Bire Westwand

Zum Aufstieg auf den Birestock, Kandersteg


Trutzig, als hohe Felsbastion
erhebst Du Dich aus grünem Tal,
streckst in blaue Himmelsregion
Du grauer Fels Dich vertikal.

Deine Wand sah ich strahlen
im blutroten Abendschein;
wollte oft im herbstlich fahlen
Licht auf Deiner Führe sein.

Aber stets war ich verhindert,
stand mit mir selbst im Zweifel,
doch als Drang, der nie gelindert,
wurdest Du zu meiner Geißel.

Es lockt mich Deine Felsenflucht
beharrlich in die Höhe,
heute folge ich meiner Sehnsucht,
und steige in Deine Nähe.

Hinter Dornenbusch und Tannen,
suche ich Deiner Steilwand Fuß,
ergebe mich dem Verlangen,
dem ich zielstrebig folgen muß.

Es ist der Sinn, der mich treibt,
zu erfahren meine Grenzen;
es ist mein Geist, der da schreit,
nach Licht, nach innerem Glänzen.

Über Pfeilerfels und Gratgestein,
auf Geröll und steilen Klippen,
steige ich in Deine Westwand ein,
die zerschrunden und gerissen.

Ich kletter mühsam und verbissen
in Deiner steilen Flanke hoch,
und frage mein Gewissen:
Wozu das alles noch?

Auf so viele Berge bin
ich Jahr für Jahr gestiegen,
wo liegt da der Sinn?
Was ist mir geblieben?

Sie waren weiß und mächtig,
die vielen hundert Gipfel,
dagegen bist Du schmächtig,
Du kleiner, grauer Zipfel.

Zeigst dennoch Deine Zähne
mir mit dieser Wand.
Das Gelingen meiner Pläne
liegt heute in Deiner Hand.

An einer schweren Felspassage
bin ich am verzweifeln,
Du versuchst mir ohne Frage
meinen Aufstieg zu vereiteln.

Du neigst Dich nicht,
ich muß Dich zwingen,
muß Dir ehrfürchtig
jeden Meter abgewinnen.

Ich verwünsche und verfluche
Deinen Fels, so glatt und steil,
an dem ich hier versuche,
mich zu binden in das Seil.

Weiter oben wird es leichter,
dort endlich neigst Du Dich.
Frischen Mutes steige ich weiter,
über gähnender Tiefe, schauerlich.

Dann, nach langem, harten Ringen
gewährst Du mir die Gnade,
Deinen Felsen zu bezwingen,
mit dem ich heute gerungen habe.

Auf Deinem Gipfel stehe ich,
tief berührt durch die Gabe,
die ehrfurchtsvoll und feierlich,
ich von Dir empfangen habe.

Die Stunden sind vergessen,
wo ich mit Mühe und mit Plag',
nur von meinem Ziel besessen,
kletterte den ganzen Tag.

Doch dieses Ziel war es wert,
daß ich heute an Dir gestiegen,
dafür ist mir nun beschert,
Deines Gipfels stiller Frieden.

Mir zu Füßen, über'm Kandertal,
ruht so blau der Öschinensee,
den ich hoffentlich ein anderes mal
genauso herrlich wiederseh'.

Ich genieße über's Frutigland
einen eindrucksvollen Blick,
wo an der Kander Silberband
liegt ein dörflich Mosaik.

Bire, mir wird jetzt bewußt,
daß ich an Deinem Felsen hier,
ohne, daß ich's gewußt,
heute wurde zum Pionier.

Ich ging eine Führe erkunden
durch Deine westliche Wand;
schau, ich habe sie gefunden,
und nach mir benannt.

So danke ich Dir, mein Berg,
für das beschiedene Glück,
daß ich an Deinem Felsenwerk
klettern durfte ein Stück.

Durfte an Deiner Wand versagen
mich des Alltages Sorgen,
meine Ängste und mein Klagen,
vergesse ich bis morgen.

Hier oben bin ich befreit
von allen irdischen Zwängen,
in Deiner Bergeinsamkeit,
auf Deinen steinigen Hängen.

Ich erkenne jetzt den Wert,
den Dein Gipfel mir gegeben;
doch nicht ihn habe ich begehrt,
in meinem Bergsteigerleben.

Jetzt habe ich den Verdacht,
daß es vielmehr die Nähe
zur Natur ist, zur Schöpfungsmacht,
warum ich auf die Berge gehe.

Die Erkenntnis läßt verneigen
mich demütig vor Dir,
denn hier in Deinem Schweigen
sah ich heute ein Stück von mir.

Was Du mir heute gegeben,
in Deiner steilen Wand,
das hatte ich im Leben
bisher noch nicht gekannt.

Am Abend steige ich wieder
im rotgoldenen Sonnenlicht,
von Deinen Zinnen nieder,
ins Tal, wo der Schatten bricht.

Rot erglühen Deine Fluchten
in der Abendsonne Lauf,
Deine lohenden Felsen wuchten
in die Dämmerung hinauf.

Ich schaue noch mal zurück,
und danke Dir, Du Birestein,
für das heute erlebte Glück,
in Deiner Wand ich selbst zu sein!

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