Das Geheimnis von Val Mentiér
 
29. Kapitel
 
Das freie Land
 
ls Sebastian in Antaronas Gemächer zurückkehrte, fand er sie auf dem Freisitz ihres Salons. Sie war nur mit ihrem alten, knappen Lederschurz bekleidet und hatte sich ein neues Oberteil aus zwei winzigen Fellstückchen umgebunden, die in Sebastians Welt in der Öffentlichkeit als gewagtes Ärgernis Empörung ausgelöst hätten.
Mit akrobatischer Eleganz und blitzartiger Schnelligkeit feilte sie an ihren Kampftechniken, so dass Sebastian ihr Schwert Nantakis nur als ein Flirren und Funkeln in der Luft wahrnehmen konnte. Es war offensichtlich, dass sie sich für ihren gemeinsamen Ausflug nach Mehi-o-ratea fit machte. Aus der Entfernung mochte man sie für eine tollwütige Eingeborene irgendeines Naturvolkes halten, das im Entwicklungsstand des Jura lebte.
Fasziniert blieb Basti in der Tür stehen und beobachtete ihre tänzerischen Bewegungen in der viel zu freizügigen Aufmachung. In jeder Diskothek wäre sie der ungekrönte Star, dachte er und war nicht wenig stolz darauf, eine solch wundervolle Frau an seiner Seite zu haben, die zweifelsohne jedes Männerherz nur durch ihren Anblick aus dem Takt bringen konnte.
Wenn Antarona telepathische Fähigkeiten besaß, dann wurde sie in diesem Augenblick von ihnen gewarnt. Sie wirbelte herum, wich mit einem übermenschlichen Satz zur Seite aus, fing das durch die Luft fliegende Schwert mit präziser Sicherheit am Griff auf und stand wie festgenagelt in Kampfposition, bereit, jeden Angreifer mit einem tödlichen Streich zu begegnen.
Ihre Züge hellten sich zu einem übermütigen Lachen auf, als sie Sebastian im Schatten des Türrahmens erkannte. Wie ein ausgelassener Teenager stürmte sie auf ihn zu, sprang in an und umklammerte ihn mit Armen und Beinen, wie ein kleines Äffchen. In Sebastian stieg schlagartig verlangende Hitze hoch, während seine Hände ihre nackte Haut ertasteten. Antarona kümmerte es nicht, dass sie seine Sehnsucht bis zum Überkochen anheizte und ihn fast um den Verstand brachte.
»Wann gehen wir, Ba - shtie, Sonnenherz ist bereit!« verkündete sie atemlos, während ihre sinnlichen Lippen seinen Mund verschlossen und verhinderten, dass er ihr antworten konnte. Nachdem sie beide wieder zu Atem gekommen waren, und Antaronas Füße wieder Boden berührten, presste er sie heftig verlangend an sich und flüsterte ihr ins Ohr:
»Wann du willst, mein Engelchen, es gibt nichts, das uns aufhalten könnte! Nur noch ein winzig kleines Problem gibt es da...«
Antaronas Lachen verlor sich in reiner Schadenfreude, als er ihr gestand, dass er nicht reiten konnte. Klar war indes, dass er als Heerführer nicht ohne Pla-ka auf der Insel umherreisen konnte. Sie amüsierte sich köstlich über sein dummes, verzweifeltes Gesicht, dass seine ganze Hilflosigkeit ausdrückte. Als sie nach fünf Minuten immer noch glucksend ihr Lachen unterdrücken musste, reichte es ihm.
»Anstatt hier so albern herumzulachen, solltest du mir zeigen, wie man ein Pla-ka bändigt! Und das kannst du gleich auch noch Frethnal und Vesgarina beibringen, denn die beiden werden uns begleiten!«
Antarona zog eine gespielt ernste Miene auf, hielt aber nicht lange durch, drohte vor lachen zu platzen und prustete plötzlich wieder los:
»Ihr könnt nicht reiten, Ba - shtie, das ist sooo komisch!« Dann warf sie sich auf den Boden und kringelte sich vor Lachen, dass ihr die Tränen aus den Augen kullerten.
Sebastian blieb nichts weiter übrig, als in ihre Heiterkeit mit einzusteigen und bald fand er den Gedanken selbst lustig, als Heerführer hinter seinen eigenen Reitersoldaten herlaufen zu müssen. Diese Vorstellung ging beiden eine ganze Weile nicht mehr aus den Köpfen.
Irgendwie schaffte sie es immer wieder, ihn mit ihrer Stimmung anzustecken. Bald gab sich Sebastian ebenso ausgelassen, wie seine Frau und je mehr er ihre wiedergekehrte Unbekümmertheit bewunderte, desto mehr begehrte er ihre unbedeckten Reize, die vor seinen Augen Purzelbäume schlugen und seine Phantasie lockten.
Als das Verlangen nach ihr unerträglich wurde und drohte, seine Sinne schwinden zu lassen, packte er sein überrascht aufschreiendes Krähenmädchen, warf sie sich über die Schulter und trug das spielerisch sich wehrende Wesen seiner Begierde in ihr Schlafgemach…
Erst am Nachmittag hatte sich ihre Sehnsucht aufeinander ausgetobt. Ihrem beinahe animalischen Drang folgend, hatten sie sich fortreißen lassen aus der weltlichen Umgebung, die sie überforderte, und entführt, ja geradezu hineingespült in eine Welt der Unbekümmertheit, des sich Fallenlassens. Sie ließen sich mit ihren Gefühlen treiben, vergaßen alles um sie herum und kosteten jeden Moment der gegenseitigen Verführung bis zur Ekstase, wie eine himmlische Süßigkeit.
Anschließend warf sich Antarona ein schlichtes, naturhelles Kleid über und sie machten sich auf den Weg nach Falméra. Keine der Wachen hielt sie mehr auf, alle Beschränkungen Bentals zum Schutz seines Töchterchens schienen mit einem Schlag aufgehoben.
Den Rest des Tages schlenderten sie sorglos über die Märkte der Stadt, die so Vieles zu bieten hatten, aßen und tranken nach Herzenslust, trieben sich am Hafen herum, sonnten sich am Strand vor der alten Stadtmauer, und kühlten sich im Wasser der Bucht ab, wenn ihnen die Sonne allzu heiß auf den Leib brannte.
Es dämmerte bereits, als sie schließlich mit vollgestopften Fellbeuteln heimlich in Antaronas Haus schlüpften, unbemerkt von fremden, neugierigen Augen. Sie stärkten sich an den eingekauften Früchten und dem frischen, würzigen Brot, das köstlicher duftete, als ein Braten über dem Feuer.
Dann suchte Sebastian seiner Geliebten ein Elsirenkleid aus dem reich bestückten Kleiderschrank, das ihre Schönheit und Anmut nur so zaghaft verbarg, wie ein flüchtiger Nebel. Ein Hauch in Rot, gewebt, anscheinend von einer Schar träumender Elsiren, im Augenblick der aufgehenden Sonne, während die Welt ihren Atem anhielt.
In diesem gläsern scheinenden Schleier tänzelte das Krähenmädchen neben ihrem Thronerben her, zurück zum Marktplatz, wo schon ein knisterndes Elsirenfeuer in den Himmel loderte und die umliegenden Häuser in flackerndes, rotes Licht tauchte. Die Spielleute standen auf einem wackeligen, hölzernen Podest und stimmten sich ein. Flöten und Sackpfeifen quäkten aufdringlich und ab und zu unterbrach ein probehalber Paukenschlag das laute Markttreiben.
Erst, wenn ein Tanzführer gefunden war, der die Paare aufstellte, den Takt bestimmte und das Publikum anfeuerte, würde sich die Stimmung allmählich aufheizen und bis zur Ekstase zu kochen beginnen. Tänzer und Tänzerinnen, leicht, bis augenscheinlich gar nicht bekleidet fanden sich nach und nach ein, begannen ein letztes Mal ihre Choreografie aufeinander abzustimmen und sich mit jeder Faser ihrer Körper auf das allabendliche Ereignis vorzubereiten.
Ein Tanzpaar versuchte Antaronas Stil nachzuahmen, der sich inzwischen in vielen, ausgefallenen Variationen an den Elsirenfeuern verbreitet hatte. Wie eine neue, revolutionäre Musikrichtung hatte sich ihre Choreografie, wie ein Lauffeuer in den Köpfen der meist jugendlichen Tänzer festgesetzt. Jede Tänzerin trachtete danach den neuen Stil perfekter und ausgefallener, als ihre Nachbarin zum Besten zu geben, obwohl es für diese Tanzform noch gar keine Regel gab.
Dabei fragte sich Sebastian, ob sich jemals offenbaren würde, dass es sich bei dieser Tanzweise eigentlich um einen von Antarona entwickelten Schwertkampf- Stil handelte. Wahrscheinlich aber würde dies ein ewiges Geheimnis bleiben. Die Jugend Falméras nahm diesen Stil als neue Herausforderung an, als neuen, alle Hemmungen fallen lassenden, erotischen Partnertanz, der Zuschauer und Tänzer gleichermaßen anheizte und ihre Phantasien beflügelte.
Dieser neue Tanz, den Sonnenherz begründet hatte, eroberte die Feuer und die Herzen der Jugend. Er läutete eine neue Ära ein. Und mit ihr revolutionierte sich wahrscheinlich auch das Leben der Ival, indem ein offenerer, und noch freierer Umgang mit Sexualität im Bewusstsein des Volkes Einzug hielt.
Ob diese Entwicklung nun gut war, oder der Gesellschaft schaden würde, konnte Sebastian nur vermuten. Aufzuhalten war diese körperliche und geistige Unterhaltungssensation jedoch nicht mehr. Das von der Politik seines Königs frustrierte Volk lechzte nach Veränderung, oder zumindest nach Ablenkung, und so kam ihm der neue Tanz, als gesellschaftliche Revolution, wie herbeigerufen!
Je ausgefallener und schamloser sich die Tänzerinnen in den neuen Tanz hineinsteigerten, um ihre Konkurrentinnen zu übertrumpfen, desto empörter schüttelten die Alten die Köpfe. Allerdings waren es vermehrt die alten Männer, die nur so lange über den neuen Tanz der wilden Dämonen- Geister schimpften, solange ihre Frauen dabei waren. Kaum unter ihresgleichen, waren nämlich selbst die Eisgraubärtigen nicht abgeneigt, den aufreizenden, exotischen Bewegungen der dürftig bekleideten jungen Frauen mit einem heimlichen Augenzwinkern und stillen Anfeuerungen zu folgen.
Nüchtern betrachtet, vermutete Sebastian, dass König Bentals Tochter etwas ausgelöst und begründet hatte, was dem Landesvater sowie seinem spirituellen Berater Elwha noch einiges Kopfzerbrechen bescheren würde. Eine sich allzu ausschweifend gebärdende Jugend war in unzufriedenen Zeiten kaum noch unter Kontrolle zu halten. Allerdings konnte ein königliches Verbot des neuen, beliebten Tanzes im Zweifelsfall einen Aufstand noch begünstigen.
Solche Überlegungen waren für Sebastian an diesem Abend eine lästige Haut, die er abschütteln wollte. Er selbst war, wie alle Tänzer, ausschließlich auf seine Tanzpartnerin fixiert, die ihn mit ihrer gewagten Grazie verzauberte.
In einem Durcheinander langer Töne, einem quälenden Gejaule der Sackpfeifen und marschähnlichem Hämmern der Trommeln, begannen sich die Spielleute Gehör zu verschaffen und zum Tanze zu rufen. Das Markttreiben erstarb für einen Moment und trat zugunsten der Stimme des Tanzführers in den Hintergrund. Kurz und knapp eröffnete der Rufer den nächtlichen Elsirentanz und überließ es von da an den Musikanten, das Spektakel mit dem Auf und Ab ihrer Töne zu lenken.
Wie die wilden Teufel tanzten Antarona und Sebastian in zügelloser Choreografie um das große Feuer, das ihre Haut mal von der einen, mal von der anderen Seite zum Glühen brachte. Noch provokanter und anzüglicher wand sich Antarona unter Bastis geschauspielerten Berührungen, und noch hemmungsloser bot sie ihren Körper zur Schau.
Aber auch die Artistik ihres Tanzes erfuhr im Gegensatz zum letzten Auftritt eine Steigerung. Mal in anzüglicher, langsamer Form, dann wieder in wirbelnder, unnahbarer Weise stampften ihre nackten Füße den Takt in den Staub des Platzes und Sebastian musste alle Register seiner Beweglichkeit ziehen, um nur augenscheinlich, für das begeisterte Publikum, ihren Bewegungen folgen zu können.
Mit jeder Runde, die um das Feuer getanzt wurde, spielten sie sich aufeinander ein, bis sich Sebastian auch in diese erweiterte Choreografie einfühlte und Antaronas tänzerische Herausforderung annehmen konnte. Zweifellos war Sonnenherz wieder einmal die ungekrönte Königin der Tänzerinnen, an der sich alle anderen zu orientieren versuchten.
Der zuckende, blendende Schein der Flammen, der durch Mark und Bein dringende Rhythmus der Schlagzeuge und nicht zuletzt das anfeuernde Gebrüll der umstehenden Zuschauer heizten die Stimmung so sehr an, dass die Tänzerinnen und Tänzer schnell alles um sich herum vergaßen, sich nur noch auf sich konzentrierten und sich in den Bann eines verlangenden Gefühls steigerten, bis alle Sinne sich vernebelten und nur noch die animalischen Triebe im Wesen der Tänzerinnen und Tänzer regierten.
Es war allein der Rausch, dem sie mit ihren Bewegungen folgten, der ihnen das Ziel vorgab, den Flug durch die Flammen, die Begierde, die Partnerin wieder zu empfangen, und bis zur totalen Erschöpfung herumzuwirbeln.
Sebastian und Antarona verausgabten sich in dieser Nacht nicht nur an einem Feuer. Wie hungrige Nomaden zogen sie von einem Platz zum nächsten, von einem Elsirentanz zum anderen. An allen Feuern präsentierten sie ihre neue Choreografie des neuen Tanzstils und überall wurden sie gefeiert, wie echte Helden.
An einem der letzten Feuer, das nahe am Hafen brannte, dort, wo die Stadt in ein Randgebiet überging, in dem viele Fischer lebten, ging es besonders ausgelassen und freizügig einher. Die fast ausnahmslos jugendlichen Tänzerinnen und Tänzer lockte offenbar die direkte Nähe zur Stadtmauer und zum Strand.
Die Tänzerinnen gebärdeten sich so wild, dass im Laufe eines jeden Tanzdurchgangs die ohnehin kaum etwas verhüllende Kleidung so in Mitleidenschaft genommen war, dass an den Schweiß glänzenden Leibern der Mädchen nur noch ein paar Fetzen oder Bänder klebten. Die Stoffe der Röcke und Oberteile lagen in den Sand getreten, oder waren ein Opfer der Flammen geworden.
Jene Tänzerinnen, die aus ärmeren Verhältnissen stammten, waren zum Teil schon mit zerschlissenen Elsirenkleidern am Feuer erschienen. Einige begannen bereits den ersten Tanz mit nichts weiter, als einem durchscheinenden Tuch, das sie sich um die Hüften gewickelt hatten.
Es war ganz gleich, wie freizügig sich die Mädchen zum Tanz einfanden, wichtig war der Tanz selbst, der Ausdruck, eine geliebte Frau durch das Feuer von den Göttern zu empfangen. Natürlich sollte die Kleidung in irgendeiner Form an Elsiren erinnern. Einen derben Arbeitsstoff hätte sich keine der jungen Frauen um die Taille gewunden.
Der Tanz entglitt inzwischen dem wummernden Rhythmus der Spielleute, die Tänzer wirbelten herum, hoben ihre Mädchen über die Flammen, oder fingen sie auf, wenn die golden glänzenden Körper auf sie zuflogen. Manche Tänzer hatten zu sehr dem Mestas zugesprochen und wagten nicht mehr, ihre Mädchen durch das Feuer zu werfen.
Sie versuchten ihre Tänzerinnen mit eindeutigen Tanzbewegungen, ähnlich denen eines Rituals dahin zu bringen, mit ihnen in die Abgeschiedenheit irgendwo zwischen den Dünen am Strand zu verschwinden. Es war kein Zufall, dass zu früher Stunde, nicht weit vom Sonnenaufgang, die kleinen Lagerfeuer am Strand heller in den Himmel strahlten, als die Elsirenfeuer auf den Marktplätzen.
In einer der letzten Runden an diesem Feuer, war auch Sebastian dieser Gedanke durch den Kopf geschossen. Antarona hatte sich in einen völligen Rauschzustand getanzt und mit ihrem lasziven Blick hatte sie ihren Mann von den Göttern längst verschlungen.
Auch Bastis Augen verzehrten sich nach ihr. Von dem wunderschönen Kleid, dass sie ausgesucht hatte, war längst nichts mehr übrig. Der schmale Saum saß ihr tief auf der Taille und ein paar Reste des Stoffes klebten ihr noch auf der bronzenen Haut, wie ein paar übergroße, transparente Schuppen. Das Oberteil hatte schon das letzte Feuer nicht überstanden.
Sebastians Hemd war ebenfalls verschwunden und seine Hosen waren irgendwann der Länge nach aufgerissen. Damit er nicht im entscheidenden Moment hinfiel, hatte er die Beine einfach abgerissen und ins Feuer geworfen.
Antaronas Anblick allein ließ ihm nach jedem Tanzdurchgang das Blut in den Kopf schießen. Ihre Bewegungen aber heizten ihm zusätzlich so mächtig ein, dass ihm das Herz aus dem Hals zu springen drohte. Griffen seine Hände um ihre Taille, um sie durch die Luft zu wirbeln, dann kreiste sie jedes mal verführerisch mit dem Becken, dass ihm Hören und Sehen verging!
Sie verstand es, Sebastian so verrückt zu machen, dass er am liebsten vor den Augen des gesamten Publikums über sie hergefallen wäre. Und nicht nur Sebastian erlag den Reizen seiner Tanzpartnerin. Ständig sah er Tanzpaare sich vom Feuer entfernen und in die Anonymität der Nacht laufen. Was sie in der Verschwiegenheit der Finsternis taten, war kein Geheimnis.
Eines war Sebastian längst klar geworden: Auf Falméra verlor ein Mädchen seine Unschuld, sobald es das erste Mal als Tänzerin zum Elsirenfeuer ging. Sebastian hatte es in verschiedenen Schriftrollen seiner Bibliothek nachgelesen.
Vertrug ein Mädchen das Heilkraut, welches die unliebsame Saat einer Nacht am Elsirenfeuer aus ihrem Leibe verbannte und das Wachsen ihres Bauches verhinderte, so bekam es, meist von den eigenen Eltern, ein Elsirenkleid sowie die Elsirenkrone und damit die Erlaubnis, an diesem Fruchtbarkeitsritual teilzunehmen.
Viele von ihnen waren gewiss nicht älter als sechzehn Jahre und ihre Tanzpartner, die von den Eltern argwöhnisch und kritisch beäugt wurden, waren kaum älter. Sebastian hatte aber auch schon viele sehr junge, werdende Mütter gesehen, mit kindhaften Gesichtern, die ihr offensichtliches Glück nicht mehr verstecken konnten.
Die Ival verheirateten ihre Töchter unangemessen früh, wenn die Eltern das Gefühl hatten, nicht mehr für die Sicherheit und Geborgenheit ihres Kindes garantieren zu können. Sie waren nicht abgeneigt, ihr Töchterchen einem Jungen anzuvertrauen, in den sie sich verliebt hatte und dessen Familie in der Gesellschaft einen hohen Status besaß. Elsirenfeuer und Mestas, nicht zuletzt aber der Junge, der sie auf dem Markt, oder auf dem Feld zu beeindrucken versuchte, hatten zumindest in einigen Fällen sicherlich dazu beigetragen.
Antarona stieß sich vom Boden ab und mit der unterstützenden Kraft Sebastians Armen flog sie hoch über die Flammen des Feuers und verschwand im blendenden Schein. Der Gedanke, dass ein anderer sie nun auffangen würde, ihren verführerischen Körper mit seinen Händen umfasste und sie mit seinen Augen verzehrte, machte Sebastian wahnsinnig vor Eifersucht.
Er durfte nicht daran denken! So ging das Spiel! Und alle hier spielten es. Sebastian fragte sich, wie oft es dabei geschah, dass eine Tänzerin oder ein Tänzer untreu wurden.
Die Treue der Partner untereinander war das höchste Gebot der Götter, denn der Mann sollte seine Geliebte durch das Elsirenfeuer von den Göttern empfangen. Das war Sinn dieses Tanzes. Aber wurde nicht doch einer, oder eine schwach? Schmolz nicht doch mal ein Herz in den Armen eines anderen dahin, bei all dieser Freizügigkeit, Hemmungslosigkeit, bei all den zur Schau getragenen Reizen unter dem Einfluss von Mestas, oder Mestastan?
Sebastian erfuhr es in der dritten Runde dieses Elsirenfeuers. Sein Krähenmädchen sah er durch die Flammenwand fliegen, fast nackt. Bis zur Ekstase hatte sie ihn mit ihren Bewegungen angeheizt, hatte mit ihrer aufreizenden Choreografie seine verborgendsten Phantasien aus ihm herausgelockt.
Nun erwartete er sie aus dem Feuer zurück. Er betete, dass Antarona es war, die er auffangen würde, und nicht irgendeine Fremde, die das Spiel nur noch verlängern würde. Nach dieser Runde wollte er mit Antarona in die Dünen, er wollte sie für sich haben, er konnte nicht mehr warten.
Den ganzen Abend lang steigerte sich sein Verlangen nach ihr, nach ihrer Wildheit und Zärtlichkeit, nach ihrem Duft, nach dem atemlosen Höhepunkt der Nacht, dem alle Paare entgegenfieberten! Sie hatten genug getanzt! Jetzt wollte er ihren verlockenden Leib in den warmen Sand des Strandes drücken und sie mit jeder Faser spüren!
Doch nicht Antarona kam aus dem Feuerschein auf ihn zugeflogen. Es war auch keine Fremde. Es war Raspina! Das Mädchen, dessen Reizen er beinahe verfallen war, als Antarona von ihm isoliert wurde, hatte er längst vergessen. Ein, oder zwei Mal kreisten seine Gedanken noch um sie, doch die Ereignisse ließen das kleine Abenteuer einer Nacht in den Hintergrund treten.
Nun hielt er sie wieder in seinen Armen. Sie war eine verführerische Schönheit, die wohl jeden Mann auf den gleichen Gedanken brachte. Sie trug nichts weiter, als ihre langen Haare und einen Stoffring um die Hüfte, an dem einmal der Rock ihres Elsirenkleides gehangen hatte. Die Götter hatten ihren Körper mit ihrem Feuer enthüllt.
Aber es war nicht mehr diese knisternde Stimmung zwischen ihnen, wie damals, als sie sich begegneten, als Sebastian zum erstem Mal um ein Elsirenfeuer tanzte. Raspina schien abgeklärter, ihr Herz auf einen anderen Mann fixiert. Süß lächelte sie Sebastian an, ohne Scheu, ohne Vorbehalte, offen und ohne ein Anzeichen der Enttäuschung, die sie an jenem Abend zweifellos erlitten hatte.
»Raspina hat sie gesehen, Herr, jene, mit welcher euer Herz verbunden ist. Sie ist sehr schön und ihr müsst sie sehr lieben«, stellte sie freimütig fest, »Raspina weiß nun, weshalb ihr euer Herz vor dem ihren verschlossen habt!«
Sebastian wirbelte das Mädchen herum, bemüht, sie nicht dort zu berühren, wo es Antarona missverstehen könnte und hielt nach seinem Krähenmädchen Ausschau. Doch sie war auf der anderen Seite des riesigen Feuers. Raspina hingegen schien kein Problem damit zu haben, sich im Tanz jenem hinzugeben, dem sie einmal ihr Herz schenken wollte.
Bevor die Frauen wieder durch das Feuer geworfen wurden, und die Männer sie mit einem Auf und Abheben darauf vorbereiteten, umklammerte sie Sebastians Lenden mit ihren Schenkeln und presste ihre warmen Brüste an sein Gesicht. Kurz nur, denn sofort ließen sich die Frauen wieder auf den Boden gleiten, um aus der Bewegung heraus abzufedern, und sich noch höher an ihren Tanzpartner zu klammern.
»Ihr habt ein Herz gefunden, das euch liebt und ehrt und euch in seine starken Arme schließt?« fragte Sebastian, was aber eher wie eine Bestätigung klang. Gleichzeitig klammerte sie sich an seinen Rippen fest, er hielt ihre Schenkel mit seinen Armen hoch und sein Gesicht spürte ihren Bauchnabel. Ihre Haut verströmte einen angenehmen Duft, der sich bei ihm wieder in Erinnerung rief.
Anscheinend verstanden es die Frauen der Ival, sich mit verschieden zusammengestellten Kräutern, Blüten und anderen Stoffen, einen eigenen, unverkennbaren Duft zu kreieren, dem sie treu blieben und mit dem sie ihren Partner verzauberten.
Sebastian ließ sich von ihren Körperreizen sekundenlang verführen, doch ihr Duft, so sinnlich er ihm auch in die Nase stieg, vermochte nicht, Antaronas Note zu besiegen. Raspinas Duft war ihm fremd! War das jenes große Geheimnis, warum sich die Paare trotz aller Freizügigkeit, trotz der schamlos zur Schau gestellten Reize treu blieben?
»Ja, Herr, ihn traf ich, als mein Herz trauerte. Das seine war ebenfalls leer und so spürten wir, dass wir, dass unsere Herzen sich erfüllten. In den nächsten Zentaren gehen wir nach Mehi-o-ratea, um unseren Segen von den Elsiren zu erbitten.«
Raspina federte vom Boden ab, die Musik überschlug sich fast, die Tambouren verloren ihren eigenen Takt im infernalischen Lärm der Instrumente. Seine Tänzerin umklammerte mit ihren Beinen seinen Hals, saß ihm von vorn auf den Schultern und stützte sich mit den Händen auf seinem Kopf ab. Ihr Schoß berührte sein Kinn und plötzlich, wie eingeimpft, empfand er sie nicht mehr so anziehend und verlangend, wie zuvor.
Das, was in seiner Welt jedem Mann als Phantasie der puren Verführung vor seinem geistigen Auge schwebte, war nur noch nüchterne Choreografie. Antarona aber hätte er im gleichen Moment mit Haut und Haaren in sich einsaugen mögen, so betörend und sinnlich empfand er mit ihr die gleiche Stellung.
Irgendetwas geheimnisvolles, so etwas, wie eine unsichtbare, innere Bindung, ein instinktiv wirkendes Band aus Luft und Magie verhinderte gegen alle Versuchung, dass sich die Ival einem anderen Herz zuwandten, als jenem, das mit ihrem verbunden war.
Daher gingen die Tänzerinnen und Tänzer auch ohne Scheu und belastetem Gewissen aufeinander zu, unbedarft, offen, ihren natürlichen Trieben folgend, die sie lenkten und mit magischer Kraft an ihre Partner banden. Eine wunderbare Einrichtung der hiesigen Natur, stellte Sebastian ehrfürchtig fest, die in seiner eigenen Zivilisation sicher viele zerbrochene Beziehungen gerettet hätte.
Raspina stieß sich von ihm ab, landete auf den Füßen, federte wieder hoch und beinahe hätte er ihren Absprung verpasst. Im letzten Augenblick packte er ihre Taille und verlieh ihr die Kraft, hoch in die Flammen zu springen. Nur Sekunden später flog ein Schatten mit weit auswehenden Haaren auf ihn zu. Antarona!
Er fing sie mit sicherer Hand, ließ sie kurz den Boden berühren und hob sie wieder hoch, um sie an sich zu drücken. Ihre Schenkel schmiegten sich schlangengleich mit sanftem, forderndem Druck um seinen Leib und ihr Duft ließ ihm die Sinne schwinden. Er schmeckte die Haut ihres Bauches, salzig und süß zugleich, vergrub sein Gesicht in ihrem Bauchnabel und fühlte, dass sie nicht nur wie eine Krake an ihm haftete, sondern tief in ihm verankert war!
Eine unerklärliche Kraft, ein Drang, ein Gefühl von Zuhause, Geborgenheit, von Sehnsucht und Erfüllung gleichzeitig, das sie beide verströmten, gab ihnen die Sicherheit und das Verlangen, das grenzenlose Vertrauen zueinander, ihre Liebe!
Sebastian küsste die feuchte Haut ihres Bauches und es war, als gerieten sein Herz und seine Lippen gleichermaßen in Brand. Er nahm ihren berauschenden, betörenden Geruch wahr und hatte das Gefühl, ihr Duft würde sein Herz schützend umklammern, gleichzeitig aber zu öffnen, um sie hereinzulassen. Empfindungen, welche man eben nur zu spüren vermochte, nicht aber beschreiben konnte.
Sein ganzer Körper brannte von der Sehnsucht, sich mit Antaronas Leib zu verschmelzen, eins zu werden mit ihrem Herzen, mit ihrem Schoß und ihrem Geist. Er hatte das Gefühl, dass ihre Verbindung stärker war, als nur die Liebe, die er bis dahin in seiner Welt empfinden gelernt hatte. Irgendwie war da noch mehr, viel mehr!
Es war, als fühlte er mit ihrem Herzen, mit ihren Sinnen, und sie mit den seinen. Als hätten ihre Körper und Seelen eine eigene Frequenz gefunden, auf der sie sich verbanden und miteinander eins wurden. Sie schienen eine Symbiose des Lebens geworden zu sein, ein einziges Wesen, das ohne den anderen Teil nicht mehr existieren konnte.
Sebastian erinnerte sich in diesem Moment an Annuk, das Mädchen, das ihnen geholfen hatte, Torbuks Spähtrupp zu besiegen und das von den schwarzen Reitern zu Tode gefoltert wurde. Ihr Freund, ein junger Mann aus dem Dorf Zumweyer, hatte sich aus Kummer um sie mit seinem eigenen Messer umgebracht. In seinem Kopf klangen noch die Worte, das, was ihm Antarona an diesem Tag dazu sagte:
Dieser Junge.., sein Herz war mit dem von Annuk verbunden.., sie waren wie ein Herz... Die Trauer war zu schwer für ihn.., er hatte nicht die Kraft, Annuk in das Reich der Toten gehen zu lassen.., und ohne sie zurück zu bleiben... Er hat sich selbst sein Messer in die Brust gestoßen.., so sehr schmerzte es ihn, Ba - shtie.., er wollte Annuk folgen.., er wollte für immer bei ihr sein...
Nun erst verstand er diese Worte wirklich. Er begriff, wie sehr sich zwei Herzen miteinander verbinden konnten! Ja, und er fühlte es, er spürte Antarona in sich, was sie empfand, was sie dachte, als würden sie beide mit einem einzigen, gemeinsamen Herz leben!
In diesem Minuten, da ihm das bewusst wurde, spürte Sebastian, was wirkliches Glück bedeutete. Es war nicht nur ein gutes Gefühl. Es war Liebe, Heimat, Zuhause und Hoffnung, Zufriedenheit und Wärme, es war Licht und Glück gleichermaßen. Noch viele Eigenschaften hätte er hinzufügen können, doch all diese Worte hätten nicht dieses vollkommene Gefühl beschrieben, das sein Herz erfasst hatte.
Glücklich hielt er Antarona an sich gedrückt, drehte sich und sah eigentlich nur sie, ihre Augen. Plötzlich setzte er sie mit den Füßen auf den Boden und zog sie mit sich, aus dem Schein des Feuers und aus dem Ring der Zuschauer heraus. Und es machte ihm nichts aus, dass ein jeder wusste, dass sie nun für sich sein wollten, was sie nun vorhatten.
Im Vorüberhuschen griff er sich an einem Stand noch rasch ein einfaches, weißes Arbeitskleid und warf dem Händler eine Hand voll Quarts zu. Dann entflohen sie dem Trubel und Markttreiben, den hämmernden Takten der Spielleute und dem kreischen und Juchzen der Mädchen, wenn ihre Tänzer sie aus dem Elsirenfeuer auffingen.
Das Zirpen der Zikaden wurde lauter, das leise Plätschern des Meeres drang mit seinen anrollenden Wellen mehr und mehr an ihre Ohren und ein leiser Wind sang ein flüsterndes Lied dazu. Aber das hörten sie nur am Rande. Zu heftig rauschte das Blut durch ihre Adern, gehetzt, in Erwartung auf den Augenblick, da ihre Körper und Sinne gleichzeitig in reinem Glück explodieren würden.
Es wurde kühl und dunkel. Nur die Gestirne über ihnen und einzelne, in den Dünen versteckte, kleine Feuer erhellten den Strand schemenhaft. Das Meer, das von der Sonne des Tages aufgeheizte Wasser der Bucht lockte ihre aufgeheizten, elektrisierten Leiber. Antarona warf sich in die erste sanfte Welle und ließ sich mit ausgebreiteten Armen und Beinen treiben.
Erwartungsvoll folgte ihr Sebastian, kämpfte noch verzweifelt mit seiner zerrissenen Kleidung, und warf sich dann auf den goldenen, im Wasser schimmernden, verlockenden Leib, der sich gierig um ihn schlang, wie die Tentakel eines Tintenfisches...
Antarona klammerte sich wie ein Schutz suchendes Kätzchen an Sebastian, als er sie aus dem Wasser an den Strand und weiter in den Schutz der Dünen trug. In einer Senke brannte noch ein einsames, verlassenes Feuer, das sie einlud zum Träumen.
Rasch sammelte er die verstreut liegenden Kleidungsstücke auf, dann legte er sich neben seine Geliebte in den Windschatten der großen Düne und blickte in die Sterne, die aus der Dunkelheit zu ihnen herab funkelten. Sonnenherz schmiegte ihren nassen Leib an ihn, legte ihren Kopf auf seine Brust und beobachtete, wie sich seine Augen in die Weite des Sternenhimmels tasteten.
»Wer war sie, Ba - shtie?« fragte sie plötzlich. Sebastian versuchte sich gedankenverloren die Sternenbilder in Erinnerung zu rufen und nahm Antaronas Frage nur am Rande wahr. Der lauernde Unterton in ihrer Stimme wurde ihm erst recht nicht bewusst.
»Sie hat sich ja ganz vertraut und gierig an euch heran gemacht, oder? Ihr scheint sie ziemlich gut zu kennen«, stellte Antarona mit verstecktem Vorwurf fest. Ihre Stimme nahm an Schärfe zu. Erst jetzt drangen ihre Worte in Sebastians Gedanken.
»Wen meinst du denn?« fragte er ziemlich naiv, denn an Raspina dachte er schon gar nicht mehr. Antarona wand sich plötzlich auf ihn, klammerte ihre Schenkel um seine Lenden und stemmte ihre Fäuste auf seine Brust. Ihre nassen Haare fielen auf sein Gesicht, darunter blitzten gefährlich ihre Augen auf.
»Wen werde ich schon meinen«, zischte sie ihn an und hieb ihm mit beiden Fäusten vor die Brust, »mit so vielen habt ihr nicht so eng beisammen getanzt, oder? Wollt ihr sie, begehrt ihr sie mehr als En-gel-sen? Woher kennt ihr sie? Sollte sie euch auch in der Sprache des Volkes unterrichten, wie Farasami, oder nur in den Gebräuchen der Elsirentänze? Ihr wart euch ja schon sehr vertraut, teilt sie ihre Felle mit euch, Ba - shtie?«
»Jetzt hör aber auf, ja, ich habe sie erst einmal bei einem Tanz gesehen«, verteidigte sich Sebastian, »an diesem Abend habe ich sie nur zufällig wieder getroffen und ganz sicher kein Fell mit ihr geteilt und ich werde es auch nicht!«
»Ach, sie wollte wohl nicht, Herr von den Göttern, ist es das, hat sie euch abgewiesen?« Antarona begann sich in eine Eifersucht zu steigern, der Sebastian hilflos ausgeliefert war.
»Nein, so war es nicht«, versuchte er zu beschwichtigen, »sie wollte schon, aber ich…« Sie stieß seinen Oberkörper heftig in den Sand und fauchte aufgebracht dazwischen:
»Ihr hattet sie also schon gefragt, was? Und, wie war sie? War ihr Schoß heißer, als der von Sonnenherz, war sie williger und trägt sie nun auch ein Herz von euch unter ihrem, los, redet schon, wie war es? Vielleicht habt ihr auch schon mit Vesgarina euer Fell geteilt? Wo sonst wart ihr wohl, als Sonnenherz unter dem Dach der Himmelsburg so lange auf euch hoffte?«
Sebastian reichte es endlich. Warum musste sie diese schöne Stimmung mit solch kindischen Vorwürfen zerstören? Konnte sie nicht einfach nur ihre Zweisamkeit genießen? Er wollte ihrem Misstrauen gerade Einhalt gebieten, als sie erneut loslegte.
»Dazu schweigt ihr, was? Also ist es wahr, ihr nehmt euch so viele Frauen, wie es euch gelüstet, ihr glaubt, ihr dürft das, weil ihr der Sohn des Königs seid, ja? Also hatte die Base recht, ihr seid alle gleich dort oben in der weißen Burg, sie hatte mich schon an jenem Abend vor Areos und jenen der Himmelsburg gewarnt, da wir nach Falméra kamen und…«
Mit einer einzigen Bewegung bäumte Sebastian sich auf, warf nun seinerseits Antarona in hohem Bogen zu Boden, hechtete hinterher und setzte sich auf sie. Seine Hand legte sich auf ihren Mund und drückte ihren Kopf in den Sand. Die andere hielt ihre schmalen Handgelenke umklammert, um ihren ausgefahrenen Krallen zu entgehen. Sie wand sich unter ihm, wie eine wütende Schlange und ihre Augen sprühten vernichtende Blitze. Doch es nützte ihr nichts. Gegen seinen eisernen Griff konnte sie selbst mit ihrer Wendigkeit nicht viel ausrichten.
»Jetzt hörst du mir mal zu, du übergeschnapptes Weibsstück! Der Mestas und der Tanz sind dir wohl zu sehr in den Kopf gestiegen, was? Allein wegen dir bin ich überhaupt hier! Und weder mit Raspina, noch mit Vesgarina hatte ich je die Felle geteilt, merk dir das!«
»Raspina heißt sie also«, giftete Antarona ihn an, »ihr wisst wenigstens noch ihren Namen, wenn ihr auch vergessen habt, wie ihr sie angesehen habt!« Hätte Sebastian ihr nicht die Hände festgehalten, so hätte sie ihm vermutlich die Augen ausgekratzt.
»Ich habe sie angesehen, wie jede andere Tänzerin auch, daran ist nichts Besonderes«, verteidigte er sich. Außerdem habe ich nur dich gesehen, und nachdem du im Feuer verschwunden warst, galt all mein Hoffen und Sehnen dir allein! Und was Vesgarina betrifft«, stellte er klar, »war sie es, welche den entscheidenden Hinweis gab, wo du warst! Ohne sie hätte ich dich gar nicht gefunden! Außerdem hätte ich gar keine Zeit gehabt, mit ihr das Fell zu teilen!«
»Ihr seid also nur deshalb nicht in ihre Felle gestiegen, weil ihr keine zeit dazu hattet?« fragte sie nun provokativ und ließ es wie eine Feststellung klingen.
»O nein, mein Engelchen«, erwiderte Sebastian gefasst, »ich habe mich deshalb nicht in Raspinas und Vesgarinas Schoß locken lassen, weil du immer bei mir warst!« Antarona sah ihn verwirrt an und war offensichtlich verunsichert.
»Wie meint ihr das, Sonnenherz war bei euch? Sie war nicht immer bei euch! Versucht nicht, Sonnenherz mit Rätseln zu täuschen!« warnte sie ihn misstrauisch.
»Ich täusche dich nicht, Antarona«, erklärte er ihr, »und du warst bei mir! Du warst die ganze Zeit in meinem Herzen und in meinen Gedanken. Du bist in mir, auch wenn du nicht neben mir stehst, denn mein Herz ist nur mit deinem verbunden! Und niemand, auch Raspina und Vesgarina vermögen das nicht zu ändern!« Antarona sah ihn immer noch skeptisch an.
»Wenn du aufhörst zu toben, dann erzähle ich dir, wie es war, und du wirst sehen, dass es für dich keinen Grund gibt, mir zu misstrauen!« Sebastian wartete einen Augenblick, und als er sah, dass Antarona sich etwas beruhigte, erzählte er ihr, wie er Raspina kennengelernt hatte und wie sie versucht hatte den Thronerben von Falméra zu verführen, und dass ihn seine Gedanken an Antarona vor einer Dummheit bewahrt hatten.
Nachdem er sein Herz erleichtert hatte, erwartete er eine erneute Zornesreaktion seiner Geliebten. Doch sie blieb diesmal aus.
»Ihr habt der Verlockung widerstanden, weil ihr an Sonnenherz dachtet?« fragte sie, noch nicht ganz überzeugt. »Aber ihr hättet Sonnenherz täuschen können«, dachte sie laut nach.
»Ja, das hätte ich wohl tun können«, bestätigte Sebastian schonungslos. »Doch mein Herz sagte mir, was ich tun sollte, und so wies ich Raspina ab, denn die Sehnsucht zu dir, mein Engelchen, war viel zu groß, als dass ich mein Krähenmädchen hätte auch nur eine Zentare vergessen können!«
Sebastian glaubte, seine Frau wäre damit beruhigt gewesen, und so ließ er sich dazu verleiten, seine Griffe zu lockern. Doch er irrte sich gewaltig! Antarona nutzte die Gelegenheit, stieß ihn von sich herunter, wand sich wieder auf ihn und die Krallen ihrer feingliedrigen Hände fuhren ihm in die Brust.
»Und was war mit Vesgarina, Herr von den Göttern? Sonnenherz sah es im Gesicht von Mutter der Nacht, ihr wart mit meiner Zofe zusammen! Wart ihr ihren Reizen verfallen, ja? Gebt es zu, oder Sonnenherz wird euch die Haut abziehen!« giftete sie ihn an.
Jedes Mal, wenn Antarona so reagierte, faszinierte sie ihn gleichzeitig. Ihre ungestüme Art, ihre Wildheit, wenn sie in Rage geriet, war für ihn verlockende Herausforderung. Sie wieder zu zähmen, und aus der kampflustigen Tigerin ein verschmustes Kätzchen zu machen, reizte ihn.
Doch irgendwo war auch eine Grenze. Sie traf mit ihren Vorwürfen sein empfindlichstes Ego. Mehr als unangenehm war ihm schon, vor seiner Frau zugeben zu müssen, dass Raspina ihn dazu gebracht hatte, zumindest gedanklich von den süßen Früchten eines fremden Baumes zu kosten.
Nun dichtete sie ihm auch noch einen Seitensprung mit ihrer Kammerdienerin an, welcher er zu nahe zu kommen, allein wegen Frethnal schon unterlassen hätte. Das war nun endgültig zuviel! Er packte grob ihre Handgelenke, zwang ihre Finger zurück, die sich in seine Haut gegraben hatten und drückte sie zur Seite.
Sie wehrte sich noch, doch längst nicht mehr mit der Kraft und Intensität, wie zuvor. Die größte Wut in ihr war offenbar verraucht. Sebastian drückte sie in den Sand und legte sich angespannt auf sie, so dass sie kaum noch Luft bekam.
»So, du kleine, eifersüchtige Kröte, jetzt zeige ich dir, welchen Reizen ich verfallen bin, damit du es ein für alle mal in deinen eigensinnigen, bezaubernden Kopf bekommst!« Er wusste, dass sie nicht alle seine Worte begriff, oder richtig deuten konnte. Seine Leidenschaft aber würde sie verstehen!
Eher halbherzig versuchte Antarona sich noch zu wehren, wand sich unter ihm im weichen Sand, wie ein ermatteter Aal. Ihre Finger suchten sich, verkrallten sich ineinander und Basti schob ihre Arme weit von ihrem Körper fort. Gleichzeitig senkten sich seine Lippen auf ihren süßen Mund, ganz langsam, bis sie ihm entgegen kam und er wusste, dass sie sich im Grunde nichts sehnlicher wünschte.
Er spürte, wie ihr ganzer Körper zunächst bebte, sich dann aber entspannte, bis sie ihre Beine um seinen Leib schlang und ihre Füße hinter seinem Rücken verhakte. Ihr Zorn verging in einem neuen rasenden Rausch der Sinnlichkeit, der sie beide erfasste und weit fort trug…
Irgendwann wanderten sie verträumt Hand in Hand unter dem glitzernden Baldachin des Sternenhimmels am Strand entlang. Ankommende, auslaufende Wellen sprühten in regelmäßigen Abständen um ihre Waden und das Platschen und Rauschen der See suggerierte ihnen ewigen Frieden und Glückseeligkeit.
Ein einsamer, von den Gezeiten viele Millionen Mal umfluteter, glatt geschliffener Felsen im Sand lud zum Träumen ein. Sie setzten sich mit dem Rücken an den kühlen, nassen Stein und ließen ihre Glieder vom Wasser hin und her bewegen, wenn die Wellen herannahten und ihre Hüften umspülte.
Das Gefühl von Glück und Geborgenheit durchströmte Antarona. Noch vor ein paar Zentaren hatte sie ihrem Ba - shtie noch die Augen auskratzen wollen. Nun war sie froh, dass er die Geduld und das Verständnis einer Muschel besaß.
Im Grunde wusste sie, dass er ihr treu war, sie über alles liebte und sich auch von den Reizen anderer Frauen nicht verführen ließ. Aber sie wollte es nun einmal genau wissen! Sie wollte ergründen, wie er dachte, ob er nicht in Gedanken doch schwach geworden war. Sie wollte es von ihm hören!
Warum, bei den Göttern, sagte er ihr nicht von allein, dass sie die einzige war, die seine Begierde und Sehnsucht zu entfachen vermochte? Warum musste sie betteln, oder ihn erst provozieren, um ihm diese Worte zu entlocken? Sie brauchte sie mehr als nur einmal in jedem Sonnenlauf, diese Bestätigung, dass sie allein sein En-gel-sen war! Aber sie wollte nicht ständig danach forschen müssen!
Sie war eifersüchtig und gestand es sich ein. Wütend jedoch war sie nur darüber, dass er dem Kern ihrer Frage ausgewichen war und ihr nicht spontan von selbst zeigte, dass nur sie allein in seinem Herzen wohnte. Nun aber legte sie ihren Kopf an seine Schulter und sah mit ihm hinauf in das Gefunkel der samtschwarzen Nacht.
Wie ein offenes Buch, dessen Buchstaben sie fühlen konnte, vermochte sie Sebastians Gedanken zu spüren. Und zu seinem Erstaunen verriet sie ihm ihre Version seiner Überlegungen.
»Es ist das Reich der Götter, Ba - shtie«, erklärte sie leise, »durch das ewige Eis und das Reich der Toten führt der dunkle Pfad dorthin, von wo einst die Menschenwesen kamen.«
»Von dort her?« wies er mit der hand und lächelte überlegen. »Von dort kommen die Menschenwesen? Weißt du das genau?« Nun war es Antarona, die erstaunt dreinblickte. Ba - shtie kam mit den Zeichen der Götter gesegnet, er kam aus dem Reich der Toten zurück und er wusste Dinge, mit denen nur wenigen des Volkes vertraut waren. Doch woher die Menschenwesen kamen, wusste er nicht.
»Von dort kamen die Götterwesen auf ihrem Lichtstrahl geritten und fanden die Welt«, erklärte Antarona ihrem ungläubigen Mann.
»Sie fanden eine Welt, welche ihnen feindlich war, und Wesen, welche ihnen das Leben nahmen«, setzte sie fort.
»Sie versteckten sich unter dem ewigen Eis und in der Erde und wurden die Menschenwesen. Vater Talris war der letzte der Götterwesen und er sendet den Menschenwesen noch in diesen Zentaren das Licht von dort, wo es am hellsten ist!«
»So habe ich das noch nicht betrachtet«, gab Sebastian zu und blickte gedankenverloren hinauf in die dunkle Weite. Es war die Mythologie, der Glaube der Ival. Inwieweit mochte dieser Glaube mit seiner eigenen christlichen Kultur übereinstimmen? Oder waren sie sogar miteinander verwoben?
»Gibt es Schriften davon, ich meine von den Anfängen der Götterwesen und der Menschenwesen?« fragte er interessiert.
Antarona sah ihn verwundert an, als hätte er sie nach einer Karaffe voll ihres eigenen Blutes gefragt. Beinahe vorwurfsvoll antwortete sie:
»Habt ihr nicht die vielen Rollen in euren Regalen erblickt, Ba - shtie? Viele von ihnen erzählen mit den alten und den neuen Zeichen die Geschichte der Götterwesen. Viele, welche auf dem Lichtstrahl mitkamen, schrieben sie auf und gaben sie an ihre Kinder weiter, so, wie diese wiederum an ihre Kinder vererbten. So gibt es viele verschiedene Geschichten von den Götterwesen, die nicht gleich sind, aber doch das Gleiche erzählen.«
»Also, wie mit der Bibel und den Büchern der Propheten«, dachte Basti laut nach. »Viele alte Geschichten«, erklärte er, als er Antaronas fragenden Blick sah, »sie beginnen damit, woher die Menschenwesen kommen.«
»Ja«, nickte sie bestätigend, »dort war der Anfang, dort begann alles, was ist. Und dort sind noch jene Götterwesen, welche auf das Land kamen und zu den Menschenwesen wurden. Alles Wunderbare, die Hallen von Talris, Nantakis, Tálinos, und der Stein der Wahrheit, all diese Dinge sind das Erbe der Götterwesen, Ba - shtie!«
Sebastian wiegte nachdenklich den Kopf. Hätte ihm das jemand in seiner Welt erzählt, so hätte er ihn für verrückt erklärt. Doch alles, was Antarona aufzählte, war mit etwas unerklärbarem behaftet, das es nach dem Wissensstand des zwanzigsten Jahrhunderts eigentlich nicht geben durfte. Kam all dies tatsächlich von irgendwelchen Göttern?
Was aber war mit den Lebewesen, von denen Sebastian nie gehört hatte? Woher kamen Gore, Robrums, Elsiren? Waren sie ebenfalls eine Laune der Götter, die Antaronas Volk verehrte? Waren diese Wesen wirklich unter dem Einfluss einer fremden Macht entstanden? Züchtungen von irgendwelchen skrupellosen Wissenschaftlern?
Eine praktizierte Genmanipulation mochte von einem primitiven Volk, das eine Erklärung suchte, durchaus für ein Werk imaginärer Götter gehalten werden. Wer aber tatsächlich die Macher dieser Welt Antaronas und Bentals waren, blieb für Basti Lauknitz bloße Vermutung.
Sie saßen aneinandergelehnt da, sahen zu den Göttern hinauf und merkten zunächst gar nicht, dass es merklich kühler geworden war. Erst als Antarona zu frösteln begann, spürte auch er die eine Kälte, die allmählich unter die Haut kroch.
Antaronas Kleid war durchnässt und auch Sebastians Hose triefte vom Salzwasser. Es blieb ihnen nichts anderes übrig, als im Dauerlauf den Strand zurückzulaufen, wollten sie sich keine Erkältung einfangen. Dabei entwickelten sie ein Spiel, das sie Pfeilschießen nannten.
Kleinen Steinchen, mit denen Antarona versuchte, ihren Basti abzuwerfen, musste er ausweichen. Dann sammelte Sebastian eine Hand voll kleiner Geschosse und versuchte sein Krähenmädchen zu treffen. Natürlich war ihm Antaronas Wendigkeit und Biegsamkeit weit überlegen. Während er bei jedem Durchgang mindestens drei Treffer einstecken musste, bekam sie kaum etwas ab.
Dass ihnen dieses Spiel als Kampftraining dienen konnte, auf diesen Einfall kamen sie zunächst nicht. Und erst recht nicht auf die Überlegung, daraus eine neue Choreografie für den Elsirentanz zu entwickeln.
Für den Moment genügte es ihnen, auf diese Weise halbwegs ihre Kleider trocken zu bekommen. Ausgelassen und übermütig feilten sie so lange an ihrer Ausweichtechnik, bis die alte Stadtmauer in Sicht kam. Die Reste einzelner Elsirenfeuer glommen vor sich hin und ein paar einsame, verliebte Pärchen wanderten noch ziellos umher.
Einige von ihnen hatten gewiss in dieser Nacht zum ersten Mal zusammengefunden und mochten sich nur schwer wieder trennen. Oft waren es auch strenge Eltern, deren Unverständnis jung Verliebte heimlich durch die Gassen, oder endlos den Strand entlang trieb. Welcher Bursche mochte schon das süße Mädchen gleich wieder aus seinen Armen lassen, in das er sich gerade erst verliebt hatte?
Sebastian und Antarona steuerten in dieser Nacht wieder einmal ihren heimlichen Unterschlupf, Antaronas Haus an. Sie sehnten sich eher nach den bescheidenen Räumen, in denen sie allein sein konnten, als nach den prunkvollen, weitläufigen Gemächern der Burg, in denen sie stets mit einem Hinterhalt rechnen mussten. Todmüde, aber überglücklich krochen sie unter die Felle und Decken und schliefen sofort ein…

Ein leises Klappern und Scharren, das von unten heraufdrang, war das erste, das er wahrnahm, als er wieder aufwachte. Er schlug die Augen auf und kniff sie sogleich wieder zusammen. Grelles Sonnenlicht fiel durch einen Spalt im Fensterladen herein und traf schonungslos sein Gesicht.
Immer noch müde, zog er sich ein Fell über den Kopf und tastete nach der warmen, verführerischen Haut seiner Frau. Nichts. Seine Hände griffen ins Leere. Enttäuscht steckte er die Nasenspitze wieder aus dem Berg aus Tierpelzen, dann die Ohren.
Es duftete nach frischem Brot und die Geräusche ließen keinen Zweifel darüber aufkommen, dass sich Antarona ein Stockwerk tiefer bereits anschickte, etwas Essbares herzurichten. Noch rang Sebastian mit seinem inneren Widersacher, der auf gar keinen Fall in Betracht zog, den warmen Fellberg zu verlassen.
Der Duft, der ihm jedoch von unten her in die Nase stieg, überredete seinen Magen, sich gegen die Entscheidung, den Tag zu verschlafen, aufzulehnen. Seufzend wälzte er sich vom Lager, reckte seine Glieder, suchte aus dem mächtigen Schrank einen frischen Waffenrock heraus und stieg die knarrende Treppe hinunter.
Unten, im Wohnraum, empfing ihn Antarona mit einem Frühstück, das sich sehen lassen konnte. Frisches Brot, in süßem Fett gebackene Pfannkuchen, Obst, Milch und Eier. Schinken und fester Handkäse rundeten die Köstlichkeiten ab, die sie auf dem kleinen Tisch hergerichtet hatte.
Weit vor ihm musste sie aufgestanden, und über den Markt gewandert sein. Diese liebevolle Fürsorge gefiel ihm. Dennoch machte er sich Sorgen, wenn sie allein loszog. Wenn es Torbuks Schergen einfiel, sie einmal in einer stillen Gasse abzupassen, ihr einen Sack über den Kopf zu werfen und zu entführen, war zweifelhaft, ob er sie je wiederfinden würde.
An die Tatsache, dass sie bereits als Kind durch die Urwälder Volossodas streifte, in denen Robrums und Eishunde, Gore und nicht zuletzt die wilden Horden der schwarzen Reiter ihr Unwesen trieben, dachte er in diesem Moment nicht.
Diese ständige Angst um sie verschwieg er jedoch, als er sein Krähenmädchen für das vorzügliche Frühstück lobte. Antarona freute sich wie ein Kind über seine Begeisterung, sprang ihn an und klammerte sich an ihn. Er hob sie hoch und wirbelte sie ein par Mal schwungvoll durch den Raum, bevor er sie sanft auf einen Stuhl setzte.
Nachdem sie sich ausgiebig gestärkt hatten, schrieb Sebastian eine kurze Nachricht an Frethnal, spähte vorsichtig aus dem Haus, und erst, als die Gasse menschenleer war, trat er heraus. Den nächsten Jungen, der ihm über den Weg lief, rief er heran.
»Magst du dir ein paar Quarts verdienen, und mir eine Nachricht in die Himmelsburg besorgen?« fragte er den kleinen Kerl. Natürlich mochte der, und überschlug er sich fast vor Freude, als Sebastian ihm einen Quart und die Nachricht in die Hand drückte.
»Einen weiteren Quart bekommst du, wenn du mir eine Antwort bringst!« rief er dem Bengel nach, der schon losrannte, als wären die Dämonen hinter ihm her. Grinsend stahl sich Sebastian wieder ins Haus zurück. Antarona war gerade dabei, die Spuren ihres kurzen Aufenthalts zu beseitigen.
»Wir werden nach Mehi-o-ratea reiten, wenn es dir genehm ist«, verkündete er wie beiläufig. Über Antaronas Gesicht huschte ein belustigtes Lächeln, doch sie sagte nichts dazu.
»Vesgarina und Frethnal werden uns begleiten«, fügte er erklärend hinzu, »einmal steht unsere Reise dann im königlichen Auftrage, zum anderen hatte ich es Frethnal versprochen. Außerdem möchte ich nicht, dass sich der geheimnisvolle Meuchelmörder während unserer Abwesenheit an unserer Dienerschaft vergreift.«
Nur ein leichtes Nicken war Antaronas einzige Reaktion, als sie sich schon anschickte, nach oben zu gehen, um sich umzuziehen.
»Ich habe Frethnal in zwei Zentaren zum Reitstall beschickt«, ließ Sebastian nun die Katze aus dem Sack und lächelte verlegen, »wir machen einen kleinen Ausflug in die Wälder. Ich glaube, einige von uns müssen noch reiten lernen, bevor wir nach Mehi-o-ratea aufbrechen«.
Mit großen Augen und einem seltsamen Blick sah ihn seine Frau an, als hätte sie nicht verstanden, was er damit meinte. Ohne ein Wort stieg sie die Treppe hinauf.
Hatte er etwas Falsches gesagt? Unverständlich schüttelte er den Kopf. Frauen! Manchmal reagierten sie urplötzlich und ohne ersichtlichen Grund völlig anders, als erwartet. Antarona war sicherlich in vielerlei Hinsicht anders, als andere Frauen. Sie war etwas besonderes, ein Diamant in einem Haufen Wackersteine, eine Orchidee in einem Busch Disteln. Und doch gelang es ihr von Zeit zu Zeit, wie alle Wesen ihres Geschlechts, einen Mann mit ihrem Verhalten zur Verzweiflung zu bringen.
Unentschlossen stand das Krähenmädchen eine Etage höher vor dem riesigen Schrank, den Farasami großzügig bestückt hatte. Männer! Letztlich waren sie doch alle gleich! Nein, Ba - shtie war anders, besser. Er war ein Mann der Klugheit und der Tat, ein Mann, bei dem sich eine Frau geliebt und geborgen fühlen konnte. Trotzdem! Eine gewisse plumpe Einfältigkeit besaßen sie alle!
Stets hatten sie alle Vorhaben miteinander besprochen. Plötzlich traf er allein die Entscheidung. Warum mit Frethnal und Vesgarina? Sie hatte sich so unendlich darauf gefreut, mit ihm allein nach Mehi-o-ratea zu reisen. Zu Fuß, so, wie sie nach Falméra gewandert waren, in enger Vertrautheit und über verborgene Wege. Pferde und Diener störten und behinderten sie dabei nur!
Ein verschwiegenes Plätzchen zwischen Felsen, nur sie und Ba - shtie, eine ausschweifende Jagd, ausgelassene Spiele im warmen Wasser der rauchenden Seen, verliebtes Träumen im Licht von Vater Mond und einsames, stilles Erwachen unter Talris... All das, worauf sie sich gefreut hatte, war dahin, zerstört, eben nicht so, wie sie es sich gewünscht hatte!
Wütend riss Antarona die Schranktür heftiger auf, als gewollt. Holz krachte gegen Holz. Und wie mochte es anders sein, kamen prompt Bastis Schritte die Treppe heraufgepoltert.
»Ist etwas geschehen? Engelchen, geht es dir gut, ist alles in Ordnung?« Antarona erstarrte, biss sich auf die Lippe, um nicht zu platzen. Nein! Nichts war in Ordnung, gar nichts! Er hat seinem En-gel-sen soeben einen Schlag ins Gesicht verpasst, dachte sie. Und das Schlimmste: Er merkt es nicht einmal!
»Seid ohne Sorge, Ba - shtie«, flötete sie süß nach draußen, »Sonnenherz ist in einer Zentare bei euch!« Tatsächlich aber dachte sie daran, absichtlich zu trödeln. Sie wollte ihn spüren lassen, dass sie sich verletzt fühlte! Er sollte um ihre Liebe betteln!
Sebastian vertrieb sich inzwischen die Zeit damit, die Reste des Frühstücks in sich hinein zu stopfen. Wer wusste schon, wann es das nächste Mal etwas zu Essen gab?
Endlich kam Antarona die Treppe herab. Sie trug einen kurzen Rock aus hellbraunem, glattem Leder, der seitlich bis auf den mit Metallscheiben verzierten Gürtel geschlitzt war. Das ungewöhnlich weiche Leder war zum Saum hin in seiner natürlichen Form belassen. Das knapp gebundene Oberteil schien aus dem gleichen Stück Tierhaut geschnitten und die ganze Kombination ließ sie verwildert und verführerisch zugleich wirken.
Für Falméra war ihre Kleidung denkbar unpassend, doch Basti wusste, dass Antarona gern gewagt knappe Kleidung aus unempfindlichem Material wählte, denn sie hielt sich seit ihrer Kindheit nur selten in umbauten Räumen auf.
Die anschmiegsamen Lederbeinlinge, die sie sich bis in die Kniekehlen geschnürt hatte, waren von anderer Art. Das rötlich braune Material glich im wesentlichen dem Veloursleder, das Sebastian kannte, doch schien es elastischer und weitaus strapazierfähiger zu sein.
Kleine, messingfarbene Glöckchen waren an den Stellen angebracht, wo sich die Lederstreifen des Schaftes kreuzten. Bei jedem Schritt, mit jeder Bewegung ließen sie ein melodisches, helles Klingeln vernehmen, das Antaronas Anmut noch unterstrich.
Hingerissen von ihrem Anblick wollte er sie in seine Arme schließen, doch das Krähenmädchen entwand sich seinem Griff und fragte schnippisch:
»Müsst ihr euch nicht eilen, Ba - shtie, oder wollt ihr Frethnal und Vesgarina warten lassen?« Sebastian merkte an ihrer Ausdrucksweise sehr schnell, dass sie zumindest eifersüchtig war. Er begriff, dass ein falsches Wort von ihm einen Donnersturm in ihr entfesseln konnte, den er nicht mehr würde aufhalten können.
»Na ja, mein Engelchen«, lenkte er schnell ein, »viel lieber würde ich mit dir allein sein, mit dir jagen gehen, durch die Wälder streifen, durch Seen schwimmen, und dich im Mondtau des nassen Grases lieben. Aber willst du Vesgarina wirklich zurücklassen und dem Willen Medunzias aussetzen?«
Sebastian ließ seine Worte wirken und beobachtete seine Frau mit einem Seitenblick. Das gefährliche Flackern in ihren Augen war erloschen. Dafür blickte sie nun traurig und nachdenklich zu Boden.
»Wir werden nur gemeinsam reisen«, erklärte Basti beschwichtigend, »Frethnal und Vesgarina werden ihre eigenen Wege gehen. Oder glaubst du, sie haben nichts besseres zu tun, als an unseren Gürteln zu hängen? Sieh ihnen in die Augen! Schau, wie sie sich ansehen! Sie verzehren sich vor Sehnsucht nacheinander und werden ebenso für sich sein wollen, wie wir!« Antaronas Miene hellte sich etwas auf, ihr Blick bekam einen silbrigen, verträumten Schimmer.
»Verzehrt ihr euch auch vor Sehnsucht nach Sonnenherz?« fragte Sie mit offen zur Schau getragener List. Sebastian reagierte, wie ihm sein Herz befahl, riss das Krähenmädchen an sich, umschloss ihren zerbrechlich wirkenden Körper mit seinen kräftigen Armen und sah ihr tief in die Augen.
»Spürst du das denn nicht, mein Engelchen? Glanzauges Geist wird wirr vor Verlangen nach Sonnenherz und sein Herz schreit in seiner Brust, wenn sie nicht bei ihm ist! Keine Vesgarina, keine Raspina, oder sonst eine Frau vermag das zu sein, was du für mich bist, Antarona. Mein Leben, der zweite Teil meines Herzens, das bist du!«
Bevor sie noch etwas sagen konnte, drückten sich seine Lippen sanft auf ihren Mund. Erst zögerlich, skeptisch, dann fordernd und wild erwiderte sie seinen Kuss. Atemlos hielten sie nach einer Weile inne, sahen sich verliebt in die Augen und unterdrückten das verlangende Pochen in ihren Leibern, das sie bis in ihre Haarspitzen fühlten.
Es war Zeit zu gehen. Wehmütig löste sich Antarona von ihrem von den Göttern gesandten Krieger. Zu dumm, dass Ba - shtie bereits den Jungen losgeschickt hatte.
In ihrer Phantasie stellte sie sich vor, wie sie Ba - shtie mit ausgefahrenen Krallen die Kleider in Streifen vom Leib riss, bis nach und nach seine Muskeln glänzend hervortraten. Sie liebte es, seine Kraft zu spüren, seinen festen Oberkörper, seine Arme, die sie beschützend an ihn pressten.
Um die Erfüllung dieses Verlangens betrogen, beobachtete sie missmutig, wie Sebastian die Tür zur Straße einen Spalt breit öffnete und gespannt verharrte. Längst hätte der kleine Bursche mit einer Antwort von Frethnal zurück sein müssen.
Antarona fand sich enttäuscht damit ab, dass ihre Liebe zu Ba - shtie immer wieder störenden Einflüssen unterworfen war. Sie träumte von einem Leben, in dem es nur sie und ihn, ihren Sohn und ihren Vater, Rona und Reno, ihre beiden Krähen und in respektabler Entfernung gute Freunde gab.
Würde sie dieses Leben irgendwann einmal finden? Würde sie jemals ein glückliches, friedliches Zuhause haben, ein Heim, wie es Hedaron, ihr Vater und ihre Mutter ihr gegeben hatten, bis zu jenem Tag, an dem sich ihre Welt veränderte an dem sie ihre Geborgenheit viel zu früh verloren hatte?
Sebastian schlüpfte aus der Tür und sie hörte, wie er mit dem Jungen sprach. Kurz darauf kam er zurück und schloss die Tür.
»Wir treffen uns mit Frethnal und Vesgarina bei den Ställen«, verkündete er wenig euphorisch, wohl ahnend, dass Antarona dem geordneten Leben der Stadt, den Zwängen der Himmelsburg, ihrem angeblichen Vater, dem König, und all dem Trubel Falméras je eher, desto besser, zu entfliehen wünschte.
Allein die Hoffnung, etwas für die Unabhängigkeit und Freiheit der Ival im Val Mentiér zu erreichen, ließ sie die Umstände ertragen, die ihr so fremd und unheimlich erschienen. Sie, die Kriegerin, die es gewohnt war, in der Weite der Natur zu leben und zu schlafen, ergab sich nur aus Liebe zu ihrem Volk in die Gefangenschaft der gesellschaftlichen Enge von Hofstaat und Burg.
»Lass uns gehen, je schneller wir uns mit den Pla-ka vertraut machen, desto eher können wir aus der Burg fort!« stellte Basti in Aussicht. Dieses Argument allein zauberte wieder ein kleines Lächeln auf Antaronas Gesicht.
Während sie die Freitreppen zur Burg hinaufstiegen, quälte Sebastian der Gedanke, dass er von Pferden so wenig verstand, wie von Zauberei und Hexerei. Wie sollte er sich verhalten, wenn sich Tieton wiederum dort bei den Ställen herumtrieb?
Wie konnte er seine erbärmliche Unkenntnis über jene Tiere verbergen, die den Ival so vertraut waren, wie den Menschen in seiner Welt die Autos? Jedem Stallknecht würde augenblicklich klar werden, dass er, der Areos und Heerführer, keine Ahnung im Umgang mit den Reittieren hatte. Er befürchtete, dass er nicht einmal auf eines der mit Fell überzogenen Tiere hinauf gelang.
Er wusste, dass ohne eine gut geführte Kavallerie kaum Aussicht bestand, Quaronas zu besiegen. Allein die Infanterie würde von den wilden Horden Torbuks einfach niedergeritten werden. Er musste sich Kenntnisse über Pla-kas aneignen, wenn er Antarona bei der Befreiung ihres Volkes helfen wollte! Und er musste es gut und rasch tun!
Vermochte er irgendwie die ganze Situation seiner Ahnungslosigkeit zu überspielen? Doch wie? Seine überrumpelnde, oft berechnende Art, mit welcher er Menschen manipulierte, würde bei Pla-kas nicht funktionieren. Tiere kannten keine Arroganz, keine gespielte, aufgesetzte Charakterstärke. Wahrscheinlich würden sie sofort spüren, dass er mehr Angst, als Respekt vor ihnen hatte.
»Ba - shtie, was bedrückt euch?« forschte seine Frau nach. Überraschenderweise war ihr Unmut inzwischen verflogen. Die Aussicht auf einem Pla-ka zu sitzen und die Freiheit in den Wäldern zu genießen, schien eine abrupte Wandlung in ihr ausgelöst zuhaben.
»Du weißt, dass Pla-kas mich nicht mögen und dass ich mit ihrem Wesen nicht sehr viel anzufangen weiß«, versuchte er eine umständliche Erklärung, »darum mache ich mir Gedanken, ob...«
Antarona war stehen geblieben und hielt ihn am Arm fest, so dass er unsanft unterbrochen wurde. Ihre Augen funkelten vorwurfsvoll und mit ernster Miene fragte sie:
»Habt ihr nichts gelernt, Ba - shtie, habt ihr mir nicht zugehört, habt ihr mir nicht zugesehen?« Sebastian schaute sie betreten und verständnislos an. Er war sich keiner Schuld bewusst. Schließlich saß er nie zuvor auf einem Pla-ka, ausgenommen bei ihrer ersten Begegnung, als er sich krampfhaft an ihrer Hüfte festgekrallt hatte, um nicht kopfüber im Staub zu landen.
Selbst in seiner Welt hatte er nie auf einem Pferd, oder Pony gesessen. Stets hatte er die großen Tiere, welche ihn vermeintlich nicht verstanden, mit respektvollem Abstand gemieden. Einen Weidezaun hielt er dankbar für eine sichtbare, sichere Grenze zwischen ihm und den großen, schnaubenden Wesen.
Antarona sah ihn einen Moment lang an, schüttelte dann verzweifelt den Kopf und stieg weiter die weißen, flachen Steinstufen empor. Als sie durch den großen Portikus traten, wurden sie bereits von den Männern der Torwache beobachtet. Erst, als sie das Tor erreicht hatten, machten sie ihrem Dienstherrn ehrfürchtig platz.
Sebastian stellte zufrieden fest, dass seine Ermahnungen auf fruchtbaren Boden gefallen waren. Wenn er überall in Falméra soviel Gehör fand, gelang es ihm vielleicht doch noch aus Burg und Stadt eine sichere Festung zu machen, die für Torbuks Truppen, sollten sie jemals kommen, ein ernst zu nehmendes Hindernis sein würde.
Doch seine Zuversicht schwand mit jedem Schritt, den sie sich den Ställen näherten und wie von selbst, schienen seine Füße langsamer zu werden. Ein mulmiges Gefühl, ein bohrender Druck in seinem Magen verrieten ihm seine Unsicherheit.
Er hatte Angst, sein Gesicht zu verlieren, denn ihm war bislang kein brauchbarer Einfall gekommen, wie er darum herum kam, sich vor aller Augen auf dem Rücken eines Pla-ka lächerlich zu machen. Aber es war zu spät, darüber nachzudenken.
Sie schritten über die große Zugbrücke, an der mächtigen Burgmauer vorbei, und da sah Sebastian sie schon. Die Stallungen gegenüber der beiden großen, eckigen Tortürme. Dort, nur ein Stück weiter, vor dem nächsten Stall hatte der Wagen gehalten, in dem sie damals unter Stroh verborgen in die Burganlage gelangt waren. Sebastian fühlte sich ebenso befremdlich, wie in jener Nacht, denn nun gab es wieder einmal kein Entrinnen mehr.
Antarona hingegen schien sich auf den bevorstehenden Ausflug zu freuen. Ihr ganzes Gesicht leuchtete in der Vorfreude, den dicken, einengenden Mauern zu entfliehen.
Das Erscheinen des Areos und seiner Tanzpartnerin blieb indes nicht unbeobachtet. Leute, die aus der Stadt kamen, oder dorthin unterwegs waren, blieben neugierig stehen und grüßten demütig, aber offenherzig. Inzwischen waren der Sohn Bentals und seine bildhübsche Gefährtin keine Unbekannten mehr.
Nicht wenige, die nun erwartungsvoll verharrten, kannten sie von den nächtlichen Feuertänzen. Antaronas exotischer Kampfstil, den niemand als solchen erkannte, hatte bereits Geschichte geschrieben. Sie hatten sich mittlerweile, ohne es zu ahnen, in die Herzen des Volkes getanzt.
Um so mehr fürchtete Sebastian, sich nun zu blamieren, wenn er einen dieser Pla-ka bestieg. Der strenge Pferdegeruch, den er aus seiner Welt kannte, dämpfte die Angst etwas. Er bot etwas Vertrautes, etwas, das ihn an das Dorf seiner Eltern erinnerte, in dem er aufgewachsen war. Doch all seine Erinnerungen würden ihm nichts nützen, wenn er auf das sich bewegende Riesentier klettern musste.
Ein schlaksiger, hochgewachsener junger Mann trat ihnen entgegen und verbeugte sich steif. Er hatte eine derbe, lederne Schürze umgebunden, die offenbar alle Stallknechte trugen, und seine hagere Gestalt ließ kaum vermuten, dass er einen wild gewordenen Pla-ka würde bändigen können.
Sein Gesicht ähnelte denen seiner tierischen Zöglinge. Es war lang, schmal und an den Wangen etwas eingefallen, so dass es mit wenig Phantasie der Form eines Pferdekopfes glich. Trotz seines jungen Alters bewegte er sich schleppend und seine Haltung war gebeugt, als würde eine unsichtbare Last ihn niederdrücken.
Entweder hatte ihn bereits die schwere Arbeit gezeichnet, oder die allgemein sehr niedrigen Räume hatten ihm die geduckte Haltung aufgezwungen. Wie auch immer, der Jüngling, den Sebastian auf gerade mal zwanzig Jahre schätzte, schien körperlich eher zu einem achtzigjährigen zu passen.
»Ihr wünscht auszureiten, Herr? Ich bin Tobyn, der Sohn des Stallmeisters, Herr«, begrüßte er Sebastian ziemlich selbstsicher.
»Euer Pla-ka aber steht im Stall meines Vaters, Herr, dort wo die Pla-ka des Königs und der Heerführer zu finden sind«, ergänzte er mit niedergeworfenem Blick und wies durch das Tor mit den viereckigen Türmen die Straße hinauf, wo sich weitere Ställe neben den Unterkünften der Wachen befanden.
»Ihr, Herrin«, damit wandte er sich noch um eine Nuance verlegener Antarona zu, »dürft einen Pla-ka aus meiner Obhut wählen«. Antaronas Reize blieben auch diesem jungen Mann nicht verborgen. Er wusste scheinbar nicht, wohin er sehen sollte, ohne die Gefährtin des Areos durch einen abgewandten, oder zu aufdringlichen Blick zu beleidigen.
Antarona brach die Anspannung mit ihrer unkomplizierten Art, die Sebastian oft Kopfzerbrechen bereitete.
»Sonnenherz wird eure Arbeit mit den Pla-ka zu schätzen wissen und sicher ein gutes Tier bei euch finden«, sagte sie freundlich. Ein wenig zu freundlich, wie Sebastian fand. Eifersüchtig blickte er ihr nach, wie sie Tobyn mit wiegenden Hüften in den Stall folgte.
In diesem Augenblick gab es für Basti keinen dringenderen Wunsch, als den beiden heimlich zu folgen, sein Krähenmädchen zu überwachen, ob sie ihm auch in solcher Situation unabdingbar treu war. Doch die Augen des Volkes lagen auf seinem Haupt.
Noch immer umstanden ihn ungewöhnlich viele Menschen, taten, als hätten sie sich gerade an diesem Ort und zu dieser Zeit ganz zufällig getroffen, und müssten nun hochwichtige Informationen austauschen, die keinen Aufschub duldeten.
Sebastian besaß eine untrügliche Menschenkenntnis und wusste es besser. Die waren einfach nur neugierig! Und wer vermochte es ihnen zu verübeln? Der Sohn des Königs, aus dem Reich der Toten zurückgekehrt, die Hoffnung des Landes, ihre Hoffnung, ging zu seinem Pla-ka, welcher ihn in die Schlacht getragen und mit ihm gekämpft hatte, der ihn selbst noch an die Pforte zum Totenreich trug.
Anscheinend sah nicht nur Tieton Sebastians Geste, seinen treuen Pla-ka aufzusuchen, als einen bedingungslosen Akt des Respekts an. Pla-ka genossen als Haus- und Nutztiere bei den Ival offenbar einen so hohen Stellenwert, wie ein Familienmitglied.
Sebastian musste innerlich lächeln und zustimmend nicken. Ihm schoss der Gedanke durch den Kopf, dass mancher Mann in seiner Welt sein lebloses Automobil mehr schätzte, als seine geliebte Frau. Wen wunderte es da noch, dass die Freundschaft zwischen einem Krieger und seinem lebenden Reittier eine mindestens ebenso hohe Priorität besaß.
Die umstehenden Leute, ob sie nun zufällig da waren, oder sensationsheischende Neugierige waren; symbolisch gesehen waren sie das Auge des Volkes. Und sie erwarteten nun, dass er, Areos von Falméra, seinen treuen Pla-ka aus dem Stall führte.
Hätte in seiner Welt ein Prinz und Thronfolger seinen Mercedes, oder Austin Sportwagen aus der Garage gefahren, so hätte sich garantiert eine genauso große Menge von Fotografen dafür interessiert. Besonders dann, wenn der Beobachtete dabei unvorsichtig war, und versehentlich die Toreinfahrt über den Haufen fuhr.
Der Gedanke machte Sebastian nervös. War es das, worauf die heimlichen Schaulustigen warteten? Hofften sie auf das Schauspiel, dass ihn sein getreues Reittier in den Staub warf? In seiner Phantasie, die gar nicht so bar jeglicher Realität war, würde genau das geschehen!
Wenn nur Antarona rechtzeitig wieder an seiner Seite war... Das Krähenmädchen, das mit den Tieren sprach! Eine freundliche, raue Stimme zerschmetterte seine letzte Hoffnung.
»Ich hatte mich schon gefragt, Herr, wann ihr wohl auftauchen würdet.« Ein kleiner, rundlicher Mann mit kurzen, kräftigen Armen tauchte im Stalltor auf und musterte Sebastian ungeniert von oben nach unten.
»Euer euch treu ergebener Diener hat euren Pla-ka gepflegt und gehegt, als wäre er sein eigen Kind, Herr. Als ahnte er, dass ihr euren Pla-ka niemals in der Welt der Menschenwesen zurücklassen, und ohne ihn in das Reich der Götter einziehen würdet.«
»Nun, ihr werdet verzeihen, wenn ich mir mit einem weiteren Einzug in das Reich der Toten noch etwas Zeit lasse, ja?« quittierte Sebastian die Begrüßung, doch der gewollt zynische Witz misslang, scheiterte an seiner Angst.
Der Mann, ebenfalls mit einer derben Lederschürze bekleidet, blickte ihn mit gütigen, kullerrunden Augen an, die aus einem feisten, wohl genährten Gesicht hervorleuchteten. Sebastian staunte nicht schlecht. Wenn dies Tobyns Vater war, so mochte er sich seine Mutter nicht vorstellen. Sie musste dann mindestens das Aussehen eines ostafrikanischen Herdentieres besitzen, welches man in seiner Welt liebevoll Gnu nannte.
»Kommt herein, Herr, und überzeugt euch selbst, dass euer geschätzter Pla-ka vor jedermann verborgen und wohl verwahrt steht, dank der aufopfernden Pflege meines untertänigsten, unwürdigsten Menschenwesens!« Sebastian sah den kleinen Dicken zweifelnd an. Reden tat er ja viel, stellte er fest.
Hilfesuchend sah Sebastian sich um. Von Antarona war weit und breit nichts zu sehen, und auch Frethnal und Vesgarina hatten sich noch nicht eingefunden. Dafür hatten sich die umstehenden Schaulustigen wie durch ein Wunder in kürzester Zeit vermehrt. Sebastian fühlte sich belauert, belagert, beinahe schon verraten.
Flucht nach vorn! Mit einem mächtigen Unbehagen im Bauch folgte er dem geschwätzigen Stallmeister in das langgezogene, niedrige Haus, aus dem ihm ein strenger Duft, und schwüle Wärme entgegen schlug. Das Innere des Stalles war in Dämmerlicht getaucht, das die winzigen, flachen Fenster spendeten, die sich wie quer gelegte Schießscharten entlang der Außenwand aneinander reihten.
Sie besaßen kein Fensterglas und auch keine Läden zum Schließen. Es waren lediglich breite Schlitze, die eine bescheidene Belüftung zuließen. Sebastians Interesse für die eher unwichtigen Fenster entging aber dem redefreudigen Stallmeister nicht.
»Damit keine Futterdiebe hereingelangen, Herr«, plapperte dieser ungefragt darauf los, »sind nicht nur vierbeinige, die sich gerne des Pla-ka Futters bedienen.« Er führte Sebastian durch einen sauberen Gang, dessen Boden mit Kopfsteinpflaster belegt war, vorbei an sich aneinanderreihende Boxen.
»Es ist nicht so, dass ich an eurer Rückkehr zweifelte, Herr, aber euer Pla-ka wurde nicht mehr geritten, seit ihr in das Reich der Toten gingt. Der König selbst hatte erlassen, dass euer braves Tier dort unterkommt, wo es niemand zu Gesicht bekommt. Es ist damit nicht an mir, dass es ganz hinten steht. Aber ich habe mich immer darum gekümmert, Herr, freiwillig, bei Tage und in der Nacht, und ich hatte stets...«
»Ist mein Pla-ka wenigstens ab und zu herumgeführt worden, war er überhaupt mal außerhalb dieser stickigen Mauern?« unterbrach Basti den Mann mit seiner Frage.
»Nun ja Herr, in den letzten Zentaren gab es mehr als reichlich zu tun«, versuchte sich der Stallmeister im Vorweg zu entschuldigen, »da war es nicht immer an guter Gelegenheit, ihn herumzuführen, und reiten durfte ihn ja sowieso niemand, ihr wisst, der König!« An jeder Box hielt der Herr über des Königs Pla-kas kurz an, warf hier ein Büschel Heu in die Krippe, sah dort nach einer angeblich geschwollenen Fessel, oder wollte sich nur davon überzeugen, dass der betreffende Pla-ka noch seinen „Klaren Blick“ besaß.
In Wahrheit, das merkte Sebastian sehr schnell, wollte der Mann nur die Zentaren in die Länge ziehen, den Augenblick hinauszögern, in dem Areos seinen Pla-ka zu Gesicht bekam. Offensichtlich war die Pflege des Stallmeisters doch nicht so intensiv, wie er es zunächst vorgab.
»Also los jetzt, wo steht mein Pla-ka, ich habe nicht den ganzen Tag zu vertrödeln«, trieb der den kleinen Dicken an und stupste ihn an der Schulter vorwärts. Doch anstatt dieser schneller ging, drehte er sich zu Sebastian um und seine Stimme verfiel in einen leises Raunen:
»Herr, ihr müsst nicht denken, ich hätte euren Pla-ka vernachlässigt, aber die anderen Herren waren nun einmal ständig da, sie kamen und gingen, und verlangten dies und das, ihre Pla-ka mussten in jeder Zentare bereit sein, wenn ihr versteht, was ich meine.«
Sebastian schob sich an der Schulter des Mannes vorbei, kniff die Augen zusammen, um die letzte Box zu erspähen und fragte nach hinten:
»Haben die anderen Herren euch untersagt, euch um meinen Pla-ka zu kümmern?« Gehetzt folgte der Stallmeister seinem künftigen König und seine leicht bebende Stimme verriet zumindest tiefes Unbehagen in ihm.
»Das nicht gerade, Herr. Doch der Herr von Tieton ließ anklingen, erst kürzlich noch, dass der Pla-ka eines Toten doch auch bereits tot sei und dass er nicht so viel Aufmerksamkeit...« Sebastian blieb abrupt stehen und drehte sich um, so dass der dicke Stallmeister im Halbdunkel ungebremst gegen ihn prallte.
Sebastian hatte damit gerechnet und sorgte für einen festen Stand, wohingegen sich der Pferdepfleger plötzlich auf seinem Gesäß wiederfand.
»Hat Tieton euch selbst und unmissverständlich angeordnet, dass ihr euch nicht um mein Pla-ka kümmern sollt?« Die scharfe Frage Sebastians traf den sich gerade wieder Aufrappelnden wie ein Schlag. Er wich zwei Schritte zurück, tat, als müsste er wiederum das Gleichgewicht verlieren und hielt sich Schutz suchend an einem Boxenpfeiler fest.
»Nein, Herr, natürlich hatte er das nicht so gesagt, doch schien es mir ratsam, mich mehr um sein Tier zu kümmern. Ihr wisst schon, Herr, rasch ist man heutzutage des Ungehorsams bezichtigt und wird davon gejagt. Doch euer unwürdiger Stallmeister verspricht euch, von dieser Zentare an wird euer Pla-ka in der ersten Box stehen und mein besonderes Augenmerk wird auf ihm liegen, und er wird das beste Futter...«
»Zeigt mir einfach nur, wo er steht!« fuhr Sebastian ihn leise, aber scharf an, so dass dieser ängstlich zusammenzuckte. Offenbar begriff er nun, dass die Geduld des Areos erschöpft war. Er duckte sich respektvoll, als befürchtete er, einen Hieb auf sein Haupt zu bekommen, huschte an Sebastian vorbei zur letzten Box im Stall und blieb unschlüssig davor stehen.
»Nun, was ist?« fragte ihn Basti auffordernd. »Ich will hier nicht die Gla-hins*¹ an der Wand zählen. Macht endlich die Tür auf, oder muss ich euch erst hindurch werfen?«
»Nein Herr, bitte Herr, sofort und stets euer Diener, Herr«, und die Tür zur Box flog auf. Sebastian blickte auf das mächtige Hinterteil eines weißen Pferdes und auf einen Schweif, der an seinem Ende schwarz gefärbt war. Mit den Hinterhufen stand das Tier in seinem eigenen, knöcheltiefen Kot, den es bereits zu Brei getreten hatte.
Am Kopfende der Box stand der obere Teil einer dreigeteilten Tür offen, so dass dem beengt stehenden Tier wenigstens etwas frische Luft und Tageslicht vergönnt war. Der Stallmeister wies mit beiden offenen Handflächen auf das unruhig schnaubende Tier, als einladende Geste an Areos, sich zu bedienen.
»Wollt ihr freundlichst die Güte haben, ihn hinauszuführen und aufzuzäumen, Meister«, forderte Sebastian mit deutlich sarkastischem Unterton, »und das möglichst noch an diesem Tage, wenn ich bitten darf!« Der stämmige Pla-ka- Wirt verbeugte sich demütig.
»Sehr wohl, Herr, wie ihr wünscht, ich dachte nur...« Ärgerlich unterbrach ihn Sebastian mit ungeduldiger Stimme:
»Was dachtet ihr? Dass ein Herr Tieton nur mit dem Finger zu schnippen braucht und ihr überschlagt euch vor Eifer, und dass ihr euch hingegen beim Sohn Bentals gemütlich ins Stroh legen dürft? Nun macht schon! Euer Sohn, der Tobyn, ist da offenbar aus einem biegsameren Holz geschnitzt, als ihr es seid, wie mir scheint!« Der Stallmeister wurde rot und wieder bleich und stammelte peinlich berührt:
»Verzeiht, Herr, ich dachte nur.., weil ihr doch stets begehrtet, euren treuen Pla-ka selbst zu zäumen. Ihr hattet es niemals gestattet, dass ein anderer Hand an ihn legte.« Für einen Moment war Sebastian verunsichert, fing sich aber sofort wieder. Zu viel stand auf dem Spiel, als dass er sich hätte offen eine Schwäche eingestehen müssen.
»Wollt ihr nun meinen Pla-ka aufzäumen, oder muss ich einen anderen finden, der fortan Stallmeister sein möchte?« Das wirkte! Plötzlich kam Bewegung in den Mann, und einen Moment später führte er Areos Reittier aus dem diffusen Licht. Aus dem Stall heraus zu kommen, war für das Tier offenbar ungewohnt, denn es folgte nur widerwillig und versuchte abwechselnd nach beiden Seiten hin auszubrechen. Doch der Stallmeister hielt es mit fester Hand am Zügel.
Ein Zaumzeug, wie es sein Pla-ka trug, hatte Sebastian indes noch nie gesehen. Am Kopf des Reittiers ähnelte es dem, das er aus Western- Filmen seiner Welt kannte. Doch war dies mit weiteren Riemen und Gurten verknüpft, die an ein Wagengeschirr für Zugpferde erinnerten. Nur, dass auf dem Rücken des Pla-ka eine kräftige Decke mit den Riemen verbunden war.
Einen Sattel im herkömmlichen Sinne gab es nicht. Er wusste aber bereits von Antarona, dass jene, die ihr Pla-ka mit Verständnis, oder gar mit Liebe zu führen wussten, auf die schweren Kriegssättel verzichteten, was sowohl dem Reiter, als auch dem Tier angenehm zu Gute kam. Allerdings war auch etwas mehr Körperbeherrschung des Reiters erforderlich, wollte dieser nicht auf dem Boden landen.
Sebastian blickte kurz zu den unteren Stallungen hinab und sah in diesem Augenblick Antarona die staubige Straße heraufkommen. Sie führte einen pechschwarzen Pla-ka am Zügel, der nervös hinter ihr her tänzelte. Ihr Pla-ka trug nur ein paar geflochtene Riemen um den Kopf und ein Stück Lederhaut, das über einer Decke lose auf dem Rücken des Rappen ruhte.
Fast gleichzeitig sah er eine einzelne, untersetzte Person von den Wachhäusern herannahen, die er sich in dieser Situation am allerwenigsten in seine Nähe wünschte. Tieton. Der hatte ihm noch gefehlt!
Antarona und Tieton erreichten Sebastian fast gleichzeitig. Mit einem Seitenblick auf den Stallmeister, der gerade Areos Pla-ka zur Ruhe zwang, bemerkte Tieton herausfordernd:
»Ah, habt ihr euch doch noch entschlossen, mit eurem Pla-ka auszureiten«. Dann fiel sein Blick auf Antarona.
»Wie ich sehe, in angenehmer Begleitung. Meint ihr, dass eine Frau mit so einem temperamentvollen Tier umzugehen weiß? Gebt acht, dass euch die Kleine nicht im Galopp verloren geht!« Bevor Sebastian antworten konnte, giftete Antarona den Kriegsberater des Königs an:
»Seht ihr besser zu, dass euer Pla-ka nicht unter euch zusammenbricht!« Tieton wurde zunächst rot im Gesicht, dann kreidebleich. Offenbar war es das erste Mal, dass eine Frau es wagte, sich über seine füllige Figur lustig zu machen.
»Ihr wagt es...«, rang er nach Luft, und an Sebastian gerichtet, »Was fällt diesem halb nackten, verwilderten Weibsstück ein, so mit dem Kriegsrat des Königs zu sprechen? Ihr solltet sie besser richtig züchtigen, bevor ich...«
»Bevor ihr was?« unterbrach ihn Sebastian brutal. Er fixierte Tieton mit eiskaltem, starrem Blick und in seiner Stimme lag eine unmissverständliche Warnung.
»Bevor ihr weiter sprecht, Herr Tieton, überlegt euch wohl, was ihr sagen wollt!« Sebastian beobachtete aus den Augenwinkeln, wie sich Antaronas Hand unmerklich dem Griff ihres Schwertes näherte. Oft genug hatte er miterlebt, wie impulsiv ihre Reaktionen auf solche Beleidigungen ausfallen konnten. Er musste die Situation schnell entschärfen, bevor sich das Krähenmädchen vor den Augen aller Umstehenden dazu verleiten ließ, einen schwerwiegenden, nicht rückgängig zu machenden Fehler zu begehen.
»Tieton, wisset wohl, dass Sonnenherz eine in den Tälern des Val Mentiér hoch geachtete Kriegerin ist. Außerdem ist sie durch die Elsiren mit mir verbunden. Ich werde es nicht hinnehmen, dass ihr es Antarona gegenüber an Respekt mangeln lasst, merkt euch das!« Etwas leiser, aber gefährlicher fügte er hinzu:
»Und sollte euch vielleicht doch noch einmal einfallen, in dieser Weise von ihr zu sprechen, so werdet ihr euch vor dem König erklären müssen, dessen seid versichert!«
Der Kriegsrat lief puterrot an und deutlich war zu sehen, wie seine Kiefermuskeln arbeiteten, als er seinen Zorn hinunterschluckte. Er fühlte sich durch seine vertraute Position zum König überlegen, doch er war sich keineswegs sicher, ob Bental den Belangen seines Sohnes nicht doch den Vorzug geben würde.
Sebastian glaubte, Tieton damit außer Gefecht gesetzt zu haben und hoffte, dass der Kriegsminister beschämt seiner Wege gehen würde. Doch weit gefehlt! Der kräftige, gesetzte Mann, der in seinem Waffenrock ein wenig lächerlich aussah, verschränkte die Arme vor der Brust und gesellte sich hämisch grinsend zu den Schaulustigen, als gelte es, einem spektakulären Komödienstück beizuwohnen.
Unterdessen befürchtete Sebastian schon, dass er den Neugierigen genau das bieten würde, als Antarona dem Stallmeister die Zügel von Areos Pla-ka entwand und den Kopf des Tieres dicht an ihr Gesicht heranzog, als wollte sie es nur sehr kurz halten.
Doch wer genau hinsah, konnte beobachten, dass sie dem Pla-ka etwas in das große Ohr raunte. Augenblicklich beruhigte ich das nervöse Tier und stand still wie eine aus Stein gehauene Statue.
»Ba - shtie, seid ihr bereit, aufzubrechen?« fragte sie so laut, dass alle es hören konnten, »Frethnal und Vesgarina warten bereits bei den unteren Ställen.«
Gleichzeitig griff sie ihrem Rappen in die lange, glänzende Mähne und schwang sich in einem eleganten Satz auf dessen Rücken. Stolz, mit erhobenem Kinn und kerzengerade saß sie auf dem schnaubenden Tier, blickte schnippisch und verächtlich zu Tieton hinab, der sie immer noch kritisch und lüstern beobachtete.
Sebastian zögerte nicht lange, wollte den Moment nutzen, solange sein Reittier so friedlich und still dastand. Das Krähenmädchen hatte es ihm deutlich vorgemacht. Er nahm die Zügel in die rechte, wie er es bei Antarona gesehen hatte, ergriff mit der Linken den handgroßen Metallring, der dort angebracht war, wo sich Riemen und Gurte auf des Pla-kas Rücken kreuzten, und zog sich mit einem ordentlichen Schwung auf den Rücken des nach seiner Sicht mittelalterlichen Taxis, das sich nicht einen Zentimeter von der Stelle rührte.
Erst, als Antarona ihr Tier mit einem klaren kurzen ga-hó antrieb, setzte sich auch Bastis Pla-ka in Bewegung. Er versuchte die Zügel einigermaßen straff zu halten, hatte aber mehr Mühe damit, sich auf dem schwankenden Rücken zu halten, der um einiges breiter war, als er es sich vorgestellt hatte.
Den Umstehenden aber genügte, dass er hoch zu Ross an ihnen vorüber ritt. Niemanden interessierte, dass er wie ein mit Wasser gefüllter Sack von einem Muskel des Tieres zum anderen rutschte. Tieton fiel ganz sicher etwas auf, doch er hütete sich, irgendetwas zu unternehmen. Er war bei den Leuten nicht sehr beliebt, und das Volk hätte es ihn spüren lassen, wem seine Sympathie galt.
Begleitet vom Beifall der Neugierigen folgte Sebastians Pla-ka dem Rappen von Antarona, und er brachte es fertig, den Menschen zuzuwinken, ohne von diesem lebendigen Rücken zu rutschen.
Wie leicht das Volk zufrieden zu stellen war, solange es seinen Herrscher liebte, solange es seine Hoffnungen vertrauensvoll in seine Hand legte! Ob die Ival einst Bental ebenso zugejubelt hatten? War auch das vergänglich? Musste auch das vergänglich sein? Wie hätte die Menge reagiert, wäre sein Pla-ka plötzlich ausgebrochen und hätte ihn in hohem Bogen vor die Füße seiner Bewunderer geworfen?
Sebastian kannte das Volk der Ival noch nicht lange, doch so viel stand für ihn fest: Sie hätten ihn auch vor ihren Füßen im Staub akzeptiert. Sie sahen ihn als ihre Hoffnung, als die Zukunft. Seine Rückkehr aus dem Reich der Toten war ein Zeichen der Götter. Es stand für Veränderung, für Freiheit, Frieden und Wohlstand.
Plötzlich wurde ihm bewusst, welche Last Bental all die Jahre getragen hatte. Der König der Ival, die Regierung einer jeden Nation, stand unaufhörlich auf dem Prüfstand. Zu regieren war ein Balanceakt auf dem messerscharfen Grat zwischen der Zufriedenheit des Volkes und den unpopulären Entscheidungen die zum Schutz eben dieses Volkes getroffen werden mussten.
Waren das Bündnis mit den Oranuti, die Akzeptanz, sie sich mit ihrer fremden Kultur in der Nachbarschaft der Ival anzusiedeln, eine dieser unliebsamen Entscheidungen? Möglich, doch sollte auch die Stimme des Volkes nicht überhört werden!
Die Ival sahen ihre neuen Nachbarn als Nachbarn, solange sie bescheidene Gäste blieben. Doch war offenbar eine Zeit angebrochen, in der sich die Oranuti zu stark etablierten, Märkte der Ival verdrängten, ihren Glauben ignorierten und vermehrt arrogant auftraten. Sie integrierten sich nicht, passten sich nicht dem Volk an, das ihnen die Hand der Gastfreundschaft reichte!
Sebastian konnte sich nicht erinnern, je einen erwachsenen Oranuti bei den Elsirentänzen gesehen zu haben. Und die jugendlichen Sprösse der Unbekleideten fanden sich lediglich als Verkäufer an den vielen Ständen rings um die Elsirenfeuer. Dort verdrängten sie mit ihrem zweifelhaften Talent des aufdringlichen Handelns immer mehr die heimischen, Ivalschen Waren und Verkaufsstände.
Für Sebastian zeichnete sich bereits zu diesen Zentaren ein ethnisches Problem ab, gegen das er an zwei Fronten würde kämpfen müssen. Zum einen der immer stärker anwachsende Bevölkerungsanteil der Oranuti in den Städten und größeren Dörfern auf Falméra, welcher die Gefahr einer Infiltration beinahe schon gegenwärtig erscheinen ließ.
Zum anderen die Schwierigkeit, gerecht und human jenen gegenüber zu bleiben, die sich stets zum König und den Gesetzen der Ival loyal verbunden fühlten und verhalten hatten, sollte es wegen Torbuk zum offenen Konflikt mit Oranutu kommen. Dies wäre spätestens dann der Fall war, wenn Arrak mit dem Beweis jenen Verdachts aus den nördlichen Tälern zurückkam, den Sebastian unausgesprochen nicht mehr aus seinem Kopf bekam.
Aber selbst Antarona, die so rücksichtsvoll wie niemand sonst mit jedem lebenden Wesen umging, das gut und aufrichtig war, hasste alle Oranuti. Sie spürte die wachsende Gefahr, die von jenen Menschenwesen ausging, welche die nach Süden hin aufgeweichten Grenzen dazu nutzten, einzuwandern, die Vorzüge Bentals allzu schwacher Regierung genossen, ohne sich kulturell zu integrieren.
Oranutis blieben selbst im lebendigen, stets feiernden Falméra für sich. Ihre Töchter verbanden sich nur mit Oranuti, oder mit Söhnen hoch angesehener Ival, die Kontakt zum Hof besaßen. Ein junger Ival, der sich Hoffnungen bei einer Tochter der Oranuti machte, wurde unmissverständlich abgewiesen.
Glaube und Kultur der Oranuti untersagten ihren Töchtern eine Verbindung mit jedem, der anderen Glaubens, anderer kultureller Herkunft war. Wohingegen es jedoch reiferen Männern der Oranuti offenbar gestattet war, sich mit selbst jungen Frauen der Ival zu verbinden. Der Glaube der Oranuti, das Gebot des Gottes Balam, erlaubte einem Oranuti sogar, sich mit mehreren Frauen zu verbinden.
Talris und die Götter des Mondes und der Planeten hingegen erzürnten sich über jeden, der sich mit mehr als einer Frau verband. Die Verbindung zweier Herzen galt auf ewig. Welche Möglichkeiten es zu einer Trennung gab, vermochte wohl nur Elwha, der geistige Berater des Königs tatsächlich zu bestimmen. Mit ihm wollte Sebastian ohnehin noch ein...
Sebastians Pla-ka hielt an und riss seinen Reiter aus den erdrückenden Gedanken, die einen künftigen Herrscher eines riesigen Landes beschäftigten. Sie hatten die unteren Stallungen erreicht und Antarona war bereits wie eine Feder von ihrem Reittier geschwebt.
Die Art, wie Sebastian abstieg, hatte wenig mit der schwebenden Bewegung einer Feder zu tun. Eher mit der unumstößlichen Eigenschaft, welche die Gravitation einem Stein aufzwingt. Das Tier hatte einen unbedachten Satz zur Seite gemacht, als Basti die Zügel beim Absteigen gedankenlos hängen ließ. Und Antarona hatte angesichts der inzwischen eingetroffenen Freunde vergessen, Bastis Pla-ka zu übermitteln, dass er einen unerfahrenen Trottel auf seinem Rücken beförderte.
»Antarona, sag diesem unmöglichen Trampeltier, dass es eine Menge leerer Kochtöpfe in der Burgküche gibt, die gerne gefüllt werden wollen«, schimpfte Basti ärgerlich, indem er sich den Staub aus dem Waffenrock klopfte, »wenn er so etwas noch mal tut, kann er sich die von innen betrachten!«
Das Krähenmädchen stand lässig und lachend da, schüttelte, zweifelnd über den Verstand ihres Helden, leicht den Kopf und antwortete:
»Ba - shtie, beruhigt euch, euer Pla-ka versteht das nicht, wohl aber den Klang eurer Stimme. Er wird es wieder tun, wenn ihr ihm droht!« Sebastian sah ein, dass er mit seiner Art bei dem Tier kaum Vertrauen erwecken konnte und musste Antarona Recht geben. Etwas ruhiger antwortete er:
»Antarona, du hast mich gerade vor Tieton gerettet, dafür danke ich dir. Aber du hilfst mir jetzt nicht, wenn du mir sagst was ich nicht tun soll. Sag mir, bei den Göttern, was ich tun soll, damit der hier auf mich hört!« Dabei blickte er verzweifelt das Tier an, auf das er angewiesen war, mit dem er als Areos stand, oder fiel.
Tadelnd präsentierte Antarona in einer weiten Geste ihre leeren Handflächen, als versuchte sie, Sebastian etwas mehr Verstand zu geben.
»Erinnert euch, was Sonnenherz euch gebot, als ihr vor dem Felsenbären Auge in Auge standet, und was sie euch geraten, damit ihr Tekla und Tonka versteht. Denkt an Rona und Reno. Ebenso ist es mit eurem Pla-ka. Er ist ein Wesen der Götter, wie die Menschenwesen, wie die Elsiren, die Gore, Robrums, wie Reno und Rona. Denkt nach, Ba - shtie - laug - nids, wie war es euch gelungen, das Vertrauen von Väterchen Balmers Hunden zu gewinnen?« Sie ließ bewusst eine längere Zentare verstreichen, bevor sie weitersprach:
»Ihr müsst es ihm mit euren Sinnen sagen, Ba - shtie, mit den Worten aus eurem Herzen! Sonnenherz weiß, dass ihr das vermögt. Erinnert euch daran, wie ihr die Elsiren um Hilfe gebeten habt, als Sonnenherz in das schwarze Auge der Mutter Erde blickte. Was sagten euch die Sinne, was flüsterte euer Herz? Wie viele Worte aus eurem Munde brauchtet ihr? Tut es ebenso mit eurem Pla-ka, er wird euch verstehen und ihr werdet ihn verstehen!«
Zuversichtlich nickte Antarona Bastis Reittier zu, als Aufforderung, es noch einmal zu versuchen. Mehr zu sich selbst sagte sie kaum hörbar:
»Tieton jedoch wird diese Verbindung stets unbekannt bleiben, denn er denkt nicht mit dem Herzen, und auch nicht viel mit den Sinnen.«
In diesem Augenblick kamen Frethnal und Vesgarina aus dem Stall, gefolgt von Tobyn, der zwei kleinere Pla-ka herausführte und begann, diese aufzuzäumen. Als er damit fertig war, übergab er den beiden Bediensteten die Enden der Lederriemen.
Vesgarina und Frethnal sahen sie mindestens so ratlos an, wie Sebastian noch vor ein paar Minuten Antarona. Auch die beiden hatten noch nie zuvor auf einem Pla-ka gesessen. Sie hielten die Zügel wie einen gefüllten Korb, dessen Inhalt ihnen jedoch gänzlich unbekannt war.
Antarona indes erwartete eine Aufgabe, um die sie kaum jemand beneiden mochte. Sie sollte drei Menschenwesen das Reiten beibringen, welche im Umgang mit Pla-kas völlig unerfahrenen waren. Genauso konnte sie versuchen, dem alten Högi Balmer das Singen zu lehren.
Was Antarona gerade noch ihrem Mann mit den Zeichen der Götter nahe zu bringen versuchte, erklärte sie nun ihrer Kammerzofe und Sebastians Diener. Inzwischen konzentrierte sich Basti auf seinen Pla-ka. Er zog den Kopf des Tieres an den Zügeln sanft zu sich herunter und flüsterte ihm leise Worte ins Ohr, so, wie er es bei Sonnenherz gesehen hatte.
»Schön ruhig, mein Bester, wir müssen da beide durch, ob uns das gefällt, oder nicht. Also versuchen wir es zusammen, ja? Du und ich, wir sind uns doch so ähnlich, waren beide eingesperrt und suchen die Freiheit! Wir werden noch eine lange, schöne Zeit zusammen sein, du und ich, wenn du mich nicht hinunter wirfst, werde ich dafür sorgen, dass es dir gut geht, versprochen!«
So redete Basti auf seinen Pla-ka ein, während Antarona die beiden befreundeten Diener im Umgang mit diesen Reittieren schulte. Endlich waren sie alle bereit zum Aufbruch. Da sie ein wenig mehr Platz für ihre Reitübungen benötigten, als der Burghof bereit war, herzugeben, führten sie ihre Tiere an der Leine hinaus aus den dicken Mauern.
Auch draußen, vor der Burg lohnte es sich nicht, aufzusteigen. Sie würden noch ein schönes Stück ziemlich steil bergan steigen müssen, bis sie ein Gelände erreichten, das für Reitübungen reichlich Raum ließ, und wo sie auch vor unliebsamen Zuschauern sicher waren. Antarona wies gegen das Sonnenlicht östlich der Burg zu den Bergen hinauf.
»Dort wird kein Menschenwesen sein, welches dort nicht seine Nahrung sucht«, stellte sie fest, »dort sehen keine bösen Herzen zu. Für die Pla-ka gibt es auf den hohen Weiden besseres Futter, als sie im Stall bekommen.«
Wen sie mit dem bösen Herzen meinte, war Sebastian klar. Doch selbst bei aller Missgunst, die von Tieton zu erwarten war, würde dieser sich kaum die Mühe machen, in den steilen Felsgebirgen herumzureiten, nur um das Schauspiel nicht zu verpassen, wie Areos vom Rücken eines Pla-ka fiel.
Also zogen sie ihre Tiere hintereinander den steilen Pfad die Berge hinauf. Reiten wäre hier für Reiter und Pla-ka nicht ratsam gewesen. Teilweise war der Weg so ausgesetzt, dass es einen Sturz von hundert und mehr Metern gewesen wäre, hätte ein Tier einen falschen Tritt gesetzt.
Mittag war schon weit vorüber und die Burg war in der Tiefe nur noch als eine winzige, gezackte Formation auf einem langen Bergrücken zu erkennen, als sie die Bergweiden hoch oben, zwischen dem Val Nieort und dem Angertal erreichten.
Vor unliebsamen Blicken würden sie hier verschont bleiben. Mächtige Arven umsäumten ein riesiges Plateau, auf dem zwischen einzelnen Felsbrocken und Krüppelkiefern duftende Kräuter wuchsen. Alle vier Pla-ka waren nicht mehr von der Stelle zu bewegen. Viel zu selten bekamen sie derartige Leckereien, als dass sie diese ignoriert hätten.
Zunächst ließen sie die Tiere grasen. Es hätte wenig Zweck gehabt, Mensch und Tier zu fordern, wenn die Pla-ka von der üppigen Nahrungsvielfalt abgelenkt waren. Dann jedoch wurde es ernst. Das sichere Auf- und Absteigen auf ein Reittier hielt Antarona für eine Grundlage, die jeder beherrschen musste.
Diesmal flüsterte sie den Tieren keine geheimnisvollen Botschaften ins Ohr. Ihre Schützlinge mussten mit den Pla-ka zurechtkommen lernen, so, wie sie waren, mit ihren jeweiligen Stimmungen und Charakteren, mit äußeren Einflüssen, wie Wetter, Umgebung, oder der Präsenz anderer Tiere.
Da die Bedingungen auf der einsam gelegenen Weide ruhig und ideal waren, die Pla-ka zufrieden und das Wetter angenehm, mochte es ein einfacher erster Übungstag werden, dachte Sebastian. Möglicherweise ging er mit ein wenig zu viel Optimismus an die Sache heran.
Jedenfalls fand er sich Sekunden nach dem ersten Versuch, den Rücken des Pla-ka zu besteigen, im weichen Gras wieder. Sein Pla-ka wandte sich desinteressiert ab und widmete sich wieder in aller Ruhe den wohlschmeckenden Kräutern.
»So nicht, und nicht mit mir!« polterte Sebastian nach der ersten schmerzhaften Erfahrung los. Er stand auf, schnappte sich die Zügel des Pla-ka und wollte sofort wieder aufsteigen. Doch das Tier drehte ihm immer wieder das Hinterteil zu, zupfte genüsslich an den Grashalmen und tat, als wäre Basti gar nicht da. Antarona sah sich das Schauspiel eine Weile an und sagte dann:
»Ba - shtie, er spielt mit euch, lasst euch niemals seinen Willen aufzwingen. Ihr seid der Herr, also zeigt es ihm auch. Nicht nur ihr lernt«, sagte sie dann allgemein in die Runde gerichtet, »sondern auch eure Tiere lernen! Sie müssen euch ebenfalls respektieren lernen. Also sprecht mit ihnen! Haltet sie kurz, sehr kurz und sprecht mit ihnen, beruhigt sie, führt sie etwas herum, schafft Vertrauen!«
Selten hatte Sebastian sein Krähenmädchen so viel sagen hören. Er bemühte sich aber, ihre Ratschläge umzusetzen, denn er wusste nur zu gut, dass niemand sonst so gut mit Tieren umzugehen wusste. Basti nahm die Zügel fest in die Hand, zog den Kopf des Pla-ka mit sanfter Gewalt zu sich heran, und begann dem Tier gut zuzureden, streichelte seinen Hals und nahm aus den Augenwinkeln wahr, dass ihn der Pla-ka ebenfalls prüfend ansah.
Sebastian startete einen neuen Versuch. Er konzentrierte sich auf das große, mit Fell überzogene Tier, dachte intensiv daran, im Galopp über die Weide zu reiten, den Wind zu spüren, und die Bäume an sich vorüberziehen zu lassen. Plötzlich, wie eine Eingebung von außen, spürte er, dass sich auch der Pla-ka austoben wollte, sich darauf freute, dieses kleine Stückchen Freiheit genießen zu dürfen.
»Wir werden das jetzt tun, und du sollst auch deinen Spaß haben, mein Guter«, raunte er dem Tier ins Ohr. Gleichzeitig ergriff er den Haltering des Rückengurtes, stieß sich vom Boden ab, wie die Tänzerinnen der Elsirenfeuer und saß auch schon auf dem Rücken des Pla-ka.
Dieser wollte sofort losstürmen, doch Sebastian hatte damit gerechnet. Wäre er Pla-ka, es wäre auch sein größter Wunsch gewesen. Doch er dachte an Antaronas Worte: ...er spielt mit euch, lasst euch niemals seinen Willen aufzwingen. Ihr seid der Herr, also zeigt es ihm auch. Mit kräftiger Faust hielt er die Zügel straff, ließ dem Tier keinen Spielraum, nur für einen Moment.
»Warte, ich sage dir schon, wann es los geht«, beruhigte er ihn. Der Pla-ka tänzelte ungeduldig, doch schließlich übertrug sich Sebastians Absicht wie von selbst auf das Tier. Der Hengst schnaubte missbilligend, hielt aber still und wartete. Stolz sah Basti zu Antarona hinab. Die ermutigte ihn mit einem anerkennenden Kopfnicken.
»Na dann los, lauf, was du kannst, aber spiel nicht verrückt, das sage ich dir!« gab Sebastian akustisch das Signal und drückte dem Pla-ka die Fersen gegen die Flanken. Das Tier trabte los und Sebastian bemühte sich, eine Sitzart zu finden, die irgendwo zwischen oben bleiben und entspannter Sitzhaltung angesiedelt war.
Eine Weile ging das auch ganz gut, obwohl er sich immer wieder dazu disziplinieren musste, etwas zu entspannen, um seinen Pla-ka nicht mit den Schenkeln zu erdrücken. Dabei konzentrierte er sich so sehr darauf, die richtige Sitzweise zu finden, dass er Hindernisse am Boden gar nicht mehr wahrnahm.
Völlig unvorbereitet hob sich plötzlich der Rücken des Pla-ka, Sebastian geriet etwas aus dem Gleichgewicht, und als die Hufe des Tieres nach einem Satz wieder den Boden berührten, reichte der kleine Ruck um ihn von dessen Rücken zu katapultieren. Unsanft schlug er auf dem mit Steinen übersäten Boden auf.
Der Pla-ka jedoch, von der Hand, die seine Zügel hielten befreit, galoppierte lustig davon, ließ seiner Laune und seiner Stimmung freien Lauf und sprang herum, als gelte es, eine neue Freiheit zu feiern. Das Tier verschwand hinter einer Bodenwelle und ward nicht mehr gesehen.
Unter Schmerzen und rüden Fluchen rappelte sich Sebastian auf, blickte in die Richtung, wo er sein Reittier verschwinden sah und klopfte sich den Dreck aus den Kleidern. Obwohl es ziemlich sinnlos war, rief er seinem Pla-ka entrüstet nach:
»Hee, warte gefälligst, du kannst doch nicht einfach abhauen!« Missmutig und schon ein gutes Stück genervt, humpelte er hinter dem Tier her. Zwecklos. Oben auf der Bodenwelle angelangt, spähte Sebastian über die Weide, doch von seinem Pla-ka war nichts mehr zu sehen.
Ziemlich übel gelaunt traf er ein paar Minuten später wieder bei Antarona ein, die mit Vesgarina und Frethnal immer noch das sichere Aufsitzen übte. Fragend blickte ihm Sonnenherz entgegen.
»Ist weg, einfach abgehauen, das hinterlistige Biest!« versuchte Basti nach Atem ringend zu erklären. »Hat mich in hohem Bogen vom Rücken geworfen, und ist einfach weiter, ohne sich umzublicken. Schnurgerade über die Weide, auf nimmer Wiedersehen!«
»Was tut ihr hier, Ba - shtie?« fragte Antarona etwas verblüfft, »hier ist er nicht, euer Pla-ka!« Verunsichert und fragend sah Basti das Krähenmädchen an. Sie hob die Schultern und schüttelte leicht verständnislos den Kopf.
»Na, ihr müsst ihn schon zurückholen, von allein wird er nicht kommen. Ihr habt ihn gehen lassen und nun lebt er seine Freiheit.« Nun war es an Sebastian, sie irritiert anzusehen.
»Wieso gehen lassen. Wieso habe ich ihn gehen lassen? Er ist einfach auf und davon, hat mich in den Dreck geworfen und ist fort, einfach so!« erklärte er beinahe vorwurfsvoll.
»Nicht einfach so, Ba - shtie«, widersprach ihm Antarona. »Ihr habt ihm die Zügel freigegeben, also habt ihr ihn dazu ermutigt, frei zu laufen, wie es ihm beliebt!«
»Was..?« entfuhr es Basti mit merklicher Empörung, »hör mal, der hat mich ganz einfach aus dem Sitz geschleudert, wie soll ich noch die Zügel...«
»Ba - shtie, wie war es wirklich, denkt mal nach«, beschwichtigte sie ihn, »habt ihr auf den Weg geachtet? Habt ihr gefühlt, wohin ihr reitet, habt ihr versucht, den Boden und was darauf war mit seinem Herzen zu sehen, habt ihr ihn spüren lassen, wohin ihr wolltet?«
Sebastian breitete verzweifelt die Arme aus. »Na wie denn? Ich hatte Mühe, oben auf ihm drauf zu bleiben, wie kann ich da.., also, ich kann doch nicht alles gleichzeitig...«
»Baa - shtie!« ermahnte ihn Antarona unter einem mitleidigen Lächeln, »ihr müsst ihn schon führen, sonst fühlt er sich frei und tut, was seines Herzens Begehr!« Sebastian sah seine Frau an und schüttelte resigniert den Kopf.
»Na, das ist ja eine tolle Moral! Am Ende bin ich noch schuld daran, dass der jetzt wer weiß wo herumtrabt!« Unschlüssig stand Basti da und sah Antarona an, als vermochte sie ihm seinen Pla-ka zurück zu zaubern.
»Und was mache ich jetzt?« Er kannte die Antwort schon, bevor er seine Frage ganz ausgesprochen hatte und fand es sofort selbst ziemlich dämlich, so eine Frage überhaupt gestellt zu haben. Antarona, inzwischen von der Mutlosigkeit und dem destruktiven Verhalten ihres Helden enttäuscht, sagte ungeduldig:
»Nun, ihr müsst ihn suchen, und findet ihn besser, bevor es dunkel wird. Eishunde gibt es auf Falméra nur wenige, doch wenn ein Felsenbär seine Witterung bekommt...« Sie ließ den Gedanken offen. Sebastian glotzte sie an, als hätte sie etwas völlig Verrücktes von sich gegeben, und rührte sich nicht von der Stelle, als wäre er gelähmt.
»Ba - shtie, sucht ihn! Jetzt!« Ihre Stimme, inzwischen schon lauter und entschlossener, rüttelte ihn auf. Doch er fühlte sich so hilflos, wie an jenem Tag, da er in dieser eigenartigen, fremden Welt aufgewacht war.
»Aber wo soll ich ihn suchen? Der kann inzwischen sonst wo hingelaufen sein, mögen die Götter wissen, welche Dämonen ihn geritten haben!«
Es war nur ein Dämon, dachte Antarona belustigt, aber das behielt sie besser für sich. Mittlerweile wusste sie nicht mehr, ob sie ihren Ba - shtie bedauern, belächeln, oder rügen sollte. Wieso tat er sich so unendlich schwer damit, das Tier, das ihn abgeworfen hatte, wieder einzufangen? Männer! Warum waren sie nur stets so umständlich?
Er schmiedete die tollkühnsten Pläne, um Falméra gegen Torbuks Armee und gegen die Oranuti gleichzeitig verteidigen zu können, eroberte den König und die Himmelsburg ohne Waffen, sah sich aber nicht einmal imstande, genug Entschlossenheit aufzubringen, um seinen Pla-ka einzufangen. Antarona seufzte tief, als sie einsah, dass Sebastian nicht von selbst darauf kommen würde.
»Ba - shtie, hört mir zu!« begann sie mit erzwungener Geduld. »Ihr müsst eure Sinne schärfen, denkt mit seinem Herzen, versucht, eure Sinne mit seinen zu verbinden. Seht, was sein Begehr ist, so werdet ihr wissen, wo ihr ihn findet. Dann spürt, was in seinem Herzen ist und er wird euch folgen, und euch tragen, wohin ihr mögt.«
Sebastian schüttelte verzweifelt den Kopf, wandte sich um, ging müde und antriebslos dorthin zurück, wo ihn sein Pla-ka abgeworfen hatte und blickte unschlüssig über die Landschaft der weiten Weide. Was sollte er mit Antaronas Ratschlag anfangen? Wieso konnte sie ihm nicht einfach sagen, wo ein Pla-ka üblicherweise hinlief, wenn er durchging?
Weiber! Immer mussten die in Rätseln sprechen! Eine einfache Antwort hätte ihm genügt. Aber nein, ihr kleiner Dickkopf musste mal wieder die Lehrerin in den Vordergrund schieben! Nun konnte er wer weiß wie viele Kilometer hinter diesem eigensinnigen Geschöpf herlatschen, und er wusste nicht einmal in welche Richtung er sich wenden sollte. Am liebsten würde er einfach zur Burg zurückkehren.
Sebastian setzte sich ratlos auf einen Stein, der etwas erhöht lag. Mochte doch das dumme Tier zusehen, wie es wieder in den Stall kam! Hunger und Durst würden ihn schon zurücktreiben! Oder nicht?
Er starrte über das hügelige Weideland und überlegte. Futter gab es hier oben für einen Pla-ka mehr als genug, und besseres, als im Stall. Wozu sollte er in den miefigen Stall zurückkehren wollen? Wasser? Nein, klare Bäche gab es hier oben ebenfalls, er musste sie nur suchen.
Vor seinem geistigen Auge formte sich ein idyllisches Bild. Ein sprudelnder Bach, von kleinen Felsen gesäumt, schlängelte sich durch das Gras des Plateaus. Sein Pla-ka stand mit gespreizten Vorderbeinen am sprühenden Wasser und soff genüsslich.
Mit einem Ruck sprang Sebastian auf. Das war des Rätsels Lösung! Wohin zog es einen Pla-ka, der einen Aufstieg in sengender Sonne hinter sich hatte, der ausgiebig gefressen hatte und eine Reitstunde absolvieren musste? Zum Wasser! Mit Sicherheit stand ihm der Sinn danach, seinen Durst zu stillen!
Aufmerksam blickte er in die Weite. Wo mochte es hier oben auf diesem Plateau einen Bach, oder einen See geben? Die Richtung, aus der er gekommen war, konnte Basti erst einmal ausschließen. Den Norden und Süden hielt er für unwahrscheinlich.
In beide Richtungen fiel das Gelände weiter ab und wurde schließlich von dichtem Arvenwald gesäumt. Pla-kas waren Weidetiere, gewohnt, auf großen Grasebenen zu leben. Sie fürchteten sich vor dichtem Wald, in dem hinter jedem Baum eine Gefahr lauern konnte, die sie nicht wahrzunehmen vermochten.
Auf weiter Weide jedoch war jeder Feind schon von weitem auszumachen, und es gab genug Raum zur Flucht. Blieb also der Osten, die Richtung, in die sich das Plateau scheinbar unendlich hinzog, bis es von einem Berg begrenzt wurde. Irgendwo dort würde ein Bach entspringen, oder sich Regenwasser gesammelt haben.
Erleichtert und doch unsicher kniff Sebastian die Augen zusammen und versuchte in der Ferne Einzelheiten zu erkennen. Aber die Luft über dem Plateau flimmerte in der Sonne zu sehr, als dass er hätte etwas Brauchbares entdecken können. Nur schemenhaft sah er die Begrenzung am Horizont, mochte es nun Wald, ein Berg, oder eine Felswand sein. Eines jedenfalls stand fest. Bis dorthin würde es ein ganz schön weiter Weg werden!
Immer noch unsicher versuchte Basti abzuschätzen, wie lange es wohl noch hell bleiben würde, beschirmte seine Augen mit der Handfläche und sah nach Westen. Die Sonne zog unaufhaltsam ihre Bahn und neigte sich bereits dorthin. Seufzend nahm er sein Schwert vom Rücken, das ihm beim Gehen ums Gesäß schlagen würde, und schulterte es. Dann marschierte er los.
Zum Teil mit Spott gegen sich selbst beseelt, zum Teil in abgestumpftem Trott, setzte er einen Fuß vor den anderen und fühlte sich unwillkürlich in einen amerikanischen Spielfilm versetzt, in dem der Westernheld mit seinem Sattel auf den Schultern durch die Wüste wanderte, weil sein Pferd unter ihm zusammengebrochen war.
Nach dem ersten Kilometer kamen Sebastian Zweifel an der Realität solch romantischer Darstellungen. Nach dem zweiten Kilometer wusste er, dass man mehr schwitzte, als im Film zugegeben wurde, und als er den dritten Kilometer hinter sich, und die Landschaft sich um keinen Anblick geändert hatte, war klar, dass Filmemacher schlichtweg Lügen verkauften.
Die Füße taten ihm weh, weil immer wieder, mochten die Götter wissen wie, kleine Steinchen den Weg in seine Stiefel fanden. Das durchgeschwitzte Hemd, das er über das Schwert gehängt hatte, fiel ständig herunter, die Sonne brannte auf seinen Schultern und der Gürtel des Waffenrocks scheuerte auf seinem Hüftknochen, wie grobes Sandpapier.
Allmählich begriff Sebastian, warum Antarona, wann immer sie konnte, insbesondere aber, wenn sie in Wäldern und über Berge unterwegs war, nur die leichte Kleidung eines knappen Lederschurzes trug. Das Wenige, das ihre Haut bedeckte, wurde eins mit ihr, schmiegte sich an ihre Formen, klebte nicht mit Schweiß an ihr, wog so gut wie nichts und behinderte sie nicht.
Als die Sonne sich mehr nach Westen neigte, und Sebastian das Licht zunehmend im Rücken hatte, traten die Konturen im Osten klarer hervor. Basti erkannte nun eine riesige Felswand, die nach Süden hin das ganze Plateau begrenzte. Zum Norden hin warfen sich bewaldete Bergrücken auf, über denen ebenfalls Felsformationen thronten, die von der Sonne angestrahlt aussahen, als stünden sie in Flammen.
Die waldreichen Hügel schienen Sebastian als Quelle eines Baches am ehesten geeignet. Ihnen wandte er sich zu. In der vierten Stunde seines Marsches, inzwischen trug er auch seine Stiefel an das Schwert gehängt, erreichte Sebastian eine weite Senke, die sich ihm überraschend von einer Minute zur anderen eröffnete.
Gruppen von Arven und Felsinseln, sowie Reste von kleinen Bergseen unterbrachen das wellige Grasland, das sich hinabzog, in den Senkenboden. Diesen durchfloss vom nördlichen Waldrand, bis zur Plateaukante im Süden ein breiter Bach, der in der tiefstehenden Sonne glänzte und schimmerte, wie ein goldenes Band. Dahinter, wiederum im Wald, wo das Gelände vermutlich steil abfiel, musste das Angertal liegen, von dem Sebastian bislang nur gehört hatte.
Weite Flächen des Hanges, der in die Senke führte, lagen bereits im Schatten. Doch unten, zu beiden Seiten des Baches, erfreute sich die Welt noch am warmen Sonnenlicht. Dahinter säumte ein schmaler Waldgürtel den Fuß der mächtigsten Felswand, die Sebastian je zu Gesicht bekam. Mehrere hundert Meter hoch und gewiss an die fünftausend Meter breit, stand sie wie ein natürlicher Riegel in der Landschaft, als wollte sie zwei verschiedene Welten voneinander trennen.
Dahinter warfen sich noch höhere Felsgipfel in den blauen Himmel auf, die immer wieder von dünnem Wald, oder Grasbändern flankiert wurden. Sebastian erinnerte sich an die gezeichneten und gemalten Landkarten, die er in der Bibliothek der Burg gefunden hatte. Denen zu Folge mussten irgendwo hinter diesen Bergen die Felswände in das östliche Meer abfallen und den Ausblick auf Falrock und Falcóra freigeben, die beiden Inseln, die Mehi-o-ratea, dem Land der Unzüchtigen, vorgelagert waren.
Sebastian, schlicht überwältigt von diesem Landschaftsbild, spähte am Bach entlang, und versuchte seinen Pla-ka auszumachen. Doch vergeblich. Auch bezweifelte er, dass sich sein helles Tier deutlich genug von den sonnenbeschienenen Felsen abhob, um es aus dieser Entfernung zu erkennen.
Also machte er sich auf den Weg hinab. Es war ein wildes, und doch sanftes Land, durch das er schritt. Den rauen und ursprünglichen Charakter verliehen ihm die vielen Felsen und die vom Wind zerzausten Arvenbäume. Die üppigen, von Tausenden von bunten Blüten bevölkerten Weiden hingegen vermittelten nicht nur durch ihren Duft das Gefühl von Geborgenheit, von Zuhause.
Dieses Hochtal, das Sebastian in seiner Ausdehnung nicht erwartet hatte, drängte sich förmlich dazu auf, in ihm Pla-kas zu züchten. Es gab alles, was dazu nötig war. Viel Platz und Raum für einen Mann, der den Mut hatte, etwas aufzubauen. Festes Bauholz in Massen, unendliche Weidegründe, Wasser, das im ganzen Jahr nicht zufrieren würde, sowie natürliche Barrieren, die verhinderten, dass sich die Herden von Pla-kas nicht allzu weit zerstreuten.
Sebastian träumte. Das Haus würde auf einem Hügel unweit des Baches stehen. Dahinter die Stallungen, Pferche und Wirtschaftshütten. Es würde sich dort gut leben lassen. Dieses Tal konnte einen Mann einen Sommer und einen Winter lang beschäftigen. Es war schön und geschützt gelegen und ideal, um eine Familie zu gründen, ein Zuhause zu sein, wenn... Wenn Quaronas, Torbuk und Karek, und die Oranuti nicht wären!
Dennoch malte er sich auf dem Weg hinunter aus, wie es wäre, mit seinem Sohn die Pla-ka Herden von der Winter- auf die Sommerweide zu treiben, mit ihm auf die Jagd zu gehen, ihn in diesem Tal aufwachsen zu sehen, bis er eines Tages sein Lebenswerk übernehmen konnte.
Aber er vergaß auch Antarona nicht. Einen größeren Kräutergarten, als diese Weiden, die angrenzenden Wälder und Berge, konnte selbst sie sich nicht wünschen. Sie konnte jagen und frei nach Belieben in den ausgedehnten Waldgebieten umherstreifen. Das Klima wäre durch den großen Meeresstrom angenehmer, als im Val Mentiér, nicht so hart, keine so extremen Jahreszeiten, wie sie dort die abschmelzende Eiszeit vorgab.
Inzwischen hatte Sebastian den halben Weg ins Tal zurückgelegt und in seiner Phantasie war bereits seine eigene kleine Welt entstanden, die für ihn, sein Krähenmädchen und ihren gemeinsamen Sohn ein Zuhause sein konnte. Doch es war nur ein Traum, denn der Weg würde ein langer und beschwerlicher werden. Dennoch ging ihm seine Idee nicht mehr aus dem Kopf.
Plötzlich sah er eine Bewegung in der friedlichen Stille des Tals. Einen Augenblick nur, als hätte einer der vielen Felsen in der Landschaft seine Position verändert. Aber so sehr Basti seine Augen auch bemühte, alles lag reglos, wie ausgestorben da.
Dabei war das Land keineswegs so leblos. Überall surrten und schwirrten Schwärme von Insekten über die Blumenteppiche, Vögel zwitscherten in den hohen Bäumen, selbst drei Pärchen Greifvögel zogen über dem ausgedehnten Tal ihre weiten Kreise und in den Wäldern und Gebirgsschluchten mochte manches Wild seinen Einstand haben, so wie die Wiesen von Wafans, Nuk-trins und Waseln bevölkert waren.
Da! Da war es wieder, dort bewegte sich etwas, dort unten, nahe dem Bach! Sebastian sah angestrengt hinunter, versuchte, das zu fokussieren, was sich nur sehr langsam von der Stelle bewegte, wieder stehen blieb und sich wieder ein Stück vorwärts schob. Dann war er sicher. Es war sein Pla-ka!
»Hier hast du dich also versteckt, du Herumtreiber«, murmelte er vor sich hin, »findest wohl genau so Gefallen an diesem Tal, wie ich, was?«
Ganz langsam versuchte er sich an das Tier heranzupirschen. Doch gerade in diesem Moment fiel ihm ein, was Antarona ihm geraten hatte: Ihr müsst eure Sinne schärfen, denkt mit seinem Herzen, versucht, eure Sinne mit seinen zu verbinden. Seht, was sein Begehr ist.
Sebastian gab den Versuch auf, sich an seinen Pla-ka anzuschleichen. Wahrscheinlich hätte er ihn damit nur verschreckt, und dem Aufbau einer vertrauensvollen Beziehung zwischen Mensch und Pla-ka war solch ein Verhalten kaum förderlich.
Statt dessen näherte er sich ihm mit langsamem Schritt. Schon von weitem begann er, beruhigend auf das Tier einzureden, denn er wusste von Antarona, dass Pla-kas ein ausgezeichnetes Gehör besaßen. Gleichzeitig dachte er daran, wie wohl sich ein Pla-ka in diesem Tal fühlen musste, in dieser weiten Senke, die alles bot, was dem Wesen dieser Tiere gefällig war.
Wider erwarten blieb der Pla-ka ruhig stehen, als Sebastian in seine Nähe kam. Er wandte ihm den Kopf zu, glotzte ihn nur kurz an, und widmete sich dann wieder den Kräuter durchsetzten Gräsern, die in Bachnähe mehr als üppig wuchsen.
Basti sprach weiter mit dem Tier, und als er heran war, streichelte er ihm den Hals, um ihn zu beruhigen. Er erzählte dem Pla-ka von seiner Vorstellung, in diesem weiten, flachen Tal zu leben, wo Pla-kas niemals mehr in einem engen Stall stehen mussten, wo sie sich auf freier Weide frei bewegen konnten, wo es immergrünes Futter gab, und frisches Wasser im Überfluss. Während er mit dem Tier sprach, griff er sich in einer unauffälligen Bewegung die Zügel, die er auf keinen Fall mehr loszulassen gedachte.
Der Pla-ka schnaubte kurz widerwillig, ließ es aber geschehen. Basti führte ihn zu einer Gruppe von drei einzeln stehenden Arven und band ihn dort an. Anschließend ging er zum Bach hinüber. Der lange Marsch in der Sonne hatte auch ihn durstig gemacht.
Das Bachbett war etwas über drei Meter breit und an seiner tiefsten Stelle gerade mal einen guten Meter tief. So klar war das Gebirgswasser, dass Sebastian jeden einzelnen Stein auf seinem Grund erkennen konnte. Dort, wo der Bach flacheres Gelände durchzog, fächerte er sich in drei, manchmal vier flache Arme auf, die man über die man trockenen Fußes über die Steine überqueren konnte.
Sebastian riss sich die verschwitzten Kleider vom Leib, legte sein Schwert griffbereit am Ufer ab und stieg in das eiskalte Wasser, dass ihm sofort den Atem raubte. Er biss die Zähne zusammen und tauchte in den Strom, der ihn am liebsten mitreißen wollte. Aber es tat gut! Vor allem die wund gescheuerten Stellen seines Körpers und seine Füße waren dankbar für das kühle Bad.
Mit den Fingern ertastete Basti einen rauen, rund geschliffenen Stein und begann damit seinen ganzen Körper abzuschrubben. Eine solche Gelegenheit bot sich so schnell nicht wieder! Erst als vor Kälte zitternd seine Zähne zu klappern begannen, und seine Lippen blau anliefen, stieg er aus dem schnell fließenden Bad.
Sein Hemd diente ihm als Trockentuch, das er anschließend über einen Stein legte, der noch von der Sonne angestrahlt wurde. Nachdem er sich wieder angezogen hatte, löste er die Zügel seines Pla-ka und führte ihn auf eine Anhöhe, von wo aus er fast das ganze Tal einsehen konnte.
Diese flachen Stellen des Baches, überlegte er, waren eine ideale natürliche Tränke für Pla-kas. Wenn er das Haus für seine Familie auf einer Anhöhe, wie dieser hier, Bach aufwärts bauen würde, so hatten sie immer frisches Wasser, und die Herden sowie ihre Tränken stets im Blickfeld. Im Geiste baute Sebastian Lauknitz bereits eine Ranch.
Das Bauholz wäre aus dem nördlichen Wald mit Hilfe von Pla-kas leicht heranzuschaffen. Sebastian spähte nach Norden. Eine Anhöhe, die direkt vom Bach anstieg und auf ihrer Kuppe von einer Gruppe mächtiger Bäume gesäumt wurde, fiel ihm ins Auge.
Dies war der perfekte Standort! Direkt am Wasser, aber immer noch so hoch gelegen, dass man bei Hochwasser keine Überschwemmung der Ranch fürchten musste. Die Baumgruppe würde selbst in einem heißen Sommer ausreichend Schatten spenden, um angenehm leben zu können.
Der Blick von dort oben reichte zu beiden Seiten über das ganze Tal und noch weiter hinauf über die Hänge, welche die Senke begrenzten. Mann konnte alle verstreut liegenden Herden bestens überwachen. Vier bis sechs größere Herden mochten in diesem Tal reichlich Platz finden.
Doch wem gehörte das Tal? Diese Frage schlich sich in Sebastians Gedanken, als er seinen Blick über die weite, grüne Senke schweifen ließ. Er konnte das Tal hinauf und hinab kein Haus entdecken, es war keine Menschenseele zu sehen und auch sonst fand sich kein Anzeichen dafür, dass irgendjemand Anspruch auf dieses Gebiet erheben könnte.
Wenn sich der König dazu entschließen könnte, ihm dieses Tal zu überlassen, und er sich im Gegenzug dazu verpflichtete, den Heerlagern gute und gesunde Pla-kas zu liefern... Sebastian Lauknitz träumte einen Traum. Es war ein Traum von einem guten Land, von einem freien Land, auf dem es keine Mauern und Zäune geben würde, auf dem Mensch und Pla-ka in Frieden leben konnten...
Mit einem heftigen Kopfschütteln riss sich Sebastian selbst aus seinem Tagtraum heraus. Er hatte ja noch nicht einmal Antarona gefragt. Ihre Heimat war das Val Mentiér, die weiten, hohen Täler, die unerforschten Wälder, und nicht zuletzt das neue Weideland, welches das sich zurückziehende ewige Eis noch immer freigab.
Sicherlich würden sich auch dort Pla-kas züchten lassen, freilich eher eine robuste, widerstandsfähige Rasse, etwas kurzbeiniger, der auch ein strenger Winter nichts anhaben konnte. Eine Rasse, die sich zur schweren Arbeit eignete.
In diesem Tal auf Falméra hingegen gebot sich wie ganz von selbst die Zucht von schnellen, kräftigen Pla-kas für die Heerlager. Das Klima war das ganze Jahr über gleich mild, wohl im Winter wenige Grad kälter. Der Strom des großen Wassers, angetrieben durch das abschmelzende Eis der Berge, sorgte dafür.
Den Hof von Antaronas Vater, des Holzers würde sicher ihr Bruder Tark erben. Was also außer dem Land selbst und den Hallen von Talris, deren Hüterin Antarona gewissermaßen war, mochte sie davon abhalten, auf Falméra zu leben, wo das Klima wesentlich angenehmer war?
Sebastian kam ganz allmählich zur Realität zurück. Das ganze Volossoda musste zunächst frei von jeglicher Bedrohung, innen, wie außen sein, um auf Falméra, oder im Val Mentiér ein friedliches Leben führen zu können.
Wie wollte er, Sebastian Lauknitz, seine Familie, sein freies Land und seine Herden schützen, wenn eines schönen Morgens, wenn er gar nicht damit rechnete, oben auf dem Kamm eine Kohorte der wilden Horden aus Torbuks Armee auftauchte? Nein, Volossoda musste erst frei von inner Bedrohung sein. Dann würden sich auch die Oranuti hüten, ihre schmierigen Finger nach dem Land Talris auszustrecken.
Aber warum sollte man nicht schon jetzt ausgesuchte, gesunde Pla-kas in diesem Tal aussetzen? Mochten sie sich frei vermehren. Wohin sie in diesem Tal auch laufen würden, sie würden auf seinem Land sein, auf Sebastian Lauknitz’ freier Weide!
Und wenn erst Frieden und Sicherheit in Volossoda herrschte, so konnte er daran gehen, die Herden zusammenzutreiben, zuzureiten, zu sortieren, und in die Städte zum Verkauf zu treiben. Hoffnungsvoll sah er seinen Pla-ka an, den er immer noch an den Zügeln hielt.
»Na, wie würde dir das gefallen, für immer hier zu bleiben? Du wärst der erste, der Begründer einer stolzen Rasse, einer ganz besonderen Zucht, der Erste der Zucht des Areos von Falméra! Na, was sagst du dazu?«
Als ob der Hengst ihn verstanden hätte, schnaubte er zustimmend und wiegte den Kopf auf und ab. Sebastian klopfte ihm freundschaftlich auf die Flanke und träumte weiter:
»Wir würden dir ein paar Stuten hertreiben, ein paar wunderschöne, kräftige und gesunde Tiere, und du wärst der König auf meinem freien Land. Du gründest eine Familie und wenn einmal Frieden herrscht in dieser Welt, so werden deine Söhne und Töchter in ganz Volossoda und darüber hinaus...«
Basti unterbrach seine Zukunftsvision, denn irgendetwas bewegte sich oben auf dem Kamm, der das weite Tal begrenzte. Er kniff die Augen zusammen, um gegen die letzten Sonnenstrahlen besser sehen zu können. Zunächst nahm er nur zwei große Vögel wahr, die in geringer Höhe ihre Kreise über dem Tal zogen. Doch nun zeigten sich die winzigen Silhouetten dreier Reiter auf der schwarzen Kante vor dem in Rot getauchten Himmel.
Seine Hand wanderte nach unten und umklammerte den Griff seines Schwertes. Er dachte sofort an Medunzia und die beiden Oranuti. Hatten die etwa vor,.. In Sebastians Kopf nistete sich eine ungeheuerliche Theorie ein.
Was, wenn die Invasionstruppen Torbuks, und der Oranuti am Strand von Mehi-o-ratea anlanden wollten, und sich hier, in diesem weiten Tal zu sammeln gedachten? Es war geradezu geeignet für eine solche Operation. Die feindlichen Heerlager konnten sich ungesehen formieren und vorbereiten, ihre Soldaten fanden hier Wasser und Futter für ihre Tiere und sie konnten in einem halben Tagesmarsch an der Flanke der Burg und Stadt Falméra stehen.
Wollten Medunzia und ihre Oranuti- Freunde genau das auskundschaften? Basti kam gar nicht auf den Gedanken, dass jene dort oben vielleicht nicht die spähenden Augen der Feinde waren. Er packte die Zügel fester und zog seinen Pla-ka in die Deckung zwischen den drei Arven und einem mannshohen Felsen.
Dann wartete er. Die drei Reiter am Horizont schienen unschlüssig, auch sie warteten. Spekulierten sie bereits mit Blick auf die große Senke mit den taktischen Möglichkeiten? Aber nicht einmal er selbst wusste, wie der Zugang zu diesem Tal aussah. Es konnte von einer tiefen, bewaldeten Schlucht abgeriegelt, oder nur durch einen Hochwald vom Angertal getrennt sein. Das musste er selbst noch erforschen.
Plötzlich setzten die Reiter ihre Pla-ka in Bewegung. Sebastian musste seine Augen anstrengen, um den Blickkontakt zu ihnen nicht zu verlieren, denn der Hang selbst lag bereits im Schatten der einbrechenden Dämmerung. Die drei Gestalten waren kaum noch von Felsen und Büschen zu unterscheiden.
Erst, als sie tiefer gelangten, vermochte sie Basti sicher im Auge zu behalten. Und als sie einige hundert Meter talaufwärts den Talboden und den Bach erreicht hatten, und somit in das letzte Sonnenlicht getreten waren, fiel ihm wie Schuppen von den Augen, dass die drei ihm wohlbekannt waren.
Die Personen, die dort, wo sich der Bach weit ausbreitete, ihre Pla-ka tränkten, waren niemand sonst, als Antarona, Frethnal und Vesgarina. Sie waren ihm gefolgt! Natürlich, die beiden Vögel, die eben noch ihre Kreise zogen, Tekla und Tonka, Antaronas Krähen!
Sofort trat Sebastian aus der Deckung und ging mit seinem Pla-ka am Ufer des Baches hinauf zu seiner Geliebten und den Freunden. Antarona stemmte mit gespieltem Vorwurf im Blick ihre kleinen Fäuste in die Taille und sah ihrem Mann mit den Zeichen der Götter entgegen. Sie schien nicht sonderlich überrascht, dass er seinen Pla-ka am Zügel führte.
»Nun, ihr habt euren Pla-ka gefunden«, stellte sie nüchtern fest, und mit etwas mehr Wärme in der Stimme, »und wie habt ihr das geschafft, mein geliebter Ba - shtie?«
Zunächst war Sebastian erstaunt, denn so offen hatte sie noch nie vor Anderen ihre heimliche Liebe zugegeben. Freudig und mit strahlendem Blick, auch einwenig mit Stolz antwortete er:
»Ich hatte mir überlegt, dass er lange eingesperrt war und die Freiheit sucht«, erklärte er ihr, »und er hatte vermutlich Durst. Also ging ich in die Richtung, in der ich frisches Wasser vermutete, auch wenn ich mir ziemlich unsicher war«, gab er zu. Als Antarona nur anerkennend nickte, fuhr Sebastian begeistert fort.
»Wir sind jetzt richtig gute Freunde«, dabei tätschelte er seinem Pla-ka den Hals und der schnaubte zufrieden dazu, »und wir haben uns etwas überlegt, ein Gedanke, einen Plan für die Zukunft, etwas, das ich dir unbedingt erzählen muss, etwas, das wir beide für einen großartigen Einfall halten!«
Antarona ließ die Zügel ihre Pla-ka achtlos fallen, ging mit plötzlich verliebt schauenden Augen auf Basti zu und schlang ihre Arme um seinen Hals. Er erwiderte ihren sehnsuchtsvollen Kuss, die Sonne und die wunderbare Umgebung erhöhten noch das schöne Gefühl, das ihn fortzureißen drohte und ließ ihn einfach vergessen, dass Vesgarina und Frethnal auch noch da waren.
Ein derber Stoß an die Schulter und ein missbilligendes Schnauben erinnerte ihn daran, dass sie dennoch nicht ganz allein waren. Sein Pla-ka, den er immer noch an den Zügeln hielt, war tatsächlich eifersüchtig! Antarona löste sich aus den Armen Bastis und lachte.
»Ihr habt wahrhaft einen neuen Freund gefunden, Ba - shtie«, freute sie sich, »und ihr habt wirklich darüber gesprochen, was einmal sein wird?« fragte sie mit leichter Skepsis in der Stimme. Sebastian nickte gewichtig.
»Tja, wie es aussieht... Ich glaube schon«, bestätigte er, »uns beiden gefällt nämlich dieses Tal hier. Da haben wir uns einfach einmal überlegt...« Und dann erzählte Sebastian seinem Krähenmädchen von seiner Zukunftsvision. Er tat es mit einer Begeisterung, dass ihm Antarona staunend zuhörte, ohne ihn zu unterbrechen.
Nachdem er ihr seinen Traum offen bekundet hatte, sah er sie fragend und schweigend zugleich an, da er befürchtete, dass sie erbost, oder zumindest traurig reagieren würde, weil er ihre Täler des Val Mentiér, in denen sie aufgewachsen war, nicht für ein solches Vorhaben in Betracht zog. Statt dessen gab sie ebenfalls ihre Sympathie für dieses weite Tal preis.
»Ba - shtie, das wollt ihr wirklich tun?« Ihr Gesicht glühte und strahlte vor Aufregung, indem sie seine Begeisterung mit ihm teilte.
»Ihr wollt mit Sonnenherz und eurem Sohn, dessen Herz bereits unter dem ihren wohnt, einen so großen Hof, ein so schönes Heim erbauen? Aber was wird Bental dazu sagen, was werden seine Berater sagen, und was wird aus dem Volk werden?«
»Wenn Torbuk erst einmal besiegt, und die Oranuti in ihre Grenzen gewiesen sind, Antarona, und wenn Bental einmal zu alt sein wird, um das Volk zu führen, dann werde ich das Volk zu der Lehre führen, selbst das Land zu regieren, so, wie ich es dir und dem Achterrat schon einmal erklärt habe«, beruhigte er sie.
»Es wird dann die Zeit gekommen sein für eine Demokratie, etwas, das die Îval selbst bestimmen werden, mit Geboten, welche sie sich selbst für ein friedliches Zusammenleben miteinander erarbeiten, etwas das ich das Volk lehren kann, wenn es Freiheit wirklich will! Dann werden wir Zeit für uns haben, mein Engelchen, für unseren Sohn, für weitere Kinder, für einen eigenen Hof, für die Pla-kas, die ich züchten werde!«
Antaronas anfänglicher Enthusiasmus für Sebastians glorreiche Idee wich langsam einer gesunden Skepsis und sie gab zu bedenken:
»Aber es kann noch ein oder zwei, oder noch viele weitere Sommer währen, bis Torbuk besiegt ist, Ba - shtie, habt ihr gleichsam daran gedacht? Was wird in dieser Zeit aus unserem Sohn, welcher das Leben entdeckt, was wird in dieser Zeit des Kampfes aus uns? Was wird in dieser Zeit des Entbehrens aus euren Träumen, die Sonnenherz und euch ein Heim schenken sollen?« fragte sie mit echter Sorge in ihrer Stimme.
»Nun, wer sagt eigentlich, dass eines nicht bereits vor dem anderen da sein kann«, suchte Basti in ausgesprochenen Gedanken nach einem Ausweg.
»Wenn wir schon morgen mit der Zucht von Pla-kas beginnen, und in diesem Tal züchten sich die Tiere beinahe von selbst, dann werden wir sie bereits im Kampf gegen Torbuk einsetzen können, auf Falméra, und wenn wir einen Weg finden, sie übers große Wasser zu schaffen, auch im Val Mentiér, oder vor Quaronas.« Sebastian überlegte kurz, dann fügte er hinzu:
»Beginnen wir jetzt! Und wenn wir erst in einem Sommer, oder in zwei, oder in vielen Sommern ein schönes Haus haben, so haben wir doch etwas geschaffen, für uns, für unseren Sohn, für ein freies Land!« Basti holte tief Luft. Der Anblick dieses Tals hatte ihm Auftrieb gegeben, den nötigen Mut, etwas Neues zu beginnen, etwas zu säen, auch wenn er nicht wusste, wann er ernten würde.
»Natürlich werden wir niemals wissen, was kommen wird, das ist wahr«, gab er zu, »doch ich will mit dir leben, mein Engelchen, und ich will mit dir in Frieden leben, sorgenfrei und glücklich! Und ich will nicht so lange warten, bis wir alt sind, und wir die Kinder unseres Sohnes auf der Erde eines freien Landes spielen sehen. Ich lebe jetzt, und ich will es jetzt, ich - will - nicht - warten!«
Den letzten Satz sagte er mit einer Betonung, die keinen Kompromiss mehr zuließ. Antarona hörte ihm interessiert zu. Nein, mehr noch. Sie war begeistert, wenn sie sich auch nicht erklären konnte, wie Ba - shtie das alles in diesen Zeiten des Krieges verwirklichen wollte.
Aber das war auch gar nicht wirklich wichtig. Allein genügte ihr im Moment die Gewissheit, dass er, der Mann mit den Zeichen der Götter, der Mann den sie so sehr liebte, Stärke und Mut bewies, ein Ziel hatte, und es für sie und ihren Sohn tat, weil er sie ebenso liebte!
Heimlich hatte sie Vesgarina und Frethnal bei den Reitübungen ausgehorcht, ohne dass die zwei es bemerkten. Nun hatte sie Gewissheit, dass Ba - shtie keine heimlichen Gefühle für ihre Kammerzofe hegte, und dass diese nur ihren Frethnal anhimmelte. Die Befürchtungen aus ihrem Traum erwiesen sich damit als reine Angst, ihren Ba - shtie einmal wieder zu verlieren.
Und mit Sebastians Ziel, in diesem Tal eine Pla-ka- Zucht aufzubauen, bekam sie den Beweis, dass er sich notfalls gegen Bentals Pläne stellen würde, als Thronfolger ständig in der Burg zu leben. All dies war eine annehmbare Alternative dazu, eventuell nicht dauerhaft nach Fallwasser zurückkehren zu können.
Der See, ihre Höhle und die Hallen von Talris würden auch dann noch da sein, wenn sie ab und zu in das Val Mentiér zurück kam. Mehr machte ihr der Gedanke zu schaffen, ihren Vater dann noch seltener zu sehen, als ohnehin schon durch ihr Leben als Kriegerin, und nun noch durch das Leben in der Burg. Lebten sie, nach Ba - shties Vorstellung, erst einmal in diesem Tal, so war sie von ihrem Vater noch weiter entfernt.
Aber so weit wollte sie noch nicht denken. Sie war realistisch genug, abzuwarten, was die nächsten Zentaren bringen mochten. Vieles konnte noch geschehen, und alles war möglich. Vielleicht mussten sie sich noch weit in den Tiefen der unbekannten Wälder des Val Mentiér verbergen, vielleicht würde das Val Mentiér auch von Torbuk besetzt werden und sie mussten tatsächlich in der Burg bleiben, wobei diese Senke hier, Ba - shties Traum, eine Zuflucht bedeuten konnte, in der sie ihre Kinder großziehen konnten.
So Vieles konnte noch geschehen, alles war ungewiss, das wurde Antarona mit einem Schlag klar. Darum war sie glücklich, dass Ba - shtie Pläne für ihr gemeinsames Leben hatte, und diese mit starkem Willen verfolgte. Mehr und mehr erwies er sich als ein Mann, dem eine Frau ihr Leben anvertrauen konnte, der ihr Sicherheit und Geborgenheit, sowie Liebe und Treue gleichermaßen bot. Eben ein Zuhause, eine Hoffnung in unsicherer Zukunft!
Antarona schmiegte sich an ihn, legte ihren Kopf Schutz suchend an seine Schulter und sagte leise und vertrauensvoll:
»Ba - shtie, was immer ihr vorhabt, und wo immer ihr es tun wollt, euer Herz ist untrennbar mit dem von Sonnenherz verbunden und sie wird euch folgen, und an eurer Seite bleiben, und euch treu sein für alle Zentaren!«
»Das weiß ich, mein Engelchen«, antwortete er zuversichtlich, »darum will ich für dich und unser Kind ein gutes Zuhause schaffen, in welchem ihr glücklich seid, und nichts, was ein gutes Leben ausmacht, missen müsst. Nur, wenn du glücklich bist, werde ich zufrieden sein, darum sage mir, wenn du dir etwas anderes wünscht, ja?«
Fragend sah er sie an. Er verlor sich in ihrem klaren Blick, in ihren großen, verträumten Augen, die in diesem Moment so viel Wärme in sich trugen, so viel Liebe und Vertrauen, dass keine Zweifel mehr in ihm aufkamen. Dennoch wollte er sicher gehen, dass er Antarona das Leben bieten würde, das sie tatsächlich wollte. War es das einfache, arbeitsreiche, aber von allen höfischen Zwängen freies Leben inmitten der Natur dieser Welt?
»Wenn du lieber im Val Mentiér leben möchtest«, gab Basti zu bedenken, »in der Nähe deiner Höhle, in der Nähe deines Vaters, in den Tälern und an dem See, welche dich an deine Mutter erinnern, dann sagst du es mir, nicht wahr? Ich vermag ebenso dorthin zu gehen, wohin du es dir wünscht, um dort zu leben. Es lässt sich auch dort, mit der Zeit des langen Schnees, Kinder groß ziehen und etwas aufbauen.« Glücklich lächelte sie ihn an.
»Das weiß Sonnenherz, Ba - shtie, sie wird es sich überlegen. Es sind noch viele Zentaren zu leben, in denen das Volk Sonnenherz und Areos braucht, um Freiheit und Frieden zu erlangen. Wenn die Zeit gekommen ist, werden Sonnenherz und Glanzauge überlegen, was zu tun ist, was das Beste ist, damit sie mit ihrem Sohn glücklich leben können.«
Sebastian nickte zufrieden und stellte ganz nebenbei fest, dass sich die Sonne hinter den Hügelkamm zurückgezogen hatte. Es war Zeit, zur Burg zurückzukehren. Nicht lange, dann würde ein frischer Wind über die Berge wehen. Antarona trug nur ihre leichte Kleidung, und Sebastian würde es sich nie verzeihen können, wenn sie in ihrem Zustand, der äußerlich noch nicht zu erkennen war, eine Lungenentzündung bekam.
Antarona selbst war an diesem Tag aufgeblüht, wie eine Rose, die nach langer Dürre von einem Regenschauer beglückt wurde. Sie hatte Ihr strahlendstes Lächeln aufgesetzt und sprühte vor Tatendrang und Freude. Auch Frethnal und Vesgarina schienen diesen Ausflug genossen zu haben. Sie turtelten herum, und waren froh, sich ungezwungen ihre Liebe gestehen zu können, ohne dass sich der ganze Hofstaat darüber die Münder zerfetzte.
Mit etwas Wehmut, dass dieser schöne Tag so rasch zuende ging, bestiegen sie ihre Pla-ka und trieben die Tiere den Hang hinauf. Oben standen sie plötzlich wieder im letzten Licht der Sonne. Als glühend roter Feuerball versank sie gerade über den Wipfeln der zerzausten Arven. Es war ein Anblick, als brannte der ganze Wald lichterloh.
Mit einer tiefen Melancholie in der Brust drehte sich Sebastian noch einmal um, und blickte in das Tal der freien Weiden zurück. Sehnsucht lag in seiner Stimmung. Sehnsucht nach einem Heim für seine werdende Familie, für Antarona, für seinen Sohn, für ihn selbst, der seit Janines Tod nur ziellos in den Großstadtalltag hineingelebt hatte.
Ein Zuhause, das konnte es werden, dort unten! Viel Arbeit und Entbehrung mochte es bedeuten, doch wenn er es anpackte, so war es ein Zuhause, wo er und Antarona ihren Sohn aufwachsen lassen konnten. Er würde all das lernen, erleben und erfahren, das den Kindern in Falméra Stadt, in Quaronas, oder Zarollon verborgen bliebe.
Sein Sohn, das war Sebastian wichtig, sollte in einer Umgebung aufwachsen, die auch Antaronas Kindheit und Jugend ausgemacht hatte. Er sollte frei jagen können, lernen, sich in die Natur einzufügen, und er sollte ohne den Einfluss der Oranuti aufwachsen, die in den Städten schon zum alltäglichen Leben gehörten.
»Erzählt euch die Mutter der Nacht bereits von unserer Heimstatt, Ba - shtie?« Antarona besaß ein untrügliches Gespür dafür, was andere Menschen dachten, oder fühlten. Sebastian sah sie fasziniert an, wie sie so da auf ihrem Pla-ka saß, eine Prinzessin und ein wildes Naturkind zugleich, naiv, stolz, und aufrecht. Der Wind spielte mit ihren langen Haaren, wirbelte die darin befestigten Federn durcheinander, wehte sie ihr ins Gesicht. Mit einer trotzigen Handbewegung strich sie sich ihre schwarze Mähne aus den Augen.
Diese Geste allein bezauberte ihn so sehr, dass es in ihm Glücksgefühle auslöste. Solche Momente waren schöner, als ein Traum! Sie waren für Basti die Vollkommenheit des Lebens, die absolute Erfüllung seiner Wünsche. Mit einer solchen Frau durchs Leben zu gehen, Höhen und Tiefen zu meistern, zu lieben, zu lachen, das war für ihn Glück!
Sie sahen sich in die Augen und verstanden sich. Ihre Blicke verschlangen einander. Und wären Frethnal und Vesgarina nicht dabei gewesen, so hätten sie sich bereits hemmungslos im Gas gewälzt und selbst die hereinbrechende Nacht vergessen.
Seufzend wendete Basti seinen Pla-ka und drückte ihm sanft die Fersen in die Flanke. Er lenkte das Tier über das langgezogene Plateau, dass allmählich in der Dunkelheit versank. Doch die Tiere liefen trittsicher, als spürten sie jede Unebenheit des Bodens, jedes Wasel- Loch und jeden scharfkantigen Stein.
Als sie durch das Burgtor ritten, das schon zur Hälfte geschlossen war, umgab sie nur noch das Licht der vielen brennenden Fackeln, die an die dicken Mauern gesteckt waren. Der dicke Stallmeister erwartete Sebastian bereits voller Ungeduld. Doch er wagte nicht, etwas zu sagen. Schweigend übernahm er Sebastians Pla-ka und führte ihn in den Stall.
Neugierig sah Sebastian ihm nach. Tatsächlich brachte Tobyns Vater das Tier in die erste Box. Emsig rieb er den Pla-ka mit dünnem Stroh ab und füllte den Futtertrog mit dem Hafer, den die fleißigen Hände der Ival angebaut und geerntet hatten.
Zufrieden ging Sebastian seiner Frau entgegen, die ihren Pla-ka in Tobyns Stall unterstellte. Allein kam sie den Weg zwischen den Hütten und Häusern herauf, die an die wuchtige, hohe Burgmauer geklebt schienen.
»Vesgarina und Frethnal sind zu den Elsirenfeuern gegangen«, teilte sie ihm mit, »Sonnenherz hat ihnen gesagt, dass sie heute nicht mehr zu Diensten sein müssen.«
»Ach, sieh an«, feixte Sebastian, »und wer kümmert sich nun um mich, wenn mein Diener mit deiner Kammerzofe herummacht?« Dann setzte er eine nicht ganz ernsthafte, tadelnde Miene auf und fragte:
»Vielleicht hätte ich ebenfalls Lust gehabt, zu den Feuertänzen zu gehen?« Wie eine angriffslustige Katze schlich Antarona auf ihn zu, legte ihre Arme um seinen Hals und wanderte mit ihrem Fuß hinter ihn und strich an seinen Waden auf und ab.
»Was ist, wenn sich Sonnenherz um euch kümmert?« raunte sie ihm ins Ohr. »Sie wird für euch einen Feuertanz tanzen, den ihr nicht wieder vergesst!«
Gehetzt sah Sebastian sich um, zog sie schnell hinter einen der Ställe und weiter in den Schatten zwischen einem Verteidigungsturm und Burgmauer. Er umfasste ihre Taille, zog sie fest an sich und ihre Lippen verbrannten beinahe in dem verlangenden, fordernden Kuss, der ihnen heimlich verhieß, was sie sich in dieser Nacht noch gegenseitig bereiten würden.
Aufwallende Hitze brachte ihre Leiber zum glühen, und schnell huschten sie über den Hof und die Turmtreppen in Antaronas Gemächer. Mit fahrigen Bewegungen entzündete sie die Fackeln in ihrem Blumenzimmer und Sebastian hatte den Eindruck, sich in einem romantisch beleuchteten Garten wiederzufinden.
Antarona verschwand für ein par Zentaren in ihrem Bade, während Sebastian zwischen Blumen und Kräutern umherwanderte. Der ganze Raum roch wie ein Wald im Frühling, was nicht weiter verwunderlich war. Überall standen Pflanztöpfe herum, in allem Ecken, auf Tischen und in Regalen wuchs und blühte etwas. Selbst von der hohen Decke hingen nicht nur getrocknete Kräuter herab.
Unter den besonders großen Fenstern standen Bänke, wie Beete angeordnet, in denen eine Pflanze wuchs, deren Stängel und Blätter aussahen, als wären sie von Mehltau befallen. Die lila Blüte aber verströmte einen so starken, betörenden Duft nach Vanille, dass Sebastian neugierig wurde. Er beugte sich über die Blume, wollte seine Nase an die Blüte halten, hielt aber inne.
Aus den Augenwinkeln sah er draußen, in der Dunkelheit kurz ein Licht aufblinken. Neugierig lehnte er sich über die Blumenkästen und starrte durch das Fenster in die Dunkelheit, die sich inzwischen über das ganze Tal gesenkt hatte. Da! Dort unten war es wieder! Ein Blinken, nicht zufällig, sondern in kurzen Intervallen, wie von Menschenhand ausgeführt.
Angestrengt blickte Sebastian durch die Scheibe, die nur einen verschwommenes Bild zuließ. Das Glas war dick, wellig und von vielen Lufteinschlüssen durchzogen. Offenbar stand die Glasherstellung in dieser Welt erst am Anfang ihrer Entwicklung. Dennoch konnte Sebastian, der einen phantastischen Orientierungssinn besaß, die Richtung gut bestimmen.
Das Lichtsignal, und nichts anderes konnte es sein, musste ganz aus der Nähe der Brücke kommen, die über den abfließenden Burggraben führte. Ein Stückchen weiter aufwärts, im Wald, dort musste der Signalgeber stehen. Das Licht blinkte fünf mal kurz, zwei mal lang, dann Pause. Das gleiche Signal wiederholte sich in längeren Abständen, als wartete der Absender auf eine Antwort.
Aber von wo mochte die Antwort kommen? Aus der Burg? Aus einem der Türme? Sebastian rief sich seinen eigenen Vermessungsplan ins Gedächtnis. Die einzigen Türme, die in Frage kamen, um zu jenem Standort dort unten eine Antwort zu senden, waren der innere und äußere östliche Turm.
Sebastian schnappte sein Schwert, schlich durch das Vorzimmer und das Dienstankleidezimmer Vesgarinas auf den Flur. Auf leisen Sohlen huschte er den unbeleuchteten Gang entlang und durch die kleine, schmale Tür in den Treppenturm, der ihm ohne die Wachen, welche sonst davor standen, geradezu unheimlich erschien. In größerem Abstand brannte eine Fackel, die aber kaum dazu ausreichte, die ausgetretenen Treppenstufen zu erkennen. Sebastian stieg bis zum oberen Rundgang hinauf, doch er fand den Turm verlassen.
Von oben sah er zum Wald bei der Brücke hinab. Aber da! Was war das? Das Lichtsignal hatte sich verändert! Es blinkte jetzt drei mal lang und zwei mal kurz. War es möglich, dass hier in Falméra jemand das Morsealphabet beherrschte? Andererseits, warum sollte nicht auch Antaronas Kultur ein Alphabet der Lichtsignale entwickelt haben?
Warten. Dann blinkte das Licht ein anderes Signal, bis es wieder verlosch. Also bekam der Signalist nun eine Antwort! Doch woher und von wem? Vor allem, wer war der heimliche Blinker? Waren es die Posten, die Sebastian angeregt hatte, aufzustellen? Nein, die würden nicht wie Diebe aus einem Versteck heraus signalisieren!
Eilig stieg Basti den Turm wieder herab. Es galt auch den äußeren Turm zu kontrollieren. Schon ein wenig verschwitzt erreichte er kurz darauf dessen achteckigen Rundlauf. Doch auch hier war niemand, der dem Licht antwortete. Auch war die Distanz von hier bis in den Wald über der Brücke viel zu kurz. Für ein Lichtsignal von jenem Standort dort unten, hätte niemand so weit hinaufsteigen müssen.
Und wenn die Antwort gar nicht von der Burg selbst kam? Sebastian lief auf der Außengalerie um den Turm herum und sah angestrengt nach Südosten. Das Rauschen des Wasserfalls drang an seine Ohren, er sah schemenhaft die Baumwipfel, die sich nur undeutlich vor dem Nachthimmel abhoben, und er sah den Wasserfall als glitzerndes graues Band vor schwarzer Felsenwand.
Doch was war das? Flammte dort nicht ein Licht auf, ein Stück weit von den Kaskaden entfernt, am Wald auf der Felskante? Basti wartete. Da, eindeutig! Vier mal kurz, zwei mal lang! Dort also steckte jener, der die Antwort gab! Aber dort oben war nichts, kein Haus, kein Dorf, nur die Schlucht, durch die der Bach lief, der dann in tosendem Wasser in den Burggraben stürzte!
Dort oben war nichts als Wildnis. Hinter den Bergen lag irgendwo Val Nieort und noch weiter, zwei bis drei Tagesreisen lag Wiesport und die westliche Bucht. Die westliche Bucht! War jemand von dort heraufgestiegen, um Signale nach Falméra zu geben? Sebastian schüttelte ungläubig den Kopf.
Das würde keinen Sinn ergeben. Wer zwei Tage Weg von der Bucht bis zur Felskante auf sich nahm, konnte getrost auch noch die paar Stunden bis Falméra noch zurücklegen. Oder hatte Sebastian gerade eine Signalkette entdeckt, die sich bis zur Bucht erstreckte? Hatte Torbuk bereits ein heimliches Nachrichtensystem auf Falméra errichtet, um bei einem Angriff seine Streitkräfte schnell koordinieren zu können? Gab es ein heimliches Netzwerk von Lichtsignalen?
Wie auch immer, er musste dieser Sache auf den Grund gehen! Vielleicht hatten die Oranuti auf Falméra bereits ein Signalnetz aufgebaut, um die Insel auszuspionieren? Abwegig war das keineswegs. In der viktorianischen Zeit seiner Welt, das wusste Sebastian, gab es ein ähnliches Nachrichtensystem. Winkersignale, die kilometerweit zu sehen waren, übermittelten kurze Nachrichten von der Küste Spaniens binnen zwei Stunden bis nach Paris.
Im Augenblick konnte Sebastian wenig tun. Er wollte den König in dieser Sache aushorchen, doch er wusste noch nicht, wie er es anstellen sollte, ohne, dass Bental es mitbekam und die Information an seine Berater weitergab. Sebastian vermutete Verräter und Spione auch im engsten Umfeld des Königs. Und der nächste Tagesausflug mit den Pla-kas, das stand für ihn fest, würde sie dort oben auf die Felskante hinauf führen!
Nachdenklich stieg er vom Turm herunter und schlich sich zurück in Antaronas Gemächer. Gerade rechtzeitig erreichte er das Blumenzimmer, als Antarona sich im Tanz wiegend aus dem Bade zurück kam. Sie trug nur den Rock eines lachsfarbenen Elsirenkleides, dessen hauchdünner, durchscheinender Stoff nur von einer feinen, goldfarbenen Kette auf ihrer Hüfte gehalten wurde.
Wie das Segeltuch eines Schiffes an der Rah, war das Gespinst in Hand großen Abständen mit kleinen Ösen an das Kettchen geknüpft, das im bewegten Licht der Fackeln als funkelnder Strich auf ihrer Haut glitzerte. Ihre Brüste wurden allein von ihrer langen, schwarzen Haarmähne bedeckt.
Völlig hingerissen von ihrem Anblick sah ihr Sebastian entgegen. Doch sie schien ihn gar nicht wahr zu nehmen, oder ihn zu ignorieren. Sie sah ihn nicht einmal an. Mit den Bewegungen einer Schlangentänzerin wand sie sich hautnah an ihm vorbei, so dass er ihren Duft in die Nase bekam, der seine Sinne bezauberte.
Ihr Körper glänzte verführerisch und verströmte das Aroma irgendwelcher orientalischen Düfte, wie Zimt, Kardamom, Nelke und Ingwer, abgerundet mit der süßen Note von Sandelholz. Einem flüchtigen Gebilde gleich schwebte sie an ihm vorbei, elektrisierte ihn bis in die letzte Faser, und schwang sich mit einem saltoartigen Satz auf den Tisch inmitten des Raumes.
Dass der Tisch mit Blumentöpfen und Schalen beinahe voll gestellt war, schien Antarona gar nicht zu bemerken. Sie tanzte wie in Trance mit dem Anmut einer indischen Tempeltänzerin. Ihre nackten Füße fanden wie durch Zauberei exakt die freien Räume zwischen den blühenden Pflanzen, ohne auch nur gegen einen Topf, oder eine Schale zu stoßen.
Dabei umwehte sie das Elsirenkleid wie ein schützender Dunst, der sie fast unnahbar erscheinen ließ. Aber gerade das war das reizvolle daran. Sie suggerierte Sebastian, dass er sie bewundern, anhimmeln und verehren konnte, jedoch nicht berühren durfte. Und er spürte eine Sehnsucht in sich hochsteigen, die zu unterdrücken ihn alle Disziplin abverlangte, die er aufzubringen vermochte.
Antarona aber besaß das Talent, sich so zu bewegen, dass sich der Schleier, der sie ab der Taille umgab, mal im Licht lüftete, dann wieder nur ihre Konturen zeigte. Bei jeder Drehung, bei jedem Sprung schwebte der nebelartige Stoff von ihrem Körper fort, bei jeder Gegendrehung schmiegte er sich wie ein Kokon eng an sie.
Klangstäbe, die an der Decke hingen und die Sebastian nie bemerkt hatte, bewegten sich im Wind, den Antaronas Tanz verursachte. Sie ließen ein leises, süßes Klingeln ertönen, eine liebliche, sich ständig in Variationen wiederholende Melodie, als schwirrten Hunderte von Elsiren um Antarona herum.
Das Verlangen, das von Basti Besitz ergriff, machte ihn fast verrückt. Nie zuvor hatte er davon gehört, dass eine Frau in der Lage war, einen Mann auf solch faszinierende, anmutige, und gleichzeitig aufreizende Weise zu verführen. Dabei hielt sie ihn mit ihrem Tanz so lange hin, bis er glaubte, sein ganzer Körper stünde in Flammen.
Versuchte er sie zu berühren, war es ihr Fuß, der ihn mit sanften Zehen, als wäre es ein Versehen, wieder zurückstieß. Raffiniert setzte sie sich in Szene, positionierte sich vor den Fackeln, dass Sebastian deutlich jedes Detail ihrer Silhouette erkennen konnte, dann wieder drehte sie sich so zum Licht, dass der Schleier des Stoffes um sie herum unsichtbar wurde, für einen Moment nur, für einen Lidschlag, nur um ihm zu verheißen, welch süßes Geschenk ihn noch erwartete.
Draußen, einige Zentaren von der Burg entfernt, im Wald bei der Brücke stand eine geheimnisvolle Gestalt im Schatten der Bäume, in einen langen Mantel mit Kapuze gehüllt, zwei verloschene, noch warme Lampen in der Hand.
Hasserfüllt starrten ihre unsichtbaren Augen zu den einzigen erleuchteten Fenstern der Festung hinauf, und beobachteten die grazilen Bewegungen, die wie ein filigraner Schatten vor dem Licht tanzten. Eine schwarze, lauernde Seele, welche der Tänzerin dort oben den qualvollsten aller Tode wünschte, welche das Mädchen so sehr hasste, das in kürzester Zeit, wie eine Prinzessin die Herzen des Volkes von Falméra erobert hatte.
Auch die dunkle Gestalt kannte die Elsirentänze. Und sie kannte die Gemächer dort oben. Sie wusste, was dem Tanz dort oben folgen würde, malte sich aus, was geschah, wenn der Schatten vor dem Licht sich mit einem Zweiten verband, und mit ihm ein oder zwei Räume weiter wanderte...

Sebastian wachte früh auf. Aber er stieg nicht sofort aus dem Bett. Fasziniert und mit einem warmen Lächeln betrachtete er sein Krähenmädchen, das noch tief schlafend neben ihm lag. Sie hatte sich in der Nacht aus den Fellen herausgestrampelt und ihr glatter, samtener Körper schimmerte im ersten Tageslicht wie polierte Bronze. Er konnte sich nicht satt sehen an ihr!
So viel Glück und Liebe verspürte er in seinem Herzen, dass es ihm die Brust zu sprengen drohte. Er war froh und dankte den Göttern dafür, dass aus seinem anfänglichen Alptraum die Liebe seines Lebens geworden war! Die abgasverpestete Großstadt, in der er gelebt hatte, seine Arbeit als Baustuckateur, sein ganzes Leben in der anderen Welt war unerreichbar weit weg, war beinahe vergessen!
Zärtlich küsste er Antaronas verletzlich wirkenden Körper, dann deckte er ihre Nacktheit behutsam mit weichen Fellen zu. Noch müde, aber überglücklich schlich er sich über die Geheimgänge in seine Ankleidekammer. Wie bestellt stand Frethnal schon bereit.
»Frethnal wünscht seinem Herrn einen frohen Sonnenlauf, Herr«, begrüßte er ihn. Sebastian begann ohne Umschweife, den neuen Waffenrock anzuziehen, den ihm sein Diener herausgelegt hatte, und gab knapp zurück:
»Ja, wollen wir hoffen, dass es einer wird!« Es war keine Unhöflichkeit, die ihn so knapp angebunden sein ließ. Vielmehr war Basti mit seinen Gedanken beschäftigt.
»Ich komme hier schon allein zurecht, Frethnal«, erklärte er, »ihr geht bitte zu Hekthur und sagt ihm, dass ich noch im frühen Sonnenlauf eine Audienz beim König wünsche!« Frethnal zog die Augenbrauen hoch, als wunderte er sich, nickte dann aber mit dem Kopf.
»Sehr wohl, Herr, ich bin bereits unterwegs«, verkündete der Kammerdiener. Er legte die Kleidungsstücke, die er in den Händen hielt, auf den Tisch und entfernte sich.
»Und lasst endlich dieses dämliche Herr, Frethnal!« rief Sebastian ihm nach, winkte aber gleichzeitig resigniert ab. Erstens, weil Frethnal es sowieso nicht mehr hörte, und zweitens, weil er wenig Hoffnung hatte, dass er diese völlig überflüssige Förmlichkeit je würde ausmerzen können.
Außerdem hatte er im Augenblick ganz andere Dinge im Kopf. Da war zuerst einmal Antarona. Basti hatte erlebt, wie sie bei ihrem Ausflug mit den Pla-ka aufgeblüht war. Er wusste nun, welche Priorität ihre Reise nach Mehi-o-ratea besaß. Weniger aus militärisch strategischer Sicht, als denn mehr im Hinblick auf das Wohlbefinden seines Krähenmädchens, das ihm letztlich wichtiger war, als alles andere.
Ein weiteres Anliegen war das große Tal, das er bei ihrem Ausflug entdeckt hatte. Es ging ihm nicht mehr aus dem Kopf. Dort zu leben, mit Antarona, auf einem freien Land, das ihm gehörte, wo er arbeiten und eine Familie gründen konnte, diese Hoffnung ergriff Besitz von ihm, wie ein Virus, den man nicht mehr zerstören konnte.
Unschlüssig trat Basti auf den Flur des Ostflügels und blickte durch die hohen Fenster auf den Burghof hinunter. Dort herrschte bereits ein reges Treiben.
Ungewöhnlich rege, wie Sebastian meinte. Knechte und Mägde waren damit beschäftigt, die parkähnlichen Wege zu den Treppentürmen sauber vom Rest des Hofes abzugrenzen. Andere schliffen mit Sand den Rost von der Aufzugsanlage des Brunnens, und einige steckten Fackeln in die vielzähligen Halterungen, die den Hof bei Nacht festlich ausleuchteten. Zwischen dem Treppengang des Festsaals und dem unteren Burghof waren Karawanen von Trägern unterwegs, die allerlei Dinge in die Burg schleppten.
Gab Bental wieder eines seiner Feste? Sebastian verwarf den Gedanken wieder, denn in diesem Fall hätte er bereits die Aufforderung erhalten, sich für den Anlass vorzubereiten. Wartend wanderte er den Korridor auf und ab, hielt zwischendurch immer wieder an, spähte nach unten, und beobachtete die Aktivitäten, welche der Vorbereitung einer bevorstehenden Belagerung gleichkamen.
Hatte Bental etwa Kenntnis davon, dass Falméra angegriffen werden sollte? Nein, das konnte es auch nicht sein, denn wer sonst, als der oberste Feldherr, Areos, also Sebastian selbst, wäre davon als erster unterrichtet worden? Außerdem sah er keine Sicherungsposten, keine Truppen, oder die von ihm selbst aufgestellte Alarmwache.
Irgendwo klappte eine Tür. Der Nachhall durchwanderte den ganzen Korridor. Diensteifrig eilte Frethnal heran.
»Seine gütige Hoheit, König Bental, wünscht euch zwischen der zehnten und elften Zentare zu sehen, Herr«, verkündete er atemlos.
»Na also, klappt doch!« kommentierte Sebastian die Meldung. »Und welche Zentare haben wir gerade, mein lieber Frethnal?« fragte er den Diener. Denn Sebastian hatte in dieser Welt bisher nirgends so etwas wie eine Uhr, oder einen Kalender entdecken können. Der Diener sah kurz aus dem Fenster und sagte mit forensischer Sicherheit:
»Wir haben die zehnte Zentare, Herr!« Mit einem verborgenen Seitenblick spähte Sebastian ebenfalls hinaus. Doch er konnte nichts entdecken, woran sein Kammerdiener hätte die Uhr- oder Tageszeit ablesen können.
»Ach, sieh mal einer an«, entgegnete er, »und woran wollt ihr das bitteschön erkennen, wenn es erlaubt ist zu fragen?« Frethnal sah ihn entgeistert an, als erblickte er auf einem Mal die vom Himmel herabgestiegenen Götter höchst selbst.
»Aber Herr«, antwortete er verwundert, »seht ihr denn nicht den Stand der Sonnenlanze des Talris? Ihr selbst hattet doch vor vielen Zentaren jene Lanze auf dem Brunnen einmauern lassen!«
Sebastian erfasste sofort Frethnals Aussage und sah zum Brunnen hinab. Dort war rings um den Rand an fünf hohen Stangen ein umlaufender, schmiedeeiserner Kranz eingemauert, der an seinen Spitzen verschiede Symbole trug. Eine einzelne Lanze, auf einem Bügel über der Zugrolle ragte in den Himmel. Augenblicklich erfasste Sebastian die Schatten, welche das seltsam anmutende Gebilde in den Burghof warf.
Diese Schattenzeichnung hatte er stets als eine Selbstverständlichkeit hingenommen. Doch der Schatten, den die Lanze auf die Schatten des Symbolkranzes warf, dokumentierte die Uhrzeit, oder zumindest die ungefähre Tageszeit.
Als wäre nur seine Unkonzentriertheit schuld, schlug sich Sebastian mit der flachen Hand vor die Stirn und sagte beschwichtigend:
»Natürlich Frethnal, verzeiht mir meine Zerstreutheit, aber ich war mit meinen Gedanken ganz woanders!« Frethnal sah ihn skeptisch an, wiegte den Kopf zur Seite und bemerkte mit einem fragenden Unterton in der Stimme:
»Herr, erlaubt eurem untertänigsten Diener die Frage: Mag es sein, dass ihr zu viel denkt?« Sebastian, froh, dass er sich nicht bis auf die Knochen blamiert hatte, klopfte seinem Diener freundschaftlich auf die Schulter und sagte:
»Lasst’s gut sein, Frethnal, ist nur die Müdigkeit. War etwas spät geworden, in der Nacht. Bei euch nicht auch?« Dabei zwinkerte er ihm vertrauensvoll zu, wie einem heimlichen Verbündeten. Frethnal begann über das ganze Gesicht zu strahlen.
»Ja, Herr, aber es war wunderschön, wie eine Mär aus glücklicheren Tagen!« Sebastian wusste, was er damit meinte, und er verstand ihn.
»Wisst ihr Frethnal, wenn das, was ich vorhabe gelingt, dann werden wir alle, Antarona und ich, ihr und Vesgarina und alle unsere Freunde, noch viele schöne Zentaren erleben, das verspreche ich euch! Doch zuvor wollen wir rasch zu Bental eilen, nicht wahr?«
Damit wandte er sich dem Treppenturm zu und stieg, mit seinem Diener auf den Fersen, in Bentals Arbeitsräume hinab. Hekthur erwartete sie bereits und führte sie zum großen Audienzsaal. Dort gab Sebastian seinem Diener ein Beutelchen mit Quarts und wies ihn an:
»Geht damit zum Markt und besorgt für euch und Vesgarina alles, was ihr für eine längere Reise benötigt. Und bedenkt, dass wir für längere Zentaren unter dem Himmel der Götter schlafen werden!«
Unter Hekthurs zweifelnden und vorwurfsvollen Blicken bedankte sich Frethnal und verschwand im Dunkel des langen Korridors. Hekthur öffnete die schwere, riesige Flügeltür, ließ seinen Zeremonienstab auf den Boden knallen und kündigte an:
»Areos, euer hochwohlgeborener Sohn, eure gütige Hoheit, Herr!« Sebastian wartete nicht auf eine Aufforderung, sondern schritt ruhig, aber zügig an Hekthur vorbei und hielt erst an, als er am Ende des Saals König Bental wie immer vor einem der großen Fenster stehen sah.
Er wollte ohne Umschweife beginnen, Bental seine Anliegen vorzutragen, doch der König kam ihm zuvor. Ohne sich umzudrehen, sagte Bental mit Blick aus dem Fenster:
»Es wird ein Fest geben, das Fest zu Ehren Talris. Ihr kennt es ja bereits. Meine Vertrauten haben mir berichtet, dass ihr mit meiner Tochter oft beim Tanz an den Elsirenfeuern gesehen wurdet. Nun, solange Antarona nur Antarona Holzer ist, mag ich keinen großen Aufwand betreiben, das zu verbieten. Sie ist jung und will leben«, stellte er fest.
Sebastian starrte die dunkle Gestalt vor dem hellen Fenster an, und fragte sich, wann und wie lange sie von des Königs Spionen beobachtet wurden. Waren die ihnen sogar bis an den Strand gefolgt? Was alles hatten sie gesehen? Wusste Bental inzwischen von Antaronas Haus, ihrem heimlichen Unterschlupf? Als vermochte der König Gedanken zu lesen, sprach er weiter:
»Wie weit ihr eure Ausschweifungen an den Feuern und während der schlafenden Sonne am Strand ausleben mögt, liegt ganz allein bei euch. Ich werde es sowieso nicht verhindern können.« Bentals Stimme wurde plötzlich lauter und nahm an Schärfe zu. »Doch ich warne euch! Treibt es nicht zu weit!« Er drehte sich urplötzlich um, kam auf Sebastian zu und sah ihm forschend in die Augen.
»Wenn ihr glaubt, dass es etwas ändert, weil meine Tochter ein Herz von euch unter ihrem Herzen trägt, so irrt ihr euch!« verkündete er hart. »Vor dem Volk der Ival und vor meinen Beratern werdet ihr nicht verbunden sein, ihr nicht als Areos, und Antarona nicht als meine Tochter! Und das wird so bleiben, solange mein Bruder Torbuk Anspruch auf den Thron Volossodas erhebt!«
Nun, diese Aussage kannte Sebastian bereits, doch er war keineswegs bereit, sie zu akzeptieren. Notfalls würde er mit Antarona fliehen, und ins Val Mentiér zurückkehren. Dort gab es genug verborgene Täler, wo sie weder von den Spionen Bentals, noch von den Truppen Torbuks gefunden werden konnten.
»Ihr werdet nach diesem Sonnenlauf am Fest Talris teilnehmen, und ihr werdet tanzen! Dass ihr es könnt, weiß ich. Doch ihr werdet nicht mit Antarona tanzen! Sie wird an diesem Fest nicht teilnehmen«, bestimmte er. Nach einer kleinen Pause fuhr er fort.
»Nun hört gut zu und merkt euch folgendes! Ihr werdet zum Fest Tálinos tragen, das Schwert der Götter. Und ihr werdet mit der Tochter des Oranuti- Fürsten Jamálin tanzen. Er ist in diesen Zentaren unser wichtigster Verhandlungspartner. Ihr werdet also weder ihn, noch mich enttäuschen, habt ihr mich verstanden?«
Der König begann seinen legendären Marsch im Kreis, um seine Worte wirken zu lassen. Dann hielt er an, musterte Sebastian, als traute er ihm nicht, und setzte seine Standpauke fort.
»Fürst Jamálin ist mit einer Ival verbunden. Seine Tochter ist also eine halbe Ival. Sie ist sehr schön, wie man mir berichtet hat, und Jamálin ist zweifellos sehr stolz auf sein einziges Kind. Das ihr nicht der Richtige seid, der Prinzessin angemessen zu huldigen, ist mir klar. Doch sollte es euch einfallen, sie abzulehnen, und den Fürsten damit zu kränken, oder gar zu verärgern, so gebe ich euch hiermit das Versprechen, dass ihr ein solches Verhalten noch sehr bedauern würdet!«
Bentals Ton wurde wieder etwas ruhiger, mit seinen Anweisungen war er jedoch noch lange nicht am Ende.
»Hekthur wird euch zur Stunde der schlafenden Sonne holen und ihr werdet an meiner Seite die Gäste willkommen heißen. Ihr werdet zu Ival und Oranuti gleichsam freundlich sein, und mir keinen Anlass geben, euch zu entschuldigen, ist das klar?«
Sebastian nickte nur und presste die Lippen aufeinander. Wie sollte er Antarona erklären, dass er den Feuertanz des offiziellen Elsirenfestes nicht mit ihr, sondern mit einer Fremden tanzen würde? In der letzten Nacht tanzte sie nur für ihn, und nun sollte er eine andere zum Fest führen! Es war, als bohrte sich ein Schwert in seinen Bauch. Er fühlte sich plötzlich elend und dreckig.
König Bental schien das nicht weiter zu berühren. Er betrachtete seinen Pseudosohn vom Scheitel bis zur Sohle, als wollte er prüfen, ob für das bevorstehende Fest noch alles an ihm dran war. Dann fragte er wie beiläufig:
»Habt ihr noch ein Anliegen?« Sebastian war sicher, dass Bental längst ahnte, dass er nicht wegen des Festes in den Audienzsaal gekommen war. Lauernd sah er ihn an. Basti versuchte das Fest zu verdrängen und konzentrierte sich darauf, was er dem König zu sagen hatte.
»Eure gütige Hoheit kennen das weite, von Felsen umschlossene Tal hinter dem hohen Plateau, dort, wo die Sonne ihren Tageslauf beginnt?« Er wusste, dass Bental das Tal kannte, ließ den Satz aber trotzdem wie eine Frage klingen.
»Das Tal am Fuße der roten Steine ist mir wohl bekannt«, bestätigte Bental, »warum interessiert es euch so?«
»Ich war gestern mit einem Pla-ka ausgeritten, und fand dieses Tal zufällig, eure gütige Hoheit, dabei ist mir ein Gedanke eingefallen, der mich nicht mehr los lässt...« Sebastian erzählte dem König, welche Pläne er mit dem Tal hatte, dass er es zur Pla-ka Zucht nutzen wollte, und dass er ihn, Bental, bitten wollte, ihm dieses Tal zu diesem Zweck zu überlassen, und dass er berechtigte Hoffnung hegte.
Bental hörte sich alles in Ruhe an, nickte sogar ab und zu anerkennend, und wartete, bis Sebastian geendet hatte. Dann setzte er eine beinahe väterliche Miene auf und sagte:
»Euer Ansinnen ist fürwahr edelmütig, Pla-kas für die Heerscharen Falméras zu züchten. Doch müsst ihr euch nach einem anderen Ort dafür umsehen, denn dieses Tal, das viele Zentaren in Vergessenheit geraten war, weil es unwegbar und ungünstig liegt, ist bereits einem anderen versprochen.«
Die Enttäuschung stand Sebastian ins Gesicht geschrieben. Wollte sich an diesem Tage alles gegen ihn verschwören? Aber so schnell gab ein Basti Lauknitz nicht auf!
»Wollt ihr mir verraten, wem dieses Land zugedacht ist, eure gütige Hoheit? Möglicherweise lässt sich jener, mit diesem Tal Bedachte umstimmen und ist bereit, das Vorrecht darauf an Areos abzutreten.« Bental überlegte kurz, schürzte dann seine Lippen und zog die Stirn in Falten.
»Das wage ich anzuzweifeln«, mutmaßte er, »ja, wenn es einer meiner Berater wäre, dem ich dieses Tal zugesprochen habe, oder einem meiner Stadthalter, Verwalter, oder Heerlagerführer, ja dann... Aber so... Es hatte mich Mühe gekostet, das Anliegen jenes Mannes, welcher das Tal begehrte, durch den Rat zu drücken. Nun wird dieser Mann kaum von seinem Vorteil ablassen, zumal er mir eingestand, eine jährliche Abgabe für die Besiedelung der großen Senke zu entrichten.«
»Was?« entfuhr es Sebastian mit Entsetzen. »Ihr wollt dieses Land zur Besiedelung freigeben, dieses Tal inmitten der schönsten Wildnis Falméras?« Bental breitete wie zur Entschuldigung die Arme aus und erklärte:
»Warum nicht? Das Land wollte niemand! Ungenutzt lag es Zentaren da. Es ist zu abgelegen, von der Küste her durch eine tiefe Schlucht getrennt, von Falméra auf der einen Seite durch das unzugängliche Plateau verriegelt, und von der anderen Seite durch eine hohe Felsmauer, welche sich zur Zentare der schlafenden Sonne in das Blut der Götter taucht. Jene Seite, welche verbleibt, verliert sich in tiefen Wäldern, welche an der Küste in steilem Fels abfallen.«
Der König machte eine kleine Pause, bevor er wie zur Rechtfertigung seiner Entscheidung und der des Rates nachsetzte:
»Außerdem ist an die Pacht eine weitere Bedingung geknüpft, was ihr freilich nicht wissen könnt. Die gesamte Küste der erwachenden Sonne liegt unbeobachtet und ungeschützt vor Angriffen. Ihr selbst habt mir darauf einen Hinweis gegeben. Angertal und Mehi-o-ratea, das Dorf der Unzüchtigen, zählen nicht. Die würden es nicht einmal merken, wenn an ihrem Strand Wasserwagen landeten, noch viel weniger wären sie in der Lage, einen Angriff abzuwehren.«
»Ja«, bestätigte Basti die Aussage des Königs, »das alles ist mir bekannt. Noch dazu führt die Strömung von der schlafenden Sonne her die gesamte Küste entlang. Angreifende Wasserwagen müssten nicht einmal auf günstigen Wind hoffen, sie brauchten sich nur treiben zu lassen.« Bental nickte gewichtig und bekräftigte:
»Eben, und aus diesem Grunde habe ich den Siedlern auferlegt, die Küste zu überwachen und in jenem Fall, der nie eintreten möge, das erste Hindernis zu stellen, bis Verstärkung von den Heerlagern eintrifft.«
»Aber Siedler sind keine Krieger«, gab Sebastian zu bedenken, »wie wollen die eine Anlandung von Truppen verhindern, oder gar abschlagen?«
»Glaubt ihr, daran habe ich nicht gedacht?« fragte Bental fast beleidigt. »Sie sollen sie ja gar nicht abschlagen, sondern nur aufhalten.., nur auf - hal - ten!« Die letzten Worte betonte er deutlich Silbe für Silbe.
»Und die Waffen dazu erhalten sie aus den Schmiedefeuern Falméras«, fügte er noch rasch hinzu, um einer möglichen Frage Bastis zuvorzukommen.
»Ist es erlaubt, zu fragen, wer nun der Führer dieser Siedler ist, dem ihr all dies versprochen habt? Oder ist es ein Geheimnis, das sowieso schon bald keines mehr sein würde?« wollte Sebastian lauernd wissen.
»O, es ist beileibe kein Geheimnis«, spielte Bental die Sache herunter, »jener, dem ich dies zusicherte, ist kein geringerer, als der Oranuti- Fürst Jamálin selbst, dessen Tochter ihr die Ehre habt, zum Elsirentanz zu führen!«
Sebastian war sprachlos. Er glaubte zunächst, sich verhört zu haben, doch das ernste Gesicht mit den wachen Augen, das ihm gegenüber stand, belehrte ihn eines Besseren. Unmerklich schüttelte er den Kopf. Der König gab den Feinden die ungeschützte Ostküste hochoffiziell, direkt in die Hand! Und er lieferte ihnen auch noch die Waffen dazu!
Am liebsten wäre Sebastian explodiert und hätte seinem Herrscher gründlich die Meinung gesagt. Doch was hätte das gebracht? Dieser König war von seiner eigenen fixen Idee so geblendet, dass er Gegenargumenten kaum zugänglich war. Dieser Herrscher erkannte ja nicht einmal die allgemeine Lage, aus der ihn die Bedrohung seines Landes direkt ansprang! Also versuchte Sebastian zunächst noch mehr Informationen zu bekommen, um den Ernst der Situation halbwegs sicher einschätzen zu können.
»Ab welcher Zentare soll die Pacht in Wirkung treten, eure gütige Hoheit?« fragte er scheinbar nebensächlich.
»Nach sechs Monden ab dem Fest Talris, wird Fürst Jamálin eine Armada Wasserwagen am Strand von Angertal landen und seine Siedler durch die Schlucht in das Tal der roten Steine führen. Die Waffen zur Verteidigung der Küste werden dann bereits im Tal sein«, offenbarte der König freimütig.
Sebastian fragte sich inzwischen, warum nicht einmal einer der Ratsmitglieder dieser Sache mit Skepsis begegnete. Doch dann erinnerte er sich wieder daran, was er selbst dem König einmal unmissverständlich zum Vorwurf gemacht hatte: Niemand seiner Vertrauten wagte es, seinem Herrscher eine unpopuläre, unbequeme Wahrheit zu gestehen, weil er fürchten müsste, sich dessen Unmut auf sein Haupt zu ziehen! Sie belogen ihn, nur um des eigenen Fortkommens, und der eigenen Bequemlichkeit wegen. Das war es!
Sebastian war diese Situation allerdings keine Unbekannte. In seiner Welt, explizit in jenem Land, in dem er gelebt hatte, zeigte das Beamtentum Parallelen. Eine unpopuläre Wahrheit, unbedacht preisgegeben, verhinderte womöglich eine Beförderung! Wie fremd sich diese Welten auch waren, so sorgten die Menschenwesen in ihnen doch für erstaunliche Ähnlichkeiten! Der Egoismus, geboren aus der Intelligenz des Wesens, gefährdete also auch diese Welt, die Sebastian für so rein, natürlich, ursprünglich und integer gehalten hatte. Und die meisten aus den unteren Schichten des Volkes verkörperten diese Tugenden tatsächlich. Jedenfalls noch!
Sebastian unternahm einen letzten Versuch, den König doch noch umzustimmen, und den Vertrag mit den Oranuti, sofern er denn bereits zustande gekommen war, letztlich noch zu kippen. Wenn Arrak plötzlich mit dem Beweis Sebastians heimlicher Vermutung auftauchen würde, so wäre das jenes Wunder, das er nun gebrauchen konnte! Aber Wunder kamen nicht von der Stange!
»Euer gütige Hoheit, Herr, hört mich an«, begann Sebastian mit wenig Hoffnung auf Erfolg, »wenn ihr euch doch noch entschließen könntet, dieses Tal mir zu überlassen, und anstelle einer Pacht eine regelmäßige Lieferung von Pla-kas für die Heerlager gut heißen könntet, wäre allen gedient.« Sebastian erklärte weiter:
»Voran euch, der die Pla-kas für die Heerlager erhält, mir und eurer Tochter, denn wir würden dann kaum noch im öffentlichen Leben Falméras stehen, und es würde der Urwüchsigkeit eures Landes keinen Schaden zufügen, denn außer einem kleinen Hof würde ich an der großen Senke nichts verändern.« Bevor der König Einwände wegen der Sicherung der Ostküste anbringen konnte, fuhr Basti fort:
»Für die Überwachung der Grenzen Falméras, einschließlich der dünn besiedelten Küste der erwachenden Sonne, habe ich bereits Pläne, für die ich in nächster Zentare zu einer großen Küsteninspektion aufbrechen werde, um mir ein genaues Bild zu machen, und um meine Pläne zu überprüfen.«
Bental zog erstaunt die Augenbrauen hoch und musterte Sebastian teils verwundert, teils interessiert. Neugierig fragte er:
»Darf ich fragen, was das für Pläne sind, welche ihr mir, eurem König, bis zu dieser Zentare vorenthalten habt? Oder ist es wiederum euer Geheimnis, welches ihr nicht einmal eurem König anzuvertrauen wagt?«
Sebastian hörte deutlich den vorwurfsvollen Ton in seiner Frage heraus. Er war sicher, dass Bental, einmal von seinen Plänen Kenntnis erhalten, diese mit seinen Vertrauten beraten würde. Das Risiko der Ablehnung war groß, denn Bastis Vorhaben bedeutete die Aufstellung eines ganz neuen, zusätzlichen Heerlagers mit den dazugehörigen Kosten von Unterhalt, Ausrüstung und Pla-kas.
So einfach, wie möglich versuchte Sebastian seinem König den gar nicht so sonderlich tollkühnen Plan näher zu bringen. Dazu rollte er die Karte der Insel Falméra auf dem Tisch aus.
»Wenn ihr erlaubt zu erklären, eure gütige Hoheit«, begann er. »Die Küste Falméras, welche unzureichend bewacht und gesichert ist, erstreckt sich beinahe um die gesamte Insel. Allein die Bucht genießt den Schutz der Stadt und der Himmelsburg.«
Er sah auf, um sich davon zu überzeugen, dass Bental ihm auch zuhörte. Der König hörte zu! Soviel hatte er denn doch gelernt, dass die Gedanken jenes Fremden, Basti Lauknitz, der ihm seine Tochter wiederbrachte, oft nützlicher Natur waren! Sebastian setzte seinen Vortrag fort.
»Wenn nun ein Netz von Beobachtungsposten entlang der Ufer Falméras so verteilt würden, dass einer zum anderen bei wachender und bei schlafender Sonne zu sehen vermag, so hätten wir eine Kette von Augen, die das Herannahen eines jeden Feindes, ja eines jeden Wasserwagens innerhalb kürzester Zeit nach Falméra melden kann. Und die Überwachung der gesamten Küste läge allein in eurer Hand, Hoheit!«
Nachdenklich blickte der König auf die Karte und fuhr mit dem Finger die Küstenlinie ab, die sich auf dem Pergament als nebensächliche Herausforderung darstellte. Sebastian aber wusste, dass sein Vorhaben in der praktischen Umsetzung viel Personal, Material und logistisches Verständnis erfordern würde. Und diese Frage kam prompt:
»Gedenkt der Möglichkeit, ich würde eurem Vorschlag zustimmen, und gedenkt weiter der Möglichkeit, der Rat würde dies ebenfalls tun, was braucht ihr dazu?«
Die Frage war so direkt, dass Sebastian bereits Hoffnung hegte, Bental zumindest ernsthaft interessiert zu haben. Nun lag es an ihm, dem König auch die Details so vorteilhaft und attraktiv wie möglich zu verkaufen.
»Nehmen wir einmal an«, dachte er laut, um den Monarchen an seiner Idee teilhaben zu lassen, und ihn für sie zu begeistern, »wir stellen Posten auf, die sich Tag und Nacht abwechseln...«
Sebastian erklärte dem König ein Prinzip ähnlich eines Nachrichtendienstes, den es in Bastis Welt bereits im siebzehnten Jahrhundert in Gestalt einer sogenannten Winkeranlage an der Spanischen und Französischen Küste gab. In Minutenschnelle konnte eine Nachricht über viele Kilometer hinweg weitergegeben werden.
»Der Bau einer solchen Anlage muss nicht viel kosten, wenn die anliegenden Dörfer in die Arbeiten mit einbezogen werden«, erklärte Sebastian, »und ein neu aufgestelltes Heerlager in der wachenden Sonne stellt die Beobachtungsposten und die ersten Verteidiger, bis weitere Truppen herangeführt sind. In der schlafenden Sonne können die vorhandenen Heerlager eingesetzt werden.«
Der König sah Sebastian skeptisch an, und schien sich eine Entscheidung nicht leicht zu machen. Sebastian bohrte weiter, und versuchte ihm die Sache noch begeisterungswürdiger darzulegen.
»Hoheit, wir können bei einer ausreichenden Überwachung der Küste auch die Wachen Falméras und der Himmelsburg verkleinern, denn ein Angriff würde ja früh genug erkannt werden! Außerdem müsstet ihr nicht gegen einen hohen Preis Fremden vertrauen. Unsere eigenen Wachen und Soldaten würden über das Land wachen. Bedenkt, dass euch bei dieser Möglichkeit zwar ein Heerlager mehr zu Buche schlagen würde, ihr aber ohne weitere Kosten und Verpflichtungen die Überwachung Falméras, und zwar der ganzen Insel, nicht nur eines Strandes, selbst in euren Händen haltet!«
Dieses Argument überzeugte zumindest den König. Bental nickte bedächtig und Sebastian wertete die Reaktion als wohlwollend in Betracht gezogen. Nun jedoch war es an ihm, dem König, seinen Rat zu überzeugen. Das mochte wer weiß wie lange dauern.
Sebastian aber spürte, dass sie so viel Zeit vielleicht gar nicht mehr haben würden. Vieles sprach dafür. Die Lichtsignale in der Nacht, Medunzias Ausflug mit den beiden Oranuti, die Angriffe auf Antarona. Der Ruf des Krähenmädchens, in die Zukunft blicken zu können, eilte ihr voraus. Also musste der Feind versuchen, sie auszuschalten, wollte er einen Überraschungsangriff ausführen.
Und der Feind war bereits in der Himmelsburg! Wenn vielleicht auch nur als Spion Torbuks, aber gefährlich genug, um Antaronas Leben zu bedrohen. Deshalb war Basti froh, mit ihr für ein par Zentaren nach Mehi-o-ratea zu verschwinden. Für den König verlieh er seinem Ausflug einen offiziellen Anstrich.
»Hoheit, ich habe beschlossen, mir die gesamte Küste Falméras selbst anzusehen. Ich werde die geeignetsten Stellen...« Bental unterbrach ihn:
»So, das habt ihr also schon beschlossen? Ihr beschließt viel, ohne euren König und den Rat zu befragen!«, stellte Bental fest.
»Liege ich richtig in der Vermutung, dass mein Töchterchen euch begleiten wird?« Die Frage klang listig, und nicht zuletzt wie eine Feststellung.
»Wenn sie es wünscht, Hoheit, so werde ich ihr diesen Wunsch nicht abschlagen, sofern ihr nicht Wege findet, dies zu verhindern!« gab Sebastian offen zu.
»Werde ich es verhindern können?« fragte Bental lauernd. Sebastian sah den König direkt an und sagte ehrlich:
»Offen gestanden, ich glaube nicht, eure gütige Hoheit, es sei denn, ihr legt eure Tochter in Ketten. Doch dann kann ich euch versichern, habt ihr sie für immer verloren!«
Bental presste die Lippen zusammen und nickte. Dann wanderte er eine Runde im Raum herum, bevor er wieder vor Sebastian stehen blieb, und ihn offen ansah.
»Warum nur, so frage ich mich, dulde ich eure Frechheiten, die ich nicht einmal bei meinen vertrauten Beratern durchgehen lasse?« Sebastian zuckte mit den Schultern, wiegte den Kopf hin und her, als überlegte er angestrengt, und antwortete:
»Weil ich euch nicht belüge, Hoheit! Ich bin ehrlich zu euch und ich kämpfe für euch, weil die Frau, welche ich über alles liebe, eure Tochter ist, mit welcher ich durch die Macht der Elsiren verbunden bin. Eher würde Antarona sterben, als euch, Hoheit, das Land und das Volk der Ival zu verraten! Und nicht zuletzt, weil ihr erkannt habt, dass ihr mit meinen Vorschlägen stets gut beraten seid!«
»Das wird sich erst noch erweisen müssen«, schränkte der König ein. Doch sehr ernst gemeint klang es nicht. Bental schien überzeugt.
Allein die Meinung des Rates war der seidene Faden, an dem alles hing. Doch würde Sebastian es gut heißen, dass der König seinen Rat überging, so war der winzige Ansatz einer Demokratie, welche Sebastian gern in diesem Land herrschen sehen würde, dahin!
»Habt ihr noch etwas vorzubringen, so sprecht jetzt. Wenn nicht, so erwarte ich euch angemessen gekleidet und mit Tálinos gerüstet, im Thronsaal. Hekthur wird euch die Zentare weisen!« Damit schloss Bental die Audienz für seinen imaginären Sohn Areos.
Sebastian eilte, ohne sich groß aufzuhalten, in sein Ankleidezimmer zurück, zog unter Frethnals missbilligendem Blick einen alten, leichten Waffenrock an und suchte sich ein schweres, kurzes Kampfschwert aus seinem Arsenal.
Anschließend verschwand er in den geheimen Gängen und verließ sie in Antaronas Gemächern wieder. Er eilte über den Flur und blieb unschlüssig vor der Tür zu Antaronas Schlafgemach stehen. Er stellte sein Schwert in die Ecke, zog sich bis auf die Leinenhosen aus, drückte leise den Riegel hoch und wand sich durch den Türspalt in das Zimmer.
Die großen Fenster standen offen, der für die Jahreszeit viel zu warme Wind blähte die leichten Vorhänge und wehte sie geheimnisvoll in den Raum hinein. Antaronas Bett jedoch war verwaist. Enttäuscht trat Sebastian ans Fenster und blickte hinaus.
Die Sonne kämpfte sich durch den milchigen Himmel. Es war warm und drückend, und das bereits in den Morgenstunden! Kündigte sich etwa ein Unwetter an? Intuitiv dachte Sebastian an den Sturm, den er auf Balmers Alm erlebt hatte. Gab es solch entfesselte Gewalt auch auf Falméra?
Wenn ein Unwetter nahte, so war Eile geboten, wollte er oben am Wasserfall und im Wald bei der Brücke noch die Fährten der nächtlichen Signalgeber finden. Prasselte erst ein starker Regen nieder, so waren alle Spuren auf nimmer Wiedersehen verschwunden!
Eine Bewegung riss ihn aus seinen Gedanken, Sebastian fuhr herum und griff unwillkürlich nach seinem Schwert. Doch die Stelle an seinem Gürtel war leer. Er hatte die Waffe vor der Tür gelassen! Erleichtert stellte er fest, dass es Vesgarina war, die den Raum betreten hatte.
»Wo ist eure Herrin, Vesgarina?« wollte er wissen. Das Kammermädchen lief rot an, als sie den Sohn des Königs in leicht bekleidetem Aufzug vor sich stehen sah, hielt sich vor Scham ein Tuch vor das Gesicht und hob ihre Hand, um zu verhindern, dass Sebastian ihr näher kam.
Sie wies mit der anderen Hand zur Tür hin, welche in das Bad führte. Sebastian lachte das Mädchen offen an und nahm ihr die Worte aus dem Mund:
»Na sagt es schon, sie ist noch im Bade, nicht wahr?« Vesgarinas Augen sahen scheu hinter ihrem Tuch vor, nickte beschämt und Sebastian spürte deutlich, wie unangenehm es ihr war, Areos halb unbekleidet vor sich zu sehen. Um sie nicht länger in Verlegenheit zu bringen, bat er sie:
»Dann bedeutet eurer Herrin bitte, dass ich auf sie warte! Und Vesgarina«, rief er ihr grinsend nach, als sie schon gehen wollte, »und einen lieben Gruß von eurem Frethnal!«
Als Vesgarina verschwunden war, warf sich Sebastian entspannt auf Antaronas Bett, verschränkte die Hände hinter dem Kopf und sah verträumt zum Baldachin hinauf, der in vergangener Nacht Zeuge von Sebastians schönstem Erlebnis geworden war.
So einiges ging im in diesen Minuten durch den Kopf. Welches Glück er doch hatte! Er wachte in einer fremden Welt auf, und bei allen Widrigkeiten, die er erfahren musste, stand doch das schönste, zauberhafteste, und verführerischste Geschöpf an seiner Seite, das er sich überhaupt vorzustellen vermochte!
Antarona war ein Traum! Mehr noch, sie war die Göttin aller Träume, das Beste und Schönste im Leben, was sich ein Mann nur wünschen konnte. Zuweilen plagte Sebastian eine Angst, er könnte irgendwann aufwachen, und die süßeste aller Schicksalsfügungen könnte sich als pure Illusion erweisen, welcher er erlegen war.
Ärgerlich schüttelte er den Kopf. Nein, was er hier erlebte, fand wirklich statt! Es war kein Traum! Was für ein Traum hätte das denn sein sollen, der so komplex, so lebensnah war und so lange währte? Nein, es war die Wirklichkeit! Aber die hielt auch Schreckliches bereit! Wie rasch in dieser Welt Menschen sterben konnten, hatte er bereits erfahren.
Wie sollte er seinen süßesten, seinen wertvollsten aller Schätze, sein Krähenmädchen, vor der bösen Seite des Schicksals bewahren? Wie vermochte er sie vor etwas zu beschützen, das selbst in dieser Himmelsburg hinter jeder Tür lauern konnte? Die Angst, Antarona jemals wieder zu verlieren, machte ihn beinahe ohnmächtig, drehte ihm den Magen um, zermarterte ihm das Gehirn.
Der Grund dafür stand plötzlich in der Tür! Nackt, unschuldig, und scheinbar wie jungfräulich stand Antarona im Licht des Morgens. Langsam, beinahe schwebend, ging sie auf ihn zu. Er nahm ihren frisch gebadeten Körper in die Arme, sog den Duft nach exotischen Blüten ein und vergrub sein Gesicht in ihren langen Haaren.
»Kannst du dir überhaupt vorstellen, wie sehr ich dich liebe?« flüsterte er ihr ins Ohr. Er hielt sie fest in seinen Armen, befürchtete aber, dass er selbst es sein würde, der weiche Knie bekam. Er spürte ihre Wärme, ihren Herzschlag, und es riss ihn fast entzwei, bei dem Gedanken, dass man sie je wieder trennen könnte.
»Ba - shtie, was ist mit euch, ihr seid so seltsam, so schweren Mutes, was bedrückt euch?« Das war Antarona! Sie besaß ein untrügliches Gespür für jedes Gefühl anderer, sie vermochte in die Herzen zu sehen!
»Ach, weißt du mein Engelchen«, gestand er ihr, »ich trage ständig eine Angst in mir. Eine Angst um dich! Es ist die Furcht davor, dass dir etwas fürchterliches wiederfahren kann und ich bin nicht da, um dich zu beschützen. Das ist es!«
Antarona sah ihn mit den tiefen Seen ihrer großen Augen an, ihr Haar fiel auf sein Gesicht und ihr verlockender Atem näherte sich, berührte ihn, und ihre Lippen verschmolzen gleichsam mit ihren Herzen...
Einige Zentaren später weihte Sebastian sie in die Neuigkeiten ein. Er erzählte ihr von dem Lichtsignal in der Nacht, vom bevorstehenden Elsirenfest zu Ehren Talris und von Bentals Absicht, ihn die Tochter des Fürsten Jamálin zum Tanz führen zu lassen, während Antarona in ihren Gemächern bleiben sollte.
»Ich will nicht mit einer halben Oranuti zum Elsirenfest, ich will mit dir dorthin!«, endete er schließlich. Er hatte nun von Antarona ein Donnerwetter erwartet. Doch nichts dergleichen geschah. Statt dessen legte sie ihm vertraut die Hände auf die Schultern und sagte:
»Ba - shtie, habt ihr vergessen, dass auch ich eine halbe Oranuti bin?« Sebastian küsste sie zärtlich auf ihren Bauch und flüsterte:
»Nein, das habe ich nicht vergessen. Aber du bist eine Prinzessin der Ival, und du bist meine Frau, und du bist mein Engelchen, und was für eines!« gestand er ihr. »Wenn du für sie tanzen würdest, wenn wir zusammen tanzen würden, es wäre das höchste Glück für mich!« Schmunzelnd fügte er noch hinzu:
»Dann bekäme Fürst Jamálin wahrscheinlich einen Schluckauf, der sich nie wieder beruhigen würde, und eine Gefahr mehr für Falméra wäre gebannt.«
Antarona ging indes an die Truhe, in der sie ihre alten Sachen aufbewahrte. Unter Sebastians staunenden Augen zog sie ihren alten, zerschlissenen Lederschurz hervor und hängte ihn sich tief um ihre Taille. Auch das alte Oberteil, das in der Mitte nur noch von einem dünnen Lederband zusammengehalten wurde, zog sie sich an.
Als sie sich schließlich Nantakis umhängte und Pfeilköcher und Bogen hervorholte, fragte Sebastian entsetzt:
»In diesem halbnackten Aufzug willst du doch nicht etwa in der Gegend herumreiten? Vor allem willst du so doch nicht über den Burghof marschieren, oder?«
»Warum nicht, Ba - shtie - laug - nids, wenn die Leute Sonnenherz für eine Wilde, für eine Sklavin halten, dann werden sie ihr nichts tun, und ihr habt nicht die Sorge, dass ihr etwas zustößt, nicht wahr?« antwortete sie kess.
»Aber das kannst du nicht machen«, versuchte Basti sie umzustimmen, »den Kerlen da draußen fallen die Augen raus, wenn du so vor ihnen herumstolzierst!« Antarona setzte ihre schnippische Miene auf und konterte:
»Es ist die Kleidung der Mädchen der Ival, Ba - shtie! Im Val Mentiér hat es euch gefallen, wenn sich Sonnenherz so vor euch gezeigt hat, nicht wahr? Sie vermag in diesen Sachen besser zu kämpfen und zu reiten, und es macht die Feinde wirr im Kopf!« argumentierte sie.
»Ja, es macht die Feinde wirr im Kopf«, bestätigte Sebastian, »aber nicht nur die Feinde, sondern auch mich! Wie soll ich mich auf die Fährten konzentrieren, wenn du meine Sinne mit deinen Reizen einfängst und umklammert hältst?« Antarona kam auf ihn zu, drehte sich um und berührte mit ihrem Po flüchtig seine Wange.
»Soo, Ba - shtie, tut Sonnenherz das? Vermag sie euch so sehr die Sinne zu rauben? Vermögt ihr euch nicht dagegen zu wehren?« fragte sie scheinheilig.
»Du weißt, dass es so ist, du kleine Hexe«, erwiderte Sebastian im Spaß und küsste sie auf ihren Po, »los, zieh dir wenigstens deine Beinlinge an, damit du dir nicht noch die Füße verletzt!«
Diesmal hörte sie auf ihn. Doch er hätte diesen Vorschlag lieber für sich behalten, denn mit den Beinlingen sah sie noch verführerischer aus, als ohne sie. Wollte sie ihn wieder einmal herausfordern? War es ihre Art ihn zu bestrafen, weil er den Elsirentanz am Abend mit einer Fürstentochter tanzen sollte? Doch was konnte er dafür?
Stolz, mit erhobenem Kinn, beinahe unnahbar, schritt sie anschließend über den Burghof, den Ställen zu. Frauen und Mädchen, die sie beobachteten, gaben ihrem Entsetzen Ausdruck, indem sie ihre Köpfe schüttelten, oder einfach betreten zu Boden sahen.
Die Männer hingegen blickten begierig, teilweise verstohlen, manche sogar mit offener Begeisterung hinter Antarona her. Sebastian kannte deren Gedanken, und er hasste einen Jeden dafür, weil er wusste, dass es auch seine Gedanken waren. Diesen Anblick wollte er mit keinem anderen Mann teilen, doch es stand nicht in seiner Macht! Er sah sich der gleichen Verzweiflung ausgesetzt, wie beim Tanz um die Elsirenfeuer.
Antarona schien seine Machtlosigkeit zu genießen, ja in vollen Zügen auszukosten. Sie schwang sich auf ihren Pla-ka und rutschte auf seinem Rücken hin und her, bis sie eine bequeme Position gefunden hatte. Die umstehenden Männer glotzten dabei wie Frösche, die zu lange in eine frisch aufgeschnittene Zwiebel geblickt hatten.
Sebastian stand unter ständiger Anspannung, bis sie endlich das Haupttor passierten und die gierigen Augen der Wachen ihnen nachblickten. Dann umgab sie nur noch Wald. Sebastian war heilfroh, den lüsternen Blicken auf seine Frau entgangen zu sein. Statt dessen sah er sich nun selbst ihren nicht zu verbergenden Reizen ausgesetzt.
Er hatte ihr berichtet, wo er das Lichtsignal im Wald gesehen hatte, und nun beugte sich Antarona so tief über den Hals ihres Pla-ka, um den Boden nach Spuren abzusuchen, dass das winzige Stückchen Leder kaum noch ihren Po bedeckte.
Für sie war es ganz natürlich, sie dachte sich nichts dabei. In den Tälern des Val Mentiér akzeptierte jeder dieses Naturvolkes die Tatsache, dass sich junge Frauen nicht davor scheuten, ihre Nacktheit zu präsentieren. Dort taten sie es nicht um Männern den Kopf zu verdrehen, sondern, weil es zu ihrem alltäglichen Leben gehörte, das einzige Kleid, das sie besaßen, zu schonen.
Außerdem huldigten die Mädchen damit den Göttern, die eine reine, Unbekleidete, eben eine Oranuti- Prinzessin auf den rechten Platz des Throns von Volossoda setzten. Doch auf Falméra galten andere moralische Gesetze, die allein bei den Feuertänzen ihre Wirkung verloren.
Sebastians Blick lag auf Antaronas Rundungen und er stellte fest, dass er mit Gedanken und Gefühlen nur bei ihr war, und nicht bei der Suche nach den Spuren der nächtlichen Spione.
»Antarona, meinst du nicht, wir finden eher eine Fährte, wenn wir die Pla-ka führen, anstatt zu reiten?« schlug er vor.
Sie drehte sich um und nickte nur kurz. Dann rutschte sie von ihrem Pla-ka, ungeachtet der Tatsache, dass ihr Lederschurz dabei kurz über ihren Bauch nach oben glitt, bis er wieder auf ihre Taille zurück fiel. Wenn nicht möglicherweise das Schicksal Falméras von ihrer Spurensuche abgehangen hätte, so wäre Sebastian nun auf einen ganz anderen Einfall gekommen, wie sie sich hätten die Zentaren bis zum Fest vertreiben können.
Wie die Indianerin aus einem Wildwestfilm suchte Antarona den Boden ab. Nur war dies kein Film, sondern ernste Wirklichkeit. Plötzlich wurde sie fündig! Sie winkte Basti heran und zeigte ihm mehrere abgebrochene Zweige eines Dornenbuschs.
»Das bedeutet doch gar nichts«, kommentierte er ihren Fund, »die können wer weiß wer, oder was abgebrochen haben!« Antarona jedoch schüttelte langsam und zweifelnd den Kopf über sein Urteil.
»Ihr irrt, Ba - shtie«, klärte sie ihn auf, »seht diese scharfen Dornen! Weder ein Menschenwesen, noch ein anderes Geschöpf der Götter würde sich daran messen wollen, jeder würde ihnen aus dem Wege gehen! Dennoch sind sie gebrochen, Ba - shtie! Was sagt euch das?« Erwartungsvoll blickte sie ihm in die Augen.
»Dass jenes Geschöpf nicht freiwillig durch das Gestrüpp gelaufen ist?« stellte er unsicher fest und ließ sein Urteil vorsichtshalber wie eine Frage klingen.
»Ba - shtie!« forderte sie ihn enttäuscht auf, noch einmal nachzudenken. Da fiel ihm ein Schleier von den Augen und er kombinierte:
»Nein halt, wer oder was in die Dornen gelaufen war, konnte sie nicht sehen, weil es dunkel war! Weil stockfinstere Nacht herrschte!«
»So ist es«, bestätigte das Krähenmädchen seine neue Erkenntnis, »seht hier, die Spuren, kleine Füße, die am Dornenstrauch nicht mehr gingen, sondern wirr auf der Stelle traten!« Antarona suchte den Boden weiter ab.
»Und hier, seht weiter«, verkündete sie weitere Entdeckungen, »Waselhaar an den Dornen und Tran und ein par Tropfen Blut auf dem Boden!« Sebastian eilte hinzu und musste sehr genau hinsehen, um das Beschriebene zu erkennen.
»Und was schließt du daraus?« fragte er seine Frau. Antarona stand auf, sah sich noch einmal um, überlegte kurz und verriet ihm dann:
»Die Fährte ist tief eingedrückt, ganze Füße! Es war eine Frau, Ba - shtie, eine Frau, viel schwerer als Sonnenherz. Sie ist nicht gewöhnt, im Wald zu gehen, bewegt sich wie ein schlaftrunkener Robrum. Sie vermag nicht, wie Sonnenherz, ihren Weg zu denken, und sie trägt die leichten Stiefel, welche aus Oranutu sind!« stellte sie fest.
»Hier geriet sie in die Dornen, an welchen sie sich verletzte, an Händen, oder Gesicht...« Sebastian unterbrach sie erstaunt:
»Wie kannst du wissen, an welchem Teil ihres Leibes sie sich verletzte?« Antarona zeigte auf die Blutströpfchen, anschließend auf das Waselhaar in den Dornen, und erklärte:
»Sie trug einen Mantel, oder Umhang aus Waselfell, dort gehen die Dornen nicht hindurch. Doch ist Blut auf dem Boden! Also trafen die Dornen ihr Gesicht, oder ihre Hände.« Sebastian nickte zustimmend. Das klang einleuchtend.
»Sie hatte eine Tranlampe bei sich, doch diese brannte nicht«, fuhr Antarona fort. Sebastian neigte zweifelnd seinen Kopf zur Seite.
»Und woher weißt du das schon wieder?« Antarona hockte sich vor die Fährten, nahm die Trankleckse samt Erde und altem Laub auf und hielt sie Basti unter die Nase.
»Seht selbst, der Boden ist nicht feucht, nichts ist verbrannt. Hätte die Lampe Feuer gehabt, so wäre brennendes Tran auf das trockene Laub gefallen!«
Wie eine Schlange, die Augen an den Boden geheftet, wand sich Antarona langsam um den Dornenbusch herum, ohne, dass auch nur ein Dorn ihre nackte Haut berührte. Sebastian folgte ihr und sogleich verhakte sich ein Zweig des Gestrüpps an seinem Waffenhemd. Rrratsch! Sein Verbrauch an Hemden nahm in letzter Zeit drastisch zu.
Plötzlich blieb Antarona stehen, ging wieder in die Hocke und befühlte die Erde. Wie eine Blinde tastete sie mit ihren feingliedrigen Fingern den Boden ab.
»Hier ist die Frau ein par Zentaren lang stehen geblieben«, stellte sie fest. Wie ein Krebs arbeitete sich das Krähenmädchen in der Hocke weiter vorwärts, und Sebastian staunte wieder einmal mehr über die Biegsamkeit und Akrobatik, die sie beherrschte.
»An dieser Stelle hat sie die Lampe angezündet«, hörte er seine Frau sagen. Er blickte auf das Fleckchen Erde, auf das sie wies und sah einen kleinen, angesengten Span, sowie ein halb verkohltes Laubblatt daneben. Antarona las in den Spuren weiter:
»Die Frau ist nicht oft im Wald«, vermutete sie, »jedes Kind weiß, dass es in den trockenen Zentaren nicht gut ist, einen brennenden Span achtlos fallen zu lassen.«
Sebastian musste ihr recht geben. Es hatte lange nicht geregnet und ein Waldbrand war schnell entfacht. Dabei dachte er kurz an die Elsirenfeuer, die in jeder Nacht brannten und an deren Funkenflug. Ein Wunder, dass nicht bereits halb Falméra ein Opfer der Flammen geworden war!
»Seht, hier, Ba - shtie«, rief ihm Antarona nun zu, »hier hat sie das Signal gegeben, das ihr gesehen habt!« Sie stand vor einem mächtigen Steinfindling, der einen halben Meter über dem Boden seine Kante hatte, aber zwei bis drei Mann hoch schräg anstieg.
»Sie hat auf diesem Felsblock gestanden?« fragte Sebastian. Er zweifelte jedoch Antaronas Urteilsvermögen nicht mehr an. Skeptisch blickte er dennoch die schräge Steinfläche hinauf, doch alles, was er sah, waren Ameisen, die emsig über den Felsen krabbelten. Spuren gab es keine. Wie auch, auf hartem Gestein?
»Schaut genau hin, Ba - shtie«, forderte Antarona ihn auf, als sie wenig Begeisterung in seinen Augen erkannte. »Sie hat eine lange Zentare auf diesem Stein gestanden!«
Da sah er es und erkannte auch den Grund, warum die Ameisen so eifrig über einen nackten Felsen liefen. In einem nicht sehr tiefen Spalt, aus dem etwas Gras wuchs, lag ein halb abgenagter Knochen! Die Frau musste so lange auf diesem Stein ausgeharrt haben, dass sie nebenbei noch etwas gegessen hatte!
Antarona streckte sich über die Felskante, fischte den Knochen heraus und betrachtete ihn von allen Seiten. »Wafan«, stellte sie schließlich nüchtern fest. Anschließend begann sie die Umgebung des Felsens abzusuchen und wurde auch dabei fündig. Weitere, noch größere Knochen, fanden sich neben dem Stein im Gras. Sie roch daran und zog dann erstaunt die Augenbrauen hoch.
»Ba - shtie, dieses Wafanfleisch wurde in der Burgküche gebraten!« teilte sie ihrem überraschten Mann mit. Sebastian sah sie teils staunend, teils belustigt an.
»Findest du nicht, dass du jetzt ein wenig übertreibst? Wie kannst du wissen, wo das Fleisch zubereitet wurde? Jeder in Falméra isst Wafanfleisch!«
»Aber jeder würzt es mit anderen Kräutern, Ba - shtie!« klärte sie ihn auf. »Dieses trägt den Duft jener Kräuter, welche der Küchenmeister in der Burgküche verwendet!« Sebastian nahm ihr den Knochen aus der Hand und schnupperte daran.
»Riecht wie Braten«, bemerkte er, »nicht mehr und nicht weniger. Und du vermagst zu riechen, welche Kräuter und Gewürze verwendet wurden? Das kannst du?« Sebastian blickte ihr forschend und ungläubig in die Augen. Antarona nickte nur zustimmend.
»Fassen wir noch mal zusammen«, rekapitulierte er, »du erklärst mir also, dass eine schwere Frau, die nicht oft im Wald ist, Stiefel aus Oranutu trägt, und ihre Hände, oder ihr Gesicht verletzt hat, und einen Waselumhang trägt, sowie Wafanfleisch aus der Burgküche isst, auf diesem Felsen gestanden hat und die Signale zum Wasserfall hin gegeben hat! Und das alles kannst du anhand der drei oder vier Spuren erkennen?« Basti holte tief Luft, als müsste er diese Erkenntnis erst einmal verarbeiten und fügte dann hinzu:
»Mein Engelchen, ich weiß, dass du Dinge siehst, die anderen Menschenwesen verborgen bleiben, doch ich muss dir ehrlich sagen, langsam machst du mir Angst!«
»Warum macht sie euch Angst, Herr, wenn sie doch die Wahrheit spricht?« erklang plötzlich und unerwartet eine krächzende Stimme aus dem Gebüsch neben dem Felsen. Sebastian fuhr erschrocken zusammen und Antarona wirbelte herum, Nantakis wie durch Zauberei in der Hand, zum Kampf bereit.
»Ihr seid schnell, wie ein Blitz, mein Kind, ihr seid sehr schnell«, krächzte der Busch, der sich nun anfing zu bewegen. Eine par Sekunden später teilten sich die Zweige. Auf einen alten, krummen Stock gestützt, kroch die alte Binerin aus dem Gestrüpp hervor. Ihre abgetragene, schmutzige Kleidung hatte die Farben alten Laubs angenommen. So war sie hinter einem Busch kaum noch zu entdecken.
»Ihr könnt ihren Worten glauben«, wandte sich die Alte nun Sebastian zu, »es trug sich zu, wie die junge Seherin Kund tat!« Damit musterte sie wieder Antarona und fügte rasch hinzu:
»Oder sollte ich sagen, die junge Prinzessin von Falméra und Volossoda?« Antarona und Sebastian blickten sich verwirrt an.
»Ihr wisst es, ehrwürdiges Mütterchen, ihr wisst, wer Sonnenherz in Wahrheit ist?« entfuhr es Sebastian. »Woher...« Die Alte schwenkte ihren Stock durch die Luft und unterbrach sein Staunen.
»O, die alte Binerin weiß noch so vieles mehr, junger Recke, sie kennt euer aller Geheimnis. Sie weiß um Vieles, welches ihr nicht zu glauben vermögt!« Schwerfällig setzte sich das Kräuterweib auf die Kante des Felsens und stützte sich mit dem Oberkörper auf ihren Knüttel, der so alt schien, wie sie selbst.
»Die Prinzessin der Ival, welche nur in eurem Geiste jene ist, vermag im Wind zu sehen, wer an diesem Ort sein Unwesen trieb!« Anerkennend nickte die Alte Antarona zu und fuhr fort:
»Und der Erbe Falméras und Volossodas, welcher jener Erbe nicht ist, mag von ihr lernen, denn sie ist im Herzen die Tochter der Ival. Er mag sie behüten und bewahren, da sie seine Saat unter ihrem Herzen trägt, eine Saat die nicht von den Göttern Talris, doch die Hoffnung aller Wesen dieser Welt ist!«
Sebastian lief ein Schauer über den Rücken und Antarona war nicht minder erstaunt über die Weißsagung der alten Frau.
»Woher wisst ihr, dass Antarona meinen Sohn unter ihrem Herzen trägt?« fragte Basti verblüfft. »Niemand weiß es außer uns beiden und dem König! Außerdem, was soll das heißen, die Prinzessin der Ival, welche nur in eurem Geiste jene ist?«
Das alte Weib wiegte sich auf dem Stock hin und her, sah mühevoll zu Sebastian auf und krähte mit rostiger Stimme:
»Ihr irrt, junger Herr, denn euer junges Weib trägt nicht euren Sohn unter ihrem Herzen!« antwortete sie auf seine erste Frage mit neuen unverständlichen Worten. Dazu ließ sie ein fast schadenfrohes Kichern hören, das Sebastian irgendwie an Högi Balmer erinnerte. Sebastian und Antarona sahen die Kräuterfrau noch verunsicherter an.
Die Alte aber lächelte, bis ihr Gesicht nur noch aus Runzeln bestand. Anschließend wurde sie wieder ernster und sprach:
»Ihr mögt wissen, welcher Saat die wahre Prinzessin der Ival entstammt? Nun, die Binerin weiß es! Aber sie wird das Geheimnis bewahren! Wollt ihr es wissen, meine Kinder, so findet es selbst heraus! Und lernt. Lernt, dass euch eure Feinde oft näher sind, als ihr zu glauben vermögt!«
Umständlich erhob sich die Binerin wieder und wandte sich zum Gehen. Einmal noch drehte sie sich um und sah Antarona an.
»Gebt dem Volk der Ival die Hoffnung, mein Kind! Schenkt den Menschenwesen, was unter eurem Herzen wohnt! Und nehmt euch vor jener in Acht, welche an diesem Orte verweilte. Aber hütet euch vor falschen Gedanken, mein Kind, jene ist es nicht, welche die Zeichen der Dornen in ihrem Antlitz trägt!«
Damit wandte sich das alte Weiblein ab und verschwand wieder im Dickicht. Antarona streckte ihre Arme aus, als wollte sie die Binerin aufhalten.
»Sonnenherz hat ihr nicht einmal danken können, für das Leben, das sie dieser Frau schuldig ist!« sprach sie leise. Sebastian trat neben sie, legte ihr seinen Arm um die nackte Taille und sagte:
»Ich glaube, darauf hatte sie auch keinen Wert gelegt. Denk daran, was sie sagte! Hast du das alles verstanden? Das alles klang ziemlich verrückt. Aber ich weiß, dass die Alte nicht verrückt ist, und Dinge weiß, von denen wir nicht einmal zu träumen wagen.«
Sebastian ging vor Antarona auf die Knie, umfasste ihre Oberschenkel und küsste sie liebevoll auf ihren nackten Bauch. Dann verkündete er seiner überraschten Frau:
»Mein Engelchen, ich weiß nicht, was die Alte damit meinte, du trägst nicht meinen Sohn unter deinem Herzen. Ich aber vertraue dir, und wenn du es sagst, wird es für mich so sein!« Antarona sah nachdenklich zu ihm herab, ihre Hand tastete vom Bauchnabel über ihren Unterleib, der tatsächlich noch keinerlei Anzeichen einer Schwangerschaft erkennen ließ.
Dann verlor sich ihr Blick in einer scheinbaren Weite, obwohl sie auf jene Stelle starrte, wo die Alte wieder im Gebüsch verschwunden war. Wie von fremden Gedanken gelenkt sagte das Krähenmädchen:
»Die Binerin redet nicht wirr, sie ist nur sehr weise, Ba - shtie. Sie vermag in die Herzen der Wesen zu schauen. Sie sah nicht euren Sohn unter meinem Herzen. Doch Sonnenherz spürt ein Herz unter dem ihren!«
»Willst du mir damit etwa sagen, dass du mit einem anderen Mann...« Sebastian unterbrach sich selbst, wagte nicht, diesen lauten Gedanken zuende zu denken. Entsetzen stand in seinen Augen und er sah Antarona für einen Moment an, als stünde eine Fremde vor ihm.
Das Krähenmädchen aber umfasste seinen Kopf und presste sein Gesicht mit fordernder Kraft wieder gegen ihren Leib.
»Seid nicht so töricht, Ba - shtie - laug - nids«, schalt sie ihn plötzlich lächelnd, »die Binerin sprach nur davon, dass Sonnenherz nicht euren Sohn unter ihrem Herzen trägt!« Sebastian stand auf und sah seine Frau verwirrt und mit verständnislosem Blick an.
»Ba - shtie!« rüttelte sie ihn auf, indem sie mit der flachen Hand seine Stirn sanft nach hinten stieß. »Das Herz eurer Tochter schlägt unter jenem Antaronas!« verkündete sie mit strahlendem Stolz. Sebastian sah sie immer noch entgeistert an, sein Verstand schien mit der Schnelligkeit einer Schnecke zu arbeiten.
Allmählich sickerte auch in sein Gehirn die neue Botschaft und sichtbare Erleichterung huschte über sein Gesicht. Dann bekamen seine Augen ein Leuchten, das der Sonne selbst Konkurrenz machte. Plötzlich liefen ihm Tränen der Freude übers Gesicht, er zog sein Krähenmädchen fest an sich und rief freudig aus:
»Ein Mädchen, natürlich, wir bekommen eine Tochter!« Antarona zog die Augenbrauen hoch und fragte vorsichtig:
»Und ihr seid nicht enttäuscht, dass nicht das Herz eines Sohnes unter dem von Sonnenherz wohnt, Ba - shtie?« Lachend sah er ihr in die Augen, hob sie ein Stücken vom Boden hoch und drehte sich mit ihr im Kreis. Dann setzte er sie wieder auf die Erde und sprach feierlich:
»Meine süße, bezaubernde, freche, wundervolle Frau, wenn mein Töchterchen nur ein wenig so ist, wie du es bist, dann werde ich der glücklichste Vater sein, den diese Welt je gesehen hat!« Damit zog er sie so fest an sich, dass ihr schlicht der Atem weg blieb.
»Baaa - shtie!« keuchte sie. »Ihr erdrückt ja Sonnenherz und eure Tochter! So sehr freut ihr euch?« Verliebt himmelte er sie an.
»Mein Engelchen, ich kann dir gar nicht sagen, wie sehr ich mich freue! Weißt du, ich werde ein Gestell bauen, das man auf ein Pla-ka schnallen kann, dann wird unser Töchterchen vor mir sitzen, und ich werde ihr unser schönes Land zeigen! Das Tal, in dem ich Pla-kas züchten werde, die blaue Bucht von Falméra, die hohen Berge vom Val Mentiér, deinen See, und die endlosen Weiden an den Hängen der Berge...«
Sebastian hörte gar nicht mehr auf zu reden, er träumte einen Traum, der dabei war, sich zur wunderbaren Wirklichkeit zu entwickeln. In den Bildern seines Geistes sah er sich und Antarona auf einem Pla-ka über die große Grasebene jagen, Antarona mit fliegenden, langen Haaren und hinter ihr eine kleine Antarona mit ebensolch wehender Mähne.
Er versank in diesen Bildern, die sein einziges Glück bedeuteten, er lebte sie bereits, fühlte sie schon, und schloss sie hoffnungsvoll in sein Herz.
»Baa - shtie!« Antaronas Stimme drang wie durch die Schleier eines Nebels an sein Ohr und holte ihn aus der Zukunft zurück in die Gegenwart. Nur ungern löste er sich von dem, was sein geistiges Auge erblickt hatte.
»Es werden noch viele Zentaren ins Volossoda ziehen, bevor ihr mit eurer Tochter ausreiten könnt«, stellte sie fürsorglich lächelnd fest, »bis dahin sollten Sonnenherz und Glanzauge dort hinauf reiten, und nach Spuren suchen«, schlug sie vor, indem sie zum Wasserfall hinauf deutete.
Sebastian stimmte zu und sie kehrten zu der Stelle zurück, wo sie die Pla-ka an einen Baum gebunden hatten. Sie schwangen sich auf den Rücken ihrer Tiere und trieben sie zur Eile an. Zunächst ritten sie durch lichten Wald, und als dieser immer dichter wurde, und Laubbäume zu Nadelholz wechselte, teilweise mit Fels durchsetzt, führten sie die Tiere bergauf.
Über Grate und bewaldete Hügel erreichten sie schließlich reichlich verschwitzt eine Felskante. Sie traten aus dem Wald und standen am Abgrund! Das von Natur aus rötliche Gestein fiel an die zweihundert Meter steil in die Tiefe ab und fußte in einem weiten Tal, das Erosion und mächtige Mengen von Wasser in Urzeiten geschaffen haben mussten. Eine tiefe, mindestens einen, oder zwei Kilometer breite Rinne hatte sich in das Land gefräst.
Felstürme, Wände und Klüfte, in verschiedenen geologischen Schichten, durchsetzt von Kanten und Rissen, Vorsprüngen und Simsen, von verwegenen Bäumen, die sich mit ihren Wurzeln an das Gestein klammerten, und von Grasgesellschaften und Moosen, die jede Fläche nutzten, um in der unüberschaubaren Flucht aus Stein zu siedeln.
Auf der gegenüberliegenden Seite begrenzten ebenfalls hohe, zerklüftete Felsen das abgeriegelte Tal. Sebastian vermutete, dass diese Rinne einst das Bett eines riesigen Gletschers gewesen war. Das Tal zog sich unmerklich hinauf, und soweit ihr Auge zu blicken vermochte, waren keine Zugänge, sondern nur zahlreiche Seitentäler erkennbar. Irgendwo in weiter, dunstiger Ferne schimmerte ein Fels- oder Grasplateau.
Der Anblick war überwältigend! Solche Ausmaße und Geländeformen hatte Sebastian auf Falméra nicht vermutet. Bewaldete Hänge zogen vom Fuße der Felsen sanft geneigt herab, trafen sich am tiefsten Punkt des Tales, wo vom Wald verborgen, sich der Bach unter dem Blätterdach durch das Tal schlängelte, ruhig dahin floss, sich irgendwo unter ihnen in den Wasserfall ergoss und den Wassergraben der Himmelsburg speiste.
So riesig und weitläufig war das Tal, dass man gut hätte eine komplette Armee in seinen Wäldern verbergen können. Wer sich dort unten versteckte, brauchte eine Entdeckung nicht zu fürchten. War das auch der Grund für die Lichtsignale?
Der Grand Canyon, von dem Sebastian Bilder gesehen hatte, war sicherlich noch um einiges monumentaler, doch angesichts ihrer Möglichkeiten, stellte dieser Felsabsturz ein ernst zu nehmendes Hindernis dar. Wer auch immer das Leuchtsignal gegeben hatte, musste in stundenlangem, wenn nicht gar in tagelangem Marsch das Tal herab gekommen sein, oder war halsbrecherisch durch die Felsen gestiegen.
»Wie sollen wir denn da hinunter kommen?« fragte Sebastian fassungslos, nachdem sich sein Gemüt von der Weite des Blickes, und seine Lungen vom beschwerlichen Aufstieg erholt hatten.
»Wenn wir die Pla-ka da hinuntertreiben, dann brechen wir uns allesamt die Hälse!«, vermutete er mit einiger Resignation in der Stimme.
Antarona trat staunend an die Felskante, rammte Nantakis in den Boden, und als sie spürte, dass ein leichter Wind über die Höhen wehte, entledigte sie sich ihres Oberteils, schob mit einer Hand den Lederschurz etwas nach unten, griff sich mit der anderen in die langen Haare und genoss die luftige Abkühlung. Sebastian sah ihr dabei zu und in seiner Welt hätte er für ein solches Foto garantiert den Pulitzer Preis gewonnen!
»Mit den Pla-ka jedenfalls nicht, Ba - shtie, wenn ihr zur Burg zurück reiten wollt«, bestätigte sie sein Urteil. »Wir müssen die Tiere hier zurücklassen und hinabklettern, oder...« Sie sprach den letzten Teil ihres Vorschlags nicht aus.
»Oder was?« wollte Sebastian wissen. Er trat neben sie und sah sie von der Seite her an. Antarona deutete mit beiden Händen in die Tiefe hinab und spekulierte:
»Es ist so tief, Ba - shtie, dass es weniger mühevoll sein wird, zurückzureiten, und von der Burg über die Felsen des fallenden Wassers zu gehen!« meinte sie nachdenklich.
»Waas?« entfuhr es ihm mit Entsetzen. »Da müssten wir ja ebenso Kopf und Hals riskieren und durch die Felsen klettern, auf der die Burg steht. Anschließend wären wir gezwungen, durch den reißenden Flutgraben zu schwimmen, und wenn uns das Wasser bis dahin noch nicht an den Felsen zerschmettert hat, dürfen wir noch über die nassen, glitschigen Steinstufen im kalten Sprühnebel des Wasserfalls hinaufklettern. Das sind aber auch gut an die hundert Meter im Fall!« gab er zu bedenken. Schließlich fügte er noch hinzu:
»Und während wir unseren Hals riskieren, kann uns jeder aufmerksame Beobachter, einschließlich Bental, von den Fenstern der Burg aus beobachten, hast du auch daran gedacht?« fragte er ein wenig vorwurfsvoll. Antarona zuckte mit den Schultern und warf ein:
»Nun, ihr erspart euch den langen Weg, Ba - shtie! Doch Sonnenherz sieht nicht mehr den Sinn, dorthin zu gelangen!« offenbarte sie ihm wie ganz nebensächlich. Als Sebastian sie fragend ansah, erklärte sie:
»Von jenem, welcher das Licht gab, werdet ihr kein Haar mehr finden!« Dabei wies sie mit ausholender Geste über die Weite des tief unten liegenden, dicht bewaldeten Tals. Dann mutmaßte sie:
»Sonnenherz und Glanzauge wissen nun zudem, dass ein Angriff auf die Burg und auf Falméra von dieser Seite kaum möglich ist!« Basti wiegte seinen Kopf zur Seite und schränkte laut denkend ein:
»Nicht, wenn sie Katapulte das Tal herabschaffen würden, die das griechische Feuer gegen die Burg verschießen können. Dann würden die uns ganz schön damit beschäftigen, während eine Armada die Bucht, oder Truppen von der Flanke her angreifen könnten.«
»Was ist kadapulde und grischiges Feuer?« fragte Antarona neugierig. Sebastians Blick schweifte zum Horizont des Tals und antwortete gedankenverloren:
»Es ist so etwas, wie dein Bogen, mein Engelchen, nur viele, viele Handfinger mal größer. Damit kann man Feuer über Schluchten schießen, welches man mit Wasser nicht zu löschen vermag. Sag, kennt ihr hier so etwas nicht?«
Antarona bekam große, staunende Augen, über das, was Basti erzählte und schüttelte langsam den Kopf. Von einer derartigen Waffe hatte sie nie etwas gehört. Sebastian, der sich solch ein Szenarium nur in Gedanken zurecht spann konnte, ärgerte sich, so etwas überhaupt erst ausgesprochen zu haben.
Er maßte sich an, Antaronas Welt in eine primitive Ära einzustufen, ohne sie ganz genau zu kennen. Zudem setzte er voraus, dass alles, was das Mittelalter seiner Welt hervorgebracht hatte, in ihrer Welt ebenfalls bekannt war. Wie töricht und einfältig!
»Was soll das für ein Feuer sein, welches Wasser nicht zu löschen vermag, Ba - shtie«, fragte sie, an seinem Verstand zweifelnd.
»Es ist ein großes Feuer aus Tran, welches noch um so heller und mächtiger brennt, wenn man es zu löschen versucht«, erklärte er, »ein weises Volk der Götter wusste einst dieses Feuer zu nutzen. Aber es ist gut, wenn die Menschenwesen nichts davon wissen!«
»Wenn es ein Feuer der Götter ist«, dachte Antarona laut, »so werden es Torbuk und die Oranuti nicht besitzen, denn die Götter sind nicht mit ihnen!«
Er lächelte still. Für Antarona war immer alles so einfach. Und was nicht einfach war, erklärte sie mit dem Willen, oder Wohlwollen der Götter. Sebastian hoffte, dass sie recht behielt.
Inzwischen musste er sich eingestehen, dass es wohl tatsächlich keinen Zweck mehr hatte, sich jener Gefahr auszusetzen, ins Tal hinunter zu gelangen. Das konnten sie immer noch tun, wenn sie einmal mehr Zeit zur Verfügung hatten. Sebastian konnte es nicht riskieren, zu spät zum Talrisfest zu erscheinen, und dadurch den König zu verärgern.
Bevor sie aber den Rückweg antraten, banden sie die Pla-ka am Waldrand an einem Baum an, und ließen sich zur Rast nahe der Felskante nieder. Berauscht von der Weite dieses Landes, die sogar auf der Insel Falméra noch tief beeindruckte, ließ Sebastian seinen Blick schweifen. Dabei dachte er über das Zusammentreffen mit der alten Kräuterhexe nach.
»Sag mal, Antarona, was meinte eigentlich die alte Binerin damit, die Prinzessin der Ival, welche nur in eurem Geiste jene ist?« Das Krähenmädchen sah ihn fragend an.
»Na erinnerst du dich nicht?« versuchte er ihren Gedanken auf die Sprünge zu helfen. »sie sagte deutlich die Prinzessin der Ival, welche nur in eurem Geiste jene ist. Was hat sie damit gemeint? Bist du nun doch nicht die Tochter Bentals, das Kind aus dem Leibe der Asgarinia? Ist Bental nur einem Irrglauben verfallen?«
Antarona sah betreten zu Boden und antwortete nicht. Sie wusste selbst nicht mehr, wer sie war. Sie kannte nur einen Vater, Hedaron, den Holzer! Dann stand sie vor dem König, und plötzlich behauptete dieser, ihr Vater zu sein, und erkannte sie angeblich am Zeichen Talris, das sie seit sie denken konnte, in ihrem Schoß trug. Damit wäre sie Prinzessin von Falméra, aber auch Areos Schwester, jenes Areos, den sie als Ba - shtie - laug - nids so sehr liebte.
Und nun kam eine alte, weise Frau daher und erklärte, sie sei nicht die Prinzessin der Ival. Antarona war völlig verwirrt. Heimlich aber hoffte und betete sie, dass jenes alte Kräuterweib, welches ihr Leben gerettet hatte, die Wahrheit sprach. Sie wollte keine Prinzessin sein! Sie wollte frei sein! Sie wollte Areos, Ba - shtie, einfach nur so lieben dürfen, wie eine Frau den Mann lieben wollte, der mit ihr verbunden war.
Sie trug nun ein kleines Herz unter ihrem Herzen, ein Herz aus der Saat Ba - shties. Und sie wollte ihrer Tochter eine gute Mutter sein, als Antarona Holzer mit Ba - shtie, nicht aber als Prinzessin von Falméra ohne jenen, welcher der Vater ihres Kindes war!
»Antarona, was ist, hast du mich nicht gehört?« hakte Basti nach, als sie nicht antwortete. Mit trotziger Miene sah sie plötzlich auf und sagte gereizt:
»Sonnenherz hat sehr wohl noch gute Ohren, Ba - shtie!« Dann verloren sich ihre Augen in der Weite des Ausblicks. Zwei einzelne Tränen traten aus ihren Augen und liefen ihr über die Wangen. Sebastian war unsicher, wie er reagieren sollte, legte einfach beschützend seinen Arm um seine Frau und zog sie an sich.
»Wer ist Sonnenherz?« fragte sie da. »Ist sie Antarona, die Tochter des Holzers, der ihr ein gütiger Vater war? Oder ist sie eine Tochter aus der Himmelsburg, ein Kind jener, die von den Göttern sind? Ba - shtie, ihr tragt die Zeichen der Götter, sagt Sonnenherz, wer sie ist«, flehte sie ihn an. Sogleich brach ihr Trotz wieder aus ihr heraus und sie fügte unter Tränen hinzu:
»Sonnenherz mag nicht für Areos eine Sklavin der Liebe sein, und seine Saat in sich tragen, wenn ihr verwehrt ist, ihm vor den Augen des Volkes eine gute und liebevolle, eine mit ihm verbundene Frau zu sein! Lieber kostet sie von jenem Trank, welcher das kleine Herz für immer schweigen lässt!«
Sebastian sah sie entsetzt an. Er glaubte nicht recht gehört zu haben. Sie weinte und die plötzlich lastende Stille zerriss beinahe das unsichtbare Band zwischen ihnen. Nein, so nicht! Er packte sie augenblicklich an den Schultern und schüttelte sie heftig.
»Jetzt hör mir einmal gut zu, Antarona Holzer!« sprach er eindringlich und nicht gerade leise. »Denn das bist du für mich! Das kleine freche, liebevolle Krähenmädchen, Antarona, die Tochter des Holzers! Aber du bist für mich auch die Prinzessin der Ival! Jedoch nicht, weil Bental glaubt, du bist seine Tochter, sondern weil du das Volk so sehr liebst, dass du dafür in einen tödlichen, ja sogar aussichtslosen Kampf ziehen würdest!«
Das Krähenmädchen sah zu ihm auf, ihre Tränen tropften ihr auf die Brüste und ließen sie im milchigen Sonnenlicht glänzen.
»Und ich bin nicht Areos und auch nicht dein Bruder«, fuhr Sebastian etwas ruhiger fort, »auch wenn alle dies glauben mögen! Ich bin dein Ba - shtie - laug - nids, welcher an Areos Statt von den Göttern zu euch gesandt wurde, welcher zu dir gekommen ist, um mit dir zu kämpfen und mit dir zu leben! Und du, mein Engelchen, bist nicht meine Sklavin der Liebe, sondern mein Weib, welches mit mir durch die Macht und den Schutz der Elsiren verbunden ist!«
Sebastian machte eine kurze Pause, küsste ihr als Zeichen der innigen Zuneigung und Verbundenheit liebevoll die Tränen von der Haut, legte ihr schützend seine Hand auf den Bauch und sagte dann leise:
»Und das kleine Herz, welches in dir schlägt, wird für alle das unmissverständliche Zeichen sein, dass Antaronas und Basti Lauknitz’ Herzen verbunden bleiben, egal, wer je etwas anderes sagt! Und es ist das wunderbare Geschenk der Götter an unsere Liebe, hast du das verstanden?« Basti holte tief Luft, zog ihren zitternden Leib noch fester an sich und drohte ihr nicht ganz ernsthaft:
»Wenn du also noch einmal so etwas Dummes sagst, und von diesem Trank sprichst, dann werde ich dir deinen süßen Hintern solange versohlen, bis du endlich begreifst, dass nur wir zwei allein entscheiden, was mit unserem Leben geschieht!« Wie um seine Argumente noch zu unterstreichen, setzte er nach:
»Außerdem hast du nicht richtig zugehört! Weißt du nicht mehr, was die Alte noch gesagt hat? Versuche dich zu erinnern! Sie sagte der Erbe Falméras und Volossodas, welcher jener Erbe nicht ist, mag von ihr lernen, denn sie ist im Herzen die Tochter der Ival. Damit meinte sie uns! Sie meinte mich, der nicht wirklich Bentals Sohn ist, und sie meinte dich, welche nur im Herzen, nicht aber von Geburt her die Prinzessin der Ival ist!«
Sebastian wartete auf Antaronas Reaktion. Ihre Tränen verklebten Augen sahen ihn staunend und erleichtert an und ermutigten ihn, die Binerin noch weiter zu zitieren.
»Außerdem sagte sie noch gebt dem Volk der Ival die Hoffnung, mein Kind! Schenkt den Menschenwesen, was unter eurem Herzen wohnt! Antarona, mein Engelchen, sie meinte dich! Sie meinte unsere Tochter! Unser Kind soll ein Geschenk an die Ival, die Hoffnung für das Volk sein! Und das glaube ich auch. Und wir zwei werden dafür sorgen, dass diese Hoffnung nicht stirbt!«
Aufmunternd hob er zärtlich Antaronas Kinn an und sah ihr tief und auffordernd in die Augen. Ihre Blick verschmolzen miteinander, wie sogleich auch ihr Atem. Sebastian schmeckte das Salz ihrer Tränen, spürte die Hingabe, mit der sie ihren Mund auf seinen presste, und verfiel ihren bebenden Lippen, die in einem verlangenden, berauschenden Kuss zum Ausdruck brachten, was tief in ihrem Herzen war.
Später banden sie ihre Pla-ka los und führten sie über die Waldhänge zur Burg zurück. Zwei Menschenwesen, deren Liebe selbst die Bäume zu spüren vermochten. Drei Herzen, die wie eines schlugen!
Erst am späten Nachmittag erreichten sie die Ställe der Himmelsburg, übergaben den Stallmeistern ihre Reittiere und schritten den Weg zum Burghof hinauf. Noch immer waren Träger, Lieferanten und Bedienstete dabei, Körbe mit Lebensmitteln, ganze Wagen mit Stoffen, Möbeln, und Blumen zur Burg hinauf zu schaffen.
Sogar die ersten, ungeduldigen Gäste stellten sich bereits ein. Wohlgekleidete, arrogant daher stolzierende Oranuti schritten langsam zur Burg hinauf, behinderten Fuhrwerke und Handkarren. Wohlhabende und angesehene Bürger der Ival standen in Gruppen herum und sprachen angeregt miteinander, ihre Töchter, in feinste Elsirenkleider gehüllt, neben ihnen.
Die besonders herausgeputzte Ehrengarde der Wache probte vor dem Wachhaus die Aufstellung mit Fanfaren und fliegenden Wimpeln. Entlang der Burgmauer lungerten Gaukler und Spielleute herum, die allmählich von den Bauern und Geschäftsleuten vertrieben wurden, die eine königliche Lizenz besaßen, Stände und Buden aufzubauen, um die vielen Gäste mit Konsumgütern und kulinarischen Genüssen zu versorgen.
Zwischen all diesem aufgeregten und dem Fest entgegenfiebernden Volk bahnten sich Antarona und Sebastian den Weg zur Burg hinauf, von den fein ausstaffierten Oranuti- Familien kritisch und mit Abscheu beobachtet. Für sie war Antarona eine dreckige, heruntergekommene Sklavin, die sich ein Heerlagerführer irgendwo aus den Wäldern des Nordens mitgebracht hatte, um sich mit ihr die einsamen Nächte zu versüßen.
Sebastian spürte die Blick, die auf Antaronas nackter Haut lagen und sie schmerzten ihn. Jedes geringschätzige Mustern, jeder verstohlene Blick, jedes heimliche Flüstern und Lästern stach in sein Herz, als traf ihn selbst die Verachtung dieser Menschen wie ein Feuerpfeil.
Antarona hingegen schien das alles nicht zu berühren. Stolz, mit aufrechtem, sicherem Gang, den Kopf unnachgiebig und trotzig erhoben, schritt sie mit der Würde einer wahren Prinzessin durch den Staub der Straße. Bis zu jener Stelle, wo sich der breite Weg zum unteren Burghof zwischen einem Treppenturm und dem Haus des Nachtwächters auf nur zwölf Meter verengte.
Zwei Oranuti in den Roben der Abgeordneten spazierten vor ihnen her, quälend langsam, mit ihren Frauen, Söhnen und Töchtern die Straße hinauf. Angeregt unterhielten sie sich dabei, blieben zuweilen sogar kurz stehen und blockierten die gesamte Zufahrt, ohne sich darum zu scheren, dass die Fuhrleute und anderen Gäste warten mussten.
Antarona, die vor Sebastian ging, versuchte sich durch eine Lücke zwischen ihnen hindurch zu drängen, als ein wohl genährtes Mädchen in einem züchtigen Elsirenkostüm einen unbedachten Schritt zur Seite machte, und sie versehentlich anstieß.
Wie ein aus der Bahn geworfener Komet strauchelte Antarona, stolperte über den bis zum Boden reichenden Rocksaum des Mädchens, der sich dehnte und zog, bis die Spitze Nantakis ihn von seiner Spannung befreite. Antarona fiel auf die Knie und mit einem hässlichen rratsch durchtrennte ihr Schwert den dünnen Stoff.
Noch ehe Antarona sich wieder erheben konnte, und bevor Sebastian heran war, begann das Mädchen vor Schreck aufzuschreien. Sofort stellten sich zwei Männer der Sippe schützend vor sie und der Rest umringte die bewaffnete, unzüchtig und schmutzig gekleidete Wilde, die gerade wieder auf die Beine springen wollte.
Ein gezielt seitlich ausholender Fuß traf schmerzhaft ihre Beine und sie stürzte gänzlich in den Staub. Noch im Fall hielt Antarona Nantakis kampfbereit in der Hand. Doch es nützte ihr nicht viel, denn ein anderer Fuß, der einem dicken, festlich gekleideten Oranuti gehörte, trat zeitgleich auf ihr Handgelenk und drückte es mit seinem vollen Gewicht in den Dreck der Straße.
»Welcher wagt es, dieser dreckigen Ve-ni-tries eine Waffe in die Hand zu geben, und sie frei laufen zu lassen?« rief er aufgebracht und provozierend in die Runde der sich zusammenrottenden Schaulustigen.
Sebastian bahnte sich einen Weg durch die zusammenlaufenden Menschen und hatte Antarona fast erreicht, als ihr nackter Fuß blitzschnell und hart den Schritt des Oranuti traf. Der verdrehte vor Schmerz die Augen, krümmte sich, beugte sich schnaufend herunter, seinen Fuß noch immer auf Antaronas Handgelenk.
Ein plötzlicher Ruck lief durch den Körper des Krähenmädchens, sie bog den Rücken durch, ihre nackten, biegsamen Beine schnellten nach oben, umklammerten den dicken Hals des Oranuti und zogen ihn urplötzlich nach unten, so dass er sich beinahe überschlug und seitlich hart auf den Rücken fiel.
Die Schaulustigen schrieen erschrocken auf und keine Sekunde später sprang Antarona mit akrobatischem Satz auf und stand wieder auf dem Boden. Die Spitze ihres Schwertes zeigte unmissverständlich auf das Herz des Oranuti und mit der blitzenden Klinge ihres Dolches hielt sie die Umstehenden in Schach.
»Wer seid ihr, aufgeblasener, dicker Mann, dass ihr es wagt, Sonnenherz eine Ve-ni-tries zu nennen?« fauchte sie ihn bedrohlich an. Inzwischen versuchten sich zwei jüngere Oranuti unmerklich in eine bessere Position zu bringen, wichen ein winziges Stückchen in Antaronas Rücken. Doch sie sah in ihre Gedanken und zischte warnend:
»Wagt es besser nicht, wenn ihr das Fest Talris noch erleben wollt!« Sie unterstrich ihre Worte mit einer kleinen Geste ihres Dolches. Augenblicklich erstarrten die Körper der beiden jungen Männer, in denen man ohne große Phantasie die Söhne des Dicken erkennen konnte.
Im Kreis der Schaulustigen, zu dem immer noch mehr Neugierige strömten, wurde es plötzlich totenstill. Antarona stand wie eingefroren über dem Oranuti, und die Spitze Nantakis schwebte drohen und wie erstarrt über seiner Brust. Sebastian trat mit gezogenem Schwert hinzu und die Zuschauer erwateten wohl einen spektakulären Kampf zwischen dem Heerführer und seiner Sklavin. Sebastian blickte Antarona an und sagte leise, aber eindringlich, um die Lage zu entschärfen:
»Du kannst deine Waffen herunternehmen, er wird keine Schwierigkeiten mehr machen, nicht wahr?« Bei seinen letzten Worten wurde er lauter und sah den am Boden liegenden, schwer atmenden Oranuti scharf an. Dieser nickte ängstlich und seine Augen wanderten hilfesuchend umher. Antarona aber rührte sich keinen Millimeter. Sebastian sah nun wieder sein Krähenmädchen an und forderte sie deutlich hörbar auf:
»Bitte, tue es!« Antaronas Körper entspannte sich allmählich und langsam, beinahe skeptisch darüber, ob Sebastian die Sache unter Kontrolle hatte, ließ sie Nantakis und den Dolch sinken. Die beiden Oranuti- Söhne, die sich festlich herausgeputzt hatten wie Pfauen, sahen wohl ihre Chance gekommen. Ihre Hände wanderten verstohlen unter ihre Röcke. Doch Sebastian hatte damit gerechnet, und unverhofft schwebte seine Klinge am Hals des dicken Vaters.
»Erklärt diesen beiden Heißspornen mit den Gauklerjacken dort drüben, dass ihr in das Reich der Toten wandert, wenn sie auch nur eine einzige falsche Bewegung machen!« drohte er dem Oranuti offen. Der blickte gehetzt und verängstigt zu seinen Söhnen hinüber und rief verzweifelt:
»Macht doch keine Dummheiten, Jungs, tut gefälligst, was der Heerführer sagt, los, geht zu den Frauen hinüber, wo er euch sehen kann!«
Langsam, mit lauerndem Blick in den Augen, stahlen sich die beiden in die Gesellschaft Mütter und Schwestern. Inzwischen erkannten auch die Umstehenden, dass sie es mit Areos, dem Sohn des Königs zu tun hatten und traten respektvoll ein par Schritte zurück, ohne jedoch die Szenerie aus den Augen zu lassen.
»Ihr könnt jetzt aufstehen, Herr. Schön langsam, wenn ich bitten darf«, forderte Sebastian den Oranuti betont freundlich auf. Irgendwie zauberte er ein gezwungenes Lächeln auf sein Gesicht, mehr zur Beruhigung der Umstehenden, als aus Überzeugung.
Der Oranuti rappelte sich hoch, schlug sich den Staub aus dem Balg, musterte Sebastian vorwurfsvoll, wies dann mit der Hand zu Antarona hinüber und wollte sich beschweren.
»Hört, großer Heerführer, dieses.., diese...« Offenbar suchte er nach einer passenden Bezeichnung für Antarona, ohne noch einmal Sebastians Unmut auf sich zu ziehen.
»Ve-ni-tries? War es das, was ihr sagen wolltet, Oranuti?« unterbrach ihn Basti scharf und ging einen Schritt auf den verunsicherten Mann zu. Der versuchte noch einmal von vorn zu beginnen:
»Hört, Herr...« Doch Sebastian unterbrach ihn erneut, machte noch einen Schritt auf ihn zu und sprach so laut, dass die Zuschauer ihn gerade eben noch hören konnten:
»Nein, ihr werdet mir zuhören! Ich weiß nicht, was geschehen ist, das euren Ärger, ob nun berechtigt, oder nicht, heraufbeschworen hat. Und solltet ihr zu recht Anlass zur Klage haben, so werden wir euch angemessen entschädigen und uns entschuldigen, darauf habt ihr mein Wort als Areos von Falméra!«
Der feiste Oranuti wurde von einem Augenblick auf den anderen leichenblass. Offenbar begriff er nun erst, dass er den Sohn seines mächtigen Gastgebers vor sich hatte.
»Doch fällt euch noch einmal ein«, fuhr Sebastian fort, »Sonneherz, welche mit mir verbunden ist, eine Ve-ni-tries zu nennen, oder einer eurer Söhne kommt auf den glorreichen Einfall sie anzugreifen, so werde ich euch den Leib aufschlitzen, und ihn von der höchsten Zinne unserer Burg werfen! Habt ihr das verstanden?«
»Ja, Herr«, antwortete der Mann eingeschüchtert, »euer Diener ist untröstlich, Herr, es wird nicht wieder geschehen, Herr, ich hoffe ihr mögt dem unwürdigen Gast eures Vaters, König Bental diesen unglücklichen Irrtum verzeihen!«
Sebastian nickte ihm zu, doch er glaubte ihm die plötzlich zur Schau getragene Unterwürfigkeit nicht eine Sekunde lang. Inzwischen hatten auch die Wachen mitbekommen, dass etwas im Gange war, marschierten demonstrativ auf und teilten den dichten Kreis der Zuschauer.
Genrath, Führer der Torwache, bahnte sich einen Weg durch die Schaulustigen, gefolgt von einem Trupp seiner Männer.
»Was, bei den Göttern ist das hier für ein Aufstand? Los, macht Platz, auf der Stelle, oder ich lasse euch allesamt einkerkern und bei Wasser und Brot im Verlies...« Er stockte, als er Antarona und Sebastian erkannte, sah sich verwirrt um und verbeugte sich tief.
»Verzeiht Herr, ich dachte nur...« Sebastian ging ihm entgegen, legte ihm beruhigend die Hand auf die seine, die bereits den Griff seines Schwertes umklammert hielt.
»Es war nur ein kleines Missverständnis, es ist schon gut, Genrath! Aber da ihr gerade zur Stelle seid, könnt ihr den beiden jungen Recken dort gleich die Waffen abnehmen und solange verwahren, bis sie das Fest wieder verlassen!« wies er seinen Wachführer an und deutete auf die beiden Jünglinge, die Antarona in den Rücken fallen wollten. »Schließlich kommen sie ja zum Tanz, und nicht zu einem Gefecht, denke ich«, fügte er noch erklärend hinzu.
Genrath machte nur eine Kopfbewegung und seine Wachen setzten sich in Bewegung. Die beiden jungen Männer jedoch wichen zurück, versuchten sich wegzudrehen und es stand ihnen mehr als deutlich ins Gesicht geschrieben, dass sie keineswegs bereit waren, ihre verborgenen Dolche herauszugeben. Ihr Vater aber, mittlerweile geläutert, herrschte sie zähneknirschend an:
»Wollt ihr wohl der Wache Folge leisten, ihr dummen, unnützen Kerle, ihr bekommt sie ja wieder, nicht wahr?« Die versteckte Frage richtete er an den vermeintlichen Areos. Sebastian nickte zustimmend und sagte:
»Wenn ihr geht, bekommt ihr eure Waffen zurück! Meldet euch dann bei der Torwache!« Widerwillig ließen sich die beiden Söhne ihre Dolche abnehmen.
Insgeheim fragte sich Sebastian, wie viele Oranuti noch bis an die Zähne bewaffnet zum Fest erscheinen mochten. Es waren ihrer so viele eingeladen, dass sie schon eine ernsthafte Bedrohung darstellen konnten, sollte ein ähnlicher Zwischenfall eskalieren.
»Genrath«, sprach Sebastian für alle umstehenden deutlich hörbar, »ich nehme an, ihr denkt daran, jeden unserer ehrenwerten Gäste zu bitten, euch seine Waffen für die Dauer seines Aufenthaltes auf der Burg auszuhändigen? Es soll ein Fest der Freude werden, und wir wollen doch nicht, dass jemand ganz aus Versehen verletzt wird, nicht wahr?«
Die neue Anweisung, allen Gästen die Waffen abzunehmen, verbreitete sich wie ein Lauffeuer und rief die unterschiedlichsten Reaktionen hervor. Während die Ival zumeist freiwillig ihre Schwerter und Dolche auf den Tisch vor dem Wachhaus legten, gaben die Oranuti ihre Waffen nur unter leisem Protest heraus.
Doch Genrath und seine Männer erwiesen sich als zuverlässig. Kein Gast, oder Lieferant, kein Bediensteter, kein Knecht und keine Magd betraten den inneren Burghof, ohne durchsucht worden zu sein.
Zufrieden mit seiner Entscheidung brachte Sebastian seine geliebte Frau in ihre Gemächer. Er war unheimlich stolz auf sie. Auch ohne sein Eingreifen wäre sie mit der Situation fertig geworden, davon war er mehr als überzeugt. Doch auf eine Entgleisung der Situation, die möglicherweise noch einen, oder mehr Verletzte gefordert hätte, wäre Bental sicher nicht gut zu sprechen gewesen, zumal er, Sebastian und Bentals Tochter daran beteiligt waren.
»Ihr hättet Sonnenherz ihn aufspießen lassen sollen!« erregte sich Antarona laut, sobald die Tür zum Treppenturm hinter ihnen zugefallen war. »Samt seiner Brut hätte sie ihn in das Reich der Toten geschickt!« wütete sie vor sich hin. Sie war emotional aufgeladen, wie nie.
»Ich weiß« bestätigte Sebastian, »das hättest du gewiss. Und dann?« Er ließ die Frage bewusst offen im Raum stehen.
Antarona funkelte ihn gefährlich an, so, wie sie es tat, wenn sie auf ihn losgehen wollte. Aber sie hatte sich in der Gewalt und wurde zusehens ruhiger. Sebastian wartete noch einen Moment, bevor er sprach:
»Du hättest sie sicher alle besiegt, auch jene, welche noch dazu gekommen wären. Und dann hätten wir einen plötzlichen Krieg mitten in Falméra gehabt, der wie vielen Ival und Oranuti gleichermaßen das Leben gekostet hätte? Einmal zwei Handfinger? Oder zehn Mal? Oder noch mehr?« Er sah sein Krähenmädchen forschend an, und sie blickte beschämt zu Boden.
»Das bist du nicht, Antarona«, stellte er fest, »du bist keine Mörderin, welche ohne die Sinne zu bemühen, tötet! Nicht einmal dann, wenn du so behandelt wirst, wie vorhin. Und darum bin ich stolz auf dich, darum liebe ich dich, und darum bist du die wahre Prinzessin des Volkes!«
Sebastian ignorierte ihren immer noch düsteren Blick, küsste sie sanft auf ihren schmollenden Mund und wandte sich schon zum Gehen, denn die Zeit drängte. Doch dann hielt er inne, drehte sich noch einmal um, und kam zu ihr zurück. Er packte sie bei den Schultern, riss sie an sich und küsste sie so verlangend leidenschaftlich, bis sie in seinen Armen dahin schmolz. Atemlos sah er sie an und sagte beinahe feierlich:
»Weißt du mein Engelchen, ich finde dich einfach süß, wenn du so richtig wütend bist!« Damit ging er hinaus und es zerriss ihm fast das Herz, weil er ohne sie auf das wichtigste und schönste Fest der Ival gehen musste.
     
  Wichtiger Hinweis: Die Texte des Autors Frank Adlung, insbesondere die des Romans "Das Geheimnis von Val Mentiér", sind durch notarielle Hinterlegung urheberrechtlich geschützt. Ein Herunterladen und Ausdrucken ist nur für den privaten Zweck des Lesens gestattet. Kommerzielle Nutzung, öffentlicher Vortrag, oder Vervielfältigung und Verfälschung des Inhalts, sowie öffentliche Verbreitung ohne Genehmigung des Autors sind untersagt und werden zur Anzeige gebracht.
 
 
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