Das Geheimnis von Val Mentiér
 
24. Kapitel
 
Verbotene Liebe
 
ebastian schlug die Augen auf, kniff sie jedoch gleich wieder zusammen, als er von grellem Tageslicht geblendet wurde. Die Sonne hatte ihren Lauf gerade erst begonnen und ließ ihre Strahlen beinahe waagerecht durch die hohen Fenster in das Schlafzimmer fallen.
Die schweren Vorhänge vor die Fenster zu ziehen, daran hatte er in der Nacht nicht mehr gedacht. Missmutig zog sich Sebastian ein Fell über den Kopf, um das intensive Licht abzuschirmen. Dass die Haare des Pelzes in seiner Nase kitzelten, nahm er billigend in Kauf. Er hatte mit der Versunkenheit eines Toten geschlafen und den Sonnenaufgang glatt verpennt.
Wann ging in diesem Land eigentlich die Sonne auf? Im Winter wohl später, als im Sommer, das musste auch in dieser Welt so sein. Doch sicher war er sich dessen nicht. Er hatte das Gefühl, gerade mal eine Stunde geschlafen zu haben. Wenn er nun einfach liegen blieb? Würde man ihn dann mit Gewalt aus dem Bett werfen? Kamen dann Frethnal, oder gar Hekthur mit einem Eimer kalten Wassers in das Zimmer gestürmt, um ihn seinen Träumen zu entreißen?
Eigentlich war es nicht die Müdigkeit, auch nicht das Sonnenlicht, die ihm den Elan nahmen, das Bett zu verlassen. Es war Angst! Jene Angst, der er schon immer erlegen war, seine Abscheu davor, sich Neuem und Unerwartetem zu stellen.
Sebastian Lauknitz wusste stets zu handeln, wenn er sich einer überraschenden Situation gegenüber sah, doch ahnte er bereits im Voraus etwas Unangenehmen, das auf ihn zu kam, so war er nur allzu gerne bereit, sich dem zu entziehen. Mochte der König mit all seinen Plänen, die er für ihn und Antarona hatte, so lange warten, bis sein Sohn ausgeschlafen hatte! Das angekündigte Fest lief deshalb sicher nicht davon.
Dabei war es einfach nur die Ungewissheit und die Angst vor dem Unbekannten, die ihn so tief unter die Felle kriechen ließ, dass er glaubte, niemand könnte ihn je wieder darunter hervorziehen. Die Angst, nicht zu wissen, was ihn erwartete, wie er sich richtig verhalten sollte, auch die Angst davor, Antarona wieder zu sehen und gleichzeitig doch zu verlieren, lähmte.
Antarona... Sie allein war doch überhaupt der Grund, warum er sich immer noch in diesem Land aufhielt! Antarona... Ihretwegen war er so tollkühn gewesen, sich in die Politik eines fremden Landes einzumischen, sie hatte ihm die Kraft und den Auftrieb gegeben, zum ersten Mal in seinem Leben etwas wirklich Großes anzupacken!
Antarona... Bei dem Gedanken an dieses Wesen, dass ihm hoffnungslos den Kopf verdreht hatte, spürte er plötzlich eine Rastlosigkeit, die mit seiner Verstecken- Taktik nur noch wenig zu tun hatte. Die Angst sie zu verlieren, war stärker, als die Furcht vor den unbekannten Erwartungen und Entscheidungen König Bentals.
Antarona... Ihr Bild vor seinen Augen trieb Sebastian schließlich von seinem Schlaflager hoch. Mit der Sehnsucht nach ihr, die mit einem Gefühl der Leere schmerzhaft seinen Bauch zusammenzog, schlich er verschlafen zum Fenster.
Jeder der beiden Fensterflügel war in zwanzig mal dreißig Zentimeter große Segmente unterteilt. Handgroße Glasscherben saßen in Blei gefasst nebeneinander und untereinander und ein schwerer Riegel hielt die Flügel fest am Mittelholz. Sebastian brauchte eine Weile um die überraschend einfache Technik des Riegels zu begreifen und das Fenster zu öffnen.
Sofort strömte ihm eine milde, frische Luft entgegen, die im Gegensatz zum Vortag wie gewaschen schien. Die Sonnenstrahlen auf seiner Haut, sowie die angenehme, vertraut wirkende, morgendliche Frische, begleitet von sommerlichen Düften der Natur, belebten seinen Geist.
Zwei Greifvögel kreisten friedlich hoch über der Schlucht des Umflutgrabens, zogen ihre Bahn über die bewaldeten Gipfel und Felsfluchten, dann wieder über die Burg, so dass ihr Schatten an Sebastians Fenster vorüber huschte.
Er beugte sich gewagt weit über das Sims des Fensters und versuchte an der Fassade nach oben zu blicken. Doch es war nicht festzustellen, ob in Antaronas Geschoss ebenfalls ein Fenster geöffnet war. Die Flügel schwangen nach innen auf!
Wieder fielen Sebastian die beiden Türmchen im Zimmer mit dem großen Balkon ein. Sie versprachen ihm den einzigen Weg in das obere Geschoss. Was er dort, im Zimmer darüber finden würde, war ungewiss, doch er gelangte dann wenigstens in die Etage, in der sich Antarona befand.
Mit der Zuversicht des neuen Tages und mit neuer Entscheidungskraft schloss er das Fenster wieder und ging durch die Räume bis in das Zimmer, das ihm den Weg nach oben verhieß. Er sah sich die beiden Turmtüren noch einmal an und stellte fest, dass sie im Licht des Tages viel von ihrer Unüberwindlichkeit einbüßten.
Selbst der grobe, massive Beschlag war nicht für die Ewigkeit gemacht. Darunter war nur Holz! Mit einiger Mühe war er bald rings herum ausgekratzt. Das eigentliche Problem bestand darin, eine solch heimliche Aktivität vor allzu neugierigen Augen zu verbergen. Wenn er davon ausging, dass in Antaronas Stockwerk ebensolche Türen den Zugang zu den Türmen versperrte, musste er mit einem doppelten Arbeitsaufwand rechnen.
Und er musste Antarona irgendwie von seinem Vorhaben unterrichten, damit sie die nötigen Maßnahmen traf, ihrerseits die Spuren ihrer geheimen Aktivitäten zu beseitigen. Gelegenheit dazu bot sich bereits an diesem Abend. Sie mussten zwar vorsichtig sein, denn Bentals Augen würden sie kaum für lange Zeit unbeobachtet lassen, doch ein unbeobachteter Moment ergab sich gewiss!
Während Sebastian darüber nachdachte, kam ihm eine Idee. Es war ihm nicht ganz wohl dabei, doch er würde zwangsläufig Frethnal für seine Zwecke einspannen müssen. Vor allem war es wichtig, sich dessen Vertrauens sicher zu sein!
Mit einer fertigen List in seinem Kopf fiel es ihm nicht mehr schwer, den Tag zu beginnen. Er nahm sich vor, sich augenblicklich für das bevorstehende Fest vorzubereiten, bevor ihm Frethnal und Hekthur in die Quere kamen. Was er zunächst brauchte, war Schreibzeug!
Er erinnerte sich, durch zwei Zimmer gekommen zu sein, in denen schwere Schreibtische, oder Sekretäre standen. Hatte sie Frethnal nicht mit Arbeitszimmer bezeichnet? Sebastian huschte zurück, ein, zwei, drei Zimmer. Da! Dort, im vierten Raum standen die hölzernen Ungetüme, die in seiner Welt allenfalls im Büro eines Rechtsanwalts oder Notars Verwendung gefunden hätten.
Hektisch durchstöberte Sebastian die Schubladen, bis er gefunden, was er gesucht hatte. Ein grobes Pergament, einen einfachen Federkiel und schließlich ein kleines Fässchen aus Blech, das Tinte enthielt, all das entzauberte er den Einschüben.
Dann schrieb er in seinem unbeholfenen und an Wortschatz noch armen Ival: Mein Fenster unter dir Fenster zwei Turm Hütte steigen Tor geschlossen. Sebastian war klar, dass Antarona all ihre Phantasie aufbringen musste, um daraus einen Sinn zu enträtseln. Doch diese Worte waren in geschriebener Form die einzigen, die ihm seit ihrem Unterricht noch halbwegs geläufig waren.
Außerdem war die Botschaft für jene, welche den Zettel möglicherweise unberechtigt in die Finger bekamen, noch viel weniger zu entschlüsseln. Sebastian wollte Antarona die Nachricht ausschließlich in dem Fall zustecken, wenn er keine Chance sah, mit ihr zu sprechen.
Gewissenhaft verstaute der die Schreibutensilien wieder im Sekretär, faltete das Papier klein zusammen und verbarg es in seinem Hosenbund. Dann begab er sich in das einfache, aber geräumige Bad. Das Wasser in den Krügen war frisch und er hielt es nicht für ausgeschlossen, dass Frethnal es schon zu nächtlicher Morgenstunde herauf geschafft hatte.
Einfache, naturweiße, aber leider ziemlich grobmaschige Tücher aus Baumwolle lagen sauber zusammengelegt auf einer Kommode. Sie dufteten nach Lavendel und Sebastian ahnte, dass diese Pflanze überall dort, wo in diesem Land viele Menschen zusammen kamen, ultimativ für Wohlgeruch sorgte. Wenigstens etwas Vertrautes aus seiner Welt!
Sebastian hatte seine Morgentoilette gerade beendet, als es zaghaft an der rückwärtigen Tür klopfte. Insgeheim hoffte er, Antarona hätte den Weg zu ihm gefunden und hob erwartungsvoll den Türriegel. Enttäuschung machte sich auf seinem Gesicht breit. Wenn er Frethnal doch sehr schätzte, seine geliebte Frau wäre ihm hundert Mal lieber gewesen.
»Habt ihr einen Wunsch, Herr.., begehrt ihr irgend welcher Dinge, Herr?« Diensteifrig und übertrieben zuvorkommend lugte er in die Krüge auf dem Boden, um festzustellen, welche er wieder auffüllen musste.
»Nein, Frethnal.., eigentlich komme ich bis jetzt ganz gut klar«, versicherte ihm Basti, »aber da ihr schon mal da seid... Ich will euch etwas zeigen.«
Damit ging Sebastian seinem Diener voran in das Zimmer der zwei Türmchen. Mit gespielter Verzweiflung präsentierte er Frethnal die beiden rohen Holztüren in den runden Wänden.
»Seht ihr das.., guter Frethnal.., ja, seht ihr das?« Der Angesprochene glotzte ahnungslos abwechselnd beide Türen an und zuckte mit den Schultern.
»Frethnal versteht nicht ganz, was ihr meint, Herr. Es sind Türen, Herr.., ganz gewöhnliche Türen, wie es sie viele in der Burg gibt.«
»Aber eben das ist es ja...«, bestätigte Sebastian, »...es sind ganz gewöhnliche, Türen.., klobige, hässliche Türen, die das ganze Zimmer verschandeln! Wie soll ich die Aussicht auf die Berge genießen, wie soll ich in diesem Raum Ruhe finden, wenn mich ständig diese groben, ungehobelten Türen dort anstarren.., na, wie? Erklärt es mir!«
Frethnal stand dermaßen verdattert vor ihm, dass er sich zwingen musste, ihn angesichts seiner Fassungslosigkeit nicht lauthals auszulachen. Sebastian trieb das Spielchen gnadenlos weiter.
»Frethnal.., versteht ihr es denn nicht? Das hier ist nicht schön!« Damit schritt Sebastian zur rechten Tür hinüber und schlug mit der flachen Hand so heftig gegen das Holz, dass sein Diener ängstlich zusammenzuckte.
»Das ist so hässlich.., es zerstört den ganzen Stil des Zimmers.., begreift ihr jetzt?« Sebastian blickte den Ärmsten vorwurfsvoll an. Der nickte mit skeptischem Blick und wiederholte langsam zweifelnd Sebastians Worte als Frage:
»Es zerstört den.., Stil..?« Sebastian ging zu ihm zurück, packte ihn entschlossen an den Schultern und schob ihn vor eine der Türen.
»Seht ihr es denn nicht selbst, Frethnal.., das kann so nicht bleiben, es ist unmöglich.., es ist eine Katastrophe!« Sebastian war stolz auf sein schauspielerisches Talent und plötzlich machte ihm die Sache einen Heidenspaß.
»Ka-ta-stro-fe...«, stammelte Frethnal, inzwischen völlig verunsichert und starrte seinen Herrn an, als hätte dieser ein leuchtend grünes Gesicht bekommen. Nun hatte er ihn soweit!
»Es ist ein Unglück.., Frethnal, ein Unglück.., das muss weg, habt ihr verstanden? Diese Türen da müssen weg, sorgt dafür!« Der völlig überforderte Frethnal hob beschwichtigend und verzweifelt zugleich die Hände.
»Aber es sind die Türen zu den Treppen, Herr.., die kann man nicht einfach weg machen!« versuchte er mit hilflosem Gesicht zu vermitteln. Sebastian stellte sich dumm und zog eine übertrieben erstaunte Miene auf.
»Ach ja.., das ist wahr! Da mögt ihr Recht haben.., man kann sie ja nicht einfach zumauern, was?« fragte Sebastian gewitzt.
»Nein Herr, aber, wenn ihr erlaubt...«, bemühte sich Frethnal seinen Herrn zufrieden zu stellen, »...vielleicht ist es möglich, etwas davor zu hängen.., ein Wandtuch.., ein Bild...«
»Ein Wandtuch.., bei den Göttern!« Sebastian zeigte seinem Diener eine überraschte Begeisterung. »Das ist es! Frethnal, ich wusste es.., ihr seid der klügste Diener, den ich jemals das Glück hatte, an meiner Seite zu haben! Ein Wandtuch! Genau das ist es, was dorthin passt. Ich nehme an, diese Türme benutzt sowieso niemand, da werden die Türen kein großer Verlust sein, meint ihr nicht auch? Also veranlasst das so schnell wie möglich, ja?«
Frethnals Brust wölbte sich vor Stolz und Sebastian klopfte ihm anerkennend auf die Schulter. Und als wäre ihm noch ein guter Einfall gekommen, schlug er wie nebenbei vor:
»Und wenn ihr schon mal dabei seid, mein Guter, dann überlegt mal, ob nicht ein Stockwerk höher ebensolche Türen den Raum verunstalten. Lasst einfach dort oben auch solche Wandtücher aufhängen, was haltet ihr davon? Der König war ja gestern etwas ungehalten darüber, dass ihr mich so spät an die Tafel brachtet... Nun, wenn ich ihm von eurem Einfallsreichtum berichte, wird er euch ganz sicher in einem viel besseren Licht sehen!«
Das zog! Frethnal lief rot an, verbeugte sich beinahe bis zu den Dielen vor Sebastian und säuselte überglücklich:
»Seid vielmals bedankt, Herr.., das ist zuviel eurer Güte, Herr.., Frethnal wird sich sofort um alles kümmern, seid versichert!«
»Ach ja... Da wäre noch etwas, Frethnal«, Sebastian zwinkerte ihm wie einem Verbündeten zu, »bis zum Fest ist es noch lange Zeit.., möglicherweise gelingt es euch ja, inzwischen einen kleinen Bissen für mich aufzutreiben, wenn es keine besondere Mühe macht...«
»Natürlich, Herr.., ja, Frethnal dachte sich bereits, dass ihr hungrig seid, Herr.., ich werde etwas aus der Küche holen, sofort!« Damit hastete er aus der Tür zum Flur und seine eiligen Schritte verhallten im Korridor.
Angesichts seiner gelungenen List musste Sebastian grinsen. Wenn die Turmtüren ganz offiziell verhängt wurden, kam sicher niemand mehr auf den Gedanken, sie regelmäßig in Augenschein zu nehmen! Zunächst aber galt es, sich auf das bevorstehende Fest zu konzentrieren, auf das der König so viel Wert legte.
Voll neuer Hoffnung wanderte Sebastian durch die Zimmer seines neuen Zuhause, stöberte hier herum, nahm dies in Augenschein, untersuchte den Wandbespann aus Stoff, ob dahinter nicht eine geheime Tür zu entdecken war und hielt sich schließlich im Kartenraum neben der Bibliothek auf.
Zusammengerollt lagerten in diesem Zimmer eine Unmenge Land- und Seekarten, wie es aussah, allesamt von Hand gezeichnet. Dabei waren offensichtlich sowohl gebrauchte, in die mit Tinte hinein geschrieben, oder skizziert wurde, als auch neue. Sebastian vermutete, das sie dem echten Areos bei der Planung von Feldzügen und Verteidigungsmaßnahmen dienten.
Vergeblich aber suchte er nach einem Plan der Burg. Vermutlich lagen die Entwürfe und Baupläne dieser Gemäuer ausschließlich in den Gemächern des Königs. Sebastian beließ es vorerst dabei, sich anhand der Karten mit den geografischen Gegebenheiten dieses Landes vertraut zu machen. Alles andere mochte später noch interessant werden.
Zwischendurch brachte ihm Frethnal ein Frühstück, das er in einem Hotel wohl weniger reichhaltig bekommen hätte. Das waren wohl die Vorzüge, wenn man der Sohn des Königs war. Gierig schlang er die gebratene Wafankeule hinunter, griff beherzt nach den Pfannkuchen ähnlichen Gebäckstücken und verschmähte auch einen knüppelharten Käse nicht...

Antarona sah durch Tränen hindurch in Sebastians Gesicht und wollte zum Abschied in seine Arme sinken, doch schon trat ihr Bental in den Weg und drängte ihn, den er zu seinem Sohn machte, von ihr fort. Hekthur war augenblicklich zur Stelle, ergriff vorsichtig ihren Arm und schob sie in unmissverständlicher Geste zur Tür, wo sie von Medunzia erwartet wurde.
Die Dienerin, welche eher in das Gewand eines Stallknechts gepasst hätte, forderte sie stumm auf, ihr zu folgen. Die stechenden Augen ließen keine Spekulation darüber aufkommen, was geschehen konnte, hätte sie sich geweigert, dieser Matrone zu folgen.
Sie hasste all diese Menschenwesen auf dieser Burg; sie hasste Bental, auch wenn er überraschend ihr leiblicher Vater sein sollte; sie ekelte sich vor Hekthur, der sie mit seinen kalten, kraftlosen Fingern berührte, wie der Tod selbst und sie hegte einen abgrundtiefen Hass gegen Medunzia, allein schon wegen der Art, wie sie Vesgarina behandelte.
Provokativ langsam folgte Antarona der dominanten Frau mit dem Blick aus Stein. Ihre Augen förderten plötzlich anstelle von Tränen ein gefährliches Blitzen zu Tage. Ihre Trauer, ihre Enttäuschung und all diese Erniedrigungen, die sie in den letzten Stunden erfahren hatte, schlugen mit einem Mal in ungezügelten Hass und blanke Wut um. Aus den Augenwinkeln beobachtete sie ihre Bewacherin, die selbstgefällig, wie eine fette Spinne neben ihr her stolzierte. Allein schon dieser Gang...
Antarona spannte jede Faser ihres Körpers, bereit, dieser Kreatur ins Gesicht zu springen, sollte sie sich auch nur die geringste Entgleisung ihr gegenüber leisten. Natürlich hoffte sie, dass sie es tat! Wie sie dieses Weib hasste! Die stampfenden Beine unter dem riesigen Rock, die einem mächtigen Säulenportal glichen. Ihr hoch geschnürter Busen, welcher dem aufgeblähten Leib eines Wafans ähnelte. Der schwammige Kürbis von einem Kopf, der keinen Hals besaß und wie abgeschlagen und wieder aufgesteckt auf ihrem massigen Vorbau ruhte...
Irgend etwas reizte Antarona, diese Dienerin herauszufordern, sie dahin zu bringen, einen entscheidenden Fehler zu machen, ihr Anlass zu geben, ihr an die fette Kehle zu fahren. Natürlich war sie sich darüber im klaren, dass sie ihr körperlich unterlegen war, sollte es zu einem offenen Kampf kommen. Aber das würde sich finden, augenblicklich war das zweitrangig.
Übertrieben vorsichtig trat Antarona hinter Medunzia durch die Tür in den Treppenturm, als müsste sie über getrocknete Erbsen laufen. Medunzia war gezwungen auf sie zu warten, verdrehte mit auf der Brust verschränkten Armen die Augen und trommelte ungeduldig mit ihren Wurstfingern auf ihren Ellenknochen.
Es gefiel Antarona, dieses Weibsstück allmählich zur Weißglut zu bringen. Ihr ganzer angestauter Unmut floss in diese Herausforderung und es war nur eine Frage von wenigen Momenten, in denen sich ihr Hass auf dieses arrogante Gezücht hinter diesen Mauern entladen würde.
Ihre Tante hatte ja so Recht, das ging ihr nun durch den Kopf. Als hätte Zinthia es eben erst ausgesprochen, so klang es ihr noch in den Ohren:
Mädchen.., bleibt bei uns.., wir sprechen mit Areos, dass er euch frei gibt. So lange die Leute hier denken können, ist dort oben, in die Himmelsburg nie eine Ival eingezogen! Hab’ ich auch nie verstanden, mögen die Götter wissen warum, als hätten wir hier keine schöne Frauen, die Kinder bekommen können. Holen diese Oranuti- Mädchen. Angeblich wollten es die Götter so.., dummes Gewäsch ist das, sag’ ich euch, nur damit die da oben treiben können, was sie wollen. Glaubt ihr wirklich, die halten sich noch an die alten Gebote der Götter? Sind da oben, über ihrer weißen Stadt eben etwas besseres, als unser einer hier unten.., aber so ist es nun mal.
»Wir sollten nicht zu lange im Turm verweilen, meine Gebieterin, es ist zu dieser Zeit sehr zugig darin«, wurde sie plötzlich von Medunzia ermahnt. In Gedanken war Antarona immer langsamer die Stufen herab gestiegen und Medunzia war es anscheinend überdrüssig, sich ständig nach ihrem Schützling umzuschauen, ob sie ihr noch folgte. In der Gewissheit, Antarona zur Eile bewegt zu haben, schritt sie zügig voran.
Antarona allerdings kam die Situation nur allzu gelegen. Noch gemächlicher als zuvor schritt sie beinahe schwebend von Stufe zu Stufe, als würde sie mit jedem Stein des Turms persönlich Freundschaft schließen wollen. Medunzia, bereits ein gutes Stück voraus gegangen, drehte sich erbost zu ihr um, stemmte die kurzen, kräftigen Arme in ihre feiste Hüfte und blickte ihr tadelnd entgegen.
»Eure gütige Hoheit trug mir auf, euch in eure Gemächer zu führen, meine Gebieterin, nicht euch zum Lustwandeln auszuführen. Medunzia hat noch andere Aufgaben zu erledigen.«
»Lasst euch von Sonnenherz nicht aufhalten, sie wird auch ohne euer Zutun den Weg finden«, entgegnete Antarona schnippisch und beobachtete, wie es in Medunzia zu kochen begann. Doch die Dienerin behielt so viel Selbstbeherrschung, sich zurück zu halten, denn sie wusste genau, was mit ihr geschah, sollte sie sich ungebührlich gegenüber jener verhalten, welche die rätselhaft plötzlich die Gunst des Königs besaß.
Zum Verdruss Antaronas biss sich die Verhasste auf die Lippen und schluckte herunter, was sie bereits auf der Zunge trug. Antarona funkelte sie mit vernichtendem Blick an, beschleunigte unverhofft ihren Schritt und trat schließlich vor ihr durch die Tür in ihre Gemächer. Der Wachsoldat, der neben der Tür vor sich hin geträumt hatte, fuhr erschrocken zusammen und nahm Haltung an.
Medunzia folgte Antarona in den Korridor, um sicher zu gehen, dass sie ihre Gemächer nicht mehr verließ. In diesem Augenblick kam ihnen Vesgarina entgegen, die auf ihre neue Herrin gewartet hatte. Medunzia, um sich Platz, und wohl auch innerlich Luft zu machen, rempelte das stumme Mädchen so heftig an, dass es strauchelte, sich mit dem Fuß in einer Falte des Bodenbezugs verfing und hart hinschlug.
»Kannst du nicht aufpassen, du dummes, nutzloses Ding...«, beschimpfte sie Vesgarina und trat ihr noch zusätzlich in die Hüfte, »...sieh zu, dass du hoch kommst und dich um deine Arbeit kümmerst, sonst...«
Weiter kam Medunzia nicht. Aus dem Stand und im Augenblick eines Lidschlags schoss Antarona vor, über Vesgarina hinweg, an die Wand, an der zur Dekoration zwei gekreuzte Schwerter über einem Wappenschild hingen. In einer einzigen Bewegung riss Antarona eine der Waffen aus der Halterung, wirbelte herum und hielt Medunzia die Spitze unter eines ihrer Kinne.
Die wurde augenblicklich bis in die Haarwurzeln blass, und versuchte erschrocken zurückzuweichen. Antarona setzte jedoch sofort nach und drückte ihr das scharfe Eisen entschlossen an die Kehle. Die Augen des Krähenmädchens sprühten Funken und angesichts ihres wilden Blickes und der eigenen aussichtslosen Lage stammelte Medunzia:
»Bitte.., lasst ab, Gebieterin, habt Erbarmen mit einer armen Magd, die euch...« Ohne sie aussprechen zu lassen, drückte Antarona das Schwert noch fester in die schwammige Haut Medunzias und stellte erstaunt fest, dass diese sehr wohl einen Hals zu besitzen schien, der nun immer länger wurde.
»Warum sollte ich wohl mit euch fettleibigen Henne eines Wafans Erbarmen haben?« zischte sie die Dienerin an, der inzwischen vor Angst die Augen aus den Höhlen traten.
»Habt ihr etwa Erbarmen mit jenen, die euch unterstellt sind.., ja.., habt ihr das?« Antarona machte eine Pause, genoss sichtlich ihren Triumph über diese arrogante, selbstherrliche Walküre und verhinderte mit dem Druck der Furcht einflößenden Klinge, dass Medunzia ihren zitternden Knien nachgab und einfach an der Wand herunter rutschte.
»Ich, Sonnenherz, will euch sagen, was ich anstelle von Erbarmen habe, nämlich Lust, euch aufzuspießen, wie einen Braten. Gebt mir nur noch ein Mal Anlass dazu und ich verspreche euch bei den Göttern von Talris, ich werde es mit Freuden tun!« Ein wenig nahm Antarona den Druck des Schwertes fort und gab Medunzia die Gelegenheit, wieder zu atmen.
»Und noch etwas verspreche ich euch...«, fügte sie gefährlich leise hinzu, »...wenn ihr nur noch ein einziges Mal meine Dienerin anfasst, oder sie beschimpft, oder sonst wie bedrängt, so wird euer fetter Leib zu Beginn der neuen Sonne ohne Kopf herum laufen.., habt ihr Sonnenherz verstanden, ja.., habt ihr das gehört?«
Medunzia nickte ängstlich, soweit das Schwert dies zuließ. Allmählich lockerte Antarona den Griff und war erstaunt, dass sie die schwere Klinge, die ein vielfaches von Nantakis wog, so lange zu halten vermochte. Sie spürte, dass der Zorn ihr die nötige Kraft dazu verliehen hatte.
»Und nun hinfort mit euch.., aber schnell...«, forderte sie Medunzia auf zu verschwinden, »...und wagt es nicht, noch einmal ungefragt meine Gemächer zu betreten!«
Antarona stellte das Schwert achtlos an die Wand und half Vesgarina hoch. Das Kammermädchen blickte sie dankbar an und vollführte mit ihrer Hand zum Herzen eine Geste des Dankes. Sie warteten, bis Medunzia in der Tür zum Treppenturm verschwunden war, dann führte Vesgarina ihre Gebieterin in das kleine Bad am Ende des Ost- Flügels, das sie selbst ebenfalls nutzte.
In einen länglichen, hölzernen Zuber in der Mitte des Raumes war heißes, nach allerlei Kräutern duftendes Wasser eingelassen und mit Rosenblättern bestreut worden. Auf den schmalen Kommoden an den Wänden brannten unzählige Kerzen und tauchten den Raum in warmes, gelbes Licht. Weiche Felle und große Tücher bedeckten den Steinboden um den Zuber herum.
Antarona sah sich um, entdeckte zwischen all den brennenden Kerzen Schälchen mit wohl duftenden Kräutern und Salben, sowie kleine Fiolen mit angenehm intensiv riechenden Blütenextrakten, die wie goldene Flüssigkeiten in den Gläschen schimmerten, die wie kleine Amphoren aussahen.
Vor dem weit geöffneten Fenster standen zwei Schalen mit Holzkohle auf den Ablagen, in denen Weihrauch vor sich hin räucherte und die Luft mit einem geheimnisvollen Aroma erfüllte. Antarona sah Vesgarina fragend an.
»Habt ihr das alles für mich vorbereitet«, fragte sie erstaunt. Vesgarina nickte stolz und strahlte ihre Gebieterin an, wie ein Kind, das sein Tellerchen Brei leer gegessen hatte. Sie half Antarona beim Entkleiden, wartete, bis ihre Herrin in das Bad gestiegen war und reichte ihr dann abwechselnd die Kräuterschalen und Parfümfiolen.
Nachdem sie sich versichert hatte, Antarona mit allem erdenklich Möglichen versorgt zu haben, wandte sie sich einem seltsam geformten Gebilde zu, das in einer Ecke stand und mit einem großen Tuch abgedeckt war. Vorsichtig zog sie das Laken herunter und ein seltsam geschwungener Rahmen kam zum Vorschein, der auf einem Fuß stand und in den viele dünne Fäden gespannt waren.
Antarona hatte so ein Ding noch nie zu Gesicht bekommen und beobachtete mit Neugier, wie sich Vesgarina einen Hocker heranzog, sich mit leicht gespreizten Beinen davor setzte und mit eleganten Bewegungen begann, die zarten Fäden mit den Fingern zu berühren.
Plötzlich erfüllte ein lieblicher Klang den Raum, als sängen mehrere Vögel gleichzeitig mit kurzen Tönen ein wunderschönes Lied, eine so verträumte Melodie, welche zum Träumen einlud und auf seltsame Weise das Herz berührte.
Es viel Antarona schwer, sich zu entspannen. Doch die sanften Klänge halfen ihr, an Ba - shtie zu denken, an die Stunden, die sie zu zweit verbrachten und in denen sie anfangs zu den Göttern betete, sie mögen sein Herz erleuchten und es für ihre heimliche Liebe öffnen, die sich vom ersten Augenblick ihres Zusammentreffens in ihrem Leib ausgebreitet hatte und sie fortan mit einem seltsam ziehenden Gefühl im Bauch nicht mehr los ließ.
Sie sog den Duft ein, der den Raum erfüllte, ließ sich tiefer ins Wasser gleiten, das mit angenehmer Hitze ihren Körper umhüllte und wie berauschend ihre Sinne vernebelte. Sie lauschte Vesgarinas himmlischer Melodie, dachte an ihren Mann, den die Götter ihr gesandt hatten und an die Stunde am See beim Haus ihres Vaters, als sie sich unter dem Schein der Elsiren zum ersten Mal in den Armen lagen, ihre nasse Haut aneinander reibend, heiß, und mit dem Gefühl von wirbelnden Blättern des Mondes der Ernte in ihrem Bauch.
An den feuchtwarmen Sonnentag sehnte sie sich zurück, als sie Ba - shtie in den Ästen von Nephtir, des Baumes der Wahrheit erwartet hatte und seine Lippen auf ihrer Haut spürte, und an den Abend in der Hütte des Unbekannten, als sie ihre Kleider abgelegt hatte und seine begehrenden Blicke auf ihrem Körper spürte, mit denen er sie schier verschlang, bevor sie sich ihm hingab und ihr Herz sich mit seinem verschmolz.
Von unstillbarer Sehnsucht berauscht dachte sie an den Moment, als sie sich hoch über Falméra liebten, als er sie mit zitternder Luft berührte und sie bei jedem seiner Küsse auf ihrer Haut erschauderte und mehr wollte.., immer mehr.., und immer heftiger... So sehr sehnte sie sich nach seinen kräftigen Armen, die ihre Hüften wie Klammern an sich fesselten, an seinen herben Duft, der ihr die Sinne nahm, an seinen muskulösen Oberkörper, in den sie sich vor Lust verkrallte, wenn er ihr Herz und ihren Schoß mit Feuer füllte.
So groß war ihr Verlangen nach ihm, nach seinem Duft, nach seinen starken Armen, dass sie schon seine Stimme hörte...
»Antarona... Antarona.., kannst du mich hören... An-ta-rooo-na!« Sie fuhr so heftig aus dem heißen Bad auf, dass Wasser und Rosenblüten in einem Schwall über den Rand des Zubers schwappten und klatschend auf den Boden spritzten. Vesgarina unterbrach erschrocken ihr Harfenspiel und sah ihre Gebieterin entgeistert und mit ängstlichem Blick an.
»Habt ihr das gehört, Vesgarina«, fragte Antarona und lauschte angestrengt zum offenen Fenster hin. Ihr war, als hätte sie tatsächlich Ba - shties Stimme von dort draußen gehört, die nach ihr rief.
»Da hat jemand nach mir gerufen.., habt ihr das nicht gehört, Vesgarina.., so hört doch!« Bewegungslos horchten beide in die Nacht hinaus. Doch außer den Vögeln der Nacht und hunderten von Zikaden, war nichts zu vernehmen.
Schon wollte sich Antarona wieder in das warme Wasser gleiten lassen, als erneut die Stimme aus einiger Entfernung zu ihr herauf drang:
»Antarona.., wenn du mich hören kannst, antworte.., oder gib mir ein Zeichen...« Nun hatte es auch Vesgarina gehört. Sie führte zum Zeichen ihre Hand hinter das Ohr und nickte Antarona bestätigend zu. Sofort war Antarona aus dem Zuber heraus. Dass sie dabei das halbe Bad unter Wasser setzte und ihr die Rosenblätter überall am Leib klebten, störte sie nicht.
Rein mechanisch schnappte sie sich ein Tuch von der Kommode, hüllte sich ohne sich ab zu trockenen darin ein, so dass der Stoff wie eine zweite Haut an ihr haften blieb. Dann schob sie mit einer unglaublichen Kraft eine der Kommoden unter das Fenster und stieg hinauf und lauschte.
Noch einmal erklang die Stimme, doch sie schien aus weiter Ferne zu kommen. Vesgarina fuchtelte mit den Armen und als Antarona hin sah, gestikulierte sie, ihr zu folgen und huschte vorweg. Antarona folgte ihr in ihre Dienstmädchenzimmer und von dort in den Treppenturm, der auf halber Höhe ein einfaches, schmales Fenster besaß.
Vesgarina bedeutete ihrer Herrin, ihr zu helfen und legte ihre Arme auf die tief in die dicke Mauer eingelassene Öffnung. Antarona fasst sie um die Beine und schob so weit nach, dass der Oberkörper des Dienstmädchens bereits aus dem Fenster hängen musste.
Kurz darauf schob sich Vesgarina wieder zurück, kam vor Antarona auf die Füße, strich sich die Haare wieder glatt, die sie sich leicht zerzaust hatte und schüttelte enttäuscht den Kopf. Antaronas Sehnsucht fiel in sich zusammen und verwandelte sich schlagartig in tiefe Trauer.
Vesgarina bemerkte den Kummer ihrer Gebieterin, die sie vor der grausamen Medunzia beschützt hatte. Sie teilte das offensichtliche Leid ihrer Gebieterin, legte Antarona mitfühlend ihre Hand auf den Arm und blickte sie offen und fragend an.
»Ach.., weißt du, meine kleine Garina.., jener, den ich so sehr liebe und mit welchem mein Herz verbunden ist.., ich kann ihn nicht sehen.., ich darf ihn nicht sehen, obwohl er gar nicht weit ist. Antarona glaubte seine Stimme zu hören, dort draußen...«, zog sie ihre Zofe ins Vertrauen, »...wenn ich doch nur wüsste, wo er ist...«
Vesgarina hörte ihr aufmerksam zu und vollführte dann aufgeregte Gesten, indem sie beide flache Hände übereinander hielt und eine über die andere setzte. Dabei nickte sie bedeutsam.
»Was meint ihr.., ich verstehe euch nicht«, gestand ihr Antarona verzweifelt. Sie ahnte, dass Vesgarina etwas wusste, das ihr sicher helfen würde, aber vermutlich hatte man sie ihr deshalb zugedacht: Weil sie stumm war, konnte sie Antarona nicht alles verraten, was sie zwangsläufig in der Burg erfuhr.
Doch das Mädchen, das man im Gesinde für dumm und einfältig und deshalb für geeignet hielt, als Zofe für die Tochter des Königs einzusetzen, von deren Existenz niemand erfahren durfte, war nicht so naiv, wie man glaubte. Sie nahm Antaronas Hand und führte sie zurück in ihr Dienstbotenzimmer.
Eine einzelne Kerze erleuchtete den Raum nur kläglich um den Tisch herum, doch das genügte völlig. Wie schon zuvor, holte Vesgarina Tinte und Feder aus ihrer Kommode, dazu das bereits beschriebene Blatt Papier. Ungeübt und langsam malte sie die Buchstaben unter jene, mit denen sie Antarona ihren Namen mitgeteilt hatte:
MANN FREMDER VON DEN GÖTTERN EIN TREPPE TIEF. VESGARINA WEISS WEG. Antarona sah ihre Dienerin zweifelnd an.
»Bedeutet das, ihr kennt den Weg, welcher in die Gemächer des Areos führt, der mit Sonnenherz kam und der Sohn des Bental ist?« fragte sie voller Hoffnung. Vesgarina nickte aufgeregt mit einem frohen Leuchten in den Augen. Sie war glücklich, ihrer Gebieterin helfen zu können, die so ganz anders war, als jene, denen sie bisher dienen musste.
WEG NIEMAND KENNEN. VESGARINA WEISS WEG allein, schrieb sie auf das Blatt. Anschließend machte sie mit zwei sich bewegenden Fingern das Zeichen für Gehen und hielt die andere Hand schützend darüber.
»Ihr wisst einen Weg, von welchem niemand sonst in der Burg weiß und man kann nicht gesehen werden...«, interpretierte Antarona mutig, »...hat Sonnenherz das richtig verstanden?« Antarona war mit Recht skeptisch. Wieso sollte ausgerechnet ihre stumme, von niemandem ernst genommene Kammerzofe einen Weg in diesen Gemäuern kennen, der allen anderen anscheinend verborgen geblieben war?
Die kleine Kammerzofe wiederholte ihre Geste und nickte dazu bestätigend. Dann hielt sie ihre Hände senkrecht und sehr dicht, mit einem Zentimeter Zwischenraum aneinander.
»Es ist ein schmaler Weg.., meint ihr das?«, wollte sie wissen. Als Vesgarina auch das bestätigte, wurde Antarona ungeduldig.
»So zeigt mir den Weg, meine gute Garina.., rasch, wo ist dieser Weg?« Vesgarina hob abwehrend ihre Hände und schüttelte heftig, beinahe panisch ihren blonden Kopf. Nun verstand Antarona gar nichts mehr. Erst verriet sie ihr, einen Weg zu den Gemächern Areos zu kennen, dann jedoch weigerte sie sich, ihn Antarona zu zeigen. Was sollte das?
»Warum mögt ihr mir den Weg nicht zeigen?« fragte sie enttäuscht. Daraufhin legte Vesgarina ihre rechte Hand hinter ihr Ohr, als lauschte sie an einer Wand und beschreib mit der anderen eine Geste, die an beißende Zähne erinnerte. Sie bemerkte, dass Antarona sie nur ratlos anstarrte und drehte das Blatt Papier um.
ZEIGEN WEG WENN KÖNIG JAGEN, kritzelte sie auf die gelblich weiße Fläche. Dazu malte sie einen Hund, oder Wolf, den sie anschließend mit einem großen Kreuz durchstrich. Antarona sah sich die Botschaft an und allmählich begriff sie.
»König Bental hat Hunde zur Jagd und ihr könnt mir den Weg erst zeigen, wenn die nicht mehr in der Burg sind?« vermutete Antarona. Vesgarina nickte eifrig und malte vier kleine Hunde unter ihre letzte Nachricht. Bental besaß also vier Hunde, die offenbar durch die Burg stromerten und eine Person auf geheimen Wegen sofort verraten würden. Aber auch während der schlafenden Sonne?
Antarona fragte danach und Vesgarina malte auf die verbliebene freie Fläche einen neuen Hund, der nicht stand, sondern lag. An seinen Kopf malte sie ein besonders übertrieben großes Ohr. Also waren die Hunde auch des Nachts sehr wachsam.
Nach kurzer Überlegung fiel Antarona bereits eine Lösung ein. Es würde ein gewagtes Spiel werden, dennoch konnte es gelingen, wenn sie überlegt handelte. In ihrem Kopf reifte ein Plan, den sie am liebsten sofort ausprobiert hätte. Doch dafür war es bereits zu spät. Am nächsten Tag würde das von Bental angekündigte Fest stattfinden. Doch in der schlafenden Sonne darauf...
In dieser Hoffnung beruhigte sie sich, entließ Vesgarina für diesen Abend und zog sich in ihr eigenes Schlafgemach zurück. Mit der bohrenden Sehnsucht nach ihrem Mann, den die Götter zum Volk gesandt hatten, kroch sie unter ihre Felle, die sie auf das Bett geworfen hatte und lag noch lange wach.
Unter der Vorstellung, sie würde ihren Ba - shtie nicht so schnell wieder sehen, fand sie stundenlang keinen Schlaf. Unruhig wälzte sie sich hin und her, purzelte einmal aus dem schmalen und viel zu kurzen Bett und fiel erst in den frühen Morgenstunden in einen kurzen Schlummer...

Nachdem Sebastian das kleine Frühstück verschlungen hatte, das Frethnal ihm gebracht hatte, machte er sich auf, die Bibliothek und vor allem den Kartenraum näher zu betrachten. Er hatte zwar kein verbindliches Zeitmaß, doch bis zum Fest musste ihm noch einige Zeit bleiben.
Das Zimmer, in denen sich die Karten befanden, maß zehn mal dreizehn Meter und besaß ein hohes Fenster, das nach Südosten gerichtet, großzügig Licht einließ. Ein großer massiver Tisch stand in der Mitte des Raumes, dessen drei Zugänge, eine Tür in den Vorraum zum Korridor, und jeweils eine in das benachbarte Zimmer, in die ringsum laufenden Regale eingearbeitet waren.
Decke, wie Wände wiesen eine dunkle Holzvertäfelung auf, die in Sebastians Welt ein Vermögen verschlungen hätte. Die geschnitzten, quadratischen Tafeln der Decke zeigten irgendwelche geographischen Reliefs, sowie geometrische Figuren und Formen, in Bilder integriert, die wohl die Geschichte des Landes wiedergaben.
Überall fand Sebastian Tafeln, geschnitzte Zierbänder und Randschriften in Ival. Manche Worte konnte er lesen, bei den meisten jedoch musste er sich auf reine Spekulation beschränken. Antarona hatte ihm wohl eine gute Schule angedeihen lassen, doch schien der Wortschatz der Ival noch um so vieles mehr umfangreich zu sein. Die meisten Informationen blieben ihm daher verborgen.
Die Sprache der Ival.., das war es! Sebastian schoss ein Gedanke durch den Kopf. Wenn er, wie Bental wünschte, Aufgaben des Areos übernehmen sollte, so war es unerlässlich, halbwegs der Sprache der Ival in Schrift und Ausdruck mächtig zu sein. Die einzige, die Sebastian bislang erfolgreich unterrichtet hatte, war Antarona. Das musste sogar der König einsehen!
Sebastian musste den König nur davon überzeugen, dass allein Antarona ihn die Sprache und Kultur der Ival lehren konnte, da sie sich zudem in der Sprache der Toten und der Götter verständigen konnte. Jedwede Versuche, heimlich zueinander zu gelangen, konnten sie sich dann sparen. Das freilich konnte er Bental nicht offenbaren.
Es war sogar sinnvoll, ihm die Sache so beizubringen, dass er glaubte, selbst auf diesen Einfall gekommen zu sein und ihn für diese Idee zu schmeicheln. Wenn Antarona sich auf diese Weise täglich mit ihm treffen konnte, so waren sie zumindest für die Zeit, die sie auf der Burg verbringen mussten, beieinander!
Sebastian nahm sich vor, das Fest zu nutzen, um diese Sache an Bental heran zu tragen. Er musste all seine Phantasie und Listigkeit aufbringen, um den König zu überzeugen. Mit diesem Plan im Hinterkopf fiel es ihm nicht mehr schwer, sich auf die Karten zu konzentrieren.
Wahllos entnahm der dem Regal einige große Rollen und breitete sie auf dem Tisch aus. Wie lange diese Kartenrollen in den Regalen geschlummert hatten, wusste Basti nicht, doch es konnten nicht nur drei Wochen gewesen sein, denn das widerspenstige, grobe Papier, auf das sie gezeichnet waren, rollte sich immer wieder zusammen.
Suchend sah sich Sebastian um und entdeckte in einem Regalfach mehrere fünfzehn Zentimeter hohe Bronzefiguren mit einem runden, massiven Fuß. Die standen sicher nicht zum Spaß dort! Er holte sich vier Stück davon und setzte sie auf die Ecken der ausgebreiteten Karte.
Dann beugte er sich über die Striche, Linien und Eintragungen, die das große Blatt ausfüllten. Bei der Zeichnung handelte es sich offenbar um eine Insel. Es dauerte nicht lange, da erkannte Sebastian in der Form der nördlichen Bucht mit der großen Stadt seinen Standort, Falméra!
Konzentriert studierte er die Karte. Beinahe die ganze Insel bestand also aus einem Gebirge mit mal mehr, mal weniger hohen Bergen. Es gab lediglich links und rechts der Berge, ungefähr in der Mitte des Eilandes, größere, flache Feuchtgebiete an der Küste, in die sich die Bäche und Flüsse der Berge ergossen.
Auch einige Seen waren in die Berge eingebettet dargestellt. Sebastian las, soweit er die Schrift entziffern konnte, den Namen Val Argón. Das war der ort, in dem Antaronas Tante Zinthia mit ihrem Mann Corneus lebte. Das Tal, über dem sie von dort nach Falméra gewandert waren, fand er ebenfalls eingezeichnet. Allmählich formte sich in Sebastians Vorstellung die unbekannte Welt, in der er sich seit Monaten befand.
Er las etwas von orten wie Anger-tal, Varn-tal, Val Nieort, Wies-port, Ander-lecht und Mehi-o-ratea. An der südlichen Spitze der Insel, die offenbar unbewohnt, oder zumindest nicht erschlossen war, fand er die Eintragung Cap Oranutu. Die Berge und Küstenstreifen des südlichen Teils waren ohne Bezeichnungen. Sebastian schloss daraus, dass diesen Teil der Insel kaum eines Menschen Fuß betrat.
Im mittleren und südlichen Inselteil gab es kleine, der Insel vorgelagerten, offensichtlich felsige Eilande. Im Westen Fal-porta mit einer Bastion an der Nordspitze; im Osten Fal-rock; im Südosten Fal-córa, eine längliche, gekrümmte Insel, die ein großes Sumpfgebiet aufwies.
Zwischen Falméra und den Nebeninseln waren die Strömungsverhältnisse eingezeichnet. Wie Sebastian bereits vermutet hatte, gab es eine starke Strömung von Süden nach Norden, die westlich von Falméra verzeichnet war. Ein entgegen gesetzter Strom zog östlich an Falméra vorüber. Nach dieser Karte schien ein großer, dicht aneinander vorbei ziehender Wärme- und Süßwasseraustausch im Meer statt zu finden.
Sebastian war beeindruckt von seiner eigenen, offenbar zutreffenden Mutmaßung. Nur eines blieb unschlüssig: Wo genau auf diesem Planeten er sich befand. Von einer Insel Falméra, dreißig bis vierzig Kilometer lang und halb so breit, hatte er nie gehört!
Neugierig geworden, entrollte er weitere Karten. Endlich fand er so etwas, wie eine Gesamtkarte von Volossoda. Ein hohes, in einigem Abstand der Küstenlinie folgendes Gebirge lag im Westen. Dahinter war auf der Karte nur noch eine leere Fläche zu sehen, welche die Bezeichnungen Ewiges Eis, Reich der Toten, Reich der Götter trug.
Gemessen an der Insel Falméra, die am äußerst rechten Rand der Karte zu finden war, musste dieses Ewige Eis eine Fläche einnehmen, die mindestens die Größe Europas besaß! Die unter dem Eis hervor ragenden Gebirge nahmen zwei Drittel des bewohnbaren Landes ein, der schmale Küstenstreifen mit Sümpfen, Wüsten und wenigen bewaldeten und begrasten Gegenden, das klägliche letzte Drittel.
Insgesamt waren, dieser Karte nach, achtzig oder mehr Prozent des Festlandes von einer geschlossenen Eiskappe über hohen Gebirgen bedeckt. Mit ein paar Linien waren ungenau Gletscherströme und inmitten des Eises drei zylinderförmige Berge unterschiedlicher Höhe gezeichnet worden. Thron Talris und der Götter hatte jemand sauber darüber geschrieben.
Sebastian wusste nicht genau, was er von dieser Darstellung halten sollte. Die einzige Gegend auf diesem Planeten, sofern er sich noch in der Welt befand, in die er hinein geboren wurde, welche eine geologische Ähnlichkeit aufweisen könnte, wäre die Cordillera de Losandes, jene Gebirgskette der Anden vom Chilenischen Becken bis zum Cap Horn, jedoch unter dem Gesichtspunkt der wahrscheinlich stärkeren Vergletscherung vor zig Tausenden, wenn nicht Millionen von Jahren.
Allerdings müsste das Val Mentiér mit seinen Bergen dann im Osten und Falméra und das Meer im Westen liegen, es sein denn... Konnte sich ein Planet plötzlich in seiner Vertikalen um einhundertachtzig Grad, oder in die entgegen gesetzte Richtung drehen? War das möglich? Wenn dies eine Erklärung sein sollte, so war sie so abenteuerlich und unerklärlich, wie alles, was Sebastian in den letzten Wochen und Monaten erlebt hatte.
Jedenfalls bekam Sebastian mehr und mehr einen Einblick in die Geografie der Welt in der er sich befand, was für eine Welt auch immer das sein mochte. Was ihm beim Studium der Karten von Falméra auffiel, war die ungeschützte Küste zum Festland hinsichtlich einer möglichen Landung von Invasoren.
Würde beispielsweise eine Armada von Oranuti- Schiffen versuchen, Streitkräfte an der Westküste an Land zu bringen, würden sie auf nur geringen, wenn nicht auf gar keinen Widerstand stoßen, bis sie vor der Stadt Falméra standen und somit direkt vor der Burg!
Nachdem, was Sebastian von diesem Land wusste, mochte ein solches Szenario in nächster Zeit nicht zu erwarten sein. Doch wenn Antarona mit ihren Befürchtungen Recht hatte, so war diese Bedrohung in Zukunft nicht auszuschließen.
Die Himmelsburg selbst war beinahe unangreifbar, doch mit einer von Gegnern besetzten Stadt zu Füßen, eben auch handlungsunfähig und im Belagerungszustand. Wasser mochte in diesem Fall vielleicht nicht das größte Problem sein, doch wie sah es mit Lebensmitteln aus? Konnte diese Burg genug Vorräte einlagern, um einer Belagerung so lange stand zu halten, bis eine eigene Armee aufgestellt und gelandet werden konnte?
Sebastian hielt das beim aktuellen Stand der Dinge für abwegig und wunderte sich, dass Torbuk nicht schon längst einen Landungsversuch mit Hilfe der Oranuti unternommen hatte. Wahrscheinlich dachte er nicht daran, sich mit den Oranuti zu verbünden. Wie auch immer.., Basti stellte fest, dass er zu wenig über die Verhältnisse der Volksgruppen zueinander wusste, um weitere Vermutungen anzustellen.
Wenn aber die Oranuti tatsächlich, wie von Antarona behauptet, das gesamte Volossoda wollten, war eher zu erwarten, dass sie ohne Quaronas Unterstützung Falméra eroberten, um sich einen strategisch wichtigen Stützpunkt zu sichern, von dem aus sie anschließend Torbuk in die Zange nehmen konnten, indem sie von Süden her über Land angriffen und gleichzeitig von See her eine Landung zwischen Quaronas und Zarollon versuchten.
Die Oranuti allein kontrollierten die Seewege, denn weder Torbuk noch Bental zusammen besaßen derzeit genügend Schiffe, um es mit den Oranuti in einem Seegefecht aufnehmen zu können. Im Grunde konnten sie jederzeit das ungeschützte Falméra erobern und sich auf den Sprung zum Festland vorbereiten. Warum hatten sie es noch nicht getan und lieferten statt dessen noch Waren an König Bental?
Sebastian sah aus Sicht der Oranuti nur eine dahinter stehende Strategie, vorausgesetzt, Antarona lag mit ihrem Verdacht richtig. Sie versuchten eine Abhängigkeit Bentals von Oranutu zu erreichen, infiltrierten indes nach und nach die Insel, um sie in absehbarer Zeit ohne eine große militärische Aktion zu besetzen. Wenn sie sich eigene Verbündete in Bentals näherer Umgebung schafften, eroberten sie möglicherweise auch ohne große eigene Verluste und ohne längere Belagerung die Burg.
Riskierten sie hingegen einen offenen, frontalen Angriff auf Falméra, so war Bental in der Lage, die Burg rechtzeitig zu sichern. Dann hätten die Oranuti eine feindliche Zitadelle im von ihnen besetzten Land, die ihnen jederzeit mit kleineren Scharmützeln in den Rücken fallen konnte. Außerdem wäre der natürliche Hafen, die Bucht von Falméra im Norden der Insel, mit der direkten Bedrohung von der Burg darüber, für die Oranuti nicht ohne jeden Zweifel sicher.
Zudem wäre Torbuk ebenfalls gewarnt und hätte Gelegenheit, die Küste zu sichern um einen Angriff von See her zu verzögern, wenn nicht gar aufzuhalten. Dann bliebe ihnen nur der schmale Landweg auf dem Küstensteifen, an den Elsirensümpfen vorbei, auf dem sie eine ganze Angriffsarmee nur schwerlich vorwärts bringen konnten.
Für die Oranuti war und blieb der strategisch günstigste Weg, um das gesamte Volossoda zu besetzen, die schleichende Infiltration Falméras. Sebastian vermutete, das Antaronas Verdacht auf diese Gefahr eher ihrem Feinsinn und ihrem Empfinden zuzuschreiben war, als denn strategischer Überlegung. Eine Frau, die mit Tieren kommunizieren konnte, besaß möglicherweise auch die Gabe, der Menschen heimliche Absicht zu ergründen.
Über solche Erkenntnisse, waren sie auch nur rein akademischer Natur, so hoffte Sebastian, konnte er sich das Vertrauen des Königs erwerben und so seine und Antaronas Situation begünstigen, solange sie den Mauern dieser Burg nicht entkommen konnten, ohne nachteilige Folgen für das Volk der Ival.
Sebastian glaubte mit diesen Überlegungen seine Hausaufgaben für diesen Tag gemacht zu haben und durchsuchte die nächsten beiden Räume nach Interessantem. Diese Zimmer waren ähnlich eingerichtet, wie der Kartenraum, doch zusätzlich mit gemütlichen Schaukelstühlen und Sesseln ausgestattet. Schränke, Regale und Tische waren überladen mit Schriften, gebundenen und gehefteten Werken, jedoch von der Qualität weit entfernt von dem, was in Sebastians Welt ein Buch ausmachte.
Soweit er das mit seinen vagen Ival- Kenntnissen den Titeln nach überschauen konnte, handelte es sich zumeist um Werke, welche Talris und die Götter behandelten. Es fanden sich aber auch Schriften, in denen Kultur, Handwerk und Wirtschaft, sowie eine komplette Chronik von Falméra dokumentiert war.
Daneben gab es tatsächlich so etwas, wie Prosa, ähnlich Sebastian bekannten Gedichten, Erzählungen und Beschreibungen. Sich in diese Werke hinein zu lesen, dazu besaß er im Augenblick weder die Kenntnis, noch die nötige Muße. Er beschränkte sich darauf, Schriften anzusehen, die mit Bildern und Zeichnungen von Flora und Fauna des Landes illustriert waren und staunte nicht schlecht.
Hatte er geglaubt, die abenteuerlichsten Geschöpfe dieser Welt bereits kennen gelernt zu haben, so befand er sich offenbar im großen Irrtum. Die Kreaturen, die in den Werken dieses Zimmers beschreiben waren, sprengten den Rahmen seiner Phantasie. Er hoffte, manchen dieser Wesen nie zu begegnen. Robrums, Eishunde und Gore waren noch lange nicht die Krönung dessen, was ihm in diesem Land auflauern konnte!
Stundenlang beschäftigte sich Sebastian Lauknitz mit der Literatur dieser fremden Welt und entdeckte mehr, als sein Geist bereit war, an einem Tag aufzunehmen. Die restliche Zeit bis zum Fest verbrachte er auf einem sonnigen, drei mal fünf Meter großen Freisitz, der an den westlichen Salon verwegen über den Umflutgraben gebaut war. Er blickte nach Süden, gegen die Berge, die ihm selbst als Alpinist wie ein unüberwindliches Bollwerk vorkamen. Das milde Klima, das Rauschen des Wassers in der Tiefe, die verwehten Vogelstimmen und nicht zuletzt die Sonne machten ihn schläfrig. Das Verlangen nach seiner Pfeife und einem guten Tabak hielt ihn nur für einen kurzen Moment wach, dann gaben sich seine Sinne dem Unterbewusstsein hin...
Irgendwann stand Frethnal vor ihm und weckte ihn. Sebastian wusste nicht, wie lange er wirklich eingeschlafen war. Er hatte das Gefühl, nur gerade mal ein paar Minuten gedöst zu haben und war ziemlich schlechter Laune, als ihn sein Diener daran erinnerte, sich für das fest anzukleiden.
Allein die Vorfreude darauf, Antarona wieder zu sehen, beflügelte seinen Unternehmungsgeist. Als sie auf dem Weg zum Ankleidezimmer am Lesezimmer, jenen Raum mit den Türmchen, vorüber kamen, sah Sebastian etwas, das ihn kurz in dem Sonnen durchfluteten Raum halten ließ.
In den Ecken beider Türmchen standen geschmiedete, der runden Wand angepasste Eisenstangen, dazu Haken und je ein Wandbehang mit dem Wappen Falméras, der fein säuberlich zusammen gefaltet daneben lag. Sebastian staunte nicht schlecht und sah Frethnal anerkennend an.
»Donnerwetter.., das ging dann ja mal recht schnell, was? Wie ich sehe, muss ich eure Zuverlässigkeit dem König in höchsten Tönen empfehlen«, lobte er Frethnal, der daraufhin unbewusst zwei Zentimeter aufrechter vor Sebastian her ging.
Sie erreichten das Ankleidezimmer und Sebastian stellte fest, dass Frethnal auch hier schon tätig geworden war. Die Kleidung, welche das Protokoll für diesen Abend vorschrieb, lag bereits auf den Kommoden verteilt, in der Reigenfolge, und zwar in der Sebastian sie anlegen würde.
Ein prunkvolles, blank poliertes Schwert lag daneben. Es besaß einen goldenen, reich verzierten Griff, der mit allerlei Edelsteinen besetzt war, ähnlich dem, das er bei König Bental selbst gesehen hatte. Basti nahm die Waffe in die Hand und wog sie im federnden handgelenk, so, wie er es von Antarona gelernt hatte.
»Das Ding ist ja recht hübsch«, dokumentierte er Frethnals Auswahl, »doch viel zu unhandlich.., der Griff liegt nicht in der Hand und mit diesen Steinfassungen schneidet man sich am Ende noch selbst ins eigene Fleisch. Außerdem ist die Klinge viel zu dünn und biegsam, um in einem Kampf zu bestehen«, belehrte er seinen Diener.
»Dies ist auch kein Kampfschwert, Herr.., es ist ein Gewandungsschwert, welches mit seinem Glanz die Würde eurer Stellung als Areos, dem Sohn...«
»Was heißt hier Würde, Frethnal.., das ist doch Blödsinn!« unterbrach ihn Sebastian, »was nützt mir ein Schwert, das ich den ganzen Abend wie eine lästige Last mit mir herum schleppe, mit dem ich aber nicht einmal einen alten Käse zerteilen kann!« Er blickte Frethnal vorwurfsvoll an.
»Frethnal versteht euch Herr, aber das Protokoll.., selbst der König trägt dieses Schwert zu festlichen Anlässen.., er hat angeordnet, das jedes männliche Mitglied des herrschaftlichen Hauses, einen angemessenen Rock trägt.« Er unterbrach seine Erklärung, um die Stimmung seines Herrn zu ergründen und fuhr fort, als er glaubte, nichts befürchten zu müssen:
»Allein die Führer der Heerlager und der Reiterei, sowie die Wachführer tragen bei Festlichkeiten das Schwert, welches sie im Kampfe führen.«
»Mein lieber Frethnal«, gab ihm Sebastian zu denken, »der König zieht ja auch nicht selbst in die Schlacht, nicht wahr? Das tun die Krieger! Mögt ihr euch wohl gütigst daran erinnern, wer in der letzten großen Schlacht das Streitheer anführte? Nun, wer war das wohl?« Sebastians berühmter Sarkasmus trat wieder zu Tage.
»Ihr natürlich, Herr«, gab Frethnal kleinlaut zu. Er sah beschämt zu Boden und wagte keinen weiteren Kommentar mehr.
»Aha...«, kommentierte Sebastian kurz und betont seine Antwort, »...also los.., wir gehen jetzt zum Waffenraum und suchen ein Schwert aus, das dem Heerführer von Falméra tatsächlich würdig ist.., nicht so ein Ding zum Spielen da. Das dort könnt ihr gleich wieder mitnehmen«, empfahl er Frethnal mit geringschätzigem Blick auf die lediglich dekorative Waffe.
In den Ständern der Waffenkammern suchte Sebastian nach einem kurzen Schwert mit schwerer, breiter Klinge, mit nach vorn gebogener Parierstange und einem rauen, in Leder gewickelten Griff. Er testete einige im nebenan liegenden Rüstzimmer, in dem ein grobes Dreibein mit einem Holzkrieger aufgestellt war.
Frethnal brachte stolz ein wunderschön gearbeitetes Schwert heran, das wahrhaft königlich aussah. Sebastian blickte ihn nur zweifelnd an.
»Mein guter Frethnal.., habt ihr es immer noch nicht verstanden?« fragte er freundschaftlich. Er ließ das Kurzschwert, das er gerade ausprobiert hatte, vor Frethnals Nase um sein Handgelenk wirbeln und erzeugte auf dessen Gesicht eine deutlich blassere Nuance.
»Mit so einem Ding muss man Kämpfen, Frethnal.., damit muss man verhindern, dass einem der Feind den Schädel einschlägt, und die meisten Gegner sind schnell.., glaubt mir, sehr schnell! Damit...«, Sebastian zeigte mit seinem Schwert auf die Waffe, die Frethnal noch immer in der Hand hielt, »...kann ich nichts anfangen! Das Ding kann ich ja nicht mal richtig hochheben.., viel zu schwer! Das ist allenfalls dazu gut, einen Wafan aufzuspießen und über das Feuer zu hängen!«
Frethnal guckte skeptisch auf die Klinge in seiner Hand. Wieso standen diese Dinger dann in der Waffenkammer, wenn niemand etwas damit anzufangen wusste? Sebastian sah den Blick seines Dieners, nahm das Kurzschwert hoch, zielte kurz und ließ es davon fliegen. Einen Lidschlag später steckte es mit einem trockenen, hässlichen Laut im Holz des Dreibeins.
Danach nahm er Frethnal den langen Einhänder ab, holte aus und drosch die Klinge gegen den Kameraden aus Hartholz. Die flache Klinge vibrierte im Griff wie das Laub bei einem Gewitter, sang wie eine aufgezogene Grille und war leicht verbogen. Kopfschüttelnd hielt er Frethnal das krumme Schwert vor die Brust.
»Damit könnt ihr vielleicht einen Wettstreit austragen, nach welchem ihr mit Mestas und einem guten Mahl feiert. Aber es ist eines Heerführers unwürdig, der gegen Torbuk und Karek ziehen und anschließend statt der mit Mestas gefüllten Becher, die Toten in den eigenen Reihen zählen muss!« Entschlossen gab er seinem Diener die Waffe zurück und zog das Kurzschwert mit einem Ruck wieder aus dem Holz.
»Um Torbuk und seine Soldaten aufzuhalten, braucht ihr das hier.., etwas, das eine Schlacht durchsteht, die möglicherweise zwei oder drei Sonnenläufe andauert. Wenn euer Schwert zwischendurch so aussieht, lieber Frethnal...«, dabei wies Sebastian auf das verbogene Schwert, »...dann werdet ihr nicht lange leben!«
Demonstrativ nahm Sebastian das dekorative Gewandungsschwert mit dem edlen Griff zur Hand und hielt es waagerecht vor Frethnal hin.
»Und nun gebt gut acht, Frethnal, und lernt.., sonst wird es euch nicht gut ergehen, wenn ihr mich zu der Zentare begleitet, in der ich einmal gegen Quaronas ziehe...«
Sebastian ließ die schöne, glänzende Waffe einfach nur fallen. Sie schlug mit lautem Klirren vor Frethnals Füßen auf den steinigen Boden, das goldene Griffstück löste sich von der Klinge, die wie ein silberner, tanzender Aal noch ein paar Mal auf und ab hüpfte.
»Mit so etwas könnt ihr dem König die Fußnägel sauber kratzen.., zu mehr taugt es nicht! Doch um sein Reich gegen Quaronas zu verteidigen, braucht ihr etwas, das euch nicht plötzlich auf dem Schlachtfeld im Stiche lässt!«
Mit den letzten Worten griff er in einen Waffenständer, zog ein anderes Kurzschwert mit einer kräftigen Klinge heraus und warf sie seinem Diener zu, der sie mit einem panischen, flatternden Griff unsicher auffing.
»Behaltet es und übt damit!« empfahl ihm Sebastian, »wir haben hier einen mehr als großzügigen Korridor, ihr könnt ihn dafür benutzen, wann immer es euch beliebt... Und nun räumt hier auf.., ich kleide mich inzwischen an!«
Damit ließ er Frethnal stehen und ging, das ausgesuchte Schwert im Handgelenk drehend und schwingend, zum Ankleidezimmer zurück. Widerwillig zwängte er sich in die protokollgemäßen Klamotten.
Eine Hose aus dunkelblauem Stoff, der mit einer goldenen Zierleiste an den Seiten durchwirkt war, steckte anschließend in einem Paar brauner Stiefel, die vorn extrem spitz zuliefen und eher in einen Zirkus, als zum Empfang eines Landesherren gepasst hätten.
Auf das weiße, mit Rüschen besetzte Hemd, das Sebastian noch als einigermaßen angenehm empfand, war vorn und hinten das Wappen Falméras aufgestickt. Diese Arbeit war lange nicht so genau und fein ausgeführt worden, wie es Antarona an seinem Hemd fertig gebracht hatte.
Zwischen Hemd und Hose band sich Sebastian eine Wickelschärpe, die er zunächst für einen Schal gehalten hatte. Das lange Tuch wurde an der Seite mit einer mächtigen Brosche in Ordenform festgesteckt, bei der Sebastian befürchtete, Schlagseite zu bekommen.
Darüber zog er den schwarzen, ledernen Waffenrock des königlichen Heeres, auf dessen Brust das in Gold und Silber geschlagene Wappen Falméras glänzte. Sebastian hängte sich das Schwert um, das sich an diesem Gewand eher schmuddelig ausnahm.
Er hoffte insgeheim, dass ihm die Heerlagerführer und Hauptleute der Wache eher Achtung und Respekt entgegen brachten, wenn er sich als einer von ihnen präsentierte, anstatt wie ein aufgeblasener Popanz im Pfauengewand herum zu stolzieren.
Zusätzlich befestigte er noch sein großes Bowiemesser am Waffengurt. Er war nicht nur neugierig, wie des Königs Truppenführer darauf reagierten, er wollte auch Stärke demonstrieren, um erst gar keinen falschen Verdacht aufkommen zu lassen, er könnte seinem Stand nicht mehr gewachsen sein.
Ausstaffiert, wie ein Paradesoldat, folgte er eine Stunde später seinem Diener, dem die ehrenvolle Aufgabe zukam, ihn zum königlichen Fest zu geleiten. Laut Protokoll, welches Frethnal ihm wie beiläufig erklärte, ging Sebastian voran, von ihm gefolgt, der einen Abstand von vier Ellen zu halten hatte, was ungefähr einem Meter fünfzig entsprach.
Auf dem Weg zum Treppenturm blieb Sebastian mit gemischten Gefühlen stehen und spähte aus den hohen Fenstern des Flurs in den Hof. Einzeln oder in kleinen Gruppen kamen die geladenen Gäste durch das Portal die Treppe zum oberen Hof herauf, standen herum, begrüßten einander, unterhielten sich angeregt, oder gingen einfach ohne zu zögern in den großen Treppenturm des Ostflügels.
Es waren fast ebenso viele Frauen, wie Männer, die in eleganten Kleidern daher schritten. Viele junge Frauen schienen darunter zu sein, die einfacher geschnittene, aber nicht weniger festliche Gewänder trugen und neugierige, scheue Blicke die Burgfassade hinauf warfen, als fürchteten sie, hinter diesen Mauern interniert zu werden.
Frethnal führte ihn in jenen kleinen Treppenturm, der gegenüber jenem Zimmer lag, welches mit vielen Fellen und Decken ausgelegt war. Sie traten durch die Tür, an der Wache vorbei, die bei Sebastians Anblick erschrocken ihre Körperhaltung straffte.
Basti verlangsamte bewusst seinen Schritt, denn er hoffte, Antarona auf der Treppe zu treffen und mit ihr sprechen zu können, bevor sie den Erwartungen des Festes ausgesetzt waren. Doch von seiner Frau war nichts zu sehen.
Außer ihren Schritten war auch nichts zu hören, was Sebastian annehmen ließ, dass sie sich allein in diesem Treppenaufgang befanden. Sie stiegen bis ins Erdgeschoss hinab, wo schon ein Wachsoldat an der Tür stand und diese mit einer tiefen Verbeugung aufhielt.
Frethnal führte seinen Herren, Areos, über den Korridor und durch die Tür direkt gegenüber des Turms. Dort empfing ihn ein bekanntes Gesicht. Hekthur stand an einem Fenster des riesigen Raumes, verneigte sich ehrfürchtig vor dem Sohn seines Herrschers und musterte dessen Gewand.
»Das Ende der Schärpe wird auf Burg Falméra stets rechts, nicht links getragen, Herr.., und das Schwert...«, beim Anblick des Kurzschwertes räusperte er sich tadelnd, »...tragt ihr gewöhnlich ohne Waffengurt durch die Schärpenschleife.., allerdings.., diese Waffe dort...«
»...passt nicht ganz hindurch, wie der Zahnstocher, den mir Frethnal aufzuschwatzen versucht hat«, vollendete Sebastian Hekthurs Satz, der inhaltlich wohl etwas anders klingen sollte.
Unter Hekthurs strenger Beobachtung legte Sebastian die Schärpe erneut an, mit dem Anstecker auf der richtigen Seite. Das Schwert jedoch ließ er, wo es war.
»Wenn man die Waffe nicht sofort greifen kann, wenn es nötig ist, weil man sie unvorteilhaft trägt...«, belehrte er den Diener des Königs, »...dann nützt sie einem nicht viel.., seht ihr das ein?« Hekthur zog seine Augenbrauen hoch und entgegnete:
»Es ist nicht anzunehmen, dass ihr bis zum Ende des Sonnenlaufs noch in eine Schlacht zieht, junger Herr!« Sebastian sah den Diener herausfordernd an, baute sich vor ihm auf, so, wie er es sich bei Bental abgeguckt hatte und tätschelte das Schwert, wie ein treues Pferd.
»Es ist ebenfalls nicht anzunehmen, dass die Gäste und Vertrauten des Königs einem zurückgekehrten Areos Respekt zollen, wenn dieser sich mit einem Spielzeugschwert behängt, wie ein Gaukler auf dem Markt, oder?« Darauf wusste selbst ein Hekthur nichts Schlaues mehr zu erwidern.
»Wie ihr meint, Herr.., es wird schon recht sein«, gab er sich zufrieden und Sebastian glaubte fast, ein wenig Anerkennung aus dem Klang seiner Stimme heraus zu hören. Dann wandte sich Hekthur zum Gehen, verkündete aber noch während seiner Verbeugung:
»Seine gütige Hoheit, wünscht, dass ihr hier im Jagdzimmer wartet, bis ihr geholt werdet. Sodann werdet ihr neben dem König den rechten Platz auf dem Thron einnehmen und geduldig erwarten, was man von euch fordert!« Damit verschwand Hekthur, wie ein Geist.
»Was man von mir fordert...«, äffte Sebastian gereizt nach, »...was wird man schon von mir fordern..? Wird ja’n feiner Spaß werden, das Ganze!«
Er versuchte sich zu beruhigen, sah aus dem Fenster und wusste, dass er viel lieber mit Antarona dort draußen wäre, in den Wäldern und Bergen, Wind und Wetter ausgesetzt und von ihm aus auch den Robrums und Eishunden. Mit denen war eher fertig zu werden, als mit diesem verwöhnten und überzüchteten Haufen von Dienern und Herrschern mit all ihren Protokollen. Dort draußen konnten sie ohne Zwänge sie selbst sein!
Statt dessen wartete er in einem Jagdzimmer, dessen Wände mit den Köpfen allerlei Getiers behängt waren auf einen mehr als zweifelhaften, großen Auftritt, mit dem er sich eigentlich überhaupt nicht identifizieren konnte. Wohl oder übel musste er dieses Treiben mitmachen, um Antarona wieder zu sehen.
Zwischendurch hörte er immer wieder die Stimmen von vielen Menschen, die aus dem Nebenraum herüber drangen. Ein laute Durcheinanderplappern vermischte sich mit dem leisen, Gemurmel, das üblicherweise in einer Kirche, unmittelbar vor dem Gottesdienst, oder einer Hochzeit herrschte.
Sebastian nahm sich vor, seine Rolle, entgegen seiner Überzeugung gut zu spielen, denn solange er dem Volk der Ival nicht damit schadete, mochte es nur vernünftig und taktisch klug sein. Möglicherweise errang er sich ja den echten Respekt und das ehrliche Wohlwollen des Königs. Das konnte mit der Zeit dazu führen, dass ihm mehr Freiheiten eingeräumt wurden und damit eine größere Chance, Antarona regelmäßig zu sehen.
Mitten in seine Überlegungen hinein platzte Hekthur. Ein flüchtiges Lächeln huschte über sein Gesicht und es war das erste Mal, das Sebastian diesen Mann für einen Augenblick nicht mit ernster Miene sah.
»Seine gütige Hoheit erwartet euch nun, Herr. Ich geleite euch zur Tür, dann geht links herum und setzt euch an die Seite seiner Hoheit.., aber das wisst ihr ja« fügte er noch hinzu und Sebastian entging nicht das lauernde in seiner Stimme.
»Nun, zumindest sollte ich es wissen, nicht wahr?« grinste er Hekthur offen an. Er wusste, dass nur ein sicheres Auftreten diesen Diener beeindruckte, und sollte dieser Zweifel an Areos Identität hegen, so war dies die sicherste Taktik, seinen Argwohn zu zerstreuen.
Wie ein Schauspieler vor dem ersten Theaterauftritt fühlte er sich, als er Hekthur in den Korridor folgte. Er ahnte, dass ihn nur noch eine einzige Tür, nur zehn Zentimeter Holz, von seinem Auftritt trennte. Das Publikum wartete.
Nur wartete hier ein Publikum, das nach seinem Auftritt nicht etwa vergnügt nach Hause gehen und dem Schauspieler seinen wohlverdienten Feierabend lassen würde. Nein, diese Menschen dort drinnen waren mit einer Erwartungshaltung gekommen, der er nicht im Mindesten gerecht werden konnte.
Hekthur lies Sebastian nicht die Zeit, sich gedanklich auf das Ungeheuer vorzubereiten, das hinter diesem Eisen beschlagenen Holz lauerte. Er stieß die Tür auf und zu seinem Erstaunen sah Sebastian als erstes ein ziemlich bekanntes Gesicht.
Wohlfried, der Büttel stand vor ihm, in saubere Kleider und einen festlichen Umhang gekleidet, mit einem kunstvoll geschnitzten, langen Stab in der Hand. Es war einer jener, gedrechselten Stäbe, die in Sebastians Welt in den Händen von Zauberern über die Kinoleinwände wanderten.
Dieser hier hatte allerdings nur wenig mit Magie zu tun. Wohlfried ließ den Stab ein paar Mal auf den Boden knallen und kündigte laut und deutlich die Hauptrolle dieses Abends an, deren Schauspieler sich am liebsten in den Fugen des Fußbodens verkrochen hätte.
»Areos von Falméra, Erbe des Throns von Volossoda und der Stadtstaaten Falméra, Quaronas und Zarollon, Heerführer von Falméra und Träger des Ordens von Talris!«
Sebastian wusste nicht, wovon er mehr beeindruckt sein sollte; von der filmreifen Ansage, oder von den Titeln, die er offenbar trug, ohne zu wissen, was sie bedeuteten, welche Anforderungen sie an seine Person stellten und welche Macht sie ihm verliehen.
Nun aber gab es kein Zurück mehr. Er musste da durch! Der erste Eindruck zählt, dachte er sich und trat entschlossen in einen fünfzig Meter langen und zwanzig Meter breiten Saal, dessen zwei mächtige Säulenreihen mehrere Sternengewölbe trugen. Das entfernte Ende bildete eine hohe Kuppel, unter welcher sich ein prunkvoller Thron mit vier Sitzen auf einem dreistufigen Sockel erhob.
Bental saß auf einem der mittleren Plätze und blickte ihm erwartungsvoll entgegen. Nun gut, wenn man ihn sehen wollte, so würde er ihnen einen Auftritt bieten, den sie so schnell nicht vergessen sollten! Schließlich hatte er, abgesehen vom Hals an aufwärts, nichts mehr zu verlieren!
Mit der Qual seines Gewissens im Herzen nutzte er das aus, was ein anderer sich einst mit großen Taten erworben hatte. Sebastian Lauknitz sonnte sich in der Achtung und Bewunderung, die das Volk im Grunde nicht ihm, sondern Areos von Falméra entgegen brachte.
Sebastian durchschritt den Saal mit zügigem, festem Gang, zielstrebig und doch mit perfekt gespielter Würde. Dort, wo er vorüber kam, erhoben sich die Anwesenden von den Bänken, blieben stehen und anerkennende Stimmen und begeisterte Rufe begleiteten ihn zum Thron.
Dann tat er etwas, rein impulsiv, weil er es einmal in irgend einem Film gesehen hatte; etwas, das anscheinend nicht dem Protokoll entsprach, ihm aber dennoch die volle Sympathie aller Anwesenden eintrug. Er blieb vor den Stufen des Throns stehen, zog sein Schwert und legte es Bental zu Füßen, bevor er niederkniete und sich vor dem König verbeugte.
»Ich grüße seine gütige Hoheit König Bental, meinen Vater. Mein Schwert und mein Herz werden euch stets treue Diener sein!« Dann nahm er das Schwert wieder auf, drehte sich den vielen Menschen im Saal zu, präsentierte ihnen die zu Boden gesenkte Klinge und sprach:
»Ich grüße auch die Bewohner von Falméra, das Volk der Ival und der Oranuti und alle Gäste, welche den Schutz seiner Mauern genießen!«
Zunächst herrschte betroffenes Schweigen. Sebastian glaubte schon, eine unverzeihliche Dummheit begangen zu haben und sah sein Haupt bereits von der Kerkerbank rollen, als eine einzelne Stimme ein lautes Hurraaa, wohl dem Areos in die Stille des Saales rief.
Danach gab es für das nach Hoffnung hungernde Volk kein Halten mehr. Jubel und Hurrageschrei brandeten auf und wollten kein Ende mehr nehmen. Die Menschen, die eben noch gesittet und ehrfürchtig auf ihren Plätzen saßen, tanzten plötzlich auf den Bänken, umarmten sich und strömten nach vorn zum Thron, so dass die Wächter Mühe hatten, der Begeisterung Einhalt zu gebieten.
Bevor Sebastian noch in den Genuss kam, das Gefühl auszukosten, das dem eines berühmten Popstars gleich kam, sorgten die Wachen mit einiger Verwegenheit für Ruhe. Allmählich kehrte gespannte Stille ein und Sebastian setzte sich neben Bental auf den Platz, den dieser ihm mit einem leichten Nicken zuwies.
Einem Donnerwetter gleich schmetterten plötzlich zehn bis zwanzig Fanfaren eine Hymne von den Emporen herab, die als Galerie im zweiten Geschoss bis nahe an die Säulen heran reichten. Der Klang wurde vielfach vom großen Gewölbe zurückgeworfen und hörte sich wie ein sich unzählige Male überlagernder Kanon an.
Die Trompeten ähnlichen Instrumente aus glänzendem Blech ragten weit über die Brüstung der Empore hinaus und trugen je ein langes, buntes Tuch, das festlich in den hohen Raum hinaus wehte. Sebastian fiel erst in diesem Moment auf, dass der ganze Saal neben seiner ohnehin schon prunkvollen Ausstattung, aufwendig geschmückt war.
An die Meter dicken Säulen hatte man Blumenarrangements gebunden und zwischen ihnen hingen große, bunte Fahnen von der Decke herab. In goldenen Ständer steckten so viele Kerzen, dass Sebastian sich ernsthaft fragte, wie viele Jahresproduktionen da im Augenblick verbrannten. An den mit Gesimsen reich verzierten Wänden hingen bunte Tücher, die so lang auswehten, dass man ohne große Mühe Seile hätte daraus drehen können.
Die Fanfaren verstummten so unvermittelt, wie sie mit ihrem Lärm den Saal überfallen hatten. Der Büttel schlug mit seinem Stab knallend auf den Boden und der König nahm es als Signal und erhob sich von seinem Thronstuhl. Die anwesenden Gäste standen ebenfalls auf und Sebastian wollte ihrem Beispiel folgen, als ihm Bental mit einer Geste seiner Hand gebot, sitzen zu bleiben. Dann wandte er sich dem voll besetzten Saal zu, sorgte mit gehobener Hand für Ruhe und verkündete laut:
»Volk von Falméra, Volk der Ival, Volk der Oranuti, Abgesandte und jene, die uns als Gast willkommen sind.« Er wartete, bis es absolut still war und nicht auch nur ein Räuspern zu hören war. »Ich habe euch alle zu mir gebeten, weil ich, diese Burg und das ganze Volk der Ival einen Anlass haben, ein freudiges Ereignis zu feiern. Die Rückkehr des Areos, meines Sohnes, der wieder unter uns weilt.«
Bental trat neben seinen angeblichen Sohn, legte ihm die Hand auf die Schulter und winkte mit der anderen Elwha, den Gelehrten Talris und Omanistu, seinen engsten und persönlichen Berater herbei, die sich neben ihren König stellten.
»Die Götter Talris haben entschieden, die Prophezeihung, welche in den alten Lehren und Schriften verkündet ist, und die seit langer Zeit herbei gesehnt wurde, nun endlich geschehen zu lassen. Kein geringerer, als Areos, mein Sohn, der Erbe des Throns von Falméra und Volossoda wurde von den Göttern ausersehen, die Prophezeihung zu erfüllen!«
»Was, eure gütige Hoheit, beweist euch, dass dieser dort, euer Sohn Areos, jener ist, der von den Göttern auserkoren wurde, das Schicksal der Ival zu bestimmen?« Der Zwischenruf kam von einem Mann in einem stattlichen Waffenrock, den Sebastian schon einmal bei seiner ersten Begegnung mit Bental gesehen hatte. Tieton, der oberste Kriegsrat, erhob sich aus der ersten Reihe des Saales und trat provozierend einen Schritt vor.
»In den heiligen Schriften Talris, in der Prophezeihung, steht geschrieben, der Mann, der einst das Volk befreien wird, trägt die Zeichen der Götter, welche das Wasser nicht fortnehmen kann. Verzeiht eurem treuen Diener, eure gütige Hoheit.., aber ich vermag sie nicht zu sehen, diese Zeichen der Götter!«
Ein Raunen und Murmeln ging durch die Reihen der Anwesenden, dann ergriff ein betretenes Schweigen den Thronsaal. Bental und Elwha sahen sich ratlos an. Sie waren davon überzeugt gewesen, dass niemand ihre Proklamation in Frage stellen würde, da kein geringerer, als Areos, der Thronerbe selbst dem Volk als der lang ersehnte Befreier aus der Prophezeihung verkündet wurde.
Sebastian fragte sich, welches Interesse Tieton daran hatte, seine Identität in Frage zu stellen und kam auf die einzig logische Erklärung, dass Tieton, als oberster Kriegsrat eine künftige Einmischung in seine Entscheidungen durch Areos fürchtete, insbesondere, nachdem er als der von den Göttern Gesandte anerkannt wurde.
In die Stille, die sich wie ein gefährliches Raubtier in den Saal schlich, schnitt plötzlich für alle hörbar eine andere Stimme:
»Areos ist jener, der die Prophezeihung erfüllen wird, denn er trägt wahrhaftig die Zeichen der Götter an jedem seiner Arme!«
Alle im Saal drehten sich überrascht dem neuen Zwischenrufer zu, der wie aus dem Boden gewachsen, am Ende des Saals in der Tür stand. Tieton wirbelte herum und kniff die Augen zusammen, um über die Entfernung und gegen das einfallende Licht besser sehen zu können, wer es wagen wollte, seine Zweifel zu entkräften.
Langsam und mit der Würde mutiger Krieger schritten zwei Männer in Waffenröcken durch die Reihen zum Thron. Beide knieten vor König Bental nieder und einer erhob das Wort:
»Genrath, Hauptmann der inneren Wache, eure gütige Hoheit.., verzeiht mein Eindringen in dieser großen Zentare, doch dieser hier, Arrak, Führer der Windreiter von Val Mentiér, hat zur Zeit der großen Schlacht an der Seite Areos, eures Sohnes gekämpft. Und er kämpfte vor einem Mond mit Areos und jener, die man Sonnenherz nennt gegen die Soldaten eures Bruders und besiegte sie. Arrak kann beweisen, dass Areos jener ist, den die Prophezeihung...«
»Arrak.., ausgerechnet...«, tönte Tieton dazwischen und unterbrach Genrath, »...seine gütige Hoheit wird kaum geneigt sein, einen Abtrünnigen anzuhören, der bereits vor der großen Schlacht von seiner Hoheit selbst aus Falméra verbannt wurde«, versuchte er für den König zu sprechen.
Doch Bental wäre nicht König, hätte er nicht die Gabe besessen, Wichtiges zu erkennen und überraschende taktische Wendungen für seine Entscheidungen als Vorteil zu nutzen.
»Was ich geneigt bin zu hören und was nicht, werde ich noch immer selbst entscheiden!« wies er seinen Kriegsrat zurecht. Dann wandte er sich an Genrath und Arrak, ließ seinen strengen Blick auf den beiden Kriegern ruhen und stellte mit fester Stimme klar:
»Für euer ungebührliches Eindringen könnte ich euch in den Kerker werfen lassen.., dennoch...« Er ließ das weitere offen und dachte kurz nach.
»Euer gütige Hoheit...«, ereiferte sich Tieton, »...ein Wort aus eurem Munde genügt und ich lasse diese beiden fortbringen und in das tiefste Loch werfen, das sich in den Gewölben Falméras finden lässt!« Doch Bental ließ sich vom Vordrängen Tietons nicht beeindrucken.
»Habt Dank für euren Vorschlag, Tieton, doch ich werde selbst entscheiden, was mit den beiden geschehen wird.« Mit prüfendem Blick musterte er Arrak, der dem König furchtlos und offen in die Augen sah.
»Arrak, wie? Nun ja, ich erinnere mich dunkel an euch, auch wenn ich euch selbst nie begegnet bin, was ich sehr bedauere«, gestand er.
»Das Urteil, das euch ereilen sollte, lautete Tod durch Rädern, nicht wahr?« Bental ließ es nicht als Frage, sondern als Feststellung klingen und räumte ein:
»Areos, meinem Sohn hattet ihr zu danken, dass euch dieses Schicksal nicht ereilte. Wie ich hörte, dientet ihr Areos und der Streitmacht eures Königs fortan mit der Treue und Tapferkeit eines großen Kriegers. Und nun steht ihr als Anführer der Windreiter vor eurem König. Nicht, dass ich die eigenmächtigen Kriegszüge der Windreiter gut heißen könnte...«, Bental sah Arrak einen Moment lang forschend in die Augen und zeigte ein verstecktes Lächeln, »...aber ihr habt dem Volk die Hoffnung bewahrt und einige, wie mir berichtet wurde, sahen in euch bereits den Befreier aus der Prophezeihung Talris.«
Bental lud ihn mit einer unerwartet großzügigen Geste seines Armes ein zu ihm herauf zu kommen und forderte ihn auf:
»Da ihr eure Treue der Krone gegenüber bereits mehr als einmal unter Beweis gestellt habt, und den Mut hattet, euch trotz der noch geltenden Verbannung nach Falméra zu wagen, so tragt nun vor, was ihr eurem König zu sagen habt!«
»Eure gütige Hoheit.., es mag vermessen sein...«, suchte Arrak nach den passenden Worten, »...aber euer ergebener Diener Arrak versteht nicht.., also, ohne an euer Hoheit Urteil zu hadern...« Der König unterbrach ihn ungeduldig:
»Was versteht ihr nicht, Arrak.., los, heraus mit der Sprache!« Arrak fasste all seinen Mut zusammen, fand seine gewohnte Sicherheit wieder und fragte:
»Warum, eure gütige Hoheit, zeigt ihr dem Volk nicht die Zeichen des Areos, welche er von den Göttern erhalten hat, jene Zeichen, welche in der Prophezeihung geschrieben stehen, jene Zeichen die euer Sohn unter seinem Waffenhemd trägt?«
König Bental sah überrascht und erstaunt von Arrak über Elwha zu Sebastian, der noch immer gespannt da saß und nicht recht wusste, wie er sich verhalten sollte. Allein Arraks Auftritt nahm ihm etwas die Unsicherheit, denn dieser hatte Sebastian und Antarona immerhin das Leben gerettet.
»Areos, mein Sohn...«, versuchte Bental die Sache zu klären, »...tragt ihr diese Zeichen, die Zeichen der Götter, von denen Arrak spricht?«
Sebastian kam sich vor, wie ein zur Schau gestelltes Schlachtvieh und wäre dieser Situation am liebsten durch eine Hintertür entflohen. Doch um seine gespielte Identität und die Sicherheit Arraks Kopfes nicht aufs Spiel zu setzen, sah er sich gezwungen, die Sache aufzuklären und hoffte, dass sich Bental und Tieton, Elwha und das Volk ebenso von seinen Tätowierungen beeindruckt zeigten, wie zuvor Högi Balmer und Antarona.
Er stand von seinem Thronstuhl auf, legte die Waffen auf den Sitz, dazu den ledernen Waffenrock. Was hatte er schon zu verlieren? Dort stand einer, Arrak, der sein Leben riskierte, um seinem Herrn, Areos in schwerer Stunde beizustehen!
Also setzte er alles Schauspielerische ein, das er aufbieten konnte, zog sich das Hemd über den Kopf, warf es zu Boden und drehte sich vor Bental einmal um sich selbst. Der sah ungläubig auf die Hautbilder seines erklärten Sohnes und rief:
»Wasser.., bringt eine Schale Wasser, sofort!« Ein Lakai kam herbei geeilt, in den Händen eine goldene Schale, die bis zum Rand mit dem gewünschten Nass gefüllt war. Bental tauchte seine Hand hinein und fuhr damit über Sebastians Arme. So fest er auch rieb, die Bilder wollten sich nicht von Sebastians Haut lösen.
»Es sind zweifellos die Zeichen der Götter!« verkündete der König erleichtert und laut in den Saal hinein. Augenblicklich standen die Menschen ohne Ausnahme von ihren Plätzen auf und begannen einen nicht enden wollenden Applaus, dem immer wieder Hochrufe entstiegen.
Sebastian sah sich bestätigt und wurde mutiger. Spontan stieg er die Stufen des Throns herab, schritt den Gang durch den Saal entlang und wieder zurück, ließ zu, dass die Menschen ihn bestaunten, betasteten und begafften. Zuletzt kehrte er an seinen Platz zurück, legte Kleider und Waffen wieder an und hob die Hände, um Ruhe zu erbitten.
Nachdem sich der Jubel des Volkes gelegt hatte, zog er Arrak an seine Seite, suchte offen den Blick Bentals und sagte:
»Dieser hier.., Arrak, der Führer der Windreiter, hat selbst nach der großen Schlacht nie aufgehört, für das Volk zu kämpfen! Er war mehr als jeder andere zur Stelle, wann immer die Dörfer des Val Mentiér Opfer von Torbuks Streifzügen wurden. Er ist ein großer Krieger, der seine Treue zu König Bental nie in Frage gestellt hat und er besitzt mein ganzes Vertrauen!« Sebastians Blicke wanderten nun zu Tieton, der noch immer dort stand, wo er aufgestanden war.
»Ihr aber Tieton.., was habt ihr getan, in dieser Zeit, da ein aus Falméra Verdammter den Kampf im Namen unseres Königs fort führte? Ihr lebtet in der Sicherheit und im Wohlstand Falméras! Aber dort, jenseits des großen Wassers, in den Tälern.., dort sterben noch immer viele Ival, und es wären noch viele mehr getötet worden, wenn nicht einige wenige wie Arrak bereit gewesen wären, aufzustehen um gegen Torbuk zu kämpfen!«
Sebastian hatte gewagt und gesagt, was ihm auf der Seele brannte und er wusste noch nicht, wie Bental es aufnehmen würde, dass er seinen Kriegsberater offen angefeindet hatte. Trotzdem fügte er noch hinzu:
»Und ihr, Tieton wagt es, eurem König ins Wort zu fallen, um jenen anzuklagen, der mehr, als alle anderen in diesem Saal seinem König zu dienen bereit ist!«
»Ruhe! Es ist genug! Schweigt jetzt.., alle beide!« schritt Bental mit gebieterischer Stimme ein. Etwas leiser, aber nicht weniger bestimmt, ordnete er an:
»Ihr, Areos, nehmt wieder euren Platz neben dem meinen ein, der euch zukommt.., ebenso ihr, Tieton, auf euren Platz! Und ihr...«, Bental wandte sich Arrak zu, »...setzt euch gefälligst zu den Heerlagerführern, wo ihr hin gehört!«
»Die Heerlagerführer, euer Hoheit?« fragte Arrak ungläubig. Bental sah ihn ernst an und bestätigte seine Aufforderung.
»Scheinbar versteht ihr mich nicht, Arrak.., etwas ungewöhnlich für einen Krieger, der meinem Bruder so viele Monde zugesetzt hat, ohne gefangen worden zu sein. Ihr habt ein Heerlager.., Windreiter, so war wohl der Name, nicht? Wie auch immer, die Führer meiner Heerlager stehen für gewöhnlich nicht im Gang meines Thronsaals herum!«
Bental machte eine unmissverständliche Handbewegung, als wollte er alle hinweg fegen, die es wagten, ihm zu widersprechen, trat eine Stufe vom Podest seines Throns herab und setzte endlich seine Rede fort, die er unterbrechen musste:
»Viele von euch wissen noch, wie es vor vielen Sommern und Wintern gewesen ist, als Areos auszog, um dem Verrat Torbuks, meines Bruders Einhalt zu gebieten.., viele von euch waren dabei, kämpften, wie Arrak, Seite an Seite mit jenem, der jetzt, dank der Gnade der Götter, wieder unter uns ist. Viele Brüder und Väter der Ival gingen in jenen Monden in das Reich der Toten. Areos selbst geleitete sie dort hin. Doch die Götter sandten ihn zurück, sahen ihn als würdig an, die Prophezeihung zu erfüllen.«
Der König drehte sich um und stellte sich wieder neben seinen Thron. Er gab Elwha ein Zeichen und sprach:
»Areos, mein Sohn, auserwählter Talris, Gesandter der Götter, empfangt nun den Segen der Götterwesen und der Herrscher des Landes der Menschenwesen. Lasst die Kraft Tálinos in eure Glieder, in euer Herz, in euren Scharfsinn übergehen und empfangt das Schwert der Götter, das jenem bestimmt ist, welcher von Talris selbst ausgewählt ist, die Prophezeihung zu erfüllen, das Volk zu befreien und das Böse zu besiegen!«
Elwha trat nun vor Sebastian hin, hob beide Hände und sprach laut, dass es auch der Letzte im Saal zu hören vermochte:
»Kniet nun nieder vor dem Zeichen das Götterwesen und Menschenwesen seit Alters her vereint. Nehmt den Segen der Götterwesen durch die Herrscher der Menschenwesen, welche nach den Bildern der Götter gemacht sind und die Gesetze und Gebote der Götter Talris achten und sie ehren für alle Zeiten.«
Feierlich griff Elwha unter sein weites, schweres Gewand und zog ein sehr einfach aussehendes Schwert heraus, das eine relativ kurze, kräftige Klinge besaß und eine kaum ernst zu nehmende Parierstange. Dennoch war ihm eine Besonderheit zu eigen, die Sebastian sofort auffiel. Es hatte diesen unerklärlichen bläulichen Schimmer, diesen matten Glanz, den auch Antaronas Schwert Nantakis besaß!
Es musste tatsächlich eines jener Schwerter sein, welche der Legende nach von den Götterwesen an die Menschenwesen weiter gegeben wurden, um das Böse zu besiegen. Sebastian erinnerte sich an die uralte Geschichte, die ihm Antarona auf dem Weg zu ihrem Vater erzählt hatte.
Mit einem Schauer der Ehrfurcht, der ihm über den Rücken lief, sah er, wie Elwha das Schwert mit beiden Händen anhob und eine Art lautes Gebet zu sprechen begann. Sebastian glaubte an keine überirdischen, oder übersinnlichen Kräfte, doch dieses Schwert, aus jenem Metall der Götter, das er bereits bei Nantakis kennen gelernt hatte, ließ ihn erschaudern.
Zu Vieles hatte er in diesem Land schon erlebt, das es am Wissen seiner Welt gemessen, nach rationeller Überlegung eigentlich nicht geben durfte. Doch es gab Elsiren, es gab das blaue Licht, es gab die Hallen von Talris und es gab diese Schwerter, in denen eine geheimnisvolle Kraft zu wohnen schien.
Eines dieser Schwerter senkte sich nun auf sein Haupt nieder. Elwha legte Sebastian die Klinge auf den Kopf und tatsächlich glaubte Sebastian zu spüren, wie etwas in seinen Geist eindrang. Es war ein Gefühl, als strömte reines Glück in seinen Schädel und weiter zu seinem Herzen, so, wie er es empfunden hatte, als ihn die Elsiren berührten. Was für eine Macht war hier am Werke?
Elwha beendete sein Gebet, nahm die wundersame Waffe von Sebastians Kopf, trat einen Schritt zurück und sprach feierlich:
»Steht nun auf, Areos, Sohn des Bental, Erbe des Throns von Falméra und...« Den Rest hörte Sebastian gar nicht mehr. Zu ergriffen war er von der Zeremonie, von der Kraft, die von Tálinos ausging. Dinge und Geschehnisse strömten auf ihn ein, schneller, als er in der Lage war, sie geistig zu verarbeiten.
War er nun ein König, ein Gotteskrieger, ein Revolutionär, oder doch nur ein Gefangener dieser Burg? Was erwartete man nun von ihm? Was erwartete Bental, der es nach wie vor in der Hand hatte, ob er Antarona wieder sah?
Antarona! Wo war sie eigentlich? Bevor er sich darüber Gedanken machen konnte, drangen Elwhas Worte wieder in sein Bewusstsein:
»...so empfangt denn dieses Schwert Tálinos...«, streckte ihm Elwha die Waffe mit beiden Händen entgegen, »...das Schwert der Götter, welches euch dient, so ihr strebet nach dem Frieden und der Gerechtigkeit unter den Menschenwesen. Führet die Klinge Talris mit reinem Herzen und wachem Verstand, den Geboten und Gesetzen der Götter zu dienen, welche den Menschenwesen gegeben wurden als die Schriften von Talris. Macht Tálinos und dem Thron Falméras und dem Volk der Ival Ehre, wie eins der alten Könige Taten!«
Damit legte der Alte mit dem langen weißen Bart das sagenhafte Schwert Tálinos behutsam in Sebastians Hände, als wäre es aus filigranem Glas. Schon in dem Moment, da Sebastian die Waffe berührte, wusste er, dass es ein Schwert der Götter war. Sofort spürte er diese eigenartige, unterstützende Wirkung, welche jenen Schwertern der Götter bei jeder Bewegung zueigen war.
Sebastian umfasste die Klinge des Schwertes mit einer Hand und hielt es quer vor sich, dem Volk entgegen, wie eine Gabe, wie ein Geschenk.
Volk der Ival, Volk von Falméra...«, begann er feierlich, »...ihr lebt in Falméra und in den Dörfern Falméras in Frieden und Sicherheit.., dennoch aber in Angst und Unruhe. Jenseits des großen Wassers aber leiden eure Brüder und Schwestern unter dem Joch der Ungerechtigkeit, der Gewalt und des Todes! Ich war selbst dort und sah, wie Torbuks Wilde Horden, seine schwarzen Reiter, ganze Dörfer verwüsteten, die Männer erschlugen und den Frauen und Mädchen die Saat des Bösen in ihren Leib brachten.«
Er machte eine kurze Pause und sah fragend zu Bental. Der nickte kurz, gab ihm ein kaum wahrnehmbares Handzeichen und raunte ihm zu:
»Bei den Göttern.., macht weiter.., hört jetzt nur nicht auf, sonst reißen mich meine Berater und Minister beim neuen Sonnenlauf in Stücke!«
»Volk der Ival...«, setzte Sebastian seine flammende Rede fort, »...wollt ihr nur ruhig dasitzen und zusehen, wie eure Brüder und Schwestern getötet oder versklavt werden, ja.., wollt ihr das? Oder seid ihr bereit zu kämpfen, an meiner Seite und an der Seite der Windreiter, damit nicht länger das Blut unseres Volkes im Boden versickert und das Land mit Tränen überschwemmt.«
Stille im Saal. Selbst den Fall einer Nadel hätte man deutlich vernehmen können. Sebastian verlies schon fast der Mut, weiter zu sprechen. Doch erinnerte er sich wieder daran, dass er mit sich selbst eine Abmachung getroffen hatte: Außer seinem Kopf konnte er nichts mehr verlieren! Also, wieder alles auf eine Karte!
»Gut.., ihr könnt natürlich schweigen und warten und schlafen...«, warf er seinen Zuhörern vor, »...haltet still und wartet, denn euer Haus, eure Frau, euer Kind sind nicht in Gefahr.., nicht in diesem Augenblick.., nicht in einem Mond.., und vielleicht auch nicht in einem Sommer. Doch dann wird Torbuk so mächtig sein und viele Wasserwagen besitzen und eines Morgens, wenn Talris seinen Lauf beginnt, wenn ihr nicht daran denkt, wird er plötzlich mit seinen Wasserwagen aus dem Nebel der Bucht kommen, wird unten am Hafen stehen, mit so vielen schwarzen Reitern, wie es Steine an den Stränden Falméras gibt!«
Sebastian redete sich regelrecht in Euphorie und beschwor in den Köpfen der Menschen im Saal eine wahre Apokalypse herauf, um ihre Herzen zu bewegen.
»Wisst ihr, was dann geschieht?« fragte er in die Menge, »ja.., wisst ihr das? Ich will es euch verraten! Die wilden Horden werden in eure Häuser eindringen, werden eure Frauen und Mädchen auf die Plätze zerren und öffentlich schänden; sie werden eure Brüder und Väter aus dem Schlaf reißen und an die Mauern der Stadt anschlagen, als lebende Schilde, wenn sie die Burg belagern. Euer Frieden und eure Sicherheit werden dann nur noch Rauch und Asche sein!«
Die Männer und Frauen im Saal glotzten ihn an, wie eine überirdische Erscheinung, die sie hypnotisiert hatte. Sebastian öffnete nur seine Hand. Er überließ Tálinos lediglich der Gravitation dieses Planeten. Mit Ohren betäubendem Scheppern und Klirren schlug die heilige Waffe auf dem Boden auf und Elwha erstarrte mit schockiertem Blick, während Bental entsetzt von seinem Thron aufsprang.
»Ihr könnt aber auch aufwachen...«, sprach Sebastian weiter, während er die Waffe wieder vom Boden aufhob und wie eine Fackel der Hoffnung in die Höhe streckte.
»Wir können mit allen, die ein Schwert zu halten vermögen, aus den Tälern des Nordens, aus Zarollon, aus Falméra aus dem Val Mentiér eine Armee aufstellen und Torbuk ein für alle Mal vernichten! Oder.., wir warten, bis er kommt und uns vernichtet.., und das wird er, glaubt mir.., er wird seine schwarze Hand nach Falméra und anschließend nach Oranutu ausstrecken, wenn wir nichts unternehmen!«
Sebastian senkte die Klinge Tálinos und ließ die Spitze wie eine unheilvolle Bedrohung auf das Volk zeigen, bevor er zum Ende kam.
»Aber ihr müsst es wollen.., ihr müsst zeigen, dass ihr bereit seid eure Familien zu beschützen, eure Güter zu verteidigen! Und glaubt mir.., es ist vorteilhaft, das Böse dort zu bekämpfen, wo es seine Wurzeln hat, und nicht erst zu warten, bis ihr es vor der Tür eurer eigenen Heimstatt steht!« Wieder hob Sebastian das Schwert der Götter zur Saalkuppel.
»Wer also wird mit mir ziehen, wenn die Zentare gekommen ist, Torbuk in sein dunkles Loch zurück zu jagen und das Land zu befreien.., nun, wer wird dann für den König und den Thron von Falméra an meiner Seite sein?«
»Die Windreiter werden allen voran an eurer Seite kämpfen, Areos von Falméra...«, rief Arrak, der aufgesprungen war und ebenfalls sein Schwert in die Höhe hielt, »...und wenn alle anderen wie feige Wasel in ihre Löcher kriechen, werden wir Torbuk allein die Macht König Bentals spüren lassen!«
Das wollte Tieton nun auf keinen Fall auf sich sitzen lassen.., von einem Ausgestoßenen, von einem Verbannten! Er sprang auf, zog sein Schwert, streckte es hoch und verkündete laut:
»Nicht ohne die Streitmacht Falméras! Die Heerlager Falméras werden wie Heuschrecken über Quaronas her fallen, dass für die Windreiter nicht mehr zu tun bleibt, als die Toten der Wilden Horden aufzusammeln, für die schwarzen Vögel der Ival, die ihnen die Augen aushacken werden!«
»Ihr vergesst die Bauernstände, Herr von Tieton, Kriegsrat zu Falméra...«, stand ein kräftiger, bärtiger Mann aus den Reihen auf, »...wir, die euch in jedem Wettstreit bisher über waren und stets als Sieger hervor gingen, werden euch mit unseren freien Truppen gar nichts mehr übrig lassen, von Torbuks Armee, das Wert wäre, bis in das Loch Quaronas zu kriechen! Ihre schwarzen Reiter werden Quaronas und eure Schwerter gar nicht mehr erreichen, weil unsere Lanzen bereits in ihren Leibern stecken werden!«
»Ich und meine Söhne werden mit euch ziehen, Areos von Falméra!« fiel nun eine andere Stimme ein. Der Mann, dem sie gehörte, war in feinste Stoffe gekleidet, doch seine Haltung verriet einen gedienten Krieger. Nach und nach standen nun die Männer und sogar einige der jüngeren Frauen auf und bekundeten, mit jenem gehen zu wollen, der das Land von Torbuk befreien wollte. Sogar einige Oranuti- Fürsten boten Sebastian ihre Feldarbeiter als Waffenbrüder an.
Über die Köpfe der aufgeregten Menge hinweg gab Sebastian dem Büttel Wohlfried ein Zeichen und sofort begann er seinen Stab so hart auf den Boden zu knallen, dass es nicht lange dauerte, bis wieder Ruhe im Saal einkehrte.
»Nicht so schnell...«, bremste Sebastian nur ungern den Eifer der Menschen, »...noch ist es an seiner gütigen Hoheit, König Bental, zu entscheiden und das Volk zu führen. Wir alle, die wir darauf brennen, Torbuk den Waffenrock vom Leib zu reißen, werden seinem Urteil vertrauen und uns gut auf einen Krieg gegen Torbuks Armee vorbereiten! Und vergesst niemals: Es geht gegen Torbuk, nicht gegen Quaronas! Es geht darum, das Volk der Ival zu befreien, das genau so in Quaronas Mauern lebt, wie in denen Falméras! Wenn ihr es wünscht, so werde ich euch führen.., doch jedes Schwert, das sich erhebt, wird im Namen des Throns von Falméra und im Namen des Königs geführt werden!«
In diesem Augenblick erhob sich König Bental von seinem Thron und Büttel Wohlfrieds Stock sorgte für die nötige Aufmerksamkeit. Der König trat die wenigen Schritte bis zu den Stufen des Throns vor und seine Stimme schien von den Gewölben wider zu klingen.
»Ihr habt Areos, welcher mein Sohn ist, vernommen. Ich vertraue ihm, so wie ich Talris vertraue und seinem Werkzeug Tálinos, welches in den Händen Areos nach den Gesetzen und Geboten der Götter geführt werde. Um den Bund dieses Vertrauens zu besiegeln, übertrage ich Areos wiederum die Führung sämtlicher Heerlager, mit allen Pflichten und Rechten, die ihm anheim waren, vor der großen Schlacht, bevor er seine besten Krieger in das Reich der Toten geleitete.« Bental wandte sich anschließend der ersten Reihe im Saal zu und blickte auf seinen Kriegsrat.
»Ihr, Tieton, bleibt an meiner Seite als Kriegsrat. An euch wird es sein, alle wehrhaften Männer um Areos zu sammeln und einen Plan zu ersinnen. Ihr besitzt ebenso das Vertrauen eures Königs. Schon bald werde ich meine Vertrautesten zusammen rufen und darüber beraten. Doch jetzt...«, verkündete er mit angehobenem Ton, »...ist nicht die Zeit, zu beraten.., jetzt ist die Zeit, zu feiern! Jetzt ist die Zeit, Areos in der Mitte des Volkes und meiner Vertrauten willkommen zu heißen, eine Zeit des Ausdrucks der Freude!« Bental stieg langsam die Stufen des Throns hinab und bedeutete Sebastian und Elwha, ihm zu folgen.
»Zu diesem Anlass, seid alle willkommen und folgt in den großen Festsaal...«, rief er einladend, »...Speise und Trank werden euch ebenso erfreuen, wie die Klänge der Spielleute. Lasset uns dem Beginn einer neuen Zeit huldigen, der Prophezeihung der Schriften Talris!«
Daraufhin erschien ein Diener mit einer langen, in Samt ausgeschlagenen Schatulle und bedeutete, Tálinos wieder dort hinein zu legen. Sebastian sah Bental erstaunt an.
»Es wird wieder sicher verwahrt...«, beruhigte ihn der König, »...damit es keinen Schaden nimmt, auf dem Fest.., ihr versteht...« Bental stellte dies nicht in Frage, sondern entschied es so. Als nächstes führte er die Teilnehmer der Feierlichkeiten in den Ostflügel.
Bental allen voran, gefolgt von Areos, Elwha, Tieton und Omanistu zogen sie einer Prozession gleich den Korridor entlang, bis in den großen Festsaal, der im Nordflügel der Burg lag. Hinter den Beratern des Königs schritten die Heerlagerführer, dann die Führer der Wachen und zuletzt die angesehenen Damen und Herren des Volkes von Falméra.
Der Festsaal bestand aus zwei großen Räumen, die ein großer Durchgang miteinander verband, der optisch kaum auffiel. Die weißen Wände waren mit reichlich Stuck verziert, der Sebastian zuhause in Staunen versetzt hätte. Jedes Detail, jedes Gesims und alle Ornamente und Rosetten waren dezent in Gold, Rosa und Himmelblau abgesetzt. Das dunkle, rotbraune Parkett bildete dazu einen faszinierenden Kontrast.
Goldene Leuchter mit unüberschaubar vielen Kerzen verbreiteten ein angenehmes Licht und einen leichten Duft nach Harz und Wachs, der sich mit den Parfümnoten der Frauen mischte.
Bental nahm Sebastian an seine Seite und stellte sich mit ihm an vor einer Fensternische auf, um alle Gäste willkommen zu heißen. Die Nähe von Fenstern schien eine von Bentals Marotten zu sein, dachte Sebastian leicht belustigt. An ihrer rechten Seite nahmen Wohlfried und Omanistu Aufstellung, sowie Elwha links von ihnen.
Dann schritten alle geladenen Gäste, sowie Berater, Heerlagerführer und Minister an ihnen vorüber, streng nach einer bestimmten Reihenfolge des Protokolls. Eine lange, nicht endende Schlange von Menschen bewegte sich an ihnen vorüber. Sebastian musste Hände schütteln, hübsche, junge Frauen umarmen, die verführerisch nach Sommer und Sonne dufteten, aber auch wohlbeleibte ältere Damen, deren Schweißgeruch ihre schnatternden Stimmen noch überwog.
Omanistu flüsterte ihnen bei jedem Gast zu, welchen Namen er trug und welchen Rang er in der Gesellschaft Falméras bekleidete. Eine Stunde dauerte diese Zeremonie der Höflichkeit, bevor Sebastian wieder entspannt ausatmen konnte. So viele Menschen der gehobenen Gesellschaft flanierten an ihm vorüber, dass er sich fragte, wie die alle zuvor im Saal Platz gefunden hatten. Und das waren nur jene, die über genügend Reichtum, Ansehen und Macht verfügten, dass sie dem Hof wichtig genug erschienen.
Das Volk aber, jene Menschen, die das Land bestellten, ihre Kinder groß zogen, die Soldaten, welche die Burg und die Stadt schützten und auch all jene, die auf den Märkten für Spiel und Spaß sorgten, waren Sebastian ebenso wichtig. Doch sie waren nicht unter den Geladenen!
Sebastian aber wollte ein Areos des Volkes sein, einer, der das Volk achtete, es verstand und sich nicht scheute, sich mit den Niedrigsten unter ihnen einen Tisch, Speise und Trank zu teilen. Doch dahin, so ahnte er, war es ein langer Weg.
Als der offizielle Teil des Empfangs beendet war, löste sich die lange Reihe von Bewunderern in kleine Grüppchen auf. Einige verzogen sich in das Gesellschaftszimmer neben dem Festsaal, einige, meist die feisteren unter den Gästen, nisteten sich im Speisesaal ein, manche gingen aber auch auf dem Hof umher, der von vielen Fackeln in ein romantisches Licht getaucht war. Verschwiegene Pärchen indes suchten stille Ecken und Winkel, in Hof und Korridor, um sich näher zu kommen.
Sebastian suchte Antarona. Offiziell wurde sie im Protokoll nicht angekündigt, doch er war überzeugt, dass sie unter den vielen Menschen war, denn Bental hatte doch geäußert, dass sie beide am Fest teilnehmen würden. So sehr er jedoch nach ihr Ausschau hielt, er konnte sie nirgends entdecken.
Im Festsaal hatten indes Spielleute Aufstellung genommen, die eher einer verlotterten Rockband glichen, als höfischen Musikanten, wie Sebastian sie aus Märchenfilmen kannte. Diese hier hatten wenig mit Märchen zu tun. Sie gebärdeten sich wie wilde, mit Glöckchen behängte Teufel, spielten und sangen in einem Rhythmus, der mehr einem entfesselten Sturm glich, als einer festlichen Melodie und passten eigentlich eher auf einen Rummelplatz.
Zwischendurch wurde er immer wieder von irgend welchen wichtigen Personen in Beschlag genommen, die ihm Bewunderung zollten, oder gute Ratschläge erteilen wollten, die letztlich doch nur ihrem eigenen Fortkommen in der Gesellschaft nützen würden. Einige Male musste er sich aufdringlicher Damen erwehren, die ihre hässlichen, dummen und albern kichernden Töchter gern mit ihm verbunden sahen.
Dann rief ihn Bental, der mit Tieton, Arrak und einigen Führern der Heerlager zusammen standen. Offenbar war zwischen Arrak und Tieton eine Art stiller Waffenstillstand befohlen worden, der sie zwang, miteinander auszukommen. Man unterhielt sich über Pferde und Sebastian lernte, dass ein Pferd eben nicht nur ein Pferd war. Es gab eigensinnige, treue, träge, feurige und missgelaunte Tiere, welche ihrem Reiter ein ums andere Mal so zusetzen konnten, dass der darüber nachdachte, ob sie im Kochtopf nicht besser aufgehoben waren, als unter seinem Sattel.
Wohin sich Sebastian auch wandte, wurde ihm ein ungeheurer Respekt entgegen gebracht und ein jeder, oder eine jede erhoffte sich seines Wohlwollens, oder gar seiner Zuneigung. Doch nirgends fand er, was er sich wirklich ersehnte.., Antarona! Hatte man sie überhaupt auf das Fest gelassen, so, wie Bental es angekündigt hatte?
Einsam und zwischen einigen hundert Menschen verloren, zog sich Sebastian in den Hof zurück, auch um ein wenig frische Luft zu schnappen. Sehnsuchtsvoll blickte er in die Sterne, die mittlerweile den Himmel besiedelt hatten. Es war mild und er wanderte ruhelos unter den fünf mächtigen Bäumen hindurch, die als einzige dem Hof etwas Lebendiges verliehen.
Dabei fiel sein Blick wie zufällig auf die oberste Galerie von Korridorfenstern, die schwach beleuchtet waren. Täuschte er sich, oder wanderte dort oben wirklich eine einsame Gestalt den Korridor entlang? Sebastian trat noch ein paar Schritte zurück, um besser sehen zu können.
Tatsächlich! Antarona! Sie schritt dort oben an den Fenstern auf und ab, blieb mal stehen, blickte herab, ging weiter. Einem gefangenen Tiger gleich, eingesperrt, allein gelassen, vergessen. Sie konnte ihn nicht sehen, denn entweder stand er unter einem der Bäume, oder in ihrem Schatten.
Er hätte versuchen können, zu ihr zu gelangen, doch selbst an diesem Abend wäre er nicht an Bentals Wachen vorbei gekommen. Dabei hätte es Antarona mehr als jeder andere verdient, den Platz neben König Bental einzunehmen, und das nicht nur, weil sie die gebürtige Prinzessin von Falméra war! Sie hatte als einzige in ihrer Welt an einen Widerstand gegen Torbuk geglaubt; sie allein hatte den Mut, seine schwarzen Reiter anzugreifen und ihnen das Fürchten zu lehren!
Wie paradox das war! Ein Fremder saß neben Bental auf dem Thron, während seine eigene Tochter, die Prinzessin von Falméra in ihren Gemächern versteckt wurde, weil es sie nicht geben durfte! Irgend etwas lief hier ganz gewaltig schief!
Antarona setzte ihre Wanderung fort. Sebastian konnte sie nicht mehr sehen, denn der gewaltige, in den Hof ragende Bau des Thronsaals verdeckte ihm die Sicht. Basti hetzte zum anderen Ende des Hofes. Von dort aus blickte er wieder auf die Fenstergalerie, die sich wie eine Reihe gelber Zähne vor dem dunklen Nachthimmel fort setzte.
Wie ein unruhiger Geist schwebte seine Geliebte hinter den Fenstern entlang. Da! Plötzlich hielt sie an. Sebastian sah, wie sie ein Fenster öffnete und sich hinauslehnte. Er hielt den Atem an. Sie würde doch wohl nicht... Nein, sie hockte sich auf das Fenstersims, sah herab und begann ein Lied zu singen.
Sebastian stand still und lauschte gebannt. Sie sang mit der Stimme eines Engels, eine Melodie, die so viel Liebe, so viel Sehnsucht und Gefühl zum Ausdruck brachte, dass er nur fasziniert dastand, gegen Tränen der Ergriffenheit ankämpfte und sich eingestehen musste, von ihrem verborgenen Talent nichts gewusst zu haben. Hatte sie je so gesungen? Kaum.., es gab ja auch selten Gelegenheit dazu. Wann hätte sie so singen sollen? Ständig waren sie damit beschäftigt gewesen, Torbuks Reiter zu bekämpfen, oder durch Täler, Wälder, Sümpfe und über hohe Berge zu laufen.
Sebastian wollte sich die Gelegenheit nicht entgehen lassen, trat so weit aus dem Schatten des Baumes und der Fassaden, wie möglich, winkte und rief ihren Namen. Doch gleichzeitig wurde drüben die Tür zum Gesellschaftszimmer aufgestoßen.
Sofort drang die Musik der Spielleute heraus. Zwei oder drei Pärchen stürmten die drei Stufen herunter in den Hof und begannen ein neckisches Spiel sich gegenseitig zu fangen. Die Burschen lachten und die Mädchen kicherten ausgelassen. Die umliegenden Wände wirkten wie ein Megaphon und sofort übertönten die Stimmen Antaronas Gesang.
Ärgerlich sah sich Sebastian zu den herumalbernden Liebespaaren um. War da etwa Mestas im Spiel? Hatte Bental das Zeug ausschenken lassen? Als Sebastian wieder zu Antarona hinauf blickte, sah er gerade noch, wie sie das Fenster wieder schließen wollte. Ein Luftzug wehte in den Burghof herein, erfasste ihren schleierartigen Schal und trug ihn davon. Sie versuchte noch, ihn im letzten Augenblick zu fassen und wäre beinahe aus dem Fenster gestürzt! Sebastian hielt vor Schreck die Luft an.
Sie blickte hinter dem Tuch her, das vom Wind zunächst hoch in die Luft geweht wurde. Dann begann es langsam nach unten zu sinken, trieb bis weit über den Burghof hinaus, wurde erneut von einer kleinen Böe erfasst und gegen die Fassade gedrückt, wo es unaufhaltsam nach unten schwebte. Antarona schloss oben gerade das Fenster, als Sebastian bemerkte, dass ihr Tuch geradewegs in den Brunnen zu fallen drohte, der sich unter der Fassade befand.
Er dachte nicht nach, sondern rannte los, um es noch rechtzeitig aufzufangen. Doch zwei der Mädchen hatten ebenfalls den sinkenden Schatten bemerkt, hatten ihren Flirt unterbrochen und liefen gleichzeitig auf das Tuch zu. Der Wind des Schicksals griff noch einmal in den Stoff, hob ihn Sebastian entgegen und gerade als er den seidenen Schal erfasste, prallte er mit den beiden Mädchen zusammen.
Die eine fiel sofort in den Sand des Hofes, die andere schrie erschrocken auf und wich zurück, als wäre sie vom Grafen Dracula angegriffen worden. Sofort kamen die drei jungen Männer und das andere Mädchen herbei gestürmt, die Fäuste drohend erhoben, gegen den Fremden im dunklen Hof. Als sie jedoch Areos in Sebastian erkannten, liefen sie gegen eine unsichtbare Mauer.
»Areos.., Herr, verzeiht.., wir wussten nicht...«, stotterte der eine, der sich als erster wieder gefangen hatte.
»Na wie denn auch...«, gab Sebastian freundlich zurück, in der einen Hand Antaronas Tuch, mit der anderen das gefallene Mädchen am Arm hoch ziehend, »...ist ja auch so dunkel hier.., fast perfekt, um eine heimliche Liebe zu erleben, was?« lachte Sebastian die sechs an, die kaum älter waren, als Antarona. Wie begossene Hunde standen sie nun vor ihm, als hätten sie sich des Hochverrats schuldig gemacht.
»Ihr wisst davon, euer Hochwohlgeboren?« stotterte das Mädchen, dem Sebastian gerade aufgeholfen hatte. Sebastian blickte ihr in die scheuen, großen Augen und sagte:
»Areos.., nicht Hochwohlgeboren.., einfach nur Areos, nichts weiter. Und wovon soll ich wissen?« forschte Sebastian nach.
»Von unserer verbotenen Liebe, euer Hoch.., Areos, Herr«, gestand ihm das Mädchen kleinlaut. Sebastian nahm sie vorsichtig am Arm, führte sie über den Hof und gab den anderen ein Zeichen, ihm zu folgen.
»Kommt etwas mehr ins Licht, damit ich euch sehen kann...«, bestimmte er, »...ihr liebt euch also, aber eure Liebe ist verboten, ja.., erklärt mir, wie das sein kann«, forderte er sie auf.
»Ich bin Tariz, Herr, eine Oranuti.., aber in Falméra geboren und ich liebe diesen hier...«, damit zog sie einen der jungen Männer ins Licht, »...Miranor.., er ist Ival. Aber seine Eltern verbieten, dass wir uns sehen, weil ich eine Oranuti bin.« Sebastian wandte sich nun den anderen zu:
»Und ihr da.., was ist mit euch?« wollte er wissen. Wieder antwortete Tariz. Sie schien von allen den meisten Mut zu besitzen und war dazu noch intelligent.
»Dies sind Halem, er ist Oranuti und Permina ist Ival«, stellte sie ihre Freunde vor, »sie lieben sich, aber Perminas Vater will keinen Oranuti in seinem Haus haben. So ist es auch mit Simas, der ebenfalls Oranuti ist und Femra liebt...«
»...die wahrscheinlich eine Ival ist und ebenso störrische Eltern hat, nicht wahr?« beendete Sebastian den Satz für sie.
»Nein, Femras Eltern haben nichts gegen Oranutis, aber Simas Vater ist in Oranutu ein großer Fürst. Simas darf sich nur mit einer Oranuti verbinden.., aber sie lieben sich so sehr!« erklärte Tariz.
»Na, da steckt ihr ja ganz schön in Schwierigkeiten, was...«, bemerkte Sebastian und sah sich um, »...kommt dort zu dem anderen Brunnen und erzählt mir mehr von euch!« Sebastian setzte sich auf den gemauerten Rand des Brunnens und die sechs Verliebten nahmen rechts und links neben ihm Platz.
»So...«, begann Sebastian, »...und jetzt sagt mir, wie sehr ihr euch liebt!« forderte Sebastian mit gespielter Strenge. Tariz war es wieder, die für die anderen sprach:
»Areos, Herr.., Permina, Femra und ich...«, ihr liefen plötzlich Tränen über die Wangen, »...also wir wollten an diesem Fest auf einen eurer Türme steigen.., um.., also wir dachten, wenn wir alle gemeinsam in das Reich der Toten gehen.., dort gibt es doch keine Oranuti und keine Ival.., dort sind wir doch alle Menschenwesen.., dort dürfen wir doch lieben, wen wir begehren, oder?«
Sebastian saß da, sprachlos, sah von einem der jungen Menschen zum anderen und war tief erschüttert. Kopfschüttelnd fragte er:
»Ihr wolltet also von meinen Turmzinnen springen, ja.., wolltet in das Reich der Toten gehen, aus Liebe, um eurer großen Liebe willen, wart ihr bereit zu sterben?« Sebastian nagelte die sechs mit seinem Blick fest und musste dagegen ankämpfen, nicht selbst seinen Tränen nachzugeben. Tariz nickte beschämt, Femra und Permina lagen sich plötzlich weinend in den Armen, während die Jungen betroffen zu Boden blickten.
»Wir wollten auf den höchsten Turm steigen...«, gestand Tariz, »...aber die sind hier alle bewacht, die Türme.., überall stehen Wachen an den Türen!«
»Na, na.., nun mal nicht so hoffnungslos...«, versuchte Sebastian die Liebenden aufzumuntern, »...ihr habt den Katzenjammer nämlich nicht erfunden.., ganz bestimmt nicht!« Sebastian wog Antaronas Tuch in seiner Hand und sah dann einen nach dem anderen an.
»Ich will euch etwas verraten. Die Wachen in den Türmen, die euch daran gehindert haben, eine große Dummheit zu begehen, verbieten zwei anderen Menschenwesen ebenfalls ihre Liebe.., er ist Ival und ihre Mutter war eine Oranuti!« Sebastian nickte gewichtig, bevor er fort fuhr:
»Ihr seht, ihr seid mit eurem Kummer nicht allein! Es wird viele geben, die für ihre Liebe einen dornigen Weg beschreiten. Aber gerade das sollte euch nicht aufgeben, sondern um so mehr für eure Liebe kämpfen lassen. Kämpft.., ihr müsst kämpfen.., ihr müsst beweisen, dass ihr eurer Liebe wert seid!«
»Was aber sollen wir tun, Herr...«, fragte nun Halem, »...sollen wir uns gegen unsere Familien stellen.., sollen wir ertragen, von unseren Eltern und Geschwistern verstoßen zu werden?« Inzwischen Mut gefasst, fiel nun auch Miranor in das Gespräch ein:
»Wir haben schon alles versucht, Areos, Herr.., wir haben unsere Mädchen sogar nach Mehi-o-ratea entführt, um den Segen der Elsiren zu erbitten, aber...«
»Mehi-o-ratea.., was ist das?« fragte Sebastian neugierig. Die Sechs starrten erst ihn, dann sich gegenseitig ungläubig an.
»Herr.., ihr wisst nicht von Mehi-o-ratea, dem Ort der Liebe.., dem Dorf der Liebenden in den Elsirensümpfen von Falméra?« staunten die sechs Teenager, »das geheime Dorf in dem sich all jene treffen, deren Liebe nicht sein darf, deren Herzen sich aber dennoch verbunden haben...«
»Ach wisst ihr...«, gestand Sebastian seufzend, »...ich wusste nicht einmal, dass es auch auf Falméra Elsirensümpfe gibt.« Er zuckte entschuldigend mit den Schultern und sagte:
»Aber wenn es so ist, wo liegt dann euer Kummer begraben? Eine Verbindung zweier Liebenden unter dem Segen der Elsiren ist Va-ra-hi.., ist heilig und darf auch von Eltern, ja selbst vom König nicht aufgehoben, oder gebrochen werden!«
»Das wissen wir...«, antwortete Permina bedrückt, »...doch wenn ein Herz das andere im Guten frei gibt, so gilt es nicht mehr. Unsere Eltern wollen uns zwingen, unsere Herzen von den uns verbundenen loszusagen.., darum wollten wir dem ständigen Drängen und Hassen entgehen und...«
»Und euer Leben und eure Liebe einfach fort werfen!« tadelte Sebastian streng. Permina sah ihn trotzig an und begehrte auf:
»Ihr wisst nicht, was wir gerade in unseren Herzen fühlen, Herr.., verzeiht, aber es ist für uns so hoffnungslos, alles so ohne Licht.., ach, ihr versteht das nicht!« warf sie ihm vor und brach erneut in Tränen aus.
Sebastian nahm sie in den Arm, wie seine eigene Schwester und klopfte ihr beruhigend auf die Schulter. Dann gab er Halem ein Zeichen, sich um sie zu kümmern. Anschließend stand Sebastian auf und baute sich vor seinen jungen Untertanen auf.
»So.., und nun will ich euch mal etwas sagen!« begann er mit fester Stimme. »Ich, Areos, verstehe euch mehr, als ihr euch das überhaupt vorstellen könnt. Und ich weiß ganz genau, was ihr im Moment in euren Herzen verbergt.., das könnt ihr mir glauben. Ich weiß, wovon ich spreche. Und ich will euch mal eine Geschichte erzählen!« Die jungen Leute sahen ihn erstaunt an und Sebastian setzte sich wieder zwischen sie. Er wusste selbst nicht mehr, ob es klug war, was er tat, dennoch umarmte er Halem und Tariz, die ihm zur Rechten und zur Linken saßen, dann holte er tief Luft, hob Antaronas Tuch hoch, als wäre die Geschichte in ihm gefangen und fing zu sprechen an, als erzählte er ein Märchen:
»Dieses Tuch hier, das in dieser Nacht von den Sternen fiel.., dieses Tuch gehört einer wahren Prinzessin! Glaubt es.., oder glaubt es nicht, aber so ist es! Sie ist eine Prinzessin der Ival und der Oranuti gleichermaßen, denn ihr Vater war ein großer Herrscher der Ival und ihre Mutter eine Prinzessin aus einem alten Geschlecht der Oranuti. Das Schicksal führte diese Prinzessin weit von ihrer Burg und ihren Eltern fort, in ein fernes Land...«
Sebastian räusperte sich, setzte sich etwas bequemer hin und die jungen Leute ließen ihre Augen nicht eine Sekunde mehr von ihm, sahen ihn gebannt an, lauschten und warteten auf den Rest seiner Geschichte.
»Dort in dem fernen Land wuchs sie zu einer wahrhaften Schönheit heran, doch über die Jahre vergaß sie ihre Eltern und die Herkunft ihres hohen Standes, denn sie sah jene nicht mehr, die ihr Mutter und Vater gewesen waren. Statt dessen nahm sie ein Bauer an Tochter statt an und lehrte sie Ehrlichkeit, Fleiß, Rechtschaffenheit und alle Dinge, die eine gute Tochter wissen sollte. Ihre Mutter indes ging vor Kummer um ihr Kind in das Reich der Toten, während ihr Vater allein und einsam über das Land herrschte, denn auch sein Sohn war jung in die weite Welt hinaus gezogen, um seinen Mut zu beweisen, um Ruhm zu ernten und sich ein Herz zu suchen, mit dem er sich verbinden könnte.
Eines Tages, inzwischen war die Prinzessin zu einer wunderschönen Bauerntochter heran gewachsen, die den jungen Männern schöne Augen machte, traf sie auf einen Krieger, der von hohem Stand schien und verliebte sich in ihn. Eines Mondes bekamen sie den Segen der Elsiren und liebten sich im Mondschein an einem stillen Teich und wussten, dass niemals wieder etwas ihre Herzen würde trennen können.
Jener Krieger jedoch, war der Sohn des Königs und somit der Bruder der Prinzessin; das aber wussten die beiden nicht. Das Schicksal nun, verschlug die beiden nach einiger Zeit an den Hof des Königs, welcher in ihnen seinen Sohn und seine Tochter erkannte.«
»Mussten die beiden nun wieder ihre Herzen voneinander trennen?« wollte Femra ungeduldig wissen. Sebastian lächelte sie geheimnisvoll an und erzählte weiter:
»Nun, der König war erzürnt darüber, dass sich Bruder und Schwester liebten. Er sperrte seine Tochter, die Prinzessin in seinen höchsten Turm und ließ alle Treppen dort hinauf schwer bewachen, so dass sein Sohn nicht mehr zu ihr gelangen konnte.
Die Prinzessin aber nahm all ihre kostbaren Gewänder beisammen und zerschnitt sie allesamt in lange, dünne Tücher. Und jedes Mal, wenn ihr Liebster über den Burghof schritt, öffnete sie ein winziges Fenster im Turm und warf ihm ein Tuch hinab, um ihm zu zeigen, dass sie niemals an ihrer beider Liebe zweifele und die Hoffnung niemals aufgeben wollte.
Der junge Königssohn ging fortan in jeder Nacht des Mondes auf den Hof, um seiner Geliebten zu zeigen, dass sein Herz nicht von ihrem ließ und sie in ewiger Treue liebte, bis in alle Zeit. In jedem Mond, den Talris fortan auf die Reise schickte, empfing der Sohn des Königs einen Schal seiner Geliebten und wusste, dass sie noch immer miteinander verbunden waren.« Sebastian hielt Antaronas Tuch zwischen den Fingern und ließ es demonstrativ im Wind wehen, bis einige dicke, salzige Tropfen darauf fielen und er weiter sprach:
»Nun, wenn sie nicht in das Reich der Toten gegangen sind, so wirft die Prinzessin noch heute bei jedem Mond ein Tuch aus dem Turm und ihr Bruder empfängt es aus ungebrochener Liebe zu ihr.., auf irgendeiner fremden Burg, in irgendeinem fernen Land, hinter irgendeinem großen Wasser.
Nun, die Geschichte dieser beiden rührte Talris und seine Götter so sehr zu Tränen, dass er einem seiner Sterne auftrug, fortan in jeder Nacht, bei jedem Mond ein Tuch der Liebe in jeden Burghof in jedem Land dieser Welt zu werfen!« Damit nahm Sebastian das Tuch wieder zusammen und hielt es Tariz hin, die erneut verzweifelt gegen ihre Trauer ankämpfte.
Sie nahm es mit einem dankbaren Nicken und drückte es sich an die Brust, während ihr Blick die Augen von Miranor suchten.
»Was ich euch damit sagen will...«, schloss Sebastian, »...ist, dass ihr niemals aufgeben dürft, an eure Liebe zu glauben, denn sie ist stärker, als alles andere auf dieser Welt! Wenn ihr euch wirklich liebt.., ja, Halem, dann erwägt notfalls auch, euch gegen eure Familien zu stellen, denn auch sie lieben euch sehr und sie werden euch, mag es auch einige Monde dauern, eure Liebe lassen, denn sie wollen euch nicht verlieren!«
Sebastian stand auf, sah seine neuen Freunde der Reihe nach an und lächelte ihnen zuversichtlich entgegen.
»Ich glaube...«, sagte er geheimnisvoll, »...ihr habt mehr Glück, als diese beiden, von denen ich euch erzählte.., denn ihr habt mich getroffen, Areos, den Sohn eures Königs. Ich denke, ich werde euch helfen können, denn für die Liebe sollte einer stets bereit sein, beherzt zu handeln! Lasst mir eine Schrift zukommen, in der ihr die Namen eurer Eltern schreibt und ich werde sehen, was ich für euch tun kann! Gebt die Schrift dem Hauptmann der inneren Wache, Genrath.., ihm könnt ihr vertrauen!«
Sebastian machte plötzlich eine schnelle Armbewegung, als wollte er eine Schar Mücken vertreiben und sprach lachend:
»So.., und nun macht, dass ihr fort kommt! Ich möchte aber niemals hören, dass eines eurer Herzen das andere verlässt, sonst verspreche ich euch, persönlich dafür zu sorgen, das ihr im Kerker landet! Und lasst euch ja nicht in der Nähe der Türme blicken, die behüten mancherorts traurige Geheimnisse!« Den letzten Satz warf er ihnen noch nach, als sie schon die Stufen zum Gesellschaftszimmer hinauf liefen.
Sehnsüchtig blickte Sebastian noch einmal zu Antaronas Fenster hinauf. Die Lichter aber waren inzwischen verloschen. Traurig sah er zu den Sternen hinauf, die er gerade missbraucht hatte, um drei andere Verbindungen der Liebe zu retten.
Es war schon seltsam.., Antarona, die ihn beinahe dazu gebracht hatte, jedes Geschöpf aus Oranutu zu hassen, war selbst eine halbe Prinzessin der Oranuti. Und ihrer beider Schicksal bewog Sebastian soeben, die Liebe zwischen Oranutis und Ivals zu bewahren, etwas, das völlig im Gegensatz zu seiner politischen Ansicht stand, die er über dieses Land besaß.
Er sah die Oranuti als potentielle Gefahr für die Sicherheit des Volkes und der Kultur der Ival. Dennoch hatte er gerade sechs jungen Menschen, Ival und Oranuti, den Mut gegeben, ihre Liebe zu leben, trotz der unterschiedlichen Kulturen aus denen sie stammten.
Die Liebe kannte nun einmal keine Grenzen, tröstete er sich. Sie kannte keine Grenzen zwischen verschiedenen politischen Lagern, zwischen Völkern und auch nicht zwischen ganzen Welten! Das zumindest hatte ihm Antarona ungewollt bewiesen! Die Liebe stand über allem was war und je sein würde! Mit dieser Weisheit gesellte sich Sebastian wieder zu den Gästen des Hofes und zu den Experten über Pferde.
Er kam gerade rechtzeitig zurück, als ein weiterer in der Runde, ein Wachoffizier, davon sprach, dass es zwischen Pferd und Reiter so etwas, wie eine Liebe geben konnte. Aha, dachte Sebastian bei sich, sogar diese Grenze vermochte die Liebe zu überwinden!
Nach einiger Zeit gesellte sich Bental wieder zu der vetarinären Runde, hatte gar nicht bemerkt, dass Areos geraume Zeit fort gewesen war. Das Thema Pferde wurde noch weiter ausgeschmückt und bekam einen fast wissenschaftlichen Anstrich. Sebastian stand daneben, sagte aber nichts, denn Pferde waren ihm so fremd, wie Brathering auf Vanilleeis.
Plötzlich hob Bental seine Augenbrauen, blickte an Sebastian vorbei und bemerkte staunend, offenbar recht zufrieden:
»Aah.., sieh da.., es gibt also doch schon eine kleine Verehrerin, Areos.., gebt zu.., ihr habt bereits eine neue Liebe gefunden, nicht wahr.., eine kleine Oranuti, wie ich sehe?« Voller Vorfreude hüpfte Bental auf den Zehen auf und ab. Sebastian aber drehte sich verwundert um.
Vor ihm stand Tariz. Sebastian bemerkte erst jetzt, im Licht der vielen Kerzen, wie wunderschön das Mädchen war. Ihre Kastanien braunen Haare flossen in langen Wellen um ein freundliches Gesicht, aus dem ein warmes Lächeln großen, ehrlichen Augen entfloh. Ihre Haarspitzen legten sich in kleinen Ringeln auf ein helles, pastellgrünes Kleid.
»Gütiger Herr...«, begann sie verschüchtert, »...auf eine kurze Rede, Herr.., wenn ihr erlaubt...« Bental amüsierte sich köstlich über die Situation und die anderen, meist Heerlagerführer und Hauptleute der Wachen, fielen aus Solidarität oder aus purer Angst, in den Frohsinn ihres Königs mit ein.
Sebastian nahm Tariz beim Arm und führte sie etwas abseits. Sie gab ihm eine bräunliche Papierrolle, in eine Schleife eingebunden. Dann blickte sie ihn aus traurigen, mitfühlenden Augen an und sprach leise:
»Dieser Königssohn aus eurer alten Mär, Herr.., verzeiht, aber ich glaube.., ihr selbst seid es, nicht wahr.., ihr seid jener, welcher bei jedem Mond das Tuch seiner Geliebten fängt, und die Prinzessin ist jener Stern, welcher es wirft.., so ist das, oder? Es ist diese Burg und es ist dieser Turm dort, auf welchen wir steigen wollten, in welchem eure Liebe gefangen ist, ja?«
Sebastian sah zunächst peinlich berührt zu Boden, hob dann aber den Blick und hielt ihren entwaffnenden Augen nur mit Mühe stand. Doch er schwieg, denn was er auch zu sagen wünschte, er durfte nicht einmal daran denken! Das Mädchen verstand ihn jedoch auch ohne Worte.
»Areos, Herr.., seid ohne Sorge! Euer Geheimnis wird tief in unseren Herzen verborgen bleiben.., für alle Ewigkeit.., denn ihr habt uns edelmütig etwas gegeben, dessen ihr doch selbst wahrhaft bedürft: Die Hoffnung auf die Liebe!« Damit holte Tariz Antaronas Tuch aus ihrem Gewand hervor, legte es Sebastian um den Hals, küsste ihn flüchtig auf die Wange und lief so schnell, wie sie erschienen war, mit hoch errötetem Gesicht wieder davon.
Sebastian blickte ihr kopfschüttelnd und nachdenklich hinterher, die Pergamentrolle in der Hand, das Tuch um die Schultern, als eine bekannte Stimme neben ihm erklang:
»Nun, hat euch die kleine Oranuti bereits ihre Werbung übergeben.., habt ihr nun doch eine neue Liebe gefunden?« Sebastian sah König Bental mit kalten, fast zornigen Blicken an und antwortete unmissverständlich.
»Nein, eure gütige Hoheit, ich habe keine neue Liebe gefunden und werde sie auch nicht finden, weil ich nicht danach suchen werde. Ich trage noch immer eine alte Liebe im Herzen und habe gerade eben erfahren, wie wertvoll und heilig sie ist!« Damit hängte er dem verdutzten König Antaronas Tuch über die Schulter, wandte sich um und ging ziellos in die Menge der vielen Gäste hinein.
Eigentlich hatte Sebastian die Nase voll von diesem Abend und der Gang in die feiernde Menge hatte nur zum Ziel, so schnell wie möglich König Bentals Blicken zu entschwinden. Dafür lief er nun Arrak direkt in die Arme, der gerade dabei war, eine Frau, die sich spielerisch dagegen sträubte, zum Tanz zu ziehen. Sie hatte sich die Schnürung ihrer Oberweite nicht wirklich ernsthaft zugezogen und Sebastian konnte sich denken, was Arrak animiert hatte.
»Areos, Herr, habt ihr es vernommen.., die Windreiter sind von jetzt an ein eigenes Heerlager, der König selbst hat es so bestimmt!« berichtete er freudig, während die Frau albern lachend an seinem Arm zog. Offenbar war sie es nun, die tanzen wollte.
»Arrak, ich hatte noch keine Gelegenheit, euch zu grüßen...«, rief Sebastian freudig aus, »...wie bei den Göttern kommt ihr denn hier her? Ich dachte, ihr geleitet Pinatubo und Onafinte, sowie Frogath und Koratan nach Fallwasser?«
Arrak wurde immer noch von der offensichtlich ziemlich betrunkenen Frau am Arm hin und her gerissen und hatte Mühe zu antworten:
»Sie sind alle in Sicherheit, Herr.., nach der Geschichte mit Wurek und Fister steckte ihnen so sehr die Furcht in den Knochen, dass sie von selbst liefen, wie die verschreckten Wasel. So waren wir schnell bei Hedarons Hof angelangt...«
Die Frau, die immer noch an seinem Arm hing, unterbrach ihn, gebärdete sich wie eine Verrückte und wurde ihm immer mehr lästig. Kurzer Hand löste er ihre Hand von seinem Arm und stieß sie in die ausgelassene, tanzende menge, wo sie sich sofort an den nächsten Mann klammerte. Arrak strich sich den Rock zurecht und wandte sich nun ganz Areos zu.
»Die seid ihr nun aber los...«, grinste Sebastian seinen Retter an, »...sieht nicht so aus, als würde sie euch nachtrauern, was?«
»Ach lasst die nur, Herr, sie war nicht mehr, als eine Ve-ni-tries, eine, die sich für Mestas, oder Quarts jedem hingibt, ob Heerlagerführer, Bauer, oder Bettler. Derer gibt es viele, so wird später noch eine andere für Arrak abfallen«
»Arrak...«, begann Sebastian, »ich stehe tief in eurer Schuld.., ihr habt mir bereits zum zweiten Mal in der Not geholfen! Dabei habe ich euch noch nicht einmal zu eurem Rang als Heerlagerführer mit Anerkennung bedacht. Ich denke, der König hätte mit euch keine bessere Wahl treffen können!«
»Herr.., ich tat nichts, das ihr nicht auch für Arrak getan habt und tun würdet. Arrak war euch so schnell wie ihn sein Pferd trug gefolgt, nachdem er die Oranuti, Koratan und Frogath in Sicherheit wusste. Ich fürchtete, ihr würdet nicht heil nach Falméra kommen, Herr.«
»Arrak, mein Freund.., erst einmal lasst dieses Herr, wenigstens, wenn wir allein sind, denn wir sind einander mindestens ebenbürtig. Doch sprecht.., wie seid ihr so schnell über das große Wasser gekommen?« wollte Basti neugierig wissen.
»Da half mir Gevatter Zufall...«, berichtete Arrak, »...eine Armada von Oranuti- Wasserwagen war nach der schlafenden Sonne hin unterwegs, voll beladen mit neuen Tuchstangen für Wasserwagen. Einer von ihnen setzte mich zwischen Val Argón und der großen Bucht an Land, bevor er weiter fuhr, dann war es für Arrak nur noch...«
»Bevor er weiter fuhr?« fragte Sebastian erstaunt. »Ja sind denn die Wasserwagen nicht in die Bucht von Falméra gefahren?«
»Nein, Areos, sie fuhren an Falméra vorüber, nach der schlafenden Sonne zu, jener nahm mich nur auf, weil ich den Fährer gut kannte«, antwortete Arrak ergeben. Sebastian dachte angestrengt nach, nahm Arrak beim Arm und zog ihn aus dem lauten Trubel heraus, in den Speisesaal hinein, um ungestörter zu sein. Von den großzügig aufgefahrenen Speisen war nicht mehr viel da. Hier und dort fand sich noch ein Wafanbein, oder einzelne Wildsteaks, ansonsten war die Tafel bis auf einiges Obst und Gemüse verwüstet und geplündert. Sebastian nahm sich ein Stück vom Wafan und bot auch Arrak davon an.
»Seid bedankt, Areos, doch ich erfreute mich bereits der Speisen«, lehnte er bescheiden ab. Sebastian nahm in zur Seite und blickte sich skeptisch nach Lauschern um, bevor er fragte:
»Sagt, Arrak.., wohin wollten die Wasserwagen der Oranuti und wisst ihr, wie viele es waren? Denkt nach.., es ist möglicherweise wichtig!« Arrak versuchte sich zu konzentrieren, dann erklärte er:
»Es waren nahe den Nen-ti-ara-ti Wasserwagen und zwei Wasserkampfwagen als Schutz...«, überlegte er, »sie waren im Nebel nicht gut zu sehen, doch einmal kam Wind auf und gab die Blicke frei. Sie wollten nach der schlafenden Sonne, wohin genau, sagte mir der Fährer nicht. Es waren noch einige Baumeister auf den Wagen, sie fuhren mit ihren Familien...«
»Baumeister mit ihren Familien...« unterbrach ihn Sebastian, wiederholte nachdenklich seine Worte und überlegte laut, »das heißt, sie wurden für längere Zeit irgendwo hin gebracht, um etwas Großes, oder um Vieles zu bauen, um ihre Kunstfertigkeit denen zu geben, die sie selbst nicht besitzen. Und sie fahren verdeckt, im Nebel, schleichen sich an Falméra vorbei, nach Norden.« Etwas lauter und für Arrak bestimmt, fragte er:
»Was ist dort, wo die schlafende Sonne ist.., Arrak, was gibt es dort, was so viele Hölzer für Wasserwagen benötigt?« Arrak hob unwissend die Schultern, kratzte sich am Kopf und erwiderte unsicher:
»Höhlen in den Bergen, aus denen das Metall der Waffen kommt, oder Tränen von den Göttern.., Areos, vielleicht nehmen die Bergmeister von Zarollon die Hölzer, um die Höhlen zu stützen, damit sie nicht fortwährend einstürzen?« Sebastian sah Arrak zweifelnd an.
»Und dazu brauchen sie die Baumeister der Oranuti.., eines Volkes, das noch nie Löcher in die Berge getrieben hat? Nein, Arrak, da steckt etwas ganz anderes dahinter. Man nimmt nicht die edlen, geraden Hölzer für Tuchstangen und Masten, um Höhlen abzustützen!«
Wie aus heiterem Himmel packte Sebastian Arraks Arm und zog ihn mit sich, quer durch den Speisesaal, zurück in das Gesellschaftszimmer und in einen angrenzendes Vorzimmer, in dem nur eine einzige Kerze brannte. Er schloss die Tür hinter Arrak und sie waren allein.
»Arrak...«, beschwor Sebastian seinen Kampfgefährten, »...was ich euch jetzt sage, behaltet ihr für euch, ja? Zu keinem Menschenwesen auch nur ein Wort.., nicht einmal zum Achterrat, habt ihr mich verstanden?« Arrak nickte zögernd und Sebastian bemerkte, dass er sich offenbar sehr unwohl in seiner Haut fühlte. Arrak war ein Krieger, ein Kämpfer, der besser, als jeder andere zu kämpfen verstand, wenn er einen erkannten Feind vor Augen hatte. Doch Schachbrettkriege, taktische Überlegungen und Strategien waren nicht unbedingt seine Stärke.
»Überlegt mal, Arrak...«, tat Sebastian geheimnisvoll, »...wäre es möglich, dass Torbuk weit oben, im Land der schlafenden Sonne, dort, wo die Augen Falméras nicht hin gelangen, eine ganze Armada von Kriegswasserwagen bauen lässt, von Baumeistern der Oranuti?« Arrak sah Sebastian zunächst erschrocken an, entspannte seine Züge aber sofort wieder und entgegnete:
»Aber wozu? Selbst, wenn er an Falméras Küste zu landen vorhätte, so wäre ein Bauplatz so weit zu der schlafenden Sonne hin doch unvorteilhaft gewählt! Ihr vergesst die große Strömung, Areos. Für den Bau einer Armada, welche Falméra überfallen soll, wäre das Land der wandernden Sonne geeigneter, um mit dem Strom nach Falméra zu fahren!« Sebastian nickte zustimmend, brachte aber noch eine andere Wahrscheinlichkeit ins Spiel.
»Arrak.., wie gut kennt ihr die Wasserwege um Falméra? Ich sehe euch am Blick an, dass ihr nur von der großen Strömung zwischen dem Festland und Falméra wisst. Es gibt aber noch einen zweiten Strom!« Sebastian ignorierte Arraks erstaunten Blick und fuhr unbeirrt fort:
»Es gibt einen gegensätzlichen Strom auf Falméras Seite zur aufgehenden Sonne, welcher nach der wandernden Sonne hin zieht, zwischen Falméra und den kleinen Inseln Fal-rock und Fal-córa hindurch«, erklärte er Arrak, »o ja, der König hat mir in seiner weisen Großzügigkeit ein ganzes Geschoss seiner Burg anvertraut, einschließlich eines Raumes, vollgestopft mit Karten, auf denen auch die Ströme verzeichnet sind.« Basti senkte seine Stimme etwas und mutmaßte weiter:
»Wenn Torbuk zum Beispiel eine riesige Armada von der schlafenden Sonne aus heran führen würde, in finsterem Mond an der Bucht Falméras vorbei, so könnte er ungehindert und beinahe ungesehen am Strand von Mehi-o-ratea landen und durch die Täler gegen Falméra ziehen.« Einen Augenblick nutzte Sebastian um die Reaktion Arraks abzuwarten, dann dachte er die feindliche Strategie zu Ende:
»Die wenigen Verliebten dort würde er wahrscheinlich überwältigen, ohne, dass sie es recht gewahr würden. Er könnte dort in den Sümpfen drei Sonnen und drei Monde lang seine Truppen sammeln, ohne entdeckt zu werden, um dann mit einer ganzen Armee nach Falméra vorzustoßen!«
Arrak nickte nachdenklich und Sebastian konnte fast sehen, wie es in seinem Gehirn arbeitete. Dann fragte er:
»Habt ihr dem König schon von solchen Gedanken berichtet, Areos.., ich meine, auch wegen der Ereignisse im Val Mentiér?« Sebastian schüttelte verzweifelt den Kopf.
»Nein, noch nicht...«, gab er zu, »...wisst ihr Arrak, Bental ist geblendet.., er hat hier in der vermeintlichen Sicherheit Falméras eine andere Sicht auf die Entwicklungen in seinem Land bekommen. Er glaubt fest daran, dass Oranutu ein ehrlicher Verbündeter ist, der auf dem Boden Falméras friedlich Handel treibt, und sich als stiller, dankbarer Gast gibt.., aber das ist nicht so, wie es scheint, Arrak, glaubt mir!« Arrak sah Sebastian verlegen an und gab zu:
»Nun, so müsst ihr mich ebenfalls verurteilen, denn ich sah die Unbekleideten gleichfalls nur als unsere Verbündete.., an solche Überlegungen, wie ihr sie habt, Areos, dachte ich nie!«
»Mein lieber Arrak...«, beschwichtigte Sebastian, »...ich verurteile den König doch nicht.., er weiß es eben nicht besser. Und ihr selbst, mein Freund, wisst nur, was in den Tälern geschieht. Was weiß denn schon der König von den Tälern, vom Festland.., er ist seit vielen Sommern und Wintern auf Falméra wie gefangen und stützt sich womöglich nur auf die Berichte der Seefahrer, da diese überall hin gelangen. Doch eben die sind nun mal Oranuti!
Und ich gehe sogar einen Schritt weiter. Ich glaube, dass Paranubo und Onafinte, jene, die ihr zu Hedaron zurück brachtet, Spione der Oranuti sind, welche den Achterrat für Torbuk auskundschaften sollten, denn seine eigenen Leute konnte der ja nicht entsenden, die wären früher oder später aufgefallen.«
»Das glaubt ihr?« entfuhr es Arrak verwundert. Sebastian setzte sich auf einen Stuhl, gebot Arrak, sich ebenfalls zu setzen und zog die Kerze auf dem Tisch zu ihnen heran. Dann gestand er leise:
»Ich bin nicht der einzige, der das glaubt und ehrlich gesagt, ahnte ich selbst nicht einmal im Traum so etwas. Antarona hatte mich erst darauf gebracht, von ihr stammt der Verdacht, dass die Oranuti auf Falméra nur deshalb Handel treiben, sich hier niederlassen und ihren Einfluss auf Bental ausbauen, um das Volk auf der Insel zu unterwandern.« Sebastian drückte Arraks Arm mit der hand auf die Tischplatte und mahnte:
»Denkt doch mal nach, Arrak, die Oranuti haben eine Kultur, welche sich mit jener der Ival nie vereinbaren lässt, sie glauben nicht an Talris und die Götter! Sie versuchen für sich zu bleiben, auf Falméra, wo sie nur geduldete Gäste sind, wo sie sich jedoch schon gebärden, als wären sie die Herren im Land. Es gibt ihrer bereits so viele auf der Insel, dass sie schon eigene Herrschaftshäuser besitzen!
Und nun überlegt folgendes; Torbuks Armee, bei Mehi-o-ratea gelandet, rückt gegen Falméra vor. Spätestens auf dem Vormarsch können sie sich nicht mehr verbergen. Bental würde sofort die Burg dicht machen und Torbuk hätte das Nachsehen und die Burg als Klotz am Bein!« Arrak nickte und hörte weiter zu.
»Wenn aber die Oranuti in Wahrheit mit Torbuk verbündet wären, so wäre es ihnen ein Leichtes, das Schließen der Burgtore zu verhindern, nicht? Seht euch um, Arrak, selbst heute Abend sind die Oranuti hier in der Burg! Niemand hegt Argwohn, denn die Ival haben sich an sie gewöhnt, auch wenn viele ihnen mit Misstrauen begegnen. Im Grunde braucht Torbuk nur in die Bucht zu segeln und findet offene Tore vor!«
Arrak war still geworden. Die Betrachtungsweise Areos war ihm nie in den Sinn gekommen. Aber sie machte Sinn.., sie könnte wahr sein!
»Aber die Oranuti waren uns nie feindlich gesinnt, Areos! Ist es nicht vermessen, so über sie zu denken?« zweifelte Arrak.
»Nun.., ich will nicht alle Oranuti als Verräter ins Licht stellen, es gibt sicher viele von ihnen, welche nur in Ruhe handeln und in Frieden leben wollen. Ich selbst habe vor nicht ganz einer Zentare einige Ival und Oranuti dazu ermutigt, sich zu verbinden, weil sie sich lieben. Aber ich fand in der Bibliothek meiner Gemächer Schriften mit Bildern, die etwas Merkwürdiges zeigten:
Viele Wasserwagen der Oranuti, welche an den Küsten lagen.., sie zeigten Oranuti, welche gegen Ival kämpften und auf anderen Bildern Oranuti, welche überall, auf allem Land verteilt waren. Es mögen alte Schriften sein, welche wer weiß woher stammen, Arrak.., doch sie erzählen, dass die Oranuti- Kultur sowie ihr Glaube eine Alleinherrschaft über alles Land erstrebt! Warum, so frage ich euch, sollten sie vor Falméra Halt machen, wenn sie es sich doch mit ihrem Handel schon halb erobert haben?«
Sebastian stand auf, blickte auf einen stillen, nachdenklichen Arrak, den die Theorie von der Infiltration der Ival durch die Oranuti auf Falméra vermutlich mehr überforderte, als er zugab.
»Ich verstehe eure Bedenken angesichts solcher Überlegungen, Arrak, denn sie sind eben nur Vermutungen! Und sie können gefährliche Gedanken sein, wenn sie zutreffen, aber auch, wenn sie nicht wahr werden!«
Sebastian legte seine Hand auf Arraks Schulter und versuchte ihn wieder aufzulockern. Er gab sich Mühe ein Lächeln zu zeigen, was ihm aber nicht wirklich gelang.
»Arrak, mein Freund.., was habt ihr eigentlich vor.., ich meine nach dem Fest, beim nächsten Sonnenlauf? Gedenkt ihr eine Weile in Falméra zu bleiben?« Sebastian stellte ihm diese Frage nicht ganz ohne selbstlose Hintergedanken.
»Ich denke, ich werde so schnell es die Gelegenheit erlaubt, nach Val Mentiér zurückkehren, zu meinem neuen Heerlager, den Windreitern und ihnen berichten, dass sie nun nicht mehr als vogelfreie Krieger kämpfen müssen. Es wird ein großes Fest geben und...«
»Ich habe etwas anderes im Sinn, Arrak...«, unterbrach ihn Sebastian, »...freilich sollt ihr zu eurer Truppe zurückkehren, um ihnen die frohe Botschaft zu bringen. Aber dann, Arrak.., was tut ihr dann?« fragte Sebastian forschend.
»Weiter kämpfen, Areos, wir werden weiter unsere Dörfer vor Übergriffen Torbuks schützen, bis wir von euch.., also von seiner gütigen Hoheit, dem König andere Befehle erhalten.« Sebastian nickte anerkennend, gab sich damit aber noch nicht zufrieden.
»Arrak.., sagt, gibt es unter euren Windreitern einen, dem ihr mehr vertraut, als allen anderen.., einen, von welchem ihr genau wisst, dass er euch treu ergeben ist und außerdem ein guter Krieger, so, wie ihr einer seid?« Arrak errötete leicht, denn Komplimente machten ihn stets verlegen, antwortete aber ohne Umschweife:
»Ja, Areos, ich habe einige gute Männer in meiner Reiterschar, zwei sogar, denen ich die Windreiter anvertraut habe, während ich euch und Antarona folgte.«
»Arrak.., was würdet ihr davon halten, wenn ihr nach Val Mentiér zurück kehrt, euer Fest feiert, eure Truppe eine Weile einem eurer zuverlässigsten Krieger anvertraut und für mich, Areos von Falméra, einen besonderen Auftrag erledigt? Ich meine einen Auftrag, der einen sowohl großen Krieger, als auch einen besonnen und gescheiten Mann und vertrauenswürdigen Freund erfordert? Ein Auftrag, den ich nur allein euch geben wollte!« Arrak erhob sich von seinem Stuhl und verkündete stolz, ohne weiter darüber nachzudenken:
»Für Areos von Falméra ist mir keine Aufgabe zu schwer und zu gefährlich.., ihr könnt mir jeden Auftrag geben, Arrak wird zu jeder Zentare bereit sein, Herr!«
»Nun mal nicht so stürmisch, Arrak...«, bremste ihn Sebastian, »...überlegt es euch gut und gebt mir erst dann eure Antwort!
Der Dienst, um welchen ich euch bitte, ist ein Auftrag über den ihr zu keinem ein Wort sprechen dürft.., nicht zum Achterrat, nicht zu euren Vertrauten der Windreiter, ja nicht einmal zu den Beratern des Königs, oder gar dem König selbst! Ihr tut diese Aufgabe, die keine leichte sein wird, nur für mich allein und für Antarona.., aber möglicherweise könnt ihr damit ganz Volossoda vor dem Untergang bewahren!«
Arrak sah Sebastian offen, aber sehr nachdenklich an. Er nickte verhalten, so, als hätte er auf einem Mal sämtliche Überlegungen Sebastians nachvollziehen können. Dann sagte er ruhig und gefasst:
»Areos.., Ihr erwartet von mir, dass ich bis weit in das Land der ruhenden Sonne gehe, durch die von Torbuk besetzten Länder, so weit.., bis ich das finde, wovon ihr spracht, nicht wahr? Bis ich den Ort finde, an welchem Torbuk mit den Oranuti zusammen die Wasserwagen für einen Krieg baut!«
»Genau darum seid ihr meine Wahl, Arrak, denn ihr besitzt Scharfsinn...«, lobte Sebastian den neuen Heerlagerführer, »...aber ich erwarte nichts von euch.., gar nichts, Arrak, denn ihr habt für mich, für Antarona und für euren König, vor allem für das Volk der Ival, bereits mehr getan, als das jemals einer tun könnte! Aber ich und das Volk.., wir brauchen einen, wie euch, einen, dem wir vertrauen können, dem das Volk vertrauen kann!«
Damit versuchte er Arrak zu schmeicheln und zu ködern. Zufrieden stellte Sebastian fest, dass es zu funktionieren schien. Arrak trat verlegen von einem Bein auf das andere, fast beschämt über so viel Lobhudelei. Dann verkündete er verbindlich:
»Ich werde es für euch herausfinden, Areos, wenn dort im Land der schlafenden Sonne Wasserwagen gebaut werden , so werde ich sie finden!«
»Gut Arrak, so stehe ich euch erneut tief in der Schuld...«, sagte Sebastian, »...aber ich werde euch nicht vergessen! Und nun hört zu: Nehmt so viele Männer mit, wie ihr für nötig haltet, aber nicht so viele, dass ihr auffallt! Und sendet mir einen Boten, wenn ihr etwas heraus gefunden habt!«
Sebastian öffnete die Tür zum Vorzimmer und sie traten in den Speisesaal zurück. Sofort überfiel sie wieder der hämmernde Rhythmus der Musikanten, die immer wilder spielten und die Tanzenden zu ekstatischen Bewegungen animierten.
»Und denkt daran, Arrak...«, erinnerte ihn Sebastian noch einmal, »...was auch immer ihr finden werdet, es kann möglicherweise über das Schicksal der Ival entscheiden! Und nun, Arrak, geht mit dem Schutz der Götter und kehrt heil zurück, denn ich und das Volk wollen ihre besten Krieger wieder sehen!«
Damit verabschiedete er sich von Arrak, dem er mehr aufgebürdet hatte, als er eigentlich als Areos, als Sohn des Königs verantworten konnte. Doch er brauchte jemanden, der mutig, beherzt, umsichtig und schnell genug war, diese Aufgabe zu bewältigen!
Nachdem Sebastian seinen Freund in die feiernde menge entlassen hatte, suchte er selbst einen Weg, sich zurückzuziehen. Für ihn stand immer noch der dringendste Wunsch im Vordergrund, einen Weg zu Antarona zu finden. Als er sicher war, dass ihn niemand mehr vermissen würde, schlich er sich über den großen Ost- Turm in seine Gemächer zurück.
Auf dem Weg dort hin stieg er noch einmal zu Antaronas Geschoss hinauf. Eventuell war der Wachmann vor der Tür zu ihren Gemächern ebenfalls in Feierlaune und ließ ihn durch. Doch Sebastians Blick in dessen entschlossene, unnachgiebige Augen klärten die Situation sehr schnell. Nicht, dass Sebastian den Mann nicht hätte überwältigen können, doch die Folgen einer solchen Aktion musste womöglich Antarona ausbaden!
Enttäuscht kehrte Sebastian in seine eigenen Räume zurück, wo er von Frethnal begrüßt wurde. Er entließ seinen Diener, denn an Gesellschaft hatte er für diesen Abend genug gehabt. Anschließend begab er sich in das Lesezimmer, jenen Raum mit den zwei Türmchen, in den Sebastian seine Hoffnung setzte, ungesehen zu Antarona zu gelangen.
Tatsächlich hatte Frethnal dafür gesorgt, das die schweren Wandbehänge die beiden Türen verdeckten. Es war bereits mitten in der Nacht, trotzdem bugsierte Sebastian zwei Tische aus der Bibliothek heran und schob sie dicht vor die Wandtücher, die schon eher an Teppiche erinnerten.
Dann begann er damit, einige Bücher in das Zimmer zu holen und sie in wackeligen Türmen auf dem Tisch zu stapeln. Davor breitete er noch einige Karten aus. Für einen zufällig herein kommenden Betrachter musste es so aussehen, als arbeitete er an einem wichtigen Projekt. Die Büchertürme würden verhindern, dass jemand auf den glorreichen Einfall kam, den Tisch verrücken zu wollen.
Zufrieden mit seinem Werk und todmüde kroch er schließlich unter seine Decken und Felle in seinem Bett. Die Fenster hatte Frethnal bereits mit Vorhängen versehen, so dass ihn zumindest die Sonne am Morgen in Ruhe ließ. Mit dem letzten Gedanken an Antarona schlief er ein.
Irgendwann schreckte Sebastian hoch. Ein Schrei! Wieder hatte er einen Schrei gehört! Oder wieder nur geträumt? Er lauschte angestrengt in die Dunkelheit... nichts! Also spiegelte ihm seine Seele wieder einmal seine schlimmsten Ängste wieder. Doch er konnte sich nicht an ein einziges Detail seines Traums erinnern.
Der Blick durch das Fenster auf den Mond ließ den Schluss zu, dass er gerade mal eine knappe Stunde geschlafen hatte. Seufzend stieg er wieder in sein Bett und streckte seine Glieder aus.
     
  Wichtiger Hinweis: Die Texte des Autors Frank Adlung, insbesondere die des Romans "Das Geheimnis von Val Mentiér", sind durch notarielle Hinterlegung urheberrechtlich geschützt. Ein Herunterladen und Ausdrucken ist nur für den privaten Zweck des Lesens gestattet. Kommerzielle Nutzung, öffentlicher Vortrag, oder Vervielfältigung und Verfälschung des Inhalts, sowie öffentliche Verbreitung ohne Genehmigung des Autors sind untersagt und werden zur Anzeige gebracht.
 
 
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