Das Geheimnis von Val Mentiér
 
2. Kapitel
 
Pressemitteilung
 
ein Name ist Sebastian Lauknitz und das da ist mein Tagebuch. Ich werde Ihnen jetzt meine Geschichte erzählen. Also hören Sie gut zu, halten Sie den Mund und..., unterbrechen Sie mich nicht! Was ich ihnen berichte, ist meine eigene Geschichte. Ich versuche sie genau so zu erzählen, wie sie sich zugetragen hat. Aber sie wird Ihnen so phantastisch und unglaubwürdig vorkommen, als sei sie ein Märchen. Und vermutlich werden Sie das, was ich Ihnen erzählen werde, für eine Lüge halten. Niemand hat es mir jemals geglaubt. Sogar ich selbst wache oft in der Nacht schweißgebadet auf und glaube alles nur geträumt zu haben. Aber diese Geschichte ist wahr. Sie ist so wahr, wie jeden Morgen wieder die Sonne aufgeht. Sie ist mein Leben. Doch das Schlimmste daran ist, dass man seinem Schicksal niemals entgehen kann, egal, wo und in welcher Welt...«
Sebastian Lauknitz erzählte seine Geschichte und Martin Fährkamp hörte gespannt zu und ließ ein Diktiergerät mitlaufen. Was dieses Gerät in mehreren Sitzungen aufzeichnete und was Fährkamp später in die Tastatur seines Computers tippte, las sich nicht mehr nur wie ein nüchterner Zeitungsbericht. Was der abgebrühte, hart gesottene Journalist Martin Fährkamp von Lauknitz erfuhr, war das Fantastischste, was er bisher gehört hatte und stellte alles in Frage, was er über diese Welt zu wissen glaubte.
Sebastians Geschichte klang so unglaubwürdig und doch so realistisch, dass Fährkamp die folgenden Wochenenden damit zubrachte, Sebastian Lauknitz staunend zuzuhören. Sein journalistischer Verstand sagte ihm, dass Lauknitz die Wahrheit sprach.., eine Erkenntnis, welche die gesamte Menschheit verändern konnte, eine Wahrheit, für welche die Menschen jedoch möglicherweise noch gar nicht bereit waren...
Angefangen hatte alles vor vielen, vielen Jahren. Damals war Sebastian Lauknitz schlank, drahtig und trainiert und noch dunkelhaarig und ohne Bauchansatz. Man sagte ihm ein gutmütiges, hilfsbereites Wesen und ein freundliches Auftreten nach, sowie einen einfachen, wachen und gesunden Menschenverstand und einen viel zu ausgeprägten Gerechtigkeitssinn. Seinem Aussehen nach hielten ihn die Leute immer wieder für einen Italiener, oder Franzosen.
Mit 1,70 Metern Körpergröße und eher nicht sehr kräftiger Statur entsprach er in seinem Erscheinungsbild weniger dem Klischee eines Bauarbeiters, sondern eher eines Angestellten oder Künstlers. Und tatsächlich fühlte er sich auch stets zu Höherem berufen. Doch Faulheit in der Ausbildung und die eigene Bequemlichkeit, etwas zu ändern, ließen ihn weiterhin Baustellengerüste und Rohbauten erklimmen.
Die Geschichte begann damit, dass er im Bauwagen seines elterlichen Stuckateurbetriebes saß und die Lokalzeitung seines Kollegen mitlas. Sebastian war schon immer zu geizig, sich eine eigene Zeitung zu kaufen. Eine Mark zehn täglich für die neuesten gedruckten Nachrichten? Das konnte er günstiger haben! Im Laufe seiner fünfzehnjährigen Tätigkeit im Hochbau hatte sich Lauknitz die Fähigkeit angeeignet, in der Pause die ausgebreitete Tageszeitung seiner Kollegen auf den Kopf gestellt mitzulesen. Inzwischen konnte er Texte auf den Kopf gedreht ebenso gut lesen, wie richtig herum gestellte.
Was Sebastian Lauknitz an diesem nasskalten Augusttag aus der Zeitung seines Kollegen erhaschte, sollte sein ganzes Leben verändern. Nein, anders: Es sollte sein bisheriges Leben plötzlich beenden und ihn in ein neues, ganz anderes, abenteuerliches Leben hineinkatapultieren. Aber das konnte er zu diesem Zeitpunkt noch nicht ahnen.
Mit drei Kollegen saßen er schon den ganzen Vormittag im Bauwagen. Bereits am Nachmittag des Vortages trieb sie der Regen vom Fassadengerüst herunter. Das Material, das sie an die Gesimse der alten denkmalgeschützten Fassade angetragen hatten, war inzwischen abgeregnet. Das war die unangenehme Seite seines Berufes. Baustuckateure waren immer von der Witterung abhängig.
Am Morgen kamen sie schon bei Nieselregen auf die Baustelle. Es war dämmerig und sie blickten gegen den trüben Himmel, um die Intensität des Niederschlags abzuschätzen. Kollege Günter kletterte auf das Gerüst, um ihre Möglichkeiten zu bestimmen.
Lustlos kam er kurz darauf in den Bauwagen zurückgeschnäuzt. »Da ist heute wohl nichts zu machen. Alles nass. Auch die Schablonenlättchen, die wir gestern angeschlagen haben.«
Dieter, Sebastians zweiter Kollege, sah nicht einmal von seiner Zeitung auf, die er sich inzwischen auf dem Tisch ausgebreitet hatte. Dieter war ein kleiner, korpulenter Mann. Sein immer freundliches Gesicht erinnerte an das eines dicken, lustigen Pennälers. Er hatte das Gemüt einer Dampflokomotive. Lauknitz konnte sich nicht erinnern, dass ihn jemals etwas auch nur annähernd aus der Ruhe gebracht hatte.
»Wollen wir noch warten, ob es aufhört, oder gleich nach Hause fahren?« Günter hängte seine Arbeitsjacke an den Haken und drehte am Knopf des Ölradiators, wohl in der Hoffnung, dass es dadurch schlagartig wärmer werden würde. »Hey, Kollege, was machen wir jetzt?« Er wurde langsam ungeduldig und stand vor seinen Kollegen am Tisch, wie ein Händler an seinem Marktstand.
Endlich sah Dieter von seiner Zeitung auf. »Lass uns doch erst mal Frühstück machen, dann sehen wir weiter«.
Umständlich schob sich Günter in der mit Geräten überfüllten Bude an seinen Platz und packte seine Brotbox aus. Günter war groß und wuchtig. Seine mächtige Hakennase erinnerte Sebastian an den Räuber Hotzenplotz, eine alte Geschichte aus seiner Kindheit. Nur sein mittlerweile schütteres, eisgraues Haar passte nicht so ganz ins Bild.
Zwischen zwei Thermoskannen und einer Flasche Bier hindurch erhaschte Lauknitz gelangweilt die auf dem Kopf stehenden Kolumnentitel von Dieters Zeitung. Aufwärtsstrebende Konjunktur stand da. Das hörten sie ständig, merkten jedoch nichts davon. NATO greift erneut in Bosnien- Konflikt ein. Das war schon interessanter. NATO- Kampfflugzeuge griffen einen serbischen Panzer an. Die bosnischen Serben sollten zu einem internationalen Friedensplan gezwungen werden. Historische Knochenfunde im Schweizer Kanton Wallis.
Diese Meldung interessierte Sebastian wirklich. Als Freizeit- Alpinist war er schon überall im Wallis unterwegs. Auf fast alle Viertausender hatte er im Laufe der letzten zwölf Jahre seinen Fuß gesetzt. Die Berge konnten ihm nicht hoch und die Gletscher nicht weit genug sein. Gerade, als er weiterlesen wollte, blätterte Dieter zum Sportteil um.
Also musste Sebastian warten, bis Dieter seiner Sportnachrichten überdrüssig wurde und das Blatt von vorn zu lesen begann. Das tat er immer. Nur heute nicht. Außerdem wurde Sebastians Geduld auf eine harte Probe gestellt, denn seine Kollegen waren ausgesprochene Fußball- Fans. Am aktuellen Bundesliga- Geschehen konnten sich die beiden ihre Köpfe heiß reden, denn nicht immer waren sie einer Meinung mit den jeweiligen Schiedsrichtern. Günter und Dieter konnten selbst an solch kalten Tagen rote Köpfe bekommen, wenn es darum ging, ihre Favoriten aufsteigen zu sehen.
Es wurde Mittag. Sie beschlossen, ihre Baustelle für heute unverrichteter Dinge zu verlassen. Dieter schlug den Zeitungsteil Nachrichten aus aller Welt nicht mehr auf. Die Knochenfunde im Wallis hatten Lauknitz aber neugierig gemacht. Eigentlich interessierte ihn alles, was die Schweiz betraf. Vor allem ihre Bergwelt hatte ihn seit je her begeistert und fasziniert.
Auf dem Heimweg kaufte er sich am Kiosk selbst eine Ausgabe der Zeitung. Ausnahmsweise! In seiner kleinen Zweizimmerwohnung überflog Sebastian dann beim Abendessen den Artikel:
Historische Knochenfunde im Schweizer Kanton Wallis. Visp. Bei Wegarbeiten am Zwischbergenpass, nahe dem Schweizer Urlaubsort Saas Fee, wurden mehrere menschliche Skelette gefunden. Nach Angaben der Walliser Kantonspolizei handelt es sich dabei wahrscheinlich um eine alte Begräbnisstätte. Unklar ist noch, warum die Gebeine bislang nicht entdeckt wurden. Die Fundstätte liegt unmittelbar am Rand eines unbefestigten Pfades am Fuße des viertausend Meter hohen Weissmies. Ungewöhnlich sei auch die Anordnung des Fundes, so der leitende Untersuchungsbeamte: Die Knochen liegen derart verstreut, als seien die Toten aus großer Höhe zwischen die Felsen geworfen worden. Ein archäologisches Team hat inzwischen mit der Untersuchung der Fundstelle begonnen.
Lauknitz saß am Tisch, sah fassungslos auf die Nachricht und vergaß seine Pizza. Am Zwischbergenpass! Ausgerechnet! Warum gerade dort? Augenblicklich schob er seinen Pizzateller zur Seite, kramte hektisch die Landeskarte dieser Gegend aus seinem Bücherschrank und breitete sie auf dem Tisch aus. Das Herz schlug ihm bis zum Hals, ihm wurde abwechselnd kalt und heiß. Sebastian starrte auf das dick hineingekritzelte rote Kreuz am Rand der dargestellten Felsen des Tällihorns, direkt neben der gestrichelten Linie, dem Pfad hinauf zum Zwischbergenpass.
  Wichtiger Hinweis: Die Texte des Autors Frank Adlung, insbesondere die des Romans "Das Geheimnis von Val Mentiér", sind durch notarielle Hinterlegung urheberrechtlich geschützt. Ein Herunterladen und Ausdrucken ist nur für den privaten Zweck des Lesens gestattet. Kommerzielle Nutzung, öffentlicher Vortrag, oder Vervielfältigung und Verfälschung des Inhalts, sowie öffentliche Verbreitung ohne Genehmigung des Autors sind untersagt und werden zur Anzeige gebracht.
 
 
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