Kriege
sein Traumschloß blauweiß beflaggt.

Heute sind die Schwangauer Berge
stolze, einsame, hohe Wächter,
sind des Königs Gedanken Erbe
stille Behüter und Verfechter.

Sie halten heute noch ihm die Treue,
die wilden Grate, tiefen Schluchten,
unter des Himmels klarer Bläue,
über des Schlosses strenge Fluchten.

Und wenn der rote Abendsonnenschein
über Grate auf weiße Mauern fällt,
dann laden die Berge heimlich ein,
in des Königs geschaffene Geisterwelt.

Vielleicht kommt Ludwig irgendwann
in seine geliebten Berge zurück,
und vollendet, was er einst begann:
Burg Falkenstein, sein schönstes Stück.

Ende des vierten Teils



5. Der See

Wenn die Sonne in den Bergen
am Alpsee glutrot untergeht,
die Türme Neuschwansteins werden
vom Föhnwind warm umweht.

In dem Wasser tausendfach Gefunkel
spiegelt sich das Märchenschloß
im blausamtenen Abenddunkel
als heller Schein im Seenschoß.

Weiße Schwäne ziehen in Frieden
am uralten Bootssteg vorbei,
ihnen war einstmals beschieden,
des Königs stille Schwärmerei.

Des verträumten Königs Lieblingstier,
das war der anmutige weiße Schwan,
er zog in des Vaters Schloßrevier
schon in alter Zeit seine Bahn.

Es war hier am See, wo es geschah,
daß der kleine Ludwig Wittelsbach
erstmals den stolzen Vogel sah,
den er sich zum Symbol gemacht.

So wie einst, liegt heute der See
im friedlichen Abenddämmern,
darüber leuchten Berge im Schnee,
am Firmament schon der erste Stern.

Hier am See hatte Prinz Ludwig
seine Kindertage verbracht.
Zu früh holte ihn die Politik -
hatte er an den See noch gedacht?

Neuschwanstein baute er mit Blick
zu des Alpsees Ufern hint',
der nur ein Tausendmeterstück
vom Burghof entfernt beginnt.

Heute tanzen Elfen im Reigen
auf der schwarzen Wasserfläche,
Wald und Berge liegen im Schweigen,
leise murmeln nur die klaren Bäche.

Sie murmeln ein uraltes Lied
aus längst vergangenen Tagen,
als der König oftmals stehen blieb,
am See, beim einsamen Jagen.

Sachte Nebelschleier steigen
aus dem Seewasser hervor,
als Schwanengesang sie sich neigen
zu des Schlosses Zinnen empor.

Der Geist des großen Bayernkönigs
steigt mit ihnen hoch hinauf,
sendet seinen letzten Willen seeligst
zu des Silbermondes Lauf.

So, wie einst in kalter Winternacht,
als Majestät im goldenen Schlitten fuhr,
hält nun sein Andenken stille Wacht
über des Schlosses romantische Flur.

Ende des fünften Teils



6. Das Vermächtnis

Nun ist des Königs Traum verstaubt, feucht,
alles riecht muffig und verbrackt,
heute werden hindurchgescheucht,
fremde Menschen im Minutentakt.

War er ein irrsinniger König?
Schuf er nicht ein großes Vermächtnis,
das ein einzigartig, und nicht wenig
reiches Kulturerbe hinterließ?

Das Kulturgut einer Nation,
die ihr großes Erbe fast verloren,
die in Schuld und Absolution
ihre wahren Werte hat verschoben.

Horch! Auch heute noch erklingt
Wagners große Opernmusik,
die im Gesange uns wiederbringt,
die Erinnerung an König Ludwig.

Und in Lohengrin und Parzival,
im neu inszenierten Traum,
klingt Neuschwansteins Hofportal
als Notenwerk durch Zeit und Raum.

Solange der Traum Neuschwanstein
in dieser hehren Musik weiterlebt,
wird des Königs Vermächtnis ein
neues Jahr bewahrt und gepflegt.

Ende des sechsten Teils

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